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Kapitel 2 Inhalt Kapitel 4 homepage zu den Fußnoten Kap.3 zum Text von Kap.3 + Inhalt (+:durch Anklicken aufklappbar, zuklappen durch erneutes Klicken) 31 Kapitel 3. Denken und Sprache. Der Zweifel hat auch vor der Gewißheit des eigenen Seins nicht haltgemacht. Die üblichen Einwände gegen die Erkennbarkeit des Seienden, die von der Schwierigkeit ausgehen, daß der Gegenstand uns nur als Vorstellungsinhalt gegeben ist, verfangen allerdings gegenüber der Selbstgewißheit des eigenen Denkens und Seins nicht. Aber diese Gewißheit erscheint als eine rein persönliche, nicht mitteilbare; ist sie aber als solche noch intersubjektiv gültig? Und wenn nicht, hat sie dann noch einen wissenschaftlichen Wert? Schon der Sophist Gorgias hatte gegen die Mitteilbarkeit der Erkenntnis — wenn es überhaupt eine gäbe — den Einwand erhoben, es könne nicht im Sprechenden und im Hörenden die gleiche Vorstellung von dem gleichen Gegenstand geben, jedenfalls könne nicht ausgeschlossen werden, daß er beiden verschieden erscheine 1 . Wenn das schon für die Dinge der Außenwelt gilt, die der Wahrnehmung beider zugänglich sind, um wieviel mehr für die Bewußtseinsinhalte des einen, die der Wahrnehmung des anderen nicht zugänglich sind. Ähnliche Einwände wurden in neuerer Zeit im Neupositivismus des Wiener Kreises besonders von Rudolf Carnap erhoben. Wenig zu besagen hat freilich sein Einwand, der Satz »ich bin« sei ein Scheinsatz, weil er gegen die logische Regel verstoße, daß die Existenz nicht als Prädikat von einem durch einen Namen bezeichneten Einzelnen ausgesagt werden könne; ein Existenzsatz könne nicht die Form haben »a existiert« 2 . Mag sein, daß man sich in einer für einen eingeschränkten Gegenstandsbereich geschaffenen Sprache darauf einigen kann, solche Sätze seien unzulässig; das wirkliche Leben läßt sich durch solche Verbote nicht einschränken. Wenn etwa die Frage gestellt wird, ob eine Person, von der ein Geschichtsschreiber spricht, wirklich gelebt hat oder nicht, muß die Antwort gegebenenfalls eine Aussage sein, in der die Existenz von dieser Person entweder behauptet oder verneint wird; es ist nicht einzusehen, warum eine solche Aussage sinnlos sein soll, da sie doch jeder versteht. Ernster zu nehmen ist ein anderer Einwand. Carnap meint, ein »Protokollsatz«, in dem jemand seine Erlebnisinhalte aussagt, könne von einem anderen nicht nachgeprüft werden und sei deshalb für ihn sinnlos, es sei denn, er werde »physikalisch gedeutet«, das heißt es würden die Wörter nicht von den inneren Vorgängen selbst, sondern von ihren nach außen hervortretenden Ausdrucksbewegungen 32 verstanden. 3 Wenn hier gesagt wird, der Satz sei sonst für einen anderen nicht nachprüfbar und daher für ihn sinnlos, so wird dabei das positivistische »Verifizierungsprinzip« vorausgesetzt, nach dem eine Aussage nur dann Sinn hat, wenn sie durch sinnliche Erfahrung nachprüfbar ist. 4 1. Problem der Wortbedeutung. Es geht hier um die Frage, wie ein Wort seinen Sinn, seine Bedeutung erlangt. Der Festlegung der Bedeutung eines Wortes dient die Definition. Aber jede Definition geschieht wieder mit Hilfe von Wörtern; die Bedeutung eines Wortes wird auf die als bekannt vorausgesetzte Bedeutung anderer Wörter zurückgeführt. Wenn etwa der Kreis definiert wird als eine Linie, deren sämtliche Punkte von einem bestimmten Punkt gleichen Abstand hat, so wird Menü •Startseite •Publications •Jahresberichte •Bücher •Gästebuch •Serverstatistik •zurück Homepage von P.Otto Schärpf S.J.: de Vries 3 J. de Vries: Grundfragen der Erkenntnis, Kapitel 3... http://82.135.31.182/deVries/kritik3.htm 1 de 10 25/05/2015 15:13

VRIES, Josef de. Grundfragen Der Erkenntnis, 3

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  • Kapitel 2 Inhalt Kapitel 4 homepagezu den Funoten Kap.3zum Text von Kap.3

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    31 Kapitel 3. Denken und Sprache.Der Zweifel hat auch vor der Gewiheit des eigenen Seins nicht

    haltgemacht. Die blichen Einwnde gegen die Erkennbarkeit des Seienden,die von der Schwierigkeit ausgehen, da der Gegenstand uns nur alsVorstellungsinhalt gegeben ist, verfangen allerdings gegenber derSelbstgewiheit des eigenen Denkens und Seins nicht. Aber diese Gewiheiterscheint als eine rein persnliche, nicht mitteilbare; ist sie aber als solchenoch intersubjektiv gltig? Und wenn nicht, hat sie dann noch einenwissenschaftlichen Wert? Schon der Sophist Gorgias hatte gegen dieMitteilbarkeit der Erkenntnis wenn es berhaupt eine gbe den Einwanderhoben, es knne nicht im Sprechenden und im Hrenden die gleicheVorstellung von dem gleichen Gegenstand geben, jedenfalls knne nichtausgeschlossen werden, da er beiden verschieden erscheine1. Wenn dasschon fr die Dinge der Auenwelt gilt, die der Wahrnehmung beiderzugnglich sind, um wieviel mehr fr die Bewutseinsinhalte des einen, dieder Wahrnehmung des anderen nicht zugnglich sind.

    hnliche Einwnde wurden in neuerer Zeit im Neupositivismus desWiener Kreises besonders von Rudolf Carnap erhoben. Wenig zu besagen hatfreilich sein Einwand, der Satz ich bin sei ein Scheinsatz, weil er gegen dielogische Regel verstoe, da die Existenz nicht als Prdikat von einem durcheinen Namen bezeichneten Einzelnen ausgesagt werden knne; einExistenzsatz knne nicht die Form haben a existiert2. Mag sein, da mansich in einer fr einen eingeschrnkten Gegenstandsbereich geschaenenSprache darauf einigen kann, solche Stze seien unzulssig; das wirklicheLeben lt sich durch solche Verbote nicht einschrnken. Wenn etwa dieFrage gestellt wird, ob eine Person, von der ein Geschichtsschreiber spricht,wirklich gelebt hat oder nicht, mu die Antwort gegebenenfalls eine Aussagesein, in der die Existenz von dieser Person entweder behauptet oder verneintwird; es ist nicht einzusehen, warum eine solche Aussage sinnlos sein soll, dasie doch jeder versteht.

