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Bachelorarbeit Von Arthur zu Arturo: Das Nomadische in Roberto Bolaños Roman ‘Los detectives salvajes’ Vorgelegt von Leyla Bektaş Matrikelnummer: 4728351 [email protected] Universität zu Köln Philosophische Fakultät Romanisches Seminar Prof. Dr. Wolfram Nitsch 4. Juni 2012

Von Arthur zu Arturo: Das Nomadische in Roberto …...Roberto Bolaño: „Los Neochilenos“ Ein Großteil der Faszination, die vom Romanwerk Roberto Bolaños ausgeht, speist sich

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Bachelorarbeit

Von Arthur zu Arturo:

Das Nomadische in Roberto Bolaños Roman

‘Los detectives salvajes’

Vorgelegt von

Leyla Bektaş

Matrikelnummer: 4728351

[email protected]

Universität zu Köln

Philosophische Fakultät

Romanisches Seminar

Prof. Dr. Wolfram Nitsch

4. Juni 2012

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Inhaltsverzeichnis

 

Inhaltsverzeichnis ......................................................................................................................................... I

1. EINLEITUNG ......................................................................................................................................... 1

2. THEORETISCHE GRUNDLAGEN: DAS KONZEPT DER NOMADEN ................................................ 3

2.1. Der Nomade: ein mobiles und globalisiertes Subjekt ........................................................... 3

2.2. Mobilität als Protest und Entwurzelung: der Nomade und der Staat ................................ 6

2.3. Das Nomadische im Kontext der modernen Poetik: der Mythos Rimbaud ................... 11

3. LITERARISCHE ANALYSE : DAS NOMADISCHE IN ‘LOS DETECTIVES SALVAJES’ ....................... 16

3.1. Der mobile Protagonist: Stationen einer Reise .................................................................... 17

3.2. Das Nomadische zwischen Flucht und Transgression ....................................................... 21

3.3. Von Arthur zu Arturo ............................................................................................................. 27

4. ABSCHLIEßENDE WORTE .................................................................................................................. 35

Bibliographie ................................................................................................................................................ II

Erklärung ...................................................................................................................................................... V

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1. EINLEITUNG

Mis pesadillas nómadas Y mis pesadillas sedentarias. Roberto Bolaño: „Los Neochilenos“

Ein Großteil der Faszination, die vom Romanwerk Roberto Bolaños ausgeht, speist sich aus

dessen Eigenschaft, den Leser in seinem Deutungsanliegen nie vollends zu befriedigen.

Wenngleich sich die Auslegung der Texte dadurch flexibel gestaltet, stehen nach der Lektüre

zahlreiche aufgeworfene Fragen unbeantwortet da. Dennoch oder vielleicht gerade aus diesem

Grund findet der 2003 verstorbene chilenische Schriftsteller großen Anklang bei Leserschaft und

Kritikern.

Roberto Bolaño formuliert, wie sich das Verhältnis von Raum und Subjekt in einem

globalisierten Zeitalter zunehmend verschiebt. Die Bindung an einen Ort schwindet und somit

werden die uns umgebenden Dinge immer schwieriger fassbar, während wir uns gleichzeitig

ständig fortbewegen. Bolaños Werk spiegelt diese Tendenz wider: seine Figuren verteilen sich

über den Globus, viele von ihnen sind moderne Nomaden, da sie sich nirgendwo endgültig

niederlassen. So auch einer der Protagonisten des 1998 erschienenen Romans Los detectives salvajes,

Arturo Belano.

Was bedeutet das Nomadische bei Bolaño? Primär sind Nomaden ein räumliches, ein

geographisches Phänomen. Da Raum und Macht aber eng miteinander verknüpft sind, hat das

Nomadische immer auch eine politische Dimension, wie es Gilles Deleuze und Félix Guattari in

ihrer Abhandlung über Nomaden erläutern: Nomaden lassen sich keiner Nation zuordnen und

ihre Bewegungen laufen herkömmlichen Hierarchien und vorgegebener staatlicher Ordnung

zuwider. Deleuzes und Guattaris Konzept lässt sich treffend auf Bolaños Schreibweise

anwenden, obgleich es auch Defizite hat: Zygmunt Baumans Theorie einer sich verflüssigenden

Moderne soll ihr Konzept historisch abrunden. Es wird sich zeigen, dass politische Gründe

Arturo Belanos Nomadendasein vorausgehen, das zwischen Globalität und Marginalität,

zwischen freiwilliger Bewegung und fremdbestimmter Vertreibung oszilliert.

Deleuze und Guattari bieten sodann den Übergang zum Poetischen: das Nomadische kann auch

als Ästhetik verwendet werden. Um diese in Los detectives salvajes zu fassen, muss zunächst der

literaturgeschichtliche Rahmen des Romans identifiziert werden: im Laufe der 600 Seiten löst Los

detectives salvajes sich nach und nach von den avantgardistischen Traditionen der literarischen

Moderne, denen er bei Eintritt der Erzählung noch verpflichtet ist. In diesem Zusammenhang

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stehen auch die diversen Bezüge zu Arthur Rimbaud: der offensichtlichste ist wohl die

Anspielung auf den französischen Dichter durch die Vornamenwahl „Arturo“.

Die vorliegende Arbeit geht von der Schlüsselrolle Rimbauds für die ästhetische Konzeption von

Los detectives salvajes aus. Avantgardistische Bewegungen benötigen einen Anführer und tragen das

Potenzial zur Verehrung eines Mythos in sich, wie es für die Surrealisten der Mythos Rimbaud ist.

Bolaños Roman vollzieht die Enttarnung des Mythos, die Entmythologisierung auf der Ebene

der Handlung, was den Weg für eine ungebundene, stetig mutierende, für eine nomadische

Poetik frei macht.

Das Nomadische spielt sich also auf einer räumlichen, politischen und poetischen Ebene ab.

Diese Ebenen spiegeln den dreigliedrigen Aufbau von Kapitel 2 und 3 wider, wobei Kapitel 2 mit

dem Konzept der Nomaden das theoretische Fundament für die literarische Analyse in Kapitel 3

legt. Die drei Ebenen greifen ineinander und weisen ähnliche, z. T. paradoxale Strukturen auf.

Roberto Bolaño wurde 1953 in Santiago de Chile geboren. Er verlebte einen Großteil seiner

Jugend in Mexiko, wo er die avantgardistische Dichterbewegung „Infrarrealismo“ mit

begründete1. Bevor er 1977 nach Katalonien zog, nahm er 1973 kurz am Protest gegen den durch

Augusto Pinochet ausgeführten Militärputsch in Chile teil. Diese und andere Erfahrungen finden

sich in seiner Figur Arturo Belano wieder, die als Alter Ego2 des Autors in mehreren seiner

Erzählungen und Romane, z. T. leicht abgewandelt, auftritt. Arturo Belano ist, ebenso wie sein

Schöpfer, von genereller Staatenlosigkeit gekennzeichnet und ständig unterwegs.

Die Parallelen zwischen Belano und Bolaño könnten dazu verleiten, sich die Person Bolaño über

die fiktiven Eigenschaften Belanos zu erschließen oder sich Unklarheiten und Leerstellen in der

Erzählung über Interviews mit Bolaño oder Essays von ihm zu erklären. Für das Thema dieser

Arbeit wäre dies umso reizvoller, da Bolaño viele interessante Gedanken zum Exil und dem

Konzept der patria geäußert hat3. Dennoch sollen diese realen Quellen in der folgenden Arbeit

ausgespart bleiben. Für die Erschließung des Nomadischen in Los detectives salvajes bietet der

Roman selbst genügend Anhaltspunkte.

                                                            1 http://www.infrarrealismo.com/ 2 Benennt er auch selbst so, vgl. Bolaño über Promis 2003: 50. 3 Beispielsweise sei patria für ihn: „[…] algunos instantes, algunas calles, algunos rostros o escenas o libros que están dentro de mí y que algún día olvidaré, que es lo mejor que uno puede hacer con la patria.” (Bolaño 2004: 331)

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2. THEORETISCHE GRUNDLAGEN: DAS KONZEPT DER NOMADEN

Nomaden berühren viele wissenschaftliche Gebiete: Geographen, Soziologen und Ethnologen

haben sich mit ihnen beschäftigt. Die bekannten Abhandlungen von Gilles Deleuze und Félix

Guattari (im Folgenden: DuG) aus dem Jahre 1980 haben dem Nomaden den Weg in die

Philosophie geebnet, sie haben die nomadische Bewegung konzeptualisiert und ihr eine politische

und eine poetische Funktion hinzugefügt.

Es wird sich auf den nächsten Seiten zeigen, dass DuGs Konzept der Nomaden, auch wegen

seiner breiten Spannweite, nicht unproblematisch ist. Eine der größten Schwierigkeiten besteht

darin, das ethnologische Untersuchungsobjekt „Nomade“ auf die Philosophie zu übertragen.

Damit stellt sich die erste Frage gleich an dieser Stelle: auf wen beziehen DuG sich mit ihrem

Nomadenkonzept? Was hat das Konzept der Nomaden mit den Beduinen oder Tuareg gemein?

Offensichtlich die ständige Fortbewegung, doch darüber hinaus ist die Inspiration des Konzeptes

der Nomaden durch „echte“ Nomaden nur oberflächlich. Die Route letzterer ist keinesfalls so

frei gewählt, wie das Bild eines umherziehenden Nomaden es andeuten möchte, vielmehr folgen

Nomaden gewohnten Pfaden, die ihnen das Überleben sichern (Gebhardt/Hitzler/Schnettler

2006: 11). Das Nomadische dient insbesondere bei DuG vielmehr dazu, ein Idealmodell eines

ungebundenen, postmodernen Subjektes4 zu entwerfen: dabei spielt die historische Abhandlung

von Nomaden keine Rolle.5 Unter dieser Voraussetzung ist das Nomadische eine ausgeweitete

und auch idealisierte Metapher für ständige (Befreiungs-)Bewegungen. Diese Metapher liegt der

vorliegenden Arbeit zugrunde.

2.1. Der Nomade: ein mobiles und globalisiertes Subjekt

In der globalisierten Welt dreht sich alles um Mobilität: wo bindende Strukturen sich auflösen

oder verflüssigen (Bauman 2007: 1), der Standort an Bedeutung verliert und nomadisches Kapital

regiert (Bauman 1998: 71), wird Mobilität zur gesellschaftlichen Norm. Neue Technologien der

kommunikativen Vernetzung und Transporttechniken unterstützen die weltweite Verflechtung

und erleichtern die viel begehrte Mobilität, die mit Fortschritt, positivem Wandel, geistiger

                                                            4 “[…] Nomadic movement is a metaphor […] and a normative goal for the postmodern subject who should ‘keep moving, even in place, never stop moving’ ” (Best/Kellner 1991: 103) 5 DuGs Ansatz, keine ethnographische oder historische Darstellung von Nomaden zu beanspruchen, ist nicht unproblematisch: er geht insofern nicht auf, als dass sie sich auf anthropologische Studien berufen, die sehr wohl einen historisch korrekten Anspruch hegen (Miller 1993: 11).

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Flexibilität sowie Freiheit assoziiert wird (Cresswell 2006: 43). Sie findet im reisenden

Kosmopoliten oder mobilen Arbeitnehmer ihren konkreten Ausdruck.

Doch auch wenn Bewegungsfreiheit als Handlungsfreiheit zelebriert wird (Bauman 1998: 70),

bedeutet das nicht, dass sie auf freiwilliger Basis beruht:

Moderne ist die Unmöglichkeit zu verharren. Modern sein heißt, unterwegs sein; es basiert nicht unbedingt auf eigener Wahl – wie man sich auch das Modernsein nicht aussucht. […] In einer solchen Welt sind alle Bewohner Nomaden […]. (Bauman 1999: 128)

Die Omnipräsenz der Mobilität spiegelt den Fortschrittsdrang und die damit verbundene

Abneigung gegenüber Stagnation der modernen Gesellschaft wider, gleichzeitig aber auch ihre

Verunsicherung. In der globalisierten Welt ist nichts mehr von Dauer; Flüchtigkeit, Haltlosigkeit

und Vergänglichkeit charakterisieren die Dinge, die uns umgeben. Zwar profitieren wir von der

Freiheit, aus einer scheinbar unerschöpflichen Vielzahl an Möglichkeiten zu wählen6, DASS wir so

viele Möglichkeiten haben, können wir uns aber nicht aussuchen (Bauman 1998: 84). Daraus

folgen ein innerer Drang nach stetiger Veränderung und die Vermeidung jeglicher Festlegung

(Bauman 1999: 160). Denn in dem Wissen woanders sein zu können, stellt sich weniger die

Frage, warum man sich fortbewegt, sondern eher, warum man überhaupt bleibt (Bauman 1998:

77). Mobilität konstituiert sich somit als elementarer Bestandteil unserer Identität. Wir folgen den

vielen Versuchungen, die uns die Welt bietet, doch kann unser Verlangen nie endgültig gestillt

werden, da jede neue Attraktion noch vielversprechender wirkt als die vorangegangene (Bauman

1998: 84). Das ist Baumans Kondition des (post-)modernen7 Menschen: die Verurteilung zur

endlosen Mobilität, zum Dasein als Nomade.

Es ist interessant, dass ausgerechnet der einst als unzivilisiert und primitiv geltende Nomade in

letzter Zeit zunehmend in den Fokus gerückt ist. Betrachtet man die Zivilisationsgeschichte laut

Bauman als Sieg der einst als fortschrittlich geltenden Sesshaften über regressive, barbarische

Nomaden (Bauman 2000: 187), so wirkt es fast schon paradox, dass nun „the revenge of

nomadism“ (Bauman 2000: 13) gefeiert wird. Der Übergang von einem soliden in ein flüssiges

Zeitalter gemäß Bauman bringt eine Privilegierung mobiler Lebensformen mit sich und lässt

Verwurzelung und Ortsgebundenheit fast schon reaktionär erscheinen (Cresswell 2006: 55). Der

Nomade wird zum Helden der weltlichen Bevölkerung stilisiert, seine Wurzellosigkeit und

Exterritorialität als Metapher des globalisierten Zeitalters gehandelt und seine Mobilität als

absolute Ungebundenheit zelebriert.

                                                            6 Bauman (1999: 131) stellt die Frage, ob wir tatsächlich davon profitieren oder es ein Zwang ist, den wir uns schönreden. 7 Bauman (1999: 143) ist sich nicht sicher, ob wir noch in der Moderne oder schon in der Postmoderne leben.

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Was genau zeichnet einen Nomaden aus? DuG beschreiben die essentielle Bewegung des

Nomaden folgendermaßen:

[…] même si les points déterminent les trajets, ils sont strictement subordonnés aux trajets qu’ils déterminent, à l’inverse de ce qui se passe chez le sédentaire. (DuG 1980: 471)

DuG charakterisieren Nomaden in Abgrenzung zu Sesshaften so, dass erstere sich zwar von

einem Punkt zum nächsten fortbewegen, jedoch sind die Punkte dem Weg untergeordnet, sie

fungieren lediglich als Etappen, als Standorte, die exakt so ausgelegt sind, dass sie eine erneute

Mobilisierung ermöglichen. Die Punkte dienen nur dazu, wieder verlassen zu werden und nicht

dazu, sich an ihnen niederzulassen, wie es beim Sesshaften der Fall ist. Der Sesshafte wird über

seinen Standort, sein Zuhause definiert: wenn er einen Weg zurücklegt, dann nur, um einen

bestimmten Punkt zu erreichen, sein Weg ist den Punkten untergeordnet.

