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Walter Geissberger alias Capra montes

Walter Geissberger alias Capra montes · dazugehört und viel Capra montes darin. Warum die Farbe der Gestaltungselemente Blau ist, werden Sie in die-sem Werk erfahren. Nicht überladen

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Walter Geissberger aliasCapra montes

Walter Geissberger alias

Facharbeit über den Künstler Walter GeissbergerVerfasser: Christian Heimann; Klasse: BMSB 3A; Fach: Kunst und Kultur;Entstehungsperiode: Herbstsemester 2007; Fertigstellung: Januar 2008;

betreuende Lehrperson: Ruggero Ponzio Aufl age: 50 Exemplare; signiert und numeriert

ImpressumUrheberrechte: Christian Heimann, Saanen; Walter Geissberger, Ittigen

Satz, Fotos, Texte: Christian Heimann, SaanenKorrektorinnen: Renate Seitz, Gstaad; Dorothee Kesselring, Saanen

Druck: Müller Marketing & Druck AG, GstaadGebunden: Rosé-Marie Moser, Atelier für Buch & Bild, Gstaad

«Für alle, die ihr inneres Kind bei Laune halten.»

«Hier wohnt ein Spinner.» Walter Geissberger

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Überblick

Inhaltsverzeichnis

Vorwort Ansprüche, Begründungen und sonstige Hindernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Biografi e Walter Gottlieb Geissberger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

Atelier Kunst? – Qnst! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

Interview «Die Idee entsteht erst, wenn ich etwas in die Finger nehme.» . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

Werkbeschreibung Discohai & Loipenhecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

Werkinterpretation Zwei von Land unter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

Nachwort Gereicht hat es . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

Anhang Weiteres zur Arbeit, zum Künstler und vom Macher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

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Vorwort

Ansprüche und sonstige Hindernisse

Mein inneres Kind ist höchstwahrscheinlich schuld an der Wahl der Kunstgattung, der mein Künstler angehören sollte. Künstler, die «nur» zwei-dimensionale Arbeiten machen, hatten gar keine Chance, in die engere Auswahl zu kommen. Verspielt, witzig, geistreich, greifbar –das waren die Ansprüche an die Werke des Künstlers. Konkrete Vor-stellungen, wer dieser Künstler namentlich sein könnte, standen keine im Raum.

Über den Begriff «kinetische Kunst»1 fi el ich auf einen Künstler aus der Nordost-Schweiz. Nach der ersten Kontaktaufnahme schien es, als ob ich «meinen» Künstler gefunden hätte. Doch vor dem ersten Treffen wollte ich gut vorbereitet sein. So wurde es Ende Oktober und ich star-tete – bereit das Projekt richtig in Angriff zu nehmen – eine Anfrage nach einem Interview-Termin. Auf Grund der Arbeitssituation des Künstlers bot er mir drei mögliche Daten an: 24. und 25. Dezember, dazu noch den 2. Januar. Erstens sehr ungünstige Daten hinsichtlich der schweizerischen Feiertagsbelegung und zweitens Daten, die dem Abga-

1 Kinetische Kunst ist ein spezieller Bereich der Objektkunst. Dieser beinhaltet alle Objekte, die

durch bewegliche Elemente für besondere optische und manchmal sogar akustische Reize sor-gen. Der bekannteste Schweizer Künstler, welcher kinetische Objekte geschaffen hat, ist Jean Tinguely. Kinetische Objekte können simple Mobile oder Stabile sein, aber auch zum Beispiel Menschen-Nachahmungen, die Bewegungsabläufe imitieren, oder Automaten, die nicht auf die

technisch notwendige Komplexität zur Erfüllung einer Aufgabe beschränkt sind.

betermin schon bedenklich nahe kamen. Deshalb musste schnellstmög-lich eine Lösung her, das heisst ein neuer Künstler. Vitamin B sei Dank, schlug mir Ruggero Ponzio, nach dem Darlegen meines Problems, einen Bekannten seinerseits vor: Walter Geissberger alias Capra montes.

«Mein» KünstlerEs war nun schon November. Auf der Homepage von Walter Geissber-ger liessen sich sehr viele seiner Werke betrachten, so war es möglich, eine Idee von dem zu bekommen, was er macht – und vor allem wurde mir schnell klar: Den muss ich haben, der soll «mein» Künstler sein. Beeindruckt von vielen seiner Werke und mit ein wenig Ehrfurcht fand die erste Kontaktaufnahme mit Walter Geissberger statt. Ein erstes Tref-fen in seinem Atelier konnte ausgemacht werden und die Vorfreude auf das Vorhaben wurde grösser und grösser.Am 5. Dezember war es dann so weit. Walter «Wale» Geissberger emp-fi ng mich in seinem Atelier. Mit Kamera, Neugier und Unbekümmert-heit ausgerüstet fand das erste Handshake statt. Eine Schlossführung2 war ebenso ein Bestandteil des ersten Besuchs wie auch das Abfotogra-fi eren einiger seiner Werke und ein ausgiebiges Gespräch mit ihm, durch welches ich schon einmal eine richtige Ahnung davon bekam, wen ich da vor mir hatte, und was mir half, ein gutes Interview vorzubereiten.

2 eine gründliche Führung durch sein zweistöckiges Atelier

12 Vorwort

WerkauswahlBei diesem ersten Besuch hielt ich auch Ausschau nach dem Werk, welches ich beschreiben sollte. Im Atelier konnte ich noch keine Wahl treffen. Erst beim Durchsehen der gemachten Fotos stach mir ein Werk in die Augen: Discohai und Loipenhecht. Den Ausschlag gegeben hat wohl die rote Farbe der Flossen des Loipenhechts. Doch das war nicht alles. Die stimmige und geniale Komposition der verschiedensten Be-standteile wie auch der Name des «Pärchens»1, taten das Ihrige dazu.

Das Werk, welches Sie gerade in den Händen halten, ist eine Facharbeit mit der Aufgabe einen Künstler zu dokumentieren, eine Werkbeschrei-bung und eine Werkbetrachtung anzufertigen. Beim ersten Treffen mit Walter Geissberger habe ich ihm versprochen, dass das Endprodukt ein Buch sein wird. Dieses Versprechen wollte ich natürlich unter keinen Umständen brechen. So galt es, ein Buch zu gestalten, mit allem was dazugehört und viel Capra montes darin.Warum die Farbe der Gestaltungselemente Blau ist, werden Sie in die-sem Werk erfahren. Nicht überladen war die Devise beim Einsatz von zusätzlichen Elementen in diesem Werk. Lieber sollen die Texte und Bilder einen bleibenden Eindruck hinterlassen, als überfl üssige Schnör-kel und Kringel rundherum. Auch lag es mir am Herzen, einige von Walter Geissbergers Werken möglichst gross zeigen zu können, deshalb sind viele ganzseitige Bildseiten in dieses Werk integriert. Bei der Wahl der Grundschrift war vorallem das Kriterium «nicht ermüdend» wichtig. Deshalb fi ndet hier die Adobe Garamond als Grundschrift für den Text

1 Bei «Discohai» wurde ich sofort an meinen eigenen Künstlernamen – Chris Sharkman – erin-nert, dazu hatte ich sofort Discogrooves im Ohr, die kaum mehr aus den Ohren zu kriegen waren.

anwendung. Die Gliederung des Inhalts ist so ausgelegt, dass Sie zuerst den Künstler kennen lernen sollen, um den es sich dreht. Wenn Sie dann wissen, was Walter Geissberger für eine Person ist und welche Sonder-heiten sein Atelier hat, dann gelangen sie zum Interview und meinem ausgesuchten Werk Geissbergers. Im Anhang können Sie als Abschluss ihr Bild über Walter Geissberger ergänzen.

So, liebe Leserinnen und Leser, jetzt wissen Sie, was Sie erwartet. Viel Vergnügen mit Walter «Wale» Geissberger, seinem Können, etwas Witz, einem schwimmenden Pärchen und alldem, was ihn zu einem Original macht. Christian Heimann, 7. Januar 2008

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Biografie

Walter Gottlieb Geissberger

Im Sternzeichen Fisch wurde Walter Gottlieb1 Geissberger am 18. März 1947 in Bern geboren. Der Name Gottlieb war Walter Geissberger etwas zu religiös, er hätte die lateinische Variante – Amadeus – bevorzugt. Er heisst also eigentlich Walter Amadeus Geissberger. Sein Künstlername lautet allerdings «Capra montes». Das erste Mal kam dieser Name 1983 auf. Der Name ist keine Erfi ndung Geissbergers, sondern durch Anstos-sen eines Glases Wein mit Franz Sommer auf der Insel Vulcano entstan-den. Jahrzehntelang trug Walter Geissberger den Namen in sich herum. Doch erst seit dem Bezug seines Ateliers in Worb signiert er seine Werke mit «Capra montes».Sein Lieblingsessen in der Jugend waren grüne Bohnen. Die Macke, alles immer auf den letzten Drücker erledigen zu wollen, hat er auch schon seit damals. Er war immer ein sehr strebsamer Schüler. In der Klasse war er bekannt als «Wale, der so gut zeichnet». Seine Genauigkeit fi el auf, besser gesagt sein Hang zum Optimum. Während seiner Lehre als Fernmelde- und Elektronikapparatemonteur gab er sich nicht mit dem erstbesten zufrieden. Alle Einträge ins Arbeitsheft, die damals noch diktiert wurden oder abgeschrieben werden mussten, schrieb er zuerst als Brouillon auf, während seine Mitschüler die Texte direkt ins Reine geschrieben haben. In Nächte füllendem Aufwand wurden die Einträge

1 Sein Vater hiess Gottlieb Walter mit Vornamen, und da Walter der erste Sohn der Familie war,

kamen die Eltern auf die Idee, den Namen des Vaters einfach umzustellen.

in Schönschrift nachgeführt. Während dem ersten Lehrjahr besuchte er die Tech-Vorbereitungs-Schule, quasi ein Vorläufer der technischen Be-rufsmaturitätsschule. Diese beendete er aber nach dem ersten Jahr, da ihm eigentlich klar war, was er wollte. So nutzte er die dadurch gewon-nene Freizeit der restlichen Lehrzeit zum Besuchen von Kursen an der Schule für Gestaltung in Bern, welche damals noch Kunstgewerbe-Schule hiess.Nach erfolgreichem Lehrabschluss arbeitete Walter Geissberger zwei Jahre auf seinem erlernten Beruf, während dessen besuchte er noch wei-tere Kurse an der SfGB-B. So kam er auf insgesamt 28 Kurse, die je ein Semester dauerten – also hatte Walter Geissberger quasi auch bereits eine halbe Grafi ker-Lehre absolviert. Zudem hatte er mittlerweile mit vielen Leuten der SfGB-B, aber vor allem auch mit Leuten seines Alters, Be-kanntschaft gemacht.

