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informationen 142 | 2012-4 »Waffenhandwerk schafft nur Unheil« | 2 Den Tätern Namen und Gesicht | 3 Rüstungsatlas München | 5 Traumatisierte Soldaten: Wenn der Krieg im Kopf weitergeht »Waffenhandwerk schafft nur Unheil«. Dieses Zitat aus Händels Alexander-Fest war das Motto eines Aktionskonzertes, das am 3. September 2012 in Oberndorf am Neckar stattgefunden hat. In elegan- ter Konzertkleidung musizierten 100 Mitglieder der Gruppe »Lebenslaute« gegen den weltweiten Klein- waffenhandel der Firma Heckler & Koch. Chor und Orchester versammelten sich bereits zum Schichtwechsel frühmorgens gegen 5 Uhr und blockierten mit Instrumenten und Notenständern unangemeldet die fünf Werkstore. Ihr Ziel: im Rah- men der »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffen- handel!« mit zivilem, musikalischem Ungehorsam den reibungslosen Betriebsablauf der Waffen- schmiede Heckler & Koch stören. In wechselnder Besetzung begrüßten die Musiker die zur Frühschicht eintreffenden Beschäftigten mit Kostproben aus ihrem musikalischem Programm. Die Belegschaft reagierte freilich mit zur Schau gestelltem Desinteresse auf das morgendliche Kon- zert an ungewohntem Ort. Das Open-Air-Konzert versperrte zeitweilig Liefer- wege und Eingänge zum Werk. Der Werkschutz lei- tete die Angestellten zum Haupttor um. Doch auch dort gelangten sie an diesem Morgen nur unter Be- gleitung von Schubert, Händel und Schostakowitsch an ihren Arbeitsplatz in der Waffenschmiede. Auf einen Räumungsversuch ließen es Heckler & Koch und die Polizei jedoch nicht ankommen. Beim Abschluss des Konzerts vor dem Haupttor be- rührten die »Lebenslaute« ihre 300 Zuhörenden aus nah und fern mit Können und Hingabe. Die Kon- zertaktion ermutigte diejenigen, die seit Jahren gegen die Kleinwaffenproduktion in ihrer Nachbar- schaft an die Öffentlichkeit gehen, auch zukünftig und verstärkt ihre Stimme gegen die Waffenproduk- tion und den Waffenhandel zu erheben. Paul Russmann

»Waffenhandwerk schafft nur Unheil«

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informationen142 | 2012-4

»Waffenhandwerk schafft nur Unheil«

| 2 Den Tätern Namen und Gesicht | 3 Rüstungsatlas München | 5 Traumatisierte Soldaten: Wenn der Krieg im Kopf weitergeht

»Waffenhandwerk schafft nur Unheil«. Dieses Zitataus Händels Alexander-Festwar das Motto eines Aktionskonzertes, das am 3. September 2012 inObern dorf am Neckar stattgefunden hat. In elegan-ter Konzertkleidung musizierten 100 Mitglieder derGruppe »Lebenslaute« gegen den weltweiten Klein -waffenhandel der Firma Heckler & Koch.

Chor und Orchester versammelten sich bereits zumSchichtwechsel frühmorgens gegen 5 Uhr und blo ckierten mit Instrumenten und Notenständernunangemeldet die fünf Werkstore. Ihr Ziel: im Rah-men der »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffen -handel!« mit zivilem, musikalischem Ungehor samden reibungslosen Betriebsablauf der Waffen-schmiede Heckler & Koch stören. In wechselnder Besetzung begrüßten die Musikerdie zur Frühschicht eintreffenden Beschäftigten mitKostproben aus ihrem musikalischem Programm.Die Belegschaft reagierte freilich mit zur Schau

gestelltem Des interesse auf das morgend liche Kon-zert an ungewohntem Ort.Das Open-Air-Konzert versperrte zeitweilig Liefer-wege und Eingänge zum Werk. Der Werkschutz lei-tete die Angestellten zum Haupttor um. Doch auchdort gelangten sie an diesem Morgen nur unter Be-gleitung von Schubert, Händel und Schostakowitschan ihren Arbeitsplatz in der Waffenschmiede. Aufeinen Räumungsversuch ließen es Heckler & Kochund die Polizei jedoch nicht ankommen. Beim Abschluss des Konzerts vor dem Haupttor be -rührten die »Lebenslaute« ihre 300 Zuhörenden aus nah und fern mit Können und Hingabe. Die Kon-zertaktion ermutigte diejenigen, die seit Jahrengegen die Kleinwaffenproduktion in ihrer Nachbar-schaft an die Öffentlichkeit gehen, auch zukünftigund verstärkt ihre Stimme gegen die Waffenproduk-tion und den Waffenhandel zu erheben.

Paul Russmann

Eines der Hauptanliegen der »Aktion Aufschrei –Stoppt den Waffenhandel!« ist es, den Tätern Nameund Gesicht zu geben. Täter – das sind zum einendie Mitglieder der Bundesregierung und die sie unterstützenden Abgeordneten der Regierungspar-teien. Täter – das sind aber auch die Eigentümer -familien und Großaktionäre der Rüstungsfirmen.

In zahlreichen Vortrags-, Podiums- und Diskussions-veranstaltungen wurden die Verantwortlichen be -nannt und ihre Politik und ihre Geschäfte ins Lichtder Öffentlichkeit getragen:

l 2 Aktion Info 142 l 2012-4 l

Den Tätern Name und GesichtAktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!

Ende August 2012 demonstrierten Aktivisten desPersonenbündnisses »Keine Leos für die Saudis«unter dem Motto »Krauss-Maffei Wegmann nachProtesten geschlossen« vor der Berliner Lobbyzen-trale des Panzerherstellers am Pariser Platz und vor dessen Werken in Kassel und München. In Fried-richshafen fand eine Kundgebung vor den Toren des Leopard-Motorenherstellers MTU statt. Undauch für die nahe Zukunft sind weitere Aktivitätengeplant: Während der Ökumenischen Friedens -Dekade 2012 im November soll über Waffenfirmeninformiert werden, die den Tod exportieren. Das»Zentrum für politische Schönheit« will mit »Archi-tektur Leben retten« und über Heckler & Koch einenSarkophag à la Tschernobyl bauen, damit »keineWaffen mehr entweichen« können. Täglich treffen in unserer Ge schäftsstelle Unter-schriftenlisten für ein grundsätz liches Verbot allerRüstungsexporte ein – insgesamt haben sich in -zwischen fast 60.000 Unterzeichner der Forderung der »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!«angeschlossen. Über www.ohne-ruestung-leben.de können Sie sichan der Unterschriftenaktion auch online beteiligenoder kostenlos Unterschriften listen bestellen.Veran -staltungshinweise und Hintergrund informa tio nenfinden Sie unter www.aufschrei-waffenhandel.de.