Nomaden lassen sich auch in Opposition zu Migranten definieren:

Le nomade n’est pas du tout le migrant; car le migrant va principalement d’un point à un autre, même si cet autre est incertain, imprévu ou mal localisé. (DuG 1980: 471)

Der Migrant ist ebenso wie der Nomade unterwegs. Der entscheidende Unterschied besteht

jedoch darin, dass der Migrant längerfristig eine Etablierung an einem Punkt, also Sesshaftigkeit,

eine Reterritorialisierung (DuG 1980: 473) anstrebt, was beim Nomaden definitorisch

ausgeschlossen ist. Die Punkte sind beim Migranten also, anders als beim Nomaden, mehr als nur

Stationen, sie können ein Ziel darstellen. Die Bewegung des Migranten führt von einem Punkt zu

einem (wenn auch undefinierten) anderen Punkt. Für den Nomaden hingegen besteht das Ziel in

der Bewegung selbst.

DuGs Nomaden verteilen sich in einem glatten Raum. Ein glatter Raum, das ist ein offener,

dynamischer Raum, der ohne Grenzen ist und sich nicht aufteilen oder besetzen lässt (DuG

1980: 472). Konkret ist neben dem Meer insbesondere die Wüste ein typischer nomadischer

Raum. DuGs räumliche Metaphorik ist historisch inspiriert, schließlich verkehren Nomaden

traditionell in Wüstenregionen. Auch Bauman (1999: 129) hebt die speziellen Eigenschaften der

Wüste hervor: sie lässt sich nicht markieren, Spuren werden sofort wieder verweht. Diese

Unbesetzbarkeit und Grenzenlosigkeit wird oft mit Freiheit assoziiert (Kaplan 1996: 65). Der

glatte Raum bietet keine (Anhalts-)Punkte, nur Linien. Auch von der Struktur des Raumes rührt

also die Notwendigkeit des Weiterziehens her: nomadische Subjekte und ihr Lebensraum

bedingen sich gegenseitig. Nomaden machen sich den Raum nie zu eigen, sie besetzen ihn nie

endgültig, sie bewegen sich lediglich in ihm, ohne sich ihm zuordnen zu lassen, kurzum: sie sind

deterritorialisiert (DuG 1980: 473).

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Auf der anderen Seite steht der gekerbte Raum, der Sesshaftigkeit begünstigt. Der gekerbte Raum

ist metrisch erfassbar, architektonisch messbar, lässt sich also markieren und besetzen. Er ist

begrenzt, in Gebiete aufgeteilt, die wiederum durch Straßen verbunden sind (DuG 1980: 472).

Migranten und Sesshafte leben in ihm.

Den Nomaden kennzeichnet also die deterritorialisierende Bewegung, doch dann:

Aussi est-il faux de définir le nomade par le mouvement. […] le nomade est plutôt celui qui ne bouge pas. Alors que le migrant quitte un milieu devenu amorphe ou ingrat, le nomade est celui qui ne part pas, ne veut pas partir, s’accroche à cet espace lisse […]. Bien sûr, le nomade bouge, mais il est assis, il n’est jamais assis que quand il bouge. (DuG 1980: 472)

Auf den ersten Blick wirkt dieses Zitat widersprüchlich: der Inbegriff des Mobilen bewegt sich

nicht? Einen ersten Ansatz bietet Kaplan (1996: 89): die nomadischen Bewegungen haben keinen

Startpunkt und keinen Ankunftspunkt, es gibt nur temporäre Stationen, somit befindet der

Nomade sich in einem ständigen Intermezzo. DuG betonen aber, dass der Nomade in seinem

glatten Raum verharrt. Zwar überschreitet er aus sesshafter Sicht ständig Grenzen der Ordnung,

die Grenzen seiner eigenen Lebensform überschreitet er aber nie. Der Nomade verschließt sich

einer tiefer gehenden Etablierung an einem Ort von vorneherein: seine Route gleicht einer

Fluchtlinie, einer Deterritorialisierungslinie (DuG 1980: 15f.). Dadurch macht er sich

unangreifbar, widersetzt sich aber auch jeglicher internen Evolution. Trotz der permanenten,

physischen Fortbewegung verweilt er mental in der immer gleichen Phase. Der Nomade ist

gekennzeichnet durch örtliche Veränderung: das ist aber eine unveränderliche Eigenschaft, in der

Hinsicht herrscht Stillstand. Der Nomade steht für die Stetigkeit der Veränderung.

Dadurch, dass der Nomade Orte immer nur im Vorbeiziehen betrachtet, erhält er sich den

Anspruch auf Utopien. Glatte Räume sind Orte der Utopien, da sie eine Realisierung

ausschließen. Ist es in der Moderne die Jagd nach immer neuen Utopien, die den Menschen

glauben lassen, er kenne die Lösung zur Rettung der Menschheit (Bauman 2007: 98), so wird

diese Perspektive in der Postmoderne durch eine neue, desillusionierte Vision ersetzt: die des

ständigen Unterwegsseins (Bauman 2007: 104). Nie ankommen und sich nicht festlegen ist das

Credo dieser nomadischen Utopie. Das nächste Kapitel wird zeigen, was das Nomadische für

politische Implikationen mit sich führt.

2.2. Mobilität als Protest und Entwurzelung: der Nomade und der Staat

Aus der Perspektive des Staates sind Nomaden insofern seit jeher unerwünscht, als sie sich durch

stetige Fortbewegung dem Zugriff durch das Gesetz entziehen: ihre unstete Lebensform läuft der

territorialisierten Welt zuwider. Zwar bewegen sie sich innerhalb eines Staatsgebietes und

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überschreiten Staatsgrenzen, jedoch lassen sie sich selbst keinem Staat zuordnen. Identifizierung

durch Lokalisierung ist aber der Grundbaustein für jeden Staat und Sesshaftigkeit ein

grundlegendes Prinzip staatlicher Kontrolle. Nomaden sind durch ihre räumliche

Unzugehörigkeit unangreifbar und unidentifizierbar. In der frühen Neuzeit waren Vagabunden

und Landstreicher allein durch ihr ständiges Mobilsein bedrohlich (Cresswell 2006: 12f.), das als

Aufruhr gegen die Moral des Sesshaften und Angriff auf Ordnung und Sicherheit gewertet

wurde.

Das Nomadische greift noch tiefer in die elementaren Strukturen des Staates ein. Das

Selbstverständnis eines jeden Staates fußt auf territorial gebundener Kontrolle. Kontrolle über

den Raum legt den Grundstein für Macht (Cresswell 1996: 12). Den Raum zu kontrollieren heißt,

in DuGs Terminologie, ihn zu kerben (DuG 1980: 479): der Staatsapparat, repräsentiert durch

Institutionen und Behörden, ausgeführt durch Ingenieure und Architekten, kerbt den Raum zum

einem durch Häuser, also mögliche Wohnorte, zum anderen aber auch durch eine spezielle

Anordnung von Straßen und Schienen, die potenzielle Routen, eine bestimmte Geschwindigkeit,

sowie Entfernungen und Richtungen vorgeben (DuG 1980: 479). Die Auswahl bleibt immer

begrenzt im gekerbten Raum, Bewegung wird eingeschränkt: sie muss definiert, klar konturiert

sein, einen Abfahrts- und Ankunftspunkt haben. Unkontrollierte Bewegungen auf dem

Staatsgebiet hingegen müssen unterbunden werden, da sie sich alternativ gegen die Struktur des

Staates wenden (DuG 1980: 480).

Wegen der speziellen Eigenschaften des glatten Raumes, die eine Kerbung ausschließen, kann

Bewegung in ihm nicht limitiert werden und ist staatliche Regulierung nur begrenzt möglich:

glatte Räume wie Wüstenregionen sind staatenloses Territorium oder erfordern „une instance

plus dure“ (DuG 1980: 478). Dass Nomaden keiner Nation angehören, ist also keine historische

Koinzidenz: dadurch, dass sie sich in einem glatten Raum verteilen, sind sie per se nicht

zuzuordnen und herrenlos.

Doch was genau macht den subversiven Charakter von Nomaden und ihren Bewegungen aus?

Das Potenzial, der Ordnung des Staates zuwiderzulaufen, bündelt sich in DuGs machine de guerre,

einem Terminus, der, anders als man bei der Wortwahl vermuten würde, nicht vorrangig

militärische Züge hat oder zwangsläufig Krieg impliziert8 (Ott 2005: 110). Nomaden organisieren

sich als Kriegsmaschine, deren wichtigstes Kriterium darin besteht, dass sie sich AUßERHALB der

Souveränität des Staates befindet (DuG 1980: 435). Der rebellische Charakter der nomadischen

                                                            8 Tatsächlich wird aus der Kriegsmaschine nur dann zum Kriegsinstrument, wenn der Staat sich die Kriegsmaschine einverleibt (DuG 1980: 520f.).

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Kriegsmaschine entsteht daraus, dass der Staat sich die Kriegsmaschine nicht zu eigen machen

und daher auch nicht beherrschen kann (DuG 1980: 445).

Staat und Kriegsmaschine schließen sich allein schon durch ihre interne Struktur aus, die bei

Kriegsmaschinen vom Typ Rhizom ist. Das wiederum DuG-spezifische Rhizomkonzept geht auf

den biologischen Begriff zurück, der ein Gefüge bezeichnet, das aus vielen verschiedenen

Wurzeln besteht, die in alle Richtungen wachsen, beliebige Verbindungen eingehen und ohne

über- und untergeordnete Komponenten oder Hauptwurzel sind (DuG 1980: 13). Es geht also

um eine nicht-hierarchische und azentrische Organisation (DuG 1980: 32), die stattdessen auf

Kollektivität und Konnexion beruht (DuG 1980: 13). Die nomadische Kriegsmaschine ist

rhizomartig organisiert: ihre Mitglieder sind gleichgestellt und ohne Anführer. Nomadische

Strukturen sind nicht auf Machtübernahme oder Bildung eines Staates ausgerichtet (DuG 1980:

462). Dies steht in Opposition zum Staatsapparat, der nach dem hierarchischen Baummodell

aufgebaut ist. Dieses weist einen zentralen Stamm, eine Hauptwurzel, auf, von dem sich die

anderen Teile in Dichotomien und Dualismen abzweigen. Die interne Struktur des Baummodells

ist auf Herrschen ausgelegt.

DuG machen über den Terminus der Kriegsmaschine aus dem Nomaden eine Figur mit

politischem Widerstandspotenzial (Cresswell 2006: 50). Seine unkontrollierten Bewegungen

machen ihn für den Staat nicht greifbar und brechen mit den grundlegenden Ordnungen und

Disziplinen der Gesellschaft. Irreguläre, ungeplante Demonstrationen und Protestbewegungen

weisen z. B. nomadisches Potenzial auf, weil sie subtil und spontan die ordnende Kraft des

Staates untergraben. Die Straße zu besetzen hat dabei immer symbolischen Charakter (DuG

1980: 480), da sich Macht eben räumlich manifestiert. Der transgrediente Charakter von

Nomaden liegt in ihrer horizontalen Mannigfaltigkeit, in ihrer unkontrollierbaren Dynamik, in

ihrer (be)freien(den) Bewegung. Daher rührt die Zelebrierung des Nomaden:

Deleuze and Guattari now champion nomads. […] Nomads provide new models for existence and struggle. […] Nomad life is an experiment in creativity and becoming, and is anti-traditional and anti-conformist in character. The postmodern nomad attempts to free itself of all roots, bonds and identities, and thereby resists the state and all normalizing powers. (Best/Kellner 1991: 103)

Wurzellosigkeit als Programm: an dieser Stelle wird der idealisierende Charakter des

Nomadenkonzeptes DuGs sichtbar. Sich als postmoderner Nomade von seiner nationalen

Identität zu trennen und als logische Konsequenz daraus auf seine Staatsangehörigkeit zu

verzichten, würde zumindest in der aktuellen Welt nicht einer absoluten Freiheit, sondern einer

völligen Immobilität gleichkommen, denn keine Staatsgrenze könnte mehr problemlos überquert

werden.

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Die Illusion der Grenzenlosigkeit belegt zudem, dass kaum ein Konzept in der globalisierten

Welt derart ambig besetzt ist wie Mobilität. Kontrollierte, freiwillige Formen der Mobilität

werden gefördert, wenn man beispielsweise die Freizügigkeit von Arbeitnehmern innerhalb der

Europäischen Union9 bedenkt, während alternative Formen der Mobilität auch den Staat von

heute vor Herausforderungen stellen, wie es die Ausweisung der Roma und Sinti in Frankreich im

Jahre 2010 oder der generelle Umgang mit Flüchtlingsbewegungen zeigen.10 Mobilität ist also

immer relativ zu den Subjekten, die sie betreiben, sowie zu ökonomischen und soziokulturellen

Faktoren (Kaplan 1996: 99). Dies stellt auch die Prämisse infrage, Mobilität mit Freiheit

gleichzusetzen.

Weil er Mobilität primär als Privileg betrachtet, verwirft Bauman (1993; 1998) das

Nomadenkonzept zugunsten einer differenzierteren Typologie: der des Touristen und des

Vagabunden. Für ihn repräsentiert der Tourist die frei gewählte Mobilität, da er dorthin reist,

wohin er will11 und in einer Tourismus begünstigenden Welt wegen seiner Zahlkraft fast überall

willkommen ist. Des Vagabunden Mobilität hingegen beruht darauf, dass er nirgendwo

willkommen ist. Konkret ist der Bauman’sche Vagabund ein aus seiner Heimat Vertriebener, ein

politischer Flüchtling, ein Exilant, Migrant und/oder Asylsuchender (Cresswell 2011: 251), der

auch an neuen Orten zurückgewiesen wird:

Even if they are stationary for a time, they are on a journey never completed since its destination […] remains forever unclear, while a place they could call ‚final’ stays forever inaccessible. They will never be free from a gnawing sense of the transience, indefiniteness and provisional nature of any settlement. […] Once a refugee, forever a refugee. Roads back to the lost (or rather no longer existing) home paradise have been all but cut, […] (Bauman 2007: 38)

Vagabunden sind ebenso wie der Tourist von Mobilität gekennzeichnet, nur beruht ihre Mobilität

auf dem nie endenden Übergangszustand ihrer Situation: alle Dinge sind provisorisch geprägt

und ein angestrebtes „neues Zuhause“ ist ausgeschlossen. Es wird offensichtlich, dass Bauman

ein pessimistischeres Bild des Migranten zeichnet als DuG, denn für DuGs Migrant besteht

zumindest die Möglichkeit einer Reterritorialisierung.