«Ab morgen bin ich Künstler!»Am Silvesterabend 1969 gab er seinen Freunden bekannt, dass sie ihn heute noch als «Feam» sehen würden, ab morgen aber sei er Künstler. An diesem Abend verabschiedete er sich eigentlich von seinem erlernten, technischen Beruf. Um sich fi nanziell über Wasser halten zu können, war er jedoch gezwungen, weiterhin bei der Hasler AG als Fernmelde- und Elektronikapparatemonteur zu arbeiten. Eigentlich hatte Walter Geissberger nach seinem Entscheid gekündigt, die Hasler AG fragte ihn

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aber an, ob er nicht doch noch bei ihnen arbeiten wolle. So durfte er Bedingungen stellen und musste nicht sagen: «Ich bin jetzt Künstler – arbeite aber wei-terhin in meinem gelernten Be-ruf normal weiter», sondern konnte antworten: «Ich? Ich ar-beite nur, wenn es mir passt.» Als einziger der ganzen Abteilung kam und ging Geissberger, wann er wollte.Einige Monate darauf kam ihm die Idee, Assistent eines Bildhau-ers zu werden. Um dies zu errei-chen, wollte er aber keine neue Ausbildung mehr machen. Statt-dessen suchte er sich eine Stelle bei einem Bildhauer. Beim be-kannten Plastiker und Bildhauer Peter Travaglini, der in Büren an der Aare und in Vira Gambaro-gno (TI) arbeitete und dies noch heute tut, kam er – durch die Bekanntschaft seiner ältesten Tochter – so richtig zur Kunst. Zwei Jahre war er bei ihm tätig. Walter Geissberger schätzte die direkte Praxis. Die Vorstellung

mit Stein zu arbeiten musste er schnell vergessen, denn mit Stein war in diesem Atelier überhaupt nichts los. In dieser Zeit arbeitete Travag-lini vor allem mit Beton. Viele Arbeiten wurden in Beton realisiert, aber auch viele Metallgüsse konnten gemacht werden. Zwei unter-schiedliche Verfahren mit demselben Formmaterial: Styropor.1 Viele Projekte waren Kunst am Bau, zum Beispiel bei Schulen, bei der Mi-gros Grenchen, bei Kirchen-Ausstaffi erungen2 – besonders bei katho-lischen Kirchen. Die Designs waren jeweils einander angepasst, oft wurde kombiniert: Stein, Holz, Metall.Die Arbeit von Walter Geissberger war folgende: Er bekam von Peter Travaglini Zeichnungen und Entwürfe. Diese sollte Walter Geissber-ger in Modelle umwandeln. Er genoss die Interpretationsfreiheit, die ihm die Zeichnungen liessen. Peter Travaglini lobte vor allem die Präzision Geissbergers, die Modelle entsprachen stets Travaglinis Vor-stellungen. Walter Geissberger war einer der besten Assistenten Tra-vaglinis, wenn nicht gar der Beste.Nach zwei Jahren war es Zeit für etwas Neues. So ging er an einem Freitag bei der Kunstgewerbe-Schule vorbei und fragte, wann der Ter-min sei, die Anmeldemappe für den Vorkurs einzureichen. «Heute ist Abgabefrist», war die Antwort vom Sekretariat. Mit dem Willen, un-bedingt den Vorkurs zu machen, sprach er noch am selben Tag beimDirektor vor, um doch noch eine Bewerbungsmappe einreichen zu dürfen. Dieser gab ihm Zeit bis am folgenden Montag.Wofür andere Monate brauchen, hatte Walter Geissberger also genau drei Tage Zeit – diese reichten aber völlig aus. Sonntagabend warf er

1 Bei Betongüssen wird eine Negativ-Form gemacht, für Metallgüsse benötigt man eine Positiv-Form.

2 Altare, Tabernakel, Kerzenständer, uva.

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die Bewerbungsmappe persönlich in den Briefkasten an der Schänz-lihalde 31 ein. Mit dem Gefühl, es sei keine schlechte Arbeit,kehrte er an diesem Abend nach Hause – seine Mappe wurde als eine der besten eingereichten Arbeiten ausgestellt. Der Grund, den Vorkurs zu machen, war, dass er so zu einem günstigen Ausbildungsjahr kam – denn wer den Vorkurs besucht, bezahlt kein Schulgeld. Hätte er das gleiche Wissen durch Kurse einholen wollen, hätte dies tausende von Franken gekostet. Er wusste genau, wo er weitermachen wollte, denn Walter Geissberger war bereits vor dem Eintritt in den Vorkurs ein Profi . Bestimmte Techniken verfeinern, gewisse Dinge üben, ein tol-les Jahr verbringen – das machte er in seinem Jahr Vorkurs.Bereits während des Vorkurses war ihm klar, dass er seinen eigenen Weg gehen wollte. Die ewige Reiserei Bern–Büren wollte er nicht mehr auf sich nehmen. So arbeitete er nach absolviertem Vorkurs in Bern. Bis er durch eigene Aufträge auf eigenen Beinen stehen konnte, erhielt er von Peter Travaglini über einige Jahre immer wieder Ar-beiten. Mit der Zeit bekam er dann eigene Aufträge beziehungsweise konnte selbst gewisse Aufträge aquirieren.Eine der fi nanziell attraktivsten Arbeiten war, eine Brunnenplastikfür das Sonderschulheim für körperlich behinderte Kinder in Güm-ligen zu gestalten. Für diesen Auftrag stellte Travaglini Geiss -berger sein Atelier während einigen Wochen zur Verfügung, daWalter Geissberger zu dem Zeitpunkt im Jahre 1978 kein eigenes Atelier besass.

Das LehrerseinLehrer zu sein war nie die Idee von Geissberger – doch manchmal macht man Dinge, die man eigentlich garnicht wirklich will. Zum Beruf «Lehrer» kam Walter Geissberger ebenfalls durch Peter Travag-

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lini. 1976 fand zum ersten Mal in Niederbipp eine Kopie der «Som-merakademie Salzburg» statt.1 Travaglini war während drei Wochen als Dozent engagiert. Abends, wenn er zurück in sein Atelier kam, in wel-chem Walter Geissberger zu diesem Zeitpunkt tätig war, fl uchte er, dass er ja während dieser ganzen Zeit nicht in seinem Atelier arbeiten könne. Aber Peter Travaglini hatte eine Lösung: Nächstes Jahr sollte Walter Geissberger ihn als Assistent begleiten. So kam es, dass Geissberger 1977 mit Travaglini, welcher das Zeichnungs-Seminar leiten sollte, nach Nie-derbipp reiste. Bei der Eröffnung begrüsste Travaglini alle noch und stellte den Anwesenden Walter Geissberger als seinen Assistenten vor. Von da an war Travaglini nicht mehr gesehen, und Geissberger, der voll ins kalte Wasser geworfen wurde, leitete den dreiwöchigen Kurs mit etwa einem Dutzend Leute. Glücklicherweise waren alle Kursteilnehmer deutschsprachig, denn sonst hätte noch ein Dolmetscher aushelfen müs-sen. Die Frage, ob er denn auch in Bern Kurse gebe, musste er mit «Nein» beantworten und merkte dadurch, dass es noch ein schönes und vor allem regelmässiges Zubrot gäbe, wenn er Kurse leiten könnte. So meldete er sich an der Volkshochschule und wurde dort mit offenen Armen aufgenommen, da gerade ein Leiter für einen Zeichnungskurs gesucht wurde. Mit diesem Zustupf, obwohl er beinahe lächerlich war, konnte Walter Geissberger sein karges Einkommen etwas aufbessern. Massgebend für die Gedanken, fi nanziell nicht untergehen zu wollen,

1 Zu Beginn wurde diese Sommerakademie in Niederbipp noch mit Bundes-, Kantons- und

Gemeindeunterstützung fi nanziert. Nach einigen Jahren setzte das Sparprogramm des Bundes der Akademie das Messer an die Kehle: Als die Kantone erfuhren, dass der Bund nur noch geringe fi nanzielle Unterstützung bot, senkten sie ebenfalls ihre Beiträge und so war diese

Sommerakademie nach zehn Jahren schon wieder Geschichte.

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waren seine drei Kinder Lea, Diego und Rafael.1 Künstlerische Arbeit mit ausstehendem Erfolg brachte nicht genug ein, um eine Familie er-nähren zu können. Zwar kamen in den Momenten, in denen das Geld schon alle war, aber der Monat noch so lange, meistens noch kleine Aufträge rein, damit es eben doch reichte. Doch diese Zeit war keine angenehme, das Über-die-Runden-Kommen wurde zum Drahtseilakt. Zur Zeit der Geburt des zweiten Sohnes war an der Schule für Gestal-tung Bern eine Stelle ausgeschrieben. Geissberger bewarb sich und be-kam die Stelle zugesichert – bis zu dem Moment, als sich der damalige

1 Lea, geboren 1977; Diego, geboren 1978; Rafael, geboren 1980.

Schulvorsteher entschloss, diese Aufgabe selbst zu übernehmen. So war es dann doch nichts. Der Schulunterricht des neuen Schul-jahres begann, und in der ersten Woche erhielt Walter Geissberger einen Anruf mit der Nachricht, es gäbe jetzt doch einen Platz an der Schule, da eine Klasse der Repro-fotografen halbiert werden müsse und somit mehr Stunden anfi elen. Zeichnungsunterricht bei den Re-profotografen – das war der Ein-stieg ins Lehrersein. Im Jahr da-rauf war er bereits Klassenlehrer im Vorkurs und konnte sich die Fächer aussuchen, die er gerne un-terrichten wollte, dazu gab er

noch Weiterbildungskurse. Die Idee, Schule so nebenbei abzuwickeln und weiterhin stark künstlerisch tätig zu bleiben, musste bald einmal begraben werden. So viele Stunden hat ein Tag nun doch nicht, dass es für beides gereicht hätte – besonders weil Walter Geissberger auch sehr bestrebt war, gut vorbereitet den Unterricht abzuhalten. Es dauerte nur etwas mehr als ein Jahr, bis er sich eingestehen musste, dass er nun kein Künstler mehr, sondern Lehrer geworden war. Von der einstigen Silve-steridee musste Abschied genommen werden. Was auch beim Unterrich-ten blieb, war, den künstlerischen Ausdruck zu suchen. Jedoch setzte sich Geissberger so anders damit auseinander, als wenn er selbst künst-lerisch tätig gewesen wäre. Er musste sich Fragen stellen, wie er es denn

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den andern beibringen könnte, was die Prinzipien der Gestaltung und welches die Grundlagen der Technologie und des Denkens sind.1997 wechselte Walter Geissberger vom Vorkurs zu den Schriftenmalern – dem letzten Jahrgang Schriftenmaler. Danach wurde das Berufsbild stark geändert und in Schrift- und Reklamegestalter umbenannt, die jetzt, im Jahre 2008, Gestalter Werbetechnik heissen. Diesen unterrich-tet beziehungsweise unterrichtete er Fächer wie Gestaltungsgrundlagen, Farbenlehre, Zeichnen, Gestaltungslehre, Arbeitssicherheit, aber auch Fachrechnen musste er schon mal vermitteln.

