57
336 IX. Verhalten in der Umgebung einer wesentlichen Singularitat Die GroBe d(K) heiBt nach FEKETE [Math. Z. 17,228-249 (1923)J der transfinite Durchmesser von M. FEKETE und SZEGO [Math. Z. 21, 203-208 (1924)J haben folgenden Zusammenhang zwischen der GroBe d (K) und der Greenschen Funktion entdeckt: Es sei T eine beliebige beschrankte abgeschlossene Punktmenge der kom- plexen Ebene und G diejenige (zusammenhiingende) Komponente von E\T, die den Punkt z = 00 enthiilt. Dann ist d (T) = e- Y (r). Die Grope y (T) (die Robinsche Konstante genannt) ist definitionsgemap gleich lim {g(z, oo)-log [z[}, wobei g (z, 00) die Greensche Funktion des Gebietes G, Izl-+oo genommen in bezug auf z = 00, bedeutet. Der Zusammenhang zwischen der Kapazitatsfunktion und dem transfiniten Durchmesser d (T) ist insofern von Bedeutung, als man sowohl die Greensche Funktion als auch die Evans-Selbergsche Kapazi- tatsfunktion durch Betrachtungen konstruieren kann, we1che die GroBe d (T) bzw. r (T) verwenden. Man vgl. hierzu neben der erwahnten Arbeit von SZEGO noch die Arbeit von EVANS (Potentials and positively infinite singularities of harmonic functions, Monatsh. Math. Physik 41, 419-424 (1934)J. Auch NEVANLINNAs Eindeutige analytische Funktionen geben einen Uberblick tiber diesen wichtigen Teil der modernen Funktionen- theorie. Neuntes Kapitel Eindeutige analytische Funktionen in der Umgebung einer wesentlichen isolierten Singularitat 75. Die Wachstumscharakteristik einer meromorphen Funktion. 1st w(z) in [z[ < R (R + 00) meromorph und a eine endliche oder unend- liche komplexe Zahl, so solI, wie bisher, n (r, a) (0 r < R) die Anzahl der Nullstellen von w (z) - a in [z[ r unter Berticksichtigung ihrer Vielfachheit darstellen 1 . Setzt man flir ein endliches a A = n(O, a) -n(O, 00), so ist die Funktion (75.1) g(z) = (w(z) -a) in der Umgebung von z = ° regular und von Null verschieden, und somit gilt die (Jensensche Formel) Gleichung 1 r'" log [g(O)[ = zn Jo log [w (rei b) - a[ d{}-N (r, a) + N (r, 00) 1 1m folgenden wird n (r, 00) flir n (r, zoo) geschrieben. Ferner wird bei gegebenem a stets w (z) $ a vorausgesetzt. A. Dinghas, Vorlesungen über Funktionentheorie © Springer-Verlag OHG. 1961

Vorlesungen über Funktionentheorie || Eindeutige analytische Funktionen in der Umgebung einer wesentlichen isolierten Singularität

Embed Size (px)

Citation preview

336 IX. Verhalten in der Umgebung einer wesentlichen Singularitat

Die GroBe d(K) heiBt nach FEKETE [Math. Z. 17,228-249 (1923)J der transfinite Durchmesser von M. FEKETE und SZEGO [Math. Z. 21, 203-208 (1924)J haben folgenden Zusammenhang zwischen der GroBe d (K) und der Greenschen Funktion entdeckt:

Es sei T eine beliebige beschrankte abgeschlossene Punktmenge der kom­plexen Ebene und G diejenige (zusammenhiingende) Komponente von E\T, die den Punkt z = 00 enthiilt. Dann ist d (T) = e-Y (r). Die Grope y (T) (die Robinsche Konstante genannt) ist definitionsgemap gleich lim {g(z, oo)-log [z[}, wobei g (z, 00) die Greensche Funktion des Gebietes G,

Izl-+oo genommen in bezug auf z = 00, bedeutet.

Der Zusammenhang zwischen der Kapazitatsfunktion und dem transfiniten Durchmesser d (T) ist insofern von Bedeutung, als man sowohl die Greensche Funktion als auch die Evans-Selbergsche Kapazi­tatsfunktion durch Betrachtungen konstruieren kann, we1che die GroBe d (T) bzw. r (T) verwenden. Man vgl. hierzu neben der erwahnten Arbeit von SZEGO noch die Arbeit von EVANS (Potentials and positively infinite singularities of harmonic functions, Monatsh. Math. Physik 41, 419-424 (1934)J. Auch NEVANLINNAs Eindeutige analytische Funktionen geben einen Uberblick tiber diesen wichtigen Teil der modernen Funktionen­theorie.

Neuntes Kapitel

Eindeutige analytische Funktionen in der Umgebung einer wesentlichen isolierten Singularitat

75. Die Wachstumscharakteristik einer meromorphen Funktion. 1st w(z) in [z[ < R (R ~ + 00) meromorph und a eine endliche oder unend­liche komplexe Zahl, so solI, wie bisher, n (r, a) (0 ~ r < R) die Anzahl der Nullstellen von w (z) - a in [z[ ~ r unter Berticksichtigung ihrer Vielfachheit darstellen1 .

Setzt man flir ein endliches a

A = n(O, a) -n(O, 00), so ist die Funktion

(75.1) g(z) = (w(z) -a) (~r in der Umgebung von z = ° regular und von Null verschieden, und somit gilt die (Jensensche Formel) Gleichung

1 r'" log [g(O)[ = zn Jo log [w (rei b) - a[ d{}-N (r, a) + N (r, 00)

1 1m folgenden wird n (r, 00) flir n (r, zoo) geschrieben. Ferner wird bei gegebenem a stets w (z) $ a vorausgesetzt.

A. Dinghas, Vorlesungen über Funktionentheorie© Springer-Verlag OHG. 1961

75. Die Wachstumscharakteristik einer meromorphen Funktion 337

mit r 12(1, a) - 12(0, a)

(75.2) N (r, a) = n (0, a) log r + }o 1 dt

und r 12(1,00) -12(0,00)

(75.3) N(r,oo)=n(O,oo)logr+}o t dt.

Nun ist

Setzt man also

(75.4)

und

(75.5)

so wird

(75.6)

mit (75.7)

Es sei nun

(75.8)

und

(75.9)

Iw - al = [[w, a]] VI+la]2 . W,oo

1 12'" 1 mA (r, a) = -2 log-[--] df} now, a

TA (r, a) = mA (r, a) + N(r, a) ,

C A (a) = -log Ig (0) I + log jIf=r-[a]2 .

1 102" + 1 mN (r, a) = -2 log I (ifi) I df} IT. 0 W re - a

gesetzt. Dann wird

(a =1= 00)

1 r" TN (r, a) = -log Ig (0) 1+ 23t}0 109 Iw (r eiii) - a Idf} + N (r, 00)

mit TN(r, a) = mN (r, a) + N(r, a) .

Es seien jetzt a, b komplex, beliebig. Dann ist

la+ bl ~ 2M (M = Max (Ial, Ibl) und mithin

log la + bl ~ log M + log 2 ~ log lal + 109 Ibl + log 2.

Das gibt die Abschatzung

Ilog Iw - ai-log Iwl! ~ log lal + log 2

und so mit die Gleichung

(75.10) TN(r,a)=TN(r,oo)+O(I). Dinghas, Funktionentheorie 22

338 IX. Verhalten in der Umgebung einer wesentlichen Singularitat

Hierbei ist die GroBe 0 (1) 1 kleiner oder gleich

Wegen

gilt stets (75.11)

16g lal + 16g Ig (0) I + log Ig~O)1 + log 2.

o ~ log V!+ Iwl2-log Iwl ~ ~ log 2

Die GroBen T N(r, 00) und TA (r, 00) heiBen entsprechend die Nevan­linnasche bzw. die Shimizu-Ahlforssche charakteristische Funktion (kurz Charakteristik bzw. spharische Charakteristik)2. Sie besitzen eine Reihe wichtiger Eigenschaften, und im Faile einer ganzen Funktion charakterisieren sie das Wachstum des absoluten Betrages von w (z) besser als die Funktion M (r). Ihre beiden Bestandteile heiBen die Schmiegungsfunktion bzw. die Anzahlfunktion von w(z). 1m folgenden soil unter T(r, (0) entweder die Nevanlinnasche oder die Shimizu-Ahl­forssche Charakteristik verstanden werden. Entsprechendes soil fUr die Schmiegungsfunktion m(r, 00) gelten.

76. Der Nevanlinnasche Konvexitatssatz der charakteristischen Funk­tion. Wirbeweisen: 1st w(z) in Izl < R meromorph, so sind TN(r, (0) und TA (r, 00) im 1ntervall

(76.1) 0 ~ r < R konvexe Funktionen von log r.

Wir beginnen mit dem Nachweis der Konvexitat von T A (r, 00). Man fasse in (75.6) a als Veranderliche auf und multipliziere beide Seiten mit dem Flachenelement

(a = lal eilX)

der Riemannschen Kugel R der komplexen Ebene und beachte, daB mit Riicksicht auf die geometrische Deutung von [w, a] das Integral

r log-[ 1 ] dw(a) JE w,a

1 Sind g (x), h (x) in einem halboffenen 1ntervall ex ~ x < f3 definiert und dort h(x) > 0, so bedeutet die Schreibweise g(x) = O(h(x)) (lies: g(x) ein GroB 0 von

h(x)), daB lim Ig(x)1 endlich groBer Null ist. 1st dieser obere Limes gleich null, so x->-{J h (x)

schreibt man mit LANDAU g(x) = o(h(x)) (lies: klein 0 von h(x)). Dabei kann man (in beiden Fallen) noch annehmen, daB die Veranderliche x in einer Teilmenge A des Intervalls ex ~ x < f3 variiert, sofem f3 E A gilt. Eine GroBe ist ein 0 (1) (GroB 0 von Eins), wenn sie fiir x -+ f3 beschrankt bleibt.

2 Zeitlich ist die Nevanlinnasche Charakteristik der spharischen Charakteristik von SHIMIZU-AHLFORS vorangegangen. Man findet sie zunachst in den Compt. Rend. Acad. Sci. (Paris) 178,367-370 (1924).

76. Nevanlinnascher Konvexitatssatz der charakteristischen Funktion 339

unabhangig von w und somit gleich einer Konstanten ist. Bildet man also

km.dr,a) dw(a) ,

so wird wegen

(mA(r,a)dw(a)=-i- (2"{ (IOg-[ 1] dw(a)lJd{}=C JE _n Jo JE w, a

und

(76.2)

mit

( (CO lal dial JEdw(a) = 2n Jo (1 + la12)2 = n

TA(r,oo) =Ko+~ (N(r, a) dw(a) n JE

Ko = lim TA (r, (0) = lim log (V1+1w-(z) 12 -. Izln(o,co»).

Der Ausdruck

(76.3)

r-+O z-+O

5 (r, w) = ~ ( n (r, a) d w (a) n JE

kann geometrisch gedeutet werden. Es bezeichne in der Tat Kr die Kreis­scheibe Izl ~ r und Fr das Riemannsche Flachenstfick w (Kr). Bildet man dann F r durch stereographische Projektion auf R ab und bezeichnet das so erhaltene FlachenstUck auf R durch Fr, so ist

( dw(a) = ( n(r, a) dw(a) JPr JE

und mithin wegen

( lUx ulIl dx dy d w a) = Vx Vy (1 + u2 + V2)2

(a = w = u+ iv)

(76.4)

Daraus folgt

1 ( Iw'12 S(r,w)=-;- JK, (1 + Iw12)2 drY (da=dxdy=rdrd{}).

(76.5)

und (76.6) mit

(76.7)

r dt T A (r, (0) = Ko + Jo 5 (t, w) -t-

r dt TA (r, w) = Jo S(t, w)-t

und einer leicht zu bestimmenden Konstanten KA (a). Wie man leicht bestatigt, ist

I· S(r, w) 0 Im---= . r r-+O

1m folgenden wird unter spharischer (bzw. Shimizu-Ahlforsscher) Charakteristik stets die GroBe (76.7) verstanden. Aus der Darstellung

22*

340 IX. Verhalten in der Umgebung einer wesentlichen Singularitii.t

(76.7) folgt die Konvexitat von TA (r, 00) (und TA (r, w)) aIs Funktion von log r ohne Schwierigkeit. In der Tat ist

d d -d-I-TA(r,w) =r-d TA(r, w) = 5(r, w), ogr r

und somit ist die linke Seite nicht abnehmend. Dasselbe gilt fUr d

dlogr TA(r, 00).

Die Charakteristik TN (r, 00) ist einer ahnlichen Deutung fahig wie die spharische Charakteristik TA (r, w).

Es sei zunachst a eine endliche komplexe Zahl. Dann gilt

(76.8) 1 r2:n;

J = 2n Jo log la- ei.?1 dO. = 109 lal· Es sei in der Tat lal > 1. Dann ist

log la- ei.?1 = log lal-f {Re ~::}

und somit wegen der gleichmaBigen Konvergenz der Reihe rechts im Intervall 0 ~ # ~ 2 'J'&

J = log lal - £ ~ r2" {Re e':'?} dO. = 109 lal .

1 nn Jo a

1st lal < 1, so ist

J = _1_ r2" log 11- ae-i.?1 = _ £ _1_ r2

:n; {Rean ein .?} dO. = 0 . 2n Jo 1 2nn Jo Der Fall lal = 1 erledigt sich folgendermaBen: Man nehme a = 1 (was keine Einschrankung der Allgemeinheit bedeutet). Dann ist

log 11- ei.?1 = log 12 sin : I ' und somit

1 r2:n; I 0 I J = log 2 +y,; Jo log sin"2 dO..

Man ersetze # durch 2 #'. Dann wird

1 r2:n; J = log 2 + y,; Jo log Isin #'1 dO.' ,

also

1 r2" I 0'1 1 r'" I 0'1 J = 2 log 2 + y,; Jo log sinT dO.' + y,; Jo log cosT d#'.

Daraus folgt mit Riicksicht darauf, daB

r2:n; I 0' I r2n I 0' I Jo log sin T dO.' = Jo log cos T dO.'

ist, J = 2 {log 2 + 21n !o2:n; log Isin :1 dO.} = 2 J ,

d. h. J = O.

76. Nevanlinnascher Konvexitatssatz der charakteristischen Funktion 341

Man setze jetzt in der Jensenschen Formel

1 (21< log Ig(O)1 =2"n Jo log Iw-al d#-N(r, a) + N(r, 00)

a = ei'fJ (0 ~ cp ~ 2 n) voraus, muitipliziere die Gleichung mit d cp und integriere uber das Intervall 0 ~ cp ~ 2n. Dann wird mit Rucksicht auf (76.8)

1 (2" 1 (2" 2"n Jo log Iwl df) = kl + 2"n Jo N (r, ei'fJ) d cp - N (r, 00) ,

mit

Setzt man hier

(76.9) 1 (2"

s(r) = 2"n Jo n(r, ei'fJ) d cp,

so erhalt man das Analogon der Gleichung (76.5), namlich die Identitat

(76.10) rr s(t)

TN(r, oo) = kl + Jo -t-dt.

Fur die GroBe s (r) kann man eine ahnliche geometrische Deutung geben wie fur 5 (r). Fuhrt man namlich die (stets aus endlich vielen analytischen KurvenbOgen bestehende) Menge Ey durch die Gleichung

ein, so erhalt man Ey = {Izlllzi ~ r, Iw(z)1 = I}

s (r) = -21 (Iw' (z) I Idzl . n JEy

Somit stellt 2 ns (r) die Gesamtsumme der Langen derjenigen Bogen auf Fr dar, deren Projektion auf die Peripherie Iwl = 1 Wlt.

Wir set zen, ahnlich wie vorhin,

(76.11) (r dt

T N(r, w) = Jo s(t) -t-

und nennen diese GroBe die Nevanlinnasche Wachstumscharakteristik von w (z). Es gilt stets

(76.12) TN(r, a) = 0(1) + TN(r, w) .

DaB aus der Darstellung (76.11) die Existenz einer nicht abnehmenden hinteren und vorderen Derivierten (und somit die Konvexitat von TN (r, 00) und TN (r, w) als Funktion von log r) folgt, ist wohl trivial und bedarf keiner weiteren Erlauterung.

