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12/2018 www.sifa-sibe.de W 9. Jahrgang Sicherheits¬ ingenieur Fachzeitschrift für betriebliches Sicherheitsmanagement und Prävention Gesundheitswesen Sicher helfen und heilen Nanomaterialien & REACH Einheitliche Regelungen Psychische Belastungen Sifa als Lotsen EU-Vergleich: Arbeitsschutz Ist Deutschland Schlusslicht?

W ingenieur Sicherheits¬ · Sicherheit hat bei der Rudolph Logistik Gruppe höchste Priorität - auch Umstellung auf ISO 45001 wenn es mal schnell gehen muss. Integriertes - statt

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Page 1: W ingenieur Sicherheits¬ · Sicherheit hat bei der Rudolph Logistik Gruppe höchste Priorität - auch Umstellung auf ISO 45001 wenn es mal schnell gehen muss. Integriertes - statt

12/2018www.sifa-sibe.de

W9. Jahrgang

Sicherheits¬ingenieurFachzeitschrift für betriebliches Sicherheitsmanagement und Prävention

Gesundheitswesen

Sicher helfen und heilen

Nanomaterialien & REACHEinheitliche Regelungen

Psychische BelastungenSifa als Lotsen

EU-Vergleich: ArbeitsschutzIst Deutschland Schlusslicht?

Page 2: W ingenieur Sicherheits¬ · Sicherheit hat bei der Rudolph Logistik Gruppe höchste Priorität - auch Umstellung auf ISO 45001 wenn es mal schnell gehen muss. Integriertes - statt

Sicherheit hat bei der Rudolph Logistik Gruppe höchste Priorität - auch

Umstellung auf ISO 45001wenn es mal schnell gehen muss.

Integriertes - statt isoliertes -SystemIm Frühjahr 2018 wurde die neue ISO-Norm 45001 für „Sicherheit und Gesundheit bei derArbeit veröffentlicht. Sie löst nach Ende der Übergangsfrist im März 2021 die OHSAS 18001 abBei der Rudolph Logistik Gruppe im hessischen Baunatal bei Kassel laufen die Vorarbeiten zurUmstellung auf die neue Norm auf Hochtouren. Wir sprachen mit Heiko Schönberg, der leiten¬den Fachkraft für Arbeitssicherheit und Tobias H uk, der den Bereich Integrierte Management¬systeme leitet.

Autorin:

Dipl.-Ing. Andrea Stickel,

Journalistin fürTechnik und Wissenschaft

(BJV)[email protected]

¦ Wo sehen Sie besondere Gefahren anihren Standorten?

Schönberg: Die größte Gefahr stellenunsere Flurförderfahrzeuge dar - Staplersind das Hauptarbeitsmittel, das zum Ein¬satz kommt. Aber auch das Heben undTragen während der Komissioniertätig-keiten sind aus Sicht des Arbeits- und Ge¬sundheitsschutzes die Hauptgefahren anunseren Standorten.

¦ Wie sieht es bei Auftragsspitzen aus,wenn Sie Personal aufstocken müssen?

Schönberg: Man versucht natürlich die

Quote möglichst gering zu halten, da

punktuell eingesetzte Aushilfen oderZeitarbeitskräfte nicht dieselbe Qualitätliefern können wie ein fest eingearbeite¬ter Mitarbeiter. Es kann aber auch sein,dass unser Bestandspersonal durch Über¬

stunden, Samstagsarbeit und höherenUmschlag stark unter Druck gerät. Es istdann der Faktor Stress, der ein Risiko imBereich Arbeitssicherheit darstellt. Dahermüssen wir unser Bestandspersonal im¬

mer wieder sensibilisieren. Wir sa en ih¬

nen: „Auch wenn es stressig wird - be¬

denkt, dass der Kampf Stapler gegenMensch immer zugunsten des Staplersausgeht. Zudem werden unsere Staplernach Möglichkeit so ausgestattet, dassdurch Assistenz-Systeme die Sicherheitauch bei nicht so routinierten Mitarbei¬tern gewährleistet ist.

¦ Wie gewährleisten Sie die Sicherheitihres Personals?

Schönberg: An den deutschen Standor¬ten sind rund 60 Sicherheitsbeauftragte

im Einsatz. Sie werden von uns mit Hand¬

werkszeugen, zum Beispiel Checklistenfür Sicherheitsbegehungen, Regalprüf¬lehren, Messgeräten für Temperatur undLuftfeuchtigkeit, ausgestattet und zu denASA-Sitzungen eingeladen. Regelmäßige,durch die Fachkräfte für Arbeitssicherheitgeleitete Erfahrungsaustausche mit denlokalen Sicherheitsbeauftragten bringenzusätzliche Impulse zur Verbesserung derArbeitsschutzleistung. Und unsere Füh¬rungskräfte müssen unter anderem dasSeminar „Verantwortung im Arbeits¬schutz der Berufsgenossenschaft bele en.