Tourist und Vagabund sind bei Bauman Ausdruck desselben Phänomens: der globalen

Mobilisierung. „These are the vagabonds; dark vagrant moons reflecting the shine of bright tourist

suns […]” (Bauman 1998: 92). Ihre Komplementarität äußert sich für Bauman darin, dass die

einen sich freiwillig bewegen und die anderen unfreiwillig bewegt werden, dass die einen movement

                                                            9 Die Freizügigkeit von Arbeitnehmern innerhalb der E.U. ist festgelegt in Artikel 45 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV): 3. Teil, Titel IV, Kapitel 1, seit 30.11.2009 (Vertrag von Lissabon). 10 Kaplan (1996: 4) macht einen Unterschied zwischen forced und voluntary movement, obwohl Flüchtlingsbewegungen streng genommen auch freiwillig motiviert sein können. Mit erzwungener oder unfreiwilliger Mobilität ist im Folgenden also eine politische oder ökonomische Ausgangssituation gemeint, die zum Fortgehen verleitet. 11 Der Begriff Tourist muss sich nicht nur auf einen Reisenden beziehen: er meint die generell privilegierte Mobilität.

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symbolisieren und die anderen displacement, die einen Globale und die anderen Marginale sind. Da

soziale Mechanismen sich im Raum abspielen, werden Inklusion und Exklusion primär auf

territorialer Ebene sichtbar (Cresswell 1996: 15).

Das Nomadenkonzept spiegelt zudem ein Stückweit westliche Nostalgie nach einsamen

Subjekten und nicht industrialisierten Räumen wie der Wüste wider (Kaplan 1996: 90).

Like the vagabond, the tourist is extraterritorial; but unlike the vagabond, he lives his extraterritoriality as a privilege, as independence, as the right to be free, free to choose; as a licence to restructure the world. (Bauman 1993: 241)

Ein Flüchtling kann tatsächlich staatenlos, entwurzelt sein und in einer Art Gesetzlosigkeit leben:

Attribute, nach denen der Nomade, unter dem Deckmantel von Begriffen wie Exterritorialität,

Wurzellosigkeit und Ungebundenheit, strebt, die sich aber in der Realität weniger glamourös

gestalten.12

Tourist und Vagabund zeigen den ambivalenten Charakter des Nomaden-Konzeptes: sie sind

eine realistische Version des Nomaden13. Es geht also an dieser Stelle nicht darum, DuGs

Konzept durch Baumans Konzept zu ersetzen, sondern vielmehr, die Grenzen des für diese

Arbeit zentralen Nomadenkonzeptes aufzuzeigen. DuGs Konzept der Nomaden hat Defizite in

seiner konkreten Anwendung, sowohl im Hinblick auf historische Nomaden als auch auf

westlich-postmoderne Nomaden, wenn man realpolitische Gegebenheiten berücksichtigt.

Während Baumans Konzept ökonomische Faktoren in den Vordergrund stellt, ist DuGs

Nomade ein abstrakter Bewegungstyp ohne Geschichte (DuG 1980: 490) und ihr Konzept ist auf

einer abstrakten Ebene reichhaltig und in sich schlüssig. Ihr viel rezipiertes theoretisches

Fundament bietet den für diese Arbeit wichtigen Bezug zu Ästhetik und Politik.

In diesem Kapitel wurde gezeigt, wie DuG das räumliche Konzept des Nomadischen in eine

politische Dimension überführen, indem sie den Nomaden mit Protestpotenzial füllen, da er den

Pflichten und Normen des Staates durch bewusste Transgression entflieht: nomadische Mobilität

entspricht bei DuG also einer anarchischen Bewegung.

Versucht man, beide Konzepte in Ergänzung zueinander und im Hinblick auf ein sich

globalisierendes Zeitalter zu betrachten, so wird klar, dass die von DuG thematisierte territorial

gebundene Kontrollmacht immer schwieriger zu fassen ist. Was ist ihr „Staatsapparat“ in der

globalisierten Welt? Mit der einschreitenden Globalisierung büßen Nationalstaaten zugunsten

einer kaum greifbaren, nicht zentrierten, globalen Macht immer mehr von ihrem Wirken ein

(Bauman 2007: 2). Ein „schwacher“ Staat mit durchlässigen Grenzen begünstigt den globalen

                                                            12 Zur weiterführenden Kritik an DuG im Kontext der postcolonial studies und des Orientalismusdiskurses, im Hinblick auf Eurozentrismus, Mystifizierung und Romantisierung, vgl. Kaplan 1996; Cresswell 2006. 13 Cresswell (2011: 247) bezeichnet den Vagabunden als Cousin des Nomaden.

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Handel. Damit wird die Idee einer „natürlichen“ geographischen Grenze immer schwieriger

haltbar (Bauman 1998: 12, 77): Insofern nähern wir uns vielleicht einem nomadischen Zeitalter,

denn die ordnende Macht der Welt agiert nicht mehr lokal, sondern scheint sich selbst stetig

fortzubewegen und sich transnational, ja, nomadisch, in der Welt zu verteilen.

Wenn auch mit anderen Ursachen und Konsequenzen, sind wir demnach alle von

Unzugehörigkeit gekennzeichnet: der Staat hat keine bindende, keine festlegende Funktion mehr,

Nationalität und Territorialität als Bestandteil unserer Identität schwinden. Ob idealisiert oder

nicht, ob frei(willig) oder nicht – entwurzelt zu sein ist Teil unseres mobil-globalen Zeitalters.

Im Kontext des Werkes von Roberto Bolaño sind alle bisher genannten Bewegungstypen

(Migrant, Nomade, Vagabund und Tourist) von Interesse. Zuvor wenden wir uns dem letzten

Teil der Theorie zu: der ästhetischen Dimension des Nomadischen.

2.3. Das Nomadische im Kontext der modernen Poetik: der Mythos

Rimbaud

Während DuG (1980: 469) Johann Wolfgang von Goethe als einen „véritable homme d’Etat“

bezeichnen, verstehen sie Autoren wie Heinrich von Kleist, Franz Kafka und Arthur Rimbaud im

Sinne der Kriegsmaschine: ihr Werk ist davon gekennzeichnet, in der Peripherie (DuG 1980:

468), im Abseits, außerhalb der Norm des „Staates“ entstanden zu sein. DuGs Mobilitätskonzept

lässt sich also auf die Künste übertragen: wegen des abstrakten Charakters des (appareil d’)Etat

kann der Begriff den Staatsapparat, aber ebenso eine andere ordnende Instanz meinen,

beispielsweise die Institution Kunst. Dafür orientieren wir uns an der folgenden Definition:

Mit dem Begriff Institution Kunst sollen […] sowohl der kunstproduzierende und distribuierende Apparat als auch die zu einer gegebenen Epoche herrschenden Vorstellungen über Kunst bezeichnet werden, die die Rezeption von Werken wesentlich bestimmen. (Bürger 1974: 29)

Auf die Literatur bezogen gehören zum Apparat (etablierte) Autoren, Verlage sowie

zeitgenössische Strömungen. Man könnte darüber hinaus auch an Literaturpreiskomitees, die

Literaturkritik und -wissenschaft denken, die durch Einordnung in Genres und Epochen sowie

durch Kanonisierung die Fixierung von Werken vornehmen. Jede Institution hat eine festlegende

Tendenz und so setzt die Tatsache, sich außerhalb jener zu befinden, eine unkontrollierte und

unkontrollierbare Bewegung, die nomadische Dynamik à la DuG frei. In ästhetischen Kategorien

entspricht dies einer ungestörten und ungehemmten Denk- und Schreibweise. Sicherlich ist es

problematisch, diese Ungebundenheit mit Kreativität gleichzusetzen, dennoch führt die

Ungezwungenheit nicht-etablierter Literatur – man muss sich nicht konform zu Normen und

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Konventionen der literarischen Institution verhalten oder in diesem Sinne schreiben – zu relativ

freier Entfaltung und in eine Prozesshaftigkeit (DuG 1980: 468). Die Deterritorialisierung

überträgt sich auf die Schreibweise und führt bei DuG zu einer Poetik des Werdens, nach der die

Seele eines Kunstwerkes in seiner Außenseiterposition und ständigen Metamorphose besteht: es

geht darum, sich ständig selbst zu erneuern, zu transgredieren und zu überbieten.

Die periphere Denkweise ist außerdem von einer stilistisch-linguistischen Exterritorialität

gekennzeichnet:

[…] il n’y a pas de langue en soi, ni d’universalité du langage, mais un concours de dialectes, de patois, d’argots, de langues spéciales. Il n’y a pas de locuteur-auditeur idéal, pas plus que de communauté linguistique homogène. […] Il n’y a pas de langue-mère, mais prise de pouvoir par une langue dominante dans une multiplicité politique. (DuG 1980: 14)

Sprache ist für DuG keine Einheit, sondern ein Gefüge aus Dialekten, Umgangssprachen und

Fachsprachen. Der Begriff der Hoch- oder Standardsprache wird dem Mosaik aus Varietäten, aus

dem sich Sprache zusammensetzt, nicht gerecht und ist lediglich auf normierende Tendenzen des

Staatsapparats und eine spezielle Sprachpolitik zurückzuführen.

Die gesellschaftliche Außenseiterposition führt in einen „combat d’avance perdu“ (DuG 1980:

440), in einen vergeblichen Kampf der freien, werdenden Schriften gegen die normierenden

Tendenzen des Literaturbetriebs. Aber sie erhöht auch immer das Protestpotenzial der

nomadischen Literatur, die gerade dadurch, dass sie sich so frei außerhalb des Etablissements

bewegt, immer eine politische Brisanz impliziert. Für DuG ist minoritäre Literatur ein linguistisch

rhizomartiges Gefüge, das nie ideologisch ist (DuG 1980: 10), aber immer politisch, da jede

subjektive Aussage aus dem Gefüge gleichzeitig Ausdruck der Kollektivität ist (DuG 1975: 30f.).

Nomadische Literatur hat gemäß der Konzeption der Kriegsmaschine keine Hierarchie: „[…] la

pensée nomade ne se réclame pas d’un sujet pensant universel, […]“ (DuG 1980: 469). Keinen

Universalitätsanspruch zu hegen kann auf literarischer Ebene den Verzicht auf einen

repräsentativen Anspruch sowie auf einen auktorialen Erzähler bedeuten. Es kann sich aber auch

auf die Rolle des Autoren beziehen, der sich, trotz Erfolg, nicht festlegen oder etablieren lässt,

der sich immer wieder selbst erneuert und ein Werden personifiziert und in seinem Schreiben

forciert.

Im Kontext der ständigen Transgression, der Selbstdefinition in Abgrenzung zu Institutionen

und der damit verbundenen immer präsenten politischen Sprengkraft, drängt sich einem

geradezu DIE künstlerische Strömung des 20. Jahrhunderts auf: die Avantgarde. Das Erbe der

Avantgarde prägt bis heute gängige Kunstauffassungen: Kunst als Motor des Fortschritts, mit

dem Willen zu ästhetischen oder gesellschaftlichen Traditionsbrüchen, mit dem Muss der

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ständigen Erneuerung und einem grundsätzlich kritisch-subversiven Charakter. All das gilt noch

immer, auch wenn diese Ansätze heute nicht mehr innovativ, sondern, trotz ihrer anti-

institutionellen Haltung, schon institutionalisiert sind. Avantgardistische Strömungen verkörpern

die Versprechen der Moderne (Quero/Venegas 2006: 32f.) und so ist die Avantgarde moderne

Kunst par excellence. Ihr Ansatz widerspricht dem Autonomiecharakter von Kunst; Kunstwerk

und Leben lassen sich in der Avantgarde nicht trennen (Quero/Venegas 2006: 33). Kunst dringt

in alle Bereiche des Lebens, beansprucht daher auch „Mitspracherecht“ in politischen

Angelegenheiten und ethischen Fragen.

Eine der Leitfiguren für die avantgardistischen Gruppierungen des 20. Jahrhunderts,

insbesondere den Surrealismus, ist der französische Dichter Arthur Rimbaud (1854-1891), den

die Unmöglichkeit kennzeichnet, an Ort und Stelle auszuharren14. Er ist ein rastloser piéton: „De

l’enfance à la mort, Rimbaud fut un debout, […] un poète, mais de grand chemin“ (Etiemble

1952: 255). „La rage de fuir“ betitelt Gros (2009) sein Kapitel über Rimbaud, denn Rimbauds

stetiges Wandern entspricht einer Art Getriebenheit, einer Flucht ohne Ziel: „‘[…] j’ignore

personnellement où je me serai trouvé entraîné prochainement, et par quelles routes, et pour où,

et pour quoi, et comment!’ “ (Rimbaud über Gros 2009: 57). Im Sinne DuGs gibt es für den

Nomaden Rimbaud keine Punkte, die erreicht werden sollen15: es ist das reine Unterwegssein, das

sur la route, das zählt. Die fluchtartige Bewegung spiegelt den inneren Zwang wider: „revenir, c’est

un échec“ (Gros 2009: 70). Rimbaud verabscheut Sesshaftigkeit (Etiemble 1952: 255), die ist für

Andere gedacht: „les autres restent, demeurent sur place, figés.“ (Gros 2009: 70). Für ihn selbst

hingegen gilt, sich nirgends zu etablieren oder Fuß zu fassen, denn das Leben besteht im

Fortgehen und Weiterziehen.

Ist seine Emigration eine Flucht aus seinem Heimatland Frankreich, eine Art bewusst und

freiwillig gewähltes Exil? „Peu m’importent ces vaines et plutôt ridicules discussions, touchant

ceux des gènes, paternels ou non, qui l’auraient voué à ses départs.“, streitet Etiemble (1952: 256)

Rimbauds Deserteurfunktion ab. Er sieht keine eindeutige Tendenz bei Rimbaud: von den einen

wird er als Patriot16, von den Surrealisten als défaitiste-révolutionnaire (Etiemble 1952: 187) gefeiert.

Feststeht, dass er ein Heimatloser auf Wunsch ist (Etiemble 1952: 189) und Patriotismus

verabscheut: er betrachtet ihn als eine Hysterie wie jede andere, bloß mit dem Effekt, dass sie

                                                            14 Wie Bauman es ein Jahrhundert später als Kondition des (post-)modernen Menschen betrachtet. Für Rimbaud gilt: „Ici, c’est impossible“ (Gros 2009: 69). Rimbaud ist immer „de passage“ (Gros 2009: 75). 15 Zu Beginn verspricht er sich von seinen Reisen nach Afrika noch eine Reise ins „primitive Vaterland“ (Boym 1991: 108), doch vor Ort wird ihm bewusst, dass hier keine exotischen Sehnsüchte gestillt werden. In eben dieser Zweck- und Ziellosigkeit besteht für ihn ab dann der Sinn des Reisens (Boym 1991: 110). Die Ernüchterung mündet in reiner Mobilität. 16 Er meldet sich als Volontär in der Garde national (Etiemble 1952: 194).

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Leben kostet. Insofern ist patrie für Rimbaud ein bestialisches Konzept (Etiemble 1952: 110) und

er steht dem imperialistischen Frankreich kritisch gegenüber.

Rimbauds Tod ist mythenumrankt, obwohl er an einer nicht behandelten Syphilis in einem

Marseiller Krankenhaus starb und nicht, wie es die Fabel besagt, in Afrika verschwand. In Jean-

Paul Sartres Le sursis gilt Rimbauds Epoche als „‘Le temps des assassins ! […] L’influence de

Rimbaud a fait des ravages effrayantes’“ (Sartre über Etiemble 1952: 189). Sein angeblicher

Selbstmord gilt als Vorbild für eine ganze Generation: „La voie indiquée par Rimbaud, selon la

fable: celle du suicide“ (Etiemble 1952: 367), denn: „s’il n’y a pas eu suicide évident, il y a quand

même suicide“ (Etiemble 1952: 365), und „Le suicide doit être une vocation“ (Etiemble 1952:

368). Nicht nur Rimbauds Ausreißer aus seinem Elternhaus in frühen Jugendjahren sind fugues.