Wechsel«Nur» Lehrer zu sein, dabei konnte es Geissberger bereits 1989 nicht belassen. Die anhaltende Krisensituation in der Familie bewog ihn zu gehen.1 Nach Schwarzenburg – aufs Land – zog er, zügelte auch sein Atelier in eine alte Metzgerei in Schwarzenburg. Dort sollte ihm der Wiedereinstieg in die Kunst gelingen. Dies klappte aber nicht auf An-hieb. So stellte er sich im Jahr 1993 die Aufgabe, jeden Tag 100 Gramm Ton zu einem Objekt zu formen. Für diese Aufgabe brauchte er zwei Anläufe – 1994 gelang es ihm, seine Aufgabe zu erfüllen. Im gleichen Jahr zog er weg – auch auf Grund abnehmendem Interesse am Landle-ben. Über Umwege auf der Suche nach einem idealen Atelier fand er im April 2003 den Weg nach Bolligen und verlegte sein Atelier an den jetzigen Ort an der Worblentalstrasse. In den vergangenen fünf Jahren ging im Atelier oftmals die Post ab, dann gab es Zeiten, in denen er monatelang keinen Fuss ins Atelier setzte.

1 Er sorgte aber dafür, dass er die Hälfte der Woche zu seinen Kindern schauen konnte. Die Kinder hatten immer die Möglichkeit, ihn zu sehen.

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«Wale und ich kennen uns seit über 40 Jahren – wir haben

auch zusammen gestalterische Kurse an der damaligen KGSB

besucht. Heute sind wir Lehrerkollegen an der SFGB-B – und

der Wale ist immer noch der gleiche liebenswürdige,

hilfsbereite, humorvolle Kollege wie vor vielen Jahren. Sein

künstlerisches Schaffen schätze ich sehr und sein Engagement

und seine Kompetenz als Lehrer und Kursleiter sind

beeindruckend.»

Thomas Demarmels

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Seine PoleWalter Geissberger lebte und lebt im Dreieck «Wohnung – Atelier – Schule». Im Unterricht würde er nie an seinen Projekten herumstudie-ren. Da ist er für seine Lernenden und Schüler da, ist präsent und gut vorbereitet. Da vergisst man schnell mal die Wohnung. In der Wohnung bereitet man das Essen zu, wäscht man – da wohnt man, da schaut man zu sich. Geissberger musste vor allem das Umschalten zwischen diesen drei Polen lernen. Dieses war nicht einfach. Wenn er zeitweise drei Schultage verteilt über die Woche zu bewältigen hatte, dann konnte er im Atelier nicht kreativ tätig sein, weil er bereits am Tag zuvor wieder dachte «morgen ist wieder Schule» und dadurch völlig blockiert war. Zum Umschalten braucht er noch heute ein bis anderthalb Tage Zeit. Da sind wir wieder beim Punkt «Dinge auf den letzten Drücker heraus-zuschieben»: Er muss alles andere einfach vergessen, um im Atelier rich-tig arbeiten zu können. Doch vergessen darf man natürlich nie, dass nur dank dem Job als Lehrer an der Schule für Gestaltung das Atelier über-haupt bezahlbar ist.Zwischendurch sind natürlich auch bei einem Walter Geissberger die Batterien leer. Dann rührt er am liebsten mal gar nichts an und verbringt mal gerne einen Tag auf der Couch und liest Bücher, die er schon lange mal lesen wollte. Heute ist es also noch ein Pendeln zwischen den drei Polen. Doch schon in absehbarer Zeit steht ein weiterer Schritt bevor: die baldige Pensionierung, wonach sich Geissberger wieder voll der Kunst verschreiben kann. Wir dürfen uns freuen! 1

1 Die Bilder auf den Biografi eseiten stammen übrigens von Walter Geissberger selbst. Es sind 35 Werke, welche ihn von seinem ersten bis zu seinem 35. Lebensjahr lückenlos und ungeschminkt ehrlich zeigen.

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Atelier

Kunst? – Qnst!

Mit der Frage «Kunst?» und der Antwort «Qnst!» wird man von Walter Geissberger in sein Atelier gezogen. Um sicher zu sein, dass man sich wirklich bei Walter Geissberger befi ndet, ist das Atelier gleich dreifach beschriftet. Das Atelier liegt direkt an der Worblentalstrasse, das Schau-fenster ist südwestlich ausgerichtet und vis-à-vis wird in einer Fabrikhal-le ein dunkles Süssgetränk hergestellt. Beim Eintreten ins Atelier ist Vorsicht geboten, um nicht bereits ersten Schaden anzurichten. Am Bo-den verteilt liegen Häufchen von verschiedensten Dingen, die darauf warten, montiert zu werden. Beim Türstopper, einem Holzquader, war zu Beginn noch unklar, ob dieser eins von Geissbergers Werken ist oder eben ein Türstopper. Denn er trug die Unterschrift «Capra montes» wie all die anderen Werke. Diese Frage konnte im Verlauf des Atelierbesuchs beantwortet werden.

Zwei Stockwerke – drei TeileDoch das Atelier Geissbergers ist nicht nur Atelier. Auf zwei Stockwer-ken beinhaltet es zugleich auch eine Werkstatt, einen Sammlungs- und einen Ausstellungsraum. Von der Eingangstür landet man direkt im Ausstellungsraum.Von Galerien und Museen ist man gewohnt, dass der Ausstellungsraum weisse Wände und einen Holzboden hat. Nicht so bei Walter Geiss-berger: Bei ihm sind die Wände des Ausstellungsraumes zwar auch weiss, aber der Kunststoffboden weist die Farbe eines dunklen Blaus auf. Zur-

«Walter Geissberger ist ein empfi ndsamer, feinfühliger

Mensch. Er hat eine ausgesprochen differenzierte

Wahrnehmung. Sie ist eine Qualität seiner Wesensart,

eine der Quellen seines Schaffens mit Formen und

Materialien in der dritten Dimension.»Alfred Maurer

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zeit ist keine Ausstellung im Gange, deshalb stehen die Kunstwerke in Reih und Glied rundherum an den Wänden. In der Mitte auf einer Fläche von etwa 15 m2 fi nden sich weitere Werke – zum Teil ebenfalls unvollendete, deren Komposition zwar bereits vollständig ist, aber deren Teile noch nicht montiert sind. Auffallend viele Holzelemente sind vor-zufi nden. Neben der Raumstütze, welche den Boden der oberen Etage an seinem Platz hält, den Holzböcken und der Holztreppe scheint Holz im Moment der Werkstoff zu sein, der es Geissberger angetan hat. Die Namen der Werke liegen bei den meisten schon bereit. Ein kleiner Tisch mit Gartenstühlen steht am einen Schaufenster bereit, um die jederzeit willkommenen Gäste zu empfangen und um ihnen in einem gemüt-lichen Rahmen etwas zu trinken anbieten zu können.1 Der Raum als solcher ist sehr ausgeglichen. Trotz dem kühlen Boden und den hoch-weissen Wänden fühlt man sich schnell wohl. Das viele Holz trägt stark dazu bei, aber auch die Grösse ist genau stimmig, für die Art von Kunst2, die hier ausgestellt wird.Auf der rechten Seite des Ausstellungsraums befi ndet sich der Durch-gang zur Werkstatt, wo mit zum Teil schwerem Gerät gearbeitet wird. Eine Vielzahl an Pinseln, Werkzeugen und Rohmaterialien steht zur Schöpfung weiterer Kunstwerke bereit. Auch viele bereits fertiggestellte Werke stehen herum. Unter anderem ein Werk, das er für eine Weih-nachtsausstellung gemacht hat. Ein Werk aus elf Güssen, die alle nach dem gleichen Prinzip geformt wurden. Wie ein Orchester mit zehn Mu-sikern und einem Dirigenten stehen sie da. Dass es nicht verkauft wur-de, liegt wohl am Preis: Mit Fr. 27 000.– war es das teuerste Werk der

1 An diesem Tischchen fand auch das Interview statt. Das Wetter war schön an diesem Tag, ein Glas Wasser wurde mir freundlich angeboten und auch serviert.

2 sogenannte Kleinkunst

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eben erwähnten Ausstellung. In einem weiteren Schaufenster stehen et-was ältere Werke Geissbergers. Unter anderem auch die «Wappentiere»1 Bolligens, der Hase und der Esel – ein witziges Pärchen. In der Werkstatt arbeitet er oft. Zum Beispiel wenn er seinen Werken den Endschliff gibt oder Ständer für seine Werke hobelt und schleift. Ganz sicher fallen hier jede Menge Späne – nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes.Zurück im Ausstellungsraum, kann man an der linken Wand die Trep-pe empor in den Sammlungsraum2 steigen. In dem Raum, der so gross ist wie Ausstellungsraum und Werkstatt zusammen, kann man sich kaum satt sehen. Unglaublich, wie viele Werke hier betrachtet werden können. Leider war mein Besuch zu kurz, die Zeit liess es nur zu, ver-

1 gemäss Walter Geissberger

2 Walter Geissberger nennt den Raum sein «Schaulager», da der Raum früher als Heu- und

Strohlager diente, aber auch «Denklabor» (Oberstübli) und Gruppenraum. Es ist der Raum, in welchem er die Modelle aus Styropor macht, zeichnet, Passepartouts schneidet, Bilder rahmt und ab und zu Gruppen-Projekte realisiert. Walter Geissberger sitzt auch manchmal einfach

dort und meditiert, weil ihn in diesem Raum von draussen niemand sehen kann.

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«Walter Geissberger bewegt, erregt,

konkret und diskret mit seiner Kunst.» Andreas Kröner

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einzelt die Werke genauer unter die Lupe zu nehmen. Ich habe schnell gemerkt, dass die Werke von Walter Geissberger noch besser sind, wenn man wirklich genau hinschaut – es lohnt sich jedes Mal.Überall im Raum verteilt sind Objekte aus der 100-Grämmer-Serie zu fi nden. Bilder hängen an den Wänden oder liegen fl ach auf dem Boden. Montagen, Skulpturen und Plastiken warten auf ihre Abnehmer. Viele zu schade, dass sie «nur» hier zwischen all den anderen stehen und ihre Wirkung nicht wirklich entfalten können. Auch ein Gestell voller Mo-delle fi ndet in dem Raum seinen Platz, ebenso wie etliche Styropor-Roh-Skulpturen, die im Raum verteilt sind.Drei grosse Tische befi nden sich zusammengestellt in der Mitte des Raumes. Hier im «Schaulager» ist sehr viel Platz vorhanden, was Abstell-fl ächen betrifft. Einige Stühle sind bis an die Tischkante geschoben. Man merkt: Auch hier wird gearbeitet. Die Ausleuchtung ist gut geeig-net für genaues, präzises und konzentriertes Arbeiten. Wegen der Men-ge an Dingen, die sich in diesem Raum befi nden, ist man von der Ord-nung eher überrascht.

Genau soÜberhaupt, das ganze Atelier wirkt sehr aufgeräumt. Die Werke sind mit System aufgestellt und jedes Werkzeug befi ndet sich genau da griffbereit, wo man es auch sucht. Walter Geissbergers Atelier ist ein toller Arbeits-ort. Manch ein Künstler würde ihn darum beneiden.Und wenn Sie, liebe Leserin und lieber Leser, einmal an der Worblen-talstrasse 171 vorbeikommen, haben Sie den Mut und klopfen Sie bei Walter Geissbergers Atelier an. Nur eins vorneweg: Nehmen Sie sich genug Zeit – sonst verpassen Sie bestimmt das Beste.

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Interview

«Die Idee entsteht erst, wenn ich etwas in die Finger nehme.»

