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Kapitel 4 Inhalt Kapitel 6 homepage zu den Fußnoten Kap.5 zum Text von Kap.5 + Inhalt (+:durch Anklicken aufklappbar, zuklappen durch erneutes Klicken) 60 Kapitel 5. Der Positivismus Kants Erkenntnistheorie war ein Versuch, die Geltung der Wissenschaften, insbesondere der Mathematik und der Naturwissenschaft, namentlich der newtonschen Physik, erkenntniskritisch zu begründen, ohne doch die Denkart dieser Wissenschaften absolut zu setzen und sie dadurch zu einer materialistischen und deterministischen Metaphysik auszuweiten. 1 Es fragt sich allerdings, ob dem berechtigten Anliegen Kants nur dadurch Genüge geschehen kann, daß zugleich die realistische Auffassung der Kategorien des Verstandes aufgegeben wird. In dieser Hinsicht haben wir im vorigen Kapitel Bedenken geltend gemacht. Der moderne Positivismus greift Kants Erkenntnislehre von ganz anderer Seite her an. Ohne Zweifel dachte Kant, wie es in seiner Zeit kaum anders zu erwarten war, bei seiner erkenntnistheoretischen Grundlegung der Mathematik und der Naturwissenschaft nur an die euklidische Geometrie und die sogenannte »klassische« Physik. Die Sätze der euklidischen Geometrie und gewisse grundlegende Sätze der klassischen Physik schienen ihm »synthetische Urteile a priori« zu sein. Diese Auffassung scheint durch die moderne Entwicklung der Wissenschaften unhaltbar geworden zu sein. Der euklidischen Geometrie stehen heute nichteuklidische Geometrien als gleichberechtigt gegenüber; wie kann dann die euklidische Geometrie a priori notwendig sein? Die Physik ist in grundlegenden Fragen von der modernen, auf der Relativitätstheorie und der Quantentheorie beruhenden Physik zu neuen, der klassischen Physik widersprechenden Auffassungen gelangt. Daher ist heute, namentlich in positivistischen Kreisen, die Meinung weit verbreitet, die Erkenntnistheorie Kants sei durch die neuere Entwicklung der Wissenschaften widerlegt 2 ; an ihre Stelle müsse heute eine positivistische Erkenntnistheorie treten. Der Positivismus findet zwar heute unter den Philosophen nicht viele Vertreter; um so weiter ist die positivistische Denkhaltung unter den Vertretern der Naturwissenschaften verbreitet. Darum ist es notwendig, uns mit ihr auseinanderzusetzen. Diese Auseinandersetzung wird zugleich unsere erkenntnistheoretischen Überlegungen ein wesentliches Stück weiterführen. 61 1. Geschichtlicher Überblick über die Entwicklung des Positivismus. Der Positivismus hat seine geschichtlichen Wurzeln im englischen Empirismus, bei Berkeley, Hume und John Stuart Mill (1806-1873). Der Empirismus erkennt nur die Erfahrung (»Empirie«) als Erkenntnisquelle an. Am folgerichtigsten hat vielleicht John Stuart Mill den Empirismus zu Ende geführt; nach ihm beruhen sogar die Mathematik und die Logik auf Verallgemeinerungen der Erfahrung. 3 Der Name »Positivismus« ist von Auguste Comte (1798-1857) eingeführt worden. Er unterschied drei Stadien der Entwicklung des Menschengeschlechtes, das theologische, das metaphysische und das positive Stadium. Im theologischen Stadium sucht der Mensch die Naturvorgänge durch die Annahme von Geistern oder Göttern, die das Geschehen unmittelbar lenken, sich begreiflich zu machen; zuletzt verschmelzen die vielen Gottheiten zu einem einzigen Gott, der die Welt geschaffen hat und sie durch seine Vorsehung lenkt. In der Menü •Startseite •Publications •Jahresberichte •Bücher •Gästebuch •Serverstatistik •zurück Homepage von P.Otto Schärpf S.J.: de Vries 5 J. de Vries: Grundfragen der Erkenntnis, Kapitel 5... http://82.135.31.182/deVries/kritik5.htm 1 de 10 25/05/2015 15:15

VRIES, Josef de. Grundfragen Der Erkenntnis, 5

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  • Kapitel 4 Inhalt Kapitel 6 homepagezu den Funoten Kap.5zum Text von Kap.5

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    60 Kapitel 5.Der Positivismus

    Kants Erkenntnistheorie war ein Versuch, die Geltung derWissenschaften, insbesondere der Mathematik und der Naturwissenschaft,namentlich der newtonschen Physik, erkenntniskritisch zu begrnden, ohnedoch die Denkart dieser Wissenschaften absolut zu setzen und sie dadurchzu einer materialistischen und deterministischen Metaphysik auszuweiten.1Es fragt sich allerdings, ob dem berechtigten Anliegen Kants nur dadurchGenge geschehen kann, da zugleich die realistische Auassung derKategorien des Verstandes aufgegeben wird. In dieser Hinsicht haben wir imvorigen Kapitel Bedenken geltend gemacht. Der moderne Positivismus greiftKants Erkenntnislehre von ganz anderer Seite her an. Ohne Zweifel dachteKant, wie es in seiner Zeit kaum anders zu erwarten war, bei seinererkenntnistheoretischen Grundlegung der Mathematik und derNaturwissenschaft nur an die euklidische Geometrie und die sogenannteklassische Physik. Die Stze der euklidischen Geometrie und gewissegrundlegende Stze der klassischen Physik schienen ihm synthetischeUrteile a priori zu sein. Diese Auassung scheint durch die moderneEntwicklung der Wissenschaften unhaltbar geworden zu sein. Dereuklidischen Geometrie stehen heute nichteuklidische Geometrien alsgleichberechtigt gegenber; wie kann dann die euklidische Geometrie apriori notwendig sein? Die Physik ist in grundlegenden Fragen von dermodernen, auf der Relativittstheorie und der Quantentheorie beruhendenPhysik zu neuen, der klassischen Physik widersprechenden Auassungengelangt. Daher ist heute, namentlich in positivistischen Kreisen, die Meinungweit verbreitet, die Erkenntnistheorie Kants sei durch die neuere Entwicklungder Wissenschaften widerlegt2; an ihre Stelle msse heute einepositivistische Erkenntnistheorie treten.