1 Bei der Integration darf nicht vergessen werden, daB g(O) jedesmal von a (hier lal = 1) abhangt. Fur w(O) =1= 00 findet man leicht kl = log Iw(O)I. 1m all· gemeinen Fall hangt kl nur von lim w (z) ZAO 0'0 = n (0, (0) abo

z+o

342 IX. Verhalten in der Umgebung einer wesentlichen Singularitat

Die Charakteristik TN (r, 00) wurde von R. NEVANLINNA erstmalig im Jahre 1924 (Acta Soc. Sci. Fennicae 50, Nr.6) gegeben. Ftir die sphiirische Charakteristik T.A (r, w) vgl. man] apan. ]. 6, 119 (1929) und Verh.7 Congr. Math. Scand. Oslo 1929. Der hier gegebene Beweis der K-onvexitat von TN (r, 00) als Funktion von log r geht auf HENRI CAR­TAN [Sur la fonction de croissance attachee a une fonction meromorphe de deux variables et ses applications aux fonctions meromorphes d'une variable, Com pt. rend. Acad. Sci. (Paris) 189, 521-523, (1929)] zurUck.

77. Charakterisierung rationaler Funktionen. Man verdankt R. N E­VANLINNA folgende Charakterisierung der rationalen Funktionen:

Satz. Gilt fur eine in Izl < + 00 meromorphe Funktion w (z)

(77.1) 1. T(r, w) 1m 1 <+00,

r:::;;;" og r

so ist sie eine rationale Funktion. Beweis. 1st (77.1) richtig, so ist auch

1. N(r, a) 1m -1--< + 00, r~ ogr

und somit kann w (z) hOchstens endlich viele Nullstellen und Pole haben. Man setze nun

g(z) = w (z) zn(O, oo)-n(O, 0)

und beachte, daB 1. T(r,g) 1m -1--< + 00 r~ ogr

ist1 • Es seien a1c(k = 1,2, ... , N1) bzw. b1c(k = 1,2, ... , N 2) die Null­stellen bzw. Pole von g(z). Dann ist ftir r> Max (laN.I, IbN,I, Izl)

(77.2) mit

und

log Ig(z) I = Sl(r, z) - S2(r, z) + ](r, z)

1 102" {relf>+z} ](r,z) =-2 log Ig (reif» I Re If> do..2 n 0 re - z

1 Wegen T(r, g) = T(r, w) + O(logr) und (77.1). 2 Die Gleichung (77.2) wird in der Literatur als Jensen-Nevanlinnasche Formel

gefuhrt. Der Leser kann sie leicht auf Grund der Tatsache beweisen, daB die Differenz log Ig(z)l- (Sdr, z) - S2(r, z)) in Izl ~ r harmonisch ist und die Rand­werte log Ig (re1f»I hat. Fur z = 0 erh1i.lt man die Jensensche Forme!.

77. Charakterisierung rationaler Funktionen 343

Es sei jetzt Zo ein Punkt mit g(zo) =F 0, 00. Dann ist

N, I z - ak I lim {Sl (r, z) - Sl (r, zo)} = }; log --z=-a r-?oo 1 0k

und

Man nehme jetzt r > 2 Max {Izl, IZol} .

Dann ist 21zo - zl r II (r, z) - I (r, zo)1 ;;;; (r _ IzlJ (r -IZolJ {mN(r, 0) + mN (r, oo)} ,

und somit fur groBe r

Es wird also

d. h.

(77.3)

T(r, g) II(r, z) - I(r, zo)1 ;;;; 20 IZo-zl--r _ ..

I g(z) I N, I z - ak I N'I z - bk I log g (zo) = flog Zo - ak - f Zo - bk '

(z) = (z) fi ( z - ak ) fi ( Zo - bk ) • g go Z-ak z-bk 1 0 1

UiBt man jetzt Zo -+ ° konvergieren, so erhiilt man

(77.4)

Nt II (z - ak)

w(z) = CZA-'~~,_­II (z - b,J

1

mit einem konstanten c und A. = n (0,0) - n (0, (0).

1st umgekehrt w(z) von der Form

aozm+ ... + am

bozn + ... + bn

und nimmt man an, daB Pm (z) und P n (z) keine gemeinsamen Nullstellen haben, so hat das Polynom

(m < n)

fUr jedes e, lei = 1, genau n Wurzeln innerhalb eines Kreises Izl = ro' wobei ro von e nieht abhiingt. Daraus folgt, daB s(r) fUr r ~ ro genau gleieh mist. 1st m> n, so erhiilt man dasselbe Resultat mit m anstelle von n. 1st sehlieBlieh m = n, so ist m (r, w) besehriinkt, und es gilt

lim N(r, 0) = lim N(r, (0) = n. f-+ 00 log r 1'-+ 00 log r

344 IX. Verhalten in der Umgebung einer wesentlichen Singularitat

Somit gilt in allen Hillen

lim T(r, w) = Max(m,n). r--+oo log r

Letzteres Ergebnis fiihrt in Verbindung mit der hinreichenden Bedin­gung (77.1) zu dem Satz:

Satz (NEvANLINNA). Die notwendige und hinreichende Bedingung dafur, dafJ die meromorphe Funktion w (z) eine rationale Funktion ist, ist die, dafJ

ausfiillt.

1. T(r, w) 1m -1-- <+ 00

r:::;-oo og r

Man kann leicht beweisen: Gilt

T(r, w) lim I < 1 ,

r ..... oo og r

so ist w (z) eine Konstante.

78. Der Begriff der lokalen Charakteristik. Charakterisierung der Stellen rationalen Charakters. Das Studium des Verhaltens einer ein­deutigen analytischen Funktion w (z) in der Umgebung einer wesent­lichen singularen Stelle Zo mit modernen Hilfsmitteln erfordert die Ein­fiihrung des grundlegenden Begriffs der lokalen Charakteristik. Dabei bedeutet es keine Einschrankung der Allgemeinheit, wenn man zo= Zoo

nimmt und somit voraussetzt, w (z) sei im Ringgebiet

(78.1) o < M < Izl < + 00

von meromorphem Charakter, d. h. bis auf Pole regular.

Wir betrachten den abgeschlossenen Kreisring

(78.2) (M<ro<r<+oo)

und nehmen zunachst an, daB w(z) auf Izl = ro weder Null noch un end­lich wird.

Def. Es sei

(78.3)

Dann soU

(78.4)

die lokale Charakteristik von w in der Umgebung von z = 00 heifJen.

Wie man unmittelbar sieht, ist T(r I ro, w) eine konvexe Funktion von log r.

78. Der Begriff der lokalen Charakteristik 345

Nachfo1gender Satz verallgemeinert den Satz der vorherigen Nummer.

Satz. 1st w (z) in

(78.5) 0< ro ~ Izl < + 00

meromorph, so ist die Stelle z = 00 dann und nur dann eine Stelle rationalen Charakters (Pol oder hebbare Singularitat), wenn

1. T(r I ro, w) 1m 1 < + 00 r~ ogr

(78.6)

gilt. Beweis. Wir zeigen zunachst, daB die Bedingung notwendig ist. Es

sei z = 00 eine Rationa1itatsstelle von w (z). Dann gilt in einem Ring­gebiet r 0 ~ Izl ~ r die Entwick1ung

w(z) = f ;: , -n

und somit ist

w'(z) = - I: k Z::l' -n

Daraus fo1gt fUr groBe Izl = r

und wegen

die Abschatzung

Mithin ist

Iw'(z)1 = {o(rn - 1) ° (r- 2)

furn> 0

fUrn ~ 0

Iw (z) 1 = Cla-nl + 0 (1) rn

1-·- T(rlro,w) + 1m < 00.

r-+oo log r

Der Beweis, daB die Bedingung (78.6) auch hinreichend ist, gestaltet sich komplizierter.

Man setze

(78.7) w(z) - a

g(z) = w(z) _ b (a oF b)

und bezeichne mit Fr bzw. Fro (kurz F bzw. Fo) die (positiv orientierten) Peripherien Izl = r bzw. Izl = ro' Dann wird mit Rucksicht auf den Residuensatz

346 IX. Verhalten in der Umgebung eincr wesentlichen Singularitat

wo bei allgemein n (r I r 0' c) die Anzahl der c-Stellen von w (z) (d. h. der Nullstellen von w (z) - c) in ro ~ Izl ~ r bedeutetl. Man setze nun

A = {w I w = w (z), z E r} und

Ao= {w I w = w (z), zEro} .

1st dann a ~ A, a ~ A o, so fo1gt aus (78.8) die Gleichung

1r(a) - 1r.(a) + n(r I ro, a) = 1r(b) - 1r.(b) + n(r I ro, b),

wobei allgemein 1 r(c) das Integral

_r_ ( ~ 10 _1_ df} 2,n Jr or g [w, c]

bedeutet. Diese zeigt, daB die GroBe

1r(a) - 1r.(a) + n(r I ro, a) = Al

von a unabhiingig ist. Urn nun zu zeigen, daB

AI= S(r I ro, w)

ist, setze man w = u + iv, a = IX + i{J und bei festem w

1 = ( (2£ - a) U r + (v - (J) VT d w (a) I JE Iw - al 2 ,

( uur + vVT d () UUT + VVr

12= JE 1 + Iwl2 w a = n 1 + Iwl2 .

Dabei sollen ~tr' Vr die partiellen Ab1eitungen nach r bedeuten. ]etzt fiihre man Po1arkoordinaten durch die G1eichungen

ein und setze

Dann wird

u - IX = e cos r.p, v - {J = e sin r.p

U

cosr=~, . v smr=~.

ede drp d w (a) = (1 + la1 2)2

und somit zuniichst

mit _ (2" ttr cos (rp + r) + Vr sin (rp + r) d

13- Jo {(I + Iwl2 + (2) - 2 Iwl e COSrp}2 r.p .

1 Falls auf r bzw. ro a- bzw. b-Stellen von g(z) liegen (und das gilt fUr aIle ahnlichen Fiille), verfiihrt man nach den Vorschriften des Residuensatzes. Fur die Integrale links ist dann der Cauchysche Hauptwert zu nehmen. 1m folgenden wird stets angenommen, daB der jeweilige Integrand endlich ist. Einfache Stetigkeits­betrachtungen sichern dann meistens das diesbezugliche Ergebnis fUr alle inFrage kommenden r-Werte.

78. Der Begriff del' Iokalen Charakteristik 347

Nun ist Ur cos ( rp + r) + vr sin (cp + r) = A cos rp + B sin cp

mit

und mithin UUr + VVr 12'" coscp d cp

13= Iwl 0 {(1 + Iwl2 + (2) - 21wl e COScp}2 .

Die explizite Ausrechnung des Integrals

r" coscp d cp 14= Jo (M _ N COScp)2 (M = 1 + Iw1 2 + e2,N =2Iwle) folgt aus der leicht zu beweisenden Gleichung

(2" cos {} d{} 2 n fl

Jo (1- flcos{})2 = eV1- fl2)3

N wenn man dort f1, durch M ersetzt.

Man findet dann, mit A = e2,

(0 ~ f1, < 1),

11 = 2:rc;(~tUr + vvr) (00 d). l'

Jo {).2 + 2).(1 _ Iw12) + (1 + IwI2)2}2 und somit (mit Hilfe der Substitution A = 2 Iwl a - (1-lwI 2))

Es ist also

und (78.9) Setzt man (78.10) mit

(78.11)

A1 = !.k n(r I ro' a) dw(a) = S(r I ro, w)

1r(a) - 1ro(a) + n(r I ro, a) = S(r I ro, w) .

T(r I ro, a) = mA(r, a) + N(r I ro, a)

i r dt N(rlro,a)= n(tiro,a)-t'

ro

so erhalt man aus (78.9) durch Integration

T(r I ro, a) = T(r I ro' w) + mA (ro, a) + 1 r (a) log~ o ro

und somit die Gleichung

(78.12) T(r I ro, a) = T(r I ro, w) + O(logr)l.

1 Man kann hier ebenso wie im FalIe ro = 0 neben TA (r I ro, w) die Charakteri­stik TN (r 1"0' w) in Betracht ziehen. Der interessierte Leser findet in dem Buch von BIEBERBACH, Theorie der gewohnlichen DifferentiaIgleichungen, diese Sammlung 66, 1953, einen auf anderen Grundlagen fuBenden Beweis der entsprechenden Gleichung mN(r, a) + N(r I ro, a) = TN(r I ro, 00) + 0 (log r). Auf diese Gleichung kommen wir in der nachsten Nummer zuriick.

348 IX. Verhalten in der Umgebung einer wesentlichen Singularitat

Es sei jetzt 1. T(1' I ro, w) 1m I <+00,

r::;' og r

Dann kann w (z) in (78.5) h6chstens endlich viele Nullstellen und endlich viele Pole haben, und somit existiert ein r l ~ ro derart, daB die Funktion

g (z) = log w (z) - ko log z (w (z) =1= 0, (0)

bei geeigneter Wahl von ko in rl ~ Izl < + 00 eindeutig ist. Man betrachte jetzt das Ringgebiet r l ~ Izi ~ r und bezeichne mit rv r die beiden positiv orientierten Peripherien Izl = r bzw. Izl = r l . Dann folgt aus dem Cauchyschen Residuensatz

fUr jedes z, r l < Izl < r. Andererseits wird (ebenfalls nach dem Residuen­satz)

_1_ r 1" + zC dC __ 1_ r 1'2 + zC !:.f = 0 2:n:i Jrg(l;) 1'2 - zC C 2:n:i Jr/(I;) 1'2 - Z'C C

und somit wegen I;t = r2 (I; E F) und U = ri (I; E r l )

1 r - C + z dC 1 r - C + zrl !:.f = 0 2:n:i Jrg(l;) C - z T - 2:n:i Jr,g(1;) C - Z(!2 C

. 1'1 mIt e =--:y'

Daraus folgt leicht

1 r . C + z dC g(z) = 2:n:i JrReg(l;) C-z 'T-w(glz)

mit 1 r { C + z - C + Z(!2} dC

w(glz)= 4:n:i Jr, g(l;) C-z +g(!;) C-Z(!2 T'

Man differenziere jetzt g (z) nach z und lasse r (bei fest em z) gegen unend­lich konvergieren. Dann wird zunachst

lim Wi (g I z) = -21 . r g (1;) (C dC )2 . 1'~OO 'J't't Jr1 - Z

Andererseits ist

r2~i ;;, IReg(l;) I dCCr ~ mN(r, 0) + mN(r, (0) + o (logr) ,

und somit gilt wegen (78.6) und (78.12) fur beliebig groBe r

I I 1 r ,. d C I (1'lOg r ) g (z) + 2:n:i Jr,g(L,) (t_Z)2 =0 (r-lzi)2 + 0(1),

78. Der Begriff der lokalen Charakteristik 349

Das hat die Gleichung

'() w'(z) ko 1 r (r) d1; gZ=w(z)-Z-=-2niJr,g" (1;_Z)2

zur Folge und somit die Entwicklung

w'(z) =~+~+~+ ... w (z) Z Z2 Z3

Danach hat g' (z) in Zoo eine hebbare Singularitat und w (z) die Form zkoa(z) , wobei a(z) in rl < Izl < + 00 durch eine Reihe

C +~+~+ ... o Z Z3

gegeben wird. Da nun w (z) noch eindeutig ist, so muB ko eine ganze Zahl sein. Das beweist den Satz.

Der Leser kann ohne weiteres mit Hilfe der Laurent-WeierstraBschen Entwicklung von w (z) zeigen, daB der Ausdruck T (rlro, w)jlogr (fUr groBe r) beschrankt bleibt, wenn Zoo eine auBerwesentliche Stelle (hebbare Singularitat oder Pol) ist.

Die hier entwickelten Zusammenhange, insbesondere die Gleichung (78.9), fUhren zu einem neuen Beweis des Casorati-WeierstraBschen Satzes.

Man schatze vorerst Ilr(a) I und Ilro(a)1 folgendermaBen nach oben ab: Es sei

D _ ~ 10 _1 ___ .. (u - ()() u, + (v - fJ) Vr + uu,+ VV,

- or g [w, aJ - Iw - al 2 1 + Iwl2 und

o 1 uu,+ vv, ar log [w,ooJ = 1 + Iwl2

Wir setzen jetzt

und

Dann wird

A = (1 + Jw1 2) Iw-aI2,

B = u Iw- a1 2 - (u-a) Iwl 2

C = V Iw - aJ2 - (V - (3) Iwl2 .

