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Von Mendel Zur Gentechnik_Leseprobe

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Erst vor gut einhundert Jahren begann man zu verstehen, warum Kinder ihren Eltern gleichen. Und erst in der Mitte des 20. Jahrhundert hatte man die DNA als Erbinformation identifiziert und ihre Funktion beschrieben. Später erkannte man, dass noch weitere Faktoren an der Vererbung beteiligt sind, die bei einem völlig identischen genetischen Code zu völlig anderen Merkmalen oder Krankheiten führen; die Epigenetik war geboren.Und auch wenn man heute die Vererbung noch nicht in allen Details versteht, so verändert man doch schon regelmäßig das Erbgut von Bakterien, Pflanzen und Tieren.Die kleine Einführung in die Genetik spannt einen Bogen von Mendels Experimente bis zur modernen Gentechnik.

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Von Mendel zur Gentechnik

Eine kleine Einführung

in die Genetik

Kurt Martin

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Copyright © 2016 Kurt Martin, Red Horse, München Red Horse sind: Peter Hauser, Kurt Martin und Jack Eden

Email: [email protected]

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Das komplette Buch finden Sie hier:

http://www.amazon.de/dp/B01D3HQWAS

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1. EINLEITUNG

2. DIE MENDELSCHEN REGELN

3. DIE ERBINFORMATION

3.1. Chromosomen

3.2 Erbkrankheiten

3.3. Proteine oder DNA

3.4. Die Struktur der DNA

3.5. Der genetische Code

4. REGULATION DER GENE

4.1. Histon-Modifikationen

4.2. DNA-Methylierung

4.3. Transkriptionsfaktoren

4.4. RNA-Prozessierung

4.5. Translation

4.6. Protein-Modifikation

5. VERERBUNG

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5.1. Zellteilung

5.2. Die Replikation der DNA

5.3. Epigenetische Vererbung

6. MANIPULATION DER GENE

6.1. Klonen

6.2. Gentherapie

6.3. Gentechnik

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1. Einleitung Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, wie das Sprichwort sagt. Offensichtlich geben Eltern ihre Eigenschaften wie das Aussehen und ihren Charakter an ihre Kinder weiter. Doch warum ist das so? Nach welchen Regeln geschieht dies? Und was genau wird da eigentlich von Generation zu Generation weitergegeben? Lange nahm man es als gegeben hin, dass die Menschen ihr Aussehen und andere Eigenschaften weitervererbten. Noch im 19. Jahrhundert stellte man sich die Erbinformation als eine Art Flüssigkeit vor – beim Menschen dachte man hierbei an das Blut –, die von den Eltern an die Nachkommen weitergegeben wurde. Damit konnte man erklären, wieso die Nachfahren die Merkmale beider Eltern aufweisen konnten. Allerdings kann man Flüssigkeiten beliebig mischen, und die Nachkommen sollten die Merkmale ihre Vorfahren deshalb in beliebiger Ausprägung übernehmen. Der Augustiner-Mönch Gregor Mendel war Mitte des 19. Jahrhunderts wohl der erste, der diese Annahme wissenschaftlich untersuchte. In jahrelangen Analysen von Erbsenpflanzen kam er zu dem Schluss, dass die Merkmale der Eltern nicht beliebig an die Nachfahren weitergegeben werden, sondern dass die Nachfahren die Merkmale nach bestimmten Regeln übernehmen können. Mendel veröffentlichte seine Ergebnisse im Jahr 1866. Doch niemand interessierte sich dafür. Erst um 1900 wurden sie wiederentdeckt, und diesmal hatte man auch einen Kandidaten für den Träger, der die Erbinformation an die Nachkommen: Die Chromosomen, die man im Zellkern entdeckt hatte. Die große Frage war, wie die Erbinformation in den Chromosomen gespeichert war. Bei der Beantwortung dieser Frage hatte man einen großen Favoriten: Chromosomen enthielten Proteine, und man wusste schon, dass Proteine