Paul Russmann

Demonstrationvor der Zentralevon Krauss-MaffeiWegmann in BerlinFoto: dpa

Bombengeschäfte. Tod made in Germany

»So lieferte Daimler unter anderem Sattelschlepper andie libysche Armee. Die Kritischen Aktionäre Daimlermachten das Geschäft … öffentlich. In einem Antrag zurDaimler-Hauptversammlung 2012 nannte Paul Russ-mann, Sprecher der Kritischen Aktionäre, Details desumstrit tenen Deals: 25 Militärtrucks des Typs Actros imWert von 7,5 Millionen Euro habe Daimler an Libyen geliefert. Im Krieg sollen Gaddafis Truppen die Spezial-fahrzeuge dann eingesetzt haben … für ihren Vor-

marsch gegen die Aufständischen in Richtung Bengasi.«Dies ist nur ein Beispiel für tödliche Waffenexporte, aufderen Spuren sich der Journalist Hauke Friederichs be -geben hat. Seine investigative Recherche führte ihn aufWaffenmessen und zu den Herstellern wie Daimler,Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall ebenso wie zu deren Kunden, etwa nach Saudi-Arabien, und in die Einsatz- und Kriegsgebiete. Ein brisanter Report über deutsche Rüstungs exporte.

Hauke Friederichs: Bombengeschäfte. Tod made in Germany, Residenz Verlag, St. Pölten 2012, 21,90 Euro.

l Info 142 l 2012-4 3 Hintergrund3 Hintergrund l

Acentiss GmbH, Ottobrunnwww.acentiss.de

Beschäftigt sich schwerpunktmäßig mitStrukturfestigkeitsprüfungen und derReduzierung von Strömungswiderstän-den im zivilen und militä rischen Bereich.

ADS GmbH, Münchenwww.ads-muc.com

Dienstleister u. a. im Flugzeugbau fürUnternehmen wie die EADS und denHubschrauberhersteller Eurocopter.

AeromaritimeSystembau GmbH, Neufahrn bei Freisingwww.aeromaritime.de

Entwickelt Kommunikationssysteme undFreund-/Feind-Erkennungssysteme fürSchiffe und Unterseeboote.

Aerotech Peissenberg GmbH & Co. KG, Peißenbergwww.aerotech-peissenberg.de

Ist als Zulieferer für Triebwerke tätig.

AID Technische DokumentationenGmbH & Co. KG, Ottobrunnwww.aid-gmbh.de

Erstellt technische Dokumentationenund bietet Dienstleistungen vorwiegendim Logistikbereich an.

Den meisten Menschen ist Mün-chen vor allem wegen seiner Bier-gärten, dem Oktoberfest oderseinem Fußballverein ein Begriff.Auch die schöne Landschaft undder Wohlstand sind typische Markenzeichen der Region. Dochnur die wenigsten wissen: DerGroß raum München ist eines derZentren der deutschen Rüstungs-industrie.

Der »Rüstungsatlas München«gibt einen Überblick über die inder Region München angesiedel-ten Rüstungsunternehmen. DieFirmen werden kurz beschrieben,Beteiligungen an Waffensyste-men dargestellt und die Endab-nehmerstaaten der Wehrerzeug-nisse soweit bekannt aufgeführt.Im folgenden dokumentieren wir Aus züge:

Rüstungsatlas München

Allied International Corporation, Penzing www.alliedinter.de

Fertigt unterschiedliche Produkte fürdie zivile und militärische Luft- undRaumfahrtindustrie.

Apparatebau Gauting GmbH, Gauting www.aoa-gauting.de

Das Produktportfolio umfasst u. a.Hochleistungsventilatoren, Sensor -systeme und Kraftstoffsystemkompo-nenten für die Luftfahrtindustrie.

Astrium GmbH, Taufkirchenwww.astrium.eads.net

Entwickelt und produziert die Träger -raketen für die französischen Atom-streitkräfte und ist einer der weltweitführen den Anbieter auf dem zivilen und militärischen Markt für Satelliten-systeme.

Cassidian, EADS Deutschland GmbH,Unterschleißheimwww.eads.com

Deckt die meisten Rüstungsaktivitätendes Mutterkonzern EADS ab.

CCO Creative Consulting GmbH, Feldkirchenwww.cco-germany.eu

Ein Dienstleister für die deutsche Si -cher heits- und Verteidigungsindustrie.

München ADS EPI Europrop International Euro-Art GKN Aerospace Kayser-Threde Krauss-Maffei Wegmann MTU Aero Engines Rohde & Schwarz TechConnect T-Systems International

Gauting Apparatebau Gauting Ottobrunn

Acentiss GmbH AID Technische Dokumentationen IABG

Unterschleißheim Cassidian, EADS Deutschland

Taufkirchen Astrium Philotech

Gilching Dannecker fine-tec Eaton Fluid Power

Fürstenfeldbruck ESG Elektroniksystem- und Logistik

Dornach e.sigma System

Halbergmoos EUROJET Turbo Panavia Aircraft

Weßling Garner CAD Technic RUAG Deutschland

Martinsried Goodrich SIS Rosemount Aerospace

Erding Test-Fuchs, Ing. Fritz Fuchs

Freising AeromaritimeSystembau Raytheon Deutschland

Mattsies GROB Aircraft

Poing INTEC Industrie-Technik

Riemerling MHR Vertrieb und Service

Unterföhring usb

Feldkirchen CCO Creative Consulting

Rüstungsunternehmen in der Region München

Nicht mehr im Kartenausschnitt enthalten:

Peißenberg Aerotech Peissenberg

Penzing Allied InternationalCorporation

Dannecker fine-tec GmbH, Gilchingwww.dftgmbh.de

Hat sich als Zulieferer für die Luft- undRaumfahrtindustrie auf Metall bearbei -tung spezialisiert.