D = _ (u - ()() u, + (v - fJ) v, Bu, + Cv, _ A A A + A - 1+ 2·

Nun erhalt man mit Hilfe der Schwarzschen Ungleichung

Iw'l IAII ~ (1 + Iwl') Iw - al

und mit Rucksicht auf die Identitat

B2+ C2= Iw-al2lwl2lal2

IA I < Iw'llwllal 2 = (1 + Iw12) Iw - al

350 IX. Verhalten in der Umgebung einer wesentlichen Singularitat

So mit ist Iw'l

IDI ~ (1 + Iw12) [w, aJ 1 + Iwllal Iw'l

VI + Iwl2 VI + lal" ~ (1 + Iw12) [w, aJ und

Man erhalt also

(78.13)

und

(78.14)

I~lo _1_1 < Iw'l or g [w,ooJ = (1 + Iw12) [w,ooJ

II (a) I < ~ r Iw'l dD ro = 2n Jro 1 + Iwl2 [w, aJ

Es sei nun in r 0 ~ Izl < + 00 ftir ein gegebenes a und ein gegebenes B > 0, [w, a] ~ B. Dann ist mit Rticksicht auf (78.9) und die Abschatzun­gen (78.13), (78.14), sowie die Tatsache, daB S (r I ro' w) nicht beschrankt sein kann,

(78.15)

mit

(78.16)

Nun ist

und somit auch

S(r I ro, w) = O(L(r))

r27t Iw'l L(r) = r Jo 1 + Iw l2 df}.l

S(r I ro, W)2= O(rS'(r I ro, w)).

Das ist aber unmoglich, da ja daraus die Ungleichung

r l' dt 100 d5 log-= --::;,K -ro '0 t - 1 52

mit einem konstanten K > 0 folgen wtirde. Somit ist die Voraussetzung [w, a] ~ B ftir alle Punkte von ro ~ Izl < + 00 falsch und die Behauptung des Casorati-WeierstraBschen Satzes richtig.

79. Der Nevanlinnasche Invarianzsatz. Der Begriff der Ordnung und des Konvergenzexponenten. 1st a =l= 00 und

so gilt

(79.1)

1 + 1 D = log--[ -J -log I I w, a w - a

° < D < log 2 (1 + lal 2) •

1 Die GroBe L (r) stellt die spharische Lange der Kurve w (izi = r) dar. Die" Glei­chung (78.15) ist wohlgemerkt nur dann richtig, wenn Zoo eine wesentliche Singulari­tat von w (z) ist.

79. Der Nevanlinnasche Invarianzsatz

Es sei in der Tat Iw - al ~ 1. Dann ist

1 D = Tlog {(1 + Iw1 2) (1 + lal 2)} > 0

und somit wegen

1 + Iwl 2 ~ 1 + (1 + lalF ~ 4(1 + lal 2)

D ~ log {2 (1 + lal 2)} •

1st Iw - al ;;;; 1, so setze man Iw - al = (!.

Dann ist

und mithin wegen (! ;;;; 1

351

D __ ~ log (1 + [w[') (1 + [a[2) 1 2 e2 ~ T log 4 (1 + laI2)2.

Das beweist die Behauptung. Beriicksichtigt man noch die Ungleichung (78.12), so erhiilt man die

Relation

(79.2)

mit

(79.3)

Insbesondere gilt

(79.4) T N(r I ro, (0) = T(r I ro' w) + 0 (log r) .

Die Nevanlinnasche lokale Charakteristik TN(r I ro, (0) ftihrt leicht zu folgendem wichtigen Satz:

Satz (NEVANLINNA). Es sei uw= aw+b

(79.5) cw + d (ad - be =l= 0)

eine lineare Transformation von w mit komplexen a, b, e, d. Dann gilt

(79.6) T(r I ro, Uw) = T(r I ro, w) + 0 (log r) .

1st insbesondere w (z) meromorph in E, so gilt

(79.7) T(r, Uw) = T(r, w) + 0(1).

Beweis. Jede nichtausgeartete, lineare Transformation liiBt sich durch Zusammensetzung von folgenden speziellen Transformationen erhalten:

1.

2.

3.

w1 = W + kl

w2 = k 2 w1

1 W3=w.

(Translation)

(Ahnlichkeit und Drehung)

(Inversion) .

352 IX. Verhalten in der Umgebung einer wesentlichen Singularitiit

Nun gilt wegen

und

und

o ~ log la + bl ~ 109 lal + log Ibl + log 2

o ~ log labl ~ log lal + log Ibl

Ilog Iw + kll-lOg Iwl! ~ log Ikll + log 2

IlOg Ik2wl-log Iwl! ~ log Ik21 + 109 !:2! .

Das beweist zunachst die Gleichungen

(79.8) und (79.9)

und somit, mit Riicksicht darauf, daB w, w + k und kw dieselben Pole haben, die 1nvarianzrelationen

TN(r I ro' w + k1) = TN(r I ro, w) +0(1) und

TN(r I ro, k2W) = TN(r I ro, w) + 0(1).1

Der Fall 3. erledigt sich durch die Bemerkung, daB 5 (r I ro, w) (und

mithin auch T (r I r 0' w)) bei der Transformation w -+...!.-. in sich iiber­w

geht. Der Beweis von (79.7) erfolgt auf Grund entsprechender Uberlegun­

gen. Der eben bewiesene Satz nimmt in der Nevanlinnaschen Theorie der meromorphen Funktionen eine zentrale Stellung ein und soli als Nevanlinnascher 1nvarianzsatz bezeichnet werden.

Def. 1st

(79.10) () -li log T (r, w) < + (!w=m 00, T-+OO log r

so soU die meromorphe Funktion w (z) von endlicher Ordnung heifJen. AndernfaUs wird sie von unendlicher Ordnung genannt.

Entsprechende Definitionen gelten im lokalen Fall. 1st (! < + 00, so heiBt die GroBe

(79.11) O'(w) = lim T(r, w) T--+OO r(!

der Typus von w(z). Man unterscheidet drei Typen: 1. den Minimaltypus von der Ordnung (! (O'(w) = 0), 2. den Normal- oder Mitteltypus (0 < O'(w) < + 00) und 3. den Maximaltypus (O'(w) = 00). Eine entsprechende Klassifizierung

liefert die lokale Ordnung.

1 Wir schreiben hier mN(r, w) und TN (r!ro, w) flir mN(r, 00) bzw. TN(r!rO' 00), um die Abhiingigkeit dieser GraBen von der jeweiligen Funktion hervorzuheben.

79. Der Nevanlinnasche Invarianzsatz 353

Man kann die Ordnung w (z) einer in E meromorphen Funktion auch definieren, indem man die Menge

(79.12) A = {A 1;:00 T (r, w) r~: 1 konvergent}

bildet und AO= inf {A I A E A}

nimmt. Dann gilt Ao= e, wobei dann und nur dann e = 00 ist, wenn die Klasse A leer ist. Ein entsprechender Sachverhalt liegt vor, wenn man die Klasse

(79.13) M = {{t I lim T (r~ w) = o} 1'-+00 r

bildet und die GroBe {to = inf{{t I {t E M}

nimmt. Auf entsprechende Begriffsbildungen fUr die lokale Charakteristik wird hier nicht eingegangen.

Hat die Gleichung w (z) - c = 0 in ro;;;; Izl < + 00 die Wurzeln Zv (c) (11 = 1,2, ... ), so ordnen wir diese nach wachsenden Betragen an. Dabei durfen wir (falls ro= 0 ist) ohne Beeintrachtigung der Allgemeinheit Zl (c) =t= 0 annehmen.

Def. 1st K die Zahlenmenge,jur die bei gegebenem c die Reihe

(79.14) 00 1

f Izv(cJlk konvergiert, so heifit die Zahl

(79.15) k(c) = inf{k I k EK}

der Konvergenzexponent der Folge (zv(c) (11 = 1,2, ... ). In den Fiillen, wo K leer ist, bzw. die gesamte reelle Gerade enthiilt, wird k (c) = 00, bzw. k (c) = - 00 gesetzt.

Zwischen der Ordnung e (w) der meromorphen Funktion w (z) und der Ordnung e (a)

(79.16) () -1. log n(r, a) e a = 1m -'-;--'------'-ro-+oo logr

der Anzahlfunktion n (r, a), sowie zwischen e (w) und k (c) bestehen wichtige Beziehungen, welche durch folgenden Satz von HADAMARD, BOREL und NEVANLINNA zum Ausdruck gebracht werden:

Satz. Es gilt stets (79.17) und (79.18)

e (a) ;;;; e (w)

k(a) ;;;; e(w) .

Durch Betrachtung der Funktion eZ , die fUr a = 0 keine a-Stellen hat, uberzeugt man sich, daB fur gewisse a e (a) und k (a) kleiner als e (w)

Dinghas, Funktionentheorie 23

354 IX. Verhalten in der Umgebung einer wesentlichen Singularitat

sein konnen. Urn so iiberraschender wirkt dann folgender auf BOREL und NEVANLINNA zUrUckgehender Satz, der erst am Ende des Kapitels be­wiesen werden wird:

Satz. Sind al> a2, aa drei voneinander verschiedene komplexe Zahlen, so gilt (79.19) Max {e(a1), e(a2), e(aa)} = e(w) und (79.20) Max {k(a1), k(a2), k(aa)} = e(w) .

Der Beweis der Ungleichungen (79.17) und (79.18) stiitzt sich auf fo1-genden wichtigen Hilfssatz:

Hilfssatz. Es bedeute <p(~) eine im Intervall

(79.21) 0< ro;;;;; ~ < + 00

positive, nicht abnehmende reelle Funktion, deren Unstetigkeitsstellen sich im Endlichen nicht haufen. Dann sind filr jedes it> 0 die beiden Integrale

(79.22)

und

(79.23)

J,OO <p(~)e-A~ d~

(00 e-A~ d <p (~) JTo

gleichzeitig konvergent oder divergent. Beweis. Man nehme an (was keine Einschrankung der Allgemeinheit

bedeutet) <p(ro) sei gleich Null. Dann ist fUr r > ro

it r <p(~)e-A~d~=-<p(r)e-Ar+ re-Aed<p(~). ~o J~

Daraus folgt, daB (79.22) konvergiert, falls (79.23) konvergiert. 1st nun das erste Integral konvergent, so ist

und mithin

<p (r) e- Ar ;;;;; it (00 <p (~) e-Ae d ~ Jro

Das beweist den Hilfssatz. Man nehme nun an, es gabe ein it > 0 derart, daB

100 dr T (r, w) ----;::;:T

To r

konvergiert. Dann muB wegen (76.6)

100 dr N (r, a) ----;::;:T

To r

80. Die Ordnung eines kanonischen Produkts 355

fiir jedes a eben falls konvergieren. Dariiber hinaus folgt aus dem Hilfs­satz (durch die Transformation (r -? ~), daB die Integrale

100 1 100 n (r, a) --:;: dN (r, a) = ----x+l dr

Yo 'Y 1'0 'Y

und 100 1 00 1 --:;:dn(r, a) = £-1 ()I.:I r. r I Zv a

ebenfalls konvergieren miissen. Das beweist die Ungleichungen (79.17) und (79.18). Der Beweis Hiuft genauso, wenn man anstelle der Funktion T(r, w) die lokale Charakteristik T(r I ro' w) betrachtet und in dem Hadamard-Borel-Nevanlinnaschen Satz die GraBen e (w), e (a) und k (a) durch die entsprechenden lokalen GraBen ersetzt.

80. Die Ordnung eines kanonischen Produkts. F. NEVANLINNAs Be­weis der Produktdarstellung einer meromorphen Funktion. Sind aI' a2,

/la, ... (0 < I~I ~ la21 ~ ••• ) endliche komplexe Zahlen mit der Eigen­schaft, daB eine ganze Zahl q ~ 0 existiert derart, daB

(80.1)

konvergiert, wahrend

(80.2)

00 1

f la"la+l

00 1

f lanl"

divergiert, so ist das kanonische Produkt (vom Geschlecht q)

(80.3) w(z) = iiEq (~) 1 an

mit 1 1 Eq(z) = (1_z)ez+2z'+ ... +qZa

in E regular und somit dort holomorph. Wir beweisen den Satz:

Satz. Die Ordnung des kanonischen Produkts (80.3) ist gleich dem Konvergenzexponenten ko der Folge (an).

Beweis. Da allgemein k (a) ~ e (w) ist, so geniigt es, die Ungleichung e (w) ~ ko nachzuweisen. Wir setzen zunachst q = 0 voraus und be­zeichnen durch n (r) die Anzahl der ak mit lakl ~ r. Dann ist

n(r) 1 _ lor dn (t) n (r) lor n (t) £ -1-1 - -t-=-+ -to dt. 1 ~ 0 r 0

Daraus folgt zunachst, daB das Integral

(00 dt Jo n(t) t2

konvergiert und somit lim n(r) = 0

1'-+00 Y

23*

356 IX. Verhalten in der Umgebung einer wesentlichen Singularitiit

ist. Es sei nun

Dann ist

also

(80.4)

M (r) = Max {Iw (z)1 I Izl = r} •

roo n (t) dt log M (r) ~ r)o r + t -t- .

Wir zeigen jetzt: 1st q> 0, so gibt es eine Konstante K derart, dafJ

(SO.5) 1000 n(t) dt 10gM(r) :::;; Kra+1 ----

- 0 r + t ~+1

ist.

In der Tat ist ffir Izl ~ q! 1

00 lo3lk 1 1031'+ 1 log IE (z)1 :::;; ~ -:::;; -----:::;; Izla+l

q - ~ k - q + 1 1 - 1031 -q+ 1

und somit 10311+1

log IEq(z)1 ~ 2 1 + 1031 •

1st Izl > q! 1 ' so erhaIt man leicht

log IEq(z) I ~ 2Hl qlzla ~ 2Hl(2q + 1) . Ilt~;1 . Diese Ungleichung, verbunden mit der Bedingung

lim n(r) = 0 r-+oo yf+1 '

die mit Riicksicht auf die Konvergenz von (SO.I) erfiillt sein muB, hat die Ungleichung (80.5) zur Folge.

Es sei nun ko< q + 1 und k = ko+ e. Dann folgt aus

nCr) 1 r dn(t) n(r) r dt f lanlk =)0 -t-)l:-= ~+ k )0 n(t) tk+1 ,

daB das Integral roo dt

)0 n (t) tk+1

konvergiert und somit die Gleichung

(80.6)

gilt.

1· n(r) 0 1m -)1:-=

r-+oo l'

80. Die Ordnung eines kanonischen Produkts 357

Man wahle jetzt e> 0 so, daB IX = q + 1-ko- 28 ~ 0 ausfallt. Setzt man dann {3 = ko + 28 - q, so ist wegen q ~ ko die Zahl {3 > 0 und es gilt IX + {3 = 1. Nun ist (80.7) r + t ~ ra. tp 1 ,

und somit

J( ) _ Hl ('Xl ~~ < (I+1-a. roo () _d_t_ r - r Jo r + t tHl = r Jo n t tou+fJ'

das heiBt J(r) < Krk.+ 2B

mit einem endlichen K > O. Daraus folgt wegen mN(r, 00) ~ log M (r)

Urn log T(r, w) < k 28 logr = 0+ .

...... 00

Das beweist den Satz fUr ko < q + 1. Der ubrigbleibende Fall ko = q + 1 HtBt sich durch direkte Anwendung der Ungleichung (80.5) erledigen.

lch verbinde den Geschlechtsbegriff eines kanonischen Produkts mit dem Nachweis, daB man jede meromorphe Funktion w (z) endlicher Ordnung im wesentlichen als Quotienten von zwei kanonischen Produk­ten endlichen Geschlechts darstellen kann.

