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Von der Kunst des Singens; und von der Kunst, das Singen zu erforschen Arien für die Wissenschaft Helga Rietz 24.12.2014, 05:30 Uhr Gipsmodelle für die Erforschung von Singstimmen. (Bild: Goran Basic / NZZ) Was wissen wir über das Singen? Viel zu wenig, findet Matthias Echternach. Deshalb schiebt der Stimmforscher Weltstars der Oper in den Kernspintomografen. Bevor es mit den Experimenten losgehen kann, muss Matthias Echternach erst einmal Händchen halten. Die Probandin hat angesichts der großen Magnetspulen des Kernspintomografen und der engen Röhre, in die sie geschoben werden soll, ein Anflug von Klaustrophobie ereilt. Kurzentschlossen legt da der Arzt Jackett und Schuhe, Uhr und Manschettenknöpfe ab – alles Metallische stört das Magnetfeld und darf nicht mit in den MRI- Raum gebracht werden – und reicht seiner Probandin, so gut es eben geht, eine beruhigende Hand. Im Kontrollraum übernimmt die Ärztin Louisa Traser die Regie. Auf dem Smartphone sucht sie mithilfe einer Klavier-App ein paar Töne hervor und summt sich die Übungen vor, die im Protokoll stehen. Über Mikrofon und Lautsprecher kann sie direkt mit der Probandin sprechen. «Frau Behle, die erste Aufgabe ist ganz einfach», sagt Traser, «wir möchten Sie bitten, auf dem Vokal A eine Tonleiter nach unten zu singen. Fangen Sie in einer bequemen Lage an und singen Sie so weit runter, wie es geht.» Sieglinde im Scanner

Von Der Kunst Des Singens; Und Von Der Kunst, Das Singen Zu Erforschen - Zeitungsartikel

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Tutorial about the art of singing, vocal tecniques and medical aspects

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Von der Kunst des Singens; und von der Kunst, das Singen zu erforschen

Arien fr die Wissenschaft

Helga Rietz 24.12.2014, 05:30 Uhr

Gipsmodelle fr die Erforschung von Singstimmen. (Bild: Goran Basic / NZZ)

Was wissen wir ber das Singen? Viel zu wenig, findet Matthias Echternach. Deshalb schiebt der Stimmforscher Weltstars der Oper in den Kernspintomografen.

Bevor es mit den Experimenten losgehen kann, muss Matthias Echternach erst einmal Hndchen halten. Die Probandin hat angesichts der groen Magnetspulen des Kernspintomografen und der engen Rhre, in die sie geschoben werden soll, ein Anflug von Klaustrophobie ereilt. Kurzentschlossen legt da der Arzt Jackett und Schuhe, Uhr und Manschettenknpfe ab alles Metallische strt das Magnetfeld und darf nicht mit in den MRI-Raum gebracht werden und reicht seiner Probandin, so gut es eben geht, eine beruhigende Hand. Im Kontrollraum bernimmt die rztin Louisa Traser die Regie. Auf dem Smartphone sucht sie mithilfe einer Klavier-App ein paar Tne hervor und summt sich die bungen vor, die im Protokoll stehen. ber Mikrofon und Lautsprecher kann sie direkt mit der Probandin sprechen.

Frau Behle, die erste Aufgabe ist ganz einfach, sagt Traser, wir mchten Sie bitten, auf dem Vokal A eine Tonleiter nach unten zu singen. Fangen Sie in einer bequemen Lage an und singen Sie so weit runter, wie es geht.

Sieglinde im Scanner

Am Institut fr Musikermedizin in Freiburg im Breisgau ist das keine ungewhnliche Szene. Echternach erforscht die Physiologie der Singstimme. Seine Werkzeuge sind Hochgeschwindigkeitskameras und Endoskope, mit denen man den Stimmlippen beim Schwingen zuschauen kann; Masken, die, ber Mund und Nase gehalten, Druck und Luftstrom im Rachen messen; Gerte, die so wohlklingende Namen haben wie der Elektroglottograph und die Kernspintomografie (MRI).

War ich zu schnell?, will Frau Behle wissen. Nein, nein, ganz wunderbar, beruhigt Echternach. Jetzt das Gleiche noch einmal, nur von unten anfangend bis in die maximale Hhe.