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zahllose Formen annehmen konnten. Damit schienen sie wie geschaffen, um die Wörter für das komplexe Buch des Lebens zu bilden. Zwar hatte man Ende des 19. Jahrhunderts auch eine Nukleinsäure, die DNA, in den Chromosomen gefunden, doch diese bestand nur aus vier Basen, und schien damit nicht geeignet, die komplexen Erbinformationen zu kodieren. Umso erstaunter war man, als Experimente Mitte des 20. Jahrhunderts zeigten, dass die Erbinformation nicht in den Proteinen, sondern in der Nukleinsäure gespeichert war. Plötzlich setzte ein Rennen ein, um die Struktur der DNA, die man bisher nicht weiter beachtet hatte, zu entschlüsseln. Im Jahr 1953 stellten James Watson und Francis Crick ihr Doppelhelix-Modell der DNA vor, welches auch heute noch das allgemein akzeptierte Strukturmodell der DNA ist. Dann beschleunigten sich die Ereignisse. Schnell hatte man den genetischen Code identifiziert, mit dem die Erbinformation der DNA in die Aufbauanleitung der Proteine übersetzt wird, und schon in den 1970er Jahren gelang es, die Erbinformation von Bakterien zu manipulieren. Das Zeitalter der Gentechnik hatte begonnen. Lange glaubte man, dass die DNA alleine die Erbinformation stellt, die von Generation an Generation weitergegeben wird. Doch in der Zwischenzeit weiß man, dass dies nicht völlig korrekt ist. Auch genregulierende Faktoren, die man unter dem Begriff der Epigenetik zusammenfasst, können an die nächste Generation weitergegeben werden. Doch diese Forschung steht erst am Anfang. Dennoch verändert man heute schon routinemäßig das Erbgut von Pflanzen und Tieren. Diese Tätigkeit bleibt nicht ohne Kritik. Zu sehr fühlt man sich an Viktor Frankenstein erinnert, den Arzt, der in Mary Shelleys gleichnamigen Roman ein Monster erschuf. Auch wenn manch eine Kritik unbegründet sein mag, so bleiben doch Fragen, denen sich die Gentechnik stellen muss.

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Diese kleine Einführung in die Genetik spannt einen Bogen von Mendels Experimenten zur Vererbung bis hin zur Manipulation von Genen.

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2. Die Mendelschen Regeln Spricht man von der Verwandtschaft von Menschen untereinander, dann meint man, dass Blut dicker als Wasser sei. Unter der Blutlinie versteht man die direkten Nachkommen eines Menschen. All diese Ausdrücke zeigen, dass man für lange Zeit das Blut für den wichtigsten Faktor bei der Vererbung hielt. „Blut ist ein ganz besonderer Saft“, wie schon Mephisto in Goethes „Faust“ sagt. Er ist der Lebenssaft – verbluten wir, dann sterben wir auch. Damit war es offensichtlich, dass das Leben nur über das Blut von einer Generation an die nächste weitergegeben werden konnte. In der Wissenschaft ist es aber nicht nur wichtig, dass eine Erklärung offensichtlich richtig klingt, sondern dass sie auch überprüft werden und dabei bestätigt werden kann. Oder das sie zumindest Voraussagen trifft, die man überprüfen kann. So könnte man direkt überprüfen, ob bei der Befruchtung Blut beteiligt ist. Aber lange war es den Menschen nicht möglich, diesen Vorgang direkt zu beobachten – zu klein sind die beteiligten Zellen. Damit kann man die Behauptung, dass Blut oder eine andere Flüssigkeit an der Vererbung beteiligt, nur indirekt überprüfen. Wenn Blut vom Vater und der Mutter an die Nachkommen weitergegeben werden, dann müssten die Blutmengen in beliebigen Verhältnissen mischbar sein, so wie man auch zwei Flüssigkeiten in beliebigen Mengen mischen kann (wir ignorieren hier einmal, dass Flüssigkeiten aus Atomen und Molekülen bestehen; diese sind für unsere Messapparaturen ohnehin viel zu klein). Wenn also Vater und Mutter ihre Eigenschaften wie Aussehen und Charakter an ihre Nachfahren weitergeben, dann müssten diese in allen möglichen Nuancen auftreten. Dies scheint man auch zu beobachten. Doch der erste Eindruck kann manchmal täuschen. Es ist besser, man misst einmal genau nach, wie sich die Merkmale der Eltern auf die Nachkommen vererben.