Eaton Fluid Power GmbH, AerospaceGroup, Gilchingwww.aerospace.eaton.com

Fertigt u. a.Treibstoffsystem- und Luft -betankungskomponenten.

EPI Europrop International GmbH,München www.europrop-int.com

Ein Gemeinschaftsunternehmen für Ent-wicklung und Bau der TP400 Triebwerkefür das Transportflugzeug A400M.

ESG Elektroniksystem- und LogistikGmbH, Fürstenfeldbruck www.esg.de

Dienstleistungsunternehmen mit Aktivi -täten in den Bereichen Beratung, System-entwicklung, Logistik, Training, Technikund IT-Service.

e.sigma System GmbH, Dornachwww.esigma-systems.com

Fertigt u. a. Gefechtsfeldsimulatoren und Simulatoren für Luft verteidi gungs -systeme.

Euro-Art GmbH, MünchenWurde für die Entwicklung und Produk-tion des Artillerieortungsradar Cobra gegründet.

EUROJET Turbo GmbH, Hallbergmooswww.eurojet.de (in engl. Sprache)

Ist für die Entwicklung, den Betrieb undden Export des Eurofighter-Triebwerksverantwortlich.

Garner CAD Technic GmbH, Weßlingwww.garner.de

Dienstleistungsunternehmen für die in-ternationale Luftfahrtindustrie in den Be-reichen Engineering, Leiharbeit, techni-sche Publikationen sowie Entwicklungs-und Fertigungslösungen.

GKN Aerospace GmbH, Münchenwww.gkn-aerospace.com (in engl. Sprache)

Hat sich im Bereich der zivilen und militärischen Luftfahrtindustrie auf dieEntwicklung und Fertigung von Faser -verbund-Hochleistungskom po nentenspezialisiert.

Goodrich SIS Rosemount AerospaceGmbH, Martinsriedwww.goodrich.com/goodrich (in engl. Sprache)

Ist in den Bereichen Navigation und Flug -steuerung, Luftdaten-Computer, Fuel Management Systeme und Gyros tätig.

l 4 Hintergrund Info 142 l 2012-4 l

GROB Aircraft AG, Mattsieswww.grob-aircraft.com

Hat sich auf die Fertigung von Schul-und Trainingsflugzeugen spezialisiert.

IABG Industrieanlagen-Betriebs -gesell schaft mbH, Ottobrunnwww.iabg.de

Entstand auf Initiative des Bundes 1961als Analyse- und Testeinrichtung undist heute ein technisch-wissenschaft -liches Dienstleistungsunter nehmen.

INTEC Industrie-Technik GmbH & Co. KG, Poing www.inteckg.de

Fertigt Produkte und bietet Dienst leis -tungen für den zivilen und mili tä ri -schen Markt.

Kayser-Threde GmbH, Münchenwww.kayser-threde.com

Entwickelt und fertigt Systeme für diebemannte und unbemannte Raumfahrt,Optoelektronik und Prozessleittechnik.

Krauss-Maffei Wegmann GmbH & Co. KG, München www.kmweg.de

Ist der größte Produzent für Panzer-fahrzeuge in Deutschland.

MHR Vertrieb und Service GmbH, Riemerling www.mhr-gmbh.de

Dienstleister für Personalvermittlung,logistische Dienste, technische Doku-mentation, Entwicklung und Beratung.

MTU Aero Engines GmbH, Münchenwww.mtu.de

Führender deutscher Hersteller vonFlug zeugtriebwerken für den militäri-schen Bereich und für Luftfahrzeug -antriebe wichtigster Systempartner derBundeswehr.

Panavia Aircraft GmbH, Halbergmooswww.panavia.de

Wurde für die Entwicklung des Tornado-Kampfflugzeuges gegründet und istauch für dessen Modernisierung zu-ständig.

Philotech GmbH, Taufkirchenwww.philotech.de

Dienstleistungsunternehmen in denBereichen technische Softwareentwick-lung, Systementwicklung, Support En-gineering, Simulationen und Seminare.

Raytheon Deutschland GmbH, Freising www.raytheon.com (in engl. Sprache)

Hat sich auf Wartungs- und Instandset-zungsleistungen auf dem europäischenMarkt spezialisiert.

Rohde & Schwarz GmbH & Co KG,München www.rohde-schwarz.com

Bietet Produkte in den Bereichen Mess-technik, Rundfunk, sichere Kommunika-tion und Ortungs- und Überwachungs-technik an.

RUAG Deutschland GmbH, Weßlingwww.ruag.com

Integrator von Systemen und Kompo-nenten für die militärische Luftfahrt -industrie. Ist als Instandhaltungs-, Ent-wicklungs- und Herstellungsbetriebzugelassen und zertifiziert.

TechConnect GmbH, Münchenwww.techconnect.de

Entwicklungspartner für Unternehmenaus den Bereichen Luft- und Raumfahrt,Verteidigungstechnik mit Schwerpunktauf der Entwicklung von Hard- und Soft -ware für sicherheitskritische Systeme.

Test-Fuchs, Ing. Fritz Fuchs GmbH, Erding www.test-fuchs.com

Dienstleistungsunternehmen, dessenLeistungsspektrum Kalibrierung, Service, Wartung von Prüfanlagen undtechnische Unterstützung umfasst.

T-Systems International GmbH, Aerospace Department, Münchenwww.t-systems.com

Entwickelt und modernisiert Kommuni-kationssystem für zivile und militäri -sche Luftfahrzeuge. Das Unternehmenist Teil der Deutschen Telekom AG.

usb GmbH, Unterföhringwww.usb-muc.com

Hat sich als Dienstleistungsunterneh-men auf Systemanalyse und Beratungmit den Schwerpunkten Instandhal-tung, Systementwicklung und Imple-mentierung spezialisiert.

Niels Dubrow, Januar 2012

Der vollständige »Rüstungsatlas Mün-chen« wird von der Kampagne gegen Rüstungsexport bei Ohne RüstungLeben herausgegeben und kann kosten-los als Broschüre (nur Einzelexemplare)über unsere Geschäftsstelle (Ohne Rüstung Leben, Arndtstraße 31, 70197Stuttgart, Tel. 0711 608396, E-Mail [email protected]) oder als PDF unterwww.ohne-ruestung-leben.de/index.php?id=281 bezogen werden.

