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In Cannes haben Sie präsentiert, wie Ikea interne und externe Datenquellen nutzen kann, um seine Kreation zu ver- bessern. Reicht das Ikea-Family-Pro- gramm als Datenquelle nicht mehr? Mit Ikea Family, unserem Kundenclub, der heute etwa 118 Millionen Mitglieder umfasst und damit einer der größten Kundenclubs der Welt ist, haben wir na- türlich sehr viele Daten von unseren jetzi- gen Kunden, unserer Kernzielgruppe. Über ein Projekt mit Kantar Consulting haben wir einen neuen Weg gefunden, eigene Daten mit mehreren externen Da- tenquellen so zu kombinieren, dass wir ein wirklich dreidimensionales Bild von all unseren Audiences erhalten – Kunden wie Nicht-Kunden. Heute sind etwas mehr als die Hälfte der Haushalte im Ein- zugsbereich unserer Märkte auch Kun- den. Das ist schön, aber wir wollen diesen Anteil natürlich noch ausbauen. Und mit den Erkenntnissen aus der Kombination von internen und externen Datenquellen können wir jetzt deutlich wirksameren Content kreieren, um nicht nur unsere bestehenden Kunden enger an die Marke zu binden, sondern auch neue Kunden mit den spezifischen Insights und An- geboten zu gewinnen. Ist CRM als Planungsinstrument für das Marketing nur relevant bei Stamm- kunden? CRM und Precision Marketing wird ein immer wichtigerer Bereich des Marke- tings. Bei Ikea investieren wir schon seit Jahren in die dafür nötige Technologie und Kompetenz, um Kunden besser zu binden und den Customer Lifetime Value zu erhöhen. Und wir sehen schon einen sehr guten Effekt. Unsere andere Frage ist aber, wie man neue Kundengruppen ge- winnt. Da gibt es klassische Tools, wie verschiedene Marktforschungsmethoden und Zielgruppensegmentierung. Das war uns nicht mehr genug, weshalb wir in dem Projekt mit Kantar Consulting nach neuen Wegen gesucht haben. Für diesen Prozess waren auch unsere CRM-Daten unverzichtbar. Können Sie mit Ihrem Programm auch potenzielle Influencer fürs Marketing identifizieren? Wir verfolgen schon lange die Strate- gie, Family-Mitglieder mit Content zu versorgen, den sie dann auf ih- ren sozialen Kanälen teilen kön- nen. Das Schöne an Ikea ist, dass wir eine Love Brand sind. Wir ha- ben sehr viele Markenbotschaf- ter, die regelmäßig unseren Con- tent verbreiten. Wir nennen sie nur nicht Influencer, sondern Brand Ambassadors. Hier setzen wir weniger auf Influencer Mar- keting, wo man Kooperationen einkauft, sondern versuchen über relevanten Content wie zum Beispiel exklusive Previews oder Storys hinter den Produk- ten die Markenbotschafter zu aktivieren. Wie groß ist das Potenzial der Da- ten? Ersetzt am Ende KI-Software die Marketingabteilung? KI kann sehr effizient Daten analysieren und effektive Empfehlungen zur „next best action“ geben, aber in der strategi- schen Planung ist es immer noch der Mensch, der die Kunden-Insights hinter den Analytics sieht. So sehr die neue Technologie enorme Potenziale bringt und die Instrumente der KI und Machine Learning für alle Unternehmensbereiche exponentielle Verbesserungsmöglichkei- ten eröffnen, ist es für die Unternehmen wichtig, nicht aus den Augen zu verlieren, dass hinter all den Datensätzen und Sin- gle Views viele individuelle Menschen stecken. Ich nenne das wertebasierte Di- gitalisierung. Welche Menschen will Ikea denn über die Datensätze als Kunden erkennen? Gibt es für Sie überhaupt noch uner- schlossene Zielgruppen? Wie viele andere Marken auch haben wir eine starke Kernzielgruppe: Bei uns sind das die jungen Familien. Denn das sind Menschen, die aufgrund ihrer privaten Umstände sehr bewusst darauf achten, wie sie ihr Geld ausgeben. Dadurch wird unser Markenversprechen, schönes Ein- richtungsdesign zu attraktiven Preisen zu bieten, extrem relevant. Und außerdem entstehen in der Lebenssituation einer jungen Familie immer wieder neue Be- dürfnisse, wodurch sie für Ikea zu be- sonders regelmäßigen Kunden werden. Aber es gibt sicherlich auch Potenziale für Ikea, zum Beispiel bei der etwas älteren Bevölkerung. Diese Zielgruppe kauft auch bei uns ein, aber sobald es um grö- ßere Möbel geht, steht uns bei einigen dieser Kunden unser Geschäftsmodell des Selbst-Zusammenbauens etwas im Weg. Deshalb wollen wir in diesem Bereich den Kunden bei der Convenience mit neuen Services entgegenkommen. Das gilt auch für die junge Bevölkerung, in der immer weniger ein Auto haben. In den USA haben Sie dazu die Zusam- menarbeit mit dem Unternehmen Task- rabbit gesucht. Soll so Ikeas globales Servicemodell aussehen? Taskrabbit ist natürlich erst einmal ein amerikanisches Unternehmen. Aber wir gehen davon aus, dass dieses Modell auch in anderen Märkten wie zum Beispiel England funktionieren wird. In allen Ge- sellschaften wächst die Bereitschaft zur Nutzung von Plattformen. Und eine Plattform, auf der Menschen mit einem gewissen Skill Set anderen Menschen als Service helfen, ist absolut