Auch sein Tod wird von seiner Nachwelt als poetische fugue stilisiert. Die Unabgeschlossenheit

des Verschwindens passt in den Zusammenhang des Nomadischen, in den offenen Raum, da

auch der Tod keine örtliche Fixierung mit sich bringt. Rimbaud inkorporiert (fälschlicherweise)

auch im letzten Stadium das nomadische Prinzip. Es wird also klar, was Etiemble schon in

seinem Vorwort zu Le Mythe de Rimbaud bemerkt: in jedem Mythos schwingt immer das Unwahre,

das Falsche mit.

Zwar hat Rimbauds räumliche Abwesenheit erheblich zur Konstituierung des Mythos Rimbaud

beigetragen. Zur avantgardistischen Leitfigur und zum literarischen Mythos avancierte er aber aus

anderen Gründen. Zum einen fordert Rimbaud in seinen Texten den revoltierenden Geist von

Literatur und betrachtet Dichtung als transgredienten, sogar als gewalttätigen Akt (Boym 1991:

105): Poesie solle fortschrittlich sein, Revolte üben, sich immer „en avant“ befinden17. Obwohl er

das Métier der Dichtung nie erlernt, durchdringt er geradezu instinktiv die Welt der Verse

(Etiemble 1952: 133). Stilistisch Gekünsteltes ist ihm fremd, es zählt nur die Gewalt der Worte

(Boym 1991: 104). Er reizt alle Dinge bis zur Grenze aus (Boym 1991: 105) und wird als „roi du

rhythme“ (Etiemble 1952: 293) gefeiert, seine Sprache gilt als pure Innovation, als etwas nie

zuvor Dagewesenes.

Umso krasser dann der Bruch, den er kurz darauf mit der Poesie vornimmt: „[…] un poète de

première grandeur qui, au faîte même de sa puissance créatrice, soudain cesse de créer“ (Etiemble

1952: 294). Trotz seines scheinbar naturgegebenen Talentes kehrt er, mit nicht einmal zwanzig

Jahren, der Welt der Dichtung den Rücken: „je ne sais plus parler“ (Rimbaud über Boym 1991:

97) und ohnehin sei Kunst reine sottise (Etiemble 1952: 113). Sein Überdruss an der Literatur

                                                            17 Rimbaud bringt an vielen Stellen das Bild eines Marsches (Boym 1991: 106f), was bereits die Metaphorik der Avantgarde antizipiert.

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führt aber nicht in den Selbstmord18, stattdessen stürzt er sich in die reine Kontingenz des

Lebens, in die existenzielle Routine (Boym 1991: 110), in die Arbeit, in „la vraie vie“ (Rimbaud

über Boym 1991: 109f.): Rimbaud reist nach Abessinien (heute Äthiopien), wird Waffenhändler

und arbeitet dort zeitweise als Journalist (Boym 1991: 109).

Eben diese Abkehr von der Literatur und die Hinwendung zum „echten“ Leben, die

Kombination aus außergewöhnlichem Talent und schmalem Werk verleihen ihm den Stellenwert

eines Wegbereiters verschiedener Avantgardebewegungen und machen ihn zum Mythos

Rimbaud. Es ist offensichtlich, dass sein Werk dabei nicht von seiner Biographie zu trennen ist:

der starke Einfluss Rimbauds auf die nachfolgende Literatur ist nicht nur mit seinen Texten,

sondern auch mit seinem Leben NACH der Literatur und der allgemeinen Frage nach den

Grenzen der Literatur verknüpft.

Das literarische Etablissement zu seiner Zeit verspottet er mit Gedichten wie Le cœur volé (1871),

das laut Boym stilistisch all den „bad taste“ des 19. Jahrhunderts widerspiegele: lateinische

Obszönitäten, Neologismen und Umgangssprache (Boym 1991: 103), eine anarchische Attacke

auf die gesetzten Literaten (Boym 1991: 100). Danach schweigt er in literarischer Hinsicht und

verschwindet der Legende nach in Afrika.

Für seine Anhänger macht er sich dadurch unsterblich, zudem hat er seinem Werk Nachdruck

verliehen. Das geringe Textvolumen regt die Fantasie seiner Anhänger umso mehr an: er wird

zum unangreifbaren, unerreichbaren Idol. Allein aufgrund seiner literarischen Abstinenz und

persönlichen Abwesenheit kann er gar nicht Teil des Etablissements werden und so wird ihm die

Endgültigkeit und Berechenbarkeit einer Institutionalisierung zu Lebzeiten nie zuteil. Aber auch

danach bleibt er nie ganz fassbar oder festlegbar, sondern geheimnisvoll, ein Mythos eben.

Es ist bezeichnend, dass ein Autor durch sein Schweigen als Schlüsselfigur der Moderne

zelebriert wird. Rimbaud ist der ultimative Avantgardist, da er die letzte Grenze gesprengt hat,

nämlich den eigenen ästhetischen Rahmen. Der Wunsch nach ewigem Fortschritt bewegt ihn

dazu, sich von der Literatur abzuwenden. Rimbauds letzte Transgression besteht also darin, sich

als Autor selbst geopfert zu haben.

Im Mythos Rimbaud offenbaren sich die Aporien der Avantgarde, die Enzensberger zufolge am

problematischen Anspruch progressiv-fortschrittlicher Kunst liegen, mit jeder Tradition

grundsätzlich zu brechen, eine absolute Neuheit in der Gegenwart zu repräsentieren und die

Zukunft für sich zu beanspruchen. Der Anspruch auf Universalität und Temporalität führt zum

                                                            18 Obwohl er mit diesem Gedanken spielt, vgl. Boym 1991: 111.

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Problem der Überholbarkeit des eigenen Werkes (Enzensberger 1976: 59). Denn ein Kunstwerk,

das seinen Wert vorrangig daraus zieht, heute aktuell und innovativ zu sein, verliert seinen Wert

am darauffolgenden Tag, weil es eben nur auf momentane Transgression ausgelegt ist.

Spätestens bei der Institutionalisierung, wie etwa der Ausstellung im Museum, finden

avantgardistische Werke ihren Tod. Die pionierhaften Avantgarden überschreiten sich in dem

Moment selbst, in dem sie erfolgreich werden. Denn plötzlich gehören sie selbst zu dem Kanon,

gegen den sie eigentlich wettern (Bauman 1999: 176). Ihre Daseinsberechtigung fußt auf Kampf

(Enzensberger 1976: 65): wenn sie dann auf Beifall statt auf Widerstand stoßen, verlieren sie ihre

Legitimation.

Die scheinbar unendliche Spirale des ständigen Drangs nach ästhetischer Innovation zieht

zwangsläufig die Frage nach den Grenzen der Norm- und Konventionsbrüche nach sich. Der

Gipfel scheint erreicht mit einer schwarzen Leinwand, einer leeren Galerie oder einem leeren

Blatt Papier: „Die Grenze für die als permanente Revolution gelebte Kunst war die

Selbstzerstörung“ (Bauman 1999: 177). So impliziert die Avantgarde ihren eigenen Tod: wenn sie

nicht selbst verstummt, wird sie von einer anderen Strömung überrollt (Quero/Venegas 2006:

40).

Der Mythos Rimbaud illustriert also die Destruktivität der avantgardistischen Kunstauffassung,

denn ein perfekter Avantgardist macht gar keine Kunst mehr. Außerdem zeigt sich in ihm, dass

jede Garde einen Anführer benötigt (Enzensberger 1976: 64), den sie verehren kann. Lebendige

Anführer sind ablösbar und ersetzbar. Ein Mythos hingegen bleibt wegen seiner nicht fassbaren

Struktur immer unerreichbar. Durch ihre Konzeption trägt die Avantgarde also den Hang zum

Personenkult, zur Mythologisierung in sich.

3. LITERARISCHE ANALYSE : DAS NOMADISCHE IN ‘LOS

DETECTIVES SALVAJES’

Im Folgenden geht es um Arturo Belano, einen der beiden Protagonisten19 aus Los detectives salvajes

(im Folgenden: LDS). Arturo Belano selbst kommt als Erzähler nie zu Wort: wir sind auf die

Informationen anderer angewiesen, um seine Spuren zurückzuverfolgen. Die Spurensuche

verkompliziert sich dadurch, dass wir nie sicher sind, ob wir der scheinbar zufälligen Auswahl an

Erzählern vertrauen können.

                                                            19 Falls man im Sinne der antihierarchischen Struktur in LDS noch von Hauptfiguren sprechen kann.

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3.1. Der mobile Protagonist: Stationen einer Reise

Nach seiner Entlassung aus der Psychiatrie erzählt Joaquín Font seinen Freunden von imaginären

Reisen in „la parte feliz del mundo“ (LDS 380) – Europa. In der Tat ist Reisen, insbesondere in

Richtung des alten Kontinents, für die meisten Figuren in LDS essentiell: Mobilität ist Teil ihrer

Identität. Für Chiara Bolognese tragen alle Figuren des Romans Merkmale der Rastlosigkeit und

Entwurzelung und haben somit nomadisches Potenzial. Dabei ist nicht so sehr die physische

Fortbewegung das entscheidende Merkmal, denn wenn die eigentliche Reise zu Ende ist, leben

Erinnerungen und Nostalgie weiter, die die „nomadische Seele“ der Figuren ausmachen

(Bolognese 2009: 195). Diese nomadische Kondition, die darüber hinaus gekennzeichnet ist

durch die Besetzung von lugares de tránsito20 und einer permanenten transitoriedad und precariedad

(Bolognese 2009: 91) äußert sich bei den Figuren Bolaños des Öfteren in Form einer inneren

Getriebenheit, die Baumans nomadischer Kondition des (post-)modernen Menschen entspricht:

der Unmöglichkeit zu verharren oder sich auf etwas festzulegen.

In LDS reisen die Figuren z. T. für einen begrenzten Zeitraum, manchmal streben sie aber auch

eine längerfristige Etablierung an einem Ort an: letztere sind im Sinne DuGs Migranten. Viele

von ihnen zieht es in die europäischen Metropolen Paris und Barcelona. Während Barcelona

auch häufig das erwünschte Ziel der Migration repräsentiert, nämlich das Erreichen eines Ortes

des Glücks (am meisten wohl für den mehrfachen Lottogewinner Andrés Ramírez, LDS 383-

397), so ist die Differenzerfahrung in Paris stärker und schmerzhaft für die betroffenen Personen

(Durán-Merk 2010). In Paris wird eine wirkliche Etablierung nicht möglich, also das Ziel der

Migration verfehlt: die prekäre Arbeits- und Wohnsituation ist ein Teil der negativen

Migrationserfahrung; darüber hinaus äußert sich die gesellschaftliche Ausgeschlossenheit in den

Schwierigkeiten mit der fremden Sprache, die sich insbesondere für die Kondition von Bolaños

Figuren als Schriftsteller stellt21; in Grüppchenbildungen, bei der die migratorische Erfahrung der

Exklusion in kleinem Rahmen fortgeführt wird22 sowie in dem allgemeinen Gefühl, unzugehörig,

verwahrlost, abgenutzt und vergessen in der Großstadt zu sein (LDS 234f.). Diese Migranten,

teils politische Flüchtlinge, sind Vagabunden im Sinne Baumans und schaffen es nicht, sich in

Frankreich eine neue Heimat aufzubauen.

                                                            20 Beispielhaft für einen Lugar de tránsito ist der Campingplatz. Dieser Ort ist auch in LDS von Bedeutung, Arturo Belano arbeitet dort als Nachtwächter. 21 Siehe LDS 231-234: Roberto Rosas möchte „Sang de satin“ von Michel Bulteau übersetzen und verzweifelt daran, da ihm dadurch die „[…] triste e irremediable condición de sudamericanos perdidos en Europa, perdidos en el mundo“ (LDS 234) bewusst wird. 22 In der peruanischen Kommune in der Rue de Passy in Paris, wird Hipólito Garcés von den anderen dort hausenden Südamerikanern ausgeschlossen (LDS, 231f.).

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Derart negativen Erfahrungen scheinen Ulises Lima und Arturo Belano mit ihrem Lebensstil

entgehen zu wollen. Betrachtet man Reisen als eine erste Stufe der Mobilität und Migration als

zweite, so ist Nomadentum wohl die absolute Steigerung der Mobilität, die auf Lima und Belano

zutrifft:

Todo había empezado, según Piel Divina, con un viaje que Lima y su amigo Belano hicieron al norte, a principios de 1976. Después de ese viaje ambos empezaron a huir, primero por el DF, juntos, después por Europa, ya cada uno por su cuenta. (LDS 349)

Él [Belano] se marcha a Europa sin dirección fija (LDS 209)

¿Y cuándo piensan regresar?, dije yo. Ellos se encogieron de hombros. Quén sabe, María, dijeron. (LDS 189)

La única diferencia estribaba en que cuando se acabara mi trabajo, […] yi iba a volver a París y el pobre Belano cuando acabara el suyo iba a seguir en África. (LDS 527)

Ziel der beiden Protagonisten aus LDS ist nicht die Etablierung an einem Punkt, denn beide

halten sich an einem Ort nur gerade so lange auf, um sich durch Gelegenheitsjobs die Weiterreise

zu finanzieren. Nirgendwo lassen sie sich endgültig nieder: an einem Ort angekommen, haben sie

sofort wieder ein neues Ziel vor Augen. Dadurch, dass sie stetig weiterziehen, entgehen sie einem

Identitätsverlust wie dem der Migranten. Sie fliehen vor einer migratorischen Enttäuschung, und

definieren sich im Sinne DuGs als Nomaden, weil für sie die Punkte (Städte, Ortschaften) nur

temporäre Stationen sind und dem Weg, der eigentlichen Fortbewegung und Reise,

untergeordnet sind.

Stationen dieser Flucht sind für Arturo Belano zunächst sein Heimatland Chile, aus dem er im

Jahre 1968 mit seiner Familie nach Mexiko emigriert (LDS 142). 1973 begibt er sich anlässlich des

drohenden Putsches wieder nach Chile, kehrt aber 1974 nach Niederschlagung des Protestes

desillusioniert nach Mexiko zurück (LDS 195). 1976 findet die in o.g. Zitat angesprochene Reise

in die im Norden Mexikos gelegene Sonora-Wüste statt, die den Grundstein für weitere Reisen

legt: 1977 befindet sich Belano bereits in Europa, wo er als Nachtwächter auf einem

Campingplatz in der Nähe von Barcelona arbeitet und in einer urbanen Kommune wohnt (LDS

243). 1978 wohnt er in Collioure, bei einem Professor der Universität Perpignan (LDS 264) und

hält sich in Port Vendres auf, aber „al día siguiente Belano ya no estaba en Port Vendres.“ (269).