Wir setzen voraus, es existiere eine kleinste ganze Zahl q ~ 0 derart, daB

(80.8) 1.00 dr T (r, w) ---.-:i=2

'. r (ro> 0)

konvergiert. Ferner setzen wir w (0) =1= 0, 00 voraus und numerieren, wie ublich, die Nu1lstellen ak bzw. die Pole bk von w (z) nach wachsenden Betragen. Dann wird mit Rucksicht auf die Jensen-Nevanlinnasche Formel

n(r,O) r(z - Uk) log w (z) = iC + E log ~2---:="'-

1 r - akz

+ 21n; j2"loglw(C)1 ~~; d-D

mit einem reellen C. Hierbei ist noch Izl < ICI und C = reiO• Man differen­ziere nun diese Gleichung q + I-mal nach z. Dann wird

doU n(r,O) 1 n(r,oo) 1

dZH1 log w(z) = - q! E (Uk _ z)Hl + q! E (bJ: _ Z)O+l + Sf 1 1

1 Es geniigt offenbar, diese Ungleichung fiir rationale IX, f3 zu beweisen. Es sei m n

IX = q' f3 = q (0 ~ m, n;:2; q, m + n = q). Dann ist offenbar

(r + t). ~ r'" t.-m = r'" po und somit auch

358 IX. Verhalten in der Umgebung einer wesentlichen Singularitiit

mit

und

2(q+l)! f dC Ir(z) = 2ni 10glw(C)I(C_z)'+>o

ICI=r Nun ist

und

n(r, 0) IIr(a) I ~ q! (r -IZj)O+l

n(r, 00) IIr (b)J ~ q! (r _ IZj)O+l ,

also wegen lim n(r, 0) = lim n(r, 00). = 0 r~OO ro+ 1 r ..... oo ra+ 1

lim Ir(a) = lim Ir(b) = 00 T---+OO T-+OO

Andererseits ist

mit

Daraus folgt wegen

IIr(z) I ~(q+ I)! (r~I~I~o+2 (T(r,w) +0(1))

lim Ir(z) = 0

und somit schlieBlich

1 d0+ 1 _. {n(r,o) _ 1 n(r,oo) 1 } I d 0+1 log w(z) -lim }; (a _ z).+1 -\-); (al< _ Z)O+l 0

q. Z '1'-.. 00 1 k 1

Der letzte Teil des Beweises verHiuft nun so: Da die Konvergenz von Ir(a), Ir(b) und I'/'(z) gegen Null in jeder Kreisscheibe Izl ~ A gleich­maBig ist, konvergiert

'It 1 'It 1 - q! }; (ak - z)o+1 + q!); (bk - Z)O+l

1 1

80. Die Ordnung eines kanonischen Produkts 359

mit wachsendem n gleichmaBig gegen ::++11 log w (z). Man bilde jetzt die kanonischen Produkte

sowie

IIo(z) = i!Eq ( :J IIoo(z) = ilEq ( ~)

und beachte, daB mit Riicksicht auf die Konvergenz der Reihen 00 1 00 1

f \ak\a+l' f \bk\Hl

sowohl IIo(z), als auch IIoo (z) in jeder beschriinkten Teilmenge von E ab­solut und gleichmaBig konvergieren. Wegen

und

wird also

(80.9)

und mithin w (z) = ePA(z) II. (z)

IIoo(z)

mit einem Polynom P,,(z) vom Grade k ;::;; q. Hat w(z) in z = 0 eine Null­stelle oder einen Pol, so gilt allgemein

(80.10) w (z) = ZA ePA (z) II. (z) IIoo(z)

mit A. = n(O, 0) - n(O, 00). Mit Hilfe der Darstellung (80.10) kann man ohne Schwierigkeit auf

die "Minimaldarstellung" von w (z)

fiEa (~) 1 • a

(80.11) w (z) = zA ePA. (z) 00 ' :

11 Eooo (~) kommen, wobei qo, bzw. qoo das Geschlecht von (an) bzw. (bn) bedeutetl und ko eine endliche Zahl ist. Nach einem Vorschlag von R. NEVANLINNA nennt man die Zahl (80.12)

das Geschlecht der meromorphen Funktion w (z).

1 D. h. das Geschlecht der mit Hille von (an) bzw. (bn) nach der Vorschrift von 80. definierten kanonischen Produkte.

360 IX. Verhalten in der Umgebung einer wesentlichen Singularitat

81. Der Nevanlinnasche Hauptsatz der Werteverteilungstheorie. Der in 71. mit Hilfe der Funktion v (z) bewiesene Picardsche Satz wurde mit elementaren Methoden zuerst von BOREL im Jahre 1896 bewiesen, wobei er noch wichtige Beziehungen zwischen der Ordnung der meromor­phen Funktion w (z) und der Dichte der a-Stellen von w (z) aufdeckte. Die im Jahre 1924 einsetzenden Publikationen von R. NEVANLINNA haben die Borelschen Methoden wesentlich vertieft und stellten die Werteverteilungslehre meromorpher Funktionen auf einer allgemeinen Basis dar. Nachfolgender Beweis des Nevanlinnaschen Hauptsatzes der Werteverteilungstheorie geht auf AHLFORS [Dber eine Methode in der Theorie der meromorphen Funktionen, Soc. Sci. F ennicae Commentationes Phys.-M ath. 8, N: 0 10 (1935) ] zuriick. 1st w (z) in (78.1) meromorph, so ist offenbar jede line are Transformation von w (z) ebenfalls meromorph. 1m folgenden wird beim Studium der Verteilung der Nullstellen der Glei­chungen

w(z) - ak = 0 (k = 1, 2, ... , q)

angenommen, daB einer der voneinander verschiedenen q Werte (q;;;;. 3) av ... , aq , etwa aq , gleich unendlich ist. Ferner wird (mit Riicksicht auf das regelmaBige Verhalten einer analytischen Funktion in der Nahe einer auBerwesentlichen Stelle) noch vorausgesetzt, daB z = 00 eine wesent­liche (isolierte) Singularitat flir die betreffende (nicht konstante) Funktion w (z) ist.

Dem Ahlforsschen Beweis des Nevanlinnaschen Fundamentalsatzes sollen vorerst einige grundlegende Hilfssatze vorausgeschickt werden. Dabei wird, urn Wiederholungen zu vermeiden, vorausgesetzt, daB C, C1, ••• bzw. K, Kv ... stets positive Konstanten bedeuten sollen. Ihr genauer Wert ist fiir die Giiltigkeit der in Frage kommenden Un­gleichungen von untergeordneter Bedeutung.

Hilfssatz 1. Man setze

(81.1) q 1

II(a) = II--I [a, ak]

und (81.2) fl (a) = C II2 (a) log- 4 II (a)

(a E E)

mit einem endlichen C > O. Dann existiert das (uneigentliche) Integral

J= ~fl(a)dOJ(a). Beweis. Da sowohl fl (a) als auch das Flachenelement d OJ (a) der Rie­

mannschen Kugel bei jeder Transformation

a'= a - ao 1 + aoa

invariant bleiben, so geniigt es, die Konvergenz von] an der Stelle ak

fiir ak = 0 zu untersuchen. Diese Konvergenz hangt, wie man leicht

81. Der Nevanlinnasche Hauptsatz der Werteverteilungstheorie 361

sieht, von der Konvergenz des Integrals

f (1 + lal 2) 1 g-4 (1 + lal 2) d (a) lal2 0 lal2 w

lal <1

abo Letzteres Integral ist aber mit Rucksicht auf die Konvergenz von

(1 ( 1) dx Jo 10g-4 1 + X2 x(1 + x 2 )

konvergent. 1m folgenden wird in (81.2) die Konstante C so gewahlt, daB

(81.3)

wird. Hilfssatz 2. Man setze

und

(81.5)

Dann gilt (81.6)

.kp,(a) dw(a) = 1

(ro> 0) .

Beweis. Man kann ohne Einschdinkung der Allgemeinheit annehmen, daB auf Izl = ro' W (z) =1= ak (k = 1,2, ... , q) ist. Dann folgt aus (78.9) durch Integration

r mA (r, a) + N(r I ro, a) = T(r I ro, w) + mA (ro, a) + Ir (a) log-• ro

und somit

(81.7) N (r Iro, a) ~ T(r Iro, w) + mA (ro, a) + I r. (a) log -+-. o

Nun sind

.kn(r I ro, a) p,(a) dw(a) = 5,,(r)

11= .kmA(rO,a)p,(a)dw(a)

12 = k IIr.(a)1 p,(a) dw(a)

endlich. Es sei in der Tat

und

sowie

dk = Min {[ak , w(z)] I k = 1,2, ... , q; z ETo}

und d = Min {dv ... , dq}. 1st dann

E1 = {a I [a, w(z)] ~ ~ > 0; z E To}

362 IX. Verhalten in der Umgebung einer wesentlichen Singularitat

und E2 = E \E1, SO ist

11= r mA{rO' a) p{a) dw{a) + r mA{ro,a)p(a)dw(a), JE, JE. also

11;;;;;; log ~ + k. mA (ro, a) p(a) dw(a) .

Da nun p (a) in E2 beschriinkt ist und

r mA(ro, a) dw(a) JE, existiert, so gibt es (bei festen ak ) eine endliche Konstante K derart, daB 11;;;;;; K gilt.

Bei der Abschatzung von l2 nach oben, die auf ahnliche Weise erfolgt, bedient man sich am besten der Ungleichung (78.14).

Mithin ist T,..(r) ;;;;;; T(r I ro, w) + K + K1log ~

mit konstanten K, K 1•

Hilfssatz 3. Die Funktion y(x) sei im 1ntervaU

(81.8) I:O<ro;;;;;;x<+oo

positiv, stetig und monoton wachsend. Ferner sei y(x) mit Ausnahme von hOchstens abziihlbar vielen Punkten, die sick im Endlicken nickt hiiuJen, stetig diJJerenzierbar. 1st dann

(81.9) .11 = {x I y'(x) > Y(X)2, x El}, so ist

(81.10)

Beweis. Es sei L1r der Durchschnitt von .11 mit dem Intervall ro ;;;;;; ;;;;;; x ;;;;;; r. Dann gilt

dx::s:-----<--t Il 1 LI, - Y (ro) Y (r) Y (ro) •

Das beweist die Behauptung. Hat y (x) eine zweite, positive, stetige Ableitung y" (x) (mit eventuel­

ler Ausnahme von abzahlbar vielen Punkten, die sich im Endlichen nicht haufen), so kann man durch zweimalige Anwendung des eben bewiesenen Hilfssatzes zeigen, daB auf einer Punktmenge .1 mit

die Ungleichungen (81.11)

,hdx=oo

y" (x) ;;;;;; y' (X)2 ;;;;;; Y (X)4

gelten. Ersetzt man in dieser Ungleichung y (x) durch die Funktion

g(x)= rXy('Y])d'Y], Jxo so erhalt man leicht den Beweis des Satzes:

81. Der Nevanlinnasche Hauptsatz der Werteverteilungstheorie 363

Hilfssatz 4. Die Funktionen Yl(X),Y2(X) seien im Intervall J positiv, stetig, monoton wachsend und in j edem endlichen T eilintervall von J stuckweise stetig differenzierbar.

Man setze

(81.12)

Gilt dann (81.13)

so ist auf einer Intervallmenge Lf mit

~dX = 00

(81.14) Yl(r) = 0Uo(r I Y2)4).

(k = 1,2) .

Hilfssatz 5. Es sei f(x) im Intervall J:O ~ x ~ 1 positiv und inte­grierbar. 1st dann g(x) in] monoton wachsend und stetig differenzierbar, so gilt

(81.15)

sofern

positiv ist.

A = f,g' dx = gel) - g(O)

Beweis. Fur x ~ 0 ist log x ~ x-I. Denn Y = log x- x + 1 ist

wegen y' = : - 1 in 0 < x ~ 1 wachsend und in 1 ~ x < + 00 ab­

nehmend. Somit wird, wenn man

setzt,

Nun ist

und somit wird

M=~ rfg'dx AJI

~ f ~ g' dx= 1,

~ flog ~ g' d x ~ 0 . 1

Nach diesen vorbereitenden Satzen definiere man n' (r I ro, 0) bzw. n' (r I ro' (0) als die Anzahl der Nullstel1en bzw. Pole von w' (z) in ro ~ ~ Izl ~ r und beachte, daB nach den Entwicklungen von (78.8)

2rn £ :r log Iw'l df}- ;~ £. o~o log Iw'l df}

= n' (r I ro, 0) - n' (r I ro, 00)

1 Der Beweisgedanke dieser Ung1eichung geht auf F. RIESZ (J oum. London Math. Soc. 5 (2), 120-121 (1930) zuriick). (F. RIESZ 1880-1956).

364 IX. Verhalten in der Umgebung einer wesentlichen Singularltat

gilt, das heiBt

(81.16) 21n .£,lOg Iw'l df} = N' (r I '10,0) - N' ('1 I ro, (0) + 0 (logr)

mit r dt N'(rlro,O) = Jr,n(tlro,O)T

und N'(rlro,oo) = J. n(tlro,oo) ~t •

Setzt man dann

ifJ = ifJ(reiD) = 1 ~;~J2 V,u(w) log2ll(w), so wird

21n j;.lOg ifJ df}

1 t q 1 = -2- log Iw'l df}-2mA (r, (0) + J; mA (r, ak ) + -2 log C n r 1

und somit wegen (78.12) und (81.16)

21n j;.log{ 1 ~;~J2 V,u(w) 10g2ll(w) }df} q

= (q- 2) T(r I ro, w) - J; N(r I ro, ak) + Ndr I ro) + o (log r) mit

1

N 1 (r I ro) = N'(r I ro, 0) -N'(r I '10 , (0) + 2 N(r I ro, (0).

Wir setzen j etzt

(81.17) 1 r {J w'J 1 r::t:::::\} Q (r) = 2n Jrlog 1 + JWJ2 v,u (w) df}

und beachten, daB

21n j;.lOg (10g2ll(w)) df} = o (1ogr T(r I '10' w))

gilt. Daher wird q

(81.18) (q-2) T(r I ro, w) ~J; N(r I ro' Qk)-Ndr I ro) + S(r) 1

mit (81.19) S (r) ~ Q (r) + o (log r T (r I ro, w)) .

Man nehme nun an, daB die Stelle z = 00 eine wesentlich singuUire Stelle fUr w (z) ist, und somit

(81.20)

gilt. Dann ist

(81.21) und (81.22)

lim log r r~oo T(r J ro, w)

o

Tp.(r) < K T(r I ro, w)

81. Der Nevanlinnasche Hauptsatz der Werteverteilungstheorie 365

mit konstanten K, Kl > O. Andererseits ist nach dem Hilfssatz 5

also

das heiBt

(81.23)

{ 1 r IW/1 -} Q(r) ;;;:; log 2n Jr 1 + Iwl2 V.u(w) d{} ,

1 {1 r IW/12 } Q (r) ;;;:; 2 log 2n Jr (1 + Iw12)2 .u (w) d{) ,

1 { S~ (r) } 1 I Q(r) ;;;;2 10g 2nr ;;;:; 2 log SI'(r) +0(1) .

Man setze nun 'Y} = log r, 'Y}o= Max {I, log ro} und

SI'(ell) = Yl('Y}), S(e ll l ro, w) = Y2('Y}) .

Dann gilt mit Rucksicht auf (81.21) die Abschatzung (81.14), und somit wird wegen

I () d SI' (r) Yl'Y} =r-d-r-

1 Q(r) ;;;; 210gYi('Y}) + 0(1).

Nun wird nach (81.14)

log Yi ('Y}) ;;;; 4 log] 0 ('Y} I Y2) + 0 (1) , also auch

log S~(r) ;;;; 4 log T(r I ro' w) + 0 (1)

Dabei ist LI eine Intervallmenge von (81.8) mit

~ d log r = + 00 .

Als letztes schatzen wir jetzt die GroBe

n1(r I ro) = n'(r I ro, 0) -n'(r I ro' 00) + 2n(r I ro, 00)

(r ELI) .

nach unten abo Es sei c eine k-fache (k ~ 1) Nullstelle von w (z) - a (a =1= 00). Dann ist c eine Nullstelle von w' (z) von der Vielfachheit k - 1. Fur a = 00 und k ~ 1 hat w' (z) an der Stelle c einen Pol von der Ordnung k + 1 = 2k - (k - 1). Bedeutet also allgemein n1 (r I ro, a) (a =1= 00 oder a = 00) die Anzahl der a-Stellen von a in ro ;;;; Izl ;;;; r, jede gezahlt mit der Vielfachheit k - 1 statt k, so wird

und mithin

mit

q

n 1 (r I r 0) ~ }; n1 (r I r 0' av) 1

q

Ndr I ro) ~}; Ndr I ro, ap )

1

r dt Nl (r I r 0' av) = Jro n 1 (t I r 0' a,,) t (v = 1, 2, ... , q) .

