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Galerie Barbara Weiss Weltkunst, #112, März 2016, S.60-66 Kohlfurther Strasse 41/43 10999 Berlin Tel +49-30-262 42 84 www.galeriebarbaraweiss.de Serienheld Mit Motivwiederholungen spielte Thomas Bayrle eine Hauptrolle in der deutschen Pop-Art, die gerade wiederentdeckt wird. Seine Karriere begann vor 50 Jahren in Wiesbaden. Nun kehrt er mit einer Ausstellung dorthin zurück VON TIM ACKERMANN

VON TIM ACKERMANN - Galerie Barbara Weiss Weltkunst.pdf · Gesicht zu geben (»Thirty Are Better Than One«, 1963), dann hatte jedes der dreißig Lä-cheln – bedingt durch die nie

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Galerie Barbara Weiss Weltkunst, #112, März 2016, S.60-66

Kohlfurther Strasse 41/43 10999 Berlin Tel +49-30-262 42 84 www.galeriebarbaraweiss.de

SerienheldMit Motivwiederholungen spielte Thomas Bayrle eine Hauptrolle

in der deutschen Pop-Art, die gerade wiederentdeckt wird.

Seine Karriere begann vor 50 Jahren in Wiesbaden. Nun kehrt er

mit einer Ausstellung dorthin zurück

VON

T I M AC K E R M A N N

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Es waren die Körper amerikanischer Show­

tänzerinnen, die Siegfried Kracauer zum

Ausdruck »Ornament der Masse« anregten.

In seinem gleichnamigen Aufsatz von 1927

dachte der Frankfurter Soziologe Phänomene

zusammen, die zuvor unverbunden existiert

hatten – die im Gleichschritt schwingenden

Beine der »Tiller Girls« und die fließ­

bandgesteuerte Arbeitsteilung des Taylor­

Systems. Kunst und Kapitalismus. »Das Mas­

senornament ist der ästhetische Relex der

von dem herrschenden Wirtschatssystem er­

strebten Rationalität«, lautete sein Urteil.

Kracauer starb 1966 in New York. Und

leider hat er die Werke eines anderen, jünge­

ren Frankfurters nicht mehr gesehen, der im

Ean der Frankfurter Städel­Schule wirkte, ist

erst in den vergangenen Jahren als eine prä­

gende Figur der deutschen Pop­Art wieder­

entdeckt worden. Nachdem er 2012 bei der

documenta in Kassel die Halle am Friedrichs­

platz mit Arbeiten füllte, ist nun wieder ein

wichtiges Bayrle­Jahr angebrochen: Im De­

zember widmet das Münchner Lenbachhaus

dem Künstler eine Werkschau. Seine erste

Einzelausstellung in den USA richtet das

Institute of Contemporary Art, Miami im

November aus. Und schon am 4. März be­

ginnt die Ausstellung, mit der Bayrle nach

50 Jahren wieder ins Museum Wiesbaden zu­

rückkehrt. Als Sparringspartner hat er dies­

mal seinen Vater ausgewählt.

selben Jahr eine seiner ersten Gruppenaus­

stellungen mit aufstrebenden Kollegen wie

Gerhard Richter und Sigmar Polke hatte. Die

Arbeiten von Thomas Bayrle in der Schau

»EXTRA« des Museums Wiesbaden wären

Kracauer wohl wie eine Verbildlichung seiner

Worte erschienen: Das Wandobjekt »Super

Colgate« (1965) zum Beispiel zeigte Reihen

weißer Strahlemünder beim Massenzähne­

putzen. Und in »Mao und die Gymnasiasten«

(1964) formiert sich hinter dem »Großen Vor­

sitzenden« in einem Stadion eine Masse spor­

tiver Chinesen, die ihre motorbetriebenen

Arme für die Fitness hebt und senkt.

All das ist fünf Dekaden her. Doch

Thomas Bayrle, der viele Jahre als Professor

3612 Chinesen können nicht irren: Thomas Bayrles Gemälde »Motta« (1966) verulkt eine italienische Eisreklame. Linke Seite:

Caravaggio aus iPhones – in seinem Werk »Rhapsody in blue« zitiert der Künstler das Bild »Der heilige Matthäus und der Engel«

(1602). Vorige Doppelseite: »Adam und Eva« (1989–1992) nach Dürers »Der Sündenfall« sowie »Christel von der Post« (1970)

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»Seniorenfeier« lautet der Titel dieses Genera-tionen-Projekts, das noch einmal markant vor Augen führt, wie sich das kulturelle Machtzentrum Mitte des 20. Jahrhunderts verschob – weg aus Europa, hin in die Neue Welt. Alf Bayrle, der Vater, lebte in den Zwan-zigern in Paris, war mit André Derain und Maurice Ravel befreundet und stilistisch von der modernen französischen Malerei geprägt. In Wiesbaden ist beispielsweise sein »Portrait Bürger Prinz« von 1929 zu sehen, das in der Maltechnik stark an Porträts Cézannes erin-nert. Sein »Stillleben (Birne)« folgt vergleich-baren Obstdarstellungen von Matisse oder Braque. Ganz anders die Tuschezeichnung »Distribution« (1971) von Bayrle junior: Sie zeigt die Maxi-Proportionen des weltweiten Früchtehandels als Birne amerikanisch-kapi-talistischer Prägung – die Super-Birne.

