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Was ist eigentlich eine gute Kita? - akademie-nordkirche.de · 10.15 Uhr Die Kita als Bildungseinrichtung ... 7 lungsförderung in Kindertageseinrichtungen geht dabei primär darum,

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Was ist eigentlich eine gute Kita? Diese Frage stellen sich Eltern schon seit Jahr und Tag. In den vergangenen Jah-

ren musste es für sie vorrangig darum gehen, überhaupt einen Betreuungsplatz zu

ergattern. Mehr und mehr sollte nun die Qualität von Krippen und Kitas in den Vor-

dergrund rücken. Doch was heißt das konkret? Müssen Dreijährige eine Fremd-

sprache lernen oder gezielt in Mathematik und Naturwissenschaften geschult wer-

den? In welchem Verhältnis sollen Bildung und Betreuung stehen?

In Fachkreisen wird darüber schon länger diskutiert. Zuletzt erschienen eine ganze

Reihe von Studien, die die Qualität von Krippen und Kitas zu erfassen suchten.

Doch nicht alle der hierbei genannten Kriterien sind hinreichend aussagekräftig.

Was sagen etwa Putzpläne oder die zur Verfügung stehenden Parkplätze über die

Betreuungsqualität aus? Welche Bedeutung kommt andererseits der Ausstattung

mit qualifiziertem Personal zu? Ist sie – zumal bei den Krippen – nicht das

A und O? Laut Bertelsmann-Stiftung hat Hamburg aber genau hier unter den west-

deutschen Bundesländern die Rote Laterne. Der Senat verweist demgegenüber

darauf, dass in der Hansestadt überdurchschnittlich viele Kleinkinder in einer Ein-

richtung betreut werden.

Im Rahmen der Tagung sollen Schneisen in das Dickicht der Qualitätsdiskussion ge-

schlagen werden. Dabei könnte sich ein Dialog zwischen Eltern, Erzieher/innen,

Wohlfahrtsverbänden und der Politik über die jeweiligen Vorstellungen darüber erge-

ben, was eine gute Kita oder Krippe auszeichnet. In Arbeitsgruppen werden exemp-

larisch Schlaglichter auf einzelne, hierfür besonders relevante Problemfelder gewor-

fen. In diesem Zusammenhang werden erstmals Forschungsergebnisse von Absol-

ventinnen des berufsintegrierenden Hamburger Studiengangs »Soziale Arbeit & Dia-

konie – Frühkindliche Bildung« präsentiert und zur Diskussion gestellt. Ein vierter

Workshop wird von der Organisationspsychologin Prof. Daniela Ulber von der Ham-

burger Hochschule für angewandte Wissenschaften geleitet.

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Programm 09.15 Uhr Begrüßung und Einführung 09.00 Uhr Putzpläne, Parkplätze, Personalschlüssel - Woran lässt sich Qualität

ermessen? (Teil A, S. 5ff.) Ein Problemaufriss von Prof. Michael-Sebastian Honig,

Erziehungswissenschaftler, Universität Luxemburg 10.15 Uhr Die Kita als Bildungseinrichtung – Was sind die Ziele in Hamburg?

(Teil B, S 17ff.) Eine Einführung von Dr. Dirk Bange,

Leiter der Abteilung Familie und Kindertagesbetreuung, Behörde für Ar-beit, Soziales, Familie und Integration

10.30 Uhr Die Qualitätsansprüche der Wohlfahrtsverbände (Teil C, S. 21ff.)

Ein Round-Table-Gespräch mit Gerlinde Gehl, Fachbereichsleiterin Kinder- und Jugendhilfe, Diakoni-sches Werk Hamburg Claus Reichelt, Geschäftsführungsteam Soal e.V.

11.30 Uhr Arbeitsgruppen (Teil D) AG 1: »Akademisierung – wozu?« (S. 29ff.) Viele fordern für Erzieherinnen und Erzieher eine Hochschulausbildung.

Doch keiner will sie bezahlen. Wie groß wäre der zusätzliche Nutzen?

AG 2: »Armut – und wer sieht hin?« (S. 32ff.) Kinderarmut hat viele Facetten und ist ein heiß diskutiertes Thema in der

Öffentlichkeit. Wie stellt sich die Diskussion in der Kita dar, offen oder als Tabu? Wer übernimmt dafür die Verantwortung? Und wo bleibt das Kind dabei?

AG 3: »Bildungsempfehlungen – völlig umsonst?« (S. 35ff.) Die Grundlage für Bildungsprozesse wird

in tragfähigen Beziehungen gesehen. Welche Einflüsse erschweren ihre Umsetzung bei der Eingewöhnung von Krippenkindern?