Hauk: Um den hohen Standard im Ar¬

beitsschutz durchgängig zu halten, legenwir die Kompetenzen unserer Führungs¬

kräfte mit der Abteilung HR (Anm. d.Red.: HR = Human Ressources = Personal¬

abteilung) fest und schauen, wer welcheSchulung benötigt, um mögliche Lückenzu schließen. Denn gerade mit der Um¬

stellung auf die High-Level-Structure der

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Foto: © Rudolph Logistik Gruppe

Heiko Schönberg - der Industriemeister ar¬

beitet als leitende Fachkraft für Arbeitssi¬cherheit. Zudem ist er als Brandschutz- und

Arbeitsschutzmanagementbeauftragter

sowie betrieblicher Gesundheitsmanager bei

der Rudolph Logistik Gruppe tätig.

ISO 45001 wird die Verantwortung unse¬rer Führungskräfte im Arbeitsschutzmehr denn je gefordert. Verantwortun kann aber nur übertragen werden, wennder Empfänger über die notwendigenKompetenzen verfügt.

¦ Wie ist die Akzeptanz dieserMaßnahmen?

Schönberg: Das ommt gut an, weildann auch mal Schichtleiter die Möglich¬

keit haben, einen Tag lang nur über Ar¬beitsschutz und Gesundheit zu reden.

¦ Welche Faktoren sind für erfolgreichenArbeitsschutz aus Ihrer Sicht ausschlag¬

gebend?

Schönberg: Es ist zum Beispiel wichtig,dass die Sicherheitsbeauftragten sichfreiwillig in diesem Amt engagieren undnicht von oben herab bestimmt werden.Die Akteure im Arbeits- und Gesundheits¬schutz müssen von der Wichtigkeit ihrerRolle und Aufgaben überzeugt sein.

Hauk: Früher hatten wir eine externe Be¬treuun im Bereich Arbeitssicherheit. Seit2015 haben wir mit Herrn Schönberg ei¬ne interne Fachkraft für Arbeitssicher¬

heit. Jetzt erreichen wir ein ganz anderesLevel in diesem Bereich. Und auch unsere1000-Mann-Quote geht sukzessive nachunten. Im vergangenen Jahr haben wirdann eine weitere Fach raft für Arbeitssi¬

cherheit eingestellt.

Tobias Hauk - der Ökonom für Logistik¬

management leitet den Bereich „Integrierte

Managementsysteme '.

¦ Bisher haben Sie ja nach OHSAS 18001gearbeitet. Warum starten Sie bereits jetzt

it der Umstellung auf die ISO 45001?Hauk: Zum einem aus ei ener Motivati¬on. Aber letztendlich auch durch Kun¬

denanforderungen. Es war eine unter¬

nehmerische Entscheidung, dass wirnach außen klar machen, dass wir dieISO 45001 jederzeit an jedem Standortzertifizieren können.

¦ Aus welcher Branche kam der Rufnach der neuen Arbeitsschutz-ISO?

Hauk: Aus der Automobilindustrie.Neben der Erfüllung unserer Dienstleis¬tung mit qualitativ hochwertigen Prozess¬ergebnissen stie en mit der Revision derISO 9001 und ISO 14001 und dem damitverbundenen Fokus auf die interessiertenParteien auch die Anforderungen an denUmweltschutz. Durch die Revision derISO 45001 sehen wir uns nun auch deut¬lich konkreteren vertraglichen Anforde¬

rungen im Arbeitsschutz gegenüber, waswir unseren Kunden durch eine Zertifi¬

zierung nach ISO 45001 bescheinigenmüssen.

¦ Wo stehen Sie heute mit derUmsetzung der ISO 45001?Hauk: Wir befinden uns gerade in derPlanung der Umstellung. Wir sichten,was bereits normkonform ist und schau¬en, welche Prozesse wir von Seiten derZentrale anpassen müssen. In unserer Ab¬

teilung „Integrierte Managementsyste¬me und im Team „Arbeitsschutz bestehtdie Herausforderung, den Standard, denwir festgelegt haben, auch auf die Fläche

zu bringen. Also den Standorten das nöti¬

ge Handwerkzeug, zum Beispiel durchFührungskräfte- Workshops, Gefährdungs¬beurteilungen, Präventionsmaßnahmenin Form von Gesundheitstagen, Ursa¬chenanalysen und das Dokumentierenvon gefährlichen Situationen und Beina¬heunfällen, an die Hand zu geben, zu un¬terweisen und in die Spur zu bringen.