Nicht gemeinsame künstlerische Vorlie-ben sind also der Grund für das Familientref-fen, sondern eher das Gefühl des Sohns, et-was geraderücken zu können: »Mein Vater hatte das Pech, dass er in die Mühlen des Zweiten Weltkriegs geriet und seine Karriere deshalb abriss«, erzählt Thomas Bayrle. Auch dass Alf Bayrle nach dem Krieg eher unstra-tegisch zwischen Jobs in der Industrie, Lehr-auträgen und gelegentlicher Boheme pen-delte, mag seinen Teil beigetragen haben. »In

der Wohnung stapelte sich alles, was sammel-bar war«, erinnert sich Thomas Bayrle. »Es gab eine umfangreiche afrikanische Samm-lung. Sie wurde später verkaut. Es wurde ge-feiert, gut gegessen und getrunken – bis das Geld weg war.«

Es gibt einiges zu bereden am vernarb-ten Holztisch in Bayrles Frankfurter Küche, der in journalistischen Schilderungen schon als mythisches Objekt autaucht. Berühmte Künstlerkollegen wie Dieter Roth oder Law-rence Weiner haben hier gegessen und einige Bayrle-Schüler, die später weltbekannt wur-den: Tobias Rehberger, Sergej Jensen. Nicht wenige von ihnen haben wohl auch über die Objekte an der Wand geschmunzelt – und den fein abgestimmten Dialog zwischen der großen Kopfschmerztablette aus Holz von Martin Kippenberger und der Küchenuhr mit dem Zifernblatt voller Vieren, die ver-kündet: »Kein Bier vor vier!« Hier ofenbart sich der Humor von Thomas Bayrle. Der Gastgeber sitzt am Tisch über Eck und trägt ein Outit, das man von vielen Fotos kennt: grobes Karohemd, darüber Fleece-Jacke. Frisch gebrühter Kafee und salzige Snacks stehen auf dem Tisch.

Die Ofenheit, die Bayrle als Person aus-strahlt, spiegelt sich in der enormen Zugäng-lichkeit seiner Werke wieder, die in einer

Apotheose des Alltäglichen eben jene Dinge als Bausteine nutzen, die Menschen aus ih-rem stinknormalen Leben kennen: Kafeetas-sen, Konservendosen, Mietskasernen, Autos, Telefone, Biergläser. Bayrle vervielfältigt die Allerweltsmotive tausendfach in den Hinter-gründen seiner Bilder, die Masse wird so min-destens zum Ornament, ot gar zu einem grö-ßeren Zeichen. Aus einer Armada von über 4000 roten Autos entsteht die Form eines VW-Käfers. Tausende Hochhäuser ergeben ein ur-banes Labyrinth. Auch Figuren tauchen auf: Ein Heer stilisierter nackter Frauen formiert sich in »Feuer im Weizen« (1970) zum pixeli-gen Super-Pin-up. Auf den ersten Blick könn-te man sagen, dass wir es mit einer Kunst zu tun haben, die zwischen Tiller Girls und Wirtschatswunder-Euphorie die Schönheit des Überlusses feiert.

Die mächtige Welle der Pop-Art, die Mitte der Sechzigerjahre von Amerika nach Europa schwappte und dabei die Konsum-welt in die Museumsräume spülte, erfasste in ihrem Sog auch Thomas Bayrle. Seine ersten Massenaufmärsche folgen dem Prinzip der seriellen Reihung, das Andy Warhol mit sei-nen 32 formal nahezu identischen Siebdru-cken der »Campbell’s Soup Cans« (1962) ein-geführt hatte. Doch ging Bayrle in seiner künstlerischen Mengenlehre noch einen

Zweimal Birne, zweimal Bayrle: Das unbetitelte Stillleben oben links malte Alf Bayrle 1970. Sein Sohn Thomas schuf ein Jahr

später die Zeichnung »Distribution«. Von ihm stammt auch die Schnauzer-Komposition »Stalin« (1970, rechte Seite)

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Schritt weiter als Warhol, der sein Faible für Massenwaren lediglich andeutete: Wenn der Boss der New Yorker Factory die Mona Lisa dreißigmal auf eine Leinwand druckte, um der Überlegenheit der Serienproduktion ein Gesicht zu geben (»Thirty Are Better Than One«, 1963), dann hatte jedes der dreißig Lä-cheln – bedingt durch die nie ganz kontrol-lierbare Farbverteilung in Handsiebdruck-verfahren – individuellen Charakter. Erst bei Bayrle wird Ende der Sechziger das Element in der Masse wirklich anonym. »Ich habe be-merkt: bei einer bestimmten Summe von Ge-genständen, schlägt diese Summe um in eine Superform«, erzählt er.