AG 4: »Gute Leitung – aber wie?« (S. 38ff.) Die Leitung von Kindertageseinrichtungen

ist ein ausgesprochen komplexes Arbeitsfeld – auch aufgrund unter-schiedlicher Erwartungen, die an sie gerichtet werden. Welche Kompetenzen und Unterstützungs-formen sind sinnvoll?

13.30 Uhr Wider den Optimierungszwang (Teil E, S. 39ff.) Ein Zwischenruf gegen die Überforderung der Kindheit von Dr. Nils Minkmar,

Ressortleiter Feuilleton der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«

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14.00 Uhr Zwischen allen Stühlen? Einblicke in den Alltag einer Erzieherin mit Klaudia Wöhlk,

Leiterin der Kita Bauerberg, Hamburg-Horn, und Betriebsrätin 14.15 Uhr Was ist eine gute Kita? Wer muss was dafür tun? Eine Abschlussdiskussion mit Detlef Scheele (SPD), Hamburger Senator für Arbeit, Soziales, Familie

und Integration Jens Stappenbeck, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft der Freien

Wohlfahrtspflege Hamburg Prof. Michael-Sebastian Honig, Universität Luxemburg Moderation: Jürgen Heilig, Evangelische Akademie der Nordkirche 16.00 Uhr Ende der Tagung

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(A) Putzpläne, Parkplätze, Personalschlüssel – Woran lässt sich

Qualität ermessen? 1

Problemaufriss von Prof. Michael-Sebastian Honig, Universität Luxemburg

Der folgende Beitrag bezieht sich auf die große Bedeutung, welche die Forderung

nach Qualität in der Diskussion um den Ausbau und die Professionalisierung der

Kindertagesbetreuung in Deutschland hat. Diese Diskussion ist in weiten Bereichen

eine Diskussion über Qualitätsentwicklung in der Kindertagesbetreuung. „Qualität“ ist

ein Leitmotiv dieser Debatte; was aber unter Qualität verstanden werden soll, ist

auch nach über 20 Jahren Diskussion durchaus strittig (Helmke/Hornstein/Terhart

2000). Daher wird diese Frage im Mittelpunkt stehen.

Der Titel gibt bereits einen Hinweis auf mögliche Antworten: Bemisst sich die Qualität

von Kinderbetreuung an Putzplänen, Parkplätzen und Personalschlüsseln? Das ist

offensichtlich ironisch gemeint; denn es geht sicher auch um pädagogische Konzepte

und eine gelingende Praxis. Wenn er die Messung von Qualität anspricht, nimmt er

auf die Notwendigkeit Bezug, Qualität nachzuweisen; aber der Titel betont die Frage

nach den Maßstäben, woran sich Qualität bemessen soll. Daran schließt sich die

Frage an, ob sich Qualität nicht auch anders feststellen lässt als durch Messen. Und

wie kann aus der Feststellung von Qualität ein Beitrag zu ihrer Entwicklung werden?

Es gibt also viele Fragen an den Qualitätsbegriff. Es wäre aber ein Missverständns,

daraus eine Relativierung des Qualitätsproblems zu folgern; ganz im Gegenteil. Mei-

ne These lautet vielmehr, dass man die Qualität von Betreuung und Bildung in früher

Kindheit nicht versteht, wenn man die Wirklichkeit pädagogischer Praxis an ihren

wünschbaren Möglichkeiten misst. Stattdessen sollte man die Aufmerksamkeit darauf

lenken, wie sie auf Vielfalt, Heterogenität und Widersprüchlichkeit der Leistungser-

wartungen antwortet, die an sie gerichtet werden.

Der Beitrag argumentiert in fünf Schritten:

Zunächst zeichnet er ein kritisches Portrait der Debatte um Qualität in Kinderta-

geseinrichtungen; hier geht es weniger um den Stand der Forschung als um das

Verständnis von Qualität, das in der Debatte vorzufinden ist.

Nach einer kurzen Zwischenbilanz, die auf die Multireferenzialität der Kinderta-

gesbetreuung als blinden Fleck einer evaluativen und finalisierten Qualitätsdebat-

te aufmerksam macht, …

… geht es im zweiten Schritt um eine Problematisierung des Qualitätsbegriffs, die

seine Reflexivität betont.