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Was genau die Beweggründe gewesen sein mögen, kann man heute nicht mehr nachvollziehen. Wir wissen nur, dass der Augustinermönch Gregor Mendel im Kloster von Brünn (heute

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tschechisch: Brno) ab 1856 begann, Erbsenpflanzen miteinander zu kreuzen und sich die Ergebnisse dieser Kreuzung genau zu notieren. Insgesamt soll er bis 1863 mehr als 28.000 Erbsenpflanzen kultiviert haben. Dabei betrachtete er einige Merkmale der Erbsenpflanzen und –samen, die klar zu unterscheiden waren. Dazu gehörten die Form und Farbe der Samen: rund oder schrumpelig, gelb oder grün; die Farbe der Blüte: weiß oder violett; die Form und Farbe der Schoten: voll oder verengt, gelb oder grün; und das Aussehen der Stängel: Waren sie groß oder klein, hingen die Blüten an den Spitzen oder mittendrin (siehe Abbildung 1). Mendel kreuzte nun gezielt die Sorten miteinander, indem er die Pollen der einen Sorte auf die Narben der anderen Sorte brauchte und unerwünschte Selbst- und Fremdbestäubung durch Entfernen der Staubblätter und Verhüllung der Blüten ausschloss. Am Ende seiner Experimente stand die Erkenntnis, dass sich die Merkmale der Erbsen nicht völlig willkürlich vererbten, dass eine Erbse, die runde Samen hervorbrachte, und eine andere Erbse, die schrumpelige Samen hervorbrachte, eben nicht mal zur Hälfte runde und schrumpelige Erbsen hervorbrachte, und dann mal fast nur runde oder fast nur schrumpelige oder irgendwelche Zwischenformen, so als verteilten sich die Merkmale völlig zufällig. Sondern die Merkmale waren nach festen Regeln verteilt, die Mendel im Jahr 1866 in einem Aufsatz das erste Mal veröffentlichte – und der zu diesem Zeitpunkt niemanden interessierten. Erst um 1900 wurden seine Arbeiten wiederentdeckt, als Forscher wie Hugo de Vries, Carl Correns oder Erich Tschermak seine Ergebnisse wiederholt hatten und die vorhandene Literatur danach durchsuchten, was es zu diesem Thema schon gab. Etwas verwundert mussten sie feststellen, dass ein tschechischer Mönch diese Ergebnisse schon vor über dreißig Jahren gefunden hatte. Sie werden Mendel zu Ehren heute als Mendelsche Regeln bezeichnet. Bevor wir die Regeln beschreiben, wollen wir noch einige Begriffe klären, die uns das Verständnis der Regeln erleichtern. So bezeichnen wir die Erbfaktoren heute als Gene; sie bilden den

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Genotyp. Die Nachkommen erhalten für ein Merkmal je eine Kopie des Gens (welche als Allel bezeichnet wird) von ihren Eltern. Dabei kann es sein, dass eine Kopie des Gens dominant ist, die andere rezessiv, d.h. liegen beide vor, dann bestimmt die dominante das Merkmal (den Phänotypen). Es können aber auch beide Gene einen Teil zum Merkmal beitragen, man hat dann eine Mischung, so wie rot und weiß rosa bilden. Man spricht dann von einem intermediären Erbgang. Und zuletzt kann es noch vorkommen, dass beide Allele vollständig ausgebildet werden. Man spricht dann von einem kodominanten Erbgang, so wie man ihn bei den Blutgruppen hat, wo die Allele A und B, wenn sie von den Eltern kommen, zugleich ausgebildet werden. Besitzt ein Elternteil zwei gleiche Allele für ein Merkmal (zum Beispiel nur Allele für die Blutgruppe A oder nur Allele für die rote Farbe einer Blüte), dann nennt man dieses Elternteil homozygot oder reinerbig. Hat es hingegen unterschiedliche Allele für ein Merkmal (zum Beispiel rot und weiß für die Farbe der Blüte), dann ist das Elternteil heterozygot. Damit ergeben sich die folgenden drei Mendelschen Regeln in heutigem Sprachgebrauch: Die erste Regel ist die Uniformitätsregel. Sie gilt, wenn die beiden Elternteile sich in einem Merkmal unterscheiden, in diesem jedoch homozygot sind. Dann sind die Nachkommen der ersten Generation uniform. Sie haben sowohl den gleichen Genotyp (das Gen der Nachkommen hat immer dasselbe Allel von der Mutter und immer dasselbe Allel vom Vater), als auch denselben Phänotyp. Dieser kann sich jedoch je nach Erbgang unterscheiden. Bei einem dominant-rezessiven Erbgang haben alle Nachkommen das dominante Merkmal. Wenn die Blütenfarbe Rot gegenüber Weiß dominant ist, dann sind alle Nachkommen rot. Sie enthalten zwar Gene für rot und weiß, doch das rote Gen setzt sich durch. Beim intermediären Erbgang haben alle Mitglieder der ersten Generation von Nachkommen eine Mischform des Merkmals (bei den Farben rot und weiß zum Beispiel die Farbe rosa). Und beim kodominanten Erbgang werden beide Gene ausgedrückt,

