188
Erinnerungsstätte an die Zwangsarbeit auf dem Gelände des Volkswagenwerks

VolksWagen2012_Erinnerungsstätte_Zwangsarbeit

Embed Size (px)

DESCRIPTION

Die Heranziehung von Millionen von ausländischen Arbeits -kräften zur Verrichtung von Zwangsarbeit war eines derherausragenden Kennzeichen der nationalsozialistischenKriegs wirtschaft. Die Volkswagenwerk GmbH machte davonkeine Ausnahme, ja sie nahm in einem überproportionalenMaße an der Verwendung unfreier Arbeitskräfte teil. Daswar in erster Linie darin begründet, daß das Werk bis zumBeginn des Zweiten Weltkrieges keine Stammbelegschafthatte bilden können. Umfassende Werbeaktionen in denweniger entwickelten Randzonen des Reiches, so am Niederrheinund in der Lausitz, desgleichen die Anwerbung vonniederländischen Arbeitskräften, waren nur begrenzt erfolgreichgewesen.

Citation preview

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    1/188

    Erinnerungsstttean die Zwangsarbeit auf dem

    Gelnde des Volkswagenwerks

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    2/188

    Erinnerungsstttean die Zwangsarbeit auf dem

    Gelnde des Volkswagenwerks

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    3/188

    Zwangsarbeit im Dritten Reich. Eine EinleitungHans Mommsen 3

    Raum 1 Projekt Volkswagen11

    31Raum 3 KZ-Hftlinge

    81Raum 4 Untertageverlagerung und

    Dezentralisierung des Volkswagenwerks 113Raum 5 Erinnerung

    143Raum 6 Auseinandersetzung mit der Geschichte

    des Volkswagenwerks im Nationalsozialismus 157Anhang:

    Flur Luftschutz und Bombardierung desVolkswagenwerks die Erinnerungssttte

    am historischen Ort

    Foto- und Dokumentennachweis

    Impressum

    Farbabbildungen

    171

    177

    178

    180

    Raum 2 Die Ausweitung der Rstungsproduktion und dieSystematisierung der Zwangsarbeit

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    4/188

    2

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    5/188

    Zwangsarbeit im Dritten Reich.Eine Einleitung.Hans Mommsen

    Die Heranziehung von Millionen von auslndischen Arbeits-

    krften zur Verrichtung von Zwangsarbeit war eines der

    herausragenden Kennzeichen der nationalsozialistischenKriegswirtschaft. Die Volkswagenwerk GmbH machte davon

    keine Ausnahme, ja sie nahm in einem berproportionalen

    Mae an der Verwendung unfreier Arbeitskrfte teil. Das

    war in erster Linie darin begrndet, da das Werk bis zum

    Beginn des Zweiten Weltkrieges keine Stammbelegschaft

    hatte bilden knnen. Umfassende Werbeaktionen in den

    weniger entwickelten Randzonen des Reiches, so am Nie-

    derrhein und in der Lausitz, desgleichen die Anwerbung von

    niederlndischen Arbeitskrften, waren nur begrenzt erfolg-

    reich gewesen.

    Daher war die Errichtung von Werk und Stadt nur auf

    Grund der Anwerbung italienischer Arbeitskrfte mglich,

    die zunchst auf der Grundlage eines Abkommens der Deut-

    schen Arbeitsfront (DAF) mit Dopo Lavoro, spter auf der

    Basis von zwischenstaatlichen Vertrgen zustande kam.Doch wurden die meisten Italiener nach dem Eintritt Italiens

    in den Zweiten Weltkrieg im Frhsommer 1940 wieder abge-

    zogen. Seitdem war das Werk von einem chronischen

    Arbeitskrftemangel betroffen, den es durch die Beschfti-

    gung auslndischer Zwangsarbeiter zu berwinden suchte.

    Auf dem Hhepunkt der Beschftigung in den Jahren

    1943 und 1944 machten dienstverpflichtete auslndische

    Arbeitskrfte und Zwangsarbeiter mehr als zwei Drittel der

    Belegschaft, im Bereich der Betriebsarbeit bis zu 80 Prozentaus. Damit stand das Volkswagenwerk an der Spitze der Aus-

    lnderbeschftigung, die bei den Rstungsbetrieben durch-

    schnittlich 30 Prozent betrug. Unter dem Druck der Verhlt-

    nisse wurde es zum Vorreiter dieser Entwicklung und

    bemhte sich frhzeitig, Mittel und Wege zu finden, um die

    Beschftigung von Zwangsarbeitern organisatorisch zu

    erleichtern.

    Nicht die Verwendung von unfreien Arbeitskrften,sondern das Ausma und die Systematisierung der Zwangs-

    arbeit waren neuartig und trugen dem Dritten Reich das

    Odium ein, auch in dieser Hinsicht ein Ausbeuterstaat zu

    sein. Die Beschftigung von Kriegsgefangenen hatte es

    bereits im Ersten Weltkrieg gegeben. Ebenso war die Anwer-

    bung von Arbeitskrften aus den Benelux-Staaten eine regel-

    mige Erscheinung der Zeit zwischen den Kriegen. Die

    ersten Stufen der Auslnderbeschftigung im Dritten Reich

    knpften daran an. Die Beschftigung von polnischen und

    franzsischen Kriegsgefangenen vollzog sich im allgemeinen

    im Rahmen der Genfer Konvention. Insbesondere franzsi-

    sche Arbeitskrfte waren allgemein begehrt.

    Die Rekrutierung von polnischen Arbeiterinnen und

    Arbeitern vollzog sich nach dem Polenfeldzug zunchst auf

    freiwilliger Basis, obwohl die diskriminierenden Vorschriftendes Regimes, die rassistischen Vorbehalten entsprangen und

    volkspolitischen Gefahren vorbeugen sollten, frh zu

    isolierter Unterbringung, zu dem Verbot, ffentliche Einrich-

    tungen zu bentzen, zur besonderen Kennzeichnung durch

    das Polen-Abzeichen und zu einem insbesondere sexuelle

    Beziehungen einschlieenden Kontaktverbot zu Deutschen

    fhrte.

    3

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    6/188

    Eine qualitative Vernderung der Auslnderbeschf-tigung trat im Herbst 1941, im Zusammenhang mit den

    ersten Rckschlgen der Wehrmacht gegen die Sowjetunion

    und dann der Niederlage vor Moskau Ende des Jahres ein.

    Die Reprsentanten des Vierjahresplanes liefen seit dem

    Sommer gegen das Verbot Hitlers Sturm, sowjetische Kriegs-

    gefangene im Reichsgebiet zu beschftigen, das von Hein-

    rich Himmler und Martin Bormann aus ideologischen Grn-

    den nachdrcklich bejaht wurde, die an dem von Goebbelsverbreiteten Klischee vom russischen Untermenschen fest-

    zuhalten suchten.

    Demgegenber wies Paul Pleiger, der Chef der Her-

    mann Gring Werke und Leiter der Reichsvereinigung Kohle

    in bereinstimmung mit der Mehrheit der Gro-

    industriellen darauf hin, da sich die russischen Kriegs-

    gefangenen bereits im Ersten Weltkrieg als zuverlssige

    Arbeitskrfte bewhrt htten und da sich unter ihnen zahl-

    reiche Facharbeiter befnden, die sowohl fr den Stein-

    kohlenbergbau wie die stahl- und eisenverarbeitende Indu-

    strie Verwendung finden knnten, wo sie dringend bentigt

    wurden. Erst im Oktober 1941 fiel die definitive Entschei-

    dung, sowjetische Kriegsgefangene im Altreich nicht nur in

    der Landwirtschaft, wo sie bereits herangezogen worden

    waren, sondern auch in der Industrie einzusetzen.Als Kompensation fr die rassistischen Vorbehalte der

    NSDAP wurde fr die Unterbringung, Verpflegung, Behand-

    lung und die Beschftigung der sowjetischen Kriegs-

    gefangenen im Betrieb ein Bndel diskriminierender und

    demtigender Maregelungen verordnet, durch welche die

    sowjetischen Kriegsgefangenen auf die unterste Stufe der

    Beschftigten gerckt wurden und sie von jedem Kontakt

    mit ihren deutschen Arbeitskollegen isoliert werden sollten.

    Der faktische Ausschlu aus der deutschen Gesellschaftwar das eine, eine sprbar niedrigere Entlohnung im Ver-

    gleich zu deutschen Arbeitskrften auch auf Grund der soge-

    nannten Polenausgleichsabgabe, die spter in verschrfter

    Form auf die Gruppe der Ostarbeiter ausgedehnt wurde,

    war das andere Kennzeichen der Beschftigung von polni-

    schen Zivilarbeitern. Rasch wurde das Kriterium der forma-

    len Freiwilligkeit des Arbeitseinsatzes im Reich gegenstands-

    los, erfolgte die Anwerbung mit gewaltsamen Mitteln, die inregelrechte Menschenjagden im Generalgouvernement aus-

    arteten.

    Damit vollzog sich eine innere Differenzierung in dem

    Millionenheer auslndischer Zwangsarbeiter. Die aus den

    Beneluxlndern, zugleich Dnemark und Spanien, spter

    auch aus Frankreich, dort formell im Austausch gegen fran-

    zsische Kriegsgefangene, dienstverpflichteten Arbeitskrfte

    arbeiteten zu den gleichen Lhnen und Sozialleistungen wie

    deutsche Belegschaftsmitglieder. Die erzwungene Gemein-

    schaftsunterbringung bedeutete jedoch eine erhebliche Ein-

    schrnkung der persnlichen Freiheit. Zugleich wurden

    Urlaubsgenehmigungen immer sprlicher erteilt, schlielich

    ganz unterbunden. Als insbesondere die Niederlnder dies

    mit der Flucht in ihre Heimat beantworteten, reagierte die

    Gestapo mit verschrften Repressalien gegenber denen, diegeblieben waren, und bte eine Art Sippenhaft aus. Gegen

    Ende des Krieges war daher die Lage der dienstverpflichteten

    Arbeitskrfte aus den Benelux-Lndern, aus Dnemark, aus

    dem Protektorat Bhmen und Mhren und aus Sdost-

    europa nur graduell von derjenigen der Zwangsarbeiter aus

    Osteuropa unterschieden.

    4

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    7/188

    Angesichts dieser Sachlage verstrkte sich der schon im

    Herbst einsetzende Druck der Industrie auf die Reichs-

    fhrung, Arbeitskrfte aus dem besetzten sowjetischen

    Gebiet, die dann als Ostarbeiter bezeichnet wurden, nach

    Deutschland zu bringen und damit den empfindlichen Man-

    gel an Arbeitskrften in der Rstungsindustrie zu beheben.

    Daraus entwickelte sich ein umfassendes Deportations-

    programm, das seit Mrz 1942 von dem zum Generalbevoll-

    mchtigten fr den Arbeitseinsatz berufenen Gauleiter FritzSauckel vorangetrieben wurde. Mehr als 2,5 Millionen

    Arbeitskrfte aus den besetzten Teilen der Sowjetunion

    wurden ins Reichsgebiet gebracht. Nachdem sich das

    Zwangsarbeitssystem eingespielt hatte, wurden die einzel-

    nen Arbeitsamtbezirke im Altreich von jeweils festgelegten

    Durchgangslagern aus mit Zwangsarbeitern versorgt. Im

    Falle des Volkswagenwerks handelte es sich um das Trans-

    ferlager Lublin, in das die zur Deportation ins Reichsgebiet

    vorgesehenen Personen vorbergehend eingeliefert wur-

    den. An der Menschenjagd nahmen die zivilen Behrden, die

    SS und Polizei, aber auch die Wehrmacht unterschiedslos teil.

    Ebenso wie bei der Beschftigung von sowjetischen

    Kriegsgefangenen im Reichsgebiet wurde auch fr die

    Ostarbeiter eine Vielzahl diskriminierender Vorschriften

    erlassen, die ber die restriktiven Bestimmungen der Polen-erlasse noch hinausgingen. Sie entsprangen dem Motiv,

    durch eine handfeste Schlechterstellung der Ost arbeiter

    gegenber den brigen Belegschaftsteilen die rassistischen

    Vorbehalte der Partei und SS zu befriedigen und jedwede

    Fraternisierung mit der deutschen Bevlkerung zu unterbin-

    den.