Bei Ihnen wird man begrüsst mit einem Objekt über der Eingangs-tür, welches mit «Geissbergel» angeschrieben ist. Woher kommt der Rechtschreibfehler?(lacht erstmal) Die Metall-Handelsfi rma Kiener-Wittlin besass einen Laden in der Stadt Bern. Dort konnte man zum Beispiel Schrauben kaufen – einzeln. Auch fand man dort alles, was man suchte. Doch das Ladenlokal war wahrscheinlich überdimensioniert und sie haben nicht gut gewirtschaftet – die mussten einfach rückwärts machen. Deshalb wurde der Laden geschlossen. Zuvor wurde aber noch ein Ausverkauf gemacht. Ich sah diese Occasion-Buchstaben da liegen und dachte, für Geissberger würde es noch reichen – doch es waren ein «R» und ein «G» zu wenig. Haben Sie es denn genau angeschaut?Nein, wo fehlt denn ein «G»?Es sind schon zwei «G» vorhanden, doch das erste «G» ist ein echtes, das zweite ist ein zerschnittenes «D».Tatsächlich! Mir als Typograf hätte dies sofort auffallen müssen – Ihr zweites «G» ist ein sogenannter Zwiebelfi sch.Die Buchstaben lagen lange in einem Schrank, gehörten zu meinem Sammelfundus. Bis letzten Frühling, da begann ich, ein Objekt zu ma-chen. Damit es mal verarbeitet ist und nicht weiter einfach nur herum-liegt. Bei meiner zweiten Ausstellung hier im Atelier hing es an der Wand. Da dachte ich mir, das will ich mir selber abkaufen. Über der Tür hing eine «Hommage» an den Säger. Eine Installation, die den Na-

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men des Sägers zum Ausdruck brachte. Denn hier, wo jetzt mein Atelier ist, war früher eine Sägerei. Der Säger hatte auch Freude daran und ich wollte ihm diese Ehre erweisen. Doch mittlerweile wohnte er nicht mehr hier und so kam der Zeitpunkt, wo ich gemerkt habe: Jetzt muss es weg. Jetzt stelle ich meines über die Eingangstür.Was hat das Objekt für eine Bedeutung?Mein Atelier ist ja mittlerweile drei Mal mit meinem Namen angeschrie-ben: zum einen sehr nüchtern an der Tür mit «Walter Geissberger», zum zweiten gross auf der Schaufensterscheibe mit «Capra montes» und zum dritten einfach gesponnen, um den Leuten zu zeigen: Hier arbeitet ein Spinner! Ich selber habe Freude daran – was die andern darüber denken, ist mir wurst. Zudem irritiere ich sehr gerne. So kam es mir geradezu gelegen, dass es eben kein «R» ist, sondern ein «L».Verstehen Ihre Familie und Freunde Ihre Kunst?Ja. Meine Werke sind ja auch verständlich und einleuchtend. Zum Bei-spiel der Sägerei-Hund1, da muss man nicht viel denken. Obwohl es gibt Leute, die stehen davor und sehen es nicht. Doch so genau kann ich es Ihnen nicht sagen, denn ich selbst verstehe nicht alles. Ich mache Dinge, die muss ich nicht verstehen.2

Was ist in Ihren Augen «Kunst»?Sie muss in gewisser Weise geistreich sein, das heisst, ich muss etwas für meinen Geist abholen können. Und es muss so transportiert werden, dass es meinen technisch-ausführungsmässigen Vorstellungen entspricht. Ich bin sehr anspruchsvoll punkto Erscheinung, wie etwas daherkommt,

1 Bild auf der gegenüberliegenden Seite

2 Auszug aus dem Vorwort des Ausstellungskataloges zum Thema «Paare» […Der Moment der Zeugung für Paare war, glaube ich, irgendmal im Februar. Monate des kreativen Wachsens, der Aha-Erlebnisse, der Verkenntnisse folgten. Vieles blieb mir selber rätselhaft, einiges ist mir klar,

vordergründig…]

Andreas Reber

«Wale ist in seiner Werkstatt sehr ordentlich und hat kein

Durcheinander, wie es bei Künstlern oft anzutreffen ist.

Diese Ordnung fi ndet sich auch in seinen Arbeiten, die klar

strukturiert sind und mit einer sehr hohen handwerklichen

Präzision gearbeitet sind.

Wale ist auch ein hervorragender Zeichner. Seine 3D-Arbeiten

entstehen also aus einem ausgeprägten räumlichen Vorstel-

lungsvermögen und dies ist in seinen Arbeiten auch spürbar,

daher lassen sie sich aus allen Richtungen betrachten.

Wale ist für mich ein ganz feiner Typ, weil er immer mit Be-

geisterung an der Arbeit ist und dafür auch viel Vorbereitung

und Zeit investiert. Das gilt für die Schularbeit und seine ei-

gene Künstlertätigkeit. Sein Humor und seine Ansichten über

das grosse Welttheater des Lebens sind immer mit einem kre-

ativen Ansatz für weitere Arbeiten gespickt…»

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42 Interview

der handwerklichen Machart. Doch der Inhalt muss eben auch stimmen, eine Stimmung transportieren, witzig sein, überraschen – so dass es einem einfährt. Defi nitionen von Kunst gibt es sowieso Hunderttausen-de……genau deshalb wollte ich Ihre. Heute wird vieles ausgestellt und als Kunst verkauft. Existieren Kunstformen, die Sie ablehnen?Ablehnen kann man nichts, denn es hat jeder das Recht zu machen und zu zeigen, was er will. Doch ich kann ja einfach daran vorbeilaufen und denken: Was soll das? Nur weil etwas in bekannten Galerien oder an-gesehenen Museen ausgestellt ist, heisst das noch nichts. Auch da gibt es vieles, was mich nicht anzieht, mich nicht berührt – besonders betref-fend der vorhergegangenen Kriterien.Wann haben Sie die ersten Schritte als Künstler gemacht?Ich mache wieder das, was ich schon als Kindergartenkind gemacht habe. Ich kann mich auch erinnern, dass die Kindergärtnerin ab und zu wieder eine Malerei oder Zeichnung von mir im Kreis gezeigt hat. Sie wollte wahrscheinlich den anderen Kindern zeigen, dass es sich lohnt, wenn man sich Zeit nimmt und mit Inbrunst dahintergeht. Offenbar konnte ich das, so dass die Kindergärtnerin erstaunt war, mit welcher Konzentration ich an etwas dranbleiben konnte. Meine Erst-Klasslehre-rin hat in einem Schulbericht vermerkt: «Es ist erstaunlich, wie genau Walti beobachten kann. Es ist durchaus möglich, dass diese Fähigkeit einmal berufsentscheidend werden könnte.» Während der ganzen wei-teren Schulzeit war in meinen Klassen immer klar, dass ich der «Wale» bin, der gut zeichnen kann.Woher stammen all Ihre Ideen? Zapfen Sie bestimmte Inspirations-quellen an oder nehmen Sie einfach auf, was Ihnen zufl iegt?Ein Ansatz ist der, dass mich die Materialien an sich interessieren. Es kann mich durchaus veranlassen, dass ich einfach die Verarbeitung des

43Interview

Materials ausprobiere. Die Idee zur Planeten-Serie1 zum Beispiel, hat sich daran entzündet, dass mir ein Kollege angeboten hat, in seinem Atelier arbeiten zu dürfen. Die Idee kam nicht von mir. So war klar, wenn ich dorthin gehe, dann werde ich etwas mit Silber machen, denn mein Kol-lege ist Silberschmied – Gold hat mich nicht interessiert, aber Silber. So verknüpfte sich dann mein Wissen – in dem Fall jenes, dass Silber das Metall des Mondes ist – mit der Absicht, technologisch etwas zu machen und dem eine Form zu geben. Beim Modellieren ist es etwas anderes. Da liegt am Anfang immer ein amorpher Klumpen vor mir. Dann

1 Abgebildet auf dieser Doppelseite

kommt mein ganzer «innerer Kosmos» zum Zug mit der Frage: «Wo liegen denn meine Interessen?» Mich interessieren Essen, Bewegung, Meditation, Astrologie, Werkzeuge – (Stille) – bin ich jetzt schon er-schöpft mit meinen Ideen? Da spielen einfach die Dinge mit, die mich in dem Moment gerade interessieren. Die Architektur ist oftmals ver-knüpft, Wortspielereien werden umgesetzt.Aus der Serie «365» kamen da einige Objekte zusammen, mitunter auch eine Metamorphose. Erst dachte ich, die sei jetzt einfach fertig so aus Ton. Dann kam die Idee, ich könnte diese abgiessen lassen, Bronzeob-jekte sollten daraus werden. Als die Serie dann aus Bronze gefertigt war, nahm ich mir diese Objekte als Vorlage, um sie in Stein zu hauen. Mich

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interessiert ja auch sehr das Material Stein. So wird eine Idee über meh-rere Stufen in ein anderes Material transportiert. Manchmal sind es auch Aufträge, die einem Impulse bringen. Zwar ist dann ein Auftrag mal wunschgemäss fertig, doch die Grundidee lässt sich auch danach noch weiterführen. So sind es ganz unterschiedliche Ansätze, woher eine Idee kommen kann.Eine wichtige Erkenntnis erlangte ich vor kurzer Zeit. Ich habe Fern-melde- und Elektronikapparatemonteur gelernt und bin jetzt eigentlich wieder zurückgekehrt und sehr oft als Monteur tätig, aber eben als Ob-jekte-Monteur. Denn was mache ich hier eigentlich? Die vielen Dinge, die sich im Laufe der Jahre in meinem Sammelsurium angehäuft haben, die faszinieren mich noch heute. In letzter Zeit habe ich meine Samm-lung aber stark abgebaut, indem ich viele Dinge verarbeitet habe. Und dann verwandle ich mich wieder in das Kindergartenkind zurück und beginne mit Stücken aus meinem Fundus zu spielen.Sind Sie schon einmal mitten in der Nacht aufgestanden, um eine Idee umzusetzen?Ja, das kenne ich. Oder zumindest eine Notiz hinterlassen, damit man die Idee nicht «verpasst». Wenn ich mich früh schlafen lege, aber nicht schlafen kann oder morgens um drei Uhr erwache, dann kommt es vor, dass ich morgens um drei im Atelier stehe. Aber die Regel ist es nicht.Sie arbeiten mit vielen verschiedenen Materialien. Welches ist Ihr Lieblingsmaterial?Das kann ich nicht mal sagen. Alles eigentlich. Styropor ist natürlich sehr häufi g beteiligt, wenn ich ein Modell mache, um es anschliessend giessen zu lassen. Danach habe ich auch wahnsinnig Freude am Guss-material, das ich oft noch bearbeite. Im Moment arbeite ich sehr viel mit Holz und mache auch die Ständer selbst, die oft aus Holz sind, manch-mal gilt es, diese zu schweissen. Handwerklich tätig sein ist generell

etwas sehr Schönes. Bei den Montagen liegt die Herausforderung darin, wie die verschiedenen Bestandteile zusammengebracht werden können – ob durch Kleben, Bohren, Nageln oder sonstwie.Sie machen ja die Sockel selbst. Welche Bedeutung am Kunstwerk nehmen diese ein?Ja. Wenn diese fehlen würden, dann stände jetzt überall auf dem Boden so kleines Zeug. Sie heben die Objekte auf einen Level, der fürs Auge wahrnehmbar ist. Ein Objekt muss auf Augenhöhe sein. Entweder hängt man es an eine Wand auf Augenhöhe oder man stellt es eben auf einem Sockel in den Raum. Meine Arbeiten sind ja eher kleinformatig – früher nannte man solche Künstler «Kleinmeister». Als solchen verstehe ich mich auch. Natürlich würde ich gerne auch grosse Werke machen, doch da fehlen das entsprechende Atelier, das nötige Geld und ein Auftragge-ber. Deshalb bin ich gezwungen, im kleinen Format zu arbeiten und damit etwas zu vermitteln.Welches ist im Moment Ihr eigenes Lieblingswerk?Die Fische.1 Ich habe sie eben noch mal angeschaut und gedacht, dass man problemlos erkennen kann, dass es sich um Fische handelt. Die Bestandteile kommen aus völlig unterschiedlichen Lebensbereichen, wie der Langlaufski, der Singleständer und die andern Teile. Ich fi nde es deshalb gut, weil die Proportionen glaubwürdig erscheinen, aber auch weil die inhaltliche Thematik mit den Materialien übereinstimmt. Doch eigentlich ist es nur Zufall. Der Begriff Zufall spielt bei mir oft eine wichtige Rolle. Zum Beispiel das Kopfstück des Discohais. Warum lan-det gerade dieses Stück Leiter bei mir? Schon viele Leute haben mich bezüglich der Fische positiv angesprochen…

1 Auf der rechten Seite ist nicht das Fisch-Paar «Discohai und Loipenhecht». sondern ein anderes,

selsames Paar abgebildet.