    Ernster zu nehmen ist ein anderer Einwand. Carnap meint, einProtokollsatz, in dem jemand seine Erlebnisinhalte aussagt, knne voneinem anderen nicht nachgeprft werden und sei deshalb fr ihn sinnlos, essei denn, er werde physikalisch gedeutet, das heit es wrden die Wrternicht von den inneren Vorgngen selbst, sondern von ihren nach auenhervortretenden Ausdrucksbewegungen

    32 verstanden.3 Wenn hier gesagt wird, der Satz sei sonst fr einen anderennicht nachprfbar und daher fr ihn sinnlos, so wird dabei das positivistischeVerizierungsprinzip vorausgesetzt, nach dem eine Aussage nur dann Sinnhat, wenn sie durch sinnliche Erfahrung nachprfbar ist. 4

    1. Problem der Wortbedeutung.Es geht hier um die Frage, wie ein Wort seinen Sinn, seine Bedeutung

    erlangt. Der Festlegung der Bedeutung eines Wortes dient die Denition.Aber jede Denition geschieht wieder mit Hilfe von Wrtern; die Bedeutungeines Wortes wird auf die als bekannt vorausgesetzte Bedeutung andererWrter zurckgefhrt. Wenn etwa der Kreis deniert wird als eine Linie, derensmtliche Punkte von einem bestimmten Punkt gleichen Abstand hat, so wird

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  • vorausgesetzt, da man bereits wei, was die Wrter 'Linie', 'Punkt','Abstand' usw. bedeuten. Die Frage nach der Bestimmung der Bedeutungkehrt also wieder.

    Wie wird also mit dem Lautgebilde eines Wortes ursprnglich eineBedeutung verbunden? Oenbar hat das Lautgebilde wenigstens in denmeisten Fllen nicht von Natur eine bestimmte Bedeutung; das gehtdaraus hervor, da in verschiedenen Sprachen ein gleichklingendes Wortverschiedene Bedeutungen haben kann; so hat z. B. im Deutschen das Wort'Gift' heute eine ganz andere Bedeutung als das englische Wort 'gift'. Dieursprnglichste Weise, mit einem Lautgebilde einen Sinn zu verbinden,drfte das Hinzeigen auf den Gegenstand sein, fr den das Wort Zeichen seinsoll. So haben wir wohl als Kinder die Bedeutung der Wrter kennengelernt:Man zeigte uns einen Gegenstand und sprach dabei seinen Namen aus: Brot,Ball, Tisch usw. Dabei ist allerdings vorausgesetzt, da der Sinn desZeigegestus in Verbindung mit dem gleichzeitigen Aussprechen des Namensbereits verstanden wird. Einmal mu dieses Verstehen in uns ursprnglichaufgeleuchtet sein, und dieser Augenblick der Entdekkung derZeichenfunktion des Wortes bzw. der Geste war fr uns grundstzlich dieEntdeckung der Sprache. Jedes kleine Kind, das sprechen lernt, mu dieseerstaunliche geistige Leistung einmal selbstndig vollbringen. Dietaub-blinde Helen Keller, bei der infolge der besonderen Lebensbedingungendieser Augenblick erst im Alter von sieben Jahren eintrat, hat uns in ihrerSelbstbiographie diesen

    33 groen Augenblick, in dem ihr das Geheimnis der Sprache aufging, auslebendiger Erinnerung geschildert.

    Mit sieben Jahren bekam sie eine Lehrerin, die sie das Sprechen, wie esihr mglich war, lehren sollte; die sprachlichen Zeichen konnten nicht Lauteoder visuelle Zeichen, sondern nur Tastzeichen sein, Fingerzeichen, die ihrdie Lehrerin in die Hand buchstabierte. Helen Keller schreibt darberselbst: Dieses Fingerspiel interessierte mich sofort, und ich begann esnachzumachen. Als es mir endlich gelungen war, die Buchstaben genaunachzuahmen, errtete ich vor kindlicher Freude und kindlichem Stolz ... Ichwute damals noch nicht, da ich ein Wort buchstabierte, ja nicht einmal,da es berhaupt Wrter gab; ich bewegte einfach meine Finger inaenartiger Nachahmung. Whrend der folgenden Tage lernte ich auf dieseverstndnislose Art eine groe Menge Wrter buchstabieren ... Aber meineLehrerin weilte schon mehrere Wochen bei mir, ehe ich begri, da jedesDing seine Bezeichnung habe.5 Dann beschreibt sie, wie ihr das erste Maldieser Gedanke kam: Wir schlugen den Weg zum Brunnen ein, geleitetdurch den Duft des ihn umrankenden Geiblattstrauches. Es pumpte jemandWasser, und meine Lehrerin hielt mir die Hand unter das Rohr. Whrend derkhle Strom ber die eine meiner Hnde sprudelte, buchstabierte sie mir indie andere das Wort 'water', zuerst langsam, dann schnell. Ich stand still, mitgespannter Aufmerksamkeit die Bewegung ihrer Finger verfolgend. Mit einemMale durchzuckte mich eine nebelhaft verschwommene Erinnerung an etwasVergessenes, ein Blitz des zurckkehrenden Denkens, und einigermaenoen lag das Geheimnis der Sprache vor mir. Ich wute jetzt, da 'water'jenes wundervolle khle Etwas bedeutete, da ber meine Hand hinstrmte.Dieses lebendige Wort erweckte meine Seele zum Leben, spendete ihr Licht,Honung, Freude, befreite sie von ihren Fesseln ... Ich verlie den Brunnenvoller Lernbegier. Jedes Ding hatte eine Bezeichnung, und jede Bezeichnungerzeugte einen neuen Gedanken. Als wir in das Haus zurckkehrten, schienmir jeder Gegenstand, den ich berhrte, vor verhaltenem Leben zu zittern.Dies kam daher, da ich alles mit dem seltsamen neuen Gesicht, das icherhalten hatte, betrachtete ... Ich lernte an diesem Tage eine groe Mengeneuer Wrter. Ich erinnere mich nicht mehr an alle, aber ich wei, das'mother', 'father', 'sister', 'teacher' unter ihnen waren Wrter, die die Weltfr mich erblhend machten 'wie Aarons Stab, mit Blumen'. Es drfte schwergewesen sein, ein glcklicheres Kind als mich zu nden, als ich am Schludieses ereignisvollen Tages in meinem Bettchen lag und der Freuden