    Die vllig unzureichende Verpflegung bewirkte, da

    trotz ihrer Arbeitswilligkeit die Arbeitsleistung der Kriegs-

    gefangenen, fr deren Betreuung die Wehrmacht zustndig

    war, betrchtlich unter denen der deutschen Arbeitskrfte

    lag. Dazu traten bei den mindesten Versten gegen die

    Betriebs- und Lagerordnung hrteste Strafmanahmen, die

    hufig mit dem Tode der dem Hunger anheim gegebenen

    Gefangenen endeten.

    Die Volkswagenwerk GmbH fungierte als Vorreiterinund entfaltete betrchtliche Energie, um die industrielle

    Beschftigung sowjetischer Kriegsgefangener trotz der

    erwhnten politisch motivierten Auflagen zu realisieren und

    zgerte nicht, eigene Abgesandte in die Stammlager zu

    schicken, um dort Facharbeiter zu rekrutieren. Indessen

    scheiterten diese Initiativen auf der ganzen Linie, da die im

    Reichsgebiet befindlichen Stammlager von der verhngnis-

    vollen Fleckfieberepidemie erfat wurden, die in den Lagern

    hinter der Front wtete. Daher waren Ende 1941 fast keine

    sowjetischen Kriegsgefangenen mehr verfgbar. Die mei-

    sten waren in den Lagern in der besetzten Sowjetunion

    umgekommen, da keinerlei Vorsorge getroffen war, um ihr

    berleben sicherzustellen. Daher blieb eine verhltnismig

    kleine Zahl sowjetischer Kriegsgefangener im Volkswagen-

    werk oder wurde im Frhjahr 1942 neu rekrutiert, whrenddie groe Masse der infizierten Gefangenen in das Sterbela-

    ger Bergen-Belsen eingeliefert wurde.

    5

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    8/188

    Formell waren auch die Ostarbeiter, ebenso wie die

    Polen, Lohnempfnger, die allerdings durchweg in die unter-

    ste Lohnstufe eingereiht wurden. Aber auch diese Lhne blie-

    ben weithin fiktiv. Zur Polensonderabgabe, die 15 Prozent des

    Lohns unter dem Vorwand an den Fiskus abfhrte, da fr

    diese Personengruppe keine Belastung durch den Wehr-

    dienst eintrat, und der Verweigerung betrieblicher Soziallei-

    stungen traten Abzge fr die Lagerunterbringung. Unter

    dem Strich blieb fr die polnischen Arbeitskrfte kaumetwas brig. Noch schlechter waren die Ostarbeiter gestellt.

    Sie wurden mit so hohen Lohnabzgen belastet, da sie

    effektiv nur etwa 40 Prozent der an die brigen Belegschafts-

    mitglieder gezahlten Lhne erhielten, die Abgaben fr

    Unterbringung und Verpflegung nicht eingerechnet. ber-

    dies brgerte es sich in vielen Betrieben ein, einfach gar

    keine Lhne an die sowjetischen Zivilarbeiter zu zahlen, die

    man als zivile Gefangene betrachtete.

    In welchem Umfang die Banken, die Teile dieser krgli-

    chen Entgelte in die besetzten Gebiete bzw. das General-

    gouvernement transferierten, die dazu bestimmt waren, den

    Unterhalt der Familien der Zwangsarbeiter zu gewhrlei-

    sten, davon weitere Abstriche machten und wieviel von die-

    sen im einzelnen lcherlichen, zusammengenommen jedoch

    betrchtlichen Summen die Heimatgebiete in Osteuropaberhaupt erreichten, bedrfte einer gesonderten Unter-

    suchung.

    Anfangs herrschten hufig chaotische Verhltnisse.

    Ostarbeiterinnen, die auf freiem Felde bei der Erntearbeit

    aufgegriffen wurden, erhielten nicht die notwendige Win-

    terbekleidung, oder das nur in unzureichendem Ma, des-

    gleichen nicht angemessenes Schuhwerk, allenfalls Holz-

    schuhe, und dies im Winter. In einzelnen Fllen so im Volks-

    wagenwerk wurden Ostarbeiterinnen gezwungen, noch

    mitten im Winter den langen Weg vom Lager in den Betrieb

    barfu zurckzulegen. Die bald eingefhrte Entlausung voll-zog sich vielfach unter demtigenden Umstnden.

    Aber auch nach einer gewissen Konsolidierung lie die

    Lagerunterbringung der Ostarbeiter durchweg zu wnschen

    brig, waren die sanitren Verhltnisse deplorabel und fehl-

    te eine angemessene medizinische Betreuung. Vor allem

    aber lagen die Ernhrungsstze weit unter denen der

    Dienstverpflichteten aus dem Westen und fielen jedenfalls

    zunchst so niedrig aus, da sie einen unaufhaltsamen Lei-

    stungsabfall und verbreitete Unterernhrung hervorriefen.

    Die Betriebe suchten nur ausnahmsweise, die Ernhrungsla-

    ge der Ostarbeiter zu verbessern, obwohl sie mit der Werks-

    verpflegung eine unauffllige Mglichkeit hatten, die vllig

    unzureichende Versorgung in den Arbeitslagern, die eben-

    falls ihrer Kontrolle unterstanden, geringfgig auszuglei-

    chen. Statt dessen setzte sich allgemein die Tendenz durch,die Lebensmittelrationen mit der Arbeitsleistung zu koppeln

    und einen Teil davon als Prmien auszugeben, was die weni-

    ger leistungsfhigen Teile der Zwangsbelegschaft dem Hun-

    ger berlie. Erst vergleichsweise spt gingen die Betriebs-

    fhrungen dazu ber, gebrauchte Bekleidung in den Bene-

    luxlndern einzukaufen und sie nach Befriedigung der

    Bedrfnisse der deutschen Belegschaftsmitglieder an die

    darbenden Zwangsarbeiter auszuteilen.

    6

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    9/188

    Die desolaten Verhltnisse, unter denen die Mehrzahl

    der im Reichsgebiet lebenden polnischen und sowjetischen

    Zwangsarbeiter existierten, schlugen sich zwar nicht in

    signifikanten Verweigerungen der Zwangsarbeiter in den

    Betrieben nieder dazu war die Kontrolle durch den Werk-

    schutz, die Gestapo und rtliche NSDAP-Funktionre zu

    lckenlos. Jedoch versuchten viele, in anderen Beschfti-

    gungsverhltnissen bessere Bedingungen anzutreffen.

    Fr die spten Kriegsjahre rechnet man mit einerDunkelziffer von monatlich rund 40 000 Zwangsarbeitern,

    die im Reichsgebiet diffundierten. Die Gestapo griff jeden

    Monat bis zu 34 000 Menschen auf und lieferte diese wegen

    Arbeitsvertragsbruchs in die seit 1940 wie Pilze aus den

    Boden schieenden Arbeitserziehungslager ein, aus denen

    sie nach maximal sechs Monaten physisch vllig erschpft

    und seelisch gebrochen in ihre angestammten Betriebe

    zurckgebracht wurden.

    Das Unterdrckungsinstrument der Arbeitserzie-

    hungslager, deren Methoden trotz vielfach zivilen Wach-

    personals sich nicht im geringsten von denjenigen der Kon-

    zentrationslager unterschieden, traf etwa jeden achten aus-

    lndischen und jeden zehnten deutschen Industriearbeiter.

    Dies erklrt, warum von seiten der Industriearbeiterschaft

    nur ausnahmsweise offener Widerstand gegen die Repressi-onsmanahmen des Regimes aufgetreten ist.

    Nach dem Versiegen des Zustromes von Ostarbeitern

    sah sich die Rstungsindustrie dazu veranlat, jedes erdenk-

    liche Arbeitskrftereservoir auszuschpfen, um die Produk-

    tion aufrechtzuerhalten oder auszuweiten.

    War man zunchst verschwenderisch mit diesen

    Arbeitskrften umgegangen Kranke und Schwangere wur-

    den in die Heimatgebiete zurckgeschickt, was den Erfolg

    selbst der Zwangsrekrutierung in Frage stellte, ergab sich

    seit 1943, auch im Zusammenhang mit den rcklufigen

    deutschen militrischen Erfolgen, eine zunehmende Arbeits-

    krfteknappheit. Bezeichnenderweise wurde die Schlacht

    am Kursker Bogen, die als grozgige Umfassungsoperation

    geplant war, dann aber auf der ganzen Linie scheiterte, auchmit der Zielsetzung geplant, zahlreiche Einheimische als

    Arbeitskrfte deportieren zu knnen.

    Angesichts der ideologischen Starrheit der nationalso-

    zialistischen Funktionstrger, aber auch der Unbeweg-

    lichkeit der mit der Zwangsarbeiterbeschftigung befaten

    Verwaltungs- und Kontrollapparate ging das Regime erst

    seit Mitte 1943 dazu ber, die Versorgung der Ostarbeiter in

    gewissem Umfang zu verbessern, ihnen des Sonntags grs-

    sere Bewegungsfreiheit auerhalb der Lager zu gewhren.

    Schlielich machten deutsche Stellen den Versuch, die ein-

    zelnen nationalen Gruppen, denen die Ostarbeiter angehr-

    ten, als Volkstums-Verbnde zu konstituieren und sie mit

    der Fiktion autonomer Rechte auszustatten. Desgleichen sah

    man sich nunmehr gezwungen, ganze Familien zu deportie-

    ren, die nun nicht mehr immer auseinandergerissen wur-den. Allerdings bleibt das Schicksal der Kinder, die in den

    Lagern geboren oder mitgebracht wurden, bis heute weitge-

    hend im Dunkeln, abgesehen von den katastrophalen Folgen,

    die die zwangsweise verfgte Unterbringung neugeborener

    Babys in werkseigenen Kinderheimen zur Folge hatte, so im

    Falle des Kinderheims Rhen, das vom Volkswagenwerk

    betrieben wurde.

    7

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    10/188

    Quantitativ fiel die Zahl der von der Industrie insbeson-

    dere in der regulren Produktion beschftigten KZ-Hftlinge

    eher niedrig aus und betrug im Frhjahr 1944 rund 32 000

    Personen, mit allerdings rasch ansteigender Tendenz. Der

    grere Teil davon bestand aus jdischen Arbeitskrften, die

    seit Mai 1944 nach Auschwitz deportiert und danach fr den

    Einsatz im Reich ausgesondert worden waren. Darunter

    befanden sich nun auch zahlreiche weibliche Hftlinge, die

    in Anbetracht der Arbeitskrfteknappheit nicht, wie zuvor,unmittelbar nach der Ankunft in Auschwitz der Vergasung

    anheimfielen.

    Offensichtlich wurden die jdischen Arbeitskomman-

    dos der Sptphase den einzelnen Rstungsbetrieben zuge-

    teilt. In einzelnen Fllen wurden nun auch in privilegierter

    Mischehe lebende Juden, die als Zwangsarbeiter eingesetzt

    waren, an den Manahmen zur Untertageverlagerung

    rstungswichtiger Betriebe beteiligt. Bei Kriegsende wurden

    die meisten von ihnen abgezogen und fielen teilweise den

    barbarischen Todesmrschen zum Opfer, welche die Sinnlo-

    sigkeit der spten Arbeitseinsatzpolitik des Regimes wider-

    spiegeln. Nennenswerte Bestrebungen seitens der Unter-

    nehmensfhrungen, die Lage der eigenen jdischen

    Zwangsarbeiter wie der zugeordneten KZ-Hftlinge zu

    verbessern, sind nicht bekannt geworden. Offenbar hattensie sich an die Zuflucht zu dieser von der SS systematisch

    ausgebauten Arbeitskraftreserve im Dritten Reich als etwas

    Normales gewhnt und empfanden keinerlei moralische

    Skrupel. Ihr zentrales Motiv bestand in der Auslastung der

    vorhandenen Kapazitt um jeden Preis. Ein unmittelbarer

    Zwang, KZ-Hftlinge zu beschftigen, ist nicht auf sie aus-

    gebt worden, allerdings bestand die Befrchtung eines

    Abzugs von Rohstoffen und Arbeitskrften.