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d.h. die Nachkommen zeigen beide Merkmale zugleich (wie bei den Blutgruppen). Interessanter wird es nun, wenn man aus dieser ersten Generation von Nachkommen wieder Nachkommen züchtet. Für diese zweite Generation von Nachkommen gilt Mendels zweite Regel, die Spaltungsregel. Auch hier kann man wieder drei Erbgänge unterscheiden. Mendel selber untersuchte den dominant-rezessiven Erbgang und fand, dass das dominante Merkmal zum rezessiven im Verhältnis 3:1 sichtbar wurde. Diese feste Relation war letztlich der Beweis, dass es so etwas wie Gene geben musste, kleinste Einheiten der Vererbung, die von den Eltern an die Nachkommen weitergegeben wurden. Konnten die Merkmale beliebig vererbt werden, dann wäre es äußerst unwahrscheinlich, dass bei jedem Merkmal und jedem Versuch dieses feste Mengenverhältnis sichtbar geworden wäre. Die Abbildung 2 zeigt, was bei der dominant-rezessiven Vererbung passiert. In der Elterngeneration haben wir zwei Elternteile die beide reinerbig ein Merkmal aufweisen, in unserem Beispiel die Blütenfarbe rot und weiß. In der ersten Nachkommengeneration erhält jeder Nachkomme ein Allel für eine rote Blüte und ein Allel für eine weiße Blüte. Das Allel für die rote Blüte ist jedoch dominant (dominante Gene werden mit einem Großbuchstaben abgekürzt), weshalb alle Nachkommen der ersten Generation eine rote Blüte haben (das ist die Uniformitätsregel). In der zweiten Nachkommengeneration vermischen sich die Gene. Ein Viertel der Nachkommen erhält reinerbig rote Allele, und die Blüte ist rot. Die Hälfte der Nachkommen erhält Gene für die rote und weiße Blüte, und die Blüte wird rot. Ein Viertel jedoch erhält nur Gene für die weiße Blüte, und die Blüte wird weiß. So erklärt sich das Verhältnis von 3:1 zwischen dominantem und rezessivem Merkmal.

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Bei einem intermediären Erbgang haben wir dieselbe Vermischung der Allele wie beim dominant-rezessiven Erbgang. Allerdings kommt es hier nur zur Ausprägung der reinen Farbe, wenn die Gene homozygot vorliegen, sonst mischen sich die Merkmale. Wir finden also, dass in der Enkelgeneration ein Viertel der Blüten rot sind, ein Viertel der Blüten sind weiß, und die Hälfte der Blüten ist rosa (siehe Abbildung 3).

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Der kodominate Erbgang zeigt dasselbe Verhalten wie der intermediäre, nur hat man hier keine Mischform, sondern die beiden Allele werden zugleich dargestellt. Man hat in der zweiten Nachkommengeneration also auch das Verhältnis 1:2:1 zwischen dem ersten Merkmal, beiden Merkmalen und dem zweiten Merkmal. Nun weist eine Pflanze oder ein Tier jedoch nicht nur ein Merkmal auf, sondern zahllose unterschiedliche Merkmale.

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Mendel hat herausgefunden, dass diese Merkmale unabhängig voneinander vererbt werden, dies ist die sogenannte Unabhängigkeitsregel. In der ersten Nachkommengeneration findet man natürlich nur eine Version des jeweiligen Merkmals (bei dem dominant-rezessiven Erbgang die dominante Version), während in der zweiten Generation die Merkmale wild durchmischt werden. Betrachten wir als Beispiel die Schote der Erbse. Deren Form kann verengt oder voll sein (mit den Genen Y und y abgekürzt, wobei die verengte Form die dominante ist), ihre Farbe kann grün oder gelb sein (mit den Genen R und r abgekürzt, wobei die grüne die dominante Form ist). Dann erhält man in der zweiten Generation die in Abbildung 4 dargestellte Vielfalt an Merkmalen.