    Der Positivismus ndet zwar heute unter den Philosophen nicht vieleVertreter; um so weiter ist die positivistische Denkhaltung unter denVertretern der Naturwissenschaften verbreitet. Darum ist es notwendig, unsmit ihr auseinanderzusetzen. Diese Auseinandersetzung wird zugleich unsereerkenntnistheoretischen berlegungen ein wesentliches Stck weiterfhren.

    61 1. Geschichtlicher berblick ber die Entwicklung desPositivismus.

    Der Positivismus hat seine geschichtlichen Wurzeln im englischenEmpirismus, bei Berkeley, Hume und John Stuart Mill (1806-1873). DerEmpirismus erkennt nur die Erfahrung (Empirie) als Erkenntnisquelle an.Am folgerichtigsten hat vielleicht John Stuart Mill den Empirismus zu Endegefhrt; nach ihm beruhen sogar die Mathematik und die Logik aufVerallgemeinerungen der Erfahrung.3 Der Name Positivismus ist vonAuguste Comte (1798-1857) eingefhrt worden. Er unterschied drei Stadiender Entwicklung des Menschengeschlechtes, das theologische, dasmetaphysische und das positive Stadium. Im theologischen Stadium suchtder Mensch die Naturvorgnge durch die Annahme von Geistern oderGttern, die das Geschehen unmittelbar lenken, sich begreiich zu machen;zuletzt verschmelzen die vielen Gottheiten zu einem einzigen Gott, der dieWelt geschaen hat und sie durch seine Vorsehung lenkt. In der

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  • metaphysischen Periode treten anstelle der Gtter den Dingen selbstimmanente Wesenheiten und Krfte, die durch ihr Wirken die sichtbarenPhnomene hervorbringen. Aber auch diese metaphysischen Prinzipienwerden schlielich als Fiktionen erkannt; der Mensch des positiven Weltalterserkennt nur noch die Gesetze an, die nichts anderes besagen als dieRegelmigkeit und strenge Notwendigkeit des Naturgeschehens, und derenKenntnis uns die Voraussage des unter bestimmten BedingungenZuknftigen und damit die Lenkung der Naturvorgnge zu unseren Zweckenermglicht. Das Wesentliche des Positivismus tritt hier klar hervor: DieAblehnung aller metaphysischen Spekulation und die Anerkennung allein derpositiven, das heit empirischen, Wissenschaften.4

    Der Neupositivismus hat diese Denkrichtung folgerichtig weitergefhrt.Er wird durch den physikalischen Empirismus Ernst Machs (1838-1916)vorbereitet; indem dieser sich streng auf die Erfahrung beschrnkt, leugneter den Unterschied von Ding an sich und Erscheinung: Das Ding istnichts anderes als ein relativ konstanter Komplex von Empndungen.5Auer Mach hat Ludwig Wittgenstein (1889-1951) durch seinen Tractatuslogico-philosophicus groen Einu auf das Entstehen des Neupositivismusausgebt; nach ihm ist die einzige Aufgabe der Philosophie die Analyse derSprache; diese Analyse zeigt, da alle metaphysischen Stze sinnlos sind.6

    62 Systematisch ausgearbeitet wurde der Neupositivismus in demsogenannten Wiener Kreis in den Jahren 1929-1938. Die bekanntestenMitglieder dieses Kreises sind Moritz Schlick (1882-1936) und Rudolf Carnap(1881-1970); Hans Reichenbach (1881-1953), damals in Berlin, vertrathnliche Auassungen.7 Weil der Neupositivismus sich eng mit dermodernen formalisierten Logik verband, wird er auch logischerPositivismus genannt; es wre aber ein Irrtum, zu meinen, die formalisierteoder mathematische Logik sei wesentlich positivistisch. In sehr radikalerWeise haben den Neupositivismus verteidigt in England Alfred Jules Ayer(geboren 1910)8, in Frankreich Louis Rougier.9 In England und in denVereinigten Staaten verband sich der Neupositivismus vielfach mit dersogenannten analytischen Philosophie oder Sprachanalyse, die, hnlichwie Wittgenstein, der Philosophie die Aufgabe zuteilt, die Bedeutungen derWrter zu analysieren; jedoch ist auch die analytische Philosophie nichtnotwendig positivistisch. Im positivistischen Sinn wurde sie z. B. von demAmerikaner Arthur Pap10 verstanden. Spter sind die neupositivistischenThesen in manchen Punkten von ihren Verteidigern umgendert undabgemildert worden.11 Ja, man kann ohne bertreibung sagen, da derPositivismus auch in den angelschsischen Lndern12 in denfachphilosophischen Kreisen weithin abgetan ist.

    Das hindert aber nicht, da eine positivistische Geisteshaltung auchheute noch bei sehr vielen Naturwissenschaftlern weit verbreitet ist. DieBeschrnkung auf die erfahrungswissenschaftlichen Methoden, die innerhalbder Naturwissenschaft berechtigt ist, wird unvermerkt auf alle menschlicheErkenntnis ausgedehnt.13

    63 2. Die Grundlehren des Positivismus seien nunmehr kurzzusammengefat.

