5
Bedroht, beschimpft, geschlagen Vom Helfer zum Opfer: Gewalt gegen Ärzte Bedroht, beschimpft, bespuckt, geschlagen oder gar niedergestochen – immer mehr Ärzte werden von Patienten verbal oder körperlich attackiert. Woher kommt die Aggression gegen Mediziner? Und wie können Ärzte verhindern, Opfer jener Menschen zu werden, denen sie eigentlich helfen wollen? Ä rzte zählen nach Polizisten und dem Psych- iatriepflegepersonal zu den besonders ge- fährdeten Berufsgruppen für Gewaltdelikte [1]. Jedes Jahr werden in Deutschland durchschnitt- lich zwei Ärzte oder Ärztinnen von Patienten schwer verletzt oder getötet. Kleinere Gewalttaten wie Beißen, Spucken, Schlagen ereignen sich beson- ders in Notaufnahmen regelmäßig. Damit liegt Deutschland – ähnlich wie die Schweiz – internati- onal „nur“ im unteren Drittel der Gewaltvorkomm- nisse [2]. Andere Länder wie USA, Australien, Eng- land, aber auch Israel und die Türkei verzeichnen Übergriffe gegen Ärzte deutlich häufiger [3–6]. Insgesamt scheinen schwere Gewalttaten gegen Ärzte seit einigen Jahren zuzunehmen [7–9]. 2012 wurden zwei Allgemeinmediziner in ihrer Praxis in Weilerbach erschossen, der Chefarzt der gynäkolo- gischen Onkologie der Charité wurde in seinem Sprechzimmer von zwei Männern mit Knüppeln brutal zusammengeschlagen, in Stuttgart hat ein Patient einen Orthopäden in dessen Praxis mit ei- nem Messer schwer verletzt. Diese und andere Vor- fälle stehen in einer Reihe mit zunehmenden Ge- walttaten gegen andere Berufsgruppen, z. B. Richter, Staatsanwälte oder Lehrer. Allerdings wird Gewalt gegen Ärztinnen und Ärzte nur selten in der Zusammenschau dargestellt [11]. Aus diesem Grund gestaltete sich auch die Re- cherche zu diesem Beitrag schwierig. Die untersuch- ten Fälle mussten aus vielen verschiedenen Quellen zusammengetragen werden. Verbale, sexuelle und auch tätliche Gewalt minderen Ausmaßes ist weit Im Schnitt werden pro Jahr zwei Mediziner von Patienten getötet 16 ORTHOPÄDIE & RHEUMA 2013; 16 (3) Im Blickpunkt © Varney/spl/agentur focus

Vom Helfer zum Opfer: Gewalt gegen Ärzte

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Vom Helfer zum Opfer: Gewalt gegen Ärzte

Bedroht, beschimpft, geschlagen

Vom Helfer zum Opfer: Gewalt gegen ÄrzteBedroht, beschimpft, bespuckt, geschlagen oder gar niedergestochen – immer mehr Ärzte werden von Patienten verbal oder körperlich attackiert. Woher kommt die Aggression gegen Mediziner? Und wie können Ärzte verhindern, Opfer jener Menschen zu werden, denen sie eigentlich helfen wollen?

Ä rzte zählen nach Polizisten und dem Psych-iatriep�egepersonal zu den besonders ge-fährdeten Berufsgruppen für Gewaltdelikte

[1]. Jedes Jahr werden in Deutschland durchschnitt-lich zwei Ärzte oder Ärztinnen von Patienten schwer verletzt oder getötet. Kleinere Gewalttaten wie Beißen, Spucken, Schlagen ereignen sich beson-ders in Notaufnahmen regelmäßig. Damit liegt Deutschland – ähnlich wie die Schweiz – internati-onal „nur“ im unteren Drittel der Gewaltvorkomm-nisse [2]. Andere Länder wie USA, Australien, Eng-land, aber auch Israel und die Türkei verzeichnen Übergri�e gegen Ärzte deutlich häu�ger [3–6].