skalierbar. Eine andere Methode, um neue Kunden zu erreichen, ist eine größere Vertriebs- reichweite – womit wir beim Thema E- Commerce wären. Wie verändert der Onlinehandel das Marketing-Modell ? Wir versuchen weniger über E-Commer- ce zu reden, sondern über Multichanne- ling. Ikea hat in der Vergangenheit ein einzigartiges Geschäftsmodell im statio- nären Handel aufgebaut. Diese Einzig- artigkeit wollen wir auch in den Multi- channel-Handel übertragen. Das ist eine Welt, in der sich Offline und Online in der Marken- und Produkterfahrung, aber auch im Einkaufserlebnis möglichst nahtlos überschneiden sollen. Das Ziel ist eine „phygital“ Customer Journey. Dazu versuchen wir die Einrichtungshäuser so zu gestalten, dass es viel mehr digitale Möglichkeiten gibt, um Produkte leichter zu finden, Empfehlungen zu bekommen und die Inspirationsmöglichkeiten zu er- weitern. Wer im Web oder von der Ikea- App mit Einrichtungsideen inspiriert wurde, soll diese Produkte problemlos im Markt finden und andersherum online schnell und einfach kaufen können, was er oder sie im Einrichtungshaus erlebt. Diese Entwicklung im Retail sieht man besonders im chinesischen Markt. Die Kunden dort unterscheiden nicht mehr zwischen Off- und Online-Kanälen. Man muss sich nur ansehen, wie innovativ ein Händler wie Alibaba Online und Offline miteinander verknüpft. Kann Augmented Reality das Scharnier zwischen Offline und Online sein? Wir glauben, dass die Technologie für uns sehr hilfreich ist. Augmented Reality hilft dem Kunden, das Erlebnis von dreidi- mensionaler Offlinewelt mit der On- linewelt spielerisch zu verknüpfen. Und das ist für uns wesentlich. Denn am Ende müssen sich unsere Möbel in einem drei- dimensionalen Zuhause beweisen. Des- halb ist für uns Augmented Reality und speziell die App Ikea Place ein wunder- bares Tool, mit dem sich der Kunde in- spirieren lassen und sichergehen kann, dass ein Produkt in sein Zuhause passt. Bei seinen Agenturen ist Ikea dagegen deutlich konservativer. Während ande- re große Marken massiv an ihren Agen- turbeziehungen arbeiten, hört man aus Ihrem Haus nichts. Sind Sie wunschlos glücklich? Es gibt Werbungtreibende, die solche und andere Themen deutlich öffentlicher dis- kutieren als wir. Aber nur weil Sie von Ikea nichts hören, heißt das nicht, dass wir keine Fragen hätten. Bei den Bought Media haben wir vor gut einem Jahr ei- nen großen globalen Mediapitch umge- setzt, bei dem Transparenz ein wichtiges Thema war. In einem Kontext, in dem Programmatic und damit die Datennut- zung eine zentrale Rolle spielt, war das ein wichtiger Fokus der Verhandlungen. Transparenz war auch schon in der Ver- gangenheit wichtig. Und doch musste ein Unternehmen wie Facebook seine Zahlen mehrmals nach unten korrigie- ren. Sind die Systeme heute transpa- rent? Zu einzelnen Plattformen wie Facebook oder Google will ich jetzt so generell nichts sagen. Das ist ein differenziertes Thema, worüber gerade eh viel geschrie- ben wird. Aber in unseren Media-Pitch- Verhandlungen haben wir darauf geach- tet, dass Partner, die heute eine Broker- rolle einnehmen, die größtmögliche Transparenz liefern. Ich finde die Frage spannend, wo die Gesamtentwicklung hingehen wird. Was passiert mit den Un- ternehmen, die heute eine Vermittlerrolle einnehmen, wenn Werbungtreibende mit der zunehmenden Reichweite der Platt- formen und einer Technologie wie Block- chain deren bisherige Services weniger benötigen? Werbungtreibende Unter- nehmen sollten nicht nur Technologie, sondern auch die nötige Intelligenz an- sammeln, um auf Augenhöhe mit den zukünftigen Plattformen und Medien- partnern agieren zu können. Brauchen Unternehmen intern ein Fortbildungsprogramm für ihre Marke- tingmitarbeiter, um das zu leisten? Auf jeden Fall. Weiterbildung ist eine nö- tige Investition in die Mitarbeiter. Wir ha- ben vor einigen Jahren zum Beispiel im Ikea-Marketing ein internes Fortbil- dungsprogramm eingeführt, wo wir zu- erst ein Assessment durchgeführt haben, um zu verstehen, wo die einzelnen Be- reiche in ihrem digitalen Wissen stehen: Was ist das digitale Basiswissen, das jeder im Marketingbereich braucht? Und was sind die spezifischen digitalen Kompe- tenzen, die die Mitarbeiter für ihren kon- kreten Aufgabenbereich benötigen? Die so identifizierten Wissenslücken haben wir dann über eigens entwickelte Lear- ning Tools geschlossen. Das ist ein Pro- zess, der nie beendet ist und in dem jeder Mitarbeiter zum „Learning by Doing“ er- muntert werden muss. Es gibt immer wieder neue Technologien, weshalb der eigene Wissensstand regelmäßig aufge- frischt werden muss. Die Frage, die das Management – übrigens nicht nur für den Marketingbereich – lösen muss, ist: Wie kann aus dem Unternehmen ein kontinuierlich lernendes Unternehmen werden? Ebenfalls wichtig: Zum Lernen gehört auch das Entlernen. Es ist genauso kritisch zu verstehen, was man angesichts