1 Leicht überarbeiteter Beitrag zur Tagung „Verwahrt, überfordert oder gut betreut? Die Situation von

Mädchen und Jungen in Krippen und Kitas“ der Evangelischen Akademie der Nordkirche in Zusam-menarbeit mit der Hochschule für angewandte Wissenschaften und der Evangelischen Hochschule Hamburg (Rauhes Haus), Rudolf-Steiner-Haus Hamburg am 16. Mai 2014. Der Vortragscharakter des Textes wurde weitgehend beibehalten.

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Der dritte Schritt demonstriert am Beispiel der Debatte um die Professionalisie-

rung von Fachkräften, dass ein analytisches Konzept von Qualität frühpädagogi-

sche Praxis als Antwort auf heterogene Leistungserwartungen aufzufassen ver-

mag.

Abschließend pointiert der Beitrag den Ertrag der Argumentation, dass anders als

ein evaluatives Qualitätsverständnis ein analytischer Qualitätsbegriff einen sys-

tematischen Ansatz für die Qualitätsentwicklung bietet, weil er mit der Eigenlogik

dieser Praxis rechnet.

1. Qualität von Kindertageseinrichtungen: Was ist gemeint?

1.1 Der bildungspolitische Kontext

Die Diskussion über Qualität und Qualitätsentwicklung ist kein erziehungswissen-

schaftlicher oder pädagogischer Fachdiskurs, sondern ein Import aus den anwen-

dungsbezogenen Managementwissenschaften (Helmke/Hornstein/Terhart 2000, 7).

In Deutschland nahm die Qualitätsdebatte in den frühen 90er Jahren des vorigen

Jahrhunderts ihren Ausgang von den neuen Steuerungsmodellen in der öffentlichen

Verwaltung (Tietze et al. 2013, 15). In ihrer Einleitung zum Beiheft der Zeitschrift für

Pädagogik über Qualität und Qualitätssicherung im Bildungsbereich stellen die Her-

ausgeber bereits im Jahr 2000 fest, dass das „Qualitätsdenken … eine Dynamik ent-

faltet [hat], die sich zunehmend auf bislang von Managementkonzepten sowie Kos-

ten-Nutzen-Kalkülen noch nicht erfasste Wissens- und Handlungsbereiche ausdehnt“

(Helmke/Hornstein/Terhart 2000, 7). Zu diesen Wissens- und Handlungsbereichen

gehört auch das Bildungswesen und die Erziehungswissenschaft. Die Qualitätsde-

batte steht also nicht im Kontext einer Theorie guter Pädagogik, sondern eines Ma-

nagements pädagogischer Praxis nach den Kriterien von Effektivität und Effizienz. Es

geht um die Steuerung des Bildungswesens nach den Maßstäben der Wirksamkeit

von Erziehung und Unterricht.2

Die PISA-Studien haben der Dynamik, mit der sich das Qualitätsdenken im bildungs-

politischen und erziehungswissenschaftlichen Diskurs verbreitet hat, seit Beginn des

neuen Jahrtausends einen enormen Schwung verliehen. Ihre international verglei-

chenden Leistungsmessungen betrachten nationale Bildungssysteme bis hin zu Ein-

zelschulen und Kindergärten unter dem Gesichtspunkt ihrer Produktivität (vgl. Fend

2001). Mittlerweile hat das Denken in Qualitätskategorien mehr oder minder alle Be-

reiche des Bildungswesens erfasst (vgl. Klieme/Tippelt 2008). Das gilt nicht zuletzt

für die Kindertagesbetreuung. Als Elementarbereich des Bildungswesens wurde sie

für die mittelmäßigen Schulleistungen der deutschen Schüler mitverantwortlich ge-

macht; daher hat sich „nach PISA“ die Auffassung weitgehend durchgesetzt, dass

frühe Förderung in Kindertageseinrichtungen eine Aufgabe von hoher Priorität ist

(vgl. Tietze et al. 2013, 15). Der Streit um die Qualität der Bildungs- und Entwick-

2 Wirkung und Wirksamkeit von Erziehung betreffen Grundfragen der Pädagogik; vgl. Oelkers 1982,

im Kontext einer Kritik frühpädagogischer Programme Larrà 1995

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lungsförderung in Kindertageseinrichtungen geht dabei primär darum, ob sich ihre

Qualität primär an outcomes bemessen lassen soll, an die Schule anschließen kann.