Renate Behle ist eine der ganz groen Opernsngerinnen unserer Zeit. Ab Mitte der 1980er und bis in die 2000er Jahre sang sie auf den namhaftesten Bhnen der Welt die groen dramatischen Sopran-Rollen: Leonore, Elektra, Isolde, Sieglinde; die Brnnhilde im Ring der Nibelungen. Inzwischen ist Behle Ende 60 und tritt weiterhin auf. Noch im Sommer war sie an der Mailnder Scala zu erleben. Echternach sucht in ihrer Stimme Anhaltspunkte fr das, was physiologisch eine dramatische Opernstimme ausmacht.

Im Kernspintomografen ist ihre anfngliche Aufregung nach wenigen Tnen verflogen; nun fhlt sie sich hrbar wohl im Scanner. Echternach und Traser tauschen die Pltze, nun darf der Studienleiter selbst die Tne vom Kontrollraum aus angeben. Auf den Bildschirmen dort ist jetzt der Rachen der Sngerin im Querschnitt zu sehen. Vierundzwanzig Aufnahmen pro Sekunde protokollieren das Auf und Ab ihres Kehlkopfs, die Stellung der Zunge, ffnung und Form von Mundraum und Rachen. Echternach bittet jetzt um lang ausgehaltene Tne, deren Lautstrke an- und wieder abschwellen soll: Messa di voce, sagen Snger dazu.

Aufnahmen wie diese ermglicht erst ein Echtzeit-MRI. Dieses Gert liefert nicht nur statische Bilder aus dem Krper, sondern ganze Filme. Verleihen Snger im Scanner ihrer Stimme per Vibrato groes Volumen, registriert das MRI jedes Beben des Kehlkopfs. Bei Frau Behle allerdings zittert nichts. Trotz Vibrato.

Wie und wo genau das Vibrato entsteht, ist noch nicht ganz verstanden, erklrt Louisa Traser. Offenbar knnen Snger die przisen Oszillationen der Tonhhe sowohl mit einer Bewegung des Kehlkopfes als auch nur mit den Stimmlippen hervorrufen.

Die Stimmphysiologie, so viel ist schnell klar, hat derzeit weitaus mehr Fragen als Antworten zu bieten. Etwa die nach den Registern. Die natrliche Singstimme des Menschen klingt nicht in jeder Lage gleich, deshalb unterteilen Gesangslehrer und Stimmphysiologen sie in verschiedene Register. Whrend die Bruststimme, die fr die tieferen Tne zustndig ist, reich und voll tnt und in der Klangfarbe der Sprechstimme des Menschen hnelt, klingt das darberliegende Register der Kopfstimme dnn und rein. Bei mnnlichen Stimmen heit diese Stimmlage auch Falsett.

Wer Gesangspdagogen fragt, was in Kehlkopf und Rachen beim Registerwechsel eigentlich passiert und wie man erreicht, dass die Stimme in allen Tonhhen voll und schn klingt, bekommt unterschiedliche, oft einander widersprechende Erklrungen. Echternach rckt dem mit den Mitteln der Wissenschaft zu Leibe. Was beim Registerwechsel im Vokaltrakt passiert, diese Frage steht im Zentrum seiner Forschung.

Gar keine leichte Aufgabe

Deswegen bittet er Behle nun, eine G-Dur-Tonleiter zu singen. Dabei soll sie zwischen dem dritten und dem vierten Ton von der Brust- in die Kopfstimme wechseln. Selbst fr eine ausgebildete Sngerin ist das gar keine so einfache bung. Denn im klassischen Gesang lernen die Snger, den bergang zwischen den Registern zu verschleiern. Auf der Bhne soll die Stimme ja nicht wegbrechen, sondern noch in den hchsten Tnen klang- und kraftvoll den Saal fllen.

Erst jahrelanges ben und die przise Kontrolle des Stimmorgans lassen die Stimme sowohl in den unteren als auch in den hheren und hchsten Lagen voll und klar erklingen. Es ist diese Technik, die es professionellen Sngern erlaubt, mit der Stimme ein ganzes Orchester zu bertnen.

Dass sie der Forschung zuliebe fr einmal Registerbrche zulassen soll, hatte Behle denn auch nicht erwartet: Kann ich das berhaupt noch?, fragte sie in der Vorbesprechung.

Echternach, Anfang 40, ist Hals-Nasen-Ohren-Arzt, Phoniater (also Stimmarzt) und ausgebildeter Snger. Seine ersten Gesangsstunden bekam er als Kind und bis heute hat der Gesang einen festen Platz in seinem Leben: Neben seiner Ttigkeit am Universittsklinikum singt Echternach in professionellen Ensembles und Kammerchren.