Bombenexplosionen, Gewehrsalven, Tote und Ver-wundete: Kriegsszenen wie diese kennen die meis-ten Menschen nur aus dem Fernsehen. Für viele Soldatinnen und Soldaten sind diese Bilder jedochunauslöschliche Realität. Sie sehen Kameraden ster-ben, werden selbst verwundet und erleben unvor-stellbares Leid. Zurück im Heimatland hört der Kriegfür sie nicht auf. Immer wieder laufen die Erinne-rungen wie ein Film vor dem inneren Auge ab, dieBilder fressen sich in Kopf und Seele, der Alltag wirdzum kaum überwindbaren Hindernis.Dieser Krieg im Kopf hat einen Namen: Psychologensprechen von einem Posttraumatischen Belastungs-syndrom (PTBS). Ohne psychologische Betreuungschaffen es die traumatisierten Soldaten kaum, das Erlebte zu verarbeiten. Im folgenden Text doku-mentieren wir die verheerenden Folgen der Kriegs-traumatisierung am Beispiel eines amerikanischesOpfers: Scott Ostrom war Soldat im Irak, das hat ihnzerstört. Der Fotoreporter und Pulitzerpreis trägerCraig F. Walker hat den jungen Amerikaner zehnMo nate lang begleitet.

Sein Krieg geht weiter

Scott Ostrom erinnert sich noch genau an diesenWerbespot, der ihn dazu veranlasste, Soldat zu wer-den. Es war eine Computeranimation; ein jungerMann mit groben Gesichtszügen und definiertenMuskeln kämpft in einer Arena gegen riesige Dra-chen, überspringt anrollende Feuerbälle und durch-läuft einen Parcours aus rotierenden Klingen. Als eres geschafft hat, trägt er plötzlich die Uniform der»Marines«, sein Blick ist fest, und im Hintergrund jubeln Menschenmassen. Eine Stimme aus dem

Off verspricht: »Die Army wird dich für immer ver-ändern.« Und ja, das hat sie wirklich.Als Scott an einem Sommertag in Parris Island alsMarine vereidigt wird, ist er 18, gesund und glück-lich. Und fühlt sich fast wie in dem Werbespot: Kon-fetti regnet auf die Soldaten nieder, die Hymne wirdgespielt, und hochdekorierte Männer halten Redenüber Stolz und Ehre. Den Highschoolabschluss hatteScott nur mit ganz üblen Noten geschafft, aber hierist er einer der Besten gewesen. Seine Eltern strah-len. Das erste Mal seit der Scheidung sieht Scott sienebeneinander stehen. Schon allein dafür hat es sichgelohnt. Aber nur ein paar Tage später bekommener und seine Kameraden den Ausrückbefehl. »Ichhoffe, ihr habt euch nicht verpflichtet, um umsonstaufs College zu gehen«, schreit ein Ausbilder sie an,»denn dann müsste ich euch enttäuschen. Ihr geht

kompaktTraumatisierte Soldaten

| Für immer verändert: krank und lebensmüde | Jede Straßenkreuzung wird zur Herausforderung | Ein Paradoxon im Kopf

Wenn der Krieg im Kopf weitergeht

Foto: dpa

in den Irak.« Scott hatte keine Ahnung, was das ist:Irak. Er wusste nicht mal, dass sich Amerika im Kriegbefindet. Wenige Wochen später ist er mittendrin:rennt, springt, schießt und tötet. Zu diesem Zeit-punkt, im Sommer 2003, hatte Bush den Krieg be-reits für siegreich beendet erklärt. Saddam Husseinwar gestürzt. Die besten Nachrichten waren alsoschon verkündet. Es sollten nur noch schlechte fol-gen: von Sadisten aus Abu Ghraib oder von schieß-wütigen Soldaten in einem Apache-Helikopter.

Für immer verändert: krank und lebensmüde

Heute, im Frühjahr 2012, hängt eine riesige Welt-karte über Scotts Sofa. Jedes Land, das er schon besucht hat, hat er mit einem bunten Fähnchenmarkiert: Australien, England, Costa Rica. Nur dort,wo der Irak liegt, hat Scott einen Totenkopf-Pin indie Karte gesteckt. Zweimal ist er dort gewesen, erst nur für vier Monate, dann noch mal für sieben.2007 wurde er mit Ehren aus dem Militärdienst entlassen, zu Hause auf seinem Nachttisch in Boul-der, Colorado, liegt sogar eine Medaille für »gutesVerhalten im Krieg«. Aber zugejubelt hat ihm da-nach keiner. Und seinen festen, sicheren Blick hat erauch verloren. Er ist gebrochen. Kann nachts nichtschlafen, hat Albträume, tagsüber sind es Flash -backs oder Panikattacken, die fast immer in Gewalt-ausbrüchen enden.

l Traumatisierte Soldaten kompakt l

Polizisten hat er in diesem Rausch schon verprügelt,Sanitäter, und in seiner Wohnung ist in fast jederTür ein faustgroßes Loch. Einmal hat er sich wäh-rend eines Wutanfalls sogar selbst die Hüfte gebro-chen. Sein Leben besteht nun aus Therapiesitzun-gen, Untersuchungen im Veteranen-Krankenhausund Gerichtsverhandlungen. Die Armee hat ihnwirk lich für immer verändert: Scott ist jetzt 27, krankund lebensmüde.

Aber was das Schlimmste ist: Er, der ja kein einfa-cher Soldat war, sondern Teil einer Elite-Truppe, hat sich nicht mehr unter Kontrolle. Geräusche und Gerüche lösen in ihm Kriegserinnerungen aus und bringen ihn schlagartig zurück in die irakischeWüste. Eine Szene verfolgt ihn täglich: Scott sitztam Steuer, alles im Griff, meilenweit niemand zusehen, es ist ein heißer Sommertag 2006, irgend-wo bei Falludscha. Auf einmal wird ihr Wagen voneiner IED, einem selbst gebauten Sprengsatz, ge trof -fen, Scott wird aus dem Wagen geschleudert, dasNächste, was er sieht, sind ein Arm, der aus dembrennenden Wrack nach ihm ausgestreckt wird, undzwei Augen, die ihn angucken, während das Gesichtdrum herum schon in Flammen steht, Scott kannsich nicht rühren, das brennende Gesicht schreit,dann endlich explodiert der Wagen, die Schreie hö ren auf.

