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16 MMW-Fortschr. Med. Nr. 3 / 2013 (155. Jg.) AKTUELLE MEDIZIN REPORT Wann ist der Zeitpunkt für die Dialyse gekommen? Nicht nur eine Frage der Laborwerte Neue Studienergebnisse haben die Diskussion darüber, wann bei einem Patienten mit fortgeschrittener Niereninsuffizienz mit der Dialyse begonnen werden sollte, neu belebt. Grundsätzlich gilt: Man sollte sich keinesfalls nur an der glomerulären Filtrationsrate (GFR) orientieren, sondern auch am klinischen Befund bzw. der Symptomatik. _ Zu den unbestrittenen klassischen In- dikationen einer Nierenersatztherapie gehören urämische Symptome wie Inap- petenz, Übelkeit, Erbrechen, Diarrhöen, Perikarditis, Bewusstseinstrübungen, metabolische Azidose, therapierefrak- täre Hyperkaliämie und Volumenüber- lastung. Inwieweit bei Patienten nur auf der Basis eines GFR-Wertes eine Dialyse erwogen werden sollte, darüber wird kontrovers diskutiert. „Nach den aktu- ellen Empfehlungen kann eine Dialyse dann diskutiert werden, wenn die GFR < 15 ml/min. beträgt“, sagte Prof. Matthias Girndt von der Nephrolo- gischen Universitätsklinik in Halle. Es sei unübersehbar, dass der Anteil der Pa- tienten, der bei einer GFR zwischen 10 und 15 ml/min bereits dialysiert werde, in den letzten Jahren deutlich zugenom- men habe. Man müsse die Frage stellen, ob dies für den Patienten immer vorteil- haft sei. Frühe Dialyse verbessert nicht die Prognose Um diese Frage zu beantworten, wurde vor einigen Jahren die IDEAL-Studie initiiert. Dabei wurden randomisiert Pa- tienten entweder früh bei einer GFR 10–15 ml/min dialysiert oder erst, wenn die GFR auf 7 ml/min abgefallen war. Während Patienten in der ersten Grup- pe durchschnittlich bereits nach 1,8 Mo- naten bei der Dialyse landeten, vergin- gen in der zweiten Gruppe im Schnitt 7,4 Monate. „Somit konnten die Pati- enten, die nicht sofort dialysiert wurden, ein halbes Jahr ohne Nierenersatzthera- pie gewinnen“, so Girndt. Beim entscheidenden Endpunkt der Studie, nämlich dem Zeitintervall bis zum Eintritt des Todes, fand sich kein signifikanter Unterschied innerhalb von fünf Jahren zwischen beiden Behand- lungsgruppen. „Allerdings musste die Dialyse bei vielen Patienten, bei denen zunächst ein späterer Dialysebeginn ge- plant war, schon früher wegen klas- sischer Urämiesymptome begonnen werden“, so Girndt. Als Fazit könne man aus der Studie lernen, dass bei asymptomatischen Pati- enten mit guter nephrologischer Betreu- ung der Dialysebeginn nicht ausschließ- lich von einem bestimmten GFR-Wert abhängig gemacht werden sollte. Wenn klinisch vertretbar, kann mit der Dialyse gewartet werden, bis die GFR auf 5–7 ml/min gesunken ist. „Die Überleben- sprognose wird dadurch nicht ver- schlechtert“, so Girndt. Empfehlenswert sei es, die Lebensqualität des einzelnen Patienten mit und ohne Nierenersatz- therapie abzuschätzen. In jedem Fall sei bereits in der Prä- dialysephase eine spezialisierte nephro- logische Mitbehandlung essenziell. STI Elektrolytstörungen bei Niereninsuffizienz Wann und wie korrigieren? Elektrolytstörungen sind bei Patien- ten mir chronischer Niereninsuffi- zienz ein häufiger Begleitbefund. In erster Linie geht es um Kalium, Kalzium und Phosphat. _ Bei chronischer Niereninsuffizienz nimmt die Kaliumausscheidung ab. Aber auch medikamentöse Einflüsse durch ACE-Hemmer, AT 1 -Blocker oder kaliumsparende Diuretika lassen den Kaliumwert steigen. „Besonders gefähr- det sind Patienten, die unter einer The- rapie mit einem ACE-Hemmer oder AT 1 -Blocker ein NSAR-Präparat ein- nehmen“, sagte Prof. Markus Kettler, Chefarzt der Nephrologischen Abtei- lung im Krankenhaus Coburg. Bevor bei einer Hyperkaliämie therapeutische Maßnahmen eingeleitet werden, sollten zunächst jedoch entnahmebedingte Fehler im Sinne einer Pseudo-Hyperka- liämie ausgeschlossen sein. Bei einer echten Hyperkaliämie muss zunächst die medikamentöse Therapie adaptiert werden, beispielsweise indem das kaliumsparende Diuretikum durch Ist der Patient, der früher dialysiert wird, nur länger an der Dialyse? © Klaus Rose

Wann und wie korrigieren?

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16 MMW-Fortschr. Med. Nr. 3 / 2013 (155. Jg.)