45Spitzmarke

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…dann darf es Sie nicht erstaunen, dass ich für meinen Werkbe-schrieb ebenfalls das Duo Loipenhecht und Discohai ausgewählt habe. Ist es auch das Werk, welches Ihnen am besten gelungen ist?Auf jeden Fall habe ich den Nagel auf den Kopf getroffen.Mussten Sie schon einmal Auftragsarbeiten ablehnen?Ich werde viel zu wenig angefragt! (lacht) Bis jetzt habe ich noch alles gemacht, was dahergekommen ist. So durfte ich in letzter Zeit den Bot-ti-Preis, einen Kundenverblüffungs-Award, eine Wand für ein Unter-nehmen in Zürich und eines in Bern gestalten. Im Moment läuft gerade der Auftrag, für die Kirchgemeinde Bolligen ein Leitbild in einer künst-lerischen Umsetzung mit den Rats- und Verwaltungsmitgliedern umzu-setzen und Kerzenständer für die Kirche zu entwickeln. In Zukunft sehe ich auch – wie bei der Gestaltung der Wand für das Büro für Mobilität in Bern – vermehrt Teamentwicklungs-Prozesse durchzuführen auf Ba-sis eines Kunstproduktes. Für die Wand in Bern wurde ein Tag verein-bart, an dem alle einen Gegenstand mitbringen sollten, der für sie «Zu-kunft der Mobilitätsentwicklung» bedeutet. Untereinander sollten sie aber nichts verraten. Beim Zusammentreffen wurden alle Gegenstände auf einem Tisch ausgebreitet und dann gemeinsam zu einem Kunstwerk zusammengefügt. Anschliessend habe ich die Objekte an ihrem Bestim-mungsort montiert. Das Begleiten von solchen «Events» könnte ein Markt sein, den ich zu erschliessen probieren muss.Wo kann man von Ihnen Kunst am Bau sehen?Der Brunnen «Lebenslauf» beim Aarhus in Gümligen, wie erwähnt die Wände in Zürich nahe der Schiffl ändte und im Hirschengraben in Bern. Auch gab es in Zürich ein Holzrelief, das ich für eine Treuhandfi rma gemacht habe. Ob dieses noch existiert, weiss ich jedoch nicht. Ebenso wenig weiss ich, ob eine Wandmalerei, die ich in Solothurn realisiert habe, noch besteht.

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Was würden Sie gerne einmal realisieren in Bezug auf Kunst am Bau?Leider ist dies heute nicht mehr so gefragt. Einmal etwas Monumentales in irgendeiner Form zu machen, würde mich auf jeden Fall reizen. Aber Materialwünsche bringe ich keine an, das würde man der Gegebenheit anpassen. Ich mache leider auch zu wenig Werbung für mich.Können Sie Ihre Ideen immer wunschgemäss umsetzen?Die Idee entsteht bei mir, indem ich etwas in die Finger nehme. Erst dann passiert es. Im Voraus Gedanken zu haben, jetzt könnte ich das und das machen, existieren nicht bei mir. Ich habe keinen Seelendruck, denn es beginnt erst, wenn ich daran sitze und das Material in den Händen halte.Wie wichtig ist Ihnen Genauigkeit? So hat zum Beispiel Peter Tra-vaglini immer ihre Genauigkeit bewundert.Es war nicht nur die Genauigkeit, die er bewunderte. Ich konnte seine Ideen so wiedergeben, wie er sie sich vorgestellt hatte. Aber ich habe ja auch wissenschaftlich illustriert. Eine Zeitlang war ich für einen Archä-ologen tätig und habe ihm im Bereich der provinzialrömischen Archä-ologie geholfen, in Avenches die Skulpturen zeichnerisch zu rekonstru-ieren. Aus Bruchstücken, welche der Archäologe zuordnen kann, ver-suchten wir zusammen, das Gefundene zu ergänzen. Dabei muss man sehr exakt arbeiten, um das Vorhandene genau darzustellen und dafür zu sorgen, dass die rekonstruierten Teile zusammenpassen. Weil im Me-tier des wissenschaftlichen Zeichners die Exaktheit benötigt wird, wel-che ich habe, war das auch mal eine Idee, wie ich berufl ich weitermachen könnte. Das reale Abbilden habe ich auch trainiert.Etwas ganz wichtiges dabei ist die Seh-Schulung. Jeder Gestalter sollte sich darum bemühen, sein Sehen zu schulen, denn das ist eine wichtige Grundlage. Wir haben schliesslich Augen bekommen, um das, was da

Jürg Straumann

«Kunst oder Qnst? Hauptsache, der Eisenzeit-Pinocchio und

die Canon-Printer-Dame reden Anima und Animus an die

Wand und Mars und Venus erkennen die Zeichen der Zeit!»

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draussen abläuft, genau wahrnehmen zu können. Auch Picasso hat sei-nen Werdegang zum Teil seiner Seh-Schulung zu verdanken. Er schau-te genau hin und probierte es möglichst genau wiederzugeben – bis er dann diesen Weg verliess.Ob man damit künstlerisch tätig sein will, ist jedem selbst überlassen. Mich interessiert dies heute auch nicht mehr so, weil ich weiss, ich könnte es, aber es wäre nicht mein Weg. Viel lieber versuche ich, etwas zum Ausdruck zu bringen mit Hilfe eines Materials. Ich mache oft die Erfahrung, dass, wenn meine Kombinationen mal eine gewisse Form haben, ich vierzehn Tage später zu mir sagen muss: «Das ist nun wirklich daneben!» Ich ertappe mich immer wieder, dass ich Objekte mache, die so eigentlich noch nicht in Ordnung sind. Es sticht mich dann innerlich, wenn etwas noch nicht stimmt, ohne zu wissen was – bis es klick macht. Das genaue Hinschauen ist ein immerwährender Prozess.Was treibt Sie an?Irgendwann packt es einen plötzlich. Das dauert dann eine gewisse Zeit, bis man merkt, man ist ausgeschöpft, und sich fragt: «Was soll ich ei-

gentlich?». Es ist ein stetes Auf und Ab. Doch man kann sich natürlich auch Themen vorgeben. So habe ich mal das Thema «Paare» genommen, mal die «100 Grämmer» durchgespielt, mal «Metamorphosen» und mal «Plastiken aus Plastik» gemacht. Wenn man an so etwas arbeitet, be-kommt das Ganze eine gewisse Eigendynamik. Dann schöpft man so ein Thema aus, bis die Luft irgendwann draussen ist.Können Sie so viel Zeit ins Kunstschaffen investieren, wie Sie gerne möchten?Nie! Nie. Niemals. Weil eben noch meine berufl ichen Verpfl ichtungen da sind, die ich sehr ernst nehme.Denken Sie, dass Sie mal in den Himmel kommen?(lacht) Ich weiss nicht, wie das ist. Auf jeden Fall gibt es eine geistige Welt, das ist ganz klar. Dort landet letztendlich alles, was hier entmate-rialisiert wird. Ob dies nun der Himmel oder die Hölle ist – es existiert einfach eine geistige Welt, die für uns nicht greifbar, unfassbar ist.Aber Sie kennen den Himmel doch ganz gut. Zumindest in Bezug auf Astrologie.1

Ja gut, Astrologie ist ein Behelfsstück, welches die Menschheit heraus-gefunden hat, um irgendwie Erklärungen über unser Leben zu erhalten. Man bezeichnet dieses Wissensgebiet auch als Esoterik – sprich die Leh-re oder Wissenschaft des Geheimen oder zunächst Verborgenen. Ich bin

1 Walter Geissberger fertigte eine Planeten-Serie und «die 12 astrologischen Häuser» an. Die 12

astrologischen Häuser sind auf dieser und der nächsten vier Seiten zu sehen: 1. Widder, Lebens-durchsetzung, Kaserne Bern; 2. Stier, Lebenssicherung, Geld, Bank; 3. Zwilling, Kommuni-kation, Schule für Gestaltung Bern; 4. Krebs, Familie, Bauernhaus; 5. Löwe, Lebenskraft, Historisches Museum Bern; 6. Jungfrau, Lebenshindernisse, Wildermethspital Biel; 7. Waage,

Partnerschaft, Zweierzelt; 8. Skorpion, Tod, Atomkraftwerk; 9. Schütze, Lebensanschauung, Romanische Kathedrale; 10. Steinbock, Öffentlichkeit, Rathaus Bern; 11. Wassermann,

Freunde, Zirkuszelt Knie; 12. Fische, Persönliche Hindernisse, Gefängnis.

«Wale ist an allem interessiert und offen für vieles. Ich schät-

ze seine Besuche bei mir im Schulzimmer zum Fachsimpeln

oder einfach auch zum Plaudern über dieses und jenes.»