    Teilweise geschah dies im Hinblick darauf, die Wettbe-

    werbsfhigkeit der Unternehmen in dem knftigen Frie-

    denszustand zu gewhrleisten. Sicherlich hatten die Unter-

    nehmen die Mglichkeit, das Angebot von KZ-Hftlingen zu

    umgehen. Indessen scheuten sie sich ebensowenig, diesen

    Schritt zu tun, wie dies fr die Beschftigung von Wehr-

    machtsstrafgefangenen oder nach dem Sommer 1943 fr die

    italienischen Militrinternierten galt. Dabei kann unterstellt

    werden, da die Unternehmen andere Arbeitskrfte bevor-zugt htten, aber der Arbeitsmarkt war leergefegt.

    Es lag daher nahe, vor allem fr auergewhnliche

    Manahmen, nicht zuletzt die Unterbringung der Produk-

    tion unter die Erde, Konzentrationslagerhftlinge zu

    beschftigen, im Falle der Volkswagenwerk GmbH zuerst in

    der Absicht, eine im Hinblick auf die sptere Friedens-

    produktion erforderliche Leichtmetallgieerei zu errichten.

    Die Anforderungen wurden in diesem Fall nicht an die rtli-

    chen Arbeitsbehrden, sondern an das SS-Wirtschafts-

    verwaltungshauptamt gerichtet, und die Betriebe hatten

    vielfach Gelegenheit, ihnen geeignet erscheinende Hftlinge

    in den Konzentrationslagern auszuwhlen. Die Unter-

    bringung der Hftlinge in KZ-Auenlagern erfolgte auf Rech-

    nung des SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamts. Die Firmen

    entrichteten fr Facharbeiter tglich 6 Reichsmark, fr unge-lernte Arbeiter und weibliche Arbeitskrfte 4 Reichsmark.

    8

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    11/188

    Es entbehrte jedoch des rassistischen Grundzugs, der

    die nationalsozialistische Zwangsarbeiterpolitik charakteri-

    sierte. Denn die Manahmen des NS-Regimes, die slawi-

    schen Arbeitskrfte, welche die Propaganda als Untermen-

    schen hinstellte, von der deutschen Bevlkerung zu zer-

    nieren Goebbels befrchtete zugleich eine Ansteckung

    durch bolschewistische Ideen gab den Ansto zu eskalie-

    renden diskriminierenden Manahmen, die Ostarbeiter und

    Polen, nicht zuletzt auch den weiblichen Arbeitskrften je-den sozialen Kontakt innerhalb und auerhalb der Betriebe

    vorenthalten sollten und die in Rcksicht auf die rassistisch

    indoktrinierte Bevlkerung von miteinander wetteifernden

    Behrden erfunden wurden.

    Gewi gab es in den Betrieben auch Anzeichen der

    Sympathie und des Mitleids, aber es war gefhrlich, dies

    offen zu zeigen, und nahezu unmglich, den unglcklichen

    Arbeitskollegen zu helfen, ihnen zustzliche Lebensmittel

    zukommen zu lassen und sie als Menschen zu behandeln.

    Sicherlich waren die Verhltnisse in den Betrieben unter-

    schiedlich, und in Kleinbetrieben, auf den Bauernhfen und

    bei privaten Einstzen gab es Hilfe von der deutschen Bevl-

    kerung. Aber bei den Einstzen auerhalb der Industrie, bei

    der Beseitigung von Bombenschden, beim Straenbau, in

    der Bauindustrie, welche die Zwangsarbeiter berwiegendber die Organisation Todt bezog, pflegten die Ressenti-

    ments des Aufsichtspersonals und der argwhnischen

    Parteifunktionre alle Gesten der Mitmenschlichkeit in den

    Anfngen zu ersticken.

    Betrachtet man das vorstehend skizzierte System der

    Zwangsarbeit im Dritten Reich, so ergibt sich eine umfassen-

    de Gewhnung daran, groe Teile der Industrieproduktion

    und der Energie- und Grundstofferzeugung, aber auch der

    Landwirtschaft, mittels des Einsatzes von Zwangsarbeitern

    der verschiedenen Kategorien einschlielich von Kriegs-

    gefangenen und KZ-Hftlingen zu betreiben. Im gro-

    industriellen Sektor setzte dies bestimmte Anpassungen der

    Produktionstechniken fr die Verwendung von angelerntenArbeitskrften im groen Stil voraus. Der bergang zur

    Fliefertigung diente vorwiegend dieser Umstellung, und er

    war keineswegs allein durch den Willen zur langfristigen

    Rationalisierung der Produktion bestimmt.

    Es gibt Indikatoren dafr, da sich das Management

    darauf einstellte, die industrielle Massenfertigung in dem

    vom Reich beherrschten knftigen Groraum Europa/Afrika

    mit berwiegend ungelernten Arbeitskrften aus den unter-

    worfenen Gebieten zu betreiben und den deutschen Beleg-

    schaften, die durchweg aus Facharbeitern bestehen sollten,

    Meister- und Vorarbeiterfunktionen zuzuweisen. Das

    tatschlich eintretende kriegswirtschaftliche System des NS-

    Regimes nahm diese Vision unter unmenschlichen Lebens-

    und Ausbeutungsbedingungen fr die groe Mehrheit der

    Zwangsarbeiter vorweg und fhrte sie gleichzeitig ad absur-dum.

    Sicherlich war der bergang zur Zwangsarbeit im

    Zweiten Weltkrieg nicht auf das Dritte Reich beschrnkt, und

    besa sie Vorstufen im Ersten Weltkrieg. Vor allem die

    Sowjetunion hatte seit der Entkulakisierung ein System der

    Zwangsarbeitslager entwickelt, das an die Tradition der

    zaristischen Autokratie anknpfte.

    9

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    12/188

    10

    1

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    13/188

    Projekt Volkswagen

    Die Vision einer Massenmotorisierung nach amerikanischem

    Vorbild gewann in Deutschland in den spten 20er Jahren an

    Bedeutung. Das nationalsozialistische Regime wollte dieseIdee fr sich nutzen. Als Ergebnis der Suche nach geeigneten

    Fachleuten erhielt Ferdinand Porsche im Juni 1934 vom Reichs-

    verband der deutschen Automobilindustrie den Auftrag,

    einen Volkswagen zu entwickeln. Im Mai 1937 zog die Deut-

    sche Arbeitsfront (DAF) das Vorhaben an sich.

    Am Mittellandkanal bei Fallersleben sollte ein eigenstndiger

    Musterbetrieb zur Fliefertigung von bis zu 1,5 Millionen

    Fahrzeugen im Jahr entstehen. Bau und Betrieb oblagen der1937 in Berlin gegrndeten Gesellschaft zur Vorbereitung des

    Deutschen Volkswagens mbH, im September 1938 in Volks-

    wagenwerk GmbH umbenannt, einem Tochterunternehmen

    des DAF-Wirtschaftskonzerns.

    Infolge des Kriegsbeginns drohten die ehrgeizigen Plne zur

    Errichtung der grten und modernsten Automobilfabrik der

    Welt zu scheitern, zumal da die Priorittensetzung der Kriegs-

    wirtschaft die Herstellung ziviler Fahrzeuge ausschlo. Das

    Unternehmen pate sich diesen Bedingungen an, indem es

    auch branchenfremde Rstungsauftrge bernahm.

    Ressourcen- und Arbeitskrftemangel erschwerten den Bau

    der Fabrikanlage, so da bereits seit Mitte 1938 auslndische

    Arbeiter, insbesondere aus Italien, herangezogen wurden.Dem neugegrndeten Unternehmen fehlte zudem fr die

    Inbetriebnahme des Werkes eine Stammbelegschaft. Seit

    Mitte 1940 beschftigte es auch unfreie Arbeitskrfte aus

    militrisch besetzten Lndern.

    11

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    14/188

    12

    Ferdinand Porsche, Denkschrift zum deutschen

    Volkswagen, Mai 1934

    Anfang der dreiiger Jahre entwickelten mehrere Automobil-

    unternehmen, darunter Ford, preiswerte und fr breite Ku-

    ferschichten gedachte Personenkraftwagen, die unter dem

    Begriff Volkswagen vermarktet wurden. Es kann damit abschlieend gesagt werden,

    da die Schaffung eines deutschen Volkswagens nach

    den ausgefhrten Gedankengngen

    zweifellos eine Grotat der Regierung wre,

    die die Wirtschaft in reichem Mae befruchten wrde

    und dem deutschen Volk Arbeit und Freude in

    hohem Ausma zuteil werden liee.

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    15/188

    Mit handschriftlichen Notizen versehene Planskizze

    des Werkes von Fritz Kuntze, dem spteren Leiter des

    Kraftwerkes, August 1937

    13

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    16/188

    Titelbild der Werbebroschre Dein KdF-Wagen,

    1. August 1938

    Die Deutsche Arbeitsfront stellte den Kraft durch Freude-

    Wagen in den Mittelpunkt ihrer sozialutopischen Propagan-

    da. Ein eigenes KdF-Sparen sollte den Pkw-Kauf erleichtern.

    Das niedrige Einkommensniveau begrenzte aber die Akzep-

    tanz dieses Ratensparsystems, an dem bis zum Frhjahr 1945

    insgesamt 336000 Sparer teilnahmen. Bis Kriegsende liefen630 KdF-Wagen vom Band.

    14

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    17/188

    Prsentation des KdF-Wagens auf der MitteldeutschenIndustrieausstellung in Halle/Saale,

    23. September bis 9. Oktober 1938

    Werbemanahmen, wie Rundfahrten und Ausstellungen,

    erhhten die Popularitt des Volkswagens enorm. Die Natio-

    nalsozialisten stilisierten den KdF-Wagen zur Ikone der

    modernen Mobilittsphantasien.

    15

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    18/188

    Modell des Volkswagenwerks,

    Februar 1938

    Die von den renommierten Industriearchitekten Rudolf

    Mewes, Fritz Schupp, Martin Kremmer und Karl Kohlbecker

    entworfene Werksplanung orientierte sich stark am Vorbild

    der Ford-Fabrik River Rouge in Detroit/USA. Der Entwurf sah

    einen Fabrikkomplex gigantischen Ausmaes vor. Kriegsbe-

    dingt wurden von ursprnglich drei Ausbaustufen lediglichvier Fabrikationshallen sowie das Kraftwerk fertiggestellt.

    16

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    19/188

    Blick vom Dach des Kraftwerkes auf die Werkshallen

    und die Sdrandbebauung,

    7. Juni 1939

    Der Bau der Werksanlagen stockte infolge der Kriegsvorberei-

    tungen. Die von der Deutschen Arbeitsfront angestrebte

    Musterfabrik blieb insbesondere durch den Wegfall fast

    smtlicher betrieblicher Sozialeinrichtungen ein Torso.

    17

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    20/188

    Besichtigung des Prewerkes durch Adolf Hitler,7. Juni 1939

    In der vorderen Reihe von rechts Dr. Bodo Lafferentz, der Leiter

    des DAF-Amtes Kraft durch Freude und der Hauptgeschfts-

    fhrer der Volkswagenwerk GmbH, Ferdinand Porsche, Adolf

    Hitler und Robert Ley, der Fhrer der DAF. Die Deutsche

    Arbeitsfront, die mitgliederstrkste NS-Organisation, domi-

    nierte den Aufsichtsrat der Volkswagenwerk GmbH. Sie nutz-

    te Vermgenswerte der zwangsweise aufgelsten Gewerk-

    schaften zur Finanzierung des Werksbaus.

    18

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    21/188

    Blick auf die Sheddcher der Werkshallen

    und das Kraftwerk, 1939

    19

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    22/188

    Der Grundstein des Volkswagenwerks, der 1998 auf demWerksgelnde in Wolfsburg wiedergefunden wurde

    Die Grundsteinlegung des Werkes fand am 26. Mai 1938 in

    Anwesenheit politischer Prominenz und mehr als 50 000 Hin-

    zubeordneter statt. Hitlers Rede wurde von der Deutschen

    Arbeitsfront als einstndiger Befehlsempfang inszeniert.

    20

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    23/188

    Automobilunternehmenund Krieg

    Im September 1939 unterbrach der Beginn des Zweiten Welt-

    krieges die Unternehmensentwicklung. Vorhaben, denen eine

    unmittelbare wehrwirtschaftliche Bedeutung fehlte, etwadie Komplettierung der Maschinenausstattung oder die

    Reprsentationsbauten, hatten nun hinter Rstungsinteres-

    sen zurckzustehen. Zugleich mute sich das Unternehmen

    eines Versuchs des Junkers-Konzerns erwehren, die ungenutz-

    ten Fabrikhallen fr den Bau von Kampfflugzeugen zu ber-

    nehmen.