Die Entwicklung des eigenen Stils wirkt in der Retrospektive folgerichtig, doch kam sie erst zögerlich und nicht ohne Umwege voran. Der 1937 in Berlin geborene und in ei-nem Dorf in Hessen aufgewachsene Bayrle machte 1956 zunächst eine Lehre in einer We-berei. »Ich wollte gerne mit Textilien arbei-ten«, sagt er. Die Arbeit am automatisierten Jacquardwebstuhl wurde zum Schlüsseler-lebnis. »Ich habe das Weben als System gese-hen: das Einzelne – der Faden, die Summe – der Stof. In einem Quadratmeter Stof kann es tausend verschiedene Gewebeformen ge-ben.« Im Heulen der Maschinen meinte er den Gesang betender Nonnen zu hören, ein Ave Maria. »Millionen Gebete überall auf der Welt – das ist wie Atmen«, erklärt Bayrle. »Diese Erkenntnis über die Macht des Rhyth-mus habe ich mit den Maschinen kurzge-schlossen. Es gab keine andere Möglichkeit: Man kann die Maschinenwelt nicht lange er-tragen, ohne auf sie einzusteigen.«

Wer wundert sich heute, dass die ersten Wer-ke, die Bayrle ab 1964 schuf, Automaten wa-ren? »Maschinen« nannte er seine mechani-schen Boxen mit Elektromotor. Er bemalte sie noch liebevoll von Hand. Doch schon we-nige Jahre später tilgte er alle gestischen Spu-ren und ließ in seinen Bildern die anonyme Kühle technischer Reproduktionsverfahren ausbrechen. »Was ich sehr früh angestrebt habe, ist ein Zeichenstil, der keiner ist – der keinen persönlichen Ausdruck hat«, sagt Bayrle. »Ich wollte zeichnen wie Maschinen, die noch gar nicht erfunden waren.«

Dass sich der Absolvent eines Studiums der Ofenbacher Werkkunstschule (1958–1961) Ende der Sechziger noch einmal zwei Jahre lang als Werbegraiker selbstständig machte, dürte seiner Neigung zum exakten Arbeiten entsprochen haben. »Wir hatten Mordskun-den – Ferrero, Reckitt Benckiser. Ich habe ein Musterbuch für Pierre Cardin entworfen«, sagt Bayrle. In den Pausen produzierte er für die Revolution: Infoblätter für antiautoritäre Kindergärten, Rudi-Dutschke-Poster. So agiert einer, der die Sache in den Vorder-grund stellt, nicht sich selbst – darin, so hat man den Eindruck, seinem Vater und dessen kurvenreichen Lebensweg nicht unähnlich. Hat er kein Künstlerego? »Doch«, erwidert Thomas Bayrle, »aber es ist eingebettet in eine komplexere Gesellschatsvorstellung. Ich stelle mir vor, dass ich wie ein Stück Hefe bin. Eine Art Ferment.«

Am Ende hat die chemische Formel ge-stimmt, und wenn man heute auf das gereif-te und gewachsene Werk Bayrles blickt, dann erkennt man, wie es den Verlauf der techni-

schen Entwicklung und das Fortschreiten der Zeit gleich mit abbildet: Der VW Golf verdrängt den Käfer, und wo früher Telefone mit Wählscheiben in den Bildern autauch-ten, sieht man heute iPhones. Bayrles neueste Serie ist ein Zitat von Caravaggios Gemälde »Matthäus und der Engel« (1602). Aus Smart-phones zusammengebaut – weil bei seinem letzten Besuch in Rom das barocke Meister-werk hinter einem Heer hochgestreckter Handy-Displays kaum noch zu erkennen war. Ein Kulturpessimist ist er darüber nicht ge-worden. »Ein Künstler muss mit der Zeit ge-hen«, sagt er. »Auch ich habe immer wieder totale Zäsuren in der Technik gemacht.«

Vielleicht sind es genau diese Widersprü-che, die Thomas Bayrle kennzeichnen: ein Künstler, der seit dem Jahr 1988 mit dem Computer arbeitet, aber den dessen Ästhetik »stört«, weil sie ihm zu »glatt« ist. Der sich vom westlichen Massenkonsum genauso fas-zinieren ließ wie von den Politspektakeln des Ostblocks – und der doch auch immer die ne-gativen Seiten der beiden Systeme mitdachte. »Ich gebe zu, ich war lange Kommunist, in-nerlich«, sagt Bayrle. Aber die Bonzen der Marxistisch-Leninistischen Partei nahmen ihn 1967 nicht auf, weil er seinen tausend Chi-nesen kleine Krawatten angemalt hatte. So schnell wird man Konterrevolutionär. Ver-mutlich hätte die strenge Doktrin auch nicht zu Bayrle gepasst: »Es ist eben Quatsch zu sa-gen: ›Alles ist gleich!‹«, sagt er heute. »Gar nichts ist gleich – es sieht nur gleich aus.« ×

»Thomas Bayrle – Seniorenfeier«, Museum Wiesbaden, 4. März bis 26. Juni

»Ich suchte nach einem Stil, der keiner ist. Ich wollte zeichnen wie Maschinen, die noch gar nicht erfunden waren.«

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