Simon Lehmann

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nicht unbedingt der Esoteriker und auch nicht wahnsinnig gläubig, aber ich bin erstaunt. Es ist faszinierend, welche Gedanken kreiert wurden, unter anderem im Zusammenhang mit Astrologie. Das fi nde ich hoch-spannend.Welches ist Ihr aufwändigstes Werk?Der Brunnen «Lebenslauf» in Gümligen. Er hat etwa ein Gewicht von elf Tonnen. Zudem musste er in Rekordzeit stehen. Ich bekam beiläufi g einmal mündlich den Auftrag für den Brunnen. Es meldete sich aber lange niemand mehr, bis sie plötzlich doch dastanden und Entwürfe sehen wollten. Innerhalb von zwei Monaten habe ich den Brunnen an-schliessend produziert. In dieser Zeit hatte ich zwei Angestellte, um das Projekt zu realisieren. Das war wahrscheinlich der grössen-, gewichts-, zeitmässig und auch fi nanziell der grösste Auftrag. Leider ging es danach nicht mit solchen Projekten weiter, sonst wäre ich nämlich nicht Lehrer geworden. Hätte es angehängt, so wäre ich nie auf die Idee gekommen, Schule zu geben.Was für ein Gefühl überkommt Sie, wenn Sie «fertig» sind mit einem Werk?Es kehrt eine ziemliche Befriedigung ein. Man ist froh, dass alles gut gelaufen ist. Und wenn es die Umgebung dann noch toll fi ndet, freut einen das. Und danach ist es abgehakt.Was für Hobbys haben Sie – neben der Kunst? Trifft man Sie an auf der Skipiste?Nein. Keines. Ich wüsste nicht, was ich für ein Hobby hätte. – Gopfried-stutz ich habe kein Hobby! Ich habe kein Hobby, wirklich. Da muss ich passen. Ich habe Langlaufski, weil mich eine damalige Freundin dazu überredet hat. Ich fi nde es toll, aber alleine kann ich mich nicht dafür motivieren. So bleiben die Langlaufski liegen. Ich gehe weder ins Kino noch ins Theater oder Konzert. Hobbys kamen immer dann auf, wenn

wieder irgend eine Beziehung zu spielen begann. Bis ich jeweils feststell-te, dass aus der Beziehung nicht so viel zurückkam, wie ich erwartete – und sie wieder fahren liess. Ich bin ein echter Kulturbanause, wenn man vergleicht mit einem Ruggero Ponzio und bedenkt, was der sich alles reinzieht. Ich komme am liebsten einfach hier in mein Atelier. Der Beruf ist mein Hobby – das sagen doch die meisten. Der Beruf ist mein Hobby, das ist meine Erklärung. (lacht)Wen bewundern Sie?Edward Munch und Ferdinand Hodler, das waren früher meine Vor-bilder. Noch vorher stand der Impressionist Alfred Sisley auf der Liste. Heute ist der Fall ganz klar: Markus Raetz und Ueli Berger, zwei top Typen, deren Arbeiten den meinen etwas ähneln, die aber ganz sicher genialer sind als ich. Genial sind natürlich auch die Zürcher Peter Fisch-li und David Weiss. Und in letzter Zeit ging mir der Zeichner André Thomkins öfters wieder durch den Kopf. Er machte sprachlich verrückte Dinge wie Palindrome1, Anagramme und andere Spielereien mit Buch-staben. Auch liess er verrückte, gezeichnete Bildwelten aufl eben.Welche Ausstellung haben Sie als letzte besucht?Die Ausstellung von Ueli Berger im Kunstmuseum Bern – abgesehen von meiner eigenen.Sie unterrichten ja die Gestalter Werbetechnik – ehemals Schrif-tenmaler. Welches ist Ihre Lieblingsschrift?Ich benutze die «Frutiger» für meine Dokumente. Die, welche die Post auch benutzt.

1 Ein Palindrom ist eine Zeichenkette, die von vorn und von hinten gelesen gleich bleibt – wie

zum Beispiel das Wort ANNA. Palindrome müssen nicht immer einen Sinn ergeben, die Zei-

chenkette muss allerdings von vorne nach hinten und von hinten nach vorne von den verwen-deten Zeichen und deren Reihenfolge her genau gleich sein.

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Welches ist Ihr Lieblingsbuch?Gibt es das? Das letzte, welches mich begeistert hat und ich in einem Atemzug durchgelesen habe, war Pascal Merciers «Nachtzug nach Lissa-bon».Mit welchen Medien holen Sie sich Informationen über das Geschehen in der Welt?Durch den «Bund», welcher täglich in meinem Briefkasten landet, den ich durchschaue. Und ein- bis zweimal im Monat kommt mir in den Sinn, dass ich einen Fernseher habe. Dann sehe ich mir die Tagesschau an. Durchschnittlich dreimal im Monat schalte ich den Flimmerkasten ein. Doch eigentlich wüsste ich, dass es eine ganz spannende Sendung gäbe. Manchmal schaffe ich es sogar, sie zu sehen, die «Sternstunde» am Sonn-tagmorgen. Ich bin fasziniert wenn ich solch philosophischen Gesprächen beiwohnen kann, zum Beispiel wenn de Weck mit seinem gepfl egten Auf-treten von Sprache, Wissen und Kombinatorik seine Äusserungen von sich gibt. Oder wenn ein Hans Saner spricht, dann sage ich mir «Gopferteli, das ist etwas Wunderschönes», vor allem, wenn jemand Gedanken und Philosophie so zum Ausdruck bringen kann. Das ist bereichernd.Von welchem Film sagen Sie, den muss man gesehen haben?Ich gehe doch nie ins Kino. (lacht) Ich ginge nur ins Kino, wenn wieder eine neue Partnerin da wäre und sie mich fragen würde, ob ich ins Kino komme. Dann würde ich wieder mal gehen. Aber doch: Damals bin ich auch mit einer Frau gegangen und wir haben uns zusammen den Gerhard-Meier-Film angeschaut. Ich kenne ihn auch persönlich, er ist ein Dichter aus Niederbipp, der sehr schön schreibt. Ich rate ihnen, unbedingt einmal ein Buch von Gerhard Meier zu lesen. In diesen Film wäre ich auch alleine gegangen, ich musste den einfach sehen, da ich Gerhard Meier ja persönlich kenne. Doch in der Zeit war wieder einer dieser Beziehungsversuche, so hab ich den Film mit dieser Frau gesehen. Sonst muss ich in der Regel

keine Filme sehen, ich informiere mich nicht einmal darüber, was für Filme laufen. Kino ist für mich kein Thema. Obwohl es wahrscheinlich Filme gäbe, die man gesehen haben müsste.Wenn Sie mit drei frei wählbaren Persönlichkeiten am selben Tisch zu Abend essen könnten, wen würden Sie einladen?Ja, warum nicht Markus Raetz? Den würde ich gerne einladen. Und… ähm… Ja… drei haben Sie gesagt?Ja, drei.Ueli Berger. Die zwei und Walter Kretz, ein Kollege der Schule, der jetzt in Pension geht. Ja das wäre gut. Das wäre super.So, jetzt kommen wir zur letzten Frage, meiner Lieblingsfrage: Wel-chen Rat fürs Leben geben Sie mir mit?(lacht) Bleiben Sie immer authentisch. Das ist so ein schönes Wort. Seien Sie und bleiben Sie immer authentisch. Zuvor müssen Sie aber wissen, wie Sie sind, um authentisch sein zu können. Die innere Stimme nie überhören, auch wenn man sie manchmal erst suchen muss.Ein schönes Schlusswort. Danke.

Andreas Schärer

«Walter Geissberger:

Im Zusammenhang mit den Menschen, welche ihn umgeben: liebenswertester Pechvogel und ‹Fettnäpfchentreter›Gestalterisch: hervorragender HandwerkerInfrastrukturell: Manischer OrdnungsmenschAls Phänomen: ein Mensch mit unterschiedlichsten,voneinander losgelösten Lebensphasen.»

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Werkbeschrieb

Discohai & Loipenhecht

Das Paar Discohai und Loipenhecht war nicht von Beginn an ein Paar. Erst für die Ausstellung «Paare» wurden sie zum Werkpaar. Die Geburts-stunde des Discohais war im August 2000, jene des Loipenhechts im Juni 2003. Wie viele von Walter Geissbergers Werken besteht auch dieses Paar nur aus Fundstücken aus seinem Fundus, Trägern, welche die verschiedenen Teile zusammenhalten, und einem Ständer, der die Werke dem Betrachter auf Augenhöhe bringt. Die zwei sind weder Skulptur noch Plastik, sondern montierte Objekte. Schauen wir uns die Fische einmal einzeln unter der Lupe an.

DiscohaiDer Discohai kommt wegen zwei seiner Bestandteile zu seinem Namen: Eine Singlescherbe, ein abgebrochener, knapper Viertel einer Vinyl-Single-Platte, stellt die Rückenfl osse dar. Sie ist mit zwei Drahtstücken unauffällig an den Rippen des Fisches befestigt. Diese Rippen werden durch einen plastifi zierten, weissen Singleständer dargestellt. Der Sin-gleständer ist von vorne her gesehen quadratisch – mit einzelnen Quet-schungen – und besteht aus einzelnen plastifi zierten Drähten, die am Rückgrat des Fisches zusammenlaufen. Man könnte meinen, dieses Gerippe schwebt, so unauffällig ist es an der Spitze eines Eisenstabs mit Hilfe eines Sägegriffs und zwei Nägeln fi xiert. Nur dank der richtigen Platzierung dieser simplen Befestigung ist der Discohai überhaupt im Gleichgewicht. Der Sägegriff bildet auch den Übergang von den Rippen

zur Schwanzfl osse. Diese ist eine Malerbürste, an deren Griff noch uralte Farbresten dran sind. Die Borsten wurden damals, bevor die Malerbür-ste Walter Geissberger in die Hände kam, noch fein säuberlich ausgewa-schen. Die Breite beziehungsweise Höhe der Malerbürste ist in etwa die gleiche wie jene beim Kopfanfang. Ein Gelenk einer Malerleiter, welches am «Kopfende» des Singleständers angeschraubt wurde, hat genau die Form eines Fischkopfes, wie ihn Kinder malen. Die Schrauben des Scharniers bilden die Augen. Dadurch, dass das Gelenk nur halb aufge-klappt ist, entsteht ein riesiges Maul. Am unteren Teil des Gelenkes bildet ein grosser Holzsplitter, der nicht sauber abgetrennt wurde, einen Übergang zu den Rippen – er führt sogar bis in die Magengegend hi-nein. Dank dieser Verbindung sieht der Kopf nicht «aufgehängt» aus.Der Eisenstab, gute 45 cm lang, welcher in den Sägegriff führt und den ganzen Fisch «schweben» lässt, steckt in einem kleinen Holzquader. Auf diesem ist das Werk unterschrieben mit Capra montes. Der kleine Holz-quader ist in einen vierbeinigen Eisenständer eingepasst, der die Masse 15 x 15 x 110 cm hat. Die Gesamthöhe des Discohais beträgt 156 cm.Die Farbgebung ist von den verwendeten Teilen vorgegeben. Der ganze Discohai weist viele Weisstöne auf. Farbtupfer ergeben sich durch die Holzteile, welche nicht weiss bemalt sind oder von denen die Farbe schon abgeblättert ist. Am Kopf bei den Schrauben sind Verläufe von Weiss über Grau bis hin zum Dunkel-Rostbraun zu erkennen. Am meisten Kontrast weist die Singlescherbe auf. Nicht nur gegenüber den andern

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Teilen, sondern auch in sich, durch das Schwarz des Vinyls und der aufgeklebten weissen Beschriftung.Die Form des Discohais ähnelt in der Tat der eines Hais. Durch die Gewichtsverteilung schaut sein Kopf ganz leicht nach unten. Doch wo-hin seine Augen schauen, ist nicht zu erkennen. Man könnte sagen, er verbeugt sich – soweit dies für ein Fisch möglich ist – vor dem Loipen-hecht.

