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„Vom Himmel durch die Welt zur Hölle“ Anmerkungen zu Goethes Faust Heinrich Detering, August 2013

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„Vom Himmel durch die Welt zur Hölle“

Anmerkungen zu Goethes FaustHeinrich Detering, August 2013

„Da kommen sie und fragen, welche Idee ich in meinem Faust zu verkörpern gesucht? – Als ob ich das selber wüsste und aussprechen könnte! – Vom Himmel durch die Welt zur Hölle, das wäre zur Not

etwas; aber das ist keine Idee, sondern Gang der Handlung.(Zu Eckermann, 6. Mai 1827)

Zum Faust-Stoff vor Goethe

• mündliche Sagen um Georg (Johann) Faust (ca. 1480 – 1540, Schwaben und Franken)• Anreicherungen durch Wandersagen (Zauberkünstler, Teufelsbündner, Quacksalber und Wunderheiler usf.), Anekdoten, Schwankstoffe• Martin Luthers Tischreden erwähnen Doktor Faustus• lateinische Faust-Vita (verloren, ca. 1575)• volkssprachige Versionen seit ca. 1580)• Historia von D. Fausten („Volksbuch“), gedruckt von Johann Spies 1587• Bearbeitungen des „Volksbuchs“ … durch Georg Rudolf Widmann (1599; Gelehrten-Problematik;Teufel als Hund)… durch Johann Nicolaus Pfitzer (1674; darin zuerst eine „schöne,doch arme Magd“)… durch den „Christlich Meynenden“ (1725; gekürzt, christlichmoralisierend) …

• … englische Übersetzung des Spies‘schen „Volksbuchs“ um 1590• Christopher Marlowe: The Tragicall History of D. Faustus (1593 / 1604)• englische Wanderbühnen mit frei improvisierenden Bearbeitungen Marlowes in Deutschland bereits ab ca. 1608, nachweisbar bis Ende des 18. Jhs.• farcenhafte und satirische Bearbeitungen in England und Frankreich (17. / 18. Jh.)• Puppenspiel-Versionen des Marloweschen Dramas (nachweisbar seit 1746)• Lessings Faust-Fragmente (1750er Jahre): Faust als Aufklärer• Faust-Dramen der Stürmer und Dränger parallel zu Goethes Ausarbeitung (Maler Müller, Jakob M. R. Lenz, F. M. Klinger u.a.), daneben weiterhin reine Unterhaltungs-Versionen

Zum Faust-Stoff bei Goethe

um 1755 Kenntnis des Puppenspielsum 1765-70 in Frankfurt und Straßburg erste Faust-Pläne; Lektüre einer Version des „Christlich Meynenden“1771-72 Frankfurter Prozess um Susanna Margaretha Brandt1773-75 erste Szenen zu einem Faust (Knebel: „Er zieht die Manuskripte aus allen Winkeln seines Zimmers hervor“)um 1780? Abschrift einer frühen Fassung durchLouise von Göchhausen (sog. Urfaust)1788 in Italien: „Hexenküche“, „Wald und Heide“1789 Überarbeitung des bisherigen Materials 1780 Faust. Ein Fragment (bis zur Domszene)1797 „Zueignung“, „Prolog im Himmel“,Teufelspakt-Szene1798-1801 „Walpurgisnacht“, erste Skizzenzum 2. TeilApril 1804 Abschluss des 1. Teils1808 Veröffentlichung: Faust. Der Tragödie erster Teil.

1816 Entwurf zum 2. Teil1825 Wiederaufnahme der Arbeit1826/27 Helena. Klassisch-romantische Phantasmagorie1827/28 Kaiserhof-Szenen1829/30 Klassische Walpurgisnacht19. Januar 1829 Uraufführung in BraunschweigJuli 1831 Faust. Der Tragödie zweiter Teil, August EinsiegelungJanuar 1832 Wiedereröffnung des Manuskripts,letzte Änderungen17. März 1832 letzter Brief, u. a. über den Faust (an Humboldt)22. März Goethes Tod Herbst 1832 Publikation