So kommt es auch, dass Forscher und Probandin schon gemeinsam auf der Opernbhne standen. Das war 1985 am Staatstheater Hannover, und Renate Behle war noch nicht so berhmt wie jetzt. Echternach sang einen der drei Knaben in Mozarts Zauberflte, Behle in derselben Inszenierung die zweite Dame.

Fast 30 Jahre spter schaut der lngst erwachsene Knabe gebannt auf die Kernspin-Bilder aus dem Vokaltrakt der damals wie heute von ihm bewunderten Primadonna, whrend diese seinen Anweisungen folgend immer hhere tonale Sphren erklimmt. Diesmal gleicht sie den Registerwechsel aus, singt mit ihrer Bhnenstimme. Der bergang von der Brust- zur Kopfstimme ist nicht zu hren.

Wunderbar, ganz wunderbar, ruft Echternach ins Mikrofon, wie haben Sie das eben gemacht?

Bei hohen Tnen hebe sie das Gaumensegel an, erklrt Behle, und gebe zugleich leichten Druck im Unterbauch mache sozusagen eine Gegenbewegung zu den aufsteigenden Tnen.

Auf dem MRI-Bild ist deutlich das genaue Gegenteil zu sehen: Das Gaumensegel klappt zur Zunge herunter. Echternach lacht. Die Auflsung verrate ich Ihnen nachher.

Weltstars als Probanden

Vorher gibt es noch eine Arie: Behle singt Du bist der Lenz aus der Walkre, was, abgesehen davon, dass Forschung auch Spa machen muss, wie Echternach sagt, mit der Studie nichts zu tun hat. Der Tomograf schreibt mit, im Kontrollraum sind alle Ohren gespitzt.

Das erlebe er oft, sagt Echternach, auf die Diskrepanz zwischen Behles Wahrnehmung und der MRI-Messung angesprochen. Die Empfindungen der Snger stimmten nicht notwendig mit dem berein, was physiologisch im Vokaltrakt passiere. Schlimm sei das aber nicht, schlielich gehe es nicht darum, die Probanden zu korrigieren. Auch wenn wir schon einiges wissen, stehen wir immer noch am Anfang; wir lernen die Stimme gerade erst richtig kennen, betont der Forscher. Zwar lgen die Anfnge der Stimmforschung schon 200 Jahre zurck, doch stnden erst heute Methoden und Messgerte zur Verfgung, mit denen die Singstimme quantitativ erfasst werden knne: Nur wenige knnen eine Stimme so genau analysieren, wie wir das dank unseren technischen Mglichkeiten tun. Er wolle die Stimmen der besten und erfolgreichsten Snger analysieren. Wer sich auf dem Markt behauptet, der macht ja irgendwas richtig, so der Forscher, und genau das wollen wir abbilden. Deshalb kmen Laien als Probanden nicht infrage, sagt Echternach jedenfalls vorerst nicht.

Zwangslufig ist das ein Forschungsfeld, auf dem die Statistiken nur langsam wachsen. Sngerinnen, die die Knigin der Nacht geben knnen, gibt es nicht wie Sand am Meer; solche wie Renate Behle, die mit den dramatischen Wagner-Partien brillieren, erst recht nicht. Gerade die drei Brnnhilde-Partien im Ring der Nibelungen gehren zum Schwierigsten, was die Opernliteratur zu bieten hat. Nur zwlf bis fnfzehn Sngerinnen weltweit wrden die drei Partien zusammen berhaupt schaffen, sagt Echternach; fr Spitzenhuser wie die Met in New York oder die Mailnder Scala verenge sich der elitre Zirkel auf eine Handvoll Sopranistinnen. Entsprechend kommen Echternachs Studien an professionellen Opernsngern jeweils mit zehn oder weniger Probanden aus; bei Pilotstudien sind es meist nur zwei bis vier.

Auch Stimmforscher sind dnn gest. Weltweit setzt nur eine Handvoll Institute auf diesem Gebiet dynamische Kernspintomografien ein. Er profitiere vom Goodwill der neuroradiologischen Uniklinik, sagt Echternach. Hinzu kommt die Frderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Mit deren Geldern haben die Freiburger Forscher das wahrscheinlich schnellste Laryngoskop der Welt aufgebaut. Seinen Namen hat es aus dem Griechischen: larynx ist der Kehlkopf, skopein bedeutet betrachten.

Herzstck ist eine Kamera, die ursprnglich fr die Crash-Tests der Autoindustrie entwickelt wurde. Bei optimalen Lichtverhltnissen schafft sie eine Million Bilder pro Sekunde. Ein Luxusliner, sagt Echternach.