Als Mendel diese Regel fand, hatte er jedoch etwas Glück. Bei den Merkmalen, die er bei den Erbsen untersuchte, ist es tatsächlich der Fall, dass die Merkmale unabhängig voneinander vererbt werden. Es kann jedoch vorkommen, dass manche Gene miteinander verbunden sind. So kann man bei manchen Katzen das Geschlecht an der Fellfarbe erkennen: Ist das Fell dreifarbig,

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dann muss es sich um ein weibliches Tier handeln, da die entsprechende Gene mit dem Gen für das Geschlecht verbunden sind. Die Uniformitätsregel gilt also oft, aber nicht immer.

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3. Die Erbinformation

3.1. Chromosomen

Nach welchen Regeln die Vererbung ablief, hatte Mendel im Jahr 1866 beschrieben, auch wenn seine Entdeckung erst ab 1900 allgemein bekannt wurde. Die große Frage war aber, wo die Informationen gespeichert sind, die von den Eltern an die Nachkommen weitergegeben werden. Während Mendel an seinen Experimenten arbeitete, untersuchten Forscher den Aufbau der Zelle. Dabei waren dem Schweizer Botaniker Carl Wilhelm von Nägeli schon 1843 eigenartige, fadenförmige Strukturen im Zellkern aufgefallen, die allerdings nur während bestimmter Phasen der Zellteilung sichtbar waren. Auch anderen Forscher fielen diese „Fäden“ auf, doch man maß ihnen keine besondere Bedeutung bei, weil man sie ja nur zeitweise in der Zelle erkennen konnte (in einer Phase um die eigentliche Zellteilung herum) und deshalb dachte man, dass es sich bei ihnen um keine dauerhafte, lebenswichtige Struktur handelte, sondern nur um irgendwelche Strukturen, die sich zufällig mal bildeten. Da man diese Fäden mit Farbstoffen besonders einfach sichtbar machen konnte, nannte man sie auch Chromatin. Als man die Zellteilung genauer untersucht hatte, bemerkte man, dass diese Fäden bei der Teilung der Zelle auf beide Zellen aufgeteilt wurden. Der deutsche Anatom Wilhelm Roux meinte 1883, dass dies kein Zufall sein konnte. Er vermutete, dass diese Fäden eine wichtige Rolle im Leben der Organismen spielten. Der österreichische Anatom Carl Rabl bemerkte, dass die Zahl der Fäden in den Zellen vor und nach der Zellteilung konstant ist und zudem für ein und dasselbe Lebewesen gleich ist. Er ging deshalb ab 1885 davon aus, dass diese Fäden nicht für die Zellteilung zufällig gebildet würden, sondern die ganze Zeit

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vorhanden waren, und sich für die Zellteilung eben nur so anordneten, dass sie sichtbar wurden. Würde sich die Fäden zufällig bilden, dann wäre es schon ein großer Zufall, dass alle Menschen dieselbe Anzahl haben. Diese Theorie, dass diese Fäden nicht zufällig gebildet wurden, war bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts unter Biologen stark umstritten. Ungeachtet von der Diskussion über das Vorhandensein dieser Fäden entwickelte der deutsche Evolutionsbiologe August Weismann die Hypothese, dass die Erbinformation in diesen Fäden lokalisiert sei. Im Jahr 1888 schlug der deutsche Anatom Wilhelm von Waldeyer den Namen „Chromosomen“ für diese Fäden vor, abgeleitet von der früher benutzten Bezeichnung Chromatin. Unter Chromatin versteht man heute das Material, aus dem die Chromosomen bestehen (ein Gemisch aus Proteinen und Nukleinsäure, wie man heute weiß). Wie Carl Rabl schon bemerkt hatte, ist die Zahl der Chromosomen bei einer Art identisch. So haben alle Menschen 46 Chromosomen (wie man feststellte, treten Chromosomen immer paarweise auf, Menschen haben also 23 Chromosomenpaare). Die Chromosomen liegen im Zellkern recht „zerknüllt“ vor (weshalb es auch so lange dauerte, die korrekte Anzahl zu bestimmen). Ordnet man diese der Reihe nach an, dann erhält man ein sogenanntes Karyogramm, wie es in Abbildung 5 zu sehen ist. Man erkennt im Karyogramm 22 identische Chromosomenpaare und ein Paar, welches aus einem großen und einem kleinen Chromosom besteht. Das große Chromosom wird X-Chromosom bezeichnet, das kleine als Y-Chromosom. Hierbei handelt es sich um die Chromosomen, die das Geschlecht des Menschen festlegen. Eine Frau hätte hier ein identisches Paar aus zwei X-Chromosomen.