Welt-Öffnung eines Schauspiels

Faust I: Vorspiel auf dem Theater / Prolog im Himmel Enges gotisches Zimmer

Vor dem Tor – Bauern unter der Linde Studierzimmer

Auerbachs Keller in Leipzig Hexenküche

Straße Margaretes „kleines reinliches Zimmer“ – Spaziergang

Der Nachbarin Haus (Marthe) – Straße Garten (Marthe) – Ein Gartenhäuschen

Wald und Höhle Gretchens Stube Marthens Garten

Am Brunnen – Zwinger Straße vor Gretchens Türe

Dom Walpurgisnacht. Harzgebirg

Trüber Tag. Feld – Nacht. Offen Feld Kerker

Faust II (Beispiele)

Anmutige Gegend („Ungeheures Getöse verkündet das Herannahen der Sonne“)

Kaiserliche Pfalz Hochgewölbtes enges gotisches Zimmer – Laboratorium

Klassische Walpurgisnacht: Pharsalische Felder Vor dem Palaste des Menelas zu Sparta Hochgebirg: starre, zackige Felsengipfel

(„Sie steigen über das Mittelgebirg herüber und beschauen die Anordnung des Heeres im Tal“)

Auf dem Vorgebirg Des Gegenkaisers Zelt

Offene Gegend (am Meer) Palast. Weiter Ziergarten – Großer Vorhof des Palasts

Himmlische Heerschar Bergschluchten – Mater Gloriosa, Chorus Mysticus

Zurücktreten der Faust-Figur in Faust II

absoluter Textumfangin Faust I: 4612 Versein Faust II: 12111 Verse

Redeanteile Faustsin Faust I: ca. 30 % des Gesamttextesin Faust II: ca. 13 % des Gesamttextes

Redeanteile kollektiver Sprecher(Gruppen- und Massenreden, Chöre)in Faust I: knapp 7 % des Gesamttextesin Faust II: knapp 20 % des Gesamttextes

Zahl der Gruppen- und Massenszenenin Faust I: ca. 20 Szenenin Faust II: ca. 70 Szenen

Erste Lektüre: das Drama als Thriller (mit Fantasy-Elementen)

Wissenschaft und Magie.

Lebenskrise bis zur Suizidbereitschaft

Sex, drugs, Rock‘n‘roll – und dann die Liebesgeschichte.

Die Morde: Margaretes Mutter, ihr Bruder, ihr Kind, dann sie selbst.Weitere „Menschenopfer“ im 2. Teil, namentlich Philemon und Baucis.

Goethe, Bühnenzeichnung 1. Akt

Ausbruchsversuch mit Mephistos Hilfe, diesem Teufel als einem zivilisierten Intellektuellen: der „Pakt“.

Offenheit für den 2. Teil: „Heinrich! Heinrich!“

Aber worin bestand das Ausgangs-Problem?

• emotionale Krise: vitale Midlife Crisis• kognitive Krise: Erkenntniswille und Erkenntnisgrenzen• psychische Disposition: Rastlosigkeit („werd’ ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch“)

Julius Heinrich Lips, Faust(nach Rembrandt)

Zweite Lektüre: das Drama als Darstellung und Durchspielen der epistemischen Krise einer Epoche

Beispiel: das Religionsgespräch in „Marthes Garten“.

Peter Cornelius,Gretchen und Faust im Garten

Margarete: „wie hältst du’s mit der Religion?“ „Glaubst du an Gott?“

„man muss d’ran glauben.“(Kirche, Sakramente, Messe, Beichte)

Faust: „Wer darf ihn nennen? / Und wer bekennen: / ‚Ich glaub ihn!‘? / Wer empfinden, / Und sich unterwinden / Zu sagen: ‚Ich glaub ihn nicht!‘? / Der Allumfasser, / Der Allerhalter … webt in ewigem Geheimnis … Gefühl ist alles; / Name ist Schall und Rauch, / Umnebelnd Himmelsglut.“Margarete: „Das ist alles recht schön und gut; / Ungefähr sagt das der Pfarrer auch, / Nur mit ein bisschen andern Worten.“ – „Denn du hast kein Christentum.“