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  • 34 gedachte, die mir heut' zuteil geworden waren, und zum ersten Male sehnteich mich nach dem anbrechenden Morgen.6

    Die Schilderung zeigt, wie es zuerst etwas sinnlich Wahrgenommenes(das Wasser) war, das fr Helen Keller als durch etwas anderes, ebenfallssinnlich Wahrgenommenes (die auf die Hand gedrckten Figuren)bezeichnet wurde, wodurch zugleich dieses andere fr sie zum Zeichenwurde, eben zum Wort. Daher versteht man die Theorie desNeupositivismus, es seien sinnliche Wahrnehmungen, die Wrtern ihreBedeutung verleihen. Solange diese Behauptung nicht exklusiv verstandenwird, ist vielleicht nicht viel gegen sie einzuwenden. Sie wird aber imNeupositivismus exklusiv verstanden, und so kommt es zu dempositivistischen Sinnkriterium: Nur die Wrter und Aussagen haben eineBedeutung, die sich durch sinnliche Wahrnehmung verizieren lassen.Denn nur durch sinnliche Wahrnehmung, meint man, ist eine gemeinsameGegebenheit mglich, die dem Wort eine den Partnern des Gesprchsgemeinsame Bedeutung verleihen kann; Gemeinsamkeit der Bedeutung istaber fr echte Sprache wesentlich.

    Daraus scheint sich zu ergeben, da Aussagen ber die eigenen innerenErlebnisse sinnlos sind. Wenn ich sage: Ich denke, ich will, so kann ichnicht auf den gemeinten Gegenstand hinweisen; weder ich noch der anderekann mein Denken, mein Wollen, Sehen oder Hren usw. mit einem seinerSinne wahrnehmen. Darum, sagt man, sind solche Stze sinnlos.

    Man wird entgegnen: Jedermann versteht solche Stze; sie haben alsodoch einen Sinn. Vielleicht wird der Positivist antworten: Wenn der gemeinteSinn nicht die im inneren Erleben entsprechenden Ausdrucksbewegungenoder andere von jedermann sinnlich feststellbare Vorgnge, sondern dieinneren Erlebnisse selbst umfat, ist wenigstens keine exakte Bestimmungdes Sinnes mglich; darum sind solche Stze wenigstens fr dieWissenschaft unbrauchbar. Es liee sich darauf antworten: Es kannniemandem verwehrt werden, fr eine bestimmte Wissenschaft zusammenmit Fachgenossen sich auf bestimmte methodische Forderungen zu einigen,die den Gegenstandsbereich dieser Wissenschaft ein- grenzen. Nur geht esnicht an, die fr das menschliche Leben gltigen Gewiheiten auf eine soeingegrenzte Wissenschaft zu reduzieren und alles, was den konventionellfestgelegten methodischen Forderungen der Wissenschaft nicht entspricht,als schlechthin sinnlos zu bezeichnen. Der Mensch lt sich nicht auf denWissenschaftler, etwa auf den Physiker, reduzieren.

    Aber man kann weitergehen und fragen: Gibt das positivistischeVerizierungsprinzip wenigstens fr die Naturwissenschaft eine unbedingtfeste Grundlage?

    35 Oder mu die Naturwissenschaft selbst Stze voraussetzen, die nach demVerizierungsprinzip sinnlos sind? Jedenfalls wird vorausgesetzt, da diemit gleichen Wrtern bezeichneten sinnlichen Wahrnehmungsgegebenheitenbei allen Wahrnehmenden die gleichen sind. Wenn z. B. zwei Beobachtersagen: Dies da ist rot, so hat diese Aussage nur dann einen intersubjektivgltigen Sinn, wenn vorausgesetzt wird, da das von beiden als 'rot'Bezeichnete wirklich die gleiche Farbe hat. Ebendies aber ist zum mindestennicht unbedingt gewi. Es gibt Farbenblinde; die Rot-Grn-Blindheit ist unterihnen die hugste, sie soll bei 4 % aller Mnner vorkommen. Und dochlernen auch die Rot-Grn-Blinden, unter normalen Umstnden die Farben derDinge so zu bezeichnen, wie die Normalen sie bezeichnen. Daraus also, dasie z. B. das Blut als rot bezeichnen, folgt nicht, da sie es auch in dergleichen Farbe sehen wie Normale. Gewi kann die Rot-Grn-Blindheit durchgeeignete Farbtafeln aufgedeckt werden7; aber auch durch solcheFarbenproben wird nicht zwingend bewiesen, da wenigstens die Normalendie von ihnen gleich bezeichneten Farben auch gleich sehen, sondern nur,da sie Farbunterschiede wahrnehmen, die der Farbenblinde nichtwahrzunehmen vermag. hnlich drfte es sich bei allen sinnlichwahrnehmbaren Qualitten verhalten. Gewi besteht meist kein Grundanzunehmen, da die von verschiedenen Beobachtern mit den gleichenWrtern bezeichneten Qualitten trotzdem von ihnen verschieden

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  • wahrgenommen werden, aber eine unbedingte Gewiheit darber haben wirnicht. Unbedingte Gewiheit hat der einzelne nur darber, da ihm jetztdiese Qualitt, die er mit einem bestimmten Wort bezeichnet, wirklichgegeben ist; ob diese Qualitt die gleiche ist wie die von einem anderen mitdem gleichen Wort bezeichnete, das kann er jedenfalls nicht mit der gleichenGewiheit sagen. Daraus scheint sich aber zu ergeben, da dieProtokollstze, wenn sie als Stze ber die unabhngig von derWahrnehmung der einzelnen bestehenden Qualitten betrachtet werden,nicht unbedingt gewi sind. Unbedingt gewi sind die Protokollstzehchstens dann, wenn sie als Stze ber die Wahrnehmung des einzelnenverstanden werden; dann aber sind sie Bewutseinsurteile, die zwar frden einzelnen selbst unbedingt gewi sind, fr alle anderen dagegenjedenfalls als unbedingt gewisse Urteile nicht mitvollziehbar sind.