Insgesamt scheinen schwere Gewalttaten gegen Ärzte seit einigen Jahren zuzunehmen [7–9]. 2012 wurden zwei Allgemeinmediziner in ihrer Praxis in

Weilerbach erschossen, der Chefarzt der gynäkolo-gischen Onkologie der Charité wurde in seinem Sprechzimmer von zwei Männern mit Knüppeln brutal zusammengeschlagen, in Stuttgart hat ein Patient einen Orthopäden in dessen Praxis mit ei-nem Messer schwer verletzt. Diese und andere Vor-fälle stehen in einer Reihe mit zunehmenden Ge-walttaten gegen andere Berufsgruppen, z. B. Richter, Staatsanwälte oder Lehrer.

Allerdings wird Gewalt gegen Ärztinnen und Ärzte nur selten in der Zusammenschau dargestellt [11]. Aus diesem Grund gestaltete sich auch die Re-cherche zu diesem Beitrag schwierig. Die untersuch-ten Fälle mussten aus vielen verschiedenen Quellen zusammengetragen werden. Verbale, sexuelle und auch tätliche Gewalt minderen Ausmaßes ist weit

Im Schnitt werden pro Jahr zwei Mediziner von Patienten getötet

16 ORTHOPÄDIE & RHEUMA 2013; 16 (3)

Im Blickpunk t

©

Varn

ey/s

pl/a

gent

ur fo

cus

Page 2: Vom Helfer zum Opfer: Gewalt gegen Ärzte

verbreitet, wird aber kaum bei der Staatsanwalt-scha� angezeigt oder in den Medien berichtet. Erst wenn die Angri�e gegen Ärzte in Polizeiberichten au�reten, werden sie ö�entlich bekannt. Statistisch gesehen wird beispielsweise jeder sechste Internist im Lauf seines Berufslebens einmal angegri�en [12]. Eine Dunkelzi�er ist hoch wahrscheinlich, weil nicht jeder bedrohte oder angegri�ene Kollege die Gewalttat anzeigt.

Welche Ärzte sind besonders bedroht? Zwar richten sich Gewalttaten in erster Linie gegen Psychiater, Nervenärzte und Psychotherapeuten so-wie Hausärzte und Ärzte im Bereitscha�s- und Not-dienst bzw. in Notaufnahmen. Grundsätzlich gibt es Aggressionen aber gegen praktisch alle Facharzt-gruppen, sogar Pathologen.

Wer übt Gewalt aus und weswegen? Patienten: Die Analyse von 54 Fällen schwerer Ge-waltdelikte (Auszug in Tabelle 1, ausführlich unter www.springermedizin.de/orthopaedie-und-rheu-ma) zeigte, dass die deutliche Mehrzahl der Gewalt-taten gegen Ärzte von Patienten verübt wird. Da sind zunächst Enttäuschte, Gekränkte, solche, die eine Fehlbehandlung vermuten oder sich über ein ärztliches Gutachten ärgern – kurz: Patienten, die ein irgendwie noch nachvollziehbares Motiv haben.

Zum zweiten gibt es eine erhebliche Zahl von Pa-tienten, die ihren Arzt in psychotischem, verwirr-tem, intoxikiertem oder wahnha�em Denk- und Wahrnehmungszustand angreifen. Hier spielt eine Krankheitspathologie die ursächliche Rolle, etwa wenn dem Arzt unterstellt wird, einen Sender im Kopf des Patienten eingebaut zu haben oder ihn zu manipulieren – das ist eine paranoide Verkennung.

In Einzelfällen geht es auch darum, dass der Arzt nach Meinung des Patienten bestimmte Maßnah-men, Verschreibungen und dergleichen nicht wunschgemäß durchführt. In solchen Fällen wird der Arzt teilweise auch zum Sündenbock für Ratio-nierungsmaßnahmen der Politik. Indirekt kann auch das fortwährende „Ärztebashing“ durch die Politik mitverantwortlich gemacht werden [9, 14].

Angehörige: Die nächste große Angreifergruppe sind Angehörige von Patienten. Triebfeder ist meist Rache für Leiden, die der Arzt etwa dem Ehemann, der Ehefrau, dem Kind des Täters zugefügt haben soll. Meist bleibt unklar, wie berechtigt der jeweili-ge Groll war, ob der Arzt wirklich Fehler gemacht oder Beschwerden nicht ernst genommen hat. Für die Angreifer nur noch die persönliche Rache zu ge-ben, zur Not sogar mehrfach wie im Falle des Rent-ners, der einen Berliner Onkologen zweimal mit Sprengsto�omben attackierte, weil er ihn für den Krebstod seiner Ehefrau verantwortlich machte.