der neuen Instrumente und Prozesse künftig nicht mehr zu tun braucht, um effizient zum Ergebnis zu kommen. Verlernen als Strategie wird eher selten propagiert. Welches Marketingwissen sollte die Branche möglichst schnell wieder verlernen? Ein Teil des Unlearnings betrifft klassi- sche lineare Marketing-Denkmodelle wie den Conversion Funnel oder AIDA. Gro- ße Teile des Unlearnings müssen in den Prozessen stattfinden. Zum Beispiel der traditionelle Conversion Funnel als linea- rer Prozess: Diesen können wir in der heutigen Praxis nicht mehr gebrauchen. In einigen Unternehmen hat das Marke- ting noch die Aufgabe, den Kunden zu rekrutieren und „übergibt“ ihn dann dem Vertrieb. Diese vertikalen Prozesse funktionieren immer weniger. Die einzel- nen am Kunden orientierten Funktionen im Unternehmen müssen sehr eng und horizontal zusammenarbeiten. Das Mar- keting als von Insights gesteuerter Bot- schafter der Konsumenten und Kunden muss verstehen, wie das individuelle Kunden- und Markenerlebnis über die ganzen komplexen Customer Journeys hinweg bis zum Wiederkauf positiv ge- staltet werden kann. Doch nur gemein- sam mit den anderen relevanten Funk- tionen kann auch in der Realität ein Mar- kenerlebnis geschaffen werden, welches der einzelne Kunde möglichst ohne Bruchstellen erlebt. Dazu ist viel Unlear- ning im Prozessdenken nötig. Sehen Sie in der Agenturlandschaft An- sprechpartner, denen Sie die dafür nöti- ge Kompetenz in Sachen Brand Experi- ence zusprechen würden? Für mich ist Brand Experience kein al- leiniges Marketingthema und damit auch kein spezielles Kreativ-Agenturthema. In einer Welt, die immer transparenter wird und wo Konsumenten, Kunden und Sta- keholder in die Unternehmen hinein- schauen wollen, wird die Corporate Cul- ture zu einem zentralen Element der Brand Experience. Dieses alte Denken, wo das Unternehmen eine Blackbox ist und das Marketing zusammen mit der Kreativagentur die Außenflächen mit ei- nem Markenerlebnis bespielt, das ist mei- ner Meinung nach einfach nicht mehr re- levant. Ein Unternehmen kann noch so gute Marketingkommunikation machen: Wenn die Customer Experience nicht stimmt, wenn beispielsweise die App nicht convenient funktioniert, das Call- center nicht erreichbar oder unfreundlich ist, dann ist die Brand Experience genau das. Der größte Treiber der Brand Ex- perience ist nicht die Werbung, sondern die Kombination aus Produkt, Conveni- ence und – immer wichtiger – einer Un- ternehmenskultur, die glaubwürdig und transparent über die Mitarbeiter, die Ma- nager und alle Berührungspunkte nach außen vermittelt werden kann. Daher denke ich, dass die klassischen Kommu- nikationsdienstleister nicht die wichtigs- ten Partner des Marketings bei der Brand Experience sind. Die wichtigsten Partner des Marketings bei der Schaffung einer nachhaltigen Brand Experience sind alle Stakeholder im Unternehmen. Eine Werbefigur gehört aber zumindest in Deutschland zum Ikea-Markenerleb- nis: Fräulein Smilla. Wird sie auch in- ternational Karriere machen? Deutschland ist ein Markt, in dem die schwedische Heritage im Markenkern von Ikea schon immer eine sehr starke Rolle gespielt hat. Seit vielen Jahren ha- ben wir schon den schwedischen Spre- cher als Wiedererkennungsmittel. In an- deren Märkten ist das weniger stark aus- geprägt. Von daher ist Fräulein Smilla mit ihrem schwedischen Charakter und Hu- mor in der Marketingwelt von Ikea ein sehr erfolgreiches deutsches Phänomen. A ls CMO gibt die deutsche Ma- nagerin seit 2012 der schwedi- schen Marke weltweit ein sym- pathisches Gesicht. Doch Claudia Willvonseder sieht die Notwen- digkeit grundlegender Veränderungen im Marketing. In Zeiten der Digitalisierung müssten Marketer bereit sein, altes Wis- sen zu verlernen, um auf der Höhe der Zeit zu bleiben. Von Santiago Campillo-Lundbeck FOTO: IKEA Ikea: CMO Claudia Willvonseder über die Markenführung im digitalen Zeitalter und die Notwendigkeit, Wissen zu verlernen Fräulein Smillas heimliche Schwester Nach einer Agenturkarriere bei Springer & Jacoby und Saatchi & Saatchi wechselt Claudia Willvonseder 2003 als Marke- tingberaterin für Ikea Deutsch- land auf die Unternehmens- seite. Es folgt 2006 die Er- nennung zum Head of Marke- ting Ikea Deutschland, 2010 wird sie auch noch Regional Marketing Manager. 2012 wechselt sie schließlich als Global Marketing Manager ins schwedische Hauptquartier, zwei Jahre später wird sie CMO. Claudia Willvonseder Ende August steht wieder ein Klassiker im Marketingjahr an: der Versand des Ikea-Katalogs. Ikea ist die einzige globale Marke, die bis heute einen gedruckten, jährlich erscheinen- den Katalog als Mittel der Kundengewinnung und -bin- dung nutzt. Der Katalog er- scheint in 33 Sprachen für 48 Märkte und erreicht 255 Milli- onen Menschen. Allerdings ist das Druckwerk heute weniger Produktverzeichnis, sondern vielmehr Content-Plattform. Ikeas Print-Power