    Die Existenzkrise des Unternehmens entstand, weil das aufdie zivile Pkw-Produktion ausgelegte Volkswagenwerk der

    kriegswirtschaftlichen Mobilmachung weitgehend unvorbe-

    reitet gegenberstand. Das Volumen der Rstungsauftrge

    zur Herstellung von Bomben oder Zusatztanks aus Holz

    veranlate die Geschftsfhrung im Mrz 1940 zu der zutref-

    fenden Feststellung, die Produktionshallen stnden zum

    groen Teil noch unausgenutzt leer.

    Um so mehr setzte das Volkswagenwerk darauf, den Fort-

    bestand des Werkes durch die bernahme von Flugzeug-

    reparaturen zu sichern. Die Bemhungen, eine militrische

    Variante des KdF-Wagens zu entwickeln, blieben zunchst

    ergebnislos. Obwohl die Umwandlung der entstehenden

    Automobilfabrik in einen Rstungsbetrieb voranschritt, sollte

    die zivile Pkw-Fertigung unmittelbar nach einem fr die

    baldige Zukunft erwarteten Kriegsende wieder aufgenom-men werden knnen.

    21

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    24/188

    22

    Organisationsplan der Volkswagenwerk GmbH,

    8. Januar 1940

    HAUPTGESCHFTS- U. BETRIEBSFHRER:Dr. Lafferentz Dr. Porsche

    GESCHFTS- u. stellvertr. BETRIEBSFHRER:Dyckhoff fr Werk Fallersleben

    GESCHFTS- u. stellvertr. BETRIEBSFHRER:

    Schmidt fr Vorwerk Braunschweig

    VERWALTUNGSTELLVERTRETER

    BERLINSchmidt Apel Dyckhoff

    WERKSLEITUNG

    Dr. Lafferentz Dr. Porsche

    VORWERK

    TECHN.-LEITUNG KAUFM.-LEITUNG GEFO.-LEITUNG KUNDENDIENSTu.TEILE

    Hanssenv. RutenbergApelDyckhoff

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    25/188

    Die Anfngeder Zwangsarbeit

    Arbeiter fehlten bereits beim Bau der Werksanlagen. Die Deut-

    sche Arbeitsfront warb ber ihre italienische Schwester-

    organisation fr einen befristeten Zeitraum mehr als 3 000Bauarbeiter an. Auch der Anlauf der Produktion wurde mit

    auslndischen Aushilfen bewerkstelligt, die vor allem aus den

    Niederlanden, aus Italien, Belgien und Dnemark stammten.

    Hinsichtlich ihrer Entlohnung, Versorgung und Behandlung

    waren diese Wanderarbeiter den deutschen Beschftigten

    gleichgestellt. Im Volkswagenwerk geriet die Beschftigung

    auslndischer Ersatzarbeitskrfte wegen der fehlenden

    Stammbelegschaft zur Dauerlsung.

    Mit 300 polnischen Frauen, die im Juni 1940 vom Landes-

    arbeitsamt Niedersachsen zugeteilt und in dem als kriegs-

    wichtig eingestuften Bau von hlzernen Abwurfbehltern

    eingesetzt wurden, gelangten die ersten unfreien Arbeits-

    krfte ins Werk. Polnische Brger unterlagen zahlreichen

    Diskriminierungen, die der Polizeiapparat Heinrich Himmlers

    im Mrz 1940 mit den sogenannten Polen-Erlassen verfgthatte.

    Mit der Rekrutierung von zunchst 700, spter von ber 1 000

    deutschen Militrstrafgefangenen stieg die Beschftigung

    unfreier Arbeitskrfte. Die Gefangenen waren seit Februar

    1941 in einem mit Stacheldraht umzunten Bereich des

    Gemeinschaftslagers untergebracht und dort der Willkr ihrer

    Bewacher ausgeliefert.

    23

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    26/188

    Aufstellung der Maschineneinrichtung im Prewerk, 1939

    Das Volkswagenwerk verfgte ber modernste Fabrikations-

    anlagen. Die zahlreichen, teilweise aus den USA importierten

    Spezialmaschinen, die dem Ein-Produkt-Unternehmen einen

    hohen Rationalisierungsgrad sicherstellen sollten, erschwer-

    ten nach Kriegsbeginn die Umstellung auf die Rstungsferti-

    gung.

    Produktion hlzerner Abwurfbehlter fr Flugzeuge, 1940

    Die bernahme von Rstungsfertigungen machte zahlreiche

    Improvisationen erforderlich. Paradoxerweise erzielte die

    modernste Automobilfabrik 1940 mit der Herstellunghlzerner Zusatztanks fast die Hlfte ihres Gesamtumsatzes.

    24

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    27/188

    Bisher fehlt es auerdem an einer festen,

    planvollen Auftragserteilung an das Werk.

    Stndige Auftragsnderungen nach Art und Umfang

    lieen so die hochqualifizierte Belegschaft

    aus der reinen Aufbauttigkeit und der Anlaufsarbeit

    der Gerte heraus nur in ganz geringem Umfang so z. B.

    bei der Fertigung hlzerner Abwurfbehlter,

    von Bomben SC 250 K zu produktiven Rstungsarbeiten

    kommen. Deshalb liegen noch heute sehr groe Flchen

    ausgezeichneten Fabrikraumes brach.

    Zwangsarbeiterinnen bei der Fertigung

    der hlzernen Abwurfbehlter, 1942

    Am Arbeitsplatz waren die Zwangsarbeiterinnen erheblichen

    gesundheitlichen Belastungen ausgesetzt, da sie bei der

    Behlterproduktion Heileim ohne Schutzvorrichtungen

    verarbeiteten. Grundregeln des Arbeitsschutzes wurden

    miachtet.

    Rstungskommando Braunschweig, Zusammenhngender

    berblick ber die rstungswirtschaftliche Entwicklung vom

    1.4.1940 bis 30.6.1940, 9. Juli 1940

    25

    6

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    28/188

    Im Werk River Rouge sind 75 000, in den VereinigtenStaaten 140 000 Fordarbeiter beschftigt. (...) Ford ist der

    einzige Groe in den USA, der in seinen Werken,

    ohne Unterschied, Neger und Weie einstellt. Die Neger

    werden vornehmlich fr schwere Arbeiten, wie in der

    Schmiede und Gieerei, herangezogen.

    Ghislaine Kaes, Privatsekretr und Neffe Ferdinand Porsches,

    Vortrag ber die Nordamerikareise des Herrn Dr. Ing. h.c.

    Ferdinand Porsche im Jahre 1936, 29. Januar 1937

    Der automatisierte Betrieb bentigt eine andere

    Zusammensetzung seiner Gefolgschaft wie ein normaler

    Betrieb. (...) Die eigentlichen Maschinenarbeiter

    knnen (...) ungelernte und angelernte Krfte sein, denn ein

    gelernter deutscher Facharbeiter wird sich nicht dazu

    hergeben, Werkstcke nur einzulegen und heraus-

    zunehmen. (...) Wir werden voraussichtlich fr dieBedienung der automatischen Maschinen in nicht

    allzu langer Zeit primitivere Menschen aus dem Osten und

    Sden heranziehen, und unsere hher qualifizierten Krfte

    besser ansetzen, als Einrichter und Werkzeugmacher.

    Otto Dyckhoff, Technischer Direktor und Geschftsfhrer der

    Volkswagenwerk GmbH, Vortrag ber die Automatisierung

    in der Fertigung mit besonderer Bercksichtigung des

    Volkswagenwerkes, Mrz 1941

    Das auf die betrieblichen Verhltnisse bertragene fordis-

    tische Fabrikkonzept ermglichte, in groer Zahl ungelernte

    und angelernte Arbeitskrfte einzusetzen. Nachdem die

    Eroberungspolitik der NS-Diktatur sich die Bevlkerung der

    besetzten Gebiete zur Beute gemacht hatte, griff auch im

    Werk eine rassistische Hierarchisierung. Zwangsweise depor-tierte und diskriminierte unfreie Arbeiter rckten in die min-

    derqualifizierten Positionen ein.

    26

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    29/188

    Das P-Abzeichen, Reichsgesetzblatt, 8. Mrz 1940

    Polnische Arbeiterinnen und Arbeiter sollten jederzeit

    und von jedermann als solche erkannt werden.

    Private Aufnahme von Frau Stanisl/awa Krukowska, auf der

    Rckseite beschriftet: Rhen, 1. September 1940

    Die 14- bis 32jhrigen Frauen, die das Landesarbeitsamt Nie-

    dersachsen im Juni 1940 dem Behlterbau des Volkswagen-

    werks zuwies, waren infolge der sogenannten Polen-Erlasse

    vom 8. Mrz 1940 schwerwiegenden Diskriminierungen aus-gesetzt. Die Polizeiverordnung ber die Kenntlichmachung

    im Reich eingesetzter Zivilarbeiter und -arbeiterinnen polni-

    schen Volkstums machte es ihnen zur Pflicht, ein exakt defi-

    niertes, seriell hergestelltes, fest mit der Kleidung verbunde-

    nes P-Abzeichen zu tragen.

    27

    28

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    30/188

    Gruppenfoto polnischer Arbeiterinnen, 1941.

    In der Mitte sitzend Regina Strojkowska im Alter von

    43 Jahren, von links stehend: Janina Jatczak, Zofia Chrostek,

    Krystyna Strojkowska, Leokadia Balcerzak

    Neben der rassistisch motivierten Stigmatisierung durch das

    P waren faktisch alle Lebensuerungen der Zwangsarbei-

    terinnen aus Polen strikt reglementiert: Zum nchtlichen Aus-

    gehverbot und zum Ausschlu vom ffentlichen Leben ein-

    schlielich aller kulturellen und geselligen Veranstaltungen

    kam, da sie mit der Etablierung eines Auslndersonderrechts

    ausschlielich dem staatsterroristischen Polizeiapparat unter-

    standen.

    Portrt von Krystyna Strojkowska im Alter von 16 Jahren,

    1941

    28

    29

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    31/188

    Portrt von Eugenia K. Kardas. Auf der Rckseite schrieb die

    junge Frau: Fr meine liebsten Eltern aus der Gefangen-

    schaft in einem fernen Land Tochter Gienia. Ruchem

    [Rhen], d. 4. Mrz 1941

    Die den Zwangsarbeiterinnen aus Polen zugewiesene Unter-

    kunft im 12 Kilometer entfernten, frheren Arbeitsdienstlager

    in Rhen lag weit abseits von Werk und Stadt, um sie von der

    brigen Belegschaft zu isolieren.

    Aufnahme von drei polnischen Arbeiterinnen, in der Mitte

    Eugenia K. Kardas, November 1942

    29

    30

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    32/188

    30

    2

    31

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    33/188

    Die Ausweitung der Rstungsproduktionund die Systematisierung derZwangsarbeit

    Durch die bernahme von Groauftrgen fr die Rstung im

    Sommer 1941 wurde die wirtschaftliche Konsolidierung der

    Volkswagenwerk GmbH mglich. Allerdings geriet die Zivilop-

    tion des Unternehmens allmhlich in den Hintergrund. Die

    seit dem Sommer 1940 langsam anlaufende Produktion des

    Kbelwagens, der militrischen Variante des KdF-Wagens, die

    Herstellung von Bunkerfen und vor allem die Luftrstung

    trugen zu der aufstrebenden Unternehmensentwicklung bei.

    Die chronisch gewordene Arbeitskrfteknappheit fhrte zur

    Ausweitung des Zwangsarbeitereinsatzes. Als eines der ersten

    Unternehmen beschftigte die Volkswagenwerk GmbH abOktober 1941 sowjetische Kriegsgefangene. Vom Frhjahr 1942

    an arbeiteten im Volkswagenwerk Zivilisten aus den besetz-

    ten sowjetischen Territorien, die Ostarbeiter.