Behandlungsfälle der Posttraumatisierten Belastungs störung (PTBS) bei Soldatender Bundeswehr

100 121 83149

245

466

729

2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011

Immer mehr Soldaten gehen in Behandlung, dasie z. B. von Auslandseinsätzen traumatisiert zurückkehren. Im Jahr 2011 ließen sich laut Bun-deswehr bereits 922 Soldaten neu behandeln.Der Anstieg der Neuerkrankungen nimmt weiterdeutlich zu: bis zum 12. Juli 2012 wurden bereits579 neue Fälle gemeldet. Laut der Bundeswehrmelden sich seit geraumer Zeit die Betroffenenvermehrt. Dennoch bleibt unklar, wie hoch dieDunkelziffer ist.

922

l Traumatisierte Soldaten kompakt l

Der ehemalige Elite-Soldat weint

Scott weint, wenn er das erzählt. Keine leisen Trä-nen, sondern mit dem ganzen Körper. Immer wiederfährt er sich mit dem harten Stoff seiner Cordjackeüber die Augen und lässt dort gereizte Haut zurück.Dass er seinem Kameraden nicht helfen konnte, das sei seine große Schuld, die er für immer tragenmüsse, sagt er und sackt noch einmal zusammen.Vor zwei Jahren wurde ihm die Schuld zu schwer. Da hat er eine Schere aus der Schublade seiner Kü-chenzeile genommen und sie sich in den Hals ge-rammt. Er wusste nicht genau, wo er hinstechenmuss, damit er stirbt, also hat er einfach möglichstfest gestoßen. Aber er lebte immer noch. Danachhat er ein Messer genommen und sich entlang derPulsader einen Schlitz in den linken Unterarm geritzt. Aber auch das hat ihn nicht umgebracht.

Viele andere überleben das Nach-Hause-Kommennicht. Im Irak gefallen sind 4.486 amerikanische Soldaten, nach ihrem Einsatz selbst getötet habensich 2.676. Diese Männer und Frauen haben ihreletzte Schlacht irgendwo in Iowa, Texas oder Colora -do gekämpft und verloren. Und sehr viele kämpfenimmer noch – gegen die Folgen des Kriegseinsatzes.So wie Scott. Laut staatlich in Auftrag gegebenenStudien entwickelt jeder fünfte Heimkehrer einKriegstrauma. Unabhängige Hochrechnungen ge hensogar von jedem dritten aus. Veteranen, die im Kriegfunktioniert haben und zurück in der Heimat erstkrank werden.

Im Irak war es eigentlich ganz okay, sagt auch Scott.Er sei ein guter Marine gewesen, schnell, wendig,leise und effizient. »Swift, Silent, Deadly« – das wardas Motto seines Bataillons. Es war also klar, was zutun war, und er hat es, verdammt noch mal, ordent-lich ausgeführt. »Ich habe keine Unschuldigen ge -tötet, und wenn, dann nur, weil sie im Weg standen.Manchmal ein paar Hunde und Hühner, aber dashaben die einheimischen Kinder auch gemacht. Erredet gerne so lässig vom Töten. Am liebsten vor anderen Veteranen und meistens mittwochs nachder Gruppentherapie. Ihr Psychologe Michael Panta-leo bringt sie dort immer zum Weinen, indem er sie auffordert, nur zu erzählen, was sie quält. Völligfertig gehen die jungen Männer danach immernoch Bier trinken und erzählen sich wie zum Trotzgegenseitig die Geschichten, die sie stolz machen.

Kehrtwende gefordert

Ihre Vorgesetzten im Irak hatten ihnen immer ver-sprochen, ganz Amerika freue sich auf ihre Heim-kehr. In Wahrheit aber ist die Bevölkerung gespalten:Die eine Hälfte sagt, sie sei immer gegen diesenKrieg gewesen. Und die andere Hälfte sagt, derKrieg habe sich als Fehler herausgestellt. Nicht ge -nug, dass er ohne Mandat des UN-Sicherheitsratsbegonnen wurde, auch die Massenvernichtungs-waffen, immerhin Präsident Bushs offizieller Kriegs-grund, wurden nicht gefunden. Amerika hat sichblamiert und musste vor den Augen der Weltöffent-lichkeit wenigstens eine halbwegs stabile Nationetablieren. Das hat acht Jahre und sieben Monategedauert, über 80 Milliarden Dollar und 4.486 ame-rikanischen Soldaten das Leben gekostet. Die meis-ten Toten in diesem Krieg aber waren Zivilisten. Invertraulichen US-Korrespondenzen aus den Jahren2004 bis 2009, veröffentlicht auf WikiLeaks, tau-chen 66.081 zivile Opfer auf. Und die vielen Doku-mente und Videos unter dem Stichwort »Mord imIrak« belegen auch: Die wurden nicht alle aus Ver -sehen getötet.

Dumm ist Scott nicht. Er weiß, was die Gesellschaftvon ihm verlangt: eine Läuterung. Eine Kehrtwende.Er soll Abstand von dem Militäreinsatz nehmen. So wie sie es auch getan hat. Oder wenigstens nichtmehr so viel davon sprechen. Aber für ihn ist dasnicht ganz so einfach. Er hat vier Lebensjahre her -gegeben, seine besten vielleicht, seine Gesundheitsowieso, er hat für die Sache getötet, und nicht we-nige Kameraden sind sogar dafür gestorben. »Ichwürde so gerne stolz sein, aber ich darf nicht«, sagt

er. Das zeigt ihm sein Land jeden Tag. Er versucht es trotzdem weiter, etwa im Gerichtssaal, wo sichScott wegen tätlichen Angriffs auf zwei Polizistenverantworten muss. Ob er noch etwas zu seinerVerteidigung zu sagen habe, fragt die Richterin,die erhöht hinter einer hellbraunen Holzverklei-dung sitzt. Er sei ein Marine, und er habe seinemLand gedient, sagt Scott. Gerade will er anfangen,zu erklären, warum er manchmal ausrastet undwas das genau mit welchen Gerüchen zu tun hat,aber die Richterin Norma Sierra unterbricht ihn:»Fein«, sagt sie nur, ohne ihn anzuschauen, undvertagt das Urteil erneut.