LoipenhechtDer Loipenhecht ist ähnlich wie der Discohai zusammengesetzt. Seinen Namen geben ihm die Langlaufskiteile, aus denen er hauptsächlich be-steht. Er hat alle Flossen, die ein Fisch besitzt: zwei Brustfl ossen, Bauch-fl osse, Afterfl osse, Rückenfl osse und Schwanzfl osse. Diese sind alle ab-gebrochene Langlaufskiteile, die auf der ehemaligen «Oberseite» des Skis bordeauxrot bemalt sind. Durch diese Färbung erhält der Fisch von beiden Seiten ein unterschiedliches Aussehen. Auf der Schauseite (ge-mäss der Aufstellung/Präsentation von Walter Geissberger) stechen die Flossen dank ihrer Färbung heraus. Auf der Rückseite erkennt man, dass die Langlaufski älteren Datums sind, denn die Belagsseite ist nur Holz, das zum Schutz mit etwas übermalt oder lackiert wurde. Dieser Schutz lässt das Holz dunkel scheinen, als wäre es nass. Die Brustfl ossen sind aus den Skispitzen gemacht. Die Brustfl ossen und die Bauchfl osse sind durch Drahtwicklungen am Kühlschrankgitter, welches die Rippen des Loipenhechts darstellt, befestigt. Damit der Fisch auch die Form eines Fisches bekam, musste «der Hintern» mit einem Drahtkonstrukt erwei-tert und geformt werden, an welchem die Rücken-, Schwanz- und Af-terfl osse fi xiert sind. Das Kühlschankgitter wurde in der Mitte gebogen, diese Biegung stellt das Rückgrat des Fisches dar. Der Schwerpunkt des Loipenhechts liegt an einem anderen Ort als beim Discohai, nämlich

ganz vorne am Gerippe, im Brustbereich des Fisches. An dieser Stelle ist ein Eisenstab mit dem Gitter verbunden. Um die Stabilität zu garantie-ren, dient noch ein kleines Metallstängelchen zum Verstärken des Rück-grates. Der Grund, warum der Schwerpunkt so weit vorne liegt, ist der Kopf. Der besteht aus einer alten Langlaufskibindung, inklusive original erhaltener «Lederzunge». Am Kühlschrankgitter und einem gebogenen Eisenstab ist der Kopf befestigt.Auch beim Loipenhecht ist der Eisenstab, der vom Fisch runterführt, in einem Holzquader der gleichen Grösse wie beim Discohai verankert. Dieser ist ebenfalls auf einem vierbeinigen Eisenständer eingepasst. Die Gesamthöhe des Loipenhechts beträgt 154 cm.Die Farben sind abgesehen von den Rottönen der Skiteile und der roten Lederzunge im Bereich unbunt bis verschmutzt anzusiedeln. So ist der Kopf silbern-metallig, seine Rippen weisen Farben von Weiss bis Rost-braun auf.Aufgrund der Form des Fisches ist der Ausdruck «Hecht» gerechtfertigt. Sein Körper ist schmal, länglich und beinahe zerbrechlich, nur dank den mächtigen Flossen ist dem Loipenhecht die Aufmerksamkeit gesichert.

Die zwei Fische stehen nebeneinander, gegeneinander. Der Discohai «schwimmt» von links nach rechts, der Loipenhecht diesem entgegen. Sie schauen sich an, beide haben die Köpfe leicht gesenkt. Turteln die etwa?

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Werkinterpretation

Zwei von Land unter

Ein Pärchen, das sich gefunden hat. Sie ähneln sich stark, der Discohai und der Loipenhecht. Doch sie sind aus den unterschiedlichsten Be-standteilen zusammenmontiert. Inhaltlich weisen sie unterschiedliche Themen auf. Und doch passen sie zusammen.

Kälte durch und durchDie roten Langlaufskiteile waren es, die auf dieses Werkpaar aufmerk-sam machten. Sie sind es, gerade wenn die Fische vor einer weissen Wand stehen, die sich abheben und das Auge des Betrachters auf sich lenken. Folgt man den Skiteilen bis zu den Bruchkanten, schmerzt es. Die stacheligen Kanten tun einem weh. Man spürt richtig die Holzsplit-ter, die sich einem in die Finger bohren würden, wenn man den Loi-penhecht zu streicheln versuchen würde. Ein Stechen, welches jenem gleicht, das in den Fingern aufkommt, wenn man lange in der Kälte war und anschliessend im Warmen wieder «auftaut». Das Blut strömt in die Finger, diese schwellen an, das Stechen beginnt. Erst wenn die Durchblutung der Finger wieder geregelt ist, hat das schmerzvolle Ste-chen ein Ende.Als Gerippe für den Loipenhecht wäre nichts passender als das Kühl-schrankgitter. Wo sonst ist es dauernd so kühl wie in einem Kühls-schrank? Und was muss vorhanden sein, damit es schneit und Loipen gemacht werden können? Kälte. Die Roststellen am Kühlschrankgitter machen es glaubwürdig, dass der Hecht tatsächlich mal unter Wasser

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«Ich kenne Wale Geissberger als Jäger und Sammler. Er jagt nach allem, was interessiert.

Sammelt alles, was auffällt. Verarbeitet Trophäen zu Kunst.» Christian Moser

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war. Auch das Alter der Langlaufskiteile hilft mit, den Eindruck entste-hen zu lassen, dass der Fisch jahrelang auf dem Meeresgrund gelegen haben muss, bevor ihn jemand – namens Walter Geissberger – gefunden und wie einen Schatz geborgen hat.

Ab auf die Tanzfl ächeHat der Discohai wohl so stark in der Disco getobt, dass er diese am nächsten Morgen neu streichen musste? Wie der Loipenhecht ist auch er liebevoll montiert. Mit seiner edlen, tiefschwarzen Rückenfl osse wäre er in der Disco der Star. Für den Hai ist dies das nötige Accessoire – ein bisschen «bling-bling» – um aus der Menge herauszustechen. Hätte man ihm als Rippen ein Kühlschrankgitter verpasst, hätte es wahrscheinlich nicht funktioniert – jetzt wissen wir aber wenigstens, dass wir in der Not aus einem Kühlschrankgitter einen CD-Ständer machen könnten.Legt der Hai auf der Tanzfl äche los, verschlingt er sofort alle kleinen Fische mit seinem riesigen Maul. Diese haben dann den letzten Gang vor sich. Den Gang durch den Hals über das Sprungbrett, mitten in den riesigen Magen. Federn ist auf dem Sprungbrett allerdings verboten, denn sonst würde es dem Hai das Maul zuknallen. Pinsel und Gelenk der Malerleiter fanden Verwendung in diesem Werk, weil sie durch ihre Formen wie dafür gemacht sind. Das Weiss, welches dominiert, lässt vielleicht auch seine Art defi nieren. Ist er wohl ein Cousin vom Weissen Hai?Man kann sich immer die Frage stellen, welche weiteren Gedanken stehen jetzt hinter dem Entscheid dieses Teil für jenes Werk zu benut-zen. Doch bei vielen Werken von Walter Geissberger muss man sich vorher noch die Frage stellen: «Warum ist ihm dieses Teil überhaupt zugefallen?»

ZusammenspielSchaut man sich das Zusammenspiel des Pärchens an, kann man nur Vermutungen machen. Was machen die zwei? Vielleicht, könnte man sich denken, macht der Discohai dem Loipenhecht gerade den Hof. Er geht vor ihm – so quasi – in die Knie. Er lächelt, der Loipenhecht auch. Über das Geschlecht der beiden lässt sich auch nur spekulieren. Betrach-tet man jeden für sich, wäre es auf Grund der deutschen Sprache klar, dass beide Männchen sein müssten, schliesslich besitzen beide den Ar-tikel des männlichen Singulars. Doch in Anbetracht dessen, dass es weder Haiinnen noch Hechtinnen gibt, kann man die vorhergegangene These wieder vergessen. Schaut man sie sich zusammen an, wirkt der Hai stärker, wuchtiger, männlicher, der Hecht mit vielen gefährlichen Kanten bestückt, seinen feinen Rippen und lippenstiftroten Flossen leichter, zerbrechlicher, femininer.Das Maul des Loipenhechts lässt eine weitere Interpretation zu. Der «Schwache» lacht über den «Stärkeren». Der Discohai schämt sich, des-halb ginge sein Blick in diesem Fall zu Boden, der Loipenhecht lacht auf ihn hinab. Der Loipenhecht würde ihm wahrscheinlich am liebsten noch eine Watsche geben mit einer seiner Brustfl ossen. Oder mindestens den Hai noch ein wenig sticheln – die passende Voraussetzunge wäre ja gegeben.Doch die schönste Interpretation des Zusammenspiels der zwei ist wohl folgende: Zwei Freunde. Durch einen Zufall treffen sich die zwei an einem Ort, den die Menschen «Land unter» nennen. Schon ewig lang haben sie nichts mehr voneinander gehört. Deshalb gibt es viel zu er-zählen. Der eine sei als Maler tätig, aber nachts ziehe er immer noch gerne durch die «Clubs» – wie Discos heute bezeichnet würden. Der andere sei lange mit dem Welt-Langlaufzirkus unterwegs gewesen, habe aber wegen eines schlimmen Sturzes seine Karriere beenden müssen.

64 Werkinterpretation

Mittlerweile habe er sich aber einen Namen in der Kühlschrankbranche gemacht. Als die Neuigkeiten ausgetauscht worden waren, schwelgten die beiden zusammen in Erinnerungen und entdeckten nach langer Zeit wieder ihre B-Seiten. Sie konnten herzhaft darüber lachen und freuten sich noch lange über ihr zufälliges Wiedersehen.

Jeder Betrachter, jedes Lichtverhältnis, jeder Blickwinkel lassen das Paar anders wirken. Sie erzählen bei jedem neuen Blick darauf eine andere Geschichte. Der Discohai und der Loipenhecht sprechen an. Mit ihrem inhaltlichen Witz, der Stimmigkeit und der Originalität hinterlassen sie beim Betrachter ein tolles Gefühl. Ganz im Innern.

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Nachwort

Gereicht hat es

Als erstes gilt es, einen riesigen Dank an Walter Geissberger auszuspre-chen. Mit ihm hatte ich einen sehr kooperativen Künstler an meiner Seite. Zu danken ist auch den zwei Korrektorinnen Renate Seitz und Dorothee Kesselring, die meine Texte korrekturgelesen und dadurch die schlimmsten orthografi schen Schandtaten ausgemerzt haben.Eine solche Arbeit wäre nur halb so gut, wenn sie nicht als richtiges Buch daherkommen würde. Rosé-Marie Moser liess wieder einmal Wünsche wahr werden, indem sie diese Arbeit fachgerecht und sauber gebunden hat. Allergrössten Dank!