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Um 1900 wurden die Mendelschen Regeln wiederentdeckt und zahlreiche Biologen führten Versuche durch, die letztlich beweisen, dass die Chromosomen tatsächlich die Träger der Erbinformation sind. Dazu gehörten die jahrelangen Kreuzungsversuche an Tausenden Taufliegen, die der amerikanische Zoologe Thomas Hunt Morgan ab 1908 durchführte. Ihm gelang es, einen Zusammenhang zwischen Veränderungen der Chromosomen und Veränderungen des Phänotyps herzustellen. Heute kennte man fünf verschiedenen Arten, wie Chromosomen verändert werden können: Ein Teil eines Chromosoms kann gelöscht werden, ein Teil eines Chromosoms kann sich verdoppeln, ein Teil eines Chromosoms kann invertiert werden, ein Teil eines Chromosoms kann in einem anderen Chromosom eingefügt werden, und zwei Chromosomen könne Teile tauschen (siehe Abbildung 6). Diese Veränderungen bezeichnet man auch als Mutationen.

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Mit den Mendelschen Regeln und dem Verständnis, dass die Erbinformationen in den Chromosomen gespeichert sind, wobei es ein Paar Geschlechtschromosomen gab, die sich beim Mann und der Frau unterschieden, konnte man endlich erklären, wie sich Erbkrankheiten innerhalb einer Familie ausbreiteten.

3.2 Erbkrankheiten

Erbkrankheiten kann man in vier Gruppe unterteilen: Es gibt Erbkrankheiten, die vom Geschlecht abhängen, und solche, bei

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denen das nicht der Fall ist. Und in beiden Fällen gibt es dominante und rezessive Krankheiten. Erbkrankheiten mit autosomal-rezessiven Erbgängen sind Erbkrankheiten, die kein Geschlechtschromosom betreffen und rezessiv verlaufen. Der Erkrankung kann vom Vater oder von der Mutter kommen. Erhält ein Kind ein krankes Gen von einem Elternteil, dann kann es die Krankheit weitergeben, wird selber jedoch nicht krank. Erhält ein Kind das kranke Gen von beiden Elternteilen, dann tritt die Krankheit auf (siehe Abbildung 7).

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Beispiele für Erbkrankheiten mit autosomal-rezessiven Erbgängen sind die Mukoviszidose oder der Albinismus. Mukoviszidose ist die am häufigsten vorkommende autosomal-rezessive Erbkrankheit. Statistisch gesehen kommt auf 2000 Lebendgeburten ein erkranktes Kind. Dazu trägt auch die Tatsache bei, dass es nicht nur eine Veränderung der Gene gibt, die zu dieser Krankheit führen, sondern bis heute 1900 Genveränderungen bekannt sind, die Mukoviszidose hervorrufen. Bei der Mukoviszidose ist der interne Wasserhaushalt gestört, was dazu führt, dass der Wassergehalt des Bronchialsekrets oder der Sekrete der Bauchspeicheldrüse, der Galle, der inneren Geschlechtsorgane und des Dünndarms zu niedrig sind. Die Sekrete sind deshalb sehr zähflüssig und in den betroffenen Organen kann es zu Funktionsstörungen kommen. Mukoviszidose kann nicht geheilt werden. Die ersten Symptome zeigen sich schon in der Kindheit, und in aller Regel sterben die Betroffenen früh. Dank moderner Medikamente, die die Auswirkungen der Krankheiten eindämmen, ist es immerhin möglich, das durchschnittliche Lebensalter der Betroffenen auf etwa 40 Jahre anzuheben. Beim Albinismus handelt es sich um eine Störung bei der Synthese der Pigmente (Melanine) im Körper. Die Betroffenen haben hellere Haut-, Haar- und Augenfarbe. Im Durchschnitt ist einer von 20.000 Menschen davon betroffen. Die Betroffenen haben ein erhöhtes Risiko für Sonnenbrand und damit auch für Hautkrebs. Im Allgemeinen verringert diese Erbkrankheit jedoch nicht die Lebenserwartung. Neben den rezessiven gibt es natürlich auch Erbkrankheiten mit autosomal-dominanten Erbgängen. Hier erkrankt jedes Kind, welches ein krankes Gen erhält, d.h. es reicht schon aus, wenn ein Elternteil die Erbkrankheit besitzt (siehe Abbildung 8).