366 IX. Verhalten in der Umgebung einer wesentlichen Singularitat

Die Abschatzungen dieser Nummer fiihren zusammengefaBt zum folgen­den Satz von R. NEVANLINNA, der zu den grundlegenden Tatsachen der Werteverteilungstheorie gehart:

Satz. 1st w (z) in (78.1) meromorph und sind aI' ... , a q (q ~ 3, a q = (0) q voneinander verschiedene Werte, so gilt

q q

(81.24) (q-2) T (r I ro, w) ;;, 1: N (r I ro, av ) - 1: Nl (r I ro' av) + 5 (r)

mit (81.25) mId

1 1

S(r) = O(logrT(r I ro, w))

~ dlogr= 00,

sofern z = 00 eine wesentliche Singularitat von w (z) ist.

(r ELI)

In der nachsten Nummer sollen einige vvichtige Anwendungen dieses Satzes gegeben werden.

82. Die Nevanlinnasche Defektrelation. R. NEVANLINNA hat aus seinem zuletzt bewiesenen Satz eine Reihe von wichtigen Folgerungen gezogen, die zu einer wesentlichen Vertiefung des Picardschen Satzes fiihren.

Def. Es sei a eine endliche oder unendliche komplexe Zahl. Dawn soll

(82.1) ~() 1 l~ N(r I ro, a) u a = - 1m -=--:---+-=--'c-r ...... oo T (r I ro, w)

der Defekt von a heifJen. Entsprechend heifJt die GrofJe

(82.2)

der Verzweigungsindex von a.

Beide GraBen haben lokalen Charakter und beziehen sich auf die in Frage kommende isolierte Singularitat. Ist w (z) in der ganzen Ebene meromorph, so ist

(82.3)

und

(82.4)

wegen

und

gilt stets

~ ( ) _ 1 = N (r, a) u a - -um---r ...... ooT(r,w)

-& (a) = lim Ndr, a) . r-+oo T (r, w) ,

N(r I ro, a);;, T(r I ro, w) + O(logr)

0;;, 8 (a) ;;, 1 .

83. Der Satz von PICARD-BoREL

Man schreibe nun die Ungleichung (81.24) in der Form

1:1

q {I N(r I ro, ak)} + 1; N 1 (r I ro, ak) S; 2 + 51 (r) T(rlro,w) 1 T(rlro,w) -

und beachte, daB

gilt. Somit wird

(82.5)

51 (r) = 0 (IOgrT (r I ro, w) ) T(r I ro, w)

q q

1: 0 (ak ) + 1: {}(ak ) ;;;; 2. 1 1

367

(r E,1)

Diese fUr jedes q> 2 bewiesene Relation (die Nevanlinnasche Defekt­relation genannt) zeigt, daB bei gegebener meromorpher Funktion w (z) die Defektmenge

(82.6) A = {a I a EE, o (a) > O}

hochstens abzahlbar sein kann. Das folgt unmittelbar aus der Tatsache, daB jede der Mengen

An={a!aEE,:;;;;o(a);;;;l} (n=I,2, ... )

mit Riicksicht auf die Ungleichung (82.5) hOchstens 2n Elemente ent­halten kann.

R. NEVANLINNA bezeichnet eine a-Stelle als Picardschen Ausnahme-

wert, wenn 0 (a) > ~ ist. Beriicksichtigt man dann die Relation (82.5),

so erhalt man den Satz:

Satz (PICARD-NEVANLINNA). Hat die in (78.1) nichtkonstante mero­morphe Funktion w (z) bei Zoo eine wesentliche 5ingularitiit, so kann sie dort hochstens zwei Picardsche A usnahmewerte aufweisen.

Ein wichtiges Problem, das durch die Nevanlinnasche Vertiefung des Picardschen Satzes aufgeworfen wird, ist die Konstruktion einer in E meromorphen Funktion mit vorgeschriebenen Defekten 0 (a k ) (k= 1,2, ... ) mit einer Gesamtsumme ;;;; 2. Der interessierte Leser findet in den beiden Monographien von R. NEVANLINNA (Le theoreme de Picard-Borel et la theorie des fonctions meromorphes, Paris, Gauthier-Villars 1929 und Eindeutige analytische Funktionen, diese Sammlung, Bd. 46) die Zu­sammenfassung einer Reihe von wichtigen Ergebnissen.

83. Der Satz von PICARD-BoREL. Die in 81. entwickelte Ahlforssche Methode zum Beweis des Nevanlinnaschen Werteverteilungssatzes fiihrt bei geeigneter Vertiefung des Hilfssatzes 4. zu einem einfachen Beweis des Picard-Borelschen Satzes, wonach die Ordnung e einer meromorphen Funktion hOchstens gleich (und somit auch gleich) Max {k(a1), k(a2),

k (aa)} (a1 =!= a2, a1 =!= a3, a2 =!= a3) sein kann.

368 IX. Verhalten in der Umgebung einer wesentlichen Singularitat

Es sei k > 0 und ro > O. Dann folgt aus (78.9)

]." I ( ) dt ]." (/ ) dt T(" I rD. w} mA t, a -t" + n t ro, a tk + 1 = k + ~ ~ r

(" dt +kJ". T(t/ro,w) tH1 +0(1).

Daraus folgt wegen

]." '(t )~=m.A(r.a) k]''' (t )~_m.A(ro.a) mA ,a t" " + mA, a tk+1 II: ro r ro 1'0

]." dt 1" dt T(rlro.w} (83.1) n(t/rO,a)tHl~k T(t/rO,w)tH1 + " +0(1). ~ ~ r

Diese Ungleichung besagt: Konvergiert fur r -+ 00 das Integral

(83.2)

so konvergiert auch das Integral

(83.3)

fUr jedes (endliche oder unendliche) a. Es seien nun tlt, a2, aa (aa = 00) drei komplexe Zahlen, so daB die entsprechenden Integrale Nk(tlt), N k(a 2), Nk(aa) konvergieren. Dann gilt zunachst nach den Entwicklun­gen von 81. von einem r an

(83A)

mit einem konstanten K > o. Die weitere Abschatzung von T k (r) in einer Intervallmenge LI hangt

von folgender Verallgemeinerung des Hilfssatzes 4 von 81. ab: Hilfssatz. Man setze unter den V oraussetzungen des H ilJssatzes 4. von 81.

(83.5)

Gilt dann (81.13) und ist das Integral

(00 Yl(rJ) e-knd rJ In. divergent, so gilt auf einer Punktmenge LI mit

J>rJ = 00 die Abschiitzung

(83.6) ]k(rJ / Y1) = O(JdrJ / ]o(rJ I Y2))4) .

(k > 0, it = 1, 2) .

83. Der Satz von PICARD-BoREL 369

Beweis. Man schreibe q ( 'Y}) flir 10 ('Y} I Yl) und q ( 'Y}) ffir I k ('Y} I q). Dann erhaIt man (durch zweimalige partielle Integration) die Gleichung

Ik('Y} Iyl) = e- kl1 (q'+ kq)l~.+ k2q

und somit, wegen q = q' ekl1, die Abschatzung

(83.7) Ik('Y} IYi) ~ q"('Y}) + 2k q'('Y}) + k2q('Y}).

Diese Ungleichung liefert in Verbindung mit den Ungleichungen (81.11) und q('Y}) ~ lo('Y} I Y2) den Beweis von (83.6).

Man setze jetzt in (83.5) t= el1 und definiere Yl('Y})'Y2('Y}) wie in 81. Dann wird

J= rlogS~(t) t::1 =0(1)+ (l1logYi('Y})e-kl1d'Y} JTo JrJo und somit auch

J ~ 0 (1) + K log r yl('Y}) e- kl1 d'Y} . )1'J. Nach (83.6) gilt nun

(11 Yi('Y})e- kl1 d'Y} = O(]k('Y} I q)4) )11. auf einer Menge LI mit .£ d log r = 00

und somit auch 1~0(1) + 4Klog Tdr I ro, w) (r ELI).

Das zeigt aber, da LI mindestens eine Folge enthalt, die gegen + 00 kon­vergiert, daB T k (r) nicht divergieren kann.

Die Integrale

(83.8) ].00 dr

N(r I ro, a) k+T r. r

(a EE) und das Integral

(83.9) ].00 dr

T(r I ro, w) k+T r. r

konvergieren oder divergieren mit Ausnahme von hochstens zwei a gleichzeitig. 1st a ein Ausnahmewert, so konvergiert stets (83.3), falls (83.2) konvergiert. Nun weiB man noch, daB die Integrale

und die Reihe

].00 dr

N(r I ro, a) k+T' r. r

100 dr n (r I ro, a) k"+i-r. r

00 1

f iz.(a)ik (Zl (a) =1= 0)

gleichzeitig konvergieren oder divergieren. Somit kann die Borelsche Vertiefung des Picardschen Satzes folgende Formulierung finden:

Dinghas, Funktionentheorie 24

370 IX. Verhalten in der Umgebung ciner wesentlichen Singularitat

Satz (PrCARD-BoREL-NEVANLINNA). 1st w(z) in der Umgebung von z = 00 meromorph und ist z = 00 eine wesentliche Singularitiit fur w (z), so gilt (83.10) Max {k(al ), k(a2), k(aa)} = e(w) .

Dabei bedeuten k (al ), k (a2), k (aa) die (lokalen) Konvergenzexponenten der Stellen av a2, as und e(w) die (lokale) Ordnung von w(z).

Der hier bewiesene Satz wurde fUr ganze transzendente Funktionen (mit log M (r) anstelle T (r, w)) zuerst von BOREL bewiesen. Die Uber­tragung des Satzes auf meromorphe Funktionen, die neue Begriffsbildun­gen erforderte, verdankt man R. NEVANLINNA.

84. Meromorphe Funktionen im Einheitskreis. 1st w (z) in Izl < R, R < + 00, meromorph, so kann ohne Einschriinkung der Allgemeinheit R = 1 angenommen werden.

1st w (z) in Izl < 1 meromorph und ist T (r, w) dort nicht beschriinkt, so kann

(84.1)

I log--

lim ~~I_- r = N r-+1 T(r, w)

un endlich, positiv oder Null sei. Letztere Klassen weisen in bezug auf den N evanlinnaschen Werteverteilungssatz verschiedenes Verhalten auf.

Def. Die GrofJe

(84.2) l~ log T(r, w) () 1m---I -=e w =e

r 1 log--I - r

heifJt die Ordnung der meromorphen Funktion. 1st e endlich, so heifJt w (z) von endlicher Ordnung.

Wie im Faile einer in E meromorphen Funktion tailt emit der oberen (bzw. unteren) Grenze der Zahlen k zusammen, fur die

(84.3) 11 T (r, w) (1- r)k-1dr

divergiert (bzw. konvergiert). I

Nachfolgender Hilfssatz kann durch die Substitution 'YJ = log ~ auf den Hilfssatz von 79. zuruckgefUhrt werden:

Hilfssatz. 1st g(x) (g(O) = 0) in 0;;;; x < 1 nicht abnehmend, so sind dort die beiden I ntegrale

(84.4)

und

(84.5)

101 (1- X)k-lg(X) dx

101 (1 - X)k dg (x)

gleichzeitig konvergent bzw. divergent.

(k> 0)

84. Meromorphe Funktionen im Einheitskreis 371

Wendet man diesen Hilfssatz auf den Ausdruck N (r, a) an, so folgt mit Rucksicht auf die Gleichungen (75.2) und (75.5) der Satz:

Satz (HADAMARD-BoREL-NEVANLINNA). Konvergiert fur ein k > 0 das Integral

(84.6) 11 T(r, w) (1- r)k-1 dr,

so sind fur jedes a das Integral

(84.7) 11 n (r, a) (1- r)k dr

und die Reihe 00

(84.8) J) (1 - IZn (a) j)k+1 1

gleichzeitig konvergent.

Der Nevanlinnasche Fundamentalsatz der Werteverteilungstheorie gestaltet sich verschieden, je nachdem fUr die charakteristische Funktion von w die Gleichung (84.1) mit N = 0 bzw. mit N> 0 gilt. Urn die ent­sprechenden Entwicklungen von 81. fur den Fall einer in Izl < 1 (nicht konstanten) meromorphen Funktion w (z) zu gewinnen, setze man wieder

und

1 f {IW'I } Q (r) = zn log 1 + Iwl' V.u (w) df} IZI=r

Q1 (r) = 217(; flOg 10g2 II (w) df} .

121=r

Dann wird fur q ;;;: 3 und a([= 00

q

(0 < r < 1)

(q- 2) S(r, w) - J) n(r, ak ) + ndr) = rQ' + rQi 1

mit n1(r) = n'(r, 0) - n'(r, 00) + 2n(r, 00).1

Definiert man die GraBen n1 (r, ak ) durch die entsprechenden GraBen n 1 (r I 0, ak), so erhalt man

q q

(q- 2) T(r, w) ~ J) N (r, ak) - J) N1 (r, ak) + Sl (r) , 1 1

mit Sl (r) ~ Co + Q (r) + Q1 (r) .

Wegen Q1 (r) ~ K1log T (r, w) ist

Sl (r) ~ Co + K1 log T (r, w) + Q (r) .

1 n'(r, 0) bzw. n'(r. 00) bedeuten hier die Anzahl der Nullstellen bzw. der Pole von w'(z) in Izl ~ r. Es wird wieder angenommen. daB w'(z) auf Izl = r weder Null­stellen noch Pole hat.

24*

372 IX. Verhalten in der Umgebung einer wesentlichen Singularitat

Die Abschatzung von Q (r) nach oben kann unter Heranziehung des Hilfssatzes 4. von 81. und des Hilfssatzes von 83. durchgefiihrt werden.

Zunachst folgt aus (75.6) und (76.5)

T A (r, a) = K (a) + T A (r, w) mit

und somit K (a) = log VI + lal 2 + Ko-log Ig (0)1 ,

£ T A (r, a) P, (a) dw (a) = C1 + T A (r, w) ,

mit einem endlichen C1• Setzt man

f Iw'll S" (r, w) = (1 + Iwll)1 P, (w) dq

Izl;;;;r und

r dt T,,(r, w) = Jr. S,,(t, w) t

(0 < r < 1)

(O<ro<I),

so folgt leicht aus den Entwicklungen von 81. (Beweis des Hilfssatzes 2.) die Ungleichung

r dt T,,(r, w), ~ C2 + T(r, w) = C2 + Jo S(t, w) T'

mit einem endlichen C2 > O. Man setze jetzt

I,,(r, w) = r S,,(t, w) dt Jr. 1

und fiihre die Veranderliche 'YJ = log T=r ein. Dann wird wegen

S' = dS" = dS" e'1 = 5 e'1 " dr dTJ "

und

'S"=I,,etJ

S~= S~(r, w) = (j~+ ip)e2f1 > O.

Daraus folgt zunachst 1 1 1 ... zlog S~ = logT=r + zlog (1,,+ I,,) .

Nun ist (wegen i" + I" :> 0) I" +- i" wachsend, und somit gilt nach dem Hilfssatz 4 von 81. auBerhalb einer Intervallmenge .11 mit

~,d'YJ<+oo i,,+ 1,,= o (I!) . Daraus folgt mit RUcksicht auf die Ungleichung

I,,(r, w) ~ T,,(r, w) ~ C1+ T(r, w) ,

84. Meromorphe Funktionen im Einheitskreis 373

daB innerhalb der zu L11 komplementaren Menge L1 von 0 < r 0 < 1

(84.9) 1

5 1 (r) = log 1="7 + O(log T(r, w))

ist. Somit gilt dort q q 1

(q - 2) T (r, w) - J: N (r, ak ) + J: Nl (r, ak ) ~ log 1="7 + 1 1

(84.10) + O(1og T(r, w)) .

