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302 Angela Schuster Warum Lehrerinnen und Lehrer schreiben Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Doktorin der Philosophie, vorgelegt in der Fakultätfiir interdisziplinäre Forschung und Fortbildung (IFF) der Alpen-Adria-Universität Kla- gerifurt. Gutachter: Prof Dr. Konrad Krainer Prof Dr. Johannes Mayr Datum der mündlichen Prüflmg: 2. April 2008 Die Aktionsforschung geht davon aus, dass die professionelle Weiterentwicklung von Lehrkräften durch die systematische Reflexion ihrer eigenen Arbeit und insbesondere durch das Verschriftli- chen ihrer Erfahrungen (in "reflective papers", Fallstudien etc.) gefordert werden kann. Die empri- rischen Belege sind - insbesondere hinsichtlich quantitativer Erhebungen - bisher eher spärlich. Die Dissertation geht der Frage nach, welche Anreize Lehrerinnen und Lehrer mathematisch- naturwissenschaftlicher Fächer zum Schreiben über ihre Praxis bewegen und wie sich diese Anrei- ze im Laufe des Schreibprozesses verändern. Der Autorin - Mathematik- und Physiklehrerin an einem österreichsehen Gymnasium sowie Teilnehmerin und später Fortbildnerin an zwei Universi- tätslehrgängen - geht es in dieser Arbeit sowohl um neue Erkenntnisse in der Fortbildungsfor- schung als auch um das Ausarbeiten von konkreten Empfehlungen fiir die Verbesserung von Fort- bildung mit Aktionsforschungselementen. Der theoretische Teil der Arbeit beschäftigt sich zunächst mit Literatur zum Thema Schreiben. Beiträge zur Frage "Warum soll man schreiben?" sind wesentlich seltener zu finden als zu der Frage "Wie soll man schreiben?". Es gibt wenig empirische Forschung in diesem Bereich. Den theoretischen Rahmen fiir die Untersuchung bildet das "Erweiterte Motivationsmodell" nach Rheinberg (2004). Es unterscheidet Motive als überdauernde Personenmerkmale, die sich aus Er- fahrungen, Zielvorstellungen und Erwartungen entwickelt haben, und Situationen, aus denen her- aus sich potenzielle Tätigkeitsanreize ergeben. Die aktuelle Motivation resultiert aus der Wech- selwirkung zwischen jeweiliger Situation und Motiv. Im empirischen Teil wurden Lehrerinnen und Lehrer, die bereits Schreiberfahrungen gemacht hat- ten, in einer Online-Untersuchung gebeten, diese Anreize aus zweierlei Blickwinkeln in einem Fragebogen zu bewerten: aus der Sicht, die sie vor dem ersten Schreibprozess hatten und aus ihrer gegenwärtigen Situation heraus. Die befragten Lehrer/innen hatten entweder einen viersemestrigen Universitätslehrgang fiir Pädagogik und Fachdidaktik fiir Lehrer/innen (PFL) der Mathematik oder der Naturwissenschaften (siehe Krainz-Dürr et al., 2002) absolviert oder zumindest ein Unter- richts- oder Schulentwicklungsprojekt im Rahmen von IMST (siehe Krainer, 2007) durchgeführt. Insgesamt konnten 115 Fragebogen (von 298 ausgesandten; Rückmeldequote von 39,4 %) ausge- wertet werden. In einem letzten Schritt wurden Interviews, die sich auf die Fragebogenergebnisse bezogen, mit sechs ausgewählten Lehrpersonen geführt. Das wichtigste Ergebnis des Fragebogens ist die unterschiedliche Bewertung der Anreize vor und nach dem ersten Schreibprozess. Alle Anreize bis auf den Druck von außen ("Ich schreibe, weil es verlangt wird.") wurden im Nachhinein signifikant höher bewertet als vorher. Die größten Unter- schiede traten bei den Anreizen "Ich schreibe, weil ich durch das Verschriftlichen genötigt bin, (JMD 29 (2008) H. 3/4, S. 302-303)

Warum Lehrerinnen und Lehrer schreiben

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Angela Schuster

Warum Lehrerinnen und Lehrer schreiben

Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Doktorin der Philosophie, vorgelegt in der Fakultätfiir interdisziplinäre Forschung und Fortbildung (IFF) der Alpen-Adria-Universität Kla­gerifurt.