Damit kann der Forscher im Kehlkopf seiner Probandin in Zeitlupe beobachten, was im Kernspintomografen unsichtbar bleibt: die schnellen Schwingungen der Stimmlippen, die beim Singen und Sprechen die Schallwellen erzeugen. Dafr reichen dem Forscher nur 20 000 Bilder pro Sekunde schlielich ist der menschliche Rachen schwerlich optimal auszuleuchten.

Auf das Objektiv der Kamera haben die Forscher vom Institut fr Musikermedizin ein flexibles Endoskop montiert, das Echternach nun vorsichtig in Frau Behles Nasenloch schiebt. Oben an der Nasenwurzel biegt das Endoskop ab Richtung Kehlkopf.

Zuerst auf I, sagt Echternach, dann kitzelt es weniger am Gaumen.

Dann singt er die nchste Aufgabe vor: langgezogene Juchzer, die in mittlerer Lage beginnen und in die Hhe glissandieren, also stufenlos nach oben rutschen. Letzte Kontrolle der Endoskop-Position.

Entspannen Sie sich, so gut es geht. Behle juchzt, die bung dauert keine zehn Sekunden. Dann mssen 186 000 Bilder von der Kamera auf den Computer berspielt werden. Das dauert neun Minuten. Das Endoskop kann erst einmal raus. Frau Behle reibt sich die Nasenflgel.

Erst dieses Kamerasystem, sagt Echternach, habe die Beobachtung der Stimmlippenschwingungen in den hchsten Sopranlagen ermglicht. Etwa die teuflisch hohen Koloraturen, die Mozart seiner Knigin der Nacht ins Notenheft schrieb: Die Partie reicht bis zum dreigestrichenen F hinauf. Die zugehrige Schallwelle hat 1397 Schwingungen pro Sekunde. 1397 Mal pro Sekunde mssen sich die Stimmlippen der Sopranistin ffnen und schlieen, um diesen besonders hohen Ton zu erzeugen.

Mindestens zehnmal so viele Bilder muss die Kamera des Laryngoskops pro Sekunde machen, um derart schnelle Schwingungen in Zeitlupe sauber sichtbar zu machen. Das kann nur der Luxusliner.

Die zweite und dritte bung ist wie die erste, nur wird jetzt auf U und dann auf A gejuchzt. Endoskop einfdeln, Frau Behle juchzt, Endoskop raus. 186 000 Bilder bertragen. Frau Behle schnieft ein bisschen und reibt sich die Nasenflgel. Schlimm sei es nicht, versichert sie. Nur das Kitzeln am Gaumen, das sei schon unangenehm.

Oberhalb des dreigestrichenen C das entspricht 1046 Hertz und liegt in einem Bereich, den Laien kaum je erreichen wechseln Sopranistinnen ins Pfeifregister. Laut weitlufiger Lehrmeinung ffnen und schlieen sich die Stimmlippen in diesem Register nicht mehr. Vielmehr entstnden die hohen Tne so nahm man bis vor kurzem an , indem Luft kontinuierlich durch die Stimmritze strmt hnlich wie bei einer Flte. Echternach konnte 2012 zeigen, dass dies nicht stimmt: Sechs Sopranistinnen habe er inzwischen daraufhin untersucht, sagt er, und bei allen gesehen, dass die Stimmlippen auch im Pfeifregister noch schwingen und das bis hinauf zu 1568 Hertz. Im Oktober bekam Echternach fr diese Arbeit den European Phoniatrics Voice Award.

Trompetenstimmen

Ganz so hoch hinaus geht es heute nicht, jedenfalls nicht tonal. Die letzte Untersuchung erweist sich als die harmloseste: Frau Behle singt in eine Maske, die ber Mund und Nase gehalten wird. Sensoren darin messen den Luftdruck und Luftstrom beim Singen, ein Mikrofon zeichnet das Audiosignal auf. Echternach summt ein d' vor, Behle singt: Pa, pa, pa, pa . . . Das Gleiche dann noch einmal in hheren Tonlagen.

Ein Halsband mit Elektroden misst gleichzeitig den elektrischen Widerstand von Behles Kehlkopf. Geschlossene Stimmlippen leiten elektrischen Strom besser als geffnete, deshalb lsst sich aus den Messungen des Widerstands, dem Elektroglottogramm, ablesen, ob sich die Stimmlippen gleichmig ffnen und schlieen. Und ob sie das bei jedem Schwingungszyklus vollstndig tun ist das nicht der Fall, klingt der Ton verhaucht.