Der bildungspolitische Kontext wirkt in der Diskussion über die Qualität von Kinderta-

geseinrichtungen wie ein Magnet, der die Eisenspäne der Diskussionsbeiträge und

die Forschungsprojekte ausrichtet. Besonders die Pädagogik der frühen Kindheit, die

zwar traditionsreich, aber akademisch vergleichsweise schwach institutionalisiert ist,

kennt kaum noch ein anderes Thema als die effektive Bildungsförderung durch insti-

tutionelle Kleinkinderziehung. Dafür gibt es zwei aktuelle, prominente Beispiele:

1.2 EPPE und NUBBEK – Zwei Beispiele frühkindlicher Bildungsforschung

Die vielleicht aufwändigste und durchdachteste europäische Studie zur Qualität vor-

schulischer Bildung und Betreuung ist die britische EPPE-Studie, die zwischen 1997

und 2004 durch ein Konsortium unter Federführung des Institute of Education (IoE) in

London durchgeführt wurde (Sylva et al. 2007). Es handelt sich um eine Längs-

schnittstudie, die 3000 dreijährige Kinder unterschiedlicher sozialer Herkunft in allen

wichtigen englischen pre-school settings vier Jahre lang, also bis zu ihrem Eintritt in

die primary school, begleitet hat.

Die wichtigsten Ziele der Studie waren, die Effekte vorschulischer Erziehung auf die

intellektuelle und soziale Entwicklung der Kinder festzustellen, Unterschiede zwi-

schen den Betreuungseinrichtungen hinsichtlich ihrer Wirkungen zu untersuchen und

die Charakteristika „guter“, das heißt effektiver Betreuungsstrukturen zu ermitteln.

Die Studie hat aber auch nicht übersehen, dass die Kinder aus Familien in die Kin-

dertageseinrichtungen kommen und dort bereits prägende Erfahrungen gemacht ha-

ben (vgl. Roßbach 2005), und sie hat auch untersucht, wie anhaltend und stabil die

Effekte vorschulischer Erziehung auf die Entwicklungsfortschritte bis in die Grund-

schule hinein sind. Die EPPE-Studie umfasste neben einem komplexen longitudina-

len Design auch zwölf Fallstudien effektiver pädagogischer Praxis.

Im Zusammenhang mit der Fragestellung des vorliegenden Beitrags sind nun nicht

die einzelnen Befunde dieser Studie wichtig, sondern ihr Qualitätsbegriff. Es fällt auf,

dassdie Autoren relativ selten von „quality“ sprechen, aber umso häufiger von „effec-

tiveness“. Qualität wird als Wirksamkeit von Lern- und Entwicklungsumwelten ver-

standen. Ein guter Kindergarten ist einer, der nachweislich, das heißt: meßbar, wün-

schenswerte und stabile Auswirkungen auf die intellektuelle und soziale Entwicklung

von Kindern hat.

Es wäre ein Missverständnis, diese Aussage auf jedes einzelne Kind zu beziehen;

die Befunde der Studie beziehen sich auf die gesamte Untersuchungsgruppe bzw.

einzelne Teilpopulationen. Die Betonung der Wirkungen von Betreuungssettings be-

inhaltet außerdem, dass die Forschergruppe nicht von einem Qualitätsstandard aus-

gegangen ist, sondern herausfinden wollte, welche Settings wünschenswerte und

anhaltende Effekte haben. Gut ist also, was sich als dauerhaft entwicklungsförderlich

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erweist; es geht nicht um die Ermittlung von Kausalbedingungen für spezifische Ent-

wicklungsfortschritte. Entsprechend fallen auch die Empfehlungen an die Fachkräfte

aus; sie basieren auf zwölf Fallstudien „guter Praxis“ und formulieren keine didakti-

schen Regeln sondern überwiegend so etwas wie Elemente eines pädagogischen

Habitus (vgl. etwas das oft zitierte „sustained shared thinking“, Sylva et al. 2004, VI).

Die zweite Studie, die ich als Beispiel für den Qualitätsdiskurs in der Pädagogik der

frühen Kindheit kurz vorstellen möchte, hat ihre Ergebnisse soeben erst publiziert.

Sie heißt NUBBEK (Tietze et al. 2013); das ist ein Akronym für „Nationale Untersu-

chung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit“, eine deutsche

Untersuchung also. Wie die EPPE-Studie wurde sie ebenfalls von einem Konsortium

durchgeführt. Es wurde von PädQUIS, einem Kooperationsinstitut der Freien Univer-

sität Berlin, koordiniert. Anders als EPPE handelt es sich um eine Querschnittsstudie,

die 2000 zwei- und vierjährige Kinder und ihre Familien beobachtet, getestet und be-

fragt hat. Außerdem wurde die pädagogische Arbeit in 567 Betreuungseinrichtungen

begutachtet (a.a.O., 11).