Gutachter: Prof Dr. Konrad Krainer Prof Dr. Johannes Mayr

Datum der mündlichen Prüflmg: 2. April 2008

Die Aktionsforschung geht davon aus, dass die professionelle Weiterentwicklung von Lehrkräften durch die systematische Reflexion ihrer eigenen Arbeit und insbesondere durch das Verschriftli­chen ihrer Erfahrungen (in "reflective papers", Fallstudien etc.) gefordert werden kann. Die empri­rischen Belege sind - insbesondere hinsichtlich quantitativer Erhebungen - bisher eher spärlich. Die Dissertation geht der Frage nach, welche Anreize Lehrerinnen und Lehrer mathematisch­naturwissenschaftlicher Fächer zum Schreiben über ihre Praxis bewegen und wie sich diese Anrei­ze im Laufe des Schreibprozesses verändern. Der Autorin - Mathematik- und Physiklehrerin an einem österreichsehen Gymnasium sowie Teilnehmerin und später Fortbildnerin an zwei Universi­tätslehrgängen - geht es in dieser Arbeit sowohl um neue Erkenntnisse in der Fortbildungsfor­schung als auch um das Ausarbeiten von konkreten Empfehlungen fiir die Verbesserung von Fort­bildung mit Aktionsforschungselementen. Der theoretische Teil der Arbeit beschäftigt sich zunächst mit Literatur zum Thema Schreiben. Beiträge zur Frage "Warum soll man schreiben?" sind wesentlich seltener zu finden als zu der Frage "Wie soll man schreiben?". Es gibt wenig empirische Forschung in diesem Bereich. Den theoretischen Rahmen fiir die Untersuchung bildet das "Erweiterte Motivationsmodell" nach Rheinberg (2004). Es unterscheidet Motive als überdauernde Personenmerkmale, die sich aus Er­fahrungen, Zielvorstellungen und Erwartungen entwickelt haben, und Situationen, aus denen her­aus sich potenzielle Tätigkeitsanreize ergeben. Die aktuelle Motivation resultiert aus der Wech­selwirkung zwischen jeweiliger Situation und Motiv. Im empirischen Teil wurden Lehrerinnen und Lehrer, die bereits Schreiberfahrungen gemacht hat­ten, in einer Online-Untersuchung gebeten, diese Anreize aus zweierlei Blickwinkeln in einem Fragebogen zu bewerten: aus der Sicht, die sie vor dem ersten Schreibprozess hatten und aus ihrer gegenwärtigen Situation heraus. Die befragten Lehrer/innen hatten entweder einen viersemestrigen Universitätslehrgang fiir Pädagogik und Fachdidaktik fiir Lehrer/innen (PFL) der Mathematik oder der Naturwissenschaften (siehe Krainz-Dürr et al., 2002) absolviert oder zumindest ein Unter­richts- oder Schulentwicklungsprojekt im Rahmen von IMST (siehe Krainer, 2007) durchgeführt. Insgesamt konnten 115 Fragebogen (von 298 ausgesandten; Rückmeldequote von 39,4 %) ausge­wertet werden. In einem letzten Schritt wurden Interviews, die sich auf die Fragebogenergebnisse bezogen, mit sechs ausgewählten Lehrpersonen geführt. Das wichtigste Ergebnis des Fragebogens ist die unterschiedliche Bewertung der Anreize vor und nach dem ersten Schreibprozess. Alle Anreize bis auf den Druck von außen ("Ich schreibe, weil es verlangt wird.") wurden im Nachhinein signifikant höher bewertet als vorher. Die größten Unter­schiede traten bei den Anreizen "Ich schreibe, weil ich durch das Verschriftlichen genötigt bin,

(JMD 29 (2008) H. 3/4, S. 302-303)