Von S antiago Campillo-Lundbeck HORIZONT 33208/ 1 H ... · d ass ein Produkt in sein Zuhause passt. Bei seinen Agenturen ist Ikea dagegen deutlich konservativer. Während ande-re

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HORIZONT 33/2018 16. August 20181414 HINTERGRUND HORIZONT 33/2018 16. August 2018 15HINTERGRUND 15

In Cannes haben Sie präsentiert, wieIkea interne und externe Datenquellennutzen kann, um seine Kreation zu ver-bessern. Reicht das Ikea-Family-Pro-gramm als Datenquelle nicht mehr?Mit Ikea Family, unserem Kundenclub,der heute etwa 118 Millionen Mitgliederumfasst und damit einer der größtenKundenclubs der Welt ist, haben wir na-türlich sehr viele Daten von unseren jetzi-gen Kunden, unserer Kernzielgruppe.Über ein Projekt mit Kantar Consultinghaben wir einen neuen Weg gefunden,eigene Daten mit mehreren externen Da-tenquellen so zu kombinieren, dass wirein wirklich dreidimensionales Bild vonall unseren Audiences erhalten – Kundenwie Nicht-Kunden. Heute sind etwasmehr als die Hälfte der Haushalte im Ein-zugsbereich unserer Märkte auch Kun-den. Das ist schön, aber wir wollen diesenAnteil natürlich noch ausbauen. Und mitden Erkenntnissen aus der Kombinationvon internen und externen Datenquellenkönnen wir jetzt deutlich wirksamerenContent kreieren, um nicht nur unserebestehenden Kunden enger an die Markezu binden, sondern auch neue Kundenmit den spezifischen Insights und An-geboten zu gewinnen.