Der Studie ging es vor allem darum, Betreuungsgeschichte und aktuelle Betreuungs-

situation der Kinder und ihren Zugang zu Betreuungsangeboten zu untersuchen, um

die pädagogische Qualität der unterschiedlichen nichtfamilialen Betreuungsformen

beurteilen zu können sowie Zusammenhänge zwischen kindlicher Bildung und Ent-

wicklung mit Merkmalen der Betreuungsqualität zu erkennen und dabei nicht zuletzt

ein Augenmerk auf Kinder mit Migrationshintergrund zu halten.

Auch hier möchte ich nicht über Ergebnisse dieser Studie berichten, sondern auf ih-

ren Qualitätsbegriff hinweisen. Anders als EPPE geht NUBBEK von einem Qualitäts-

begriff aus, dimensioniert und operationalisiert ihn sorgfältig und verwendet ihn zur

Einschätzung bzw. Begutachtung von Betreuungssettings. Auf dieser Basis stellt

NUBBEK Zusammenhangsanalysen mit dem Bildungs- und Entwicklungsstand der

Kinder an. Anders als EPPE folgt NUBBEK dem Modell vergleichender Leistungs-

messung, wie es sich auch in (Hochschul-)Rankings niederschlägt. „Qualität“ ist in

der NUBBEK-Studie ein evaluatives Konstrukt, ein Maßstab, mit dem die unter-

schiedlichen Betreuungsformen untereinander verglichen und nach „besser“ und

„schlechter“ unterschieden werden. Maßstab für diese Unterscheidung ist das Aus-

maß, in dem Kindertageseinrichtungen strukturell, konzeptionell und im tagtäglichen

Beziehungsgeschehen mit den Kindern auf Entwicklungsförderung eingestellt sind

(Strukturqualität, Orientierungsqualität, Prozessqualität). „Pädagogische Qualität in

einem Kindergarten … ist dann gegeben,“ so lautet die autoritative Definition von

Wolfgang Tietze, „wenn die jeweiligen pädagogischen Orientierungen, Strukturen

und Prozesse das körperliche, emotionale, soziale und intellektuelle Wohlbefinden

und die Entwicklung und Bildung der Kinder in diesen Bereichen aktuell wie auch auf

Zukunft gerichtet fördern und die Familien in ihrer Betreuungs- und Erziehungsauf-

gaben unterstützen“ (Tietze 2008, 17).

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Dieses Verständnis einer pointiert pädagogischen Qualität grenzt sich sowohl von

einem betriebswirtschaftlichen Qualitätsverständnis mit seiner Orientierung an der

effizienten Befriedigung von Kundenwünschen, als auch von einem, wie Tietze es

nennt: relativistischen Qualitätsverständnis ab, das auf der Verständigung über Er-

wartungen und Ziele unterschiedlicher Akteure des frühpädagogischen Feldes ba-

siert (vgl. Roux 2006, 134f.; Tietze 2008, 18; Tietze et al 2013, 15). Es nimmt für sich

daher auch in Anspruch, die Entwicklungsförderung von Kindern gegen trägerindivi-

duelle Qualitätsziele durchzusetzen.

Die Diskussion über die Qualität von Kindertageseinrichtungen in Deutschland ist von

diesem Konzept einer pädagogischen Qualität stark bestimmt. Pädagogisch bedeu-

tet, dass dieses Qualitätsverständnis ein Interesse von Kindern an bestmöglicher

Entwicklung mit einer Bewertung der Effekte von Entwicklungskontexten verknüpft,

wobei eine erfolgreiche Bildungsbeteiligung der letztlich entscheidende Maßstab ist.

Die Position von Tietze steht fest in der frühpädagogischen Tradition und ihrem

spannungsreichen Verhältnis zu Schule und Familie. Wenn man mit Erziehungswis-

senschaftlern, mit Vertretern der Trägerverbände und mit PraktikerInnen der Kinder-

tagesbetreuung diskutiert, kann man den Eindruck gewinnen, hier läge der Kern der

Kontroverse. Sie lässt sich beispielsweise in der Auseinandersetzung um die Bil-

dungspläne bzw. um die Bildungsempfehlungen der 16 Bundesländer beobachten.

Die frühpädagogische Qualitätsdebatte verknüpft dabei Pädagogik und Politik mit

einer Intensität, die vergessen machen könnte, dass die Auseinandersetzung um die

Qualität der Kindertagesbetreuung nicht nur einen bildungspolitischen und pädagogi-

schen, sondern auch einen sozialpolitischen Kontext hat.