Diese auf R. NEVANLINNA zurUckgehende Ungleichung fUhrt ohne Schwierigkeit zu dem Satz:

Satz (R. NEVANLINNA). Es sei w (z) in Izl < 1 meromorph und von nicht beschriinkter Charakteristik. Man setze allgemein

(84.11)

und

(84.12)

o(a) = lim m(r, a) = I-lim N(r, a) "--+ 1 T (r, w) Y--+l T (r, w)

{} (a) = lim Nl (r, a) Y--+ 1 T (r, a)

1st dann N endlich, so ist

q q

(84.13) J: o (a k ) + J: {}(a,,) ~ 2 +N. 1 1

Diese Ungleichung ist genau. In der Tat hat R. NEVANLINNA durch eine scharfsinnige Uberlegung gezeigt (Le theoreme de Picard-Borel et la theorie des fonctions meromorphes, S. 149), daB es Funktionen w (z) gibt, die in Izl < 1 meromorph sind und dort q (q ~ 3) vorgeschriebene (voneinander verschiedene) Werte at> ... , aq (a q = 00) nicht annehmen, und fUr die

1 1 T(r, w) ~ --2 log -1--q- -r

gilt. In diesem Faile ist N = q - 2 und 0 (a,,) = 1 (k = 1, ... , q). Der Beweis des Picard-Borel-Nevanlinnaschen Satzes fUr Funktionen,

die in Izl < 1 meromorph sind, geschieht auf der Grundlage des Hilfs­satzes von 83. Man nehme an, daB fUr ein A > 0 die Integrale

(k = 1,2,3, aa = 00)

konvergieren. Dann ist

T,,(r) = 1: T(t,w) (I-t)"-ldt~O(I) + I.: 5 1 (t) (I-t)"-ldt

374 IX. Verhalten in der Umgebung einer wesentlichen Singularitat

und somit wird, mit Rucksicht auf die Konvergenz von

(1 log _1_ (1- r)i.-1dr , Jr. 1 - r 1

2"" Ti.(r) <K + KllogJ('YJ) (0 < K < + (0) mit

Das Integral] ('YJ) ist bereits in 83. abgeschatzt worden. Wir wissen aus den dortigen Entwicklungen, daB daraus die Abschatzung

Ti. (r) = 0 (log Ti. (r))

folgt, und zwar auf einer Intervallmenge L1 mit

(dlog-1-= 00. JLl 1 - r

Letztere Gleichung hat zur Folge, daB Ti. (r) konvergieren muB. Danach gilt der Satz:

Satz (PICARD-BoREL-NEVANLINNA). 1st w (z) in [z[ < 1 meromorph, so sind fur ein beliebiges A> 0 die Integrale

lol N (r, a) (1- r)i.-1dr (a E iff) und das Integral

.fo1 T (r, w) (1 - r)i.-1dr

mit hochstens zwei A usnahmen von a gleichzeitig konvergent oder divergent. Daraus folgt, daB die Ordnung e (w) von w (z) mit hOchstens zwei Aus­nahmen von a gleich der Ordnung von N (r, a) ist. DaB dasselbe fur den Konvergenzexponenten k (a) der Reihe

00

}; (1- [zv(a)[)k+1 1

gilt, mage der Leser durch geeignete Umformungen fruherer, verwandter Entwicklungen selbst beweisen.

Eine ausfuhrliche Darstellung der hier kurz bertihrten Fragestellun­gen findet der Leser in der vorhin und in 82. zitierten Monographie von R. NEVANLINNA.

85. Geschichtliche Zusammenhange und Literaturangaben. Die Werteverteilungstheorie, we1che heute dank des machtigen Impulses, den sie durch die Arbeiten von R. NEVANLINNA empfing, zu den am meisten bearbeiteten Gebieten der modernen Funktionentheorie gehart, beginnt mit den bahnbrechenden Abhandlungen von ]. HADAMARD

[Essai sur l'etude des fonctions donnees par leur developpement de

85. Geschichtliche Zusammenhange und Literaturangaben 375

Taylor, J. Math. (4) 8, 101 (1892) und Etude sur les proprietes des fonctions entieres et en particulier d'une fonction consideree par Rie­mann, J. Math. (4),9, 171 (1893)] und E. BOREL [Sur les zeros des fonc­tions entieres, Acta Math. 20, 357 (1897)J. Insbesondere ist BOREL der erste gewesen, der mit elementaren Methoden die Dichte der Nullstellen der meromorphen Funktionen w (z) - a fUr die verschiedenen Werte von a (zunachst fUr ganze Funktionen beliebiger Ordnung) studierte und somit der Funktionentheorie der damaligen Zeit, als noch der Picardsche Satz vollkommen isoliert stand, ein neues, wichtiges Kapitel erschloJ3. Dieses Gebiet erhielt in der nachfolgenden Zeit durch die Ent­deckungen von LANDAU und SCHOTTKY sowie durch die Arbeiten von CARATHEODORY, KOEBE, LINDELOF und JULIA bedeutende Beitrage. Insbesondere haben die Arbeiten von JULIA (Ann. Ec. norm. Sup. 1919-1931) das Werteverteilungsproblem analytischer Funktionen in der Umgebung einer isolierten Singularitat dadurch erweitert, daB dort nicht nur Aussagen tiber den Beitrag der Wurzeln von w (z) - a gegeben wurden, sondem noch die Frage nach der Verteilung der Argumente derselben erfolgreich aufgegriffen wurde. Diese Arbeiten zeigten zugleich die groJ3e Bedeutung der von MONTEL geschaffenen Theorie der normalen Familien. Aus der groBen Ftille der so entstandenen Arbeiten seien hier lediglich die Arbeiten von CARATHEODORY, OSTROWSKI, MILLOUX und V ALIRON angefUhrt.

Die im wesentlichen von F. und R. NEVANLINNA Anfang der zwan­ziger Jahre konsequent entwickelte logarithmische Methode in der Funk­tionentheorie (deren Anfange wohl auf die Jensensche Formel zurtick­gehen) gestattete erstmalig, eine Reihe von funktionentheoretischen Problemen durch eine einheitliche Methode anzugreifen.

Einen groBen Erfolg verzeichnet diese Methode im Jahre 1925, als es R. NEVANLINNA (Zur Theorie der meromorphen Funktionen, Acta Math. 46) gelang-, den (vorhin durch ahnliche Methoden bewiesenen) Picard-Borelschen Satz (Ann. Acad. Sci. Fennicae 23 und Acta Soc. Sci. Fennicae 50) wesentlich zu vertiefen und die allgemeine Defektrelation aufzustellen1 . Diese drei Abhandlungen legten den Grundstein fUr die gesamte spatere Entwicklung und regten eine Reihe von Arbeiten an, von denen die Arbeiten von F. NEVANLINNA [Uber die Anwendung einer Klasse uniformisierender Transzendenten zur Untersuchung der Werte­verteilung analytischer Funktionen, Acta Math. 50, 159 (1927)J, L. V.

1 Die Ungleichung (81.6) wurde von R. NEVANLINNA zuerst fUr q = 3 bewiesen. Kurz darauf und unabhangig voneinander haben LITTLEWOOD und COLLINGWOOD die Ungleichung (81.24) fiir ganze Funktionen (mit ro = 0) und ein beliebiges q > 2 bewiesen. AnschlieBend bewies R. NEVANLINNA [Acta Math. 46, 1-99 (1925), FuBnote S. 91] die Ungleichung (81.24) allgemein und leitete daraus die Defekt­relation abo

376 IX. Verhalten in der Umgebung einer wesentlichen Singularitat

AHLFORS [Uber eine Methode in der Theorie der meromorphen Funk­tionen, Comment. Phys.-Math. Soc. Sci. Fennicae 8, N:o 10 (1935)J, H. SELBERG [Algebroide Funktionen und Umkehrfunktionen Abelscher Integrale, Avh. Norske Vid.-Akad. Oslo, Math.-naturw. Kl. 8, 72 S. (1934)J und E. F. COLLINGWOOD besonders hervorzuheben sind.

Der Leser, der die Verdienste von HADAMARD, BOREL und N EVANLINNA in den Entwicklungen dieses Kapitels (insbesondere, was die Satze von 79. und 83. anbetrifft) im einzelnen haben will, mage folgende wichtigen Resultate von HADAMARD notieren:

1. 1st w (z) die in E meromorphe Funktion von endlicher Ordnung (2, so konvergiert die Summe

00

(85.1) (c> 0) ,

(so fern diese nicht leer ist) fur jedes a.

2. Fur jedes 8 > 0 ist die Ungleichung

(85.2) log [w(re iil) [ ~ - rHe

fur mindestens eine Folge (rn) mit lim rn = co erfiillt. n-..oo

Der erste dieser (zunachst von HADAMARD fur den Fall einer ganzen Funktion bewiesenen) Satze liefert die Umkehrung eines fundamentalen Ergebnisses von POINCARE [Sur les fonctions entieres, Bull. soc. math. France 11, 136-144 (1883)J, wonach fUr eine in E holomorphe (also ganze transzendente) Funktion w (z) endlichen Geschlechts q stets

lim [w (z) [ e-e[z[q+l = 0 [z[-.. 00

fUr jedes 8> 0 gilt. Das Ergebnis 1, dessen Ubertragung (im Rahmen einer allgemeinen Theorie) auf meromorphe Funktionen man R. NEVAN­LINNA verdankt, hat den AnstoB zu einer Reihe von Arbeiten gegeben, von denen diejenigen von A. WIMAN, E. LINDELOF und G. VALIRON hervorzuheben sind.

Die Ungleichung (85.2) bildete den Anfang einer Reihe von Unter­suchungen mit dem Ziel, das Minimum fh (r) des absoluten Betrages [w (z) [ einer ganzen Funktion w (z) auf [z[ = r fur gewisse, beliebig groBe r nach unten durch M (r) abzuschatzen. BOREL gelang es zuerst, uber HADAMARD hinaus die Ungleichung

log fh (r) > - [log M (r) J1+ e

fUr mindestens eine Folge (rn) mit lim rn = 00 zu beweisen, und zwar n-.. 00

unabhangig davon, ob w (z) von endlicher oder unendlicher Ordnung ist.

85. Geschichtliche Zusammenhange und Literaturangaben 377

Dieses Resultat konnte erst 1952 durch W. K. HAYMAN weiter verscharft werden, indem er zeigte, daB fUr Funktionen unendlicher Ordnung

log,u(r) ~ -HologM(r) log log logM(r)

auf einer r-Menge mit ,u! > ° gilt. Hierbei kann man Ho> 2 (aber nicht Ho-;;;' 0,09!) nehmen.

Eine Verscharfung der Hadamardschen Ungleichung (85.2) hat fur Funktionen endlicher Ordnung J. E. LITTLEWOOD gegeben. LITTLEWOOD hat neben den auf S.233 genannten Ergebnissen gezeigt, daB fur jede ganze Funktion endlicher Ordnung die Ungleichung

log,u (r) ~ - (Lo + B) logM (r) (Lo = Lo ((])

fur gewisse, beliebig groBe r gilt. Einzelheiten daruber findet der Leser in der auf S. 233 zitierten Arbeit von HAYMAN.

BOREL" Anteil an dem Satz von 83. besteht zunachst in dem Nach­weis, daB fur jede ganze Funktion 'lR/ (z) die Gleichung

(85.3) 1-. - log n (r, a) 1m ----.=(] ' . ....,.00 log r

(a E E)

mit hochstens einer Ausnahme besteht. Die beiden Bucher von BOREL, Le<;ons sur les fonctions entieres, Paris, Gauthier-Villars 1900 und Le<;ons sur les fonctions meromorphes, Paris, Gauthier-Villars 1903 geben einen ausgezeichneten Einblick in die Borelschen Methoden und einen Dberblick uber den Stand der Werteverteilungstheorie zu dieser Zeit.

NEVANLINNAS Beweis des Satzes von 81. fur meromorphe Funktionen findet der Leser entweder in der vorhin zitierten Arbeit der Acta oder in einer der beiden eben falls zitierten Monographien von R. NEVAN­LINNA.

Das hier zur Behandlung gekommene Werteverteilungsproblem von WEIERSTRASS-PICARD-BoREL-NEVANLINNA ist trotz der Schwierigkeiten, die es in sich birgt, wohl das einfachste Problem dieser Art, namlich das Verhalten der (eindeutigen) analytischen Funktion 'lR/ (z) in der Umgebung einer einzigen singularen Stelle. DaB dieses Problem jedoch nur ein Spezialfall eines bei weitem komplizierteren Fragenkomplexes ist, nam­lich der Werteverteilung von 'lR/ (z) in der Nahe einer Randmenge von der Kapazitat Null, erfahrt der Leser, wenn er die Dissertation von G. AF HALLSTROM (Dber meromorphe Funktionen mit mehrfach zusammen­hangenden Existenzgebieten. Dissertation Univ. Helsinki 1939, gedruckt in den Acta Acad. Aboensis, Math. et Phys. 12, Nr. 8, 1939) liest. Eine kurze Darstellung der Hauptergebnisse der Nevanlinna-Hallstromschen Theorie von Funktionen, die in einem Gebiet meromorph sind, dessen Randpunktmenge die Kapazitat Null hat, findet der Studierende in den Erganzungen dieses Kapitels. DaB diese Erganzungen wieder eine kleine

378 IX. Verhalten in der Umgebung einer wesentlichen Singularitat

Auswahl von wichtigen Fragen der modernen Funktionentheorie dar­stellen, wird jeder Leser leicht feststellen k6nnen, der einige der Vortrage liest, die in den Proceedings of the International Colloquium on the Theory of Functions (Helsinki, 1958) zusammengefaBt sind.

Erganzungen und Aufgaben zum neunten Kapitel

1. LITTLEWOODs Begriff der subordinierten Funktion. LEHTOS Maxi­mumprinzip. Wir setzen voraus, w (z) sei im Gebiet K: [z[ < 1, meromorph und bezeichnen, wie ublich, mit n (r, a, w) (kurz n) die Anzahl der Null­stellen von w (z) - a in der Kreisscheibe

(1) Kr:[z[ ;;;;'r< 1.

Man nehme an, die Funktion w (z) sei in [z[ < 1 ebenfalls meromorph und w (0) = w (0). Gibt es dann eine in [z[ < 1 eindeutige regulare Funktion a (z) mit den Eigenschaften 1. a (0) = 0, 2. [a (z) [ ;;;;, 1 flir [z[ < 1 (also nach dem Schwarzschen Lemma [a (z) [ ;;;;, [z[) derart, daB

(2) w(z) = w(a(z)

gilt, so heiBt w (z) nach LITTLEWOOD [On inequalities in the theory of functions, Proc. London Math. Soc. (2),23,481-519 (1924) und Lectures on the theory of functions, Oxford 1944J der Funktion w (z) subordiniert. Man kann diese Definition auch in folgende Form bringen: Es bedeute w-1 die zu w inverse Funktion, die das durch w (z) erzeugte Riemannsche Flachenstuck TV schlicht auf die Kreisscheibe [z[ < 1 abbildet. Man betrachte jetzt den Zweig C (w) der inversen Funktion w- 1 von W (z) mit C(w(O) = O. 1st nun g(z) = C(w(z» in [z[ < 1 uberall fortsetzbar, so ist g (z) (nach dem Monodromiesatz) eindeutig in [z[ < 1 und (nach dem Schwarzschen Lemma) dort dem Betrag nach kleiner als Eins. Somit ist w(z) = w(g(z). Man kann also behaupten: Ist w(z) der meromorphen Funktion w (z) subordiniert und bedeutet TVr den Teil von TV, der der Kreis­scheibe Kr (0 < r < 1) entspricht, so bleiben die Werte von w (z) bei stetiger F ortsetzung von dem Punkt w (0) = w (0) aus in TVr •

Man betrachte nun die in [z[ < 1 eindeutige reguHire Funktion g (z) und bezeichne mit n (r, a, g) (kurz n) die Anzahl der Nullstellen von g (z) - a in der Kreisscheibe K r : [z[ ;;;;, r < 1. Es sei ao = g(O) und Gr = g(Kr). Setzt man dann

(3) L ( ) = {N (r, a, g) [ a E Gr \ ao r, a, g _ o [ a ~ Gr \ ao ,

so ist nach LEHTO [A majorant principle in the theory of functions, Mathematica scand. 1, 1-17 (1953)J L (r, a, g) in E \ ao subharmonisch

und log [a - ao[ + L (r, a, g) (bzw. log Tar + L (r, a, g), falls ao = 00 ist)

1. LITTLEWOODS Begriff der subordinierten Funktion 379

in der Umgebung von ao endlich. Dieses Ergebnis kann man leicht aus der Darstellung n r

N (r, a, g) = flog IZk(a)1

entnehmen (wobei Zk(a) die Nullstellen von w(z) - a in Kr bezeichnen), indem man nachweist, daB bei festem a E E \ ao und ffir hinreichend

kleine elf L (r, a, g) ;;;:;; --z;- L (r, a', g) df} (a' = a + eeit'J)

!a'-a!=Q

gilt. Die Existenz des Integrals folgt aus der Stetigkeit von L (r, a, g) in E \ ao' die wieder unmittelbar aus der Darstellung (3) folgt.