    Waren die unfreien Arbeiter anfnglich Aushilfskrfte in

    befristeten Rstungsvorhaben, wurden Zwangsarbeiter

    gleichermaen Kriegsgefangene wie Zivilarbeiter alsbald

    zum betrieblich unverzichtbaren Bestandteil der produktivenBelegschaft. Die 11 334 Personen aus unterschiedlichen Her-

    kunftslndern bildeten am 30. April 1944 unter den 17 365

    Beschftigten die Mehrheit der Gesamtbelegschaft. Fr jede

    Auslndergruppe galten eigene Vorschriften. Aus rassisti-

    schen Grnden etablierte das NS-Regime bei der Behandlung

    und Versorgung ein West-Ost-Geflle, das sowjetische Kriegs-

    gefangene, Ostarbeiter und Zwangsarbeiter aus Polen

    gegenber Arbeitern aus Westeuropa drastisch benach-

    teiligte.

    31

    32

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    34/188

    Abholbereite Kbelwagen des Typs VW 82 vor der

    Nordrandbebauung, 1942

    Die Serienfertigung der militrischen Variante des KdF-

    Wagens lief Mitte 1940 an. Die Planvorgaben konnten in derRegel nicht erfllt werden. Dennoch trug die Kraftfahrzeug-

    fertigung 1943 41,5 Prozent oder 93 Millionen Reichsmark zum

    Gesamtumsatz von 225 Millionen Reichsmark bei.

    Karosseriebau und Montageband des Schwimmwagens

    vom Typ VW 166, 1943

    Der VW 166, ein allradgetriebenes Amphibienfahrzeug, ging

    Mitte 1942 in Produktion. Die Gesamtfertigung betrug bisKriegsende 14 276 Fahrzeuge, die vor allem beim Heer und der

    Waffen-SS Verwendung fanden.

    Halbautomatische Schweivorrichtungen erlaubten im Karos-

    seriebau die Arbeit im Takt.

    3

    33

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    35/188

    Taktstrae fr Ju-88-Tragflchen, 1941

    Auftrge der Luftwaffe ermglichten die Expansion des Unter-

    nehmens. Mit Ausnahme des Jahres 1941 lag der Umsatzanteil

    der Luftwaffe whrend des Krieges weit ber 50 Prozent.

    Bauplan eines Schwimmwagens vom Typ VW 166

    33

    34

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    36/188

    Tr des Kbelwagens vom Typ VW 82, Januar 1944

    Im Mrz 1942 erhielt das Volkswagenwerk das Fertigungs-

    monopol fr militrische Personenkraftwagen. Hierdurch

    wurde der Kbelwagen zum meistgebauten deutschen

    Militr-Pkw. Eine Mindestauslastung der Fabrikationsanlagen

    und Montagebnder sowie wachsende Umstze waren die

    Folge.

    35

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    37/188

    Die Zahl der sowjetischen Kriegsgefangenen erhhte sich im

    Frhjahr 1942 auf 850 Mann. Diese muten im Werk vor allem

    die krperlich schweren und besonders schmutzigen Arbeiten

    verrichten. Den Schikanen von Werkschutz und Wehrmachts-

    bewachung ausgesetzt, litten sie unter miserabler Behand-

    lung und schlechtester Versorgung. Lohnzahlungen erfolgten

    nicht. Die sowjetischen Kriegsgefangenen strengten sich aber

    nach Krften an, den Anforderungen zu gengen, damit sie

    nicht in das Stalag zurckgeschickt wurden, wo die Sterblich-

    keit auerordentlich hoch war.

    Sowjetische Kriegsgefangene

    In dem Kriegsgefangenen-Mannschafts-Stammlager XI D

    Fallingbostel wurden Anfang Oktober 1941 die ersten 650

    sowjetischen Kriegsgefangenen fr den betrieblichen Arbeits-

    einsatz im Volkswagenwerk ausgewhlt. Damit erhielt erst-

    mals ein Unternehmen sowjetische Kriegsgefangene zuge-

    wiesen, bevor dies seit Ende Oktober 1941 generelle Praxis

    wurde.

    Zuvor hatte die Wehrmacht sowjetische Kriegsgefangene wil-

    lentlich verhungern lassen. Die wenigen berlebenden Mn-

    ner waren in katastrophalem gesundheitlichen Zustand. Um

    ihre Arbeitsfhigkeit zu erzielen, setzte sich das Volkswagen-

    werk im November 1941 fr eine Aufpppelung der sowjeti-

    schen Kriegsgefangenen ein. An ihrer chronischen Unter-

    ernhrung nderte sich aber nur wenig. Zudem grassierte im

    Januar 1942 Flecktyphus. Die Kriegsgefangenen kamen in

    Rhen in Quarantne. Die Erkrankten wurden in das als Ster-

    belager gefrchtete Kriegsgefangenenlazarett Bergen-Belsen

    transportiert.

    36

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    38/188

    Mit lfarbe (SU) kenntlich gemachter sowjetischer

    Kriegsgefangener am Montageband, 1942

    Sowjetische Kriegsgefangene sollten durch Kolonneneinsatz

    auch am Arbeitsplatz von den sonstigen Beschftigten isoliertwerden. Dies stand aber einer effektiven Arbeit entgegen, so

    da sie seit Frhjahr 1942 den unterschiedlichsten Produk-

    tionsbereichen zugeteilt wurden.

    Sowjetische Kriegsgefangene bei der Fahrwerksmontage,

    1942

    Unter den sowjetischen Kriegsgefangenen befanden sich

    zahlreiche Metallfacharbeiter.

    37

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    39/188

    Bei schwerer Arbeit in der Eisengieerei, 1944

    Das Volkswagenwerk entrichtete an die Wehrmacht fr die

    sowjetischen Kriegsgefangenen 48 Pfennig je geleistete

    Arbeitsstunde. Den Kriegsgefangenen verblieben am Tag

    lediglich 20 Pfennig, die in sogenanntem Lagergeld entrichtet

    wurden.

    38

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    40/188

    Personalkarte des sowjetischen

    Kriegsgefangenen Alexandr Mingaljew

    Der 1910 geborene Offizier geriet im Juli 1942

    in Gefangenschaft. Er war im Zivilberuf

    Autotechniker. Am 9. Dezember 1944 wurdeer vom Stalag Sandbostel in das Arbeitskom-

    mando 104 nach Fallersleben gebracht.

    39

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    41/188

    40

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    42/188

    Personalkarte von Wladimir Andrjuschenko

    Am 18. Juni 1942 wurde Wladimir Andrju-

    schenko gefangengenommen. Als Beruf gab

    er Kraftfahrer und Schlosser an. Nach Auf-

    enthalten in verschiedenen Kriegsgefange-nenlagern gelangte er am 9. Dezember 1944

    in das Arbeitskommando 104 in Fallersleben,

    wo er bis zum 12. Mrz 1945 arbeitete. Neun

    Tage spter nahm ihn der Sicherheitsdienst

    (SD) in Haft.

    41

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    43/188

    42

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    44/188

    Bericht des Sonderausschusses VI (Panzer-

    wagen) ber den Besuch beim Volkswagen-

    werk in Fallersleben, 10. Januar 1942

    Der Ministerialdirektor Dr. Werner Mansfeld,

    Leiter der Geschftsgruppe Arbeitseinsatzbeim Beauftragten fr den Vierjahresplan,

    schildert den Einsatz sowjetischer Kriegsge-

    fangener im Volkswagenwerk als organisa-

    torische Herausforderung. Beschrieben wird

    die Auswahl der Gefangenen durch Beauf-

    tragte des Volkswagenwerks.

    43

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    45/188

    44

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    46/188

    45

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    47/188

    Aus dem Kriegstagebuch des Rstungskommandos

    Braunschweig, 19411942

    5. Dezember 1941

    Die Arbeitsleistung der sowj. K.G. bezeichnete das VWW als

    gut; irgendwelche Schwierigkeiten, Sabotageabsichten usw.

    sind bisher noch nicht beobachtet worden. (...) Eine bessere

    Verpflegung wegen des heruntergekommenen Krperzu-

    standes ist ntig, denn bereits nach 4-stndigem Arbeitsein-

    satz tritt ein erheblicher Leistungsabfall ein.

    27. Mrz 1942

    Einsatz der russ. KG ist lediglich eine Ernhrungsfrage.Zur Zeit steht das Verhltnis noch von zwei zu einem

    deutschen Arbeiter. Vom Fleckfieber geheilte und den

    Betrieben wieder zur Verfgung gestellte KG-Russen wiegen

    nur noch durchschnittlich 80 Pfund, mssen also erst bis

    zum Einsatz gepflegt werden. Russ. KG durchweg willig, und

    wenn satt, leistungsfhig.

    3. Februar 1942

    Von 865 bisher dem Volkswagenwerk zugewiesenen

    sowjet. KG sind inzwischen 37 gestorben, davon 3 an Fleck-

    typhus. 30 Russen, die spter zugewiesen wurden und

    behelfsmig getrennt im Werk untergebracht sind, sind

    gesund geblieben und arbeiten zufriedenstellend, whrend

    835 Russen nicht arbeiten. 230 von dieser Anzahl sind nach

    Bergen transportiert worden.

    27. Juli 1942

    Der Wirkungsgrad des gesamten Russeneinsatzes hngt

    nur von der Verpflegung ab.

    46

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    48/188

    Zivilarbeiter aus den besetzten Landesteilen der Sowjetunion

    wurden in der Behrdensprache als Ostarbeiter bezeichnet.

    Sie bildeten sowohl im Deutschen Reich als auch im Volkswa-

    genwerk die grte Auslndergruppe. Die Rekrutierung vonOstarbeitern setzte im Frhjahr 1942 ein, nachdem mehr als

    die Hlfte der sowjetischen Kriegsgefangenen infolge von

    Unterernhrung, Krankheiten und Massenerschieungen

    gestorben war. Bis zum Mai 1944 wuchs ihre Zahl im Unter-

    nehmen auf mehr als 4 800 Personen an zur Hlfte Frauen,

    aber auch Jugendliche und Kinder.

    Zumeist unter massiver Gewaltanwendung deportiert, warenOstarbeiter zahlreichen rassistischen Diskriminierungen

    ausgesetzt. Sie lebten in einem mit Stacheldraht abgeteilten,

    bald berfllten Bereich des Gemeinschaftslagers. Die Arbei-

    ter durften sich nicht frei bewegen und waren der Willkr des

    Werkschutzes ausgeliefert. Ostarbeitern blieb als Lohn nur

    ein Taschengeld. Auch die Versorgung mit Lebensmitteln und

    Kleidung war vllig unzureichend. Zwar kam es 1943 im Zuge

    des massiven Arbeitskrftemangels zu manchen Erleichterun-

    gen. Eine grundlegende nderung ihrer Arbeits- und Lebens-

    bedingungen fand jedoch nicht statt.

    Ostarbeiter

    47

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    49/188

    Arbeiterin bei Schweiarbeiten, 1943

    Hufig erlitten Ostarbeiter Arbeitsunflle. Ursachen waren

    mangelhafter Arbeitsschutz, ungengende Einweisung, aber

    auch krperliche Erschpfung infolge schlechter Ernhrung.

    Arbeiterin im Prewerk, 1943

    48

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    50/188

    Ostarbeiterinnen bei der Motorenmontage, 1943

    Mehr als die Hlfte der aus der Sowjetunion Deportierten

    waren Frauen.

    Zwangsarbeiterinnen in provisorischen Fertigungsbereichen

    des Prewerks, 1944

    49

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    51/188

    Httest du nur gesehen, was fr eine Suppe sie uns am

    Morgen gegeben haben. Nichts als Gras und Stroh.

    Das kann ich doch nicht essen!

    Die junge russische Zwangsarbeiterin Olga P. in einem Brief

    an ihren niederlndischen Freund Piet W., 1944

    Ostarbeiterinnen und Ostarbeiter als Besucher einerSportveranstaltung, Aufnahme von 1943

    Viele Ostarbeiter wurden nach Deutschland deportiert,

    ohne mehr mitnehmen zu knnen, als sie auf dem Leib

    trugen. Daher erwarb das Volkswagenwerk im Herbst 1942

    grere Mengen Kleidung. Diese wurde jedoch der deutschen

    Belegschaft im Tausch gegen gebrauchte Stcke angeboten.

    Die Ostarbeiterinnen und Ostarbeiter erhielten abgelegte

    Kleider, fr die sie den vollen Preis entrichten muten.