    Wir beschrnken uns dabei auf die (mehr oder weniger) gemeinsamenGrundlinien; auf die zahlreichen Meinungsverschiedenheiten im einzelnengehen wir nicht ein.

    Die grundlegende These des Positivismus ist die empiristischeAuassung, da es keine echte apriorischen, das heit von der Erfahrungunabhngige Einsicht gibt, sondern da alle echte Erkenntnis allein aufErfahrung beruht und darum grundstzlich korrigierbar ist. Diese Thesekommt in dem sogenannten Verizierungsprinzip zum Ausdruck, das Ayer soformuliert: Ein Satz ist fr eine Person dann und nur dann sinnvoll, wenn diePerson wei, welche Beobachtungen sie dazu fhren knnen, das durch denSatz ausgesagte Urteil als wahr anzunehmen oder als falsch abzulehnen.14

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  • Metaphysische Stze sind nach diesem Prinzip sinnlos.Wie steht es aber mit Mathematik und Logik? Sie scheinen die letzten

    Bollwerke des Apriorismus zu sein. Aber auch das ist nur Schein. Geradedurch die Auassung der Mathematik und Logik unterscheidet sich derNeupositivismus als logischer Positivismus vom lteren Empirismus undPositivismus. Versuche, diese Wissenschaften als empirische Wissenschaftenzu konstituieren, werden abgelehnt. Aber sie sind auch nicht a priorinotwendig, weder als deduktive Systeme, die im Sinn der klassischenPhilosophie auf unmittelbar einsichtige Urstze zurckfhrbar sind, noch alsSysteme synthetischer Urteile a priori im Sinne Kants. Sie sind vielmehrformale Systeme, die durch Ableitung aus Axiomen Zustandekommen,die ihrerseits durch bereinkunft festgesetzt werden, hnlich wie die Regelneines Spiels. Axiome sind also weder wahr noch falsch. Die einzigenForderungen, die an die Axiome eines Systems gestellt werden, sind, da sieuntereinander widerspruchslos und voneinander unabhngig sein mssen;letzteres bedeutet, da kein Axiom aus einem (oder mehreren) anderenAxiomen des gleichen Systems ableitbar sein darf; sonst wre es im Systemnicht Axiom, sondern bereits Folgerung. Aus den Axiomen werden nach denRegeln der Logik weitere Stze, Folgerungen, abgeleitet. So entstehtschlielich, wenn die Axiome gnstig gewhlt sind, ein ganzes System, einformales System. Kein Satz des Systems wird als wahr behauptet. Das,was ausgesagt wird, ist nur der logische Zusammenhang des Ganzen: Wenndiese Axiome angenommen werden, dann ergeben sich diese und jeneFolgerungen.

    64 Diese Auassung der Mathematik und Logik erscheint als die einzigmgliche wegen des Bestehens nichteuklidischer Geometrien undmehrwertiger Logiken. Euklid hatte angenommen, da man zu einergegebenen Geraden durch einen gegebenen Punkt eine, aber auch nur eine,Parallele ziehen kann. Lange hat man sich vergebens bemht, diesen Satz zubeweisen. Schlielich versuchte man, ob es nicht auch mit einer anderenVoraussetzung gehe. Man konstruierte Geometrien, die von derVoraussetzung ausgingen, man knne mehrere Parallelen ziehen, oder, manknne berhaupt keine Parallele ziehen. So entstanden in sichwiderspruchslose Systeme. Es schien kein Grund zu bestehen, dienichteuklidischen Geometrien nicht als gleichberechtigt anzuerkennen. Dannkann aber keine dieser Geometrien schlechthin wahr sein sonst wren jaeinander widersprechende Stze wahr. So scheint nichts anderes brig zubleiben, als diese Systeme fr formale Systeme im umschriebenen Sinn zuerklren.

    Was in der Geometrie das euklidische Parallelenaxiom ist, das wurde inder Logik der Satz vom ausgeschlossenen Dritten, der besagt, da eszwischen Wahr und Falsch kein Drittes geben kann: Jeder Satz ist entwederwahr oder falsch, ein Drittes gibt es nicht. Diesen Grundsatz hatte Aristotelesseiner Logik zu Grunde gelegt. Diese wird darum zweiwertige Logikgenannt. Es gibt fr einen Satz nur zwei Wahrheitswerte: Wahr oder falsch.Nun konstruierten aber die modernen Logiker in sich widerspruchsloseSysteme mehrwertiger Logiken, in denen ein Satz nicht blo dieWahrheitswerte wahr oder falsch haben kann, sondern ein Drittes (etwa:unentscheidbar) oder Vielfltiges (verschiedene Grade derWahrscheinlichkeit) zwischen wahr und falsch. Daraus wurde wiederumgefolgert: Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten ist kein notwendiger Satz,sondern nur eine durch bereinkunft angenommene Voraussetzung deraristotelischen Logik, die ebensogut durch andere Voraussetzungen ersetztwerden kann. Auch die Logik ist infolgedessen ein formales System imumschriebenen Sinn. Daraus folgt aber, da die Stze der Mathematik undder Logik keine Erkenntnis dessen, was wirklich ist, geben, da sie ja nurlogische Folgerungen eines auf bereinkunft beruhenden Axiomensystemssind. Alle Erkenntnis beruht vielmehr allein auf Erfahrung; und zwar wirddabei die uere Sinneserfahrung bevorzugt, weil sie allein intersubjektivist, diese Intersubjektivitt aber fr die Wissenschaft gefordert wird. In derErfahrungswissenschaft wird das Beobachtete durch sprachliche Zeichenausgedrckt, sei es durch die Zeichen der Alltagssprache, sei es durch

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  • Zeichen einer besonderen, durch bereinkunft fr das betreendeSachgebiet geschaenen Sprache. Die so entstehenden Stze sind zwarnicht wahr im Sinn der klassischen Wahrheitsdenition (bereinstimmungvon Aussage und Sein), aber sie haben doch eine eindeutige Zuordnung zuden Sinnesdaten, die sie symbolisieren.