Unbekannte: Eine weitere Tätergruppe sind Unbe-kannte, die keine direkte Beziehung zum angegrif-fenen Arzt haben. Hier vermuten die Täter o�, bei dem Arzt sei „etwas zu holen“, dessen sie per Raub-überfall, Geiselnahme oder Erpressung habha� werden wollen. Es steht nicht die individuelle Per-son des Arztes im Zentrum, vielmehr handelt es sich o� um Zufallsopfer, etwa bei dem Raubmord in Rheinau, wo die Täter diverse Ärzte in der Rei-henfolge anriefen, wie sie im Telefonbuch standen, bis sich ein Mediziner bereit fand, nachts bei Unbe-kannten einen Hausbesuch zu machen. Er bezahlte seine Hilfsbereitscha� mit dem Leben.

Beziehungstäter: Bei Beziehungstaten ist das Mo-tiv der Täter nicht im beru�ichen, sondern im pri-

| Tabelle 1Gewalttaten gegen Ärzte in Deutschland (eine Auswahl)Jahr Ort Ereignis

2000 Münster 47-jähriger Hausarzt und Psychotherapeut wird von einem Patienten in der Praxis durch Hammerschläge schwer verletzt

2000 Frankenthal Unfallchirurg und Helferin werden in der Praxis von vorbestraftem Patienten bedroht

2000 Darmstadt 50-jähriger Psychiater wird von Patienten in der Praxis mit Schwert schwer verletzt, der Helferin wird die Hand abgehackt, Beziehungstat

2002 Starnberg Tierärztin wird in Praxis von einer psychisch kranken Kollegin aus Rache mit Tränengas überfallen und geschlagen

2003 Ludwigshafen 69-jähriger Mann erschießt seinen Hausarzt und einen Onkologen in der jeweiligen Praxis

2003 Nürnberg 76-jähriger Schönheitschirurg wird zu Hause überfallen, stirbt im Krankenhaus, Raub und Versicherungsbetrug

2004 Berlin 36-jähriger Laborarzt der Charité wird von einem Unbekannten vergiftet und erleidet schwere Nervenschäden

2005 Erfurt 50-jährige Ärztin für Allgemeinmedizin wird von Unbekanntem entführt und erwürgt, Raubmord

2007 Krefeld Kinderarzt wird über Monate bedroht, zwanzigmal muss die Polizei in die Praxis kommen, Stalking

2007 Schwerin Hausärztin von 73-jährigem Patienten in der Praxis mit Messer-stichen gefährlich verletzt, Patient fühlte sich falsch behandelt.

2009 Lindau Vorbestrafter 74-jähriger Arzt wird im Auftrag von Angehörigen nach Frankreich entführt, Beziehungstat

2010 Berlin 58-jähriger Hausarzt wird im Bereitschaftsdienst von zwei Män-nern überfallen und geschlagen, sein Arztkoffer wird entwendet

2011 Berlin Ein 48-jähriger Facharzt wird von einem Patienten vor den Augen seiner Tochter siebenmal mit Messer attackiert

2012 Weilerbach 78-jähriger Rentner erschießt zwei Allgemeinärzte in ihrer Hausarztpraxis in Rheinland-Pfalz

2012 Berlin 44-jähriger Chefarzt der Gynäkologie an der Charité wird von zwei Männern mit Kanthölzern zusammengeschlagen

2012 Bonn 39-jähriger Stationsarzt wird von einem psychisch kranken Patienten mit einer Gabel in den Hals gestochen

2012 Berlin 42-jähriger Zahnarzt wird in der Praxis überfallen, ausgeraubt und ihm wird ein Zeigefinger abgeschnitten

Weitere Fälle finden Sie im Internet unter springermedizin.de

ORTHOPÄDIE & RHEUMA 2013; 16 (3) 17

Page 3: Vom Helfer zum Opfer: Gewalt gegen Ärzte

vaten Umfeld der Ärzte zu suchen. Im Vordergrund steht Streit unter Eheleuten, Familienangehörigen, Sexualpartnern. Häu�ge Motive sind Eifersucht, nicht verarbeitete Trennung, Rache und Geld. Manchmal tri� es einen Arzt indirekt, etwa wenn die Beziehungstat primär der Helferin gilt und der Arzt sich schützend vor die Angestellte stellt, so ge-schehen bei einem Samurai-Schwertangri� in einer Psychiatriepraxis in Darmstadt.