Faust: „Lieb’s Kind!“

Margarete: „Der Mensch, den du da bei dir hast,Ist mir in tiefer innrer Seele verhaßt; …Aber wie ich mich sehne, dich zu schauen,Hab ich vor dem Menschen ein heimlich Grauen,…Gott verzeih mir's, wenn ich ihm unrecht tu! …Es steht ihm an der Stirn geschrieben,Daß er nicht mag eine Seele lieben.Mir wird‘s so wohl in deinem Arm,So frei, so hingegeben warm,Und seine Gegenwart schnürt mir das Innre zu …Auch, wenn er da ist, könnt ich nimmer beten …“

Faust: „Du ahnungsvoller Engel du!“

Faust: Hier ist das Fläschchen! Drei Tropfen nurIn ihren Trank umhüllenMit tiefem Schlaf gefällig die Natur.

Faust: Hier ist das Fläschchen! Drei Tropfen nurIn ihren Trank umhüllenMit tiefem Schlaf gefällig die Natur.

Margarete: Es wird ihr hoffentlich nicht schaden!Faust: Würd’ ich sonst, Liebchen, es dir raten?

Faust (zu Mephisto): diese liebe treue SeeleVon ihrem Glauben voll … Du Ungeheuer … Spottgeburt von Dreck und Feuer

• Faust (versus Gretchen) als aufgeklärter Stürmer-und-Dränger, als vernünftiger Deist, als Anhänger einer Vernunft- und Gefühlsreligion

• ohne inhaltlich spezifizierte Moralvorschriften

• als sich autonom setzendes Subjekt, das den Teufel als Instrument gebraucht (dessen Macht er ‚aufgeklärt‘ unterschätzt)

• Autonomiewille führt in die Heteronomie:

• die „Tragödie“ Fausts (und nicht Gretchens).

Faust als Person im epochalen Spannungsfeld – zwischen den Weltansichten, zwischen den Lebensentwürfen.

Wie stellt Goethe diesenKonflikt zwischen Welten dramentechnisch dar,wie bringt er ihn auf dem Theaterzur Anschauung?

Indem er die Pluralisierung der Weltansichten als eine Pluralisierung der theatralen Ausdrucksformen inszeniert.(Von der Rockband bis zum Streichquartett.)

• mittelalterliches Mysterien-Spiel (Osterspiel, Weltgerichtsspiel)• Morality Play (Domszene)• barockes Welttheater (Prolog im Himmel und Ende des 2. Teils)• barocke Allegorien (Mummenschanz)• barockes Staatsdrama (2. Teil, 4. Akt)• Commedia dell’arte (Vorspiel auf dem Theater)• Bürgerliches Trauerspiel (die „Gretchentragödie“)• Sturm-und-Drang-Drama („Fetzenszenen“)• Ballette und Maskenzüge (Osterspaziergang als Panorama der Stände und Schäfertanz; Mummenschanz; Klassische Walpurgisnacht)• Gerichtsverhandlung (die Akten des Frankfurter Prozesses um Susanna Margaretha Brandt als Quelle!)• satirisches Kabarett (Auerbachs Keller, Marthe, Walpurgisnacht)• Volksballade („Nacht. Offen Feld“)• Summa metrica: Sturm-und-Drang-Prosa / frühneuzeitliche Knittelverse / ‚moderne‘ Blank- und Madrigalverse / ‚barocke‘ Alexandrineverse / Terzinen wie bei Dante / jambische Trimeter wie in der griechischen Tragödie / diverse Liedformen usf.

Naturwissenschaftliche und naturphilosophische Modelle

• Faust als frühneuzeitlicher Alchimist, Magier, Naturphilosoph• Wagner als fortgeschrittener Alchimist im 2. Teil (Homunculus)• Hexenküche und schwarze Magie• der „Erdgeist“• Farbenlehre (Fausts Monolog zu Beginn des 2. Teils)• Vulkanismus und Neptunismus (im 2. Teil)• Theologie, Geographie, Witterungslehre am Schluss des Dramas: →

Die „Bergschluchten“-Szene: Fausts Himmelfahrt…

1. in religiösen Hierarchien: Einsiedler, heilige Büßer – darunter Gretchen –, Engel, Maria als Himmelskönigin