Im Jahre 1979 oder 1980 berichtet Edith Oster, mit Belano in Barcelona zusammengewohnt zu

haben (LDS 402) und 1983 verbringt er den zehnten Jahrestag des Putsches von Pinochet in

Paris (LDS 396f.). Für die 1980er Jahre sind Belanos Stationen schwierig zu rekonstruieren, was

sich in Xosé Lendoiros Aussage widerspiegelt:

Un día decidí buscar a Belano. […] La década de los ochenta, que tan nefasta había sido para su continente parecía habérselo tragado sin dejar ni rastro. De vez en cuando aparecían […] poetas que por

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edad o por nacionalidad podían conocerlo, saber en dónde vivía, qué hacía, pero la verdad es que conforme pasaba el tiempo su nombre se iba borrando. Nihil est annis velocius. (LDS 445)

Die Schwierigkeit Belano aufzuspüren führt Lendoiro darauf zurück, dass die Achtziger Jahre ihn

verschlungen zu haben scheinen und dass sein Name immer mehr in Vergessenheit gerät. Auf

den Leser wirkt Belanos Existenz zum Teil fast schon geisterhaft, da er selbst nie direkt auftritt,

und man, wie bereits angemerkt, immer auf Informationen aus zweiter Hand angewiesen ist

(Bolognese 2009: 173). Auch den Erzählern, die ihm begegnen, scheint es manchmal so zu gehen,

z. B. Juan García Madero: „Belano y Lima parecen dos fantasmas” (LDS 113), Susana Puig: „[...]

su aire ausente comenzó a hacerse más marcado [...]“ (LDS 465), María Teresa Solsona Ribot: „A

medida que me acercaba [...] la imagen de Arturo se iba haciendo más nítida” (LDS 518), oder

Jacobo Urenda: “lo vi tan fuera de este mundo” (541).

Ende der 1980er oder Anfang der 1990er scheint Belano in Italien zu leben (LDS 457), danach an

diversen Orten der katalonischen Mittelmeerküste. Um 1990 bekommt er einen Sohn und

heiratet (LDS 517), trennt sich wieder, bis 1995 hält er sich in und um Barcelona auf. Zu dieser

Zeit wird er krank, leidet u.a. an einer Pankreatitis (LDS 467) und einem Darmgeschwür. Seine

Wohnsituationen sind nie von Dauer und somit stets von Übergang und provisorisch

gekennzeichnet, wie z. B. die Untermiete bei María Ribot: er zieht es vor, Telefonzellen zu

nutzen, anstatt zuhause zu telefonieren, weil er zum Zeitpunkt der Ankunft der Telefonrechnung

plant, schon in Afrika zu sein (LDS 519).

Im Juni 1994 präsentiert er seinen Freunden ein Flugticket nach Dar es-Salam, Tansania (LDS

476). Die nächste Etappe, von der wir durch Jacobo Urenda erfahren, ist Luanda, Angola (LDS

526). Urenda trifft ihn danach in Kigali, Ruanda, wieder. Dort berichtet Belano, in 30 Tagen von

Luanda über Kinshasa und Kisangani im Kongo nach Kigali gekommen zu sein, auf dem

Landweg, was ihm Urenda wegen der geographischen und politischen Lage nicht glauben kann

(LDS 530). Belano behauptet außerdem, in Uíge und Cuito Cuanavale gewesen zu sein, zwei

Brennpunkten des angolischen Bürgerkriegs23. Im April 1996 trifft Urenda Belano zum dritten

Mal in einem liberianischen Dorf namens Brownsville, direkt neben Black Creek gelegen24,

wieder. Hier verliert sich Belanos letzte Spur, als er mit mandingischen Soldaten in einen

aussichtslosen Kampf zieht. Es bleibt unklar, ob Belano in diesem Kampf umkommt oder

                                                            23 In Cuito Cuanavale fand 1988 die seit dem zweiten Weltkrieg größte Schlacht auf dem afrikanischen Kontinent statt: http://www.zeit.de/1988/17/die-schlacht-am-ende-der-welt. Zu Uíge: http://www.britannica.com/EBchecked/topic/612771/Uige. Der Bürgerkrieg in Angola dauerte bis ins Jahr 2002: http://www.bbc.co.uk/news/world-africa-13036732 (Profil Angola). 24 Ob Brownsville tatsächlich existiert oder fiktiv ist, ist unklar. Auf Google Maps ist es, im Gegensatz zum ebenso kleinen Nachbardorf Black Creek, Liberia, das auch im Roman vorkommt, nicht verzeichnet. Urenda berichtet, dass der General, der Auskunft über die Lage gibt, zwar Black Creek, aber nicht Brownsville kennt (LDS 549).

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danach weiterzieht. Der chronologisch gesehen letzte Satz, der sich auf seine Existenz bezieht,

ist: „[…] se perdieron en la espesura“ (LDS 548). Dieses offene Ende passt zu seinem

Nomadendasein, da er verschwindet und auch im vermeintlichen Tod nicht sicher verortet oder

festgelegt werden kann.

In Katalonien hat Belano Familie25 und Freunde, sich also nach migratorischem Vorbild fast eine

neue Heimat aufgebaut. Hier zeigt sich sein wahrhaft nomadischer Gestus, da er nicht

gezwungen wird zu gehen, sondern dies möchte. Was bewegt ihn konkret dazu, nach Afrika

aufzubrechen? „Ya no tengo nada que hacer aquí“ (LDS 520) sagt Belano, nachdem die

Beziehung zu einer Andalusierin, deren Name der Leser nicht erfährt, zerbricht. Die gescheiterte

Beziehung scheint ihm den endgültigen Ausschlag für seine Abreise nach Afrika zu geben, bzw.

ihn in seiner Entscheidung zu bekräftigen. Kurzlebige Beziehungen bestimmen sein Leben, eine

längerfristige Bindung wird ihm verwehrt, da alle für ihn wichtigen Frauen (Laura Jáuregui, Edith

Oster, seine Frau, die Andalusierin) ihn verlassen. Dies verstärkt den Drang in ihm,

weiterzuziehen. Obwohl es keine konkreten Anhaltspunkte hierfür gibt, könnte man aber auch

vermuten, dass die Beziehungen dadurch haltlos werden, dass Belano nie lange an einem Ort

verweilt. Sein Lebensstil lässt nur flüchtige Beziehungen zu.

Ein genereller Überdruss am Leben wird aber ebenso deutlich, als sich seine Zeit in Spanien dem

Ende zuneigt. Er rezitiert das Gedicht Brise marine (1865) von Stéphane Mallarmé (LDS 515), in

dem es in der ersten Zeile heißt: „La chair est triste, hélas ! et j’ai lu tous les livres.“. María Ribot

fragt Belano daraufhin “ [...] qué había que hacer después de leerlo todo y acostarse con todas,

según el poeta francés, [...] y él dijo viajar, irse [...]” (LDS 516). Tatsächlich handelt das Gedicht

von einem imaginären Aufbruch: “Je partirai” heißt es in Zeile 9 und es ist die Rede von einer

Flucht: „Fuir ! là-bas fuir !“ (Z. 2). Diese Worte passen in Belanos Kontext, der zum Zeitpunkt

seines Aufenthalts in Angola sterben möchte: „había perdido algo y quería morir“ (LDS 545).

Trotz seiner Übersättigung hat er für den Aufenthalt in Afrika konkrete Pläne: „¿Y qué piensas

hacer allí? […] Su respuesta, como siempre, fue vaga, creo que dijo: cosas, trabajos, lo de siempre,

algo así.” (LDS 467). Es geht ihm nicht um Attraktionen oder Exotismus, er will in Afrika ein

schlichtes Leben führen und arbeiten. In diesen Zusammenhang passt auch Laura Jáureguis

Beitrag:

[...] nombró países como Libia, Etiopía, Zaire, y ciudades como Barcelona, Florencia, Avignon, y entonces yo no pude sino preguntarle qué tenían que ver esos países con esas ciudades, y él dijo: todo, tienen que ver en todo, y yo le dije que cuando fuera bióloga ya tendría tiempo y además dinero, porque no pensaba

                                                            25 Neben Frau und Sohn leben auch seine Mutter und Schwester dort (LDS 220f.).

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dar la vuelta al mundo en autostop ni durmiendo en cualquier sitio, de de ver esas ciudades y esos países. Y él entonces dijo: no pienso verlos, pienso vivir en ellos, tal como he vivido en México. (LDS 211)

In diesem Zitat wird endgültig klar, dass Belano kein Tourist ist. Er möchte die Orte nicht nur

oberflächlich kennenlernen, sondern sich in das dortige Leben integrieren, auch wenn das nicht

bedeutet, dass er dort länger verweilen wird. Dafür spricht auch, dass er in Afrika einheimische

Sprachen und Jargons lernt (LDS 531). Laura steht in Opposition dazu als Touristin im

herkömmlichen Sinne da, die die Orte zwar auch gerne sehen möchte, aber nur in Verbindung

mit einem gewissen Wohlstand. Sie ist ein Tourist im Bauman’schen Sinne.

Indem er sagt, dass alle genannten Orte im Gesamtzusammenhang miteinander in Verbindung

stehen, lässt Belano hier bereits auf eine Auffassung von genereller Globalität und Vernetztheit

schließen. Jacobo Urendas Beobachtung in Liberia passt in diese Idee: als er mit dem Auto über

einen Nebenfluss des Saint Paul Flusses nördlich von Monrovia fährt, erinnert ihn die Landschaft

an die Provinz Corrientes in seinem Heimatland Argentinien26. Obschon die Ähnlichkeit auf

subjektivem Empfinden beruht, bzw. auf visuelle Eindrücke zurückgeht, so lässt sie die

Parallelität von Orten anklingen.

Welcher inneren Route folgt Arturo Belano? Ein Großteil der Orte, die er im o. g. Zitat nennt

und schließlich bereist, ist touristisch völlig unerschlossen. Durch die politisch ungeordnete Lage

(Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre herrscht in fast allen dieser Staaten Bürgerkrieg)

sind sie zeitweise herrenlos und z. T. Wüstenregionen, die per se unbewohnt und menschenleer

sind27. Auch die Sonora-Wüste, Kulisse der Suche nach Cesárea Tinajero im Jahre 1976, ordnet

sich in die Reihe dieser glatten, nomadischen Räume ein. Die Wüste ist eine wiederkehrende

Metapher in Bolaños Werk (Bolognese 2009: 95f.): sie symbolisiert einen Ort des Ultimatums,

des Finales, eine Art Ende der Reise oder Ende der Geographie. Belanos

Deterritorialisierungslinie, entlang derer er sich progressiv von seinen Wurzeln löst

(Quero/Venegas 2006: 10) und seine Mobilität steigert, führt schlussendlich in den Raum seiner

persönlichen Apokalypse: in einem glatten Raum, einem politisch und militärisch brachliegenden

Ort in Liberia, zieht Belano in einen von vornherein verlorenen Kampf.

3.2. Das Nomadische zwischen Flucht und Transgression

Was bewegt Arturo Belano dazu, von einem Krisengebiet ins nächste zu ziehen? Die Länder, die

er Laura Jáuregui noch in Mexiko nennt, befinden sich zu dem Zeitpunkt, in dem er sie nennt                                                             26 „[...] los nombres de los árboles, por ejemplo, que en mi visión parecián los viejos árboles de Corrientes y tenían los nombres de los arboles de Corrientes, aunque no eran evidentemente los árboles de Corrientes.” (LDS 536) 27 Das spanische Wort desierto gibt diesen doppelten Sinn wieder: es bedeutet sowohl Wüste als auch menschenleer.

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(1970er Jahre), in einem Ablösungsprozess von Monarchien, was noch auf ein Aufbruchgefühl

und Hoffnung auf eine Utopie schließen lässt. Zu dem Zeitpunkt, da er sie tatsächlich bereist

(1990er Jahre), ist die Hoffnung auf Neuerung durch die Errichtung von Diktaturen und durch

verheerende Bürgerkriege größtenteils erloschen. Außerdem führen diverse Aufspaltungen dazu,

dass es keine klaren Fronten mehr gibt. Als gebürtiger Chilene ist Belano das Zerbrechen der

Utopie und die Erfahrung von Gewalt aber nicht fremd. Auxilio Lacouture berichtet:

[…] en 1973 decidió volver a su patria a hacer la revolución. […] se marchó por tierra, un viaje largo, larguísimo, plagado de peligros, el viaje iniciático de todos los pobres muchachos latinoamericanos, recorrer este continente absurdo, […] cuando Arturo regresó, en 1974, ya era otro. Allende había caído y él había cumplido, […] y su conciencia, su terrible conciencia de machito latinoamericano, en teoría no tenía nada que reprocharse. Se había presentado como voluntario el 11 de septiembre. Había hecho una guardia absurda en una calle vacía. Había salido de noche, había visto cosas, luego, días después, en un control policial había caído detenido. No lo torturaron, pero estuvo preso unos días y durante esos días se comportó como un hombre. Su conciencia debía estar tranquila. (LDS 195f.)

Aus diesem Bericht sticht zum einen die Absurdität des Widerstands, bedingt durch die Willkür

der Gewalt, und zum anderen die politisch-persönliche Ohnmacht, heraus. Belano möchte 1973,

während des Putsches durch Augusto Pinochet, auf den Seiten der Revolutionäre kämpfen, doch

er kommt zu spät: die Schlacht ist bereits gescheitert, die Straßen sind leer. Die zeitliche

Verschiebung ordnet Arturo Belano in die Generation der in den 1950er Jahren geborenen

Lateinamerikaner ein, die Ricardo Cuadros28 wie folgt definiert:

[…] estamos todos marcados por el sino trágico de las utopías traicionados. Eramos demasiado pequeños cuando se estaban gestando los proyectos de transformación radical del mundo y cuando llegamos a la edad de participar en el mundo descubrimos que teníamos que movernos entre escombres y cadáveres. (Cuadros 2005: 163)

Auch im Roman wird diese Generation benannt:

[…] creían en la revolución y en la libertad. Más o menos como todos los escritores latinoamericanos nacidos en la década del cincuenta. […] Después, ineludiblemente, se encaminaron hacia la hecatombe o el abismo. (LDS 497)

Besonders in den Arbeiten der dieser Generation Zugehörigen werden Bolaños Literatur und die

Figur Arturo Belano im Kontext der generación derrota, generación del fracaso gelesen, die sich nicht

nur auf Chile beschränkt, sondern auf ganz Lateinamerika, das von Diktaturen heimgesucht

wurde, bezieht. Belano als Repräsentant dieser entwurzelten Generation (Whitney 2009: 36) führt

nur noch absurde Taten aus, die keine Veränderung bewirken können. Er war nicht dabei, als die

revolutionären Pläne geschmiedet wurden, und als man versuchte, sie umzusetzen, wurden sie

niedergeschlagen, bevor er selbst daran teilnehmen konnte. In LDS bringt Auxilio Lacouture

Belanos vergeblichen Aktionismus mit seinem männlichen Selbstbild in Verbindung und so ist

seine tragische Ohnmacht in ihrem Zitat eher zwischen den Zeilen zu lesen. Trotz seines

                                                            28 Ricardo Cuadros gehört ebenso wie Bolaño selbst dieser Generation an.

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angeblich reinen Gewissens machen ihn das Zerbrechen der Utopie und die verlorene Revolution

aber zu einem anderen Menschen. Besonders die Tatsache, dass Gleichaltrige völlig willkürlich

darin umkommen29 („[…] a veces Arturo me contaba historias de amigos que habían muerto en

las guerrillas de Latinoamérica“, LDS 411), macht ihm die absolute Kontingenz des Überlebens,

die Unlogik, Unerklärbarkeit und grausame Zufälligkeit von Leben und Tod bewusst (Manzi

2002: 156).