Stalking: Der Begri� Stalking als stra�are Hand-lung ist relativ neu. Nicht neu ist, dass manche Ärz-te von Patienten oder ihren Angehörigen o� syste-matisch tyrannisiert werden. Jede einzelne Hand-lung ist per se keine Gewalt, die Summe, die Häu-�gkeit und die Systematik können Betro�ene gleich-wohl tief verstören und gravierende Folgen nach sich ziehen. Beispielsweise wurde ein Krefelder Kin-derarzt zwei Jahre lang von der Mutter eines seiner Patienten verfolgt, geradezu terrorisiert. Zwanzig-mal musste die Polizei ausrücken und die Frau aus der Praxis entfernen [17, 18].

Selbstschutz, Patientenschutz, Teamschutz: Was hat Vorrang? Vor Kurzem saß ich in meiner Praxis und führte eine Paartherapie durch. Das Paar vor mir war jung verheiratet, eine Außenbeziehung gefährdete den Fortbestand der Ehe akut. Wie so o�, wenn es um eine A�äre geht, kamen im Gespräch he�igste Emo-tionen hoch. An einem Punkt erregte sich der jun-ge, trainiert aussehende Ehemann mit Migrations-hintergrund immer mehr. Er beschimp�e seine Frau, �ng an, unkontrolliert im Behandlungszim-mer auf und ab zu gehen. Eine mögliche gewalttäti-ge Eskalation schien möglich.

Sehr deutlich spürte ich meine eigene körperliche Reaktion auf die Bedrohung. Folgende Fragen stan-den im Raum: Wen muss ich in dieser Situation zu-erst schützen, die Patientin oder mich? Darf ich mich wehren, wenn der Ehemann gewalttätig wird? In welcher Form darf ich mich zur Wehr setzen, nur passiv oder auch aktiv, sodass der Angreifer verletzt wird? So weit mir zugänglich, habe ich im Schri�-tum keine klaren Antworten auf diese Fragen ge-funden, ebenso keine Empfehlungen der Ärztekam-mern. Es scheint, als sei in einer solchen Situation jeder Arzt auf sich allein gestellt und müsse indivi-duell abwägen.

Meine eigene Einstellung hat sich im Laufe von 32 Berufsjahren sehr gewandelt. Als junger Arzt handelte ich nach dem Motto „Helfen um jeden Preis“. Mittlerweile wurde ich von Patienten ange-spuckt, in den Allerwertesten getreten, mit einer ab-geschlagenen Flasche bedroht, im Notdienst von ei-nem Schäferhund gebissen, als Chefarzt von einem Assistenzarzt gerufen, weil sich ein Patient mit einer Pistole im Zimmer verbarrikadiert hatte. 2012 wur-de unsere Praxis beinahe ausgeraubt. Angesichts dieser Erfahrungen und der Berichte von überfalle-nen Kollegen ist mein Fazit vor diesem Hinter-grund: „Wenn Dir als Arzt/Ärztin etwas passiert, stehst Du meist alleine da – mit allen körperlichen und seelischen Traumafolgen sowie etwaigen �nan-ziellen und juristischen Folgen.“ Bitte schreiben Sie mir, wenn Sie als betro�ene(r) Arzt/Ärztin positi-vere Erfahrungen gemacht haben!

Aufgrund meiner Erfahrungen plädiere ich heute für ein selbstfürsorgenderes Vorgehen, weil ich glaube, dass auch der Arzt ein Recht auf Eigensiche-rung und -schutz hat. Es bleibt abzuwarten, ob und wann Ärztekammern, Fachgesellscha�en und Ärz-teverbände hierzu Entschlüsse fassen. Früher oder später wird es dazu kommen, denn es arbeiten im-mer mehr Ärztinnen in Kliniken und Praxen, die Gewalt in unserer Gesellscha� nimmt insgesamt zu und in der Wirtscha� bekommen Arbeitsplatz-schutz und Sicherung der Beschä�igten einen hö-heren Stellenwert. Auch die Kliniken müssen hier nachziehen, denn die Politik arbeitet weiterhin da-ran, das bisher sehr gute Ansehen der Ärzte durch Rationierungsau�agen und immer neue Kampag-nen wegen Korruption, Abrechnungsbetrug, Feh-lervertuschung, Wartezeitendiskussion et cetera zu beschädigen. Medial verstärkt hat dies Auswirkun-gen auf empörte Patienten, die sich dann „handfest“ beschweren.