1.3 Der sozialpolitische Kontext

Auch in diesem Kontext wird die Qualitätsfrage gestellt; allerdings wird sie nicht un-

mittelbar mit der Entwicklungsförderung von Kindern beantwortet, sondern muss mit

weiteren Interessen und Politikzielen konkurrieren. Brennpunkt der sozialpolitischen

Debatte um die Qualität der Kindertagesbetreuung ist die Diskussion um die Verein-

barkeit von Familie und Beruf: Sie ist eine sozial- und familienpolitische Diskussion

über die Dienstleistungsfunktion von Kindertagesbetreuung für Eltern; ein charakte-

ristisches Thema der Qualitätsdebatte ist in diesem Zusammenhang die zeitliche

Flexibilität des Betreuungsangebots.

Die sozialpolitische Diskussion über die Kindertagesbetreuung hat einen mächtigen

supranationalen Impuls erhalten, als die europäischen Staats- und Regierungschefs

bei ihrem Gipfel-Treffen in Lissabon im Jahre 2000 eine wirtschafts- und arbeits-

marktpolitische Strategie beschlossen, mit der die EU ihre Wettbewerbsfähigkeit in

einer globalisierten Ökonomie behaupten und stärken wollte. Zu dieser Strategie ge-

hört die Steigerung der Erwerbsbeteiligung von Frauen und Müttern und die nachhal-

tige Investition in Kinder als worker-citizens of the future. Beides ergänzt sich im

Ausbau der nichtfamilialen Betreuung und Bildung von Kindern im vorschulischen

Alter. Zwei Jahre nach ihrem Treffen in Lissabon beschloss der Gipfel von Barcelona,

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bis 2010 für mindestens ein Drittel der Unter-Drei-Jährigen und für 90% der 3-

6Jährigen Betreuungsplätze bereitzustellen. Diese Beschlüsse hatten nicht nur in

Deutschland einen beispiellosen Ausbau der Kindertagesbetreuung zur Folge (Plan-

tenga et al. 2008). Er wird begleitet von der OECD, die in einer Serie von Berichten

(„Starting Strong“) einen Austausch zwischen ihren Mitgliedsstaaten über best prac-

tices der frühkindlichem Bildung und Kleinstkindbetreuung organisiert (Ostner 2009).

Der Lissabon-Prozess und die darauffolgenden Beschlüsse von Barcelona zielten

indes nicht lediglich auf eine quantitative Expansion nicht-familialer Kinderbetreuung,

sondern auf einen umfassenden sozialinvestiven Umbau des europäischen Sozial-

modells, der die Konfiguration des Verhältnisses von Eltern und Kindern zu Staat und

Markt verändert. „Sozialinvestiv“ heißt, dass der Sozialstaat nicht mehr die Umvertei-

lung von Einkommen und Vermögen als seine prioritäre Aufgabe wahrnimmt, son-

dern die Förderung von Chancengerechtigkeit.

Dieser Umbau hat für die Diskussion um die Qualität von Kindertagesbetreuung min-

destens zwei Implikationen: Zum einen koppelt er bildungspolitische Ziele an wirt-

schafts- und gleichstellungspolitische Ziele; beide lassen sich mit demographischen

Zielen und einer Politik der Armutsverhinderung verbinden. In diesem Zusammen-

hang soll das Modell der Hausfrauenehe von einem Doppelverdiener-Modell abge-

löst werden. Allerdings stellt sich dann die Frage, wer sich um deren Kinder kümmern

soll. Sie wird mit nichtfamilialer Kindertagesbetreuung beantwortet. Zum anderen

verändert der sozialinvestive Umbau die Position der Kinder zwischen Familie, Markt

und Staat: Kinder werden als Bürger gedacht, die einen Anspruch auf bestmögliche

Förderung erhalten – auch gegen ihre eigenen Eltern; Schauplatz und Instrument

dieser Re-Positionierung der Kinder ist die Kindertagesbetreuung. Aber es geht da-

bei eben nicht nur um die Kinder, oder genauer: Es geht um Kinder im Zusammen-

hang mit einem größeren Projekt, das auch den Stellenwert der Kinder selbst verän-

dert. Bildungsförderung ist in diesem Kontext kein pädagogisches, sondern ein bil-

dungsökonomisches Projekt, eine Investition in das Humankapital (Spieß 2013). Hier

geht der Streit nicht um das Verhältnis der Kindertagesbetreuung zu Familie und

Schule wie im bildungspolitischen Kontext der Qualitätsdebatte, sondern um die ge-

sellschaftliche Teilhabe und die Rechte von Kindern und Eltern sowie um einen de-

mokratischen Prozess der Bestimmung von Zielen und Instrumenten dieser Investiti-

on (Dahlberg/Moss/Pence 1999).