    65 Wie wir schon im 3. Kapitel15 sahen, werden ja Begrie, die von denZeichen verschieden sind, nicht angenommen, die Zeichen der Sprache abergeben das bezeichnete Reale nicht wieder, sondern sind ihm nur eindeutigzugeordnet; mehr kann also fr die Wahrheit auch der empirischen Stzenicht gefordert werden.

    Was ist nach alledem noch die Aufgabe der Philosophie? Sie kann nichteigene Erkenntnisse geben, die ber die Erkenntnisse derNaturwissenschaften hinausgehen. Philosophie ist keine Wissenschaft nebenoder ber den anderen Wissenschaften, sondern eher eine Kunst, nmlich dieKunst der Analyse der Sprache. Ihre einzige Aufgabe ist es, den Wrterndurch Zurckfhrung auf die Sinnesgegebenheiten einen eindeutigen Sinn zugeben.3. Der Positivismus nicht bewiesen.

    Bei der Beurteilung des Positivismus mu unterschieden werdenzwischen dem methodischen Positivismus, das heit der bewutenBeschrnkung der exakten Wissenschaften auf die ihnen eigenen Methoden,und dem dogmatischen Positivismus, der diese Methoden im Gesamtbereichder menschlichen Erkenntnis fr die einzig gltigen erklrt. Gegen denersteren ist nichts einzuwenden. Wenn der Mathematiker sich daraufbeschrnkt, die Axiome als Stze hinzunehmen, die fr ein bestimmtesSystem allgemein vorausgesetzt werden, ohne sich auf eine philosophischeErrterung ihrer erkenntnistheoretischen Eigenart einzulassen, so sagt erdamit sozusagen nur: Ich bin . Mathematiker, nicht Philosoph. hnlich kannauch der Naturwissenschaftler in seinem Vorangehen sich auf dieempirischen Methoden seiner Wissenschaft beschrnken und die Errterungder philosophischen Grundlagenfragen ablehnen. Es ist z. B. nicht Aufgabeder Naturwissenschaft, das philosophische Problem der Kausalitt zu lsen.Nur wenn diese methodische Beschrnkung zur Behauptung derAlleingltigkeit der eigenen Methoden im Ganzen der menschlichenErkenntnis gemacht wird und damit zum dogmatischen Positivismusfortschreitet, mu die Philosophie Einspruch erheben.

    Erstens ist dieser Positivismus nicht bewiesen, auch nicht durch dasBestehen nichteuklidischer Geometrien und mehrwertiger Logiken. Zunchstist es nicht ausgemacht, da es nicht auerhalb dieser Wissenschaftenapriorische Stze geben kann; selbst wenn also aus dem Bestehenverschiedener geometrischer beziehungsweise logischer Systeme folgenwrde, da deren Stze nicht apriorische Einsichten sind, wre damit nochnicht bewiesen, da es solche Einsichten berhaupt nicht geben kann.

    66 Tatschlich ist aber nicht einmal in den Bereichen der Geometrie und derLogik durch das Bestehen nichteuklidischer Geometrien und mehrwertigerLogiken die Mglichkeit a priori gltiger Stze ausgeschlossen. DieseUnmglichkeit wird darum angenommen, weil in den verschiedenenSystemen der Geometrie und der Logik einander widersprechende Stzegelten, die unmglich alle wahr sein knnen, und weil anderseits kein Grundbesteht, einem der einander widersprechenden Systeme einen Vorzug vorden anderen einzurumen, so da etwa die euklidische Geometrie als a prioriwahr angenommen werden mte, die nichteuklidischen Geometriendagegen nur als begriiche Konstruktionen ohne Wahrheitswert zu geltenhtten. Gegen diese Begrndung lt sich aber einwenden: Dieverschiedenen geometrischen Systeme enthalten in ihren Axiomen impliziteDenitionen von Grundbegrien, durch die bestimmte Ausdrcke in denverschiedenen Systemen einen jeweils anderen (wenn auch untereinanderanalogen) Sinn erhalten. Da es sich wirklich so verhlt, wird vor allemdadurch nahe gelegt, da die einander widersprechenden Stze ber dieZahl der Parallelen in den verschiedenen Geometrien nicht als Axiome

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  • auftreten, sondern als Folgerungen aus anderen Axiomen. Sie ergeben sichalso mit logischer Notwendigkeit aus den verschiedenen Axiomensystemenund den in ihnen vorkommenden Begrien. Das scheint aber nur dannmglich zu sein, wenn diese Begrie trotz der Gleichheit der Wrter, mitdenen sie bezeichnet werden, nicht vllig gleich sind, das heit wenn sie inden Axiomen, aus denen die scheinbar einander widersprechenden Stzefolgen, implizit eine verschiedene Denition erhalten haben. Wenn demwirklich so ist, widersprechen sich die rein sprachlich genommen unvereinbarscheinenden Stze der verschiedenen Systeme nicht wirklich, sondern ebennur scheinbar. Die gleichen Wrter haben in den verschiedenen Systemeneinen verschiedenen Sinn, wenn dieser auch zu dem der anderen Systemeanalog ist. So besteht zwischen den verschiedenen Systemen also keineigentlicher Widerspruch, und es steht nichts im Wege, da es in einem derSysteme oder auch in jedem von ihnen a priori einsichtige Stze gibt. So hatman von jeher ohne Widerspruch angenommen, da in der ebenenGeometrie der Satz gilt: Die Winkelsumme eines Dreiecks ist = 2R, whrendman in der sphrischen Geometrie annahm, da die Winkelsumme einesDreiecks grer als 2R ist.