Maßnahmen für den EigenschutzDas Wichtigste ist, ein Gefahrenbewusstsein zu ent-wickeln. In Gesprächen mit angegri�enen Kollegen höre ich allzu o�: „Es wäre mir im Traum nicht ein-gefallen, dass mir das passieren könnte.“ Hören Sie

| Tabelle 2Selbstschutz für Ärzte: eine Checkliste

_ Halten Sie Gewalt für möglich und entscheiden Sie sich für Selbstschutz.

_ Wenn Sie oder Ihre Mitarbeiter bedroht oder belästigt werden, stoppen Sie Ihr ärztliches Tun. Auch Ärzte haben ein Recht auf Unversehrtheit.

_ Sprechen Sie wachsende Aggressionen an und lassen Sie zwischen dem Patienten und sich genüg Abstand.

_ Analysieren Sie Ihre Praxis/Ihren ärztlichen Arbeitsplatz im Hinblick auf Fluchtwege oder Deckungsmöglichkeiten.

_ Installieren Sie gegebenenfalls einen Notfallknopf.

_ Ihre wichtigste Abwehrmöglichkeit ist die Stimme. Oft hilft ein lauter Kommandoton.

_ Lernen Sie Deeskalationsstrategien für sich und Ihr Team.

_ Wenn Sie wirklich um Ihr Leben kämpfen müssen, dann kämpfen Sie!

_ Hören Sie Kollegen zu, wenn diese von eigenen Gewalterfahrungen berichten.

_ Überprüfen Sie regelmäßig, ob Sie ausreichend versichert sind (Unfall-/Krankentage-geld-/Rechtsschutzversicherung et cetera

18 ORTHOPÄDIE & RHEUMA 2013; 16 (3)

Im Blickpunk t Bedroht, beschimpft, geschlagen

Page 4: Vom Helfer zum Opfer: Gewalt gegen Ärzte

Für 1spaltige dummy-Abb:

Der Springer Medizin Verlag besitzt keine Rechte für die Online-Veröffentlichung dieser Abbildung. Sie ist aber in der Druck-fassung wiedergegeben.

Springer Medizin Verlag has not received permission to publish this figure in the online version of the article. Please refer to the print version

Page 5: Vom Helfer zum Opfer: Gewalt gegen Ärzte

auf Ihre Instinkte und Körperreaktionen! Vor den meisten Angri�en kann man sich schützen, wenn man Abstand hält oder in Deckung geht. Schauen Sie sich in Ihren Praxisräumen um: Welche Tür lässt sich abschließen, wo gibt es einen soliden Schreibtisch oder ähnliches?

Wenn Sie bedroht werden, stoppen Sie ihr ärztli-ches Tun, holen Sie gegebenenfalls und soweit mög-lich eine(n) Helfer/in dazu. Die beste „Abwehrwaf-fe“ ist Ihre Stimme: Sprechen Sie mit dem Angreifer, wiederholen Sie, was Sie verstanden haben, erken-nen Sie die emotionale Kränkung oder Beschwerde des Patienten als wichtig an. Einige meiner psychi-atrischen Kollegen haben mit einem laut gerufenen

„Nein“ oder „Stopp“ gute Erfahrungen gemacht, an-dere im Gegenteil mit einer leisen, fast devoten Stimme und Sprache. Was davon passt eher zu Ih-nen als Persönlichkeit?

Gegen die direkte körperliche Attacke kann ein Notfallknopf im Behandlungszimmer sehr hilfreich sein, oder auch ein lautes Alarmsignal. Wie für je-den Notfall gilt auch für den Gewaltnotfall: Gute Vorbereitung schützt und nützt. Sprechen Sie mit dem Praxisteam die für Sie richtigen Maßnahmen an oder buchen Sie als Team eine Fortbildung in Ge-waltprävention/Gewaltabwehr. Weitere wichtige Hilfsmaßnahmen �nden Sie in Tabelle 2.