Urn die Endlichkeitvon log la-aol +L (r, a,g) (bzw.log~+L(r,a,g)) in der Nahe von ao zu zeigen, gehe man von der Entwicklung

g(z) = ao + amzm + . . . (ao=!= 00; m ;;;; l,ganz)

aus und beachte, daB die Zk (a) in der Umgebung von z = 0 in der ersten 1

Approximation durch die m Werte von {L (a-ao)}"m gegeben werden.

Analog verfahrt man, wenn z = 0 ein Pol ffir g (z) ist. Es sei jetzt a(z) in Izl < 1 regular, a(O) = 0 und la(z)1 < 1. Dann

gilt nach dem Schwarzschen Lemma la(z)l ;;;:;; Izl, und somit ist

r h (a) = L (r, a, a) -log lar (a =!= 0)

in Kr subharmonisch. Da nun die Randwerte von h (a) (a E Kr) ver­schwinden und lim h (a) endlich ist, so gilt (nach dem erweiterten Maxi-

a-->-O mum-Prinzip) h(a) ;;;:;; 0 und somit

(4) (a =!= 0) .

Mit Hilfe dieses Resultats von LITTLEWOOD und LEHTO kann leicht fol­gendes Ergebnis (LEHTO loco cit. S. 8) gewonnen werden: Es seien ql' ... , qm beliebige komplexe Zahlen vom Betrag kleiner oder gleich r(r < 1). Bezeichnen dann Zl' .•. ' zn Punkte von Izl ~ r, in denen die Werte von a (Zk) (k = 1,2, ... , m) mit einer der n Zahlen ql> .•. , qn zusam­men/allen, so gilt

(5)

Man kehre nun zu der (der Funktion w (z) subordinierten) Funktion W (z) zuruck und bezeichne mit Zz (a) (l = 1, ... , n) die a-Stellen (a =!= ao) von w (z) in Izl ;;;:;; r. Dann folgt aus

(6) w(zk(a) = w(a(zk(a») (k = 1,2, ... , n)

380 IX. Verhalten in der Umgebung einer wesentlichen Singularitat

mit Rucksicht auf die Ungleichung /a(z)/ ~ /z/' daB die Werte a(zk(a» mit einem der Werte z!(a) (l = 1, ... , n) zusammenfallen. Somit wird

(7)

und infolgedessen auch

n 'I' n 'I'

II--'5:.II-~-1 IZk (a) I - 1 IZI(a)1

~ N~~~~N~~~.

Es bezeichne jetzt e (a) eine in iff definierte, nicht negative, reelle Funktion derart, daB fur jedes r < 1 das Integral

£ N (r, a, ') e (a) dw (a)

existiert. Dann folgt aus (8) mit Rucksicht darauf, daB

ist, (9) mit

und

SI1(r, w) = ,kn(r, a, w) e(a) dw(a)

f IW'I' = e(w) (1 + Iwl')' dx dy

Izl;;>;r

T I1 (r, w) = loT SI1(t,w) ~t.

Setzt man hier e (a) == 1 voraus, so geht die Ungleichung (9) in die Un­gleichung (10) T(r, w) ~ T(r, w) uber.

Man nehme jetzt an, w (z) sei in K meromorph derart, daB das Gebiet G = w (K) mindestens drei Randpunkte hat. Man betrachte die­jenige Funktion '(z), welche den Einheitskreis ein-eindeutig und kon­form auf die universelle Dberlagerungsfiache Woo von G abbildet. Man normiere '(z) (mittels einer Bewegung von K) so, daB, (0) = w (0) wird, und bilde ,-1. Dann ist derjenige Zweig von '-l(W(Z)), der fur z = 0 verschwindet, in /z/ < 1 (von z = 0 aus) unbeschrankt fortsetzbar und stellt (nach dem Monodromiesatz) eine in /z/ < 1 eindeutige regulare Funktion a(z) dar, die fUr z = 0 verschwindet. Somit ist w(z) = '(a(z)) und w (z) der Funktion '(z) subordiniert. Danach gilt der

Satz (LEHTO). Es bedeute H die Klasse aUer in K: Izi < 1 meromorphen Funktionen w (z) mit der Eigenschafl, daf3 w (K) fur jedes w E H in einem

2. Eine Ungleichung von AHLFORS 381

festen Gebiet G enthalten ist, das mindestens drei Randpunkte besitzt. 1st dann der Wert w (0) fur aile Funktionen von H der gleiche, so stellt das Integral

(11) r dt

)0 SIl(r, C) t'

konstruiert mit der vorhin definierten Funktion C (z), eine obere Grenze fur die entsprechenden Integrale der Elemente von H dar.

Fur den Kenner der Lebesgueschen Integrationstheorie moge noch darauf hingewiesen werden, daB man mit LEHTO anstelle von e (a) d ro (a) ein vollstandig additives (nichtnegatives) MaB ,u(a) zugrunde legen und

bilden kann. ,kN (r, a, w) d,u (a)

Der Satz von LEHTO stellt, geeignet angewandt, einen leichten (und neuen) Zugang zu einer Reihe wichtiger Fragen der modernen Funk­tionentheorie dar und liefert nicht nur eine Verallgemeinerung des klassischen Lindelofschen Prinzips, sondern auch (unter Heranziehung der Methode von PICARD-F. NEVANLINNA) den Nevanlinnaschen Haupt­satz (man vgl. K. 1. VIRTANEN, Eine Bemerkung uber die Anwendung hyperbolischer MaBbestimmungen in der Werteverteilungslehre der meromorphen Funktionen, Mathem. Scand. 1, 153-158, 1953) der Werteverteilungstheorie.

2. Eine Ungleichung von AHLFORS. 1st w (z) in der offenen komplexen Ebene meromorph, so hat AHLFORS [Zur Theorie der Dberlagerungs­fiachen, Acta Math. 65, 157 (1935)J als Folgerung seiner beriihmten metrisch-topologischen Theorie der berandeten Dberlagerungsfiachen unter vielen anderen Ergebnissen die Ungleichung

q q

(1) (q - 2) 5 (r, w) ;;;;; I: n (r, ak ) - I: n1 (r, ak ) + KL (r) 1 1

!nit q > 2, K = K(a1, • •• , aq) und

f Iw'(z)1 (2) L(r) = l+lw(z)IZldzl

Izl=' bewiesen. Da

L(r)2;;;;; 2nr S'(r, w)

ist, so kann man zeigen, daB auBerhalb einer Intervallmenge L1 mit

Ldlogr<+oo

(3) L (r) < VS (r, w) log 5 (r, w)

gilt. Folgende Abschatzung von

A (r) = l' Lt(t) dt (I < r < + 00)

382 IX. Verhalten in der Umgebung einer wesentlichen Singularitiit

ist von Wichtigkeit. Es bedeuten C1> C2, ... positive Konstanten. Dann ist zunachst

A (r)2 ~ C1 log r 1r ~2 dt (C1 ~ 1)

und somit auch

A (r)2 ~ C2 log r 5 (r, w) ~ C2 r log r T' (r, w) (C2 ~ C1) •

Es sei nun .11 die Intervallmenge von r ~ e, auf der

r log r T' ~ T log2 T (T = T(r, w)) gilt. Dann ist

~ hoo dT d log log r ~ Tl 2 T < + 00 •

A. T(,) og Daraus folgt

(4) A (r) ~ C2 T (r, w)~ log T (r, w)

Mit Hilfe dieser Abschatzung kann man aus (1) nach Division durch r und anschlieBender Integration die fundamentale Nevanlinnasche Un­gleichung in der Form

q q

(q - 2) T (r, w) ~}; N (r, ak ) - }; N1 (r, ak ) + 5 (r) 1 1

mit 5 (r) = 0 (VTlog T)

erhalten [man vgl. Math. Z. 44, 568-572 (1939)].

3. Nochmals der Picard-Borelsche Satz. Will man aus der Ahlfors-schen Ungleichung

q q

(1) (q-2) 5(r, w) ~}; n(r, ak ) -}; nr(r, ak ) + KL(r) 1 1

den Picard-Borelschen Satz in der klassischen Form erhalten, so geniigt es, diese fiir den parabolischen Fall mit r- k-l (k > 0) zu multiplizieren und das Restglied

(2) 1r dt Adr) = L (t) tHI To

mit Hilfe von i T dt ik(r,w) = 5(t,w) tHI

To

nach oben abzuschatzen. Nun ist

und somit

(3)

also auch

V- ('1/- dt Ak(r) ~ 2n JTo vt5' tHI

iT dt iT dt A%(r) ~ 2n tHI 5' ~tk ,

1'0 To

(ro> 0)

3. Nochmals der Picard-Borelsche Satz 383

Nunist

und somit (durch Anwendung des Hilfssatzes 3 von 81. mit dem Ex­ponenten 1 + 28, 1 < 28 < 2, anstelle von 2)

(4) ( 1 +8) Ak(r) = 0 lk(rf2

auf einer Intervallmenge Llk mit

r d~= r dlogr=oo. J4k J4k Diese Gleichung hat mit Rucksicht darauf, daB die Integrale T k (r, w) und lk(r) sowie Nk(r, a) und

r n(t, a) dt Jr. tk +1

(ro> 0)

gleichzeitig konvergieren oder divergieren, den Picard-Borelschen Satz in der klassischen Nevanlinnaschen Form zur Folge. 1st w(z) in Izl < 1 meromorph, so hat man anstelle von (3) die Ungleichung

(5) A~ (r) ~ r (1 - t)k-1dt J. (1 - t)k+l Pdt )1'0 1'0

Ak(r) = J.: L (t) (1- Wdt mit

(0 < ro < r < 1) ,

und man erhiilt daraus (durch ahnliche Uberlegungen) die Abschiitzung

Ak(r) = 0 (A +8) und somit den Beweis des Borelschen Satzes. Die ausfuhrliche Durch­fuhrung der Rechnungen findet der interessierte Leser in der Math. Z. 44, 578f£. (1939).

Der Grenzfall k = 0 ist von besonderem Interesse. In diesem Faile erhalt man durch einfache Rechnungen

(6) A~ (r) ~ Ko log { 1 ~ r} J.: (1- t) tS' dt

mit einem konstanten Ko > 0 und, falls man wieder die Veranderliche

'YJ = log 1 ~ r einfuhrt,

(7) h'1 • A~ ~ Ko'YJ e-'1(I- e-'1) S d'YJ

'1.

• dS • mitAo=Ao(l-e-'1), S= yundKo>O. Nunist S=rT' = (l-e-'1) Te'1, und somit 'fJ

e-'1(I- e-'1) oS < 2 i + {(1- e-'1)2 ir . N ach (7) wird dann

(8)

384 IX. Verhalten in der Umgebung einer wesentlichen Singularitat

Man nehme jetzt an, daB die charakteristische Funktion T = T (r, w) die Bedingung 1

log--(9) lim 1 - r = lim .!L = 0

rtl T(r,w) '1....,.00 T

erfullt. Dann wird

lim (;)2~2Kolim (i~) =2Kort. Ttl Ttl

mit einem rt. ~ O. Ware nun rt. > 0, so wtirde daraus fur groBe rJ die Un­

gleichung rJ T ~ rt.' T2 (0 < rt.' < rt.) folgen, die offenbar wegen der Diver-genz von 100

d log rJ

falsch ist. Es muB also rt. = 0 sein. Somit fUhrt (I) im Falle einer in JzJ < 1 meromorphen Funktion mit der Eigenschaft (9) zu der Ungleichung

q q

(q - 2) T (r, w) ~ 1) N (r, ale) -1) Nl (r, ale) + oCT (r, w) , 1 1

fUr mindestens eine Folge (r n) mit lim r n = 1. Allgemein kann man zeigen n....,.oo

(indem man a' durch 1/q;(rJ) ersetzt), daB letztere Ungleichung auf einer Intervallmenge L1 von rJ ~ 1 gilt, fUr die das Integral

.£ t :~t) (mit einer in 1 ~ rJ < + 00 positiven, stetigen, mono ton gegen + 00

konvergierenden Funktion q; (rJ)) divergiert, sofern dasselbe Integral er­streckt uber das Intervall 1 ~ rJ < + ex) divergiert. DaB man aus (1) auch im hyperbolischen Fall (JzJ < 1) eine integrierte Ungleichung ab­leiten kann, hat (nachdem DINGHAS vorher den parabolischen Fall er­ledigt hatte) zuerst J. DUFRESNOY [Sur les domaines couverts par les valeurs d'une fonction meromorphe ou algebroide, Ann. Sci. Ec. Norm. Sup. (3) 58, 179-259 (1941)J gezeigt.

4. BEURLINGS Verallgemeinerung eines Satzes von FATOU. Fur den Leser, der die Lebesguesche MaBtheorie beherrscht, solI hier ein wichtiges Ergebnis von A. BEURLING angegeben werden, das altere Ergebnisse von P. FATOU, F. und M. RIESZ und NEVANLINNA vertieft.

Es sei w (z) in JzJ < 1 holomorph, und es bezeichne F die Teilmenge von K: JzJ = 1 mit der Eigenschaft, daB der (endliche oder unendliche) Grenzwert (1) lim w(rei8) = g(f)) (f) EF)

rtl existiert. Dann hat zuerst FATOU (Acta Math. 30) bewiesen: 1st w(z) in JzJ < 1 beschriinkt, so ist K \ F h&hstens eine N ullmenge. F. und M. RIESZ (Dber die Randwerte analytischer Funktionen, Compt. rend.

4. BEURLINGs Verallgemeinerung eines Satzes von FATOU 385

du 4ieme Congr. scand. Stockholm, 1916) haben unter anderem diesen Satz folgendermaBen vertieft:

1st w(z) =$= a(lzl < 1) beschriinkt und

Ea = {D I g (D) = a} ,

so ist Ea hOchstens eine Nullmenge. R. NEVANLINNA [Ober eine Klasse von meromorphen Funktionen,

Math. Ann. 92, 145 (1924)J hat die Satze von FATOU und F. und M. RIESZ auf soIche in Izl < 1 meromorphen Funktionen tibertragen, die eine be­schrankte Charakteristik (beschranktartige Funktionen) haben.

Der Beurlingschen Vertiefung des Fatouschen Satzes schicken wir nun folgende begriffliche Hilfsbetrachtungen voraus: Es sei 0 eine offene Punktmenge auf der Einheitskreisperipherie K und fh eine Distribution der Einheitsmasse auf 0, d. h. eine nicht negative Mengenfunktion, die auf 0 den Wert 1 und auf K\O den Wert 0 hatl. Man bilde jetzt die harmonische Funktion

(2" 1 (2) u (z) =)0 log Iz _ elOl d fh (D) (Izl < 1) ,

setze bei gegebenem fh

VI' = sup {u(z) Ilzl < I} ,

und definiere V (0) als die untere Grenze aller VI' fUr aIle zulassigen fh. Dann heiBt die GroBe

C (0) = e-V(O)

(nach DE LA VALLEE-POUSSIN) die logarithmische Kapazitiit von O. 1st E eine beliebige Teilmenge von K, so heiBt (nach FROSTMAN, Potentiel d'equilibre et capacite des ensembles, Dissert. Lund 1935) die GroBe

(3) C(E) = inf{C(O) lEe O}

die auBere Kapazitat von E. Der Satz von BEURLING [Ensembles exceptionels, Acta Math. 72,

1-13 (1940)J lautet nun: Es sei w (z) in Izl < 1 meromorph. Gilt dann

f e(w)2rdrdD<oo ( Iw'l ) e (w) = 1 + Iwl2 , Izl<l

so hat K\F eine verschwindende iiufJere Kapazitiit. Dabei ist, wie bereits erwiihnt, F diejenige Teilmenge von K, fUr die der radiale Grenzwert existiert.

Einen ausgezeichneten Uberblick tiber die Entwicklung des Fatou­Rieszschen Fragenkomplexes sowie der allgemeineren Frage nach der Struktur der Randwertmengen von meromorphen Funktionen (im

1 Zur Begriffsbildung vgl. man etwa DE LA VALLEE-POUSSIN, loco cit. Dinghas, Funktionentheorie 25

386 IX. Verhalten in der Umgebung einer wesentlichen Singularitlit

Sinne der auf S.52 gegebenen Formulierung des Casorati-WeierstraB­schen Satzes) in einem beliebigen Gebiet findet der Leser auBer in dem schon erwahnten Buch von NOSHIRO noch in der Abhand.lung von E. F. COLLINGWOOD und M. L. CARTWRIGHT: Boundary theorems for a function meromorphic in the unit circle [Acta Math. 87, 83-146 (1952)J.