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mich intensiver mit einer Situation auseinander zu setzen." und "Ich schreibe, weil Schreiben mir ermöglicht, Ergebnisse bewusst nochmals zu überdenken." auf. Eine Faktorenanalyse der Anreize ergab drei Skalen: 1. Persönlicher Nutzen, 2. Außenwirkung und 3. Druck. Es wurde untersucht, ob hinsichtlich der Merkmale Absovierung eines Universitätslehrgangs, Dienstalter, Fach, Geschlecht und Schultyp Unterschiede auftreten. Keine signifikanten Differen­zen zeigten sich hinsichtlich der Merkmale Dienstalter und Schultypen. Signifikante Unterschiede zwischen Männern und Frauen gab es nur bei der Skala "Druck von außen". Der Druck wurde von Frauen deutlicher wahrgenommen als von Männern. MathematiklehrerIinnen und Naturwissen­schaftler/innen unterschieden sich in der Bewertung der Anreize insofern signifikant, als rur Ma­thematiker/innen Reflexion ein wichtigerer Anreiz war als rur Lehrer/innen der Naturwissenschaf­ten und dass sie ihre Ergebnisse anderen lieber zur Verrugung stellen. Den deutlichsten Unterschied gab es zwischen Lehrer/innen mit oder ohne Besuch eines Universitätslehrgangs. Lehrgangsteil­nehmer/irmen bewerteten die Anreize der Skalen "persönlicher Nutzen" und ,,Außenwirkung" vor und nach dem Lehrgang höher. Den Druck, die Verpflichtung zum Schreiben, bewerteten Lehr­gangsteilnehmer/innen vorher höher, nachher aber deutlich niedriger als die Lehrkräfte, die an kei­nem Lehrgang teilgenommen hatten. Die vertiefte und über einen längeren Zeitraum währende Auseinandersetzung dieser Lehrkräfte mit Praxisreflexion und deren Verschriftlichung im Rahmen von Aktionsforschung dürfte die Motivation fiir das Schreiben günstig beeinflusst haben. Es erscheint daher insgesamt gerechtfertigt, Lehrerinnen und Lehrer im Rahmen von aktionsfor­schungsbasierten Initiativen zur Unterrichts- und Schulenwicklung zum Schreiben zu verpflichten, weil sie aus den Erfahrungen viel profitieren. Die Fragebogenerhebung beschränkt sich zwar auf die Sicht der Lehrkräfte, sie deckt sich aber weitgehend mit der Einschätzung jener von Fortbild­ner/innen in diesem Bereich, was durch eine kurze Befragung ermittelt werden konnte. Um den Nutzen deutlicher werden zu lassen, sollen Lehrpersonen angeregt werden, während des Schrei­bens und im Nachhinein über den Prozess des Schreibens zu reflektieren. Hinsichtlich der For­schung möchte die Autorin der Frage nachgehen, welche Kompetenzen der Lehrerinnen und Leh­rer beim Schreiben besonders gefördert werden.

Literatur Krainer, K. (2007). Die Programme IMST und SINUS: Reflexionen über Ansatz, Wirkungen und

Weiterentwicklungen. In D. Höttecke (Hrsg.), Naturwissenschaftlicher Unterricht im in­ternationalen Vergleich (S. 20-48). Gesellschaft rur die Didaktik der Physik Band 27. Berlin: Lit Verlag.

Krainz-DÜIT, M., Kröpfl, B., Piber, C., Stern, T., Krainer, K. & Rauch, F. (2002). Universitätslehr­gänge "Pädagogik und Fachdidaktik fiir Lehrer/innen (PFL)". In G. Knapp (Hrsg.), Wis­senschaftliche Weiterbildung im Aufbruch? Entwicklungen und Perspektiven (S. 332-359). Wien, Laibach und Klagenfurt: Verlag HermagoraslMohorjeva.

Rheinberg, F. (2004). Motivation. 5. Auflage. Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer.

Adresse der Autorin

Mag. Dr. Angela Schuster, MAS Alpen-Adria-Universität Klagenfurt Institut fiir Unterrichts- und Schulentwicklung Schottenfeldgasse 29 1070 Wien