    So scheint sich also zu ergeben: Die Bewutseinsurteile sind zwarunbedingt gewi, aber sie sind nur fr den jeweils einzelnen als wahr undgewi feststellbar, fr alle anderen sind sie dagegen nicht verizierbar unddarum nach dem Sinnkriterium des Positivismus sinnlos. Die Stzedagegen, die der Positivismus als verizierbar annimmt, beruhen auf dernach seinem Sinnkriterium

    36 nicht verizierbaren Voraussetzung, da das von verschiedenen BeobachternWahrgenommene und mit den gleichen Wrtern Bezeichnete auch wirklichals etwas gleiches von allen wahrgenommen wird.

    Die Frage ist also unvermeidlich: Wie lt sich feststellen, da dieverschiedenen Personen mit den gleichen Wrtern tatschlich das gleichemeinen, und noch grundlegender: Wie lt sich feststellen, da derSprechende tatschlich die gleichen Worte spricht, die der Hrendewahrnimmt? Es ist dies die Grundfrage einer interpersonalen Sprache undnur eine solche entspricht dem eigentlichen Sinn der Sprache; ohneGewiheit ber diese Frage htte jeder nur seine Privatsprache, und jedeVerstndigung mit anderen wre unmglich. Gewi ist die Sicherheit derBewutseinsurteile nicht von ihrer Mitteilung an andere abhngig, aber wasntzte schon diese Gewiheit, wenn sie die einzige wre, dem Menschen? Indie Ich-Einsamkeit eingeschlossen, mte er doch verkmmern; echtmenschliches Leben ist nur als Leben im Austausch und in der Gemeinschaftmit anderen mglich. Daher die Bedeutung der Frage nach der Sprache.2. Zur Lsung des Problems.

    Eine Lsung wre wohl unmglich, wenn man mit der Bedeutungeinzelner Wrter oder Stze beginnen und von da aus das Gesamtphnomender Sprache angehen wollte. Wie das einzelne Wort nur im Zusammenhangdes Satzes und der einzelne Satz nur im Zusammenhang der Rede seinenvollbestimmten Sinn hat, so hngt erst recht die Gewiheit, die Worte einesanderen richtig verstanden zu haben, vom Gesamtzusammenhang etwaeines Gesprches ab. Wenn wirklich der Sprecher A andere Worte aussprcheals der Hrer B vernimmt, oder wenn er zwar die gleichen Worte aussprche,aber einen anderen Sinn mit ihnen verbnde als der Hrer, so knnte nieeine wirkliche Verstndigung erreicht werden; das ist klar. Aber es knntesich auch nicht einmal der Anschein einer Verstndigung ergeben, sondernes mte sich sehr bald herausstellen, da man aneinander vorbeiredet,da man sich nicht versteht. Das einzelne Wort, der einzelne Satz magmiverstanden werden, ohne da man dies bemerkt. Aber wo Rede undGegenrede immer wieder aufeinander folgen, da kann es auf die Dauer nichtverborgen bleiben, wenn in Wirklichkeit jeder nur seinen Monolog hlt, ohneauf das einzugehen, was der andere gesagt hat. Auf diese Weise kann nichteinmal der Schein eines echten Gesprches Zustandekommen. Warum nicht?Sicher kann nicht von einem echten Gesprch die Rede sein, wenn der Hrernur willkrlich mit den gehrten Lauten einen Sinn verbindet, der diese Lauteetwa als Antwort auf die eigene Frage erscheinen lt. Der Hrer wrde dannbald merken, da er nicht wirklich auf die Worte des anderen eingeht,sondern nur selbst einen Sinn in sie hineindeutet, von dem er keineswegssicher sein kann, da er mit dem vom Sprecher gemeinten Sinn

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  • bereinstimmt. Von einem echten Gesprch kann nur dann die Rede sein,wenn die gehrten Laute von sich

    37 aus den Sinn, den der Hrer mit ihnen verbindet, bestimmen (oder zumwenigsten sehr nahelegen). Wenn in einem solchen Fall trotzdem einMiverstndnis vorlge, mte sich das im Laufe des Gesprches zeigen.Erst recht mte es sich zeigen, wenn aufgrund des Gesprches eine uereHandlung eines der Partner oder ein gemeinsames Handeln beider erfolgensoll. Wenn ich etwa einem Auslnder sage, er mge die Tr schlieen, und erauch seine Bereitschaft zu erkennen gibt, in Wirklichkeit dann aber daselektrische Licht einschaltet, dann merke ich, da er doch nicht verstandenhat, was ich gesagt habe.

    Aber warum mu im Lauf eines lngeren Gesprches oder durch dieHandlungen, zu dem dieses fhrt, das Miverstndnis oenbar werden, wenntatschlich kein gegenseitiges Verstehen vorliegt? Der Grund ist: In einemsolchen Fall wre es Zufall, wenn der mit der wirklichen Meinung desSprechers nicht bereinstimmende, vom Hrer angenommene Sinn imZusammenhang doch wieder einen verstndlichen Sinn gbe, und das nichtnur einmal, sondern in der Rede und Gegenrede immer wieder, so daschlielich der Schein eines Gesprches zustandekme, obwohl jeder derbeiden Sprechenden ganz andere Gedanken verfolgt und, ohne auf dieGedanken des anderen einzugehen, weiterverfolgt. Es wre auch Zufall,wenn dann trotz des Fehlens jedes echten Verstndnisses dasRichtige geschhe. Gewi mag ein solches zuflliges Zusammentreen beifehlendem Verstndnis im Einzelfall einmal vorkommen. Aber da sich dieseszufllige Zusammentreen immer und immer wieder ergibt, das erscheintausgeschlossen; nicht nur rechnet niemand damit, sondern jeder wird esauch unwillkrlich als ausgeschlossen bezeichnen. Wir werden sptersehen, da dieser Ausschlu eines rein zuflligen Zusammentreensunzusammenhngender Einzelheiten fr unsere alltglichen Gewiheitenimmer und immer wieder entscheidend ist, und wir werden uns um einereexe Begrndung des in der Ablehnung des Zufalls sich uerndenunwillkrlichen Urteils des gesunden Menschenverstandes bemhen.8Einstweilen wollen wir uns mit der spontanen Gewiheit, da so etwasausgeschlossen ist, begngen.