    50

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    52/188

    Ausschnitte aus dem Film Fremd-Vlkische im VW

    Der Werksfotograf Fritz Heidrich drehte zwischen 1942 und

    1944 einen Film ber die auslndischen Arbeiterinnen und

    Arbeiter.

    51

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    53/188

    52

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    54/188

    Nachdem von Sommer 1943 an alle im Landkreis Gifhorn

    geborenen auslndischen Kinder aufgenommen wurden,

    verschrfte sich die Situation. Da zuvor nur 20 Babys betreut

    worden waren, waren weder die Einrichtungen der seitOktober 1943 genutzten Baracken am Schachtweg noch das

    russische und polnische Pflegepersonal auf die Versorgung

    von 120 Suglingen eingestellt.

    Den grassierenden Krankheiten und der Enge versuchte das

    Volkswagenwerk entgegenzuwirken, indem das Auslnder-

    kinder-Pflegeheim im Juni 1944 nach Rhen verlagert wurde.

    Die polnischen und russischen Suglinge wurden aber auchdort unmittelbar nach der Geburt von ihren Mttern

    getrennt. Das Pflegepersonal war berfordert und zumeist

    schlecht ausgebildet. Bis Kriegsende starben 365 Kinder an

    den Folgen von Verwahrlosung und unzureichender Ver-

    sorgung.

    Der aufsichtfhrende Werksarzt Dr. Hans Krbel wurde von

    einem britischen Militrgericht zum Tode verurteilt und am7. Mrz 1947 hingerichtet.

    Kinder der Zwangsarbeiterinnen

    Unter den deportierten Ostarbeiterinnen befanden sich

    zahlreiche Schwangere. Auerdem wurden Familien samt

    ihren Kleinkindern in das Volkswagenwerk transportiert.

    Darber hinaus konnten in den Lagern sexuelle Kontakte trotzstrikter Verbote und Zwangsmanahmen nie vllig unterbun-

    den werden.

    Nur bis Dezember 1942 wurden Schwangere in ihre Heimat

    abgeschoben. Die Leitung des Volkswagenwerks richtete

    danach im Ostlager eine Baracke fr die Entbindungen und

    zur Unterbringung der Suglinge ein.

    53

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    55/188

    Polnisches Elternpaar am Grab seines Kindes,4. Juni 1945

    Das Auslnderkinder-Pflegeheim des Volkswagenwerks,1944

    54

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    56/188

    Warum hat sich kein Mensch der Kinder angenommen?

    Da bei den Kindern waren zwei deutsche Schwestern, undnoch eine Schwester, eine deutsche. Das waren keine jungen

    Schwestern mehr, die zwei. Die muten doch sehen, da

    Kinder sterben, Kinder liegen in den Lusen und in dem

    Ungeziefer. (...) Kinder mit Krtze vom Kpfchen bis zum Zeh

    runter. Und solche Kinder werden gebadet, zwei, drei Kinder,

    vier Kinder, alles in derselben, in der Badewanne, nicht

    ausgewaschen, in demselben Wasser. Und das istdurchgegangen wie die Pest.

    Sara Frenkel, polnische Jdin, arbeitete unter falscher

    Identitt als Krankenschwester im Stadtkrankenhaus

    und wurde fr einen Monat nach Rhen versetzt.

    Interview von 1991

    Ich wei nicht genau, wohin man die werdenden Mtter

    zur Entbindung brachte. Nicht weit von Wolfsburg

    (ca. 12 km) war ein Kinderhort oder eine Suglingskrippe,

    in der die Mtter ihre Kinder lassen muten, und selbst

    natrlich zur Arbeit geschickt wurden. Die Eltern oder die

    Mtter konnten ihre Kinder jeden Sonntag besuchen,aber leider lebten die Kinder dort nur ein paar Monate,

    kein Kind lnger als ein halbes Jahr, danach starben sie aus

    verschiedenen Grnden. Ich hatte Bekannte, die ein

    paar Jahre lter waren als ich, sie liebten sich und wollten

    nach dem Kriege heiraten. Auch sie hatten ein Kind und

    besuchten es jeden Sonntag, aber nur fnf Monate die

    Verzweiflung war gro.

    Aus dem schriftlichen Erinnerungsbericht des ehemaligen

    polnischen Zwangsarbeiters Julian Banas, 1991

    55

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    57/188

    Franzsische Zivilarbeiter undKriegsgefangene

    Das Volkswagenwerk beschftigte seit dem Frhjahr 1943

    rund 1 000 franzsische Kriegsgefangene, die dem Arbeits-

    kommando 1366 des Kriegsgefangenen-Mannschafts-Stamm-

    lagers XI B Fallingbostel zugeteilt waren. Die Wehrmacht botden Kriegsgefangenen im Rahmen eines deutsch-franzsi-

    schen Abkommens die berfhrung in den Zivilstatus an. Nur

    300 Franzosen gaben allerdings der greren Freizgigkeit fr

    Zivilarbeiter den Vorrang gegenber dem Kriegsgefangenen-

    schutz durch die Genfer Konvention.

    Auer Kriegsgefangenen wurden auch 1 500 im Rahmen des

    Service du Travail Obligatoire (STO) zwangsrekrutierteZivilfranzosen eingesetzt. Im Juli 1943 kamen auf freiwilliger

    Basis weitere 400 Jungarbeiter hinzu, die der Jeunesse

    Ouvrire Franaise Travaillante en Allemagne (JOFTA), der

    Jugendorganisation Vichy-Frankreichs, angehrten.

    Wenngleich sowohl Kriegsgefangene als auch STO-Arbeiter

    durch Zwangsmanahmen zur Arbeitsaufnahme veranlat

    wurden, waren Franzosen, insbesondere die kollaborierendenJOFTA-Mitglieder, zusammen mit den brigen Westeuropern

    unter den auslndischen Arbeitern privilegiert. Sie bten teil-

    weise Schlsselfunktionen aus. Dennoch konnten auch sie

    Opfer von willkrlichen Repressalien und Schikanen werden.

    56

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    58/188

    Franzsische Zivilarbeiter in ihren Sonntagsanzgen vor

    einer Baracke des Gemeinschaftslagers, 1943

    Franzsische Zivilarbeiter nutzten ihre Bewegungsfreiheit

    und besuchten die sprlichen Unterhaltungsangebote.

    Franzsische Zivilarbeiter vor ihrer Baracke, 1943

    Selbstironisch bewertete am 12. September 1943 die Gruppe

    franzsischer Zivilarbeiter ihren sechsmonatigen Aufenthaltim Volkswagenwerk mit dem Sinnspruch Beraubt der Liebe

    und des Weins (Privs damour et de pinard).

    57

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    59/188

    Bei den frz. Kgf. [franzsischen Kriegsgefangenen] erhlt

    das Werk fr zwei Drittel (...) der BeschftigtenLangarbeiterzulage. Vergleicht man die ausgegebene

    Nahrungsmittelmenge mit der erhaltenen Zuteilung,

    so ergibt sich eine Differenz zugunsten des Werkes, aus der

    das Werk in freiem Ermessen Kuchen und Mittagessen an

    den hohen Feiertagen zur Ausgabe gelangen lassen will.

    K[omman]dof[hrer], Komp[anie] und Bat[aillon] sind

    hiermit nie einverstanden gewesen und haben der F[irm]a

    nachgewiesen, dass erhebliche Nahrungsmittelmengen vor

    allem den frz. Kgf. vorenthalten wurden. (...) Auf die ins

    Auge springenden unverhltnismssig grossen Differenzen

    bei den frz. Kgf. aufmerksam gemacht, erwidert das Werk,

    dass hier Berechnungsfehler unterlaufen seien mssen.

    Dies ist anzunehmen, aber selbst dann bleiben noch

    unertrgliche Einsparungen, vor allem, wenn man bedenkt,

    dass die F[irm]a mit der Arbeitsleistung der frz. Kgf.durchweg zufrieden ist und einige unter ihnen

    Schlsselstellungen einnehmen, wie der frz. Kgf., der jeweils

    in drei Nchten fehlerlos die Lohnbuchhaltung fr 17 500

    Gefolgschaftsmitglieder fertigstellt.

    Aus einem Berichtsentwurf des

    Sonderbeauftragten Fritz Tuber, 1944

    58

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    60/188

    Die zumeist noch unter 20jhrigen Mnner legten eine

    bemerkenswerte intellektuelle Unabhngigkeit und ein aus-

    geprgtes Selbstbewutsein an den Tag. Wegen ihrer offen-

    kundigen Distanz zum NS-Regime galten sie als dickkpfigund aufsssig. Bei Widersetzlichkeiten gerieten aber auch

    Niederlnder in die Mhlen des Strafsystems. Am 17. Juli 1943

    schritten Werkschutz und Gestapo nach einem spontanen

    Musikumzug franzsischer und niederlndischer Arbeiter mit

    Gummiknppeln und Schuwaffen ein und wiesen 40

    Personen nach Verhren in das berchtigte Arbeitserzie-

    hungslager 21 in Salzgitter-Watenstedt ein. Die Betroffenen

    kehrten nach drei Wochen als andere Menschen zurck.

    Niederlnder im Volkswagenwerk

    Am 15. Mai 1943 kamen 205 niederlndische Studenten in das

    Volkswagenwerk, die nach der verweigerten Loyalitts-

    erklrung gegenber der deutschen Besatzungsmacht zur

    Zwangsarbeit veranlat wurden. Den greren Teil der nieder-lndischen Arbeiter stellten jedoch im Rahmen von Aus-

    hebungsaktionen rekrutierte Dienstverpflichtete. Im Frhjahr

    1944 arbeiteten insgesamt 750 Niederlnder im Werk.

    Die Niederlnder waren im Hinblick auf Entlohnung,

    Versorgung und Unterbringung in einer deutschen Beschf-

    tigten gleichgestellten Situation. Zudem nahmen viele

    Studenten aufgrund ihrer Sprachkenntnisse und technischenQualifikation Scharnierfunktionen zwischen dem deutschen

    Leitungspersonal und den auslndischen Arbeitskrften ein.

    Den halbwegs freizgigen Rahmen nutzten sie zur Ent-

    wicklung eigener Lebensformen. Hufig ging die Initiative zu

    gemeinsamen Veranstaltungen mit anderen Zwangsarbeiter-

    gruppen von ihnen aus.

    59

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    61/188

    Kleine Gruppe niederlndischer Studenten vor ihrer Baracke,

    Sptsommer 1943

    Niederlndische Studenten vor einer der Steinbaracken aufdem Laagberg, nach der Befreiung

    60

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    62/188

    Gruppenfoto der niederlndischen Studenten,

    September 1943

    Von den insgesamt 255 Studenten, die seit dem Frhsommer

    1943 im Volkswagenwerk arbeiteten, waren Anfang 1944 nur

    noch 170 in Fallersleben. Die brigen hatten den Heimat-

    urlaub zur Flucht genutzt.

    61

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    63/188

    Titelblatt des Verordnungsblattes fr die

    besetzten niederlndischen Gebiete,

    13. Mrz 1943

    Auf der Basis dieser Verordnung wurden

    hollndische Studenten unter Androhung,

    sie ins KZ einzuweisen, gedrngt, eine

    Loyalittserklrung zu unterschreiben.

    62

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    64/188

    Aus einem Schreiben des Oberstaatsanwaltes amLandgericht Hildesheim an den Oberreichsanwalt beim

    Volksgerichtshof Berlin, Betrifft Ermittlungsverfahren gegen

    den hollndischen Studenten der Physik Marinus Kop, jetzt

    Kontrolleur im Volkswagenwerk, Stadt des KdF-Wagens,

    Lager 12, 27. April 1944

    Der am 28.3.1921 in Leeuwaarden, Verwaltungsbezirk

    Friesland, geborene Beschuldigte kam im Jahr 1943zum Arbeitseinsatz in das Reichsgebiet. (...) Seit Juli 1943

    arbeitet er im Volkswagenwerk, wo er zuletzt als Kontrolleur

    in der Inspektionsabteilung ttig war.

    Kop, der offenbar sehr deutschfeindlich eingestellt ist,

    hat, seitdem er sich in Deutschland aufhlt, seinen in

    Holland lebenden Angehrigen und Bekannten Briefe

    unter Umgehung des vorgeschriebenen Weges zukommen

    lassen. (...) Kop uert sich in den Briefen ber die angeblich

    schlechte Behandlung von Arbeitern des Werks und

    von Kriegsgefangenen. Auerdem spricht er davon,

    da in der Fabrik, in der er arbeite, die geheime Waffe

    hergestellt werde (...).