    Bezglich der verschiedenen Systeme mehrwertiger Logiken ist dasgleiche vllig klar. Solange diese Systeme nur als Kalkle, das heit alsZeichensysteme ohne inhaltliche Deutung, aufgefat werden, kannselbstverstndlich von einem Widerspruch keine Rede sein. Alles kommt alsoauf die Deutung der Kalkle an. Die bisher versuchten Deutungenmehrwertiger Kalkle, z. B. des dritten Wahrheitswertes als desUnentscheidbaren oder beliebig vieler Zwischenwerte als derverschiedenen Grade der Wahrscheinlichkeit, sind selbstverstndlichmglich, aber wenn man darin ein Drittes zwischen wahr und falschsieht, so versteht man die Begrie wahr und falsch nicht in dem Sinn,wie sie im Satz vom ausgeschlossenen Dritten von jeher verstanden wordensind, sondern wahr bedeutet: Als wahr entscheidbar und falschbedeutet: Als falsch entscheidbar; hnlich liegen die verschiedenen Gradeder Wahrscheinlichkeit in der Mitte zwischen gewi wahr und gewifalsch.

    67 Diese beiden Begrispaare sind aber nicht kontradiktorische, sondernkontrre Gegenstze, und da kontrre Gegenstze ein Mittleres zulassen,hat auch die klassische Logik von jeher gewut. Die Mglichkeitmehrwertiger Logiken beweist also nichts gegen die unbedingte Geltung desrichtig verstandenen Satzes vom ausgeschlossenen Dritten, und darum auchnichts gegen die Mglichkeit apriorischer Einsichten.4. Innere Widersprche des Positivismus.

    Die grundlegende These des Positivismus ist also nicht bewiesen.Darber hinaus ist zu sagen: Die grundlegenden Annahmen des Positivismusscheitern an ihrem inneren Widerspruch. Dieser Widerspruch ist allerdingsnicht ein Widerspruch in den ausdrcklich aufgestellten Stzen, wohl aber einWiderspruch in actu exercito, das heit im Denkvollzug selbst, insofernnmlich im Vollzug der Behauptung das Gegenteil dessen implizitmitbehauptet wird, was in dem behaupteten Satz ausdrcklich gesagt wird.

    Da ein solcher innerer Widerspruch in den Grundlagen des Positivismusenthalten ist, wird sogleich klar, wenn wir nach der Begrndung desVerizierungsprinzips fragen, das doch fr den Positivismus grundlegend ist.Oenbar kann dieser Satz selbst nicht im positivistischen Sinn veriziertwerden; er mte also folgerichtig als sinnlos bezeichnet werden. Denn derSatz, da nur empirisch verizierbare Stze sinnvoll sind, ist oenbar selbstnicht empirisch verizierbar. Das gibt auch Alfred Jules Ayer zu16. Er meint,der Wiener Kreis habe das Verizierungsprinzip oenbar als konventionelleAnnahme (a Convention) betrachtet, als eine Art praktischer Regel(prescription), da andere, metaphysische Stze nicht als sinnvoll geltensollen. Er selbst stellt dann aber die Frage: Aber warum mu diese Vorschriftangenommen werden?, und er gibt zu: Hchstens ist bewiesen, dametaphysische Stze nicht in die gleiche Kategorie fallen wie die Gesetze der

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  • Logik oder wie wissenschaftliche Hypothesen oder wie geschichtlicheErzhlungen oder Wahrnehmungsurteile oder andere alltglicheBeschreibungen der natrlichen Welt. Jedenfalls folgt nicht, da sie wederwahr noch falsch sind, noch weniger, da sie sinnlos sind. Oder doch?17 Istdamit aber nicht das positivistische Verizierungsprinzip praktischaufgegeben?

    68 Wie das Verizierungsprinzip, wenn es ernsthaft verteidigt wird, nichtohne inneren Widerspruch behauptet werden kann, so gilt das gleiche vonder Leugnung jeder Wahrheil im Sinn der klassischen Wahrheitsdenition.Wenn z. B. die Wahrheit der formalen Systeme allein in ihrer logischenKohrenz unter Ausschlu jeder bereinstimmung mit dem realenSachverhalt bestehen soll, so bersieht man, da von logischer Kohrenzkeine Rede sein kann, wenn nicht wenigstens das Nichtwiderspruchsprinzipals unabhngig von jeder willkrlichen Festsetzung gltig anerkannt wird. Dielogische Kohrenz des formalen Systems besteht darin, da unterVoraussetzung der Axiome des Systems bestimmte Stze notwendig folgen.Aber was heit das: Aus den Axiomen folgen diese und jene Stze? Sagenwir: Aus p und q folgt r. Das heit: Wenn p und q als gltig vorausgesetztwerden, dann gilt notwendig auch r, das heit: dann gilt Nicht-r nicht.Warum? Weil sich sonst ein Widerspruch ergibt. Wenn z. B. die beiden StzePetrus ist ein Mensch und alle Menschen sind sterblich vorausgesetztwerden und trotzdem der Satz Petrus ist sterblich geleugnet wird, so wirddamit zugleich entweder behauptet, da Petrus doch kein Mensch ist, oderda doch nicht alle Menschen sterblich sind. Das heit aber: Wenigstenseiner der beiden Vorderstze wird zugleich mit seinem kontradiktorischenGegensatz als wahr vorausgesetzt. Also mu wenigstens dasNichtwiderspruchsprinzip als gltig vorausgesetzt werden, wenn vonlogischer Kohrenz die Rede sein soll. Sonst wre mit jedem Axiomensystemjede beliebige Folgerung vereinbar, das heit: Jedes Schlieen wrde seinenSinn verlieren, von logischer Kohrenz knnte nicht mehr die Rede sein. Esist also ein Widerspruch, logische Kohrenz eines Systems anzunehmen unddoch die unbedingte Geltung des Nichtwiderspruchsprinzips zu leugnen.