¦ Wo setzen Sie dabei innerhalb der

Rudolph Logistik Gruppe an?Hauk: Von unserer Zentrale in Baunatalgeht praktisch alles aus. Das Zertifikat-ob nach 9001,14001 oder dann 45001 -läuft auf unsere Unternehmenszentraleund zusätzlich auf die entsprechend zer¬tifizierten Standorte. Welche Standortenach welcher Norm zertifiziert sind,hängt immer da on ab, was im Kunden¬auftrag spezifiziert ist.

¦ Gibt es einen einheitlichen Standard

innerhalb der Gruppe?

Hauk: Unabhängig, ob wir nach 45001zertifiziert sind oder nicht, das Arbeits-schutzlevel ist an jedem Standort gleichhoch.

¦ Wie läuft der Roll-out bei Ihnen ab?

Hauk: Aktuell sind wir mit der OHSAS18001 und mit der Umstellung auf dieISO 45001 an unseren deutschen Stand¬orten unterwegs. Langfristig werden wirsicherlich auch die internationalenStandorte umstellen können, sofern auchhier konkrete Kundenanforderungen auf-kommen.

Die Rudolph LogistikGruppe

Bei der Rudolph Logistik Gruppe(RLG), einem inhabergeführtenUnternehmen in der vierten Gene¬

ration, bieten insgesamt 4500Mitarbeiter an weltweit 40 Stand¬

orten maßgeschneiderte Lagerlo¬gistik-Lösungen für die BereicheAutomotive, Industrie und Handel.Dabei reicht das Leistungsspek¬

trum vom Wareneingang und Be¬stands anagement über dasKommissionieren und Konfektio¬

nieren bis hin zu Warenausgangund Leergut anagement.www.rudolph-log.com

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Im Gespräch

ISO 45001 - das bringt sieDie neue Norm ISO 45001 kon entriert sich auf die Interaktionen eines Unter¬nehmens it seinem Geschäftsumfeld. Am 11. März 2021 löst sie BS OHSAS18001 ab und folgt der gemeinsamen High Level Structure, wie sie in allenmodernen ISO-Management-Normen eingesetzt wird.

Andreas Ritter, Auditor im Umwelt- und Arbeitsschutz bei der Deutschen Ge¬sellschaft zur Zertifizierung von Managementsystemen (DOS GmbH] in Frank¬furt erklärt: „Die neue Norm bringt einige Vorteile unter anderem aus der ge¬meinsa en Grundstruktur der ISO-Managementnormen: dieISO 5001 ist prozessorientiert, risikobasiert und berücksichtigt die relevanteninteressierten Parteien, vor allem die Beschäftigten."

Mehr zum Thema: https://bit.ly/2KruCal

¦ Holen Sie sich dazu externesKnow-how?

Hauk: Für die Erstzertifizierung etwa derOHSAS 18001 haben wir mit einem ex¬

ternen Partner, der uniconsult GmbH, zu¬

sammengearbeitet. Mittlerweile hat sichder Beratungsaufwand minimiert undwir klären nur noch Feinheiten. Zertifi¬ziert werden wir durch die Deutsche Ge¬sellschaft zur Zertifizierung von Manage¬mentsystemen, der DQS GmbH.

¦ Welche Erwartungen verknüpfen Sie

mit der Umsetzung?

Schönberg: Der Vorteil ist, dass wir unsjetzt in der gleichen Struktur bewegen,wie in den Normen ISO 9001 und ISO14001. Das macht das System noch inte¬ressanter und effektiver für uns. Und wirbekommen neue Denkanstöße durch dieUmstellung auf eine ISO-Norm.

¦ Bedeutet das, dass Sie bereits in vielenBereichen schon ISO-konform arbeiten?Wo besteht noch Handlungsbedarf?

Schönberg: Vieles erfüllen wir bereits.Wir werden auf jeden Fall einige Verfah¬rensanweisungen und Prozesse updatenmüssen. Eine Riesenchance sehe ich beider ISO 45001 darin, dass wir die Mitar¬beiter noch stärker einbinden und beteili¬gen können - und natürlich in der HighLevel Structure, wodurch die Verantwor¬

tung klar bei den Führungskräften liegt.