2. Zwischenbilanz: „Qualität“ ist die Antwort – Aber was war die Frage?

Kindertageseinrichtungen müssen also ein ganzes Bündel gesellschaftlicher Aufga-

ben erfüllen. Wolfgang Tietze hat diesen Umstand einmal in einem ZEIT-Interview

vorwurfsvoll markiert, als er klagte: „Um Kinder allein ging es niemals!“ (ZEIT online

2006). Mit diesem Vorwurf steht er nicht allein. Aber er entspringt einer spezifisch

verengten Perspektive auf die Qualitätsfrage. Die Frage ist, was es über einen Maß-

stab pädagogischer Qualität aussagt, wenn er die Multireferenzialität von Kinderta-

gesbetreuung als Gefahr ansieht. Man könnte nämlich auch umgekehrt sagen: Das

Recht der Kinder auf Bildung allein hätte niemals die Milliardeninvestitionen möglich

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gemacht, die in den letzten Jahrzehnten verwirklicht wurden; nicht einmal der PISA-

Schock wäre dazu in der Lage gewesen. Ohne die Lissabon-Strategie, ohne einen

wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Impuls, ohne die Gleichstellungspolitik, ohne

das Problem einer alternden Gesellschaft hätte die Forderung nach pädagogischer

Qualität von Kindertageseinrichtungen keine Chance.

Angesichts der pädagogischen Ansprüche an nichtfamiliale Bildung und Betreuung in

der frühen Kindheit ist es bisweilen notwendig sich daran zu erinnern, dass es Kin-

dertageseinrichtungen nicht deswegen gibt, weil sie besser sind als Familienerzie-

hung, sondern weil nicht genügend und womöglich nicht genügend gute Familiener-

ziehung vorhanden ist (vgl. Heinsohn/Knieper 1975). Daraus leitet sich die Betreu-

ungsfunktion von Kindertageseinrichtungen ab. Sie ist nicht lediglich die schlechtere

Variante ihre Bildungsfunktion, sondern eine eigenständige, unverzichtbare Aufgabe.

Sie konvergiert nicht von selbst mit ihrer Bildungsfunktion, sie kann sogar in einem

Spannungsverhältnis zu ihr stehen. Das Qualitätsproblem von Kindertageseinrich-

tungen besteht darin, dass diese Aufgaben nicht kumulieren, sondern ein Feld kon-

kurrierender Leistungserwartungen schaffen, die Politik und Pädagogik der Kinderbe-

treuung in Dilemmata stürzen (Michel 2002).

Es gibt also genügend Gründe, um den Qualitätsbegriff zu problematisieren.

3. Exkurs: Dimensionen des Qualitätsbegriffs

„Letzten Endes ist Qualität ein philosophischer Begriff.“ Mit diesem Satz eröffnen

Harvey und Green das resümierende Schlusskapitel ihrer Analyse von Denkweisen

über Qualität (Harvey/Green 2000, 36), einem der wenigen analytischen Beiträge

zum Qualitätsbegriff in der deutschen Erziehungswissenschaft. Denn gewöhnlich

wird der Qualitätsbegriff nicht analytisch, sondern pragmatisch verwendet. „Manche

Begriffe entfalten ihre Überzeugungskraft,“ formulieren die Herausgeber des Beihefts

der Zeitschrift für Pädagogik aus dem Jahr 2000 über Qualität und Qualitätssiche-

rung im Bildungsbereich, „gerade weil sie inhaltlich nicht wirklich präzisiert … sind.

Sie fungieren dann als semantische Klammer für eine Vielzahl von Perspektiven, In-

teressen, Intentionen und Konzepten“ (Helmke/Hornstein/Terhart 2000, 12). Qualität

ist ein multireferenzielles und multiperspektivisches Konstrukt, das der Unterschei-

dung zwischen „besser“ und „schlechter“ erst dann Aussagekraft verleiht, wenn es

vor dem Hintergrund voraussetzungsvoller normativer Optionen, also selegierend

gehandhabt wird. Daher ist eine etwas genauere Differenzierung im Begriff der Quali-

tät notwendig.