Ist CRM als Planungsinstrument fürdas Marketing nur relevant bei Stamm-kunden?CRM und Precision Marketing wird einimmer wichtigerer Bereich des Marke-tings. Bei Ikea investieren wir schon seitJahren in die dafür nötige Technologieund Kompetenz, um Kunden besser zubinden und den Customer Lifetime Valuezu erhöhen. Und wir sehen schon einensehr guten Effekt. Unsere andere Frage istaber, wie man neue Kundengruppen ge-winnt. Da gibt es klassische Tools, wieverschiedene Marktforschungsmethodenund Zielgruppensegmentierung. Das waruns nicht mehr genug, weshalb wir indem Projekt mit Kantar Consulting nachneuen Wegen gesucht haben. Für diesenProzess waren auch unsere CRM-Datenunverzichtbar.

Können Sie mit Ihrem Programm auchpotenzielle Influencer fürs Marketing

identifizieren?Wir verfolgen schon lange die Strate-gie, Family-Mitglieder mit Content

zu versorgen, den sie dann auf ih-ren sozialen Kanälen teilen kön-nen. Das Schöne an Ikea ist, dasswir eine Love Brand sind. Wir ha-ben sehr viele Markenbotschaf-ter, die regelmäßig unseren Con-tent verbreiten. Wir nennen sienur nicht Influencer, sondernBrand Ambassadors. Hier setzenwir weniger auf Influencer Mar-keting, wo man Kooperationeneinkauft, sondern versuchenüber relevanten Content wiezum Beispiel exklusive Previewsoder Storys hinter den Produk-ten die Markenbotschafter zu

aktivieren.

Wie groß ist das Potenzial der Da-ten? Ersetzt am Ende KI-Software

die Marketingabteilung?KI kann sehr effizient Daten analysieren

und effektive Empfehlungen zur „nextbest action“ geben, aber in der strategi-schen Planung ist es immer noch derMensch, der die Kunden-Insights hinter

den Analytics sieht. So sehr die neueTechnologie enorme Potenziale bringtund die Instrumente der KI und MachineLearning für alle Unternehmensbereicheexponentielle Verbesserungsmöglichkei-ten eröffnen, ist es für die Unternehmenwichtig, nicht aus den Augen zu verlieren,dass hinter all den Datensätzen und Sin-gle Views viele individuelle Menschenstecken. Ich nenne das wertebasierte Di-gitalisierung.