2. in geographischen Ordnungen: Landschaftsformen („Waldrand“, „Wasserstrom“, „Felsen“) und -Ordnung („Tiefe Region, „Mittlere Region“, „die höchsten Gipfel“, „in der höhern Atmosphäre“)

3. in meteorologischen Ordnungen: „Himmel“ und Himmel („Wolkengewande“ „Morgenwölkchen“, „nebelnd“, „Die Wölkchen werden klar … Los von der Erde Druck“, „Löset die Flocken los / Die ihn umgeben“, „höhere Atmosphäre“, Maria „im blauen … Himmels-zelt“, um ihre Füße schlingen „sich leichte Wölkchen“ als „der Büße-rinnen Völkchen“; darüber geht es „ätherisch“ in „höhere Sphären“)

Stratus

Strato-Cumulus

Cumulus

Cirrus

Politische und ökonomische Modelle

• spätmittelalterlicher Ständestaat• Faust als ‚Ausbrecher’: ‚freischwebender Intellektueller’ (vs. Wagner)• Erfindung des Papiergeldes und staatliche Finanzkrise• reaktionäre Kaiserherrschaft und frühneuzeitlicher Bürgerkrieg• neuartige technisch-industrielle Naturunterwerfung: Fausts Land- gewinnungsprojekt (nach modernen Vorbildern)• neue Formen imperialistischer Gewaltherrschaft

17. Februar 1832:„Was hab‘ ich denn getan? Ich habe gesammelt, benutzt, was ich gehört und beobachtet habe. Meine Werke speisen sich aus Tausenden von Individuen, Unwissenden und Klugen ... Mein Werk ist das Werk eines Kollektivwesens, und es trägt den Namen Goethe.“

„Qu´ai-je fait? J´ai recueilli, utilisé ce que j´ai entendu, observé. Mes œuvres sont nourries par des milliers d´indi-vidus divers, des ignorants et des sages [...] Mon œuvre et celui d´un être collectif, et il porte le nom de Goethe.“

Figuren-Schemata aus unterschiedlichen literarischen Welten

• kulturgeschichtlich und sozial datierbare, ‚realistisch’ gezeigte Figuren (Dr. Faust und seine Patienten, Bürgermädchen Margarete und Bruder Valentin als Soldat, Witwe Schwerdt- lein, die Leipziger Studenten usf.)• Gestalten der Bibel• Figuren des volkstümlichen ‚deutschen’ Mythologie (Teufel, Hexen, Irrlichter usf.), im 2. Teil griechisch-römisch erweitert• von Goethe erfundene pseudo-mythische Figuren (Erdgeist, Euphorion)• allegorische Personifikationen (Böser Geist, im 2. Teil Mangel, Schuld, Sorge, Not)• satirische Figuren (der Proktophantasmist)• psychologisch-mythologische Doppeldeutigkeiten

Überdetermination,Pluralität der dargestellten Welten

• Kombination und Kontrastierung von Weltansichten und Lebensentwürfen,• daraus folgenden moralischen Handlungs- anweisungen und• damit verbundenen dramatischen Geschehensregeln und • situiert in der Epochenwende vom Mittelalter zur Neuzeit,• im 2. Teil ausgedehnt von der mythischen Heroenzeit der griechischen Antike bis zu den Anfängen der Industrialisierung.

Fausts ‚Selbstanalyse‘

Bin ich der Flüchtling nicht? der Unbehauste?Der Unmensch ohne Zweck und Ruh,Der wie ein Wassersturz von Fels zu Felsen

brauste,Begierig wütend nach dem Abgrund zu?Und seitwärts sie, mit kindlich dumpfen Sinnen,Im Hüttchen auf dem kleinen Alpenfeld,Und all ihr häusliches BeginnenUmfangen in der kleinen Welt.Und ich, der Gottverhasste,Hatte nicht genug,Dass ich die Felsen fassteUnd sie zu Trümmern schlug!Sie, ihren Frieden musst ich untergraben!Du, Hölle, musstest dieses Opfer haben.

In welcher dargestellten Welt befinden wir uns also ‚eigentlich’?Welche Geschehensregeln gelten hier?