    63

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    65/188

    Wehrmachtsgericht Potsdam an den Oberreichsanwalt beim

    Volksgerichtshof, 20. September 1944

    Der niederlndische Student Marinus Willem Georg Kop

    wurde am 15. August 1944 wegen des Verrats von Staats-

    geheimnissen und wegen Volksverrats durch Lgenhetze zum

    Tode verurteilt. Ihm wurde der Versuch zur Last gelegt,Informationen ber die VW-Werksanlagen nach Holland wei-

    tergegeben zu haben. Marinus Kop wurde am 18. September

    1944 hingerichtet.

    Der niederlndische Student Marinus Kop

    64

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    66/188

    Nach dem Sturz Benito Mussolinis und dem Waffenstill-

    standsabkommen Italiens mit den Alliierten setzte die

    deutsche Wehrmacht Anfang September 1943 die zuvor

    verbndeten italienischen Militrangehrigen mit Waffen-gewalt fest. Mehrere hunderttausend italienische Soldaten

    wurden in Kriegsgefangenenlager im Deutschen Reich trans-

    portiert, um ihre Arbeitskraft auszubeuten. Im Oktober 1943

    kamen etwa 1 000 der sogenannten italienischen Militrinter-

    nierten aus dem Kriegsgefangenen-Mannschafts-Stamm-

    lager XI B Fallingbostel in das Volkswagenwerk. Einen Monat

    spter folgten 200 italienische Offiziere.

    Behandlung und Versorgung der italienischen Militr-

    internierten glichen denen der sowjetischen Kriegsgefan-

    genen. Den vermeintlichen Verrtern schlugen politische

    und moralische Diffamierungen der Nationalsozialisten

    unverhllt entgegen. Militrinternierte wurden bei den

    geringsten Anlssen angeschrien und mihandelt. Sie

    durften nicht mit Zivilarbeitern sprechen. Da es an Nahrung,

    Bekleidung und Schuhwerk mangelte, war die gesundheit-

    liche Verfassung vieler Militrinternierter im Winter 1943/44

    erbrmlich.

    Eine nderung des rechtlichen Status erfolgte im Sommer

    1944, als etliche Militrinternierte auf Drngen der sogenann-

    ten Marionettenregierung im Norden des geteilten Italiens zu

    Zivilarbeitern gemacht wurden. Nur fr wenige verbesserten

    sich jedoch die Lebensumstnde.

    Italienische Militrinternierte

    65

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    67/188

    Die Situation ist vielfach schlimmer und bedrohlicher,

    als dieser kurze Bericht, der Einzelheiten vermeidet,erkennen lsst. Sofortiges Handeln ist dringend erforderlich,

    um ein Sterben, wie wir es bei den Russen hatten,

    zu vermeiden, und zu verhindern, dass die berlebenden

    moralisch minderwertig oder vllig gleichgltig,

    uns feindlich oder fr eine zu spt kommende Propaganda

    unzugnglich werden. Dagegen haben meine dauernden

    Besuche grosser und kleiner Kommandos mich berzeugt,

    dass die Norditaliener unsere Freunde und gleichwertige

    Arbeitskrfte werden knnen, und dass die Sditaliener in

    ihrer Kindlichkeit leicht zu behandeln und zu lenken sind

    und nach allerdings mhevoller Erziehung sich etwas

    unserer Kultur angleichen und statt Arbeitsleistungen von

    10-20% solche von 50-60% vollbringen knnen. Das ist aber

    nur mglich, wenn die Sdf. [Sonderfhrer] als Bindeglied

    zwischen Werk und Wehrmacht eingesetzt werdenund sich bewhren.

    Auszug aus dem Bericht von Sonderfhrer Tuber, Kriegs-

    gefangenen-Mannschafts-Stammlager XI B Fallingbostel,

    an Major Kalder, Oberkommando der Wehrmacht, Betr.:

    Italienische Militr-Internierte, 23. Februar 1944

    66

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    68/188

    Personalkarte des italienischen

    Militrinternierten Renato Callegari

    Renato Callegari wurde am 9. September

    1943 gefangengenommen. Nach dem Ein-

    satz in einem Arbeitskommando in Slfeld

    kam er am 15. Dezember 1943 zur Zwangs-

    arbeit in die Stadt des KdF-Wagens. Hier

    starb er am 21. April 1944 durch einen

    Betriebsunfall, bei dem er einen Schdel-

    bruch erlitt.

    67

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    69/188

    68

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    70/188

    Personalkarte von Dionisio Argenti

    Der 1921 geborene Soldat geriet am 12. Sep-

    tember 1943 auf Kreta in Gefangenschaft.

    ber das Kriegsgefangenen-Mannschafts-

    Stammlager XB Sandbostel kam er zur

    Zwangsarbeit ins Volkswagenwerk. Er starb

    nach dreieinhalb Monaten am 24. Februar

    1944 an Entkrftung.

    69

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    71/188

    70

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    72/188

    Personalkarte von Angelo Antonini

    Angelo Antonini wurde am 9. September

    1943 gefangengenommen. Seit dem 10.

    November 1943 arbeitete er in der Stadt des

    KdF-Wagens. Er starb am 29. Januar 1944 an

    Lungenentzndung und wurde auf dem

    Waldfriedhof beerdigt.

    71

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    73/188

    Von da aus wanderte ich von einem Lager zum anderen

    72

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    74/188

    Von da aus wanderte ich von einem Lager zum anderen,

    zur Zwangsarbeit im offenen Gelnde, mit Schaufelund Hacke, machte Fundamente fr die Baracken, die

    anderen Unglcklichen wie uns dienen sollten. Der Ort

    nannte sich glaube ich KdF, nahe bei Fallersleben (...).

    Nicht weit von unserem Lager gab es eine riesengroe

    Fabrik fr Amphibienfahrzeuge und Flugzeugmotoren,

    ebenso wie fr Tragflchen. (...)

    Diese Arbeit mit Schaufel und Hacke war beschwerlich und

    die Verpflegung drftig. Recht schnell litt mein Krper

    darunter so sehr, da ich (mit Hilfe einer hlichen

    Diarrhoe) auf 45 Kilo abmagerte. Unter diesen

    Bedingungen, bei dieser Arbeit und einer Klte von 15 bis 18

    Grad unter Null, wrde ich in Krze tot sein. (...)

    Ich konnte auf keinen Fall dieses Leben weiterfhren. Da ich

    jedes Mal, wenn ich mich krank meldete, abgelehnt wurde,

    weil (so sagte mir der Dolmetscher) man weder Blut nochirgendwelche Wunden sah, dachte ich mir etwas aus.

    Mitten in der Nacht, whrend alle schliefen, ging ich an den

    glhend heien Ofen in der Baracke und prete mit

    Todesverachtung meinen linken Fu an die Rckseite. (...)

    Am nchsten Morgen meldete ich mich krank,

    und man schrieb mich arbeitsunfhig fr die Arbeit an den

    Baracken. (...) da ich in der Kche arbeitete, kam ich wieder

    ein wenig zu Krften. Auch der Durchfall wurdemit Tabletten behandelt.

    Cesare Pilesi, ehemaliger italienischer Militrinternierter in

    Fallingbostel, Fallersleben, Schnebeck und Mittelbau-Dora.

    Sein Bericht erschien 1984 in Italien als Buch.

    d k d

    73

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    75/188

    Unterdrckungsapparat und

    willkrliche Gewalt

    Die NS-Diktatur wirkte weit in den Betrieb hinein. Die

    Geheime Staatspolizei unterhielt im Werk ein eigenes Bro.

    Den Gestapo-Beamten stand ein militrischer Abwehr-

    beauftragter zur Seite, der als Hilfsorgan fungierte. Er hatteauf die Einhaltung der Geheimvorschriften zu achten und

    sollte staatsfeindliche Bestrebungen unverzglich melden.

    Wichtigstes Instrument der berwachung und Strafausbung

    bildete aber der betriebseigene Werkschutz. Posten und

    Patrouillen kontrollierten nicht nur das Werksgelnde, son-

    dern auch die Lager und die Umgebung der Stadt, um

    Unangepatheit, vermeintliche Sabotage oder Arbeits-verweigerung zu ahnden. Der Katalog an Straf- und Willkr-

    manahmen war lang, Prgel an der Tagesordnung. Meister

    und Vorarbeiter nahmen krperliche Zchtigungen entweder

    selbst oder mit Hilfe des herbeigerufenen Werkschutzes vor.

    Bunkerarrest konnte mit Essensentzug und weiteren

    Repressalien verschrft werden.

    Zunchst gab die Werksleitung Meldungen ber vermeint-liche Verfehlungen an die Gestapo weiter, die die Einweisun-

    gen in das auf dem Werksgelnde gelegene Straflager 18 ver-

    anlate. Andere Zwangsarbeiter wurden in das besonders

    gefrchtete Arbeitserziehungslager 21 bei Salzgitter transpor-

    tiert. Da dort zahlreiche Inhaftierte starben oder infolge ihres

    heruntergekommenen Gesundheitszustandes die Arbeit nicht

    wieder aufnehmen konnten, setzte sich die Praxis durch, da

    die innerbetriebliche Gewaltanwendung mglichst ohneEinschaltung der Gestapo erfolgte.

    74

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    76/188

    SS-Obersturmfhrer Albert Liese

    Bis 1940 nahm der SS-Sondersturm Volkswagenwerk die

    betrieblichen Wach- und Sicherungsfunktionen wahr. Dann

    wurde der SS-Sturm in den betriebseigenen Werkschutzumgewandelt, der spter auch fr die Bewachung der Aus-

    lnderlager zustndig war.

    SS-Wache auf der Fugngerbrcke ber den

    Mittellandkanal, 1939

    75

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    77/188

    1. Postkarte zur Kontaktaufnahme

    mit dem Werk nach Feindeinwirkung

    2. Seifenkarten

    76

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    78/188

    3. Essensmarken

    77

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    79/188

    4. Befehl zum Baden, Laagberg, 7. Februar 1945

    5. Urlaubsschein

    Der Stempelaufdruck der Verbandsstelle Mechanische Werk-

    statt besttigte, da Johan Rotman den Betriebsarzt aufge-

    sucht hatte.

    78

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    80/188

    1. 8. Originaldokumente in der Ausstellung,

    zur Verfgung gestellt von Johan Rotman

    Eine Flle von Bescheinigungen, Besttigungen und Stempeln

    dokumentiert die allgegenwrtige Reglementierung, die den

    Alltag der Zwangsarbeiter bestimmte.

    6. Kontrollkarte fr den Auslandsbriefverkehr

    8. Bademarke

    7. Karte Sonderzuteilung

    79

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    81/188

    Fotografie und selbstgefertigter Ring aus Aluminium des

    ehemaligen franzsischen Zwangsarbeiters Pierre Bernard

    mit dem Bild seiner Frau

    80

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    82/188

    3

    KZ-Hftlinge

    81

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    83/188

    Die erste Initiative zum Einsatz von KZ-Hftlingen ging von

    der SS aus, als der Reichsfhrer-SS, Heinrich Himmler, im Mrz

    1941 den Vorschlag unterbreitete, jdische Zwangsarbeiter

    und KZ-Hftlinge beim Stadtbau einzusetzen. Wenngleichdiese berlegungen nicht in die Tat umgesetzt wurden,

    ebnete das Vorhaben dem Unternehmen den Weg fr eine

    Kooperation mit der SS.

    Im Januar 1942, als die SS die Arbeitskraft von KZ-Hftlingen

    strker ausnutzen wollte, vereinbarten die Leitung des

    Volkswagenwerks und der Reichsfhrer-SS, da eine lange

    geplante Leichtmetallgieerei von KZ-Hftlingen gebaut

    werden sollte. Zu diesem Zweck wurde im April 1942 auf dem

    Werksgelnde das KZ Arbeitsdorf eingerichtet, das 800

    Hftlinge aufnahm. Es existierte bis Oktober 1942.