Jede Straßenkreuzung wird zur Herausforderung

Direkt nach seiner Rückkehr aus dem Krieg hatScott angefangen, seine Trigger, jene Reize, die beiihm Panik auslösen, zu sammeln und in einer Listeim Handy zu speichern: Der Geruch von Benzinbei Hitze, der Geruch von verbranntem Fleisch – er meidet im Restaurant Tische nahe der Küche –genau wie Hinterhöfe mit Mülltonnen, auf dielange die Sonne geschienen hat. Tabasco generell,weil er den im Irak über jede Mahlzeit gekippthat. Den letzten Schluck Wasser aus einer warmenPlastikflasche. Feuerwerke natürlich. Diese Listeist über die Jahre immer länger geworden – unddie notierten Trigger immer alltäglicher. Am Endereichen schon ein Hupen oder eine wuchtig zu -geschlagene Autotür, und Scott zittert. Da wirdjede Straßenkreuzung zur Herausforderung.

Erst im Winter 2011, vier Jahre nach seiner Rück-kehr und kurz bevor die letzten amerikanischenSoldaten aus dem Irak abgezogen wurden, suchtScott psychologische Hilfe im Krankenhaus für Veteranen in Denver. Er will sich für eine Therapieanmelden, aber die Ärzte behalten ihn gleich da.Plötzlich geht es darum, sein Leben zu retten, erwiegt nur noch 63 Kilo bei einer Größe von 1,86,kann nicht mehr schlucken, hat Heulkrämpfe, zit-tert die ganze Zeit. Sie behandeln ihn stationär.Danach melden sie Scott für Einzel- und Gruppen-therapien an, ordnen Psychopharmaka an, über-weisen ihm eine Soforthilfe von 20.000 Dollar,und auch sein monatlicher Rentensatz wird er-höht, er liegt jetzt bei 2.700 Dollar. Sein Leid wirdanerkannt. Der Staat kümmert sich.

l Traumatisierte Soldaten kompakt l

Ein Paradoxon im Kopf

Trotzdem macht es diese offizielle Diagnose erstrich tig kompliziert für Scott. Jetzt hat er es schwarzauf weiß: Sein eigener Körper arbeitet gegen ihn. Er leidet an einer Posttraumatischen Belastungs-störung. Sein Gehirn reagiert – mit Verzögerung –auf die Angst, Furcht und Hilflosigkeit, die er wäh-rend des Krieges empfand. [...] Aber wie kann er einTrau ma davongetragen haben, wenn er doch so gut funk tioniert hat da drüben? Sein Gehirn meldetVerletzungen, von denen Scott gar nicht bemerkthat, dass er sie sich zugezogen hat. Ein Paradoxon im eigenen Kopf.

Dass er nicht als Held gefeiert wird, damit konnte erleben – solange er sich selbst sicher war, das Richtigegetan zu haben. Aber wenn Scott an seine Handlun-gen die Maßstäbe einer Zivilgesellschaft anlegt,dannist er womöglich ein Mörder, mindestens aber einLeichenschänder. Und woher hatte sein Bataillons-führer eigentlich so genau gewusst, wer Aufständi-scher und wer Zivilist ist? Und was ist, wenn der sichnicht nur im Einzelfall geirrt hat, sondern wenn wirk-lich dieser ganze Krieg illegitim war? Dann waren ja alle Befehle ohne Grundlage. Und nur sie sind esdoch, die zwischen ihm und der Schuld stehen. Siesind die Mauer, die ihn schützt. »Befehl ist Befehl«,murmelt er. Und weil ihn das selbst nicht überzeugt,sagt er dann noch: »Das waren schlechte Menschen.«Klingt auch irgendwie blöd. Er merkt es selbst undlächelt. Aber eine andere Antwort geht gerade nicht.

Mit diesem Text dokumentieren wir einen Artikel von Lara Fritzsche aus dem ZEITmagazin, 30. August 2012, Nr. 36 in gekürzter Form. Quelle: www.zeit.de/2012/36/Scott-Ostrom-Soldat-Irak/ komplettansicht

Dieses Faltblatt der Reihe »kompakt« kann in gedruckter Form (solange der Vorrat reicht) oder als PDF kostenlos über unsere Geschäftsstelle (Ohne Rüstung Leben, Arndtstraße 31, 70197 Stutt-gart, Telefon 0711 608396, E-Mail [email protected]) bezogen werden.

In der Reihe »kompakt« veröffentlichen wir Kurzbeiträge zu aktuellen friedenspolitischen Themen.© und Bezug: Ohne Rüstung Leben, Arndtstraße 31, 70197 Stuttgart, Telefon 0711 608396, Fax 0711 608357, E-Mail [email protected], ohne-ruestung-leben.de.Spendenkonto: Ohne Rüstung Leben, Evangelische Kreditgenossenschaft, Konto 416 541, BLZ 520 604 10, IBAN DE96 5206 0410 0000 4165 41, BIC GENODEF1EK1.Ohne Rüstung Leben ist Träger des Göttinger Friedens-preises 2011.

l Info 142 l 2012-4 9 Aktion l

Mit einer fragwürdigen Werbe-kampagne will die Bundeswehrneue Rekruten gewinnen: Mäd-chen und Jungen ab 16 Jahren kön -nen sich für ein »BW-AdventureCamp« entweder auf Sardinienoder bei den Gebirgsjägern in denAlpen bewerben und sollen aufdiese Weise ihren potenziellenArbeitgeber kennenlernen. Ge-worben wird mit Slogans wie»Action, Adrenalin, Aben teuer«oder »Coole Beach-Partys, crazyStrandspiele und jede MengeFun«.