    Es wre noch die Ausucht mglich, das Nichtwiderspruchsprinzip selbstwerde nur als allgemeinste konventionelle Schluregel, sozusagen alsoberste Spielregel des logischen Spieles, angenommen. Aber auch so wirddie Schwierigkeit nicht beseitigt. Denn die versuchte Lsung wrdebedeuten, es bestehe in Wirklichkeit kein Folge-Zusammenhang innerhalbdes Systems; denn ein logisches Grund-Folge-Verhltnis ist wesentlich einnotwendiger Zusammenhang, eine nur auf bereinkunft beruhende Regeldagegen ist nicht notwendig, sondern knnte ebensogut anders gewhltwerden. berdies wrde die Schwierigkeit, die man durch diesenLsungsversuch beseitigen will, auf hherer Ebene wiederkehren; es mteja wieder anerkannt werden: Wenn das Nichtwiderspruchsprinzip gilt, dannist der deduktive Schlu gltig, und dies setzt wiederum dasNichtwiderspruchsprinzip voraus. Ein logisches Folgern ist also ohneAnnahme der unbedingten Geltung des Nichtwiderspruchsprinzips nicht ohneimpliziten Widerspruch mglich.

    69 5. Voraussetzungen der exakten Wissenschaften.Was bleibt vom Positivismus dann noch brig? Nur die Behauptung, da

    die empirischen Stze der Naturwissenschaft gelten, wenigstens in dem Sinn,da in ihnen reale Tatsachen eindeutig bezeichnet werden. Kann derPositivismus wenigstens diese Behauptung als gltig erweisen? DerPositivismus erkennt nur solche Aussagen an, die sich unmittelbar aufunsere Sinneserlebnisse beziehen18. Aber werden die Aussagen derNaturwissenschaften, wie sie tatschlich vorliegen, wirklich durch dieunmittelbare Sinneserfahrung gedeckt, oder gibt es nicht dochVoraussetzungen der exakten Wissenschaften, die durch die Sinneserfahrungnicht begrndet werden knnen?

    Hier ergibt sich zunchst wieder die Frage, auf die wir schon im 2.

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  • Kapitel19 gestoen sind: Was ist denn der Gegenstand, den die Sinne unsunmittelbar geben? Auch die Positivisten haben sich diese Frage gestellt.Viktor Kraft meint in seiner Erkenntnislehre, wirklich unmittelbar undunbedingt gewi seien nur die Aussagen ber unsere Erlebnisse: Ich sehedas und das usw.20 Aber die Evidenz dieser Aussagen lt sich durchandere Personen nicht nachprfen. Wenn also die Forderung gestellt wird, dieErfahrungen, von denen die Wissenschaft ausgeht, mten grundstzlich frjeden nachprfbar sein, so kommen derartige Erlebnisaussagen nicht inBetracht. Moritz Schlick nimmt als Grundlage die sogenanntenKonstatierungen an, etwa: Hier jetzt rot.21 Aber wenn das mehr sein sollals die Aussage, da mir jetzt hier Rot erscheint, so fragt sich wiederum, mitwelchem Recht dieses Mehr behauptet wird. Rudolf Camap und Otto Neurathhatten schon vorher als Grundlage die sogenannten Protokollstzeangesetzt: NN hat zur Zeit t an dem und dem Ort das und dasbeobachtet.22 Es ist klar, da solche Stze fr die Naturwissenschaftvorausgesetzt werden mssen. Aber ebenso klar ist. da damit noch nichtsgesagt ist ber die reale Existenz des beobachteten Vorgangs. Wenn undinsoweit die Naturwissenschaft also das reale Dasein der beobachtetenVorgnge voraussetzt, macht sie eine Voraussetzung, die durch dieSinneserfahrung allein nicht begrndet werden kann.

    70 Noch eine weitere Voraussetzung wird in dem zitierten Protokollsatzganz oenbar gemacht. Er besagt: NN hat... dies und das beobachtet. Esist also eine Aussage ber ein vergangenes Erlebnis, das nur aufgrund derErinnerung als wirklich geschehen angenommen werden kann. Es wird alsodie Zuverlssigkeit der Erinnerung vorausgesetzt, und zwar in dem Fall, dadie Erinnerung schriftlich xiert worden ist, nicht nur einmal, sondernzweimal. Erstens geschieht die Aufzeichnung gewhnlich erst nach derBeobachtung selbst, also aufgrund der Erinnerung. Zweitens wird bei derspteren Benutzung der Aufzeichnung angenommen, da die Aufzeichnungvon mir gemacht worden ist, und zwar entsprechend meinen wirklichenBeobachtungen; auch das kann nur aufgrund der Erinnerung behauptetwerden. Diese Abhngigkeit von der Erinnerung ist fr die Naturwissenschaftdeshalb notwendig, weil sie sich nie allein auf die gegenwrtigenBeobachtungen sttzen kann, sondern stets auch auf die vergangenenBeobachtungen angewiesen ist. Das Vergangene als solches ist aber nichtGegenstand der gegenwrtigen Sinneswahrnehmung, fordert also ber dieunmittelbare Sinneserfahrung hinaus eine weitere Voraussetzung.