Das Ende der Utopie, die Konvertierung des Traumes der Revolution in einen Albtraum30

(Cobas Carral/Garibotto 2008: 179) stellt eine Zäsur in Belanos Leben dar und ruft Verbitterung

in ihm hervor, wie es ein Dialog zwischen ihm und Felipe Müller illustriert:

El sueño de la Revolución, una pesadilla caliente. Tú y yo somos chilenos, le dije, y no tenemos culpa de nada. Me miró y no contestó. Luego se rió. Me dio un beso en cada mejilla y se fue. Todo lo que empieza como comedia acaba como monólogo cómico, pero ya no nos reímos. (LDS 500)

Wie ist Belanos Schweigen zu deuten? Das Verhältnis zu seinem Heimatland nach dem Putsch ist

nicht leicht zu fassen. Zum einen versteht er sich selbst, noch in Mexiko, definitiv als Chilene:

Cuando yo lo conocí él era un mexicano como cualquier otro, pero en los últimos días se sentía, cada vez más, un extranjero. Una vez le dije: vosotros, los mexicanos, sois así o asá y el me dijo yo no soy mexicano, Simone, yo soy chileno, con algo de tristeza, es cierto, pero con bastante determinación (LDS, 227)

Der Gedanke zurückzukehren ruft aber Panik und Aggression in ihm hervor:

¿Adónde?, gritó Belano. Pues a su país, joven, dijo la secretaria. ¿Es usted analfabeta?, dijo Belano, ¿no ha leído ahí que soy chileno?, ¡mejor sería pegarme un tiro en la boca! (591, LDS).

Mit dieser historischen Ausgangssituation der Ernüchterung und Desillusion bereist Belano nun

die Welt. Das Exil ist Auslöser für seinen nomadischen Lebensstil, seine Unzugehörigkeit führt in

die Mobilität. Die Vertreibung aus seinem Heimatland macht ihn zu einem politischen Exilanten;

durch den Putsch wird ihm „von außen“ ein sesshaftes Leben in seiner Heimat verwehrt, sein

Nomadismus ist also historisch bedingt. Dennoch strebt er, wie oben bereits erläutert, als

Konsequenz daraus keine Migration an, er möchte sich keine „neue Heimat“ aufbauen, keine

neuen Wurzeln schlagen.

Auf der einen Seite könnte man dies als dauerhafte Flucht ansehen, als ein heimat- und zielloses

Herumirren ohne Ideale, als eine ständige Angst vor den Enttäuschungen der Migration und vor

dem damit verbundenen persönlichen Untergang, der für die Angehörigen der oben

beschriebenen Generation ineludible ist: „Belano dijo: todos tenemos miedo de naufragar.“ (LDS

544). In diesem Sinne ist auch Bologneses Buchtitel Pistas de un naufragio zu lesen, nach dem die

                                                            29 “Condición de coentános de la muerte” (Manzi 2002: 156) 30 “ [...] la mierda y [...] la locura que se hacía llamar revolución.” (LDS 499)

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verschiedenen Orte nur Stationen vor dem endgültigen Schiffbruch sind und der Nomadismus

ein notwendiges, aber nur vorläufiges Fliehen vor dem sicheren Untergang ist.

Auf der anderen Seite lässt sich Belanos Nomadentum auch als ein Kosmopolitismus der

globalen Ära deuten. Statt sich als Heimatloser zu begreifen, ist er ein Weltenbürger, jedoch nicht

in luxuriösen Hotels, sondern auf Campingplätzen, zur Untermiete, in Kommunen, sich mit

Gelegenheitsjobs über Wasser haltend. Belano situiert sich in marginalen Zonen, in areas of slippage

(Whitney 2009: 10), die ihm ein Höchstmaß an Flexibilität und Mobilität bieten. Insofern ist

Belano multipátrido und apátrido zugleich (Bolognese 2009: 66f.). Er möchte überall leben, aber

sich nirgendwo endgültig etablieren.

Dabei ist es nicht nur die Angst vor einer Exklusion in der Migration, die ihn in diese Situation

führt. Es stellt sich hier also die Frage, ob Belano nur aufgrund seiner historischen

Ausgangssituation ein nomadisches Leben führt oder ob seine Lebensform und generelle

Entwurzelung als ein Symptom der Globalisierung zu werten ist31, schließlich lässt die

Aufweichung von Staatsgrenzen den modernen Nomadismus überhaupt erst zu. Diese Frage

findet im Roman keine eindeutige Antwort, darüber hinaus sind Globalisierung und die Politik

des 20. Jahrhunderts so eng miteinander verknüpft, dass der Putsch durch Pinochet und die

generelle Entwicklung in der Welt keine von sich isolierten Ereignisse darstellen. Chile war nach

1973 ein Experimentierfeld für neoliberale Politik (Fischer 2007: 159) und auch die

Globalisierung fußt auf einer kapitalistischen Grundidee, die neben grundsätzlichem Liberalismus

immer auch eine Selektivität und Marginalisierung mit sich bringt.

Ob der Putsch Belanos Lebensform bedingt oder nicht, sicher ist, dass das Nomadische zugleich

ein intentive coping mechanism und transgressive project (Whitney 2009: 6) ist. Der Zerfall der Revolution

und der daraus resultierende Unmut gegenüber der Zukunft, die generelle Desintegration und

Verzweiflung wirken paralysierend. Der Putsch drängt also in eine lähmende Immobilität, die der

Tod von Familie und Freunden und die vergeblichen, nicht realisierten Ideale verursachen. Der

Nomadismus ist aber gerade eine positive Gegenreaktion auf diesen Stillstand und eine Antwort

auf die niederschlagende Kraft der Repression durch entgegenlaufende, ständige Fortbewegung.

Zum einen, um nicht im eigenen Leid zu versinken, zum anderen als Protest und Widerstand

gegen die repressive Ordnung der Diktatur. Natürlich fungiert das Nomadische dann in gewisser

Weise immer noch als Flucht, zur selben Zeit wird die reine Mobilität automatisch zu Protest.

Sich zu bewegen heißt vital zu sein und zu revoltieren, da man sich nicht der Ohnmacht

gegenüber der Geschichte hingibt, in Resignation oder Fatalismus verfällt, sondern seine

                                                            31 Whitney (2009: 18) fragt, ob es in Zeiten der Globalisierung noch angemessen ist, von Exil zu sprechen.

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Bewegungen selbst kontrolliert, sich nicht fremdbestimmen lässt. Belanos Nomadentum ist also

ein transgredienter Akt im Sinne der Kriegsmaschine DuGs, bei dem die Bewegung ein Zweck in

sich ist und die Besetzung des Raumes symbolisch subversiven Charakter hat.

Nomadische Bewegungen sind marginale Bewegungen, die der Kontrolle des Staates entgehen:

Belano hält sich illegal in Mexiko auf (LDS 591). Marginalität ist die Antwort auf die

aufgezwungene Ordnung und erlaubt unkontrollierbare Bewegung, wie sie vom Staat nicht

erwünscht ist. Belano entflieht durch seine ständige Deterritorialisierung dem Gesetz

verschiedener Staaten, die er auf seinem Weg streift. Seine Befreiungsbewegung stellt zudem die

Prämisse des Kapitalismus infrage, nach der alles sich von selbst füge (Whitney 2009: 10).

Belanos Exterritorialität und Staatenlosigkeit sind also Ausdruck sich global verdichtender

Tendenzen sowie die Antwort auf Totalitarismus und Gewalt in einem nationalen und globalen

Kontext. Das Nomadische in LDS ist Flucht und Widerstand im selben Maße: Arturo Belano

situiert sich im Spannungsfeld freiwilliger Transgression und fremdbestimmter Vertreibung, er

oszilliert zwischen movement auf der einen und displacement auf der anderen Seite, zwischen

erzwungenem Vagabundendasein im Sinne Baumans als Kondition und freiwilligem

Nomadentum im Sinne DuGs als Art und Weise, mit seiner Situation umzugehen. Sein

Nomadismus ist, welchen Ursprungs auch immer, eine globalisierte Lebensform.

Wie ist es also zu bewerten, dass Belano sich gegen Ende seines Lebens in afrikanischen

Kriegsgebieten, in den “puntos calientes“ (LDS 526) aufhält und schließlich in einen

aussichtslosen Kampf zieht? Einige Jahre zuvor, am 11. September 1983, dem 10. Jahrestag des

Militärputsches, trifft er sich mit anderen chilenischen Exilanten in Paris, wo Abel Romero ihm

folgendes sagt:

Belano, le dije, el meollo de la cuestión es saber si el mal [...] es casual o causal. Si es causal, podemos luchar contra él, es difícil de derrotar pero hay una posibilidad, más o menos como dos boxeadores del mismo peso. Si es casual, por el contrario, estamos jodidos. (LDS 397)

Belanos kurzfristiger Entschluss32 zu kämpfen, steht im Sinne dieser Frage: ist das Böse rein

zufällig oder geht es auf eine Ursache zurück, die bekämpft werden kann? Kann es verhindert

werden, ist es eine Schuldfrage, wie Felipe Müller es im o. g. Zitat andeutet?

Urenda gegenüber sagt Belano, er tue es seinem Freund López Lobo zuliebe, der den sicheren

Tod sucht und den er nicht alleine gehen lassen möchte (LDS 548). Im Sinne der Kontingenz der

Geschichtsebene ist das ein durchaus ernst zu nehmender Grund, ebenso wie sein Kommentar

über das junge Alter der mandingischen Soldaten (LDS 547). Dass er in Chile überlebt hat,

                                                            32 Am Vortag plant er noch, mit den Zivilisten zurück in die Hauptstadt zu gehen. Nach einem Gespräch mit López Lobo in der Nacht beschließt er, doch mit ihm und den Soldaten in den Kampf zu ziehen.

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verdankt er dem Zufall, und so ergibt sich sein Tod in Liberia ebenso zufällig, zudem möchte er

nicht einen weiteren Freund überleben.33

Sein Beschluss zu kämpfen ist politisch aber noch tiefer verankert. Arturos letzte Lebensjahre

konvergieren immer mehr in Richtung seiner historischen, traumatischen Ausgangssituation: er

sucht die Konfrontation mit Gewalt, so auch kurz vor seiner Abreise in Katalonien, als er den

Literaturkritiker Iñaki Echevarne zum Duell herausfordert. Die Ausweglosigkeit der Gewalt

manifestiert sich auf planetarer Ebene (Whitney 2009: 18), nirgendwo kann man ihr entgehen

(Manzi 2002: 156): es gibt keine gewaltfreie Zone auf der Welt, überall bietet sich einem dieselbe

Realität. Diese Erkenntnis führt schlussendlich nicht mehr in die unendliche, kompensierende

Fluchtbewegung, sondern dazu, sich seiner Angst vor der Gewalt und seinem Trauma konkret zu

stellen.

Belano findet in Liberia seine politisch-persönliche Ausgangssituation wieder. In Chile war er

aufgrund seines Alters zur Ohnmacht und sein Protest zur Absurdität verurteilt, da die

Revolution schon vereitelt worden war. In Liberia ist die Lage zwar nicht erfolgversprechender,

eher noch absurder durch diverse Aufspaltungen. Dennoch fungiert sein „in den Kampf ziehen“

als persönliche Katharsis, weil der Kampf hier noch in vollem Gang ist und er daran teilnehmen

kann: die Straßen sind noch nicht leer. Es ist die späte Ausfechtung eines verpassten Kampfes.

Daraus auf neu geschöpften Optimismus zu schließen, wäre aber voreilig. In Belanos Aussagen

sind die casualidad, die Zufälligkeit des Unglücks und die Desillusion als Kondition des Handelns

klar erkennbar und die Hoffnung, das Böse hinter dem Unglück bekämpfen zu können,

schwindet immer mehr.

Interessant ist die universale Perspektive, die hinter der Verknüpfung der Geschichte Chiles mit

der Geschichte Liberias stehen muss, die Voraussetzung dafür, dass Belano sein historisches

Trauma an einem anderen Ort aufzuarbeiten sucht. Das „Böse“ wird zwar immer weniger

greifbar, da es global agiert, dennoch scheint es sich von Ort zu Ort auch immer mehr

anzunähern: es gibt keine rein lokalen oder nationalen Ereignisse mehr, nur noch globale.

Entwurzelung wird zu einem globalen Phänomen, bedingt durch die Parallelisierung von

Strukturen auf Makro-Ebene. Es ist eine traurige Ähnlichkeit: alle Orte, die Belano streift, sind

Opfer repressiver Regime und/oder absurder Gewalt. Zu der „common history of violence“

(Whitney 2009: 20) gehören der Militärputsch durch Pinochet in Chile 1973, die Niederschlagung

des Studentenprotestes in Mexiko (Massaker von Tlatelolco) im Jahre 1968, das Franco-Regime

                                                            33 Da Belano Urenda die Lage erläutert, ist auszuschließen, dass ersterer die Gefahr objektiv anders einschätzt: „El plan de los soldados, como no tardamos en convenir Belano y yo, era inviable y desesperado.“ (LDS 542).

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in Spanien bis 1975 sowie die einzelnen Geschichten Angolas, Ruandas und Liberias.34 Mit

seinem Streifzug durch die Geschichte der Welt wird Belano zu einem globalen Exilanten.

3.3. Von Arthur zu Arturo

Betrachtet man Arturo Belanos fiktive Biographie, so lassen sich viele Parallelen und Bezüge zum

Leben Arthur Rimbauds finden. Belano beginnt als Dichter in der mexikanischen

avantgardistischen Gruppierung der real visceralistas, die er gemeinsam mit Ulises Lima anführt.

Die real visceralistas wollen die lateinamerikanische Poesie verändern (LDS 17), sie situieren sich

per Definition in der Peripherie und betrachten Poesie als lebensnotwendige35, aber auch

lebensbedrohliche Praxis und als kriminellen Akt, was sich z. B. darin zeigt, dass sie Bücher aus

öffentlichen Bibliotheken stehlen. Poesie ist für sie ein transgredienter Akt, der sich außerhalb

des Gesetzes befindet. Sie wollen sich von den poetas campesinos à la Pablo Neruda und dem Erbe

Octavio Paz’ abgrenzen: „Nuestra situación […] es insostenible, entre el imperio de Octavio Paz

y el imperio de Pablo Neruda.” (LDS 30). Der Kampf gegen das Imperium kanonisierter Autoren

richtet sich insbesondere gegen ihr größtes Feindbild Octavio Paz (LDS 86): Paz verkörpert als

Ex-Avantgardist (Rojo 2003: 73) die institutionalisierte Revolution und somit den Tod der

Revolution. Gemeinsam unterwandern die real visceralistas Vorträge des etablierten Paz und führen

so die aktive Anti-Haltung der avantgardistischen Poetik aus (Promis 2003: 59). Dahinter steckt

die Auffassung, dass „wahre“ Dichtung im Abseits entsteht und ihre subversive Kraft durch

Kanonisierung stirbt (Carral/Garibotto 2008: 185). Sinnbildlich dafür stehen Belanos Rezitierung

eines ins Spanische übertragenen Gedichts des Archilochos (LDS 561), das Verlieren als

Programm betrachtet und die Notwendigkeit stetigen Widerstands zeichnet, sowie Limas

Rezitierung von Le cœur volé (LDS 155), das, wie in Kapitel 2.3. erläutert, eine anti-etablierte Poetik

verficht. Ende der 1970er Jahre in Spanien wendet sich Belano aber von der Bewegung ab, wie

Felipe Müller berichtet:

Creo que fue en aquel verano [1977] cuando ambos, de común acuerdo, nos separamos del realismo visceral. [...] escribimos una carta en donde nos dábamos de baja del realismo visceral. No abjurábamos de nada, no echábamos pestes sobre nuestros compañeros en México, simplemente decíamos que nosotros ya no formábamos parte del grupo. En realidad, estábamos muy ocupados trabajando e intentando sobrevivir. (LDS 243f.)