Welche Menschen will Ikea denn überdie Datensätze als Kunden erkennen?Gibt es für Sie überhaupt noch uner-schlossene Zielgruppen?Wie viele andere Marken auch haben wireine starke Kernzielgruppe: Bei uns sinddas die jungen Familien. Denn das sindMenschen, die aufgrund ihrer privatenUmstände sehr bewusst darauf achten,wie sie ihr Geld ausgeben. Dadurch wirdunser Markenversprechen, schönes Ein-richtungsdesign zu attraktiven Preisen zubieten, extrem relevant. Und außerdementstehen in der Lebenssituation einerjungen Familie immer wieder neue Be-dürfnisse, wodurch sie für Ikea zu be-sonders regelmäßigen Kunden werden.Aber es gibt sicherlich auch Potenziale fürIkea, zum Beispiel bei der etwas älterenBevölkerung. Diese Zielgruppe kauftauch bei uns ein, aber sobald es um grö-ßere Möbel geht, steht uns bei einigendieser Kunden unser Geschäftsmodell desSelbst-Zusammenbauens etwas im Weg.Deshalb wollen wir in diesem Bereich denKunden bei der Convenience mit neuenServices entgegenkommen. Das gilt auchfür die junge Bevölkerung, in der immerweniger ein Auto haben.

In den USA haben Sie dazu die Zusam-menarbeit mit dem Unternehmen Task-rabbit gesucht. Soll so Ikeas globalesServicemodell aussehen?Taskrabbit ist natürlich erst einmal einamerikanisches Unternehmen. Aber wirgehen davon aus, dass dieses Modell auchin anderen Märkten wie zum BeispielEngland funktionieren wird. In allen Ge-sellschaften wächst die Bereitschaft zurNutzung von Plattformen. Und einePlattform, auf der Menschen mit einemgewissen Skill Set anderen Menschen alsService helfen, ist absolut skalierbar.

Eine andere Methode, um neue Kundenzu erreichen, ist eine größere Vertriebs-reichweite – womit wir beim Thema E-Commerce wären. Wie verändert derOnlinehandel das Marketing-Modell ?Wir versuchen weniger über E-Commer-ce zu reden, sondern über Multichanne-ling. Ikea hat in der Vergangenheit eineinzigartiges Geschäftsmodell im statio-nären Handel aufgebaut. Diese Einzig-artigkeit wollen wir auch in den Multi-channel-Handel übertragen. Das ist eineWelt, in der sich Offline und Online in derMarken- und Produkterfahrung, aberauch im Einkaufserlebnis möglichstnahtlos überschneiden sollen. Das Ziel isteine „phygital“ Customer Journey. Dazuversuchen wir die Einrichtungshäuser sozu gestalten, dass es viel mehr digitaleMöglichkeiten gibt, um Produkte leichterzu finden, Empfehlungen zu bekommenund die Inspirationsmöglichkeiten zu er-weitern. Wer im Web oder von der Ikea-App mit Einrichtungsideen inspiriertwurde, soll diese Produkte problemlos imMarkt finden und andersherum onlineschnell und einfach kaufen können, waser oder sie im Einrichtungshaus erlebt.Diese Entwicklung im Retail sieht manbesonders im chinesischen Markt. DieKunden dort unterscheiden nicht mehrzwischen Off- und Online-Kanälen. Manmuss sich nur ansehen, wie innovativ einHändler wie Alibaba Online und Offlinemiteinander verknüpft.

Kann Augmented Reality das Scharnierzwischen Offline und Online sein?Wir glauben, dass die Technologie für unssehr hilfreich ist. Augmented Reality hilft

dem Kunden, das Erlebnis von dreidi-mensionaler Offlinewelt mit der On-linewelt spielerisch zu verknüpfen. Unddas ist für uns wesentlich. Denn am Endemüssen sich unsere Möbel in einem drei-dimensionalen Zuhause beweisen. Des-halb ist für uns Augmented Reality undspeziell die App Ikea Place ein wunder-bares Tool, mit dem sich der Kunde in-spirieren lassen und sichergehen kann,dass ein Produkt in sein Zuhause passt.

Bei seinen Agenturen ist Ikea dagegendeutlich konservativer. Während ande-re große Marken massiv an ihren Agen-turbeziehungen arbeiten, hört man ausIhrem Haus nichts. Sind Sie wunschlosglücklich?Es gibt Werbungtreibende, die solche undandere Themen deutlich öffentlicher dis-kutieren als wir. Aber nur weil Sie vonIkea nichts hören, heißt das nicht, dasswir keine Fragen hätten. Bei den BoughtMedia haben wir vor gut einem Jahr ei-nen großen globalen Mediapitch umge-setzt, bei dem Transparenz ein wichtigesThema war. In einem Kontext, in demProgrammatic und damit die Datennut-zung eine zentrale Rolle spielt, war das einwichtiger Fokus der Verhandlungen.