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Auch wenn in diesem Beispiel der Vater erkrankt war, ist es unerheblich, welcher der bei Elternteile erkrankt ist; es kann ebenso gut auch die Mutter betroffen sein. Zur Erbkrankheit mit einem autosomal-dominanten Erbgang gehören Chorea Huntington und die Sichelzellenanämie. An der Krankheit Chorea Huntington erkranken fünf von 100.000 Menschen. Die Krankheit bricht in der Regel um das 40. Lebensjahr aus und führt innerhalb von 15 Jahren zum Tod. Sie wurde im Jahr 1872 vom amerikanischen Arzt George Huntington das erste Mal beschrieben. Die Ursache ist ein

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fehlerhaftes Protein, welches die Gehirnzellen zerstört, die für die Muskelsteuerung und grundlegende mentale Funktionen benötigt werden. Die Symptome sind Störungen des Gefühlslebens, der Muskelsteuerung und Mimik und im Endstadium Demenz. Man kann der Verlauf der Krankheit etwas verlangsamen, jedoch nicht aufhalten. Bei der Sichelzellenanämie bilden die Betroffenen ein sichelförmiges rotes Blutkörperchen, obwohl im Protein Hämoglobin nur eine einzige Aminosäure vertauscht ist. Diese Blutkörperchen können recht leicht miteinander verklumpen (siehe Abbildung 9) und kleine Blutgefäße verstopfen, wodurch es zu Entzündungen und Durchblutungsstörungen kommen kann. Dies kann zu Schäden in den Organen führen. Die Betroffenen haben deshalb eine verringerte Lebenserwartung.

Die Sichelzellenanämie kommt nur sehr lokal vor: Sie tritt besonders in Gegenden auf, die stark von Malaria betroffen sind. So gibt es Gegenden in Afrika, in denen fast ein Drittel der Bevölkerung eine Sichelzellenanämie aufweist, während die

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Krankheit in anderen Gegenden der Welt (z.B. in Europa) praktisch unbekannt ist. Man vermutet, dass die Sichelzellenanämie einen Schutz gegen Malaria darstellt, auch wenn der genaue Prozess noch nicht verstanden ist. Eine Möglichkeit besteht darin, dass Sichelzellen verstärkt Sauerstoffverbindungen wie Wasserstoffperoxid bilden, die für den Malaria-Parasiten giftig sind. Allerdings profitieren von diesem Schutz nur diejenigen, die nur ein mutiertes Gen besitzen. In diesem Fall sind die roten Blutkörper nur schwach sichelförmig geformt, und die Krankheit verläuft nicht so schnell. Erhielt jemand das betroffene Gen von beiden Eltern, dann verläuft die Krankheit so schnell, dass der Betroffene früh stirbt und von dem zusätzlichen Schutz gegen Malaria nicht profitieren kann. Ein besonderer Fall liegt vor, wenn das betroffene Gen das X-Gen der Geschlechtschromosomen ist. Hier kann es sein, dass sich auf dem verkleinerten Y-Gen der Männer kein gesundes Gegenstück findet. Die Geschlechter sind deshalb unterschiedlich stark von diesen Erbkrankheiten betroffen. Allerdings muss dies nicht immer zum Nachteil des Mannes sein; denn welches Geschlecht stärker von einem erkrankten X-Gen betroffen ist, hängt davon ab, ob die Vererbung rezessiv oder dominant erfolgt. Ist der Erbgang X-chromosomal rezessiv, dann sind Frauen nur dann betroffen, wenn sie das mutierte Gen von beiden Elternteilen bekommen. Bekommen sie es nur von einem Elternteil, dann wird es durch das gesunde Gen des anderen Elternteils ausgeglichen. Männer hingegen haben keine Möglichkeit, das mutierte Gen durch ein gesundes auszugleichen, da dies auf dem Y-Chromosom in der Regel nicht vorkommt. Sie können also schon betroffen sein, wenn nur ein Elternteil das kranke Gen trägt, und erkranken deshalb deutlich häufiger an dieser Erbkrankheit als Frauen, die jedoch häufiger als Trägerin der Krankheit auftreten (siehe Abbildung 10).