In den wa�enliberalen USA haben sich viele nie-dergelassene Kollegen bewa�net, hierzulande ist das sicher extrem selten der Fall. Einzelne Ärzte ha-ben eine Wa�enlizenz beim zuständigen Amt be-antragt, weil sie im Notdienst bedroht wurden, was allerdings meist abschlägig beschieden wurde. Soll sich ein Arzt bewa�nen? Ich meine: Nein. Eine Schusswa�e bringt weniger als man glaubt. In den USA wurde in 25% der Angri�e im Krankenhaus die Wa�e des Sicherheitsbeamten entwendet und zur Tatwa�e [21].

springermedizin.de

Ihre Erfahrungen interessieren uns

Wurden Sie in Ihrem Berufsleben bereits mit Gewalt konfrontiert? Wie haben Sie reagiert? Wie schützen Sie sich und Ihr Praxisteam vor gewalt-samen Übergri�en? Schreiben Sie uns online, es geht ganz einfach: Geben Sie auf www.springermedizin.de „Gewalt gegen Ärzte“ in die Suchfunktion ein – und Sie gelangen direkt zur Kommentarfunktion. Wir freuen uns auf Ihr Feedback!

Was können Kliniken und Standesorganisationen tun? Krankenhäuser haben, wie jedes Unternehmen, ihre Mitarbeiter zu schützen [22]. Das bezieht sich auch auf gewalttätige und/oder sexuelle Übergri�e [23]. Der Schutz ist umso besser, je umfassender und koordinierter er organisiert ist. Auf technischer Sei-te geht es um ausreichende Beleuchtung, Notfall-knöpfe, optimierte Kommunikationsmittel, in be-stimmten Einrichtungen auch um humane, aber ef-fektive Immobilisierungstechniken, gegebenenfalls Videoüberwachung. Auf der Organisationsseite sollten Wartezeiten möglichst kurz gehalten werden. Auf personeller Seite geht es darum, dass möglichst kein Mitarbeiter allein und ohne Unterstützung ar-beitet und dass bei Bedarf schnell Hilfe verfügbar ist. Auf psychologischer Seite geht es um die Schu-lung der Mitarbeiter im Umgang mit gewaltträch-tigen Situationen [24, 25], Deeskalationsstrategien, Kenntnisse der Ersthilfe für geschlagene oder ver-letzte Ärzte (Auszeit, Debrie�ng, psychotherapeu-tische Entlastungsgespräche und dergleichen). Auch für den professionellen Umgang mit poten-zieller Gewalt gilt: Man kann nur, was man geübt hat [27].

Stellen Ärzte nach einem Gewalterlebnis bei sich Symptome eines posttraumatischen Belastungssyn-droms fest, ist eine kompetente �erapie dringlich [7, 26]. Besonderes Augenmerk ist auf Ärzte in der Ausbildung oder Berufsanfänger zu richten, weil diese Personengruppen überproportional häu�g von Gewaltdelikten betro�en sind [21].

FazitTrotz der zunehmenden Zahl und Schwere von Ge-walttaten gegen Ärzte gibt es nur ein sehr geringes Problembewusstsein beim einzelnen Kollegen, (fast) keine Schulung in der Arztausbildung zum Umgang mit gewalttätigen Patienten, wenige Kennt-nisse über Möglichkeiten des Selbstschutzes in der Praxis. Auch in Kliniken sind Personalschutzmaß-nahmen für Ärzte und P�egepersonal noch die Aus-nahme. Es gibt hier viel zu tun! Alle geschilderten Maßnahmen sind nicht einfach umzusetzen, kosten o� auch Geld. Insofern sind die Mitarbeitervertre-tungen und Sicherheitsbeau�ragte immer wieder gehalten, hier Forderungen zu stellen.

Literatur unter www.springermedizin.de/orthopaedie-und-rheuma.de

Dr. med. Bernhard MäulenLeiter Institut für Ärztegesundheit Vöhrenbacherstrasse 4 78050 VillingenE-Mail: [email protected]: www.aerztegesundheit.de

20 ORTHOPÄDIE & RHEUMA 2013; 16 (3)

Im Blickpunk t Bedroht, beschimpft, geschlagen