Verstoß gegen die UN-Kinder-rechtskonventionUnterstützt wird die Bundeswehrvon der Jugendzeitschrift Bravo,die die Kampagne u. a. auf ihrerInternetseite, auf Bravo WebTVund Bravo Sport.de ver öffentlicht.Da die Zielgruppe der Bravo zwi-schen 10 und 19 Jahre alt ist, ver-stößt diese Werbung gegen dieUN-Kinderrechtskonvention. Lautdieser dürfen Minderjährigegrundsätzlich nicht für den Mili-tärdienst angeworben werdenund sollen zu Frieden, Toleranzund Völkerverständigung erzogenwerden.Die Kinderrechtsorganisation terredes hommes fordert deshalb,dass sich die Bundeswehr beiihrer Nachwuchswerbung auf Er-wachsene beschränkt. Kinder und Jugendliche sind leicht be-einflussbar und können kaumeinschätzen, was eine Verpflich-tung bei der Bundeswehr und für die damit verbundenen Auslands-einsätze für sie bedeuten könn-ten – schon gar nicht, wenn sie

irreführend informiert werden.Dass Soldaten bei Kriegseinsätzenhohen Risiken ausgesetzt sindund dabei unter Umständen Men -schen töten müssen, wird in denWerbekampagnen der Bundes-wehr nämlich nicht thematisiert.

Protestaktion zeigt WirkungDie Protestaktion der Kinder -rechts organisation terre deshommes gegen die Werbekam -pagne zeigt Wirkung. Etwa 3.000Menschen haben Protest-E-Mailsan die Bundeswehr und die Bravogesendet. Das Institut für Me-dienverantwortung hat gemein-sam mit dem Radiosender KenFMeine Beschwerde beim DeutschenWerberat und bei der Bundesar-beitsstelle Jugendschutz gegendie Bundeswehr-Werbung in derBravo eingelegt. Darin ist von

»bewusster Verharm lo sung vonKrieg«, »grober Täuschung« und»im weitesten Sinne vorsätz -lichem Betrug« die Rede.Einer der umstrittenen Video-Werbespots der Bundeswehrkam-pagne wurde inzwischen vomNetz genommen – ein erster Er-folg der massiven Proteste. DieWerbeanzeigen und weitere ähn-liche Spots der Kampagne sindaber weiter bei www.bravo.de, beiBravo Sport.de und Bravo Web TVsichtbar (Stand: 8. Oktober 2012).

Unterstützen Sie die Aktion vonterre des hommes und senden Sie Protest-E-Mails an die Bravo-Redaktion und den Verteidigungs-minister. Die Teilnahmemöglich-keit zur Aktion finden Sie unterwww.tdh.de/protestaktion.Paul Russmann

Action, Adrenalin, AbenteuerBundeswehr wirbt um Minderjährige

Die Kampagne »atomwaffenfrei.jetzt« wendet sich gegen einenweiteren Verbleib der US-Atom-waffen in Deutschland. Die Bundesregierung hat bereits imKoalitionsvertrag 2009 erklärt,sich für den Abzug dieser Reliktedes Kalten Krieges einzusetzen.Auch der Bundestag bestätigtedieses Ziel in einem überpartei -lichen Beschluss vom 26. März2010. Diese Entscheidungen müssen nach wie vor umgesetzt werden.

Doch die NATO hat beim Gipfel in Chicago im Mai 2012 keinenKonsens über den Abzug derAtom waf fen erzielen können.Schlim mer noch: Das Bündnis beschloss, eine nukleare Allianzzu bleiben, solange es Atomwaf-fen gibt. Es hat aber auch erklärt,dass es die Möglichkeit gibt, dieZahl der US-Waffen in Europa zu reduzieren und dass das Bünd-nis entschlossen ist, »eine sichereWelt für alle anzustreben und die Bedingungen für eine Weltohne Kernwaffen zu schaffen«.

Die NATO verschwieg in Chicagodie Absicht der USA, ihre B61-Bomben (wie sie auch in Büchelstationiert sind) umfassend zumodernisieren.Die Kampagne »atomwaffenfrei.jetzt« fordert deshalb alle politi-schen Parteien auf, noch vor derBundestagswahl im Jahr 2013 inihren Wahlprogrammen zu erklä-ren, dass die Fraktionen sich inder nächsten Legislaturperiodemit Nachdruck für eine vertrag -liche Ächtung aller Atomwaffenweltweit einsetzen werden. Als erster Schritt muss der sofor-tige Abzug der Atomwaffen ausDeutsch land umgesetzt werden. Beide Vorhaben – die vertraglicheÄchtung aller Atomwaffen wieder Abzug – sollen im Koali tions -vertrag festgeschrieben sein. Darüber hinaus fordert »atom-waffenfrei.jetzt«: Es dürfen wederHaushaltsmittel für die Aufrecht-erhaltung der Infrastruktur nochfür eine Modernisierung der Trä-gerflugzeuge für Atomwaf fen inDeutschland genehmigt und aus-gegeben werden.

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Ein Tornado-Kampf -jet der Bun des -luftwaffe startetvom Fliegerhorst in BüchelFoto: dpa

Das Projekt B61-12Die deutsche Regierung hat sichin Chicago damit einverstandenerklärt, dass die US-amerikani-schen Atomwaffen vorerst inDeutschland bleiben können. Siehofft, trotz fragwürdiger Aus -sichten, dass diese Waffen in dernächsten Runde amerikanisch-russischer Abrüstungsgesprächeüberflüssig werden. Zugleich widerspricht sie aber den Moder-nisierungsplänen der USA nichtöffentlich und meint, das sei eine nationale Angelegenheit derUSA.Unter dem Vorwand einer »Le-bensdauerverlängerung« der B61-Bomben entsteht eine ganzneue Bombe, die B61-12. PräsidentObama hatte versprochen, dassdie USA keine neuen Atomwaffenbauen werde. Doch die Pläne derUS-Atomwaffenbehörde zeigen,dass die B61-Bombe so weit mo-dernisiert werden soll, dass sieneue Einsatzmöglichkeiten bietetund viel flexibler genutzt werdenkann als die bisherigen Atom -waffen. Damit gewinnt die B61-

Abzug statt Modernisierungatomwaffenfrei.jetzt

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Bombe der neuen Generation anmilitärischem Nutzwert und vergrößert die Rolle, welche dieAtomwaf fen zukünftig spielenkönnten.Die B61-12 soll das Nachfolgemo-dell für vier verschiedene Versio-nen der bisherigen B61-Bombenwerden: für die taktischen Versio-nen B61-3, B61-4 und B61-10 so -wie für die strategische VersionB61-7. Nach der Modernisierungwird nicht mehr zwischen der»taktischen« und der »strate -gischen« Version differenziert, eswird nur noch eine Version geben.Allein über das Trägerflugzeug –Bomber oder Jagdbomber – kanndann noch unterschieden wer-den, welchem Zweck die Waffedienen soll.