                                                            34 Für die anderen Figuren ließen sich noch weitere Beispiele finden: die (Militär-)Diktaturen in Nicaragua über Ulises Limas Reise, in Argentinien über Jacobo Urendas Bemerkungen, in Peru über die Aussagen der Peruaner in Paris. 35 In diesem Sinne auch die Namenwahl der real visceralistas: Literatur als Eingeweide betreffend.

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Müller und Belano verabschieden sich offiziell vom realismo visceral, aber dahinter steht in

Wirklichkeit die Notwendigkeit zu überleben: sie können es sich finanziell nicht mehr leisten,

Dichter zu sein. Auch wenn Belano danach zeitweise noch als Romancier arbeitet, so wendet er

sich, genau wie Rimbaud, erst von der Dichtung, dann langsam von der Literatur ab und dem

„echten“ Leben zu – spätestens in Afrika, als er gar keine Fiktion mehr schreibt, sondern nur

noch als Journalist arbeitet (LDS 527, 530). Seine Aussagen, in Europa nichts mehr zu tun zu

haben, in Afrika einfach leben zu wollen, dort zu arbeiten und nicht etwa exotische Erfahrungen

sammeln zu wollen, sind allesamt Bezüge zu Rimbaud. Spätestens im Afrika der 1990er Jahre

wird die Anspielung offensichtlich – der Aufbruch nach Afrika ist das Projekt, nach dem Vorbild

Rimbauds zu sterben:

[…] la vida no le importaba nada, [...] había conseguido el trabajo para tener una muerte bonita, una muerta fuera de lo normal, una imbecilidad de ese estilo, ya se sabe que mi generación leyó a Marx y a Rimbaud hasta que se le revolvieron las tripas [...] (LDS 528)

Rimbauds sagenumwobener und als poetischer Selbstmord inszenierter Tod wird zum Motiv für

Belano, nach Afrika zu reisen und dort zu sterben. Jacobo Urenda beobachtet einen scheinbaren

Widerspruch in Belanos Verhalten in Angola, wo er auf der einen Seite “la gran muerte” (LDS

530) à la Rimbaud sucht, auf der anderen Seite aber sehr auf seine Gesundheit achtet, indem er

keinen Alkohol trinkt und äußerst penibel seine Medikamente einnimmt. Hier wird der manifeste

Unterschied zwischen matarse und hacerse matar (LDS 529) klar, der für Rimbaud ebenso gilt als se

tuer und se faire tuer. Anstatt sich bewusst das Leben zu nehmen und somit offiziell aufzugeben,

ziehen beide es vor, langsam aber sicher dem Tod entgegenzusteuern – mitten im Leben. Ebenso

wie Rimbaud möchte Belano im Leben sterben: er möchte nicht mehr leben, aber sich nicht

selbsttätig das Leben nehmen.

Wie sind die diversen Bezüge Arturo Belanos zu Arthur Rimbaud zu werten? In erster Linie folgt

daraus eine Poetisierung des In-Bewegung-Seins: das Leben unterwegs ist eine ständige

Inspiration und Schärfung der Sinne, Gedanken kommen in Bewegung. Somit impliziert die

physische Bewegung immer auch eine poetische Bewegung und zelebriert die bohèmehafte

Marginalität und Ungebundenheit. Belanos Nomadismus, der auch auf seine Entwurzelung und

tragische Vergangenheit zurückzuführen ist, wird durch den Bezug zum freiwilligen Exilanten

Rimbaud Glanz verliehen; sein Lebensstil wird gerechtfertigt und beschönigt.

Um die Verbindung zwischen Arthur und Arturo jedoch vollends zu klären, muss eine

Zwischeninstanz benannt werden: Cesárea. Ist im Kampf gegen das literarische Etablissement

Octavio Paz der Anti-Held in LDS, so fungiert Cesárea Tinajero als avantgardistische Heldin des

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Romans, und die Suche nach der Gründerin des realismo visceral behauptet sich als zentrale

Handlung zwischen den vielen Erzählsträngen innerhalb des Romans. „Todos los poetas, incluso

los más vanguardistas, necesitan un padre” sagt Manuel Maples Arce (LDS 177). Tinajero ist die

madre der real viscerealistas, die Lima und Belano in der Sonora-Wüste aufspüren wollen. Die

Tatsache, dass sie nur ein einziges Gedicht von ihr kennen (LDS 376), das darüber hinaus rein

geometrisch ist und nur ein Wort beinhaltet – den Titel –, scheint sie im Sinne der

avantgardistischen Tradition gerade zu faszinieren: die geringe, enigmatische materielle Basis regt

die Fantasie der seguidores ins Unendliche an. Tinajero ist für Lima und Belano ein Mythos, der

dem Mythos Rimbaud, dem André Breton und die Surrealisten verfallen, ähnelt. Der Mythos,

genährt durch die Abwesenheit des, bzw. der precursor(a) und die damit verbundenen

Verheißungen, kann nicht überboten, endgültig durchschaut oder festgelegt werden: er ist immer

besser als reale Texte und Autoren. Tinajeros Schweigen macht sie zur perfekten Avantgarde-

Künstlerin, jedoch mit der Implikation, keine Kunst mehr zu machen. Denn ebenso wie

Rimbaud hat sich Tinajero von der Poesie und ihrem avantgardistischen Modernisierungsprojekt

abgewandt:

[…] Cesárea se reía como un fantasma, como la mujer invisible en que estaba a punto de convertirse, [...] se me ocurrió preguntarle hacia dónde se iba. [...] a Sonora, a su tierra, […] ¿Pero por qué, Cesárea, le dije? ¿No te das cuenta que si te marchas ahora vas a tirar por la borda tu carrera literaria? [...] Y Cesárea [...] dijo que aquí ya no tenía nada. [...] ¿Y qué harás entonces?, dije yo. Pues buscar un trabajo y un lugar donde vivir, dijo Cesárea. ¿Y eso es todo?, dije yo. […] dijo que ése era el porvenir común de todos los mortales, buscar un lugar donde vivir y un lugar donde trabajar. (LDS 460f.)

Dieser erzählte Dialog zwischen Amadeo Salvatierra und Cesárea Tinajero findet kurz vor ihrem

Aufbruch aus Mexiko-Stadt in den Norden Mexikos statt. Ebenso wie Rimbaud vor und Belano

nach ihr sagt sie, an ihrem jetzigen Aufenthaltsort nichts mehr zu tun zu haben und wendet sich,

ernüchtert, der existenziellen Routine der Arbeit zu. Schon in diesem Moment scheint sie

abwesend zu sein, was bereits ein Vorgeschmack auf ihre Unerreichbarkeit ist, die sie mit

Rimbaud, aber auch mit Belano gemein hat. So wie Lima und Belano später nach Tinajero suchen

werden, folgen die verschiedenen Erzähler und der Leser den Spuren Belanos, von dem wir kein

einziges Gedicht vorliegen haben. Ganz LDS folgt also dem Mythos Belano.36

Für den Mythos Tinajero gilt aber ein entscheidender Unterschied: Cesárea Tinajero lebt noch, es

besteht also die Möglichkeit, dem Mythos auf den Grund zu gehen37. Dass Lima und Belano sich

in die Sonora-Wüste und auf die Suche nach Tinajero begeben, spricht schon dafür, dass sie den

                                                            36 Pinto (2002: 75f.) betont die zweifache Struktur des Romans, die doppelte Suche: zum einen Limas und Belanos Suche nach Tinajero, aber auch die Suche des Lesers und der Erzähler nach Belano und Lima, auf der das Buch aufgebaut ist. Siehe auch Rojo (2003: 70) zur „doppelten Suche“. 37 Anders als z. B. bei Laura Damián, der jungen Dichterin, die, wie Bolognese hervorhebt, ihre Bewunderer nie enttäuscht, da sie bereits tot ist (Bolognese 2009: 177).

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Mythos um Tinajero aufdecken oder ihm zumindest nicht ewig verhaftet bleiben wollen. Die

tatsächliche Enttäuschung manifestiert sich dann gleich in doppelter Hinsicht. Das Auffinden

Tinajeros hat zunächst wenig poetischen Charakter:

[...] Cesárea no tenía nada de poética. Parecía una roca o un elefante. Sus nalgas eran enormes y se movían al ritmo que sus brazos, dos tronces de roble, imprimían al restregado y enjuagado de la ropa. (LDS 602)

Die Ernüchterung manifestiert sich hier im Äußerlichen, in der materiellen Verunglimpfung der

spirituellen Gründerin: es ist eine Karikatur des Mythos (Rojo 2003: 71). Diese Ironie wird

fortgeführt, als Tinajero kurz darauf bei einem durch eine Nebenhandlung verursachten

Schusswechsel zu Tode kommt. Schlimmer noch: Belano und Lima haben den Tod Tinajeros mit

verschuldet: „Oí que Belano decía que la habíamos cagado, que habíamos encontrado a Cesárea

sólo para traerle la muerte.“ (LDS 605). Den Ursprung oder den Vorreiter einer Bewegung zu

identifizieren und ihm zu folgen, ist ein avantgardistischer Akt schlechthin. Belano und Lima

brechen auf abrupte Weise mit dieser Tradition der literarischen Moderne (Cuadros 2005: 161)

und mit dem Mythos Tinajero, indem sie die reale Person dahinter auffinden und töten38.

Auch die Resonanz des Mythos Rimbaud nimmt gegen Ende des Romans ab: Belanos Wunsch

zu sterben lässt nach (LDS 530), nachdem er sich in Krisengebieten aufgehalten hat und die

wahre politische Lage erkannt hat. Sein tatsächliches Verschwinden steht also vielmehr in einem

kontingent-politischen Kontext als in der Verehrung des Mythos Rimbaud.

Für die poetische Konzeption von Los detectives salvajes bedeutet das Ende des Mythos Tinajero

und des Mythos Rimbaud eine metatextuelle und ironische Abrechnung mit der

avantgardistischen Tradition. Lima und Belano machen sich einen Spaß daraus, nach dem

Vorbild der Surrealisten Mitglieder aus dem Kreise der real visceralistas grundlos auszuschließen,

Cesáreas kryptisches Gedicht bezeichnen sie selbst als „broma“ (LDS 376) und von keinem der

vielen Poeten in LDS liegt auch nur ein einziges Gedicht vor. Diese Ironie illustriert die

Absurdität und Unmöglichkeit der modernen Poetik und macht LDS zu einer Parodie der

Avantgarde, weil das Paradox der revolutionär-modernen Ästhetik offengelegt wird. Da kein Text

innovativ genug sein kann, um nicht wieder von einem noch innovativerem Text überboten zu

werden, ist der beste poetische Akt, sich verbal gar nicht zu äußern: die Avantgarde führt in die

Abkehr von der Literatur. Ihr destruktiver Charakter lässt sich auch aus dem folgenden Zitat über

Limas Reise lesen:

Y la isla del futura, en donde el único tiempo que existía era el futuro, y cuyos habitantes eran soñadores y agresivos, dijo Ulises, que probablemente acabarían comiéndose los unos a los otros. (LDS 367)

                                                            38 Zwar weiß der Leser nicht, ob Belano und Lima einen Nutzen aus ihrer Reise in die Sonora-Wüste für sich ziehen, da der unzuverlässige Erzähler Juan García Madero just in dem Moment, da Tinajero, Lima und Belano sich endlich unterhalten, einschläft (LDS 602), aber die enttäuschenden Hefte Tinajeros, in deren Besitz Madero am Ende ist, deuten dahin, dass hinter dem Mythos kein poetisches Geheimnis versteckt war.

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Progressive Künste, die ihren Wert nur daraus ziehen, in der Zukunft als wertvoll eingestuft zu

werden, führen in aggressives Verhalten, da jeder sich die Zukunft zu erkämpfen sucht.

Wenn also die politische Utopie für Belano im Jahre 1973 in Chile endet, so findet seine

ästhetische Utopie 1976 in Mexiko ein jähes Ende39. Der Abschied vom poetischen Mythos der

Avantgarde ist das Ende der literarischen Revolution mit politischem Anspruch, aber welches

neue Zeitalter wird damit eingeläutet? Der Tod der madre, “la eliminación del precursor” (Rojo

2003: 72), ist ein poetischer Befreiungsschlag für Lima und Belano (Rojo 2003: 73), die nun

wirklich salvajes und „huérfanos de vocación“ (LDS 177) sind. Die Folge daraus ist zwar

Verlorenheit in der Welt, aber auch Selbstbestimmtheit:

Solos, abandonados, a la intemperie, sin referentes ni alero cultural, ni traba alguna, los creadores novatos son ahora – 1977 – libres de escoger sus propias vías estéticas. (Castillo de Berchenko 2005: 50).

Alle Avantgarden sind, durch die Verehrung eines Vorreiters, fremdbestimmt: der Hang zum

Totalitarismus liegt in ihrer Struktur begründet. Dass Lima und Belano ihre Anführerin

symbolisch und faktisch töten, spricht für ihre darauffolgende literarische Entwurzelung und das

hierarchiefremde Nomadentum, das sie ab sofort kennzeichnet. Während die politische Utopie

schon vor Eintritt der Erzählung 1975 zerbrochen ist und Belanos politischer Nomadenstatus

also relativ besiegelt ist, tritt seine ästhetische Entwurzelung mit dem Abbau der Mythen um

Tinajero und Rimbaud langsam in Kraft.

Im Laufe des Romans, der sich über 21 Jahre erstreckt, findet ein poetologischer Wandel statt:

während in den 1970er Jahren das Erbe der Avantgarde noch allgegenwärtig ist, so illustriert

Kapitel 23, ein fiktiver Rundgang durch die Feria del Libro in Madrid 1994, die Erkenntnis, dass

die poetische Revolution längst institutionalisiert, ja mehr noch, kommerzialisiert wurde, nur

noch für Marketingzwecke benötigt wird. Der Markt bestimmt nun über die Reichweite der

Literatur und das Marktgesetz tötet auch noch den letzten Funken Subversivität:

Antaño los escritores de España (y de Hispanoamérica) entraban en el ruedo público para transgredirlo, para reformarlo, para quemarlo, para revolucionarlo. [...] escribir era renunciar, era renegar, a veces era suicidarse. [...] Hoy [...] su ejercicio más usual de la escritura es una forma de escalar posiciones en la pirámide social, una forma de asentarse cuidándose mucho de no transgredir nada. (LDS 485)

Der Schriftstellerberuf oder das Dichterdasein waren früher ein gefährliches Dasein: „Poesía y

cárcel, […] siempre han estado cerca.” (LDS 486). Heute sind es normale Berufe, für die gilt:

“Disciplina y un cierto encanto dúctil, ésas son las claves para llegar a donde uno se proponga.”