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Ist der Vater hingegen krank und die Mutter gesund, dann bleiben die Söhne verschont, da der Vater sein Y-Gen an die Söhne weitergibt, sein krankes X-Gen hingegen an die Töchter – die jedoch von der Mutter ein gesundes X-Gen erhalten und nicht erkranken (siehe Abbildung 11).

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Die wohl bekannteste Erbkrankheit mit einem X-chromosomal rezessiven Erbgang ist die Bluterkrankheit oder Hämophilie. Bei den Betroffenen gerinnt das Blut nicht oder nur sehr langsam, da ein Gerinnungsfaktor im Blut fehlt. Sie können also selbst an kleinen Wunden verbluten. Heute kann man den fehlenden Gerinnungsfaktor ersetzen, so dass Bluter ein normales Leben führen können.

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Die Bluterkrankheit wurde auch als „Krankheit der Könige“ bezeichnet, weil überdurchschnittlich viele Mitglieder des Hochadels betroffen waren. Ausgangspunkt war vermutlich die britische Queen Victoria, die im 19. Jahrhundert lebte und ihre Nachfahren mit den wichtigsten Königshäusern vermählte. So heiratete ihre Enkelin Alix von Hessen-Darmstadt den letzten russischen Zaren Nikolaus II. und übertrug die Krankheit auf ihren Sohn Alexei, den letzten Zarewitsch.

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Anders sieht die Situation bei Erbkrankheiten aus, die mit einem X-chromosomal-dominanten Erbgang übertragen werden. Frauen erhalten X-Chromosomen vom Vater und von der Mutter, Männer hingegen nur von der Mutter. Damit haben Frauen ein höheres Risiko, ein mutiertes Gen zu erhalten. Ist der Vater an der Erbkrankheit erkrankt, dann werden auch seine Töchter krank sein, seine Söhne hingegen nicht (siehe Abbildung 12).

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Nur wenn die Mutter erkrankt ist, besteht auch für männliche Nachfahren das Risiko, an dieser Erbkrankheit zu erkranken (siehe Abbildung 13). Zu diesen Erbkrankheiten gehört zum Beispiel das Rett-Syndrom, welches 1966 vom Wiener Kinderarzt Andreas Rett das erste Mal beschrieben wurde. Man schätzt, dass etwa ein Kind von Zehntausend betroffen ist. Die betroffenen Kinder entwickeln sich anfangs normal, verlieren aber zwischen dem siebten Lebensmonat und dem zweiten Lebensjahr teilweise bereits erlernte Fähigkeiten wie das Sprechen und den Gebrauch der Hand. Die Zustände stabilisieren sich dann wieder und das Kind kann ein normales Alter erreichen. Allerdings zeigen die Betroffenen Symptome von Autismus und geistiger Behinderung. Ursache ist eine Veränderung des Cholesterinstoffwechsels. Vererbt werden kann auch die Anfälligkeit für Allergien, Übergewicht, Haarausfall, Migräne, Schizophrenie und anderen Krankheiten. Allerdings spricht man hier nicht von Erbkrankheiten, da diese Krankheiten nicht durch Veränderungen der Gene verursacht werden, sondern bestimmte Gene nur die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass diese Krankheiten im späteren Leben auftreten können. Auch andere Krankheiten wie das Down-Syndrom sind genetisch bedingt. Allerdings wird die Krankheit nicht vererbt, sondern sie entsteht, wenn sich die Erbinformationen im Kind ändern. Beim Down-Syndrom, welches zu einer geistigen Behinderung führt, liegt das Chromosom 21 nicht doppelt, sondern dreifach vor. Man spricht deshalb auch von Trisomie-21. Das Risiko, dass die Nachkommen diese Veränderung der Chromosomen haben, steigt mit dem Alter der Mutter.