Lenkwaffen statt »dumme«AtombombenDie bisherigen »dummen« Atom-bomben sollen zu Lenkwaffenum gerüstet werden. Nicht jedesTeil der Bombe wird dabei durchein neues ersetzt, vielmehr sollenvorhan de ne nukleare Komponen-ten teils wieder verwendet, teilsmodernisiert oder möglichst originalgetreu nachgebaut wer-den. Wich tiger sind Weiterent-wicklungen anderer Komponen-ten, die die Bomben lenkbar,prä ziser und zielgenauer machen.Dann könnten die Bomben miteiner geringeren Sprengkraft diegleichen Ziele zerstören wie zuvordie viel größeren Bomben derVorgängerversion. Da die B61-12 ihr Ziel präziser treffen wird, würde ihr Einsatzweniger sogenannte »Kollateral-schäden« verursachen. Der radio -aktive Fallout wäre geringer alsbei einer Bombe mit größererSprengkraft. Das Argument sug-geriert jedoch, dass man die neueBombe bedenkenloser einsetzenkönne. Dabei wird offiziell argu-

mentiert, sie sei nur zur »Abschre -ckung« da. Die Hemmschwellegegen einen Atom waffeneinsatzkann damit jedoch sinken und dieVersuchung, solche Atom waffentatsächlich einzusetzen, könntesteigen.

Ein schlechter DealDer Modernisierungsplan für dieB61 gehört zu einem Deal, denUS-Präsident Barack Obama imJahr 2010 mit den Republikanerngeschmiedet hat, um sicherzu-stellen, dass der neue START-Ver-trag (Strategic Arms ReductionTreaty: Vertrag zur Verringerungstrategischer Waffen) mit Russ-land in Kraft treten konnte. Ohnediesen Vertrag hätte Obamanichts in der Hand, womit er ar-gumentieren könnte, dass erseine Vision einer atomwaffen-freien Welt – die er in Prag imApril 2009 verkündete – wirk lichverfolgt. Für dieses Versprechenhat er im selben Jahr den Frie-densnobelpreis erhalten. Doch für die Zustimmung der Re-publikaner musste Obama einen

sehr hohen Preis bezahlen: Er ver-sprach, alle noch aktiven Atom-sprengköpfe und deren Träger -systeme so zu modernisieren,dass sie bis weit in die zweiteHälfte dieses Jahrhunderts mo-dern bleiben.

Was aber heißt das für die Visioneiner atomwaffenfreien Welt?Soll es bis dahin noch 30, 50 oder70 Jahre dauern? Wenn die atom-waffenfreie Welt eine glaubwür-dige Vision werden soll, dann darfdie Lebensdauer von Atomwaffennicht verlängert werden, son-dern es muss deren vollständigeAbschaffung vorangetrieben werden.

Xanthe Hall, Otfried Nassauer,Angelika Wilmen

Aus: IPPNW aktuell, 27. September 2012, Information der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärztein sozialer Verantwortung

Laut der Studie des Berliner Informations-zentrums für Transatlantische Sicherheit(BITS) soll die technische Entwicklungder neuen Waffe noch in diesem Jahr be-ginnen. Dafür habe die US-Regierungbeim Kongress für 2013 ein Entwicklungs -budget in Höhe von 361 Millionen US-Dollar beantragt. Die Gesamtkosten desVorhabens werden inzwischen auf achtbis zehn Milliarden US-Dollar geschätzt.Die BITS-Studie hat einen Umfang von 60 Seiten und entstand mit Unterstüt-zung von DFG-VK, Friedens- und Begeg-nungsstätte Mutlangen, IPPNW, OhneRüstung Leben, pax christi Deutschlandund dem Verein der Linken im Bundes-tag. Sie kann unter http://www.ohne-ruestung-leben.de/index.php?id=282kostenlos bezogen werden.

BITS-Studie »Atomwaffen-Modernisierung in Europa. Das Projekt B61-12«

l 130 3 l2009 12 Hintergrund linformationen142 | 2012-4

Inhalt

1 | TitelKonzertblockade: »Waffenhandwerkschafft nur Unheil«

2 | AktionDen Tätern Name und GesichtAktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!

2 | BuchbesprechungBombengeschäfte. Tod made in Germany

3 | HintergrundRüstungsatlas München

5 | kompaktTraumatisierte Soldaten: Wenn der Krieg im Kopf weitergeht

9 | AktionAction, Adrenalin, AbenteuerBundeswehr wirbt um Minder-jährige

10 | AktuellAbzug statt Modernisierung: atomwaffenfrei.jetzt

Liebe Leserin, lieber Leser,

bald ist es soweit: Der StuttgarterFriedenspreis 2012 wird am 22. November an die »Aktion Auf-schrei – Stoppt den Waffenhan-del!« verliehen. Für Ohne RüstungLeben ist dies, nach dem Göttin-ger Friedenspreis 2011, bereits diezweite Auszeichnung für un serEngagement gegen Rüstungsex-porte. Ermutigt durch diese Aus-zeichnungen und gestärkt durchIhre Spende zum Jahresende können wir die nächsten Schritteauf dem Weg des Friedens gehen.

Unsere Schwerpunkte im Jahr 2013

»Aktion Aufschrei – Stoppt denWaffenhandel!«: Fortführung der Kampagne fürein grundsätzliches Export -verbot für Kriegswaffen undRüstungs güter

atomwaffenfrei.jetzt: Abzug statt Modernisierung der letzten 20 US-Atomwaffen ausDeutschland

Impressum

HerausgeberOhne Rüstung LebenArndtstraße 31 70197 StuttgartTelefon 0711 608396E-Mail [email protected]

Verantwortlicher RedakteurPaul Russmann

Gestaltung, Satz, KorrektoratAtelier SternsteinJ. Sternstein | M. Witthoeft

DruckUWS-Druck, Stuttgart

Auflage: 18.000

Ohne Rüstung Leben ist Träger desGöttinger Friedenspreises 2011.

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Zeitungs-

bund Nr.

Schulfrei für die Bundeswehr:Kündigung der Kooperations-verträge zwischen Bundeswehrund den Kultusministerien

Im Kreuzfeuer der Kritischen Aktionäre: Die Rüstungsproduktion beiDaimler und der EADS

Ihr Paul Russmann

Paul RussmannFoto: Privat