    Was ergibt sich daraus? Eine Gemeinsamkeit des Sinnes der Wrter undStze, die wenigstens so weit gehen mu, da gegenseitiges Verstehenmglich ist. Dazu drfte es nicht notwendig sein, da wirklich mit jedem Wortvon beiden Partnern genau derselbe Sinn verbunden wird. Wir haben schondaraufhingewiesen, da z. B. mit Farbenblinden eine Verstndigung mglichist, obwohl sie den eigentlichen Sinn gewisser Farbbezeichnungen nichtkennen. Die Aussage, da etwas rot ist, bedeutet im Gesprch mit ihnenetwa, da der gemeinte Gegenstand die Eigenschaft hat, die normalerweiseals rot erscheint und als rot bezeichnet wird.

    38 Bestnde aber gar keine Gleichheit des Sinnes, so wre eine Verstndigungnicht mehr mglich.

    Worauf bezieht sich nun diese Gleichheit des Sinnes? Es ist natrlichnicht mglich, dies hier bis ins einzelne genau zu bestimmen. Es kann nurdarum gehen, gewisse Klassen von Wrtern zu nennen, bei denen eineGleichheit des Sinnes angenommen werden mu, wenn eine Verstndigungmglich sein soll. Solche Wrter sind ohne Zweifel zunchst dieBezeichnungen sinnlich wahrnehmbarer Dinge. Wenn etwa der eine mit 'Ball'bezeichnen wrde, was der andere 'Schuh' nennt, und mit 'Brille', was derandere 'Zange' nennt, dann mte eine Hufung solcherSinnverschiedenheiten eine Verstndigung schlielich unmglich machen.Die Gleichheit des Sinnes wird hier durch die wesentliche Gleichheit dersinnlichen Wahrnehmungen ermglicht.

    Aber das ist gegenber der neupositivistischen Sprachanalyse vonBedeutung eine Verstndigung ist tatschlich nicht nur mglich bersinnlich wahrnehmbare Dinge, sondern ebenso auch ber die eigenen Akteetwa des Wahrnehmens, Denkens, Wollens, Fhlens, die immer nur jederselbst erlebt, whrend der andere sie nicht unmittelbar wahrnehmen kann.

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  • Wie ist hier eine Gemeinsamkeit des Sinnes mglich? Wenn man sagt, derHrer knne von den inneren Zustnden des anderen durch dessen Zeugnisber sich selbst etwas wissen, so ist damit keine Lsung der Frage gegeben.Denn dieses Zeugnis geschieht wieder mit Wrtern, deren Sinn bereits alsbekannt vorausgesetzt wird. Ohne Zweifel kann die Gemeinsamkeit desSinnes letztlich nur durch uere Anzeichen innerer Erlebnisse zustandekommen, die auch der andere wahrnimmt, und durch die er zur Kenntnis derzugrundeliegenden inneren Erlebnisse gelangt. So kommt er etwa durch dengehrten Schmerzenslaut zu einem Wissen darber, da der andere etwasfhlt wie das, was ihm aus eigenem Erleben als Schmerz bekannt ist und wasauch er selbst zuweilen durch solche Laute nach auen kundgetan hat. Inanderen Fllen, wie etwa des Denkens, ist dieser Zusammenhangverwickelter; aber grundstzlich drfte auch hier dasselbe Verhltnisvorliegen.

    Daraus folgt allerdings nicht, wie Rudolf Carnap mit seinemPhysikalismus annahm9, da die betreenden Wrter berhaupt nicht dasFremdseelische selbst bezeichnen, sondern nur seine ueren Kriterien, daheit die entsprechenden Ausdrucksbewegungen usw. Die Wrter bezeichnenwirklich das Seelische, fr den anderen nicht direkt Wahrnehmbare. Diekrperlichen Verhaltensweisen machen nicht den Sinn der Aussagen berFremdseelisches aus,

    39 sondern sind nur Symptome fr dieses, wie Victor Kraft10 gut sagt. Der Sinnder betreenden Wrter ist jedem einzelnen ursprnglich durch das eigeneErleben bekannt.

    Wrter mit einer Bedeutung, die auf andere Bedeutungen nichtzurckfhrbar ist, kann es aber nicht nur als Bezeichnungen von Dingen oderVorgngen geben, die durch sinnliche Wahrnehmung oder eigenesBewutsein bekannt sind; oft bezeichnen solche Wrter auch Beziehungen,die erst der Verstand entdeckt. So bilden wir etwa die Begrie Viereck undRechteck durch Denition aus Elementen, die letztlich aus der Erfahrunggewonnen sind. Wenn wir aber dann die beiden Begrie miteinandervergleichen, so sehen wir ein, da der Begri Viereck gegenber dem BegriRechteck der logisch bergeordnete Begri, der Gattungsbegri , ist:Jedes Rechteck ist ein Viereck, aber nicht jedes Viereck ist ein Rechteck,sondern nur eine bestimmte Unterklasse von Vierecken ist Rechteck:'Rechteck' ist eine Art der Gattung 'Viereck'. Auch solche logischenBeziehungen knnen wir erfassen und durch intersubjektiv verstndlicheWrter bezeichnen. Ein hnliches Beispiel: Wenn etwas ein Rechteck ist, istes notwendig ein Viereck. Die Notwendigkeit, die hier behauptet wird, istebenfalls eine Beziehung, sie ist nicht etwas, was fr sich allein bestehen undwas man fr sich allein sehen kann, berhaupt nichts, was man sinnlichwahrnehmen kann. Nur im verstandesmigen Vergleich der Begrie'Rechteck' und 'Viereck' sehen wir die Notwendigkeit, besser gesagt: Wirsehen ein, da hier eine Notwendigkeit besteht.