PlanungAls der Stein endlich ins Rollen gekommen war und der Kontakt mit «meinem» Künstler stand, liess mich die Arbeit kaum noch los. Mit der Wahl der Kunstart und des Künstlers traf ich genau meinen Geschmack. Die einzige Schwierigkeit, welche die Kunstform darstellte, waren die Aufnahmen der Objekte beziehungsweise die Umsetzungen der Foto-grafi en. Deshalb sind die Bilder dieser Arbeit auch nicht alle top, da die Bildbearbeitung eine sehr aufwendige Sache ist und die Aufnahme-situationen nicht die optimalsten waren.Ich hatte eine gewisse Vorstellung davon, wie die Arbeit am Ende aus-sehen sollte. Mir war auch klar, dass dafür eine Menge Arbeit notwendig sein würde. Der Zeitplan, der im Vorfeld erstellt werden musste, liess natürlich noch keine allzu exakte Planung zu, denn erstens kommt es

anders und zweitens als man denkt. Auf jeden Fall war ich aber sehr optimistisch beim Erstellen des Zeitplans. Eigentlich hätte er funktio-niert, könnte man sagen, doch zum Zeitpunkt des Erstellens waren noch nicht alle anderen zu erledigenden Arbeiten angekündigt. Diese machten mir einen dicken Strich durch die Rechnung. Auch waren Fotos und Interview relativ schnell mal gemacht, aber die Texte zu verfassen, das zog sich hin. Viel länger als mir lieb war. Deshalb sind im Arbeitsjournal auch grosse Unterschiede zwischen geplanter Zeit und benötigter Zeit zu erkennen. So tat ich recht daran, nicht schon bei der Planung allzu knapp Zeit einzuberechnen – diese wurde auch ohne es geplant zu haben plötzlich sehr kostbar. Aber gereicht hat es – dank den grosszügigen Reserven, die von Beginn an im Zeitplan enthalten waren.In Zukunft erwarte ich von mir persönlich ein konsequenteres Umsetzen meines Zeitplanes. Mein innerer «Schweinehund» konnte während die-ser Arbeit nicht immer sofort überwunden werden. Dies könnte sich verbessern. Wenn Ideen aufkommen, wäre es sicher nützlich, auch etwas genauer zwischen Aufwand und Ertrag abzuwägen – obwohl ich bei dieser Arbeit keinen Aufwand unterlassen haben möchte.

ResultatDas Resultat kann sich sehen lassen, abgesehen von einigen Makeln, die mit einem grösseren Zeitbudget besser hätten gemacht werden können. Das Gestaltungskonzept funktionierte gut, sowohl was die Farbgebung,

68 Nachwort

wie auch den Typoraster betrifft. Einzig meinen Clinch mit den Bildern und den eigentlich dazugehörenden Legenden konnte ich nicht wunsch-gemäss lösen. So sind die Bilder in diesem Werk ohne Legenden, nur aus dem Text heraus ist zu erfahren, um was es sich handelt. Mir war es aber wichtig, möglichst viel Bildmaterial in die Arbeit einzubringen.Walter Geissberger ist ein so abwechslungsreicher Künstler, dass es eben mit vier, fünf Bildchen nicht getan ist. Auch jetzt gäbe es noch viele unglaublich tolle Arbeiten von Walter Geissberger zu integrieren und abzubilden – aber man kann eben nicht immer alles machen, was man gerne möchte. Mit diesem Werk habe ich mir – auch wenn manche Spätschicht gescho-ben werden musste dafür – selbst eine Freude gemacht. Ich hoffe auch, dass sich «mein» Künstler darin wiedererkennt und seine Freude daran haben wird. Auch wenn nicht alles perfekt scheint, das Herzblut, welches in dieser Arbeit steckt, ist hoffentlich zu spüren.

Christian Heimann, 13. Januar 2008

Patrizia Hasler

«Seine Einfachheit, Natürlichkeit, warme Ausstrahlung und

Herzlichkeit tut mir immer gut, wenn ich Walter in den Gän-

gen der Schule für Gestaltung treffe. Walter versteht es, un-

sichtbare Energien im künstlerischen Schaffen einzufangen.

Er hat Zugang zu spirituellen Dimensionen, die wie Engels-

fl ügel seine künstlerischen Werke umhüllen!»

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Anhang

Weiteres zur Arbeit, zum Künstler und vom Macher

Bilddokumentation meiner ArbeitMein Zeitplan musste bald einmal radikal abgeändert werden. Die er-ledigten Arbeiten und zu machenden Pendenzen ergänzte ich in meinem Arbeitsjournal immer erst von Hand. Etappenweise wurden diese Ein-träge anschliessend im InDesign-Dokument nachgeführt.Die Kommunikation mit Walter Geissberger funktionierte fabelhaft: Ob per E-Mail, am Telefon, über den «SfGB-Post-Weg» oder einfach bei persönlichen Treffen – rasch kam ich zu den noch fehlenden Informa-tionen.Für das Fotografi eren nahm ich mir viel Zeit. Um unter den gegebenen Umständen gute Bilder machen zu können, war ein Stativ unabdingbar.

70 Anhang

Glücklicherweise hatte Walter Geissberger eines griffbereit, welches ich sofort benutzen durfte. Damit die Bilder noch schärfer gekommen wä-ren, wäre ein Fernauslöser toll gewesen… naja, fürs nächste Mal. Das Ziel, möglichst keine Refl exionen in den Bildern zu haben, habe ich nicht bei allen Aufnahmen erreicht.Als die ersten Texte gesetzt waren, kamen auch schon bald die ersten Korrekturen. Allzu viele waren es nicht. Doch genaue Arbeit zu leisten beim Korrigieren ist wichtig. Bei zu schnellem Ausführen läuft man Gefahr, kleine, aber wichtige Dinge zu übersehen.Zum Jahreswechsel sah es noch nach «wirklich genug» Zeit aus. Die Tage gingen dahin, bald wurde der Drei-Königs-Kuchen verspeist, das Datum bekam eine zweite Stelle und der Abgabetermin kam näher und näher. Doch auch die Arbeit nahm seinen Lauf, Pendenz um Pendenz konnte abgehakt werden.Ab dem Moment, als es ums Umbrechen ging, kam das Ziel in greifbare Nähe. Trotzdem lag noch viel Arbeit vor mir. So verbrachte ich noch viele Stunden – jeweils nach der «richtigen» Arbeit – an meinem tollen Arbeitsplatz bei Müllers.1 Übersicht, Durchhaltevermögen, ab und zu ein Stück Schokolade und viel Wasser – das benötigte es, um dieses Werk so zu vollenden, wie Sie es jetzt in den Händen halten.

1 Es gab schon Momente, in denen ich gemeint habe, ich würde dort wohnen. Das kommt viel-

leicht auch daher, dass alles so eingerichtet ist, wie ich es gerne mag. Und eine Schublade voller

überlebenswichtigen Knabbereien ist immer in greifbarer Nähe.

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Ausstellungsverzeichnis von Walter Geissberger1976 Schach; Galleria 3A, Ascona, 8. Mai – 27. Mai 19761977 Schweizerisches Tonkünstlerfest; Ausstellung GSMBA: Musik

Kongresshaus Biel, 15. Mai – 28. Mai 19771977 Plastik-Ausstellung; Botanischer Garten Bern,

16. Mai – 1. Aug. 19771977 Weihnachtsausstellung; Kunsthalle Bern,

10. Dez. – 8. Jan. 19781978 Bieler Künstler malen Burgdorf; Galerie Bertram Burgdorf,

16. Aug. – 3. Sept. 19781979 Kleinskulpturen und Objekte; 17 Schweizer Bildhauer,

Trudelhaus Baden, 5. Mai – 30. Juni 19791981 Heilig; Künstlerhaus S11 Solothurn, 22. Mai – 20. Juni 19811981 Une oeuvre – un artiste; Exposition Suisse GSMBA Delemont

22. Okt. – 8. Nov. 19811982 Zwei Berner Künstler; Künstlerhaus S11 Solothurn,

20. Aug. – 9. Sept. 19821982 Weihnachtsausstellung; Kunsthalle Bern, 4. Dez. – 9. Jan. 1983 1982 Weihnachtsmarkt; Künstlerhaus S11 Solothurn,

11. Dez. – 11. Jan. 19831994 Walter Geissberger; 365x100 Geformt + Gebrannt;

Berner Galerie, 31. Mai – 23. Juni 19941997 Lehrer/innenausstellung der Schule für Gestaltung Bern;

SfGB, 28. Nov. 1996 – 18. Jan. 19972000 Ausstellung Walter Geissberger; Bildungsurlaub Resultate;

SFGB, 16. Nov. – 8. Dez. 20002003 sonder-bar mit Capra montes in der Garage-Bar, 9. Aug. 20032007 Atelierausstellung 1/2007 Labium-Serie; 24. Mai – 17. Juni 20072007 Atelierausstellung 2/2007 Paare; 6. – 29. Sept. 2007

Teil-Werkverzeichnis von Walter GeissbergerEs existieren keine genauen Aufzeichnungen von Walter Geissberger, welche Werke er bereits angefertigt hat. Deshalb ist hier nur eine Bruch-teil-Aufl istung seiner Werke.1972 «Schach-Wanderpreis»1976 «Schachspiel»1977 Kontra-Serie: «Pyr», «Alukontra 1»1978 Brunnenanlage «Lebenslauf» in Gümligen1979 Metallgüsse: «Blick 1», «Blick 2», «Blick 3»1994 «100-Grämmer-Serie»1996 Fächertreppe1997 «Mond» der Planetenserie2000 «Discohai» «Venus», «Mars», «Jupiter», «Saturn», «Uranus» und «Neptun»

der Planetenserie, ebenfalls 4-fache Vergrösserung von «Venus», «Mars» und «Neptun»

Objekte aus Fundmaterial: «Diabolito nero», «Il giro volcani-co», «Giallo-rosso-blu», «Pezzi di piedi», «Aria zolfarosa», «Pompa di succo»

«Metamorphose 1»2001 «SurfBatz», «Batzimmer», «Flugbatz»2002 «Zwillingsobjekt»2003 «Loipenhecht» Persönlichkeiten: «Herr Opel», «Winkelried»2004 Quadrinity-Plastiken: «Küchenweiss», «Strassenschwarz»,

«Sandkastenbunt», «Glasfi gur» »Botti-Preis» für die Gemeinde Bolligen2005 Wand im Eingangsbereich der Zürcher Firma «GLfunds»2007 «Sägerei-Hund», «CG Jungbrunnen»

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Gewonnene Preise von Walter GeissbergerDen einzigen Preis, den Walter Geissberger je gewonnen hat, war der «Bäredräck-Priis». Er war der erste, der diesen Preis erhielt. Als Dank für sechs Jahre «Fasnachtsgäägen» wurde ihm dieser Preis verliehen. Über Walter Geissberger und seine «Fasnachtsvergangenheit» gäbe es auch jede Menge toller Dinge zu schreiben. In dieser Arbeit war dafür leider kein Platz mehr – doch wer weiss, vielleicht erscheint schon bald «Walter Geissberger alias Capra montes, Vol. 2».

QuellenangabenPraktisch alle Informationen, die in dieser Arbeit enthalten sind, kom-men von Walter Geissberger1 – ob sie nun von seiner Internetseite 2 oder aus seinem Mund stammen. Der Begriff «Kinetische Kunst» wurde mit Hilfe des Duden «Kunst» erklärt. Die Statements in dieser Arbeit zu Walter Geissberger stammen von den jeweils angegebenen Kollegen Geiss bergers.

1 Walter Geissberger wohnt an der Badhausstrasse 3, 3036 Ittigen. Sein Atelier befi ndet sich an

der Worblentalstrasse 171, 3065 Bolligen.

2 www.capramontes.ch

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