    Aber auch das gengt noch nicht, wie Pascual Jordan selbst bemerkt:Die beliebte Fiktion, da diese (naturwissenschaftlichen) Erfahrungen frjedermann nachprfbar seien, entfernt sich doch allzuweit von der konkretenWirklichkeit. Ganz abgesehen davon, da an sich nur einem kleinen Kreis deraktiv arbeitenden Wissenschaftler berhaupt eine Nachprfung von Teilender wissenschaftlichen Lehre mglich ist..., beschrnken sich auch fr jedeneinzelnen dieser Spezialisten die Mglichkeiten der Nachprfung stets aufschmale Ausschnitte; und den allergrten Teil dessen, was er als'anerkannte' wissenschaftliche Lehre auch seinerseits anerkennt, hat ergutglubig von anderen bernommen.23 Als weitere Voraussetzung ergibtsich also die Zuverlssigkeit der Aussagen anderer, die gewi nicht durchsinnliche Wahrnehmung festgestellt werden kann. Ohne diese Voraussetzungkommt schon die Naturwissenschaft nicht aus; erst recht ist sie wesentlichfr die Geschichtswissenschaft, die weithin auf schriftliche Zeugnisse lngstverstorbener Gewhrsmnner angewiesen ist. Dabei ergibt sich zugleichnoch das weitere Problem: Wie kann gezeigt werden, da diese Zeugnisseecht sind, da heit von dem Verfasser herrhren, unter dessen Namen sieberliefert sind. Auch die Frage nach der Zuverlssigkeit der Gewhrsmnnerbietet hier oenbar grere Schwierigkeit als da, wo es sich um mirpersnlich bekannte Zeugen handelt.

    Nur kurz bemerkt sei, da der Erwerb von Kenntnissen durch dieMitteilung anderer zugleich die Voraussetzung einschliet, da wir aus denWorten anderer deren Gedanken richtig erkennen knnen; ber diesesProblem haben wir uns schon im 3. Kapitel Gedanken gemacht.

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  • 71 Alle diese Voraussetzungen betreen die Feststellung derEinzeltatsachen, von denen die empirische Wissenschaft ausgeht. Es bleibtnoch die Frage nach der Begrndung der Verallgemeinerung derbeobachteten Regelmigkeit, ohne die es kein Naturgesetz gibt. Es ist diesdas Problem der sogenannten Induktion: Mit welchem Recht nehmen wir an,da die Vorgnge, die unter bestimmten Umstnden regelmig beobachtetworden sind, unter gleichen Umstnden stets eintreten und auch in Zukunfteintreten werden? Von Seiten positivistischer Wissenschaftstheoretiker hatman auf verschiedene Weise versucht, die Induktion durcheinzelwissenschaftliche Methoden zu begrnden. So wollte HansReichenbach die Induktion auf die Wahrscheinlichkeitsrechnung sttzen24;Rudolf Carnap wollte sie durch eine logische Wahrscheinlichkeitstheoriebegrnden, die eine Verallgemeinerung der mathematischen Theoriedarstellt25.

    Aber diese Versuche sind von anderen Positivisten oder demPositivismus nahestehenden Denkern scharfer Kritik unterzogen worden, sovon Viktor Kraft26 und besonders von Georg Henrik v. Wright27 Dieser zeigtmit aller nur wnschenswerten Klarheit, da allein mit Hilfe von analytischenUrteilen (das heit Urteilen, in denen das Prdikat im Subjektsbegrienthalten ist) und nur aus solchen Urteilen bestehen ja die formalenSysteme des Positivismus eine Erweiterung der Erkenntnis aufzuknftige, also in der Erfahrung nicht gegebene Flle unmglich ist. Es ist jaauch klar: Um von einer gegebenen Realitt auf eine andere, nichtgegebene, schlieen zu knnen, bedarf es eines Satzes, der unabhngig vonder Erfahrung zu einem gegebenen Subjekt eine hier und jetzt nichtgegebene Bestimmung hinzufgt, das heit eines synthetischen Satzes apriori.

    Gerade solche Stze lehnt aber der Positivismus als unmglich ab. Soberaubt er sich jeder Mglichkeit, die Voraussetzungen zu begrnden, ohnedie Naturwissenschaft nicht mglich ist. Es fehlt jede feste Grundlage.Pascual Jordan gibt das selbst einmal zu, wenn er schreibt, daswissenschaftliche Weltbild werde von der Naturwissenschaft mit khnemWagemut inmitten unergrndlicher Smpfe begonnen28.

    72 Man mu sich aber fragen: Wenn das Gelnde wirklich so bodenloswre, wie knnte der Bau gelingen? Tatschlich fhrt das Forschen aberimmer wieder zu erstaunlichen Erfolgen. Die Forscher sind dabei berzeugt,da diese Erfolge nicht zufllig, durch lauter unbegreiiche Glcksflle,Zustandekommen, sondern aufgrund der wissenschaftlichen Forschung. Daswre aber unmglich, wenn die Voraussetzungen, von denen dieseForschung ausgeht, falsch wren. Dann wre es tatschlich ein niebegreiicher Glcksfall, da sich die Voraussagen, die aufgrund der Annahmeder Realitt der Dinge, der Zuverlssigkeit des Gedchtnisses, der Aussagenanderer Menschen und der induktiven Verallgemeinerung gemacht werden,immer wieder erfllen. Es ergibt sich also die Frage: Wie lassen sich dieVoraussetzungen der exakten Wissenschaften begrnden?