    Solche Beziehungsbegrie nimmt brigens auch der Neupositivismusan, wenn er von logischen Konstanten, wie etwa 'und', 'oder', 'nicht','quivalent', 'Implikation' und dergl. spricht. Sicher kann man die Bedeutungsolcher Wrter nicht sinnlich wahrnehmen; trotzdem werden sie als sinnvolleBezeichnungen logischer Beziehungen angenommen.

    Nachdem so durch uere oder innere Wahrnehmung oder durchverstandesmige Beziehungserfassung Grundbegrie gewonnen wordensind, knnen wir durch Zusammensetzung neue Bedeutungen gewinnen, frdie neue Wrter eingefhrt werden. Der Sinn solcher Wrter kann dann durcheine Denition erklrt, das heit auf den Sinn der zugrundeliegendenUrwrter zurckgefhrt werden. Wer z. B. wei, was ein Pferd ist und waswei ist, dem kann der Sinn des Wortes Schimmel durch weies Pferderklrt werden, auch wenn er noch nie ein weies Pferd gesehen hat.3. Das Problem des Allgemeinen; der Nominalismus.

    Ludwig Wittgenstein nimmt an, da jeder Elementarsatz aus

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  • Namen besteht; er ist ein40 Zusammenhang, eine Verkettung, von Namen, besteht aus Namen in

    unmittelbarer Verbindung11. Der Name aber steht fr ein Einzelding.12Aber solche Elementarstze gibt es in der Umgangssprache nicht. In

    der Tat stellt Wittgenstein in seinem Tractatus Regeln fr die Bildung einerknstlichen Sprache auf, deren Hauptforderung die Eindeutigkeit ist.13 Gewiist das Bestreben, Mehrdeutigkeiten mglichst zu vermeiden, berechtigt;aber es ndet seine Grenze an den Mglichkeiten und Notwendigkeitenmenschlicher Sprache.

    Tatschlich sind die allermeisten Wrter der Umgangssprache nichtNamen, sondern Wrter, die fr viele Gegenstnde stehen, und zwar nichtfr ihre Summe, sondern fr jeden einzelnen Gegenstand der Gesamtheit,und dies so, da das Wort von mehreren dieser Gegenstnde im Pluralgebraucht wird. So bezeichnet z. B. das Wort 'Uhr' nicht nur die Armbanduhr,die ich am linken Arm trage, sondern jedes Gert zur Zeitmessung, und zwarso, da z. B. diese Armbanduhr und diese Weckuhr zusammen zwei Uhrengenannt werden. Solche Wrter nennt man allgemein. Es ist nicht vielberlegung erforderlich, um einzusehen, da die allermeisten Wrter unsererUmgangssprache in diesem Sinn allgemein sind.

    Diese Allgemeinheit der Wrter bringt es allerdings notwendig mit sich,da das einzelne Wort nicht ein bestimmtes Einzelwesen mit Ausschlu jedesanderen bezeichnet. Wenn ich sage: 'Tisch', so ist damit nicht bestimmt,welcher der unzhligen Tische, die es in der Welt gibt, gemeint ist. Aber istes berhaupt menschenmglich, fr jeden einzelnen Tisch, jeden einzelnenStuhl, jedes einzelne Rot usw. usw. ein eigenes Wort einzufhren? Es ist leichteinzusehen, da eine solche Sprache eine derartige Unzahl von Wrternfordern wrde, da niemand sie lernen knnte, ja, da schlielich auch dieMglichkeiten der Lautverbindungen zu Wrtern dazu nicht ausreichenwrden, es sei denn, man bilde Wrter von immer grerer Silbenzahl dieman erst recht nicht lernen knnte. Im besten Fall knnte man fr einen ganzkleinen Bereich, etwa fr das eigene Zimmer, eine Sprache ernden, in derjeder einzelne Gegenstand seinen eigenen Namen hat. Aber das wre dannsozusagen eine Privatsprache fr den Bewohner dieses Zimmers, ohneNutzen fr die Verstndigung mit anderen.

    Eine Sprache, die wirklich der Verstndigung dienen soll, kann also aufallgemeine, das heit fr viele Gegenstnde geltende, Bezeichnungen nichtverzichten. Damit stoen wir auf das Problem des Allgemeinen, desUniversalen oder der Universalien. Es ist dies deshalb ein Problem, weileinerseits die Wrter reale

    41 Gegenstnde bezeichnen sollen, anderseits die realen Dinge nie allgemeineDinge, sondern stets individuelle Dinge, Einzeldinge, sind. Wie verhlt sichalso das allgemeine Wort zu den realen Dingen?

    Der Positivismus kann hier nur die Lsung geben: Das Allgemeine istnichts als ein Wort, das viele Dinge bezeichnen kann. Denn da derPositivismus auer den Dingen, die stets Einzeldinge sind, nur die Wrter alsZeichen der Dinge kennt, kann das Allgemeine nur Wort sein. Es ist dies dieLsung des sogenannten Nominalismus, wie sie schon in derFrhscholastik von Roscelin von Compigne (etwa 1050-1125) gelehrtwurde14.

    Aber hier ergibt sich unvermeidlich die Frage: Wie kann der Laut dievielen Dinge bedeuten? Oenbar unterscheidet sich ein nicht verstandenesund ein verstandenes Wort. Wenn ich zwei Menschen chinesisch sprechenhre, hre ich die Laute, aber sie haben fr mich keinen Sinn. Es mu alsomit dem Hauch des Lautes noch etwas verbunden sein, was ihm den Sinnverleiht. Das bloe Dasein des gemeinten Gegenstandes gengt dazuoenbar nicht. Die sinnliche Wahrnehmung des Dinges dagegen ist nichterforderlich. Man kann z. B. das Wort 'Elefant' verstehen, auch wenn mankeinen Elefanten wahrnimmt. Der Gedanke liegt nahe, es sei dann eben dieVorstellung des Elefanten, die sich mit dem Lautgebilde verbindet und ihmseinen Sinn gibt. Irgendwie mu diese Auassung wohl auch stimmen. Aber