5. Die Theorie von NEVANLINNA-AF IULLSTR~M. G. AF HALLSTROM hat in seiner schon erwahnten Dissertation mit Hille der Greenschen bzw. der Selbergschen Kapazitatsfunktion die NevanIinnasche Theorie der meromorphen Funktionen wesentlich verallgemeinert, indem er die beiden Hauptsatze dieser Theorie, namlich den Nevanlinnaschen Invarianzsatz und die Nevanlinnasche Fundamentalungleichung fur Funktionen w (z) beweist, die in einem Gebiet G bis auf Pole regular sind, sofern G eine Greensche bzw. eine Selbergsche Funktion besitzt. 1m folgenden behandeln wir kurz den Fall, daB der Rand r von G eine verschwindende Kapazitat besitzt und somit die in 70. eingefuhrte Funk­tion g (z) existiert1• Dabei nehmen wir an, daB z = 0 in G liegt. Wir kon­struieren nun die zu g (z) konjugiert harmonische Funktion h (z) und bil­den die Funktion

v(z) = g(z) + ih(z) (z E G \z = 0) und beachten, daB

v'(z) =!L_i!L ox oy in G' = G \ 0 eindeutig und regular ist. J etzt betrachte man die Niveau­kurven

r;.: g(z) = A (- 00 < A < (0)

und wahle zunachst Ao negativ groB derart, daB r;., aus einer einzigen einfach geschlossenen Kurve besteht. Bei festgehaltenem Ao soil nun G;. durch die Gleichung

G;.= {z I Ao < g(z) ~ A}

definiert und dessen Rander r;., und r;. (die nicht aus einer einzigen einfach geschlossenen Kurve zu bestehen brauchen) als positiv orientiert angenommen werden.

Jetzt definiere man mit AF HALLSTROM bei gegebenem w(z) die Gra­Ben mH (A. a) und N H (A, a) durch die Gleichungen

( 1)

und

(2)

1 j 1 mH(A, a) = -2- log-C-]-dh n r;. w,a

NH(A, a) = r;' n(A, a) dA, J;., 1 In diesem Faile muB (mit Riicksicht darauf, daB hier der Punkt Z = 0 die

Rolle von Zoo iibernimmt) das Konstruktionsverfahren von 70. durch eine Inversion erganzt werden.

5. Die Theorie von NEVANLINNA-AF HALLSTROM 387

wobei aIlgemein n (A, a) die Anzahl der a-Stellen von w (z) in G~ bedeutet. Man definiere nun die Funktion T H (A, a) durch die Gleichung

Dann gibt es zwei (nur von dem Verhalten von w auf rA• und von a abhangige) Konstanten Co, C1 derart, daB die (charakteristische) Funk­tion

(3)

von a unabhangig ist. Diese Funktion ist eine konvexe Funktion von A, und es gilt

(4) lim Tn(A, w) = 00.

A-"'OO A

1st Ao = - 00, so ist T H (A, w) in - 00 < A < + 00 positiv und somit monoton wachsend. Wie G. AF HXLLSTROM zeigte, kann man fur T H(A, w) eine Integraldarstellung geben, die der Darstellung (78.4) von T(rlro, w) durchaus entspricht.

Der Nevanlinnasche Fundamentalsatz von 81. nimmt in der Nevan­linna-af Hillstr6mschen Theorie (fur den FaIl einer Randmenge r von verschwindender Kapazitat) folgende Gestalt an:

Es ist

q

(5) }; mH (A, ak) ;;;; 2 T H (A, w) - Nl (A) + F (A) + 0 (log T H (A, w) , 1

aufJer vielleicht auf einer I ntervallmenge LI mit

Dabei ist

und Ni (A) = n (A, 0, w') - n (A, 00, w') + 2n (A, 00, w)

F(A) = j:oona(A) dA-A+ Konstante,

wobei na(A) die um Eins verminderte Zusammenhangszahl des Gebietes - 00 ;;;; g(z) < A bedeutetl.

1 Besteht r aus n Punkten, so ist F(A) < (n-2)A + Konstante, und somit kann die Summe F (A) + 0 (log Tn (A, w)) durch ein 0 (A) ersetzt werden. Danach sind die (ohne Heranziehung der Evans-Selbergschen Kapazitatsfunktion durch­gefiihrten) Entwicklungen von 81. und 82. in der allgemeinen Ungleichung (5) von G. HALLSTROM enthalten.

25*

388 IX. Verhalten in der Umgebung einer wesentlichen Singularitat

Die Anwesenheit des ZusatzgIiedes F (A) bewirkt, daB man aus der vorigen Ungleichung nicht ohne weiteres die Defektrelation

(6)

mit

und

ableiten kann. Das ist nur dann der Fall, wenn fUr die (im allgemeinen Fall schwer iibersehbare) GroBe F (A) die Gleichung

lim F(A) 0 '<-+00 TH(A, w)

erfiillt ist. Der Leser, der die Modifizierung der Theorie fiir den Fall einer posi­

tiven Kapazitat des Randes (wo dann die Greensche Funktion g(z, 00) die Rolle von g (z) iibernimmt) erfahren will, moge die Dissertation von G. AF HALLSTROM selbst studieren. Er findet dort neben weiteren Ent­wicklungen noch eine Reihe wichtiger Fragen aufgezahlt, die bisher ihre Beantwortung nicht endgiiltig gefunden haben.

6. Die NevanIinna-Selbergsche Theorie der algebroiden Funktionen. Sind die Funktionen Al (z), ... , A k (z) in JzJ < R (R ~ 00) meromorph, nicht konstant, und geniigt u (z) der irreduziblen Gleichung

(1) uk+ Al (z)Uk - 1+ ... + Ak_I(Z)U + Ak(Z) = 0,

so erzeugt die algebroide Funktion u (z) eine offene Riemannsche Flache ~, deren Blatter den k Zweigen von u (z) entsprechen. 1m folgenden be­zeichnen wir mit ~r denjenigen Teil von ~, welcher der Kreisscheibe JzJ < r(r < R) entspricht, und setzen

n(~r) = 1: (A (a) -1), aE£(r

wobei A(a) die Verzweigungsordnung von a bedeutet. Da A(a) fiir jede schIichte Stelle Eins ist, so ist die Summe rechts ledigIich iiber die algebraischen Windungspunkte von ~r zu erstrecken.

1m AnschluB an die Arbeiten von R. und F. NEVANLINNA hat nun H. SELBERG eine Theorie der Werteverteilung der algebroiden Funk­tionen gegeben [Uber die Werteverteilung der algebroiden Funktionen, Math. Z. 31, 709 (1930). Ferner: Algebroide Funktionen und Um­kehrung Abelscher Integrale, Avhandl. Norske Videnskaps-Akad. Oslo,

6. Die Nevanlinna-Selbergsche Theorie der algebroiden Funktionen 389

1934, Nr. 8J gegeben, we1che allen Anforderungen einer modernen Werteverteilungstheorie genugt. Die diesbezuglichen Resultate von H. SELBERG lauten:

Es bedeute Fr den (positiv orientierten) Rand von 'Xr. Man setze

m(r, a) = ~k r log I 1 I d{} (a =f= (0) , _7T- Jr, w - a

m(r,oo) = 2~k Jrr l6g Iwl d{}

und 1 r dt n(O, a)

N(r, a) = Ii" }o {n(t,a)-n(O, a)}t + -k-log r,

wobei, iihnlich wie im Falle k = 1, n(r, a) die Anzahl der Stellen auf 'Xr bedmttet, in denen w (z) = a ist1.

Dann gilt zuniichst (2) T(r, a) = T(r, w) + 0(1) .

Setzt man ferner 1 r dt n(SXo)

N('Xr) = Ii" }o {n ('Xt)-n('XO)}t +-k-logr,

so ist (3) N('Xr) < (2k-2) T(r, w) + 0(1).

Der Hauptsatz der Nevanlinnaschen Theorie der meromorphen Funk­tionen (zweiter Fundamentalsatz) erhalt hier fur R = 00 die Gestalt

q

(4) (q- 2) T(r, w) - 1.: N(r, ak ) + N1(r) ~

1

~ o (log T(r, w)) + o (log r) , mit

Nl (r) = 2N (r, 00, w) + N (r, 0, w') -N(r, 00, w') .

Diese Ungleichung gilt fUr aIle r mit Ausnahme von hochstens einer Intervallmenge Ll mit

.£ dr < + 00 •

Setzt man Nl (r) + N ('Xr) = N (3r) ,

so charakterisiert letztere GroBe die algebraische Verzweigtheit des Riemannschen FHichenstucks 3r der Umkehrfunktion von w (z) und ist positiv oder Null. Unter Heranziehung dieser GroBe laBt sich dann (3) in der Form schreiben:

q

(5) (q- 2k) T(r, w) < 1.: N(r, ak ) - N(3r) +

1

+ o (log T (r, w)) + 0 (log r)

1 Diese GraBen sind stets nach der Residuentheorie zu berechnen.

390 IX. Verhalten in der Umgebung einer wesentlichen Singularitat

Diese Ungleichung verallgemeinert altere Resultate von P. PAINLEVE und G. REMOUNDOS [REMOUNDOS: Sur les zeros d'une classe des fonctions transcendantes, Ann. fac. sci. Toulouse (2), 8, 1-72 (1906). DaB die Anzahl der Ausnahmewerte der algebroiden Funktion (1) h6chstens 2k sein kann, hat zuerst P AINLEVE vermutet J im Sinne der N evanlinnaschen Theorie und fiihrt nach EinfUhrung der GraBen

o(a) = I-lim N(r,a) r--+ 00 T (r, w)

zu der Defektrelation

(6) v=1

Einen ausfiihrlichen Beweis der Ungleichungen (4) und (6) findet der Leser in den vorhin zitierten Arbeiten von H. SELBERG.

7. Umkehrung des Nevanlinnaschen Fundamentalsatzes. 1m An­schluB an eine wichtige Arbeit von O. TEICHMULLER [Eine Umkehrung des zweiten Hauptsatzes der Werteverteilungslehre, Dtsch. Math. 2, 93-107 (1937)J und vorangehende Untersuchungen von E. F. COLLING­WOOD [Sur les valeurs exceptionelles des fonctions entieres d' ordre fini, Compt. rend. Acad. Sci. (Paris) 179, 1125-1127 (1924)J hat SELBERG [Eine Ungleichung der Potentialtheorie und ihre Anwendung in der Theorie der meromorphen Funktionen, Comm. Math. Helveticae 18, 309-326 (1946)J einen Satz bewiesen, der einen Beitrag zum Problem liefert, unter welchen Bedingungen man die Nevanlinnasche Fundamen­talungleichung umkehren kann.

Es sei w (z) in Izl < + 00 meromorph, und es sei bei gegebenem r:1 > 0 und fest em a

Ga(a) = {z I [w, aJ < r:1}.

Dann gilt der Satz: 1st jedes der Gebiete Ga(a) beschriinkt und sind die Riemannschen Fliichenstiicke w (G a (a)) hOchstens p-bliittrig mit einem festen p < + 00, so ist 1

m(r, a) <plogr+log-+O(I). a

Entsprechende Aussagen gelten, wenn die (nicht rationale) Funktion w (z) in Izl < R meromorph ist. COLLINGWOOD hat [Sufficient Conditions for Reversal of the Second Fundamental Inequality for Meromorphic Functions, J. d'anal. Math. 2, 29-50 (1952)J den Selbergschen Satz wesentlich verallgemeinert und groBe Klassen meromorpher Funktionen angegeben, fUr welche die Ungleichung

q

Nl (r) + 1.: m (r, ak ) ~ 2 T (r, w) - oCT (r, w)) 1

fUr aIle r < R gilt. Dabei ist wieder

Nl (r) = N (r, 0, w') - N (r, 00, w') + 2N (r, 00, w) .

9. Allgemeiner Satz tiber die Defektmenge einer meromorphen Funktion 391

Das entsprechende Problem in der Nevanlinna-af Hallstromschen Theorie ist bisher kaum in Angriff genommen worden.

8. Abhii.ngigkeit des Defektes von der Wahl des Nullpunktes. DUGUE [Le defaut au sens de M. Nevanlinna depend de l'origine choisie, Compt. rend. Acad. Sci. (Paris) 225, 555 (1947)J hat ein Beispiel gegeben, aus dem hervorgeht, daB die Defektindizes von der Wahl des Nnllpunktes ab­hangen. Man definiere w (z) durch die Gleichung

e2TCieZ _ 1 w (z) = e"'/'-z_ 1 .

Dann hat w (z) die Nullstellen

am,n= log m + nin (m, n ganz; m ~ 2) und die Pole

bm,n= -log m + nin.

Danach ist N(r, 0) = N(r, 00). Andererseits ist

lim N(r, 0) > ~ ,0--+00 T(r, w) = 2 '

1 also 0(0) = 0(00) ;;;;2'

Es sei jetzt c> 0 endlich, und es bedeute nc (r, a) die Anzahl der a-Stel­len von w (z) in Iz - cl ;;;; r. Setzt man dann allgemein

(" dt Ne (r, a) = Jo {ne (t, a) - ne (0, an t + nc (0, a) log r ,

so erhalt man lim 12,(r, O) '-+00 12,(r,oo)

lim N,(r,O) = e2e > 1 . "-+00 N,(r,co)

Man schreibe jetzt Se (r, w) fUr das Integral

und setze

Dann wird

f JW'J2 (1+ JWJ2)2 dx dy

Iz-ol;;;;r

1 - i5, (0) _ 2e 1 1 _ i5,(oo) - e >

(z=x+iy)

und somit oe(O) < 00(00). Das hat aber zur Folge, daB entweder oe(O) =l= =l= 0 (0) oder oe (00) =l= 0 (00) gilt.

9. Ein allgemeiner Satz iiber die Defektmenge einer meromorphen Funktion. Gilt fUr die in Izl < 1 meromorphe Funktion N = 00, so kann die fundament ale Ungleichung von 84. keine wesentliche Aussage iiber die Struktur der Menge

F = {a I o (a) > O}

392 IX. Verhalten in der Umgebung einer wesentlichen Singularitat

machen. In diesem Zusammenhang hat FROSTMAN [einen entsprechenden Satz von AHLFORS aus den Com pt. rend. Acad. Sci. (Paris) 190,720 (1930) verscharfendJ folgenden Satz bewiesen:

1st w(z) in Izl < 1 meromorph und gilt dort lim T(r, w) = 00, so hat die Menge F die Kapazitiit Null. r-+1

Der interessierte Leser findet in der (schon zitierten) Dissertation von FROSTMAN nicht nur den Beweis dieses Satzes, sondern auch eine Reihe von Satzen, die sich auf die kanonische Darstellung von Funktionen beziehen, die in Izl < 1 meromorph sind.

Der eben zitierte Satz von FROSTMAN bildet zusammen mit ahnlichen Erkenntnissen den Anfang einer Vertiefung des Picardschen Satzes mit dem Ziel, das Verhalten von meromorphen Funktionen in der Nahe einer Punktmenge von verschwindender Kapazitat zu klaren. In dies em Zu­sammenhang ist folgendes Ergebnis von K. MATSUMOTO zu erwahnen: Zu /eder abgeschlossenen Menge D von E der Kapazitiit Null existiert eine abgeschlossene Punktmenge FeE von verschwindender Kapazitiit und eine in E\F meromorphe Funktion w (z) mit den Eigenschajten, dafJ 1. jeder Punkt von F eine wesentliche Singularitiit von w (z) ist und 2., dafJ w (z) in einer Umgebung jedes Punktes von F eine Wertemenge ausliifJt die iedes­mal mit D zusammenjiillt.

Dieses, wichtige Ergebnis von MATSUMOTO [Journ. Sci. Hiroshima Univ. (A) 24, 143-153 (1960)J zerst6rt zunachst jede Hoffnung auf einen allgemeinen Picardschen Satz fUr meromorphe Funktionen auBer­halb einer Punktmenge von verschwindender Kapazitat. Urn so iiber­raschender ist deswegen folgender Satz, den L. CARLESON kiirzlich [A remark on Picard's theorem, Bull. Amer. Math. Soc. 67, 142-144 (1961)] bewiesen hat:

Es existiert eine Punktmenge F von Evon positiver Kapazitiit derart, dafJ /ede in E\F meromorphe Funktion, die dort vier Werte ausliifJt, eine rationale Funktion sein mufJ.