    Anmerkungen Kapitel 51 Vgl. das Antinomienkapitel der Kritik der reinen Vernunft

    (B 432-595), namentlich die vier Antithesen (rumlich-zeitliche Unendlichkeit der Welt, Leugnung jeder einfachenSubstanz, Leugnung der Freiheit [Determinismus], Leugnungeiner absoluten Ursache der Welt), die darauf beruhen, dadie Seinsweise der empirisch gegebenen Welt dogmatischals die einzig mgliche Seinsweise behauptet wird.

    1

    2 Vgl. z. B.: L. Rougier, Trait de la connaissance, Paris 1955,S. 131-134.

    2

    3 John Stuart Mill. A System of Logic. Ratiocinative andInductive. Book II. Chapter 5. 4: Chapter 6 1; Chapter 7.5.

    3

    J. de Vries: Grundfragen der Erkenntnis, Kapitel 5... http://82.135.31.182/deVries/kritik5.htm

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  • 4 Vgl. A. Comte. Discours sur l'esprit positif. 1. Teil. 1. Kap.(franzsisch deutsch: Rede ber der, Geist des Positivismus.Hamburg 1956. S. 1-41).

    4

    5 E. Mach. Die Analyse der Empndungen und das Verhltnisdes Physischen zum Psychischen. 6. Au., Jena 1911: I.Antimetaphysische Vorbemerkungen (S. 1-30).

    5

    6 Tractatus 4.003. 4.0031. 4.112. 6.53. 67 Die wichtigsten Arbeiten des Wiener Kreises nden sich in

    der Zeitschrift Erkenntnis (1930-1938) und ihrerFortsetzung The Journal of Unied Science (1939-1940).

    7

    8 Hauptwerk: Language. Truth and Logic. 1936. 19. Au.,London 1962.

    8

    9 Hauptwerk: Trait de la connaissance. Paris 1955. 910 Elements of Analytical Philosophy. New York 1949. 1011 Vgl. dazu Viktor Kraft. Erkenntnistheorie. Wien 1960. 1112 Vgl. Carlo Huber S. J., Die analytische Philosophie in England

    und ihre Wandlungen in: Theologie und Philosophie 42(1967) 208-235.

    12

    13 Wie schwer selbst Naturwissenschaftlern, die nichtPositivisten sein wollen, die Anerkennung metaphysischer,von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen wesentlichverschiedener Einsichten fllt, zeigen eindringlich dieDiskussionen zwischen F. Gonseth und verschiedenenVertretern der Philosophie, die verentlicht sind in: F.Gonseth, La mtaphysique et l'ouverture i'exprience.Paris 1960. Auch Jean Piaget (Sagesse et illusions de laPhilosophie. Paris 1965) leugnet schlechthin die Mglichkeit,durch philosophische Besinnung zu echter, allgemeingltigerErkenntnis ber die Grenzen der Erfahrungswissenschafthinaus zu gelangen. Der bekannte Physiker Pascual Jordanbekennt sich ausdrcklich zum Positivismus: vgl. P. Jordan,Der gescheiterte Aufstand, Frankfurt 1956.

    13

    14 We say that a sentence is factually signicant to any givenperson, if, and only if, he knows how to verify the propositionwhich it purports to express that is, if he knows whatobservations would lead him, under certain conditions, toaccept the proposition as being true, or reject it as beingfalse. Ayer, Language, Truth and Logic, 19. Au., S. 35.

    14

    15 Vgl. S. 41 1516 Logical Positivism, Glencoi (Ill.) 1959, S. 15. 1617 But why should this prescription be accepted? The most that

    has been proved is that metaphysical statements do not fallinto the same category as the laws of logic, or as scientichypotheses, or as historical narratives, or judgments ofperception, or any other common sense descriptions of thenatural world. Surely it does not follow that they areneither true nor false, still less that they are nonsensical? A.a. O., S. 15 f.

    17

    18 Pascual Jordan, Anschauliche Quantentheorie. Berlin 1936. S.276.

    18

    19 Vgl. S. 22 f. 1920 V. Kraft, Erkenntnislehre. Wien 1960. S. 205 f.. 213 f. 2021 M. Schlick. ber das Fundament der Erkenntnis, in:

    Erkenntnis 4 (1934). S. 79-99.21

    22 R. Carnap. Die physikalische Sprache als Universalspracheder Wissenschaft, in: Erkenntnis 2 (1931). S. 432-465: O.Neurath. Protokollstze, in: Erkenntnis 3 (1932/33). S.204-214: R.Carnap. ber Protokollstze: Ebd. S. 215-228.

    22

    J. de Vries: Grundfragen der Erkenntnis, Kapitel 5... http://82.135.31.182/deVries/kritik5.htm

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  • 23 P.Jordan. Zeitgeist und Naturwissenschaft, in: Hochland44(1951/52). S. 134-148: zitierte Stelle: S. 140

    23

    24 Hans Reichenbach, Wahrscheinlichkeitslehre, Leiden 1935;Experience and Probability, Chicago 1950.

    24

    25 R. Carnap, Logical Foundations of Probability, Chicago 1950;Carnap-Stegmller, Induktive Logik und Wahrscheinlichkeit,Wien 1959.

    25

    26 V. Kraft, Erkenntnislehre, Wien 1960, S. 220-236. 2627 G. H. v. Wright, The Logical Problem of Induction, 2. Au.,

    Oxford 1957.27

    28 P. Jordan, Das Bild der modernen Physik, Hamburg-Bergedorf1947, S. 8. 28

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