AKTUELLE MEDIZIN–REPORT

Wann ist der Zeitpunkt für die Dialyse gekommen?

Nicht nur eine Frage der Laborwerte

Neue Studienergebnisse haben die Diskussion darüber, wann bei einem Patienten mit fortgeschrittener Niereninsuffizienz mit der Dialyse begonnen werden sollte, neu belebt. Grundsätzlich gilt: Man sollte sich keinesfalls nur an der glomerulären Filtrationsrate (GFR) orientieren, sondern auch am klinischen Befund bzw. der Symptomatik.

_ Zu den unbestrittenen klassischen In-dikationen einer Nierenersatztherapie gehören urämische Symptome wie Inap-petenz, Übelkeit, Erbrechen, Diarrhöen, Perikarditis, Bewusstseinstrübungen, metabolische Azidose, therapierefrak-täre Hyperkaliämie und Volumenüber-

lastung. Inwieweit bei Patienten nur auf der Basis eines GFR-Wertes eine Dialyse erwogen werden sollte, darüber wird kontrovers diskutiert. „Nach den aktu-ellen Empfehlungen kann eine Dialyse dann diskutiert werden, wenn die GFR < 15 ml/min. beträgt“, sagte Prof. Matthias Girndt von der Nephrolo-gischen Universitätsklinik in Halle. Es sei unübersehbar, dass der Anteil der Pa-tienten, der bei einer GFR zwischen 10 und 15 ml/min bereits dialysiert werde, in den letzten Jahren deutlich zugenom-men habe. Man müsse die Frage stellen, ob dies für den Patienten immer vorteil-haft sei.

Frühe Dialyse verbessert nicht die PrognoseUm diese Frage zu beantworten, wurde vor einigen Jahren die IDEAL-Studie ini tiiert. Dabei wurden randomisiert Pa-tienten entweder früh bei einer GFR 10–15 ml/min dialysiert oder erst, wenn die GFR auf 7 ml/min abgefallen war. Während Patienten in der ersten Grup-pe durchschnittlich bereits nach 1,8 Mo-naten bei der Dialyse landeten, vergin-gen in der zweiten Gruppe im Schnitt 7,4 Monate. „Somit konnten die Pati-enten, die nicht sofort dialysiert wurden,

ein halbes Jahr ohne Nierenersatzthera-pie gewinnen“, so Girndt.

Beim entscheidenden Endpunkt der Studie, nämlich dem Zeitintervall bis zum Eintritt des Todes, fand sich kein signifikanter Unterschied innerhalb von fünf Jahren zwischen beiden Behand-lungsgruppen. „Allerdings musste die Dialyse bei vielen Patienten, bei denen zunächst ein späterer Dialysebeginn ge-plant war, schon früher wegen klas-sischer Urämiesymptome begonnen werden“, so Girndt.

Als Fazit könne man aus der Studie lernen, dass bei asymptomatischen Pati-enten mit guter nephrologischer Betreu-ung der Dialysebeginn nicht ausschließ-lich von einem bestimmten GFR-Wert abhängig gemacht werden sollte. Wenn klinisch vertretbar, kann mit der Dialyse gewartet werden, bis die GFR auf 5–7 ml/min gesunken ist. „Die Überleben-sprognose wird dadurch nicht ver-schlechtert“, so Girndt. Empfehlenswert sei es, die Lebensqualität des einzelnen Patienten mit und ohne Nierenersatz-therapie abzuschätzen.

In jedem Fall sei bereits in der Prä-dialysephase eine spezialisierte nephro-logische Mitbehandlung essenziell. STI ■

Elektrolytstörungen bei Niereninsuffizienz

Wann und wie korrigieren?Elektrolytstörungen sind bei Patien-ten mir chronischer Niereninsuffi-zienz ein häufiger Begleitbefund. In erster Linie geht es um Kalium, Kalzium und Phosphat.

_ Bei chronischer Niereninsuffizienz nimmt die Kaliumausscheidung ab. Aber auch medikamentöse Einflüsse

durch ACE-Hemmer, AT1-Blocker oder kaliumsparende Diuretika lassen den Kaliumwert steigen. „Besonders gefähr-det sind Patienten, die unter einer The-rapie mit einem ACE-Hemmer oder AT1-Blocker ein NSAR-Präparat ein-nehmen“, sagte Prof. Markus Kettler, Chefarzt der Nephrologischen Abtei-lung im Krankenhaus Coburg. Bevor bei

einer Hyperkaliämie therapeutische Maßnahmen eingeleitet werden, sollten zunächst jedoch entnahmebedingte Fehler im Sinne einer Pseudo-Hyperka-liämie ausgeschlossen sein.

Bei einer echten Hyperkaliämie muss zunächst die medikamentöse Therapie adaptiert werden, beispielsweise indem das kaliumsparende Diuretikum durch

Ist der Patient, der früher dialysiert wird, nur länger an der Dialyse?