Transparenz war auch schon in der Ver-gangenheit wichtig. Und doch mussteein Unternehmen wie Facebook seineZahlen mehrmals nach unten korrigie-ren. Sind die Systeme heute transpa-rent?Zu einzelnen Plattformen wie Facebookoder Google will ich jetzt so generellnichts sagen. Das ist ein differenziertesThema, worüber gerade eh viel geschrie-ben wird. Aber in unseren Media-Pitch-Verhandlungen haben wir darauf geach-tet, dass Partner, die heute eine Broker-rolle einnehmen, die größtmöglicheTransparenz liefern. Ich finde die Fragespannend, wo die Gesamtentwicklunghingehen wird. Was passiert mit den Un-ternehmen, die heute eine Vermittlerrolleeinnehmen, wenn Werbungtreibende mitder zunehmenden Reichweite der Platt-formen und einer Technologie wie Block-chain deren bisherige Services wenigerbenötigen? Werbungtreibende Unter-nehmen sollten nicht nur Technologie,sondern auch die nötige Intelligenz an-sammeln, um auf Augenhöhe mit denzukünftigen Plattformen und Medien-partnern agieren zu können.

Brauchen Unternehmen intern einFortbildungsprogramm für ihre Marke-tingmitarbeiter, um das zu leisten?Auf jeden Fall. Weiterbildung ist eine nö-tige Investition in die Mitarbeiter. Wir ha-ben vor einigen Jahren zum Beispiel imIkea-Marketing ein internes Fortbil-dungsprogramm eingeführt, wo wir zu-erst ein Assessment durchgeführt haben,um zu verstehen, wo die einzelnen Be-

reiche in ihrem digitalen Wissen stehen:Was ist das digitale Basiswissen, das jederim Marketingbereich braucht? Und wassind die spezifischen digitalen Kompe-tenzen, die die Mitarbeiter für ihren kon-kreten Aufgabenbereich benötigen? Dieso identifizierten Wissenslücken habenwir dann über eigens entwickelte Lear-ning Tools geschlossen. Das ist ein Pro-zess, der nie beendet ist und in dem jederMitarbeiter zum „Learning by Doing“ er-muntert werden muss. Es gibt immerwieder neue Technologien, weshalb dereigene Wissensstand regelmäßig aufge-frischt werden muss. Die Frage, die dasManagement – übrigens nicht nur fürden Marketingbereich – lösen muss, ist:Wie kann aus dem Unternehmen einkontinuierlich lernendes Unternehmenwerden? Ebenfalls wichtig: Zum Lernengehört auch das Entlernen. Es ist genausokritisch zu verstehen, was man angesichtsder neuen Instrumente und Prozessekünftig nicht mehr zu tun braucht, umeffizient zum Ergebnis zu kommen.

Verlernen als Strategie wird eher seltenpropagiert. Welches Marketingwissensollte die Branche möglichst schnellwieder verlernen?Ein Teil des Unlearnings betrifft klassi-sche lineare Marketing-Denkmodelle wieden Conversion Funnel oder AIDA. Gro-ße Teile des Unlearnings müssen in denProzessen stattfinden. Zum Beispiel dertraditionelle Conversion Funnel als linea-rer Prozess: Diesen können wir in derheutigen Praxis nicht mehr gebrauchen.In einigen Unternehmen hat das Marke-ting noch die Aufgabe, den Kunden zurekrutieren und „übergibt“ ihn danndem Vertrieb. Diese vertikalen Prozessefunktionieren immer weniger. Die einzel-nen am Kunden orientierten Funktionenim Unternehmen müssen sehr eng undhorizontal zusammenarbeiten. Das Mar-keting als von Insights gesteuerter Bot-schafter der Konsumenten und Kundenmuss verstehen, wie das individuelleKunden- und Markenerlebnis über dieganzen komplexen Customer Journeyshinweg bis zum Wiederkauf positiv ge-staltet werden kann. Doch nur gemein-sam mit den anderen relevanten Funk-tionen kann auch in der Realität ein Mar-kenerlebnis geschaffen werden, welchesder einzelne Kunde möglichst ohneBruchstellen erlebt. Dazu ist viel Unlear-ning im Prozessdenken nötig.