(Vergleichsfall Don Quijote.)

Wir befinden uns zwischen ‚modernem‘ Dramaund Mysterienspiel.

1. Beispiel: Fausts Selbstmordversuch und das Osterspiel.

Chor der Engel:Christ ist erstanden! …Chor der Weiber:Mit SpezereienHatten wir ihn gepflegt,Wir seine TreuenHatten ihn hingelegt …Chor der Engel:Christ ist erstanden! …Faust:Was sucht ihr, mächtig und gelind,Ihr Himmelstöne, mich am Staube?

2. Beispiel: Gretchen im Dom und das Weltgerichtsspiel.

Eugène Delacroix, Gretchen und der Böse Geist

Chor:Dies irae, dies illaSolvet saeclum in favilla.(Orgelton.)Böser Geist:Grimm fasst dich!Die Posaune tönt!

3. Beispiel: Faust und Gretchen im Kerker.

Peter Cornelius, Gretchen im Kerker

3. Beispiel: Faust und Gretchen im Kerker.

Peter Cornelius, Gretchen im Kerker

„O lass uns knien die Heil’gen anzurufen! Sieh! unter diesen Stufen,Unter der SchwelleSiedet die Hölle!“

„Dein bin ich Vater! Rette mich!Ihr Engel! Ihr heiligen Scharen,Lagert euch umher, mich zu bewahren!“

„Schon zuckt nach jedem NackenDie Schärfe die nach meinem zückt.Stumm liegt die Welt wie das Grab!“

Die Legende von der Heiligen Margarete.

August von Kreling, Prolog im Himmel

‚Rahmen‘ I.

Peter Cornelius,Gretchen vor der Mater Dolorosa

Giovanni Caliari,Erscheinung der Himmelskönigin(Goethes Bildvorlage für die letzte Szene)

‚Rahmen‘ II.

Aber es bleibt ein struktureller Ironievorbehaltzwischen Mysterienspiel und theatralem Spiel:• Kontrast der Weltsichten• Doppeldeutigkeiten und Asymmetrien• Doppelte Rahmung: - der „Prolog im Himmel“ eröffnet ein Mysterienspiel - das „Vorspiel auf dem Theater“ eröffnet ein Mysterienspiel

Vorspiel auf dem Theater, Direktor: „Ihr wisst, auf unsern deutschen BühnenProbiert ein jeder, was er mag;Drum schonet mir an diesem TagProspekte nicht und nicht Maschinen. …So schreitet in dem engen BretterhausDen ganzen Kreis der Schöpfung aus,Und wandelt mit bedächt’ger SchnelleVom Himmel durch die Welt zur Hölle.“

Goethe inszeniert also im Faust

(1) die Welt des Mysterienspiels als die dominante Struktur der dar-gestellten Welt (Perspektive Gretchens) –

(2) aber von außen, als Theater-Spiel (Perspektive Fausts).

(3) und er zeigt dabei ihre Bilder-sprache als uneigentlich, als symbolhaft für eine angestrebte konsistente Weltdeutung – ein romantisches Drama.

Zu Eckermann, 6. Juni 1831: „daß ich … mich sehr leicht im Vagen hätte verlieren können, wenn ich nicht meinen poetischen Intentionen, durch die scharf umrissenen christlich-kirchlichen Figuren und Vorstellungen, eine wohltätig beschränkende Form und Festigkeit gegeben hätte.“

(1) Goethes Faust ist ein „Welt-gedicht“, weil es ein Gedicht über Welten ist: über Welt-Ansichten, die nicht nur im Drama diskutiert, sondern auch als Drama inszeniert werden.

(2) Das Drama ist (post-) modern, insofern es die Pluralität der Weltsichten und Lebensentwürfe als Grundproblem der Neuzeit demonstriert.

(3) Aber es ist un-, ja anti-modern, insofern es zeichen- und gleichnis-haft eine neue konsistente Weltdeutung anstrebt(„ethisch-ästhetische Formeln“).

(4) Faust ist Opfer seiner (not-wendigen) Autonomie und wird zum mörderischen Täter. Gretchen ist Opfer Fausts und wird zur Täterin der Gnade (auch für ihn).