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AKTUELLE MEDIZIN–REPORT

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ein Schleifendiuretikum ergänzt oder ersetzt wird. Bei schweren Hyperkali-ämien ist auch die Gabe eines oralen Austauschharzes unverzichtbar. „Eine therapierefraktäre Hyperkaliämie ist im-mer eine zwingende Indikation für eine Dialyse“, so Kettler.

Kalziumzufuhr limitierenDer Serum-Kalzium-Wert ist bei Pati-enten mit chronischer Niereninsuffizi-enz nur bedingt aussagekräftig bezüg-lich der Kalziumbilanz. Die Gesamt-Kalzium-Zufuhr sollte limitiert sein, da eine Hyperkalzämie auch im Hinblick

auf die Gefäßverkalkung ungünstig ist. „Die Therapie des sekundären Hyperpa-rathyreoidismus sollte immer an die Kal-ziumwerte angepasst werden“, so Kettler. Leicht erniedrigte Kalziumwerte seien unbedenklich, könnten jedoch die Parat-hormonsekretion stimulieren.

Senkung des PhosphatspiegelsAuch die Erhöhung des Phosphatspie-gels ist ein häufiges Begleitphänomen bei chronischer Niereninsuffizienz. Bei den meisten Patienten kann durch eine entsprechende Diät keine ausreichende Senkung des Phosphatwertes erreicht

werden, zumal bei strenger Einhaltung der diätetischen Empfehlungen ein ho-hes Risiko für eine Malnutritition be-steht.

Deshalb ist für die Mehrzahl der Be-troffenen die zusätzliche Gabe eines Phosphatbinders erforderlich, der nach Möglichkeit kalziumfrei sei sollte. „Vieles spricht dafür, in Zukunft mit der Sen-kung des Phosphatspiegels medikamen-tös bereits zu beginnen, bevor eine Hy-perphosphatämie nachgewiesen werden kann“, so Kettler. STI ■

Behandlung der renalen Anämie

Mit Eisen und Erythropoetin zum Ziel-HbEine der häufigsten Komplikationen bei Patienten mit fortgeschrittener chronischer Niereninsuffizienz ist die renale Anämie. Therapeutisch sollte man möglichst zweigleisig fahren. Zusätzlich zu Erythropoetin (EPO), das keinesfalls zu hoch dosiert wer-den darf, empfiehlt sich immer die Gabe eines Eisenpräparats. Oft lässt sich dadurch nicht nur die Anämie, sondern auch die Nierenfunktion verbessern.

_ Über viele Jahre galt bei renaler Anä-mie die Gabe einer Erythropoese stimu-lierenden Substanz als Standardtherapie. „Neuere Studienergebnisse haben je-doch zu einem gewissen Umdenken ge-führt“, sagte Prof. Walter H. Hörl von der Nephrologischen Universitätsklinik in Wien. Die komplette Korrektur der Anämie mit einer solchen Substanz sei keinesfalls vorteilhaft; denn niereninsuf-fiziente Patienten mit einem Hämoglo-binwert von 13,5 g/dl unter EPO-Thera-pie schnitten bezüglich des kombi-nierten Endpunktes (Tod, Myokardin-farkt, Schlaganfall und Hospitalisierung) schlechter ab als Patienten mit einem Ziel-Hb-Wert von 11,5 g/dl. Diese nega-tiven Ergebnisse dürften allein durch die

hoch dosierte EPO-Gabe verursacht sein und nicht durch den erhöhten-Hä-moglobinwert“, so Hörl. Eine Therapie mit einem EPO-Präparat sollte deshalb heute erst bei einem Hb < 9 g/dl einge-setzt werden, bei höheren Hb-Werten nur dann, wenn entsprechende anämie-bedingte Symptome vorliegen. Dabei sollte ein Ziel-Hb-Wert von 11,5 g/dl angestrebt werden.

Funktionellen Eisenmangel behebenBei Patienten mit chronischer Nierenin-suffizienz liegt häufig ein funktioneller Eisenmangel mit der Folge einer Eisen-mangelanämie vor. „Die Mehrzahl der chronisch niereninsuffizienten Pati-enten hat einen Ferritinwert < 100 mg/dl“, so Hörl. Ein solcher funktioneller Eisenmangel sei auch eine der häu-figsten Ursachen dafür, dass das EPO-Präparat keine optimale Wirkung entfal-ten kann. Deshalb sei eine Eisensubsti-tution sinnvoll, zumal in Studien gezeigt werden konnte, dass unabhängig von der Beeinflussung des Hb-Wertes auch die GFR ansteigt.

Die Eisensubstitution kann grund-sätzlich oral erfolgen. Eine intravenöse Eisengabe ist jedoch dann erforderlich, wenn die orale Applikation nicht zum

gewünschten Erfolg führt oder ein ra-scher Anstieg des Hb-Wertes angestrebt wird. „Neuere Untersuchungsergebnisse sprechen dafür, dass die Korrektur des Eisenmangels eine über die Anämie-korrektur hinausgehende günstige Wir-kung auf die Nierenfunktion entfaltet“, so Hörl.

STI ■

■ Quelle: DGIM-Kongress 2012

Blutarmut ist bei fortschreitender Nierenschwäche fast immer dabei.

© S

heve

lev/

foto

lia