(LDS 490). Sich den Wünschen des Publikums zu beugen und somit dem Marktgesetz zu fügen,

                                                            39 „Los años`70, es decir: los años en que la idea de vanguardia articuló por última vez en un modo de existencia, en una inmanencia vital, la pulsión política y la estética; [...]” (Pauls 2008: 330)

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ist das Erfolgsrezept. Belano widersetzt sich dieser Tendenz, indem er den Literaturkritiker, Iñaki

Echavarne40, von dem er eine schlechte Kritik seines Romans erwartet, zum Duell herausfordert.

Er verhöhnt den Literaturbetrieb (Cobas Carral/Garibotto 2008: 182) und agiert im Sinne der

Avantgarde, indem er Literatur zu einer gefährlichen Praxis macht.

Dies sind also die poetologischen Prämissen, die die Geschichtsebene impliziert. Doch wie genau

lässt sich LDS selbst einordnen? LDS ist strukturell rhizomartig organisiert: im polyfonen Mosaik

von Erzählern nimmt lediglich Juan García Madero, dessen Tagebuch den ersten und dritten Teil

des Romans ausmacht, eine besondere Stellung ein, die aber, durch die fast völlige Abwesenheit

seiner Person im mittleren und größten Teil, wieder relativiert wird41. Eben dieser mittlere Teil

wird von diversen Erzählern getragen, zu denen aber nicht die Hauptgestalten Lima und Belano

Romans zählen. Diese zwei Protagonisten sind (gemeinsam mit der Literatur) das Bindeglied

zwischen den ansonsten heterogenen Erzählern, deren Auswahl darüber hinaus völlig zufällig zu

sein scheint. In dieser Art der Perspektivführung gibt es keine spezielle Hierarchie, keiner der

Erzähler profitiert von einer alleinigen Autorität. Die Aussagen des einen werden häufig durch

die Aussagen anderer Erzähler relativiert, unterwandert oder ihnen wird widersprochen. Bolaño

macht häufig von diesem Relativierungsverfahren Gebrauch, das bei ihm ironisch, manchmal

auch komisch anmutet: mithilfe des Perspektivwandels führt er die Aussagen eines Subjektes

durch die Aussagen eines nächsten Subjektes ad absurdum.42 Diese Perspektivführung steht für

mehrere mögliche Wahrheiten, zeigt dem Leser aber auch immer wieder die Grenzen der

Erzählung auf.

Die ungewöhnliche Struktur deutet bereits die Schwierigkeit an, LDS in ein Genre einzuordnen.

Mit dem Titel könnte man einen Detektivroman erwarten, doch derartige Strukturen finden sich

nur ansatzweise im letzten Teil, wo Lima und Belano sich auf die Suche nach Tinajero machen.

Die detektivischen Bemühungen der beiden werden immer wieder ins Absurde gezogen und

finden den Gipfel der Sinnlosigkeit im plötzlichen Tod Tinajeros. Eine detektivische Auflösung

wird durch ironische Verstrickungen unmöglich gemacht. Ohnehin besteht LDS nicht aus einer

Handlung, sondern aus mehreren Einzelerzählungen, persönlichen Geschichten und Anekdoten:

                                                            40 Eine Anspielung auf den realen Literaturkritiker Ignacio Echevarría, der mit Bolaño befreundet war. 41 Tatsächlich gibt es nur eine einzige Erwähnung seines Namens im zweiten Teil, als ein imaginärer Interviewer Ernesto García Grajales, den einzigen, selbst ernannten realismo visceral-Forscher, nach Madero fragt. Grajales sagt aber, noch nie von Madero gehört zu haben (LDS 551). 42 Hierfür finden sich viele Beispiele im Roman z. B. sagt Felipe Müller an einer Stelle, dass Belano in vielen Hinsichten unzuverlässig sei, jedoch nicht, was Briefe betrifft: er beantworte sie immer. Mary Watson sagt im folgenden Kapitel, dass sie einen Brief an Belano geschrieben habe, der unbeantwortet geblieben sei.

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jeder Erzähler repräsentiert ein eigenes Genre, z. B. grenzt Andrés Ramírez’ Bericht ans

Magische.

Das Buch vollzieht durch die verschiedenen Schauplätze selbst eine nomadische Bewegung und

die verschiedenen Erzähler stellen einen nomadischen Korpus dar (Pauls 2008: 328): sie verteilen

sich über den Globus, sind unterschiedlicher Herkunft und repräsentieren verschiedene

spanische Dialekte, z. B. Jacobo Urenda aus Argentinien („Che Belano“, LDS 528) oder Hipólito

Garcés aus Peru („mi pata Ulises“, LDS 228). Sie nutzen verschiedene Register: so bringt Xosé

Lendoiro als Gelehrter lateinische Zitate in seinen Bericht ein (LDS 427-448); Alfonso Pérez

Camarga (LDS 328-330) gebraucht mexikanische Umgangssprache. Keine der diatopischen und

diastratischen Varietäten ist vorherrschend in LDS, es gibt kein Standard-Spanisch, mit dem sich

alle Erzähler identifizieren, vielmehr fügen sich die verschiedenen Varietäten zu einem

heterogenen Gesamtbild. LDS steht also auch für linguistische Exterritorialität (Echevarría 2008).

Sprachlicher Nomadismus äußert sich zudem in Sätzen wie dem folgenden:

Nos pasamos casi todo el día en la carretera, primero buscando El Cuatro, que según nos habían dicho estaba unos ciento cincuenta kilómetros al norte de Hermosillo, por la carretera federal y luego, al llegar a Benjamín Hill, a la izquierda, hacia el este, por un camino de terracería en el que nos perdimos y volvimos a salir a la federal, pero esta vez unos diez kilómetros al sur de Benjamín Hill, lo que nos llevó a pensar que El Cuatro no existía, hasta que de nuevo nos metimos por la desviación de Benjamín Hill [...] y dimos vueltas y vueltas por parajes que a veces parecían lunares y a veces exhibían pequeñas parcelas verdes, y que siempre eran desolados, y luego llegamos a un pueblo llamado Félix Gómez [...] y luego volvimos a salir a la federal [...] (LDS 577)

Sofern man bei dieser Anreihung von Sätzen, lediglich durch y (luego) getrennt, noch von EINEM

Satz sprechen kann, so spiegelt dieser Satz durch seine fließende Syntax eine eigene Bewegung,

eine Reise ohne Halt in sich wider. Gleichzeitig referiert der Satz inhaltlich auf einen Weg von

einigen Kilometern. Sätze wie dieser verinnerlichen die nomadische Bewegung, da sie die

physische Fortbewegung sprachlich ausdrücken.43

LDS verficht also eine nomadische Poetik im Sinne DuGs: die Erzählstrukturen sind offen,

transgenerisch und anti-hierarchisch; die heterogene Gruppe an Erzählern macht ein

rhizomartiges Gefüge aus, das beliebig, „zusammengewürfelt“ wirkt und für linguistischen

Nomadismus steht.

Diese Poetik steht in Einklang mit der vorangegangenen Analyse der Geschichtsebene, auf der

die Anbetung eines ästhetischen Propheten durch die ironische Emanzipation vom Mythos

Tinajero ad absurdum geführt wird. Belano steht am Ende ohne seine literarischen Mythen da

und hat sich als Waise und Nomade in der Globalisierung zu behaupten. Die

                                                            43 Nomadisierende Schriftverfahren: Ott 2005: 93.

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Entmythologisierung auf ästhetischer Ebene verläuft parallel zur Entwurzelung auf politischer

Ebene und passt zur polyfonen, heterogenen und nicht-hierarchischen Auslegung des Romans.

Der Abschied von der Avantgarde geht einher mit einer erneuten Trennung von Revolution und

Literatur, die in der Unfähigkeit mündet, sich ideologisch oder moralisch zu positionieren, bzw.

einer einheitlichen Linie zu folgen, auch wenn die nomadische Poetik immer eine politische

Sprengkraft besitzt. Die nomadische Poetik ist die Unmöglichkeit einer Festlegung auf eine neue

Strömung oder ein Genre: an ihre Stelle tritt eine Poetik der Kontingenz, bei der die Auswahl der

Erzähler und des Erzählten völlig zufällig und beliebig wirkt.

Dadurch, dass DuG in ihrem Konzept der Nomaden Bewegung als ständige Transgression in

Abgrenzung zu Institutionen und dem Staat betrachten, indem sie eine Poetik des ständigen

Werdens und Wandels fordern, und dadurch, dass sie die politische Dimension von Literatur

voraussetzen, ordnen sie sich selbst z. T. noch in eine avantgardistische Tradition ein. Ebenso

wie LDS: am Anfang ist der Roman dem Erbe der Avantgarde und dem Kampf gegen das

Etablissement selbst noch verpflichtet. Auch in LDS liegt die Seele eines Kunstwerks außerhalb

des Kanons und Arturo Belano, der noch in den 1990er Jahren einen Literaturkritiker zum Duell

herausfordert, ist ein Kind der Avantgarde. Das Gleiche gilt für die Rezeption von LDS: würde

man den Roman in all seinen Facetten als innovativ beschreiben, was er zweifelsohne ist, würde

man ihn wiederum in einen avantgardistischen Kontext der Normüberschreitungen und

Traditionsbrüche einordnen.

Im Zusammenhang des Nomadischen geht es aber weniger darum, sich im Vergleich zu

vorangegangenen Werken abzugrenzen oder diese zu übertreffen, sondern darum, die Bewegung

und Kondition des Nomadischen auch in der Ästhetik zu manifestieren. Diese resultiert darin,

das Werk selbst in einem ständigen Wandel zu begreifen und nicht festzulegen. Mit Berufung auf

das Konzept der Nomaden von DuG ist LDS ein Roman, der sich auf der Geschichtsebene vom

Erbe der personengebundenen, zum Mythos tendierenden und hierarchischen Avantgarde löst

und diese Emanzipation in seiner Schreibweise besiegelt. Die Entwurzelung in poetischer

Hinsicht situiert LDS an der Schwelle zwischen Avantgarde und Postmoderne.

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4. ABSCHLIEßENDE WORTE

Roberto Bolaños Roman verortet sich in einem Kontext NACH den politischen Utopien, NACH

den literarischen Mythen und stellt die Frage, wie Literatur NACH der ästhetischen

Entmythologisierung und politischen Entwurzelung auszusehen hat (Manzi 2002: 154).

Klar ist, dass Los detectives salvajes sich auf keine neue Strömung festlegen lässt. Im Politischen folgt

nach der großen Enttäuschung keine Hoffnung auf eine neue Gesellschaftsordnung, dafür sind

die traumatischen Erfahrungen noch zu frisch. In ästhetischer Hinsicht ist es in Los detectives

salvajes nicht mehr zeitgemäß, der Linie eines Anführers zu folgen, vielmehr fügen sich viele

mögliche Einzelerzählungen zufällig zu einem Ganzen. Schließlich ist auch die Tatsache, dass

man noch am Leben ist, rein kontingent.

Das Konzept der Nomaden an der Schnittstelle zwischen Politik und Ästhetik hat uns also

sowohl einen Ansatz zur thematischen und politischen Einordnung, als auch zur poetischen

Konzeption von Los detectives salvajes geboten. In Arturo Belanos Nomadentum laufen räumliche,

persönliche, politische und ästhetische Aspekte zusammen. Auf allen drei Ebenen fungiert

Mobilität nicht als Mittel zum Zweck, zur Erreichung eines Ortes, sondern als Ziel in sich.

Ankommen oder Sesshaftigkeit bedeuten auch noch am Ende der Moderne negativ konnotierte

Stagnation und das Gegenteil von Fortschritt. Man kann Belanos Nomadismus als Folge

konkreter persönlicher und politischer Ursachen betrachten, dennoch ist er auch frei gewählt.

Zwar ist sein Weg eine Fluchtlinie, da er aus seinem Heimatland vertrieben wurde und den

Enttäuschungen einer Migration entgehen möchte. Mit der Bewegung vollzieht er aber eine

Transgression, die auf räumlicher Ebene eine vitale Antwort auf die Lähmung der Diktatur und

eine Rebellion gegen die Ordnung des Staates bedeutet. Das Trauma seiner Erfahrung in Chile ist

für Belano immer präsent, dessen Aufarbeitung er im liberianischen Bürgerkrieg anstrebt.

Die Transgression auf ästhetischer Ebene ist, auch wenn das Erbe der Avantgarde darin noch

erkennbar ist, eine subversive Poetik durch stetige Metamorphose. Los detectives salvajes verkörpert

die prozesshafte Ablösung von den avantgardistischen Hierarchien und den Prämissen der

Moderne, und zeigt den Aufbruch in ein globalisiertes, nomadisches Zeitalter.

Im Laufe dieser Arbeit hat sich gezeigt, dass eine eindeutige Interpretation von Los detectives

salvajes nicht möglich ist. Aus dem Grund wurden stets mehrere Faktoren und Möglichkeiten in

Betracht gezogen, da der Roman sich nicht auf eine Wahrheit festlegen lässt. Das mobile und

flexible Konzept der Nomaden hat sich als ein geeigneter Ansatz erwiesen, einen schwierig

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fassbaren Roman wie Los detectives salvajes zu begreifen, der sich dem Leser – quasi nomadisch –

immer wieder zu entziehen scheint.

Ein entscheidender Unterschied zur Avantgarde wird nach der Lektüre des Romans trotz allem

klar. Zufällig hat man überlebt und ebenso zufällig ist man zum Schriftsteller geworden. Ganz

wie das Leben nach der Katastrophe ist auch das Schreiben DANACH vergeblich und vergänglich,

nicht von Dauer, sinnlos. Kann das Schreiben zeitweise noch als Bewegung in sich ohne Ziel und

Zweck gewertet werden, als Schutz vor dem persönlichen Untergang, so ist die Ernüchterung

über das eigene Tun auch immer präsent: welchen Wert kann das eigene Werk noch haben,

nachdem es in der Zukunft institutionalisiert und unzählige Male überboten wurde? Roberto

Bolaño hat bis zu seinem Tod nicht aufgehört zu schreiben. Dennoch hört seine Faszination

nicht auf zu wirken.

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II

 

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WHITNEY, Kendall (2009): Wanderl[o]st. Lost Identities and Losing Place in the New World (Dis)Order

(Dissertation):

http://kuscholarworks.ku.edu/dspace/bitstream/1808/5452/1/Whitney_ku_0099D_10256_D

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Page 42: Von Arthur zu Arturo: Das Nomadische in Roberto …...Roberto Bolaño: „Los Neochilenos“ Ein Großteil der Faszination, die vom Romanwerk Roberto Bolaños ausgeht, speist sich

V

 

Erklärung

Hiermit versichere ich, dass ich diese Bachelorarbeit selbstständig verfasst und keine anderen als

die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe. Die Stellen meiner Arbeit, die dem

Wortlaut oder dem Sinn nach anderen Werken und Quellen, einschließlich der Quellen aus dem

Internet, entnommen sind, habe ich in jedem Fall unter Angabe der Quelle als Entlehnung

kenntlich gemacht. Dasselbe gilt sinngemäß für Tabellen, Karten und Abbildungen. Diese Arbeit

habe ich in gleicher oder ähnlicher Form oder auszugsweise nicht im Rahmen einer anderen

Prüfung eingereicht. Ich versichere zudem, dass die eingereichte elektronische Fassung den

beiden gebundenen Fassungen komplett entspricht.

Köln, den 4. Juni 2012

Leyla Bektas