Hauk: Im letzten Überwachungsauditder OHSAS 18001 im August 2018 habenwir schon sehr positive Signale von unse¬rem Zertifizieret erhalten - wir sind

schon auf einem guten Weg in Richtung45001.

¦ Können Sie ein Beispiel nennen?

Hauk: Jeder Standort muss sich Quali¬tätsziele setzen und diese verfolgen. Beiunserer integrierten Struktur sprechenwir nicht nur von Qualität, sondern auchvon Zielen zur Umweltverbesserung undzur Verbesserung des Arbeitsschutzes.Das bedeutet, dass es für unsere Standor¬

te nichts Neues ist, wenn sie sich zumBeispiel nach der ISO 45001 Ziele zurVerbesserung der Arbeitsschutzleistungsetzen und diese in einem Managemen¬

treview bewerten müssen.

¦ Sie sehen also durchaus für Ihre Arbeiteine kontinuierliche Weiterentwicklung -und müssen nicht alles auf den Kopf stel¬len.

Hauk: Genau - es geht vor allem um denFeinschliff. Ein weiteres Beispiel ist dasIdeen-Management in der Rudolph Logis¬tik Gruppe, das auch in Bezug auf den Ar¬beitsschutz einen hohen Stellenwert ein¬nimmt. Mitarbeiter werden nicht nur fürgute Ideen zur Prozessverbesserung, son¬

dern auch für Ideen zur Energieeinspa¬rung, Verbesserung der Umweltleistungund auch zur Erhöhung der Arbeits¬

schutzleistung gleichermaßen prämiert.

¦ Wie binden Sie die neue Norm in ihreSysteme ein?

Hauk: Wir arbeiten nicht mehr nur mit

einem Qualitätsmanagement-System,sondern mit einem integrierten Manage¬ment-System, zu dem auch die

Arbeitssicherheit, der Umweltschutz und

das energieeffiziente Arbeiten gehört.Meine Abteilung schafft die entsprechen¬den Standards und führt die internen Au¬dits durch. Die Voraussetzung ist, dass

der Gedanke des integrierten Manage¬mentsystems an jedem Standort veran¬

kert sein muss.

¦ Wie sieht das in der Praxis aus?

Schönberg: Ein Beispiel: Bei der Dienst¬leisterbewertung wird nicht nur der Lie¬ferant bewertet, der wichtige Teile liefert,sondern auch der Betriebsarzt, der extern

eingekauft wird. Das ist ein und dieselbeDatei und das gleiche Bewertungsschema- und ein gutes Beispiel für das Thema

„integrierte Managementsysteme .

Hauk: Die Kernthemen sind ja grund¬sätzlich gleich: Sch u auf Deine Kom e¬tenzen, auf Deine Schulungen, auf DeineGefahren, Risiken und Chancen - nur dieZiele sind unterschiedlich. Und das istder Vorteil eines Integrierten Manage¬mentsystems: Wir können dann schnellswitchen und einfach den Fokus auf einThema legen - ohne den Blick für die an¬deren Themen zu verlieren.

¦ Mit welchen externen Partnern - etwa

Gewerbeaufsicht oder Berufsgenossen¬schaft - arbeiten Sie zusa en?

Schönberg: Schon in meiner Ausbildungzur Fachkraft zur Arbeitssicherheit durchdie Berufsgenossenschaft wurde ich da¬hingehend sensibilisiert, die externen Ex¬perten frühzeitig einzubinden. Zum Bei¬spiel bei Neubauten oder neuen Prozes¬sen - aber auch bei Problemen sind wir in

sehr engem Austausch mit den Berufsge¬nossenschaften.

Wir haben an allen Standorten Listen mitAnsprechpartnern erstellt, und wir füh¬ren regelmäßig Begehungen durch. Gera¬de bei neuen Geschäften, aber auch nachUnfällen gehen wir proaktiv auf die Be¬hörden zu. Wir teilen hier gerne unsereErfahrungen für andere Unternehmen.Umgekehrt erhalten wir auch wichtige In¬formationen und Lösungsansätze aus derBranche.

¦ Ein wichtiger Baustein zur Mitarbeiter-Qualifikation ist ja Ihre Lean- und Lern-Werkstatt. Was hat es damit auf sich?

Schönberg: Hier geht es zunächst um dieVermittlung logistischer Themen undProzesse. Aber auch der Arbeitsschutz istein wichtiger Bereich in allen Basis-Semi¬naren, die unsere Mitarbeiter besuchenmüssen. Das Thema begleitet sie ab dem

ersten Tag.

¦ Vielen Dank für das Gespräch.

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