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  • es fragt sich: Was ist das fr eine Vorstellung? Nach einer weit verbreitetenAuassung ist es eine konkrete, sinnliche Vorstellung, einePhantasievorstellung. So meint z. B. David Hume, indem er sich dieAuassung George Berkeleys zu eigen macht, diese Vorstellungen seien individuelle Vorstellungen, die verknpft sind mit einem bestimmten Namen,der ihnen eine umfassendere Bedeutung gibt und bewirkt, da im gegebenenFall andere hnliche Einzeldinge in die Erinnerung gerufen werden. Denn,meint er, kein Objekt knne den Sinnen erscheinen, kein Eindruck dem Geistgegenwrtig werden, ohne da das Objekt in allem nach Qualitt undQuantitt bestimmt sei. Eine unbestimmte Vorstellung sei unmglich. Wennes in der Wirklichkeit ungereimt ist, da ein Dreieck nicht ein genaubestimmtes Verhltnis der Seiten und Winkel hat, dann msse dies auch inder Vorstellung ungereimt sein.15 Die sogenannte Assoziations-Psychologiehat sich diese Auassung zu eigen gemacht

    42 und sich bemht, sie durch verschiedene Erklrungsversuche annehmbar zumachen.16 Soweit der Positivismus am Verizierungsprinzip festhlt, kannauch fr ihn die Bedeutung allgemeiner Wrter nur durch sinnlicheWahrnehmungen oder Vorstellungen gegeben sein. In allen diesen Fllenwre das allgemeine Wort das einzige, das streng als dasselbe denverschiedenen Gegenstnden gemeinsam wre; seine Bedeutung wre nurmehr oder weniger annhernd in den verschiedenen Gegenstndenverwirklicht.

    Gerade das stimmt aber, wenigstens bei vielen allgemeinen Wrtern,nicht. Nehmen wir ein Beispiel. Wenn wir das Wort Tausendeck aussprechen,wissen wir sofort, was damit gemeint ist, und zwar genau. Kann diesergenaue Sinn aber durch eine Phantasievorstellung dargestellt werden? Dasdrfte kein Mensch fertigbringen. Der Sinn des Wortes Tausendeck ist vlligklar abgehoben etwa von Neunhundertneunundneunzig-Eck. SinnlicheVorstellungen aber, die diese Unterschiede klar hervortreten lassen, drftennicht mglich sein.

    In anderen Fllen ist die Unmglichkeit, die Wortbedeutung durchsinnliche Vorstellungen zu erklren, nicht nur wie im genannten Fall einerelative, sondern eine absolute; es ist nicht nur unmglich, den Gegenstandmit der erforderlichen Genauigkeit durch sinnliche Vorstellungendarzustellen, sondern es ist berhaupt unmglich, ihn auf diese Weisedarzustellen. Denken wir an Wrter wie 'Substanz' und 'Akzidens', 'Ursache'und 'Wirkung'. Wir haben im vorigen Kapitel darauf hingewiesen, da das,was diese Wrter im philosophischen Sinn bedeuten, mit den Sinnen nichtwahrgenommen wird17; darum kann es auch nicht sinnlich vorgestelltwerden. Und doch ist die Bedeutung dieser Wrter klar. hnliches gilt auchvon den Wrtern, die seelische oder geistige Akte bezeichnen, wie etwa'Wahrnehmung', 'Trieb', 'Gedanke', 'Wille'.

    Was ist es also, was diesen Wrtern ihren Sinn gibt, wenn es weder dieGegenwart des Gegenstandes selbst noch eine sinnliche Vorstellung von ihmist? Es scheint nichts brig zu bleiben, als da es eine nicht sinnlicheVorstellung ist. Das ist eine rein negative Bestimmung; was ist positiv damitgemeint? Zweierlei ergibt sich aus dem Gesagten: Einerseits mu dieVorstellung, damit sie von vielen Gegenstnden nicht blo irgendwieannhernd, sondern genau aussagbar sein soll, die Unterschiede der vielenweglassen; sie darf also nur das Gemeinsame enthalten. So darf z. B. dieVorstellung 'Dreieck' nicht ein bestimmtes spitzwinkliges Dreieck enthalten,sondern mu das bestimmte Verhltnis der Seiten und Winkel weglassen, vonihm, wie der Fachausdruck lautet, abstrahieren. Hume meint,

    43 wie wir sahen, solche abstrakte Vorstellungen seien unmglich. Dasstimmt auch, wenn die Vorstellungen sinnlich-anschauliche Vorstellungensein sollen; aber solche Vorstellungen als fr die Wrter sinngebend wurdenja bereits ausgeschlossen.

    Es mssen also unanschauliche Vorstellungen sein, d. h., Vorstellungen,die den Gegenstand nicht in jeder Hinsicht vllig bestimmt darstellen, wiedies in der sinnlich-anschaulichen Vorstellung der Fall ist. Wenn ich mir z. B.ein Dreieck visuell vorstelle, so hat es stets ein ganz bestimmtes Verhltnis

    J. de Vries: Grundfragen der Erkenntnis, Kapitel 3... http://82.135.31.182/deVries/kritik3.htm

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  • der Winkel und Seiten, es ist etwa ein rechtwinkliges Dreieck, und auch alssolches wieder vllig bestimmt, etwa ein solches, in dem die eine Kathetedoppelt so lang ist wie die andere. Auerdem hat das visuell vorgestellteDreieck notwendig eine bestimmte Farbe, es ist etwa rot, und auch dannwieder rot in einer ganz bestimmten Tnung. Die Hrte und Wrme oderKlte stellt die visuelle Vorstellung allerdings ber- haupt nicht dar, wederbestimmt noch unbestimmt dies widerspricht also der Anschaulichkeitnicht, sondern nur, da ein Merkmal zwar dargestellt wird, aber nicht in jederHinsicht bestimmt.