    1944 griff das Volkswagenwerk erneut auf KZ-Hftlinge

    zurck und beteiligte sich damit an der Ausbeutung dieser

    letzten Arbeitskraftreserve der NS-Diktatur. Neben dem

    Einsatz von KZ-Hftlingen in den Untertagebetrieben kam es

    Ende Mai 1944 auch in der Stadt des KdF-Wagens zur Ein-

    richtung von KZ-Auenlagern, dem Laagberg-Lager sowie

    dem Mnnerkommando in Halle 1 und dem Frauenkom-

    mando in Halle 1. Insgesamt leisteten whrend des Zweiten

    Weltkrieges schtzungsweise 5 000 KZ-Hftlinge fr das

    Volkswagenwerk Zwangsarbeit.

    82

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    84/188

    Zwangsarbeiter-, Straf- und Konzentrationslager auf demWerksgelnde und in der Stadt des KdF-Wagens

    Zwangsarbeiterlager

    1 Gieereilager

    3 Hafenlager

    6 Gemeinschaftslager

    7 Militrstraf- und Kriegsgefangenenlager

    8 Ostlager9 Reislinger Lager

    10 Laagberg Lager

    12 Barackenlager Hohenstein

    Straf- und Konzentrationslager

    2 KZ Arbeitsdorf

    4 KZ-Auenlager in Halle 1

    11 KZ-Auenlager Laagberg

    5 Straflager 18

    83

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    85/188

    Das Arbeitsdorf

    84

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    86/188

    Aufgeteilt in verschiedene Arbeitskolonnen, muten die

    Hftlinge schwere Bauarbeiten ausfhren. Wegen ungeeigne-

    tem Baugert und der groen Arbeitshetze, die die SS-Wachen

    ausbten, kam es zu zahlreichen Arbeitsunfllen. Bewaffnete

    SS-Mnner und Hundestreifen bewachten das mit einem

    Maschendrahtzaun umgrenzte Baugrundstck.

    Rstungsminister Albert Speer stornierte den Gieereibau

    aufgrund fehlender kriegswirtschaftlicher Dringlichkeit, so

    da die SS das KZ Arbeitsdorf im Oktober 1942 auflste und

    die Hftlinge geschlossen nach Sachsenhausen schickte.

    KZ-Hftlinge sollten den seit Oktober 1939 ruhenden Bau der

    Leichtmetallgieerei 1942 vollenden. Die werkseigene Herstel-

    lung von Aluminiumguteilen war sowohl fr den Rstungs-

    bedarf als auch die Nachkriegsproduktion der zivilen

    KdF-Limousine vorgesehen. Die SS beabsichtigte, ihre wirt-

    schaftlichen Bestrebungen zu intensivieren und ihren Einflu

    innerhalb der Rstungsindustrie auszudehnen. Sie ma dem

    Vorhaben groe Bedeutung bei, weshalb sie das sogenannte

    Arbeitsdorf als selbstndiges Konzentrationslager eta-

    blierte.

    Im April 1942 trafen die ersten Hftlinge aus dem KZ

    Neuengamme ein, spter folgten Transporte aus Sachsen-

    hausen und Buchenwald. Unter den 800 Hftlingen waren die

    aus politischen Grnden Inhaftierten in der Mehrzahl. Viele

    von ihnen saen bereits jahrelang, manche schon seit dem

    Beginn der NS-Diktatur in Schutzhaft. Die Hftlinge lebten

    in den fensterlosen Luftschutzkellern der Gieerei, die kaum

    gelftet werden konnten. Diese waren so feucht, da das

    Kondenswasser von der Decke herabtropfte.

    85

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    87/188

    Die Leichtmetallgieerei nach dem Abtransport

    der KZ-Hftlinge, 1942

    86

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    88/188

    Bewilligungsantrag Nr. 1 a zur Errichtung

    des Hftlingslagers Gieerei,

    16. Februar 1942

    Die Geschftsleitung der Volkswagenwerk

    GmbH genehmigte im Februar 1942 die

    Bereitstellung von 210 000 Reichsmark, umdas Hftlingslager Gieerei zu errichten. Es

    sollten Baracken fr 1 000 Hftlinge und 170

    Wachmannschaften gebaut werden.

    87

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    89/188

    Die Gruppe der 300 jdischen

    Metallfacharbeiter aus Auschwitz

    88

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    90/188

    Dies nderte sich nach ihrem Transport in die Untertagefabrik

    nach Tiercelet, wo sie Ende Juni 1944 auf 500 ebenfalls in

    Auschwitz fr Volkswagen ausgesuchte jdische Hftlinge

    trafen. Die Verhltnisse waren dort wesentlich schlechter.

    Nachdem der von der SS dominierten Mittelwerk GmbH der

    Hauptauftrag zur Groserienfertigung der Fi 103 bertragen

    worden war, verlieen diese KZ-Hftlinge das Volkswagen-

    werk und wurden im Oktober 1944 in das KZ Mittelbau-Dora

    transportiert. Dort fanden viele den Tod.

    Metallfacharbeiter aus Auschwitz

    Das Volkswagenwerk fertigte die Flugbombe Fi 103, die soge-

    nannte V 1, deren Serienfertigung Anfang 1944 anlief. Um fr

    die Flugbombenproduktion Arbeitskrfte zu erhalten, fuhr der

    Betriebsingenieur Arthur Schmiele im Mai 1944 in das

    Konzentrationslager Auschwitz und whlte dort Facharbeiter

    aus.

    Schmiele stellte aus den kurz zuvor eingetroffenen Trans-

    porten ungarischer Juden eine Gruppe von 300 Metall-

    facharbeitern zusammen, die im Hauptwerk am Montage-

    band der Flugbombe Fi 103 eingewiesen wurden. Die Mnner

    sollten die Kernbelegschaft des als KL-Betrieb bezeichneten

    unterirdischen Fertigungs- und Montagewerkes in Tiercelet

    bilden und andere Hftlingsarbeitskrfte anlernen.

    Nach den Erfahrungen in Auschwitz erschien den Hftlingen

    das Volkswagenwerk fast wie eine Rettung. Sie fanden bei

    ihrer Ankunft im Werk in den fr ihre Unterbringung vor-

    bereiteten Rumen in der Nhe der Luftschutzbunker der

    Halle 1 ein eigenes Bett, Laken und Duschgelegenheiten vor.

    Diese Facharbeitskrfte galten als nur schwer ersetzbar fr die

    Fi-103-Serienfertigung. Drangsalierungen blieben deshalb die

    Ausnahme.

    89

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    91/188

    Lkw-Abtransport getarnter Flugbomben vor der

    Sdrandbebauung des Hauptwerkes, 1944

    Wegen der Geheimhaltung des Fi-103-Projekts unterlagen die

    KZ-Hftlinge einer nahezu vollstndigen Isolierung.

    90

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    92/188

    91

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    93/188

    Plan Unterkunftsraum fr 300 Strafgefangene einschl.

    Wachmannschaft in der Waschkaue 3 u. 4 vom

    Werkzeugbau, 1944

    Im Sockelgescho der Halle 1 im darberliegenden Hallen-

    gescho befand sich die Produktionslinie der Fi 103 wurden

    Waschkauen zu Hftlingsunterknften umgebaut. Neben 150

    doppelstckigen Betten waren eine Waschanlage, Aborte

    sowie ein Duschraum vorhanden.

    Der ehemalige Hftling Eliesar Farkas, 1989: Die Fabrik war

    oben, das Schlafzimmer war unten.

    92

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    94/188

    Seitenruder der Flugbombe Fi 103

    93

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    95/188

    Schablone zur Beschriftung von Flugbomben Fi 103

    Bugspitze der Fi 103

    94

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    96/188

    Mit Draht umwundene Preluftkugel der Fi 103

    Jede Flugbombe enthielt zwei dieser 75 Liter fassenden

    Druckluftbehlter.

    Das Laagberg-Lager

    95

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    97/188

    Auszehrung durch die extreme Arbeitsbelastung, Hunger,

    Krankheiten und unberechenbare Drangsalierungen durch die

    SS prgten die Lage der Hftlinge. Mindestens 30 Mnner

    starben bis zur Rumung des Lagers am 7. April 1945, mehr als

    100 weitere Hftlinge bis zur Befreiung in Wbbelin Anfang

    Mai 1945.

    800 Hftlinge aus dem KZ Neuengamme trafen am 31. Mai

    1944 auf dem Laagberg ein, um dort einen Barackenkomplex

    zu errichten. Zunchst waren sie damit beschftigt, ihre

    Unterknfte bezugsfertig zu machen. Noch im Juli 1944 gab es

    kein flieendes Wasser, so da die Hftlinge unter Durst und

    unter den sanitren Verhltnissen litten. Die grten Qualen

    gingen fr die Hftlinge, darunter 350 Franzosen sowie jeweils

    mehr als 100 Niederlnder, Russen und Polen, aber von den

    Willkrakten der SS aus. Der Lagerkommandant Johannes

    Pump und der sptere stellvertretende Lagerkommandant

    Anton Peter Callesen zielten mit der schikansen Behandlung

    auf die Brechung jeglicher Widersetzlichkeit und der individu-ellen Identitt ab. Berchtigt waren Callesens pedantische

    Ordnungs- und Sauberkeitsrituale, die ihm als Vorwand fr

    Mihandlungen dienten.

    Die KZ-Hftlinge muten krperlich schwere Ausschach-

    tungs- und Bauarbeiten ausfhren, sofern sie nicht auf dem

    Werksgelnde bei der Trmmerrumung und bei Verlade-

    arbeiten eingesetzt wurden. Obwohl sie stndig angetriebenwurden, konnten die Hftlinge die Baumanahme wegen

    ihres verheerenden gesundheitlichen Zustandes, der nachls-

    sigen Organisation und der Materialengpsse nur in sehr

    begrenztem Mae voranbringen. Produktive Arbeit blieb die

    Ausnahme.

    96

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    98/188

    Wachturm des KZ-Kommandos Laagberg, 1945

    Das von einem elektrisch geladenen Zaun umschlossene KZ-

    Lager auf dem Laagberg verfgte zur lckenlosen Kontrolle

    der Umzunung ber fnf, spter sechs Wachtrme, die mit

    Maschinengewehren und Suchscheinwerfern ausgestattet

    waren.

    Baracke des KZ-Lagers Laagberg

    97

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    99/188

    Dnisches Polizeifoto des stellvertretendenLagerkommandanten Anton Peter Callesen

    Callesen, den die Hftlinge Saukerl (Peau de vache) nann-

    ten, war als sadistischer Antreiber verhat. Die Gefangenen

    entwickelten untereinander ein Warnsystem, um nicht von

    ihm berrascht zu werden.

    98

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    100/188

    Planungsskizze des Laagberg-Lagers

    Zum Konzentrationslager gehrten die

    Baracken 1, 2, 43, 6 und 7 sowie seit Mrz 1945

    Baracke 14. Von den zu errichtenden 37

    Mannschaftsbaracken mit den dazugehri-

    gen Nebengebuden wurden in der gesam-ten, knapp einjhrigen Bauzeit nur zwei

    Drittel begonnen. Die Hftlinge stellten

    allein die SS-Lagerwache, die Trafostation fr

    den elektrischen Zaun und eine Wasch -

    baracke fertig.

    Obwohl das Bauvorhaben seit Oktober 1944

    bedeutungslos geworden war, wurden

    Hetze und Schikanen bei den Bauarbeiten

    fortgesetzt.

    99

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    101/188

    Samstag 7. April

    Abmarsch vom KZ

    Sonntag 8. April

    Einen Toten aufgefunden

    Montag 9. April

    Zwei Flchtlinge erschossen

    Grdicke, Adolf, Zeuge

    Behrens, Transport (Vorsfelde)

    Zettel mit kurzen Notizen zu Ereignissen auf dem Laagbergin den Tagen der Rumung des KZ

    In der zweiten Hlfte des Jahres 1944 wurden auf dem

    Laagberg in der auerhalb des KZ-Kommandos gelegenen

    Baracke 8 niederlndische Studenten untergebracht. Einem

    der Bauleitung zugeteilten Niederlnder steckten Hftlinge in

    unbeobachteten Momenten Mitteilungen zu.

    Frauenkommando Halle 1

    100

  • 5/28/2018 VolksWagen2012_Erinnerungssttte_Zwangsarbeit

    102/188

    Die Bewachung be