Dann ist wieder der bergang zwischen Brust- und Kopfstimme dran: Pa-ah pi-ih p-h pu-uh, singt Behle und lsst den Ton jeweils in das fistelige Kopfregister wegbrechen. Damit endet das Forschungsprogramm fr heute. Der Stimmforscher ist zufrieden.

In den darauffolgenden Wochen und Monaten wird Echternach aus all den Daten Renate Behles Stimme rekonstruieren. Elektroglottographie und die Messung mit der Maske geben Aufschluss ber die Frequenzen, die die Stimmlippen erzeugen; die Aufnahmen aus dem Kernspintomografen liefern die genaue Form ihres Vokaltrakts bei verschiedenen Tonhhen und Vokalen. Erst beides zusammen gibt der Stimme ihre charakteristische Klangfarbe.

Technisch betrachtet, funktioniert das Instrument Stimme wie eine Trompete: Hier wie dort erzeugen vibrierende (Stimm-)Lippen die Schallwellen, also einen gleichmig pulsierenden Luftstrom, dessen Grundfrequenz die Tonhhe bestimmt. Neben dem Grundton schwingen stets zahlreiche Obertne mit. Deren Intensitt bestimmt die Klangfarbe, beim Singen auch den Vokal. Das geschieht in den Hohlrumen oder, technisch gesprochen, Resonatoren , welche die Schallwellen im Vokaltrakt durchlaufen. Dort werden bestimmte Obertne verstrkt, andere unterdrckt.

In Echternachs Bro kann man das wie im Baukasten nachspielen. Dort liegen suberlich aufgereiht die Stimmen seiner Probanden, anhand von MRI-Daten mit dem 3-D-Drucker aus Gips nachgebaut. Ein bisschen morbid sieht das aus, weil man an den hohlen Gipsformen noch Lippen, Zhne und Zunge erkennt, der wulstige Rachen dahinter aber fremd wirkt. Das dreigestrichene F einer Koloratursopranistin sticht in der Sammlung hervor: Strohhalmdnn hat sie ihren Rachen gemacht, um ihrer Stimme in der extremen Hhe Klang zu verleihen.

Dort wo im Vorbild aus Fleisch und Blut der Kehlkopf sitzt, haben die Gipsmodelle ein kleines Loch. Hier lassen sich die Schwingungen der Stimmlippen simulieren: Eine kleine Lautsprechermembran erzeugt das genaue Frequenzspektrum. So werden die aus den gesammelten Daten gewonnenen Erkenntnisse noch einmal im physikalischen Modell berprft.

Ginge es nach Echternach, wrden die Erkenntnisse aus seiner Forschung bald in die Gesangspdagogik einflieen wenngleich der Fokus momentan auf der medizinischen Betreuung professioneller Snger liegt. Eines der nchsten Projekte soll etwa Stimmlippenverdickungen gewidmet sein, die vor allem bei professionellen Sopranistinnen auftreten und die den Sngerinnen zuweilen schlimme Beschwerden bereiten.

Seine eigene Gesangstechnik habe er im Lauf seiner Forschungsarbeiten jedenfalls schon grundlegend gendert und dadurch Techniken trainiert, die ihm das Singen leichter machten, sagt der Arzt und Wissenschafter: Meinem eigenen Singen hat die Wissenschaft also tatschlich etwas gebracht.

Den Tnen eine Seele geben

Das sehen nicht alle so. Renate Behle sagt unumwunden, das Wissen ber die Physiologie der Stimme helfe ihr beim Singen nicht: Ich kann doch auf der Bhne nicht berlegen, welchen Muskel ich als Nchstes bettigen soll, so die Sngerin, die sich als Professorin an der Hochschule fr Musik und Theater Hamburg selbst intensiv mit Stimmphysiologie beschftigt hat.

Auch dass die von ihr empfundene Vernderung im Vokaltrakt nicht mit der im Kernspintomografen gemessenen bereinstimmte, lsst Behle unbeeindruckt. Ganz bewusst macht die erfahrene Sngerin sich whrend des Singens keine Vorstellung von dem, was im Rachen vor sich geht. Neben dem technischen Vermgen seien Farben, der Ausdruck von Emotionen ebenso wichtig, sagt Behle: Ich nenne das den Tnen eine Seele geben!

Und berhaupt: Das Wesentliche am Gesang, das seien doch die Emotionen und die Sinne, betont die Sngerin. Da mag auch der Wissenschafter nicht widersprechen.