Sehen Sie in der Agenturlandschaft An-sprechpartner, denen Sie die dafür nöti-ge Kompetenz in Sachen Brand Experi-ence zusprechen würden?Für mich ist Brand Experience kein al-leiniges Marketingthema und damit auchkein spezielles Kreativ-Agenturthema. Ineiner Welt, die immer transparenter wirdund wo Konsumenten, Kunden und Sta-keholder in die Unternehmen hinein-

schauen wollen, wird die Corporate Cul-ture zu einem zentralen Element derBrand Experience. Dieses alte Denken,wo das Unternehmen eine Blackbox istund das Marketing zusammen mit derKreativagentur die Außenflächen mit ei-nem Markenerlebnis bespielt, das ist mei-ner Meinung nach einfach nicht mehr re-levant. Ein Unternehmen kann noch sogute Marketingkommunikation machen:Wenn die Customer Experience nichtstimmt, wenn beispielsweise die Appnicht convenient funktioniert, das Call-center nicht erreichbar oder unfreundlichist, dann ist die Brand Experience genaudas. Der größte Treiber der Brand Ex-perience ist nicht die Werbung, sonderndie Kombination aus Produkt, Conveni-ence und – immer wichtiger – einer Un-ternehmenskultur, die glaubwürdig undtransparent über die Mitarbeiter, die Ma-nager und alle Berührungspunkte nachaußen vermittelt werden kann. Daherdenke ich, dass die klassischen Kommu-nikationsdienstleister nicht die wichtigs-ten Partner des Marketings bei der BrandExperience sind. Die wichtigsten Partnerdes Marketings bei der Schaffung einernachhaltigen Brand Experience sind alleStakeholder im Unternehmen.Eine Werbefigur gehört aber zumindestin Deutschland zum Ikea-Markenerleb-nis: Fräulein Smilla. Wird sie auch in-ternational Karriere machen?Deutschland ist ein Markt, in dem dieschwedische Heritage im Markenkernvon Ikea schon immer eine sehr starkeRolle gespielt hat. Seit vielen Jahren ha-ben wir schon den schwedischen Spre-cher als Wiedererkennungsmittel. In an-deren Märkten ist das weniger stark aus-geprägt. Von daher ist Fräulein Smilla mitihrem schwedischen Charakter und Hu-mor in der Marketingwelt von Ikea einsehr erfolgreiches deutsches Phänomen.

Als CMO gibt die deutsche Ma-nagerin seit 2012 der schwedi-schen Marke weltweit ein sym-pathisches Gesicht. Doch

Claudia Willvonseder sieht die Notwen-digkeit grundlegender Veränderungen imMarketing. In Zeiten der Digitalisierungmüssten Marketer bereit sein, altes Wis-sen zu verlernen, um auf der Höhe derZeit zu bleiben.

Von Santiago Campillo-Lundbeck

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: IKE

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Ikea: CMO Claudia Willvonseder über dieMarkenführung im digitalen Zeitalter unddie Notwendigkeit, Wissen zu verlernen

FräuleinSmillasheimlicheSchwester

Nach einer Agenturkarriere beiSpringer & Jacoby und Saatchi & Saatchi wechselt ClaudiaWillvonseder 2003 als Marke-tingberaterin für Ikea Deutsch-land auf die Unternehmens-seite. Es folgt 2006 die Er-nennung zum Head of Marke-ting Ikea Deutschland, 2010wird sie auch noch RegionalMarketing Manager. 2012wechselt sie schließlich alsGlobal Marketing Manager insschwedische Hauptquartier,zwei Jahre später wird sie CMO.

ClaudiaWillvonseder

Ende August steht wieder einKlassiker im Marketingjahr an:der Versand des Ikea-Katalogs.Ikea ist die einzige globaleMarke, die bis heute einengedruckten, jährlich erscheinen-den Katalog als Mittel derKundengewinnung und -bin-dung nutzt. Der Katalog er-scheint in 33 Sprachen für 48Märkte und erreicht 255 Milli-onen Menschen. Allerdings istdas Druckwerk heute wenigerProduktverzeichnis, sondernvielmehr Content-Plattform.

Ikeas Print-Power