    Gerade solche Vorstellungen mssen aber als fr die allgemeinen Wrtersinnbestimmend angenommen werden, z. B. fr das Wort 'Dreieck' eineVorstellung, die nicht nur jede Farbe weglt (das knnte ja auch eineTastvorstellung eines Dreiecks sein), sondern die auch alles, ohne das einDreieck berhaupt nicht vorgestellt werden kann (drei Seiten und dreiWinkel), nicht in bestimmten Grenverhltnissen darstellt (etwa die Winkelim Verhltnis 90 : 60 : 30), sondern unbestimmt lt. Eine solcheVorstellung ist dann natrlich nicht mehr anschaulich, sondern sie ist das,was man eine abstrakte Vorstellung nennt. Hume meint allerdings, dieAnnahme abstrakter Vorstellungen sei ungereimt, weil es auch keineabstrakten Dinge gebe. Auf diesen Einwand werden wir im nchsten Kapiteleingehen; hier geht es zunchst nur um die Bedeutung des allgemeinenWortes und um die Eigenart der Vorstellung, durch welche die Bedeutunggegeben ist; wie sich eine solche Vorstellung zu den wirklichen Dingenverhlt, ist eine zweite Frage, die jetzt noch nicht zu errtern ist.

    Soviel ist jedenfalls klar: Wenn die allgemeinen Wrter erstens ihreBedeutung durch mit ihnen verbundene Vorstellungen haben, wenn siezweitens eine klar umgrenzte Bedeutung haben, durch die sie alleGegenstnde einer Klasse (z. B. alle Dreiecke) bezeichnen knnen, und wennsie drittens durch eine anschauliche, in allem bestimmte Vorstellung ihreEignung, alle Gegenstnde der Klasse gleichermaen zu bezeichnen,verlieren, so ergibt sich, da es abstrakte Vorstellungen sind, die denWrtern ihre Bedeutung verleihen. Solche Vorstellungen nennen wir'Begrie', und insofern sie allgemeinen Wrtern ihre Bedeutung verleihen,'Allgemeinbegrie'. Deren Existenz kann also vernnftigerweise nichtgeleugnet werden.

    44 Die Abstraktheit des Begries bedeutet also die Tatsache, da er vonvielen Bestimmungen, ohne die ein wirkliches, individuelles Seiendes dieserArt nicht bestehen kann, absieht, d. h. diese Bestimmungen weglt. Die soverstandene Abstraktheit des Begris besagt eine Verminderung des Inhaltsder Vorstellung und ist insofern kein Vorzug. Wir sahen aber auch schon, daes abstrakte Vorstellungen gibt, die unter anderer Rcksicht ein Mehrgegenber der sinnlichen Vorstellung bedeuten, insofern sie z. B. denGegenstand als Ursache oder als Substanz oder als Seiendes denken.18 Obund inwieweit sich ein solches Mehr in allen Begrien ndet, und wie es sichzu den wirklichen Dingen verhlt, knnen wir hier noch nicht beantworten.Die erwhnten Beispiele zeigen jedenfalls, da es solche Begrie gibt. Sobesagt etwa der Begri 'Tisch' nicht nur eine Gestalt und Farbe, sondern ein>>Ding, eine Substanz, von solcher Gestalt und Farbe. Bemerkt seinoch, da auch die allgemeinen Wrter selbst zuweilen Begrie genanntwerden; wir werden diese Ausdrucksweise der Klarheit wegen fr gewhnlichvermeiden.

    Anmerkungen Kap.31 Gorgias bei Ps.-Aristoteles, ber Melissos, Xenophanes, Gorgias:

    980b 8-14. 12 R. Carnap, berwindung der Metaphysik durch logische Analyse der

    Sprache, in: Erkenntnis 2 (1931) 219-241, bes. S. 234. 23 R. Carnap, Psychologie in physikalischer Sprache, in: Erkenntnis 3

    (1932/33)S. 107-142, bes. S. 138 f. Beide Aufstze (Anm. 2 u. 3) sindin englischer bersetzung wiedergegeben in: A. J. Ayer, Logical 3

    J. de Vries: Grundfragen der Erkenntnis, Kapitel 3... http://82.135.31.182/deVries/kritik3.htm

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  • Positivism, Glencoe (111.) 1960, S. 60-81, 165-198; vgl. bes. S. 74 u.194.

    4 ber dieses Verizierungsprinzip vgl. z. B. Alfred Jules Ayer,Language, Truth and Logic, 19. Au., London 1962, S. 5-16. berseine Schwierigkeiten vgl. z. B. Carl G. Hempel, The EmpiricistCriterion of Meaning, in: Ayer, Logical Positivism (vgl. Anm. 3) S.108-129.

    4

    5 Helen Keller, Die Geschichte meines Lebens, 19. Au., Stuttgart o. J.(1905?), S. 22. 5

    6 Ebd. S. 23 f. 67 Solche Tafeln bietet z. B. E. Hertel, Farbenproben zur Prfung des

    Farbensinnes, 20. Au., Leipzig 1939. 78 Vgl. 6. Kap. 89 Vgl. Anm. 3. Carnap hat diesen Physikalismus spter selbst als

    unhaltbar aufgegeben; vgl. The Methodological Character ofTheoretical Concepts, in: Minnesota Studies, Vol. 2,1958 (zitiert beiV. Kraft, Erkenntnislehre, Wien 1960, S. 274).

    9

    10 Erkenntnislehre, Wien 1960, S. 274. 1011 Tractatus Logico-Philosophicus 4.22; 4.221. 1112 Ein Name steht fr ein Ding, ein anderer Name fr ein anderes

    Ding: Tractatus 4.0311. 1213 Vgl. Tractatus 3.323; 3.324; 3.325; 4.002. 1314 Nach dem Zeugnis Anselms von Canlerbury hat er gelehrt, das

    Allgemeine sei nur Hauch eines Lautes (atus vocis): Epistola deincarnatione verbi, c. 1: Opera, ed. Fr. Sal. Schmitt, vol. 2, p.9 lin. 22.Anselm sieht auch schon, da diese Auassung darin begrndet ist,da die Vernunft zu sehr an die sinnliche Vorstellung (imaginatio)gebunden bleibt: Ebd. p. 10 lin.2. Er selbst freilich meidet mit seinerAusdrucksweise, die vielen Menschen seien der Art nach ein Mensch(multi homines in specie sunt unus homo: ebd. lin. 5), nichthinreichend das andere Extrem: den Begrisrealismus.

    14

    15 Treatise on Human Nature, 1. Teil, 7. Abschnitt. 1516 Vgl. dazu Jos. Frbes, Lehrbuch der experimentellen Psychologie, 1.

    Band, 2.-3. Au., Freiburg 1932, S. 417-419. 1617 17 Vgl. S. 22 f. 1718 18 Vgl. S. 22 f. 18

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