(a) Der Ausdruck „Qualität“ verknüpft die Feststellung einer Beschaffenheit mit einer

kriterienbasierten Bewertung (vgl. Heid 2000). Anders als im Alltagsgebrauch des

Wortes ist „Qualität“ im Kontext eines wissenschaftlichen Qualitätsdiskurses also kein

Merkmal, keine Eigenschaft von etwas, sondern das Ergebnis einer Bewertung. Sie

wird in der Evaluationsforschung durch eine Messung vollzogen. Die Messung bringt

also einen Bewertungsvorgang zum Ausdruck, indem er die Kriterien der Bewertung

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in den Merkmalen des bewerteten Sachverhalts vergegenständlicht. Wenn man sich

das klar macht, wird Qualität zu einem reflexiven Konzept.

(b) Geht man von einem reflexiven Qualitätsbegriff aus, wird die Gefahr deutlich,

dass gegenständliche Merkmalen mit Werturteilen verwechselt werden. Im Fall der

Kindertagesbetreuung kann diese Verwechslung kann dazu führen, die Multireferen-

zialität der Kindertagesbetreuung in scheinbar eindeutigen Bewertungsperspektiven

zu unterschlagen. Zugleich erweckt die Verwechslung den Eindruck, die vorausge-

setzten Wert-Maßstäbe seien selbstverständlich, gleichsam universal. Diese Sugges-

tion ist schon deshalb verfehlt, weil pädagogische Sachverhalte keine Dinge mit Ei-

genschaften und Merkmalen sind, sondern sich als pädagogische Sachverhalte erst

reflexiv herstellen. Es kann daher garnicht generell vorausgesetzt werden, worin das

Pädagogische pädagogischer Sachverhalte eigentlich besteht (Neumann 2010).

(c) Die „Messung“ eines pädagogischen Sachverhalts ist daher ein integraler Teil

ihrer Herstellung bzw. der pädagogischen Praxis, sie drückt pädagogische Ambitio-

nen aus. Dabei kommen streng genommen mehrere Qualitätsbegriffe ins Spiel, die

alle standortabhängig sind und auch unterschiedliche Inhalte haben: Fachkräfte, Kin-

der, Eltern, Träger, nicht zuletzt wissenschaftliche Experten und politische Akteure.

Anders gesagt: Qualität ist kein Sachverhalt, sondern ein unter einer bestimmten

Perspektive entstehender Sachverhalt. Wenn die Qualitätssemantik diese Perspekti-

vität nicht zur Darstellung bringt, erzeugt sie, was sie zu beschreiben vorgibt: Diffe-

renz. Von „Qualität“ zu sprechen trifft dann nicht nur Unterscheidungen, sondern

macht Unterschiede. Die Folge von Unterscheidungen erscheint als Tatsache, ist

aber ein Artefakt. Dies ist besonders fatal, wenn die Perspektive, unter der Sachver-

halte wie die Kindertagesbetreuung zum Untersuchungsgegenstand werden, bil-

dungs- oder sozialpolitisch bestimmt ist, wie es etwa in der frühkindlichen Bildungs-

forschung selbstverständlich ist. Das Qualitätsurteil finalisiert dann die Perspektivität

bzw. Reflexivität frühpädagogischer Praktiken, das heißt: sie bindet die Gültigkeit von

Qualitätsmaßstäben an die Ansprüche bildungs- bzw. sozialpolitischer Strategien.

Noch einmal zusammengefasst: Das Qualitätskonstrukt ist ein Maß für die Erfüllung

von Erwartungen. Entscheidend ist daher, über der scheinbaren Eindeutigkeit von

Messergebnissen die Kriterien nicht zu vergessen, die in Gestalt von Zahlen als

Merkmale des quantifizierten Sachverhalts erscheinen. Die EPPE-Studie beispiels-

weise versteht Qualität als Wirksamkeit und misst sie an den Effekten, die Betreu-

ungssettings auf die kindliche Entwicklung haben. Ein analytischer Qualitätsbegriff,

oder anders gesagt: „Qualität“ als Beobachtungskategorie, expliziert die Leistungs-

erwartungen, denen der qualifizierte Sachverhalt folgt; er betrachtet, wie sie im Feld,

das er beobachtet, beantwortet werden und reflektiert, mit welchen Instrumenten er

diese Antworten feststellt.

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4. Qualität als Pädagogisierung institutioneller Praxis

Ich möchte abschließend zeigen, wie fruchtbar eine solche Herangehensweise für

die Analyse des frühpädagogischen Feldes sein kann. Ich beziehe mich dafür auf die

Debatte um die Professionalisierung von Fachkräften in Kindertagesstätten.

Tanja Betz (2013) hat anhand einer umfassenden Dokumentenanalyse untersucht,

wie die „gute Fachkraft“ in dieser Debatte konstruiert wird. Ein Angelpunkt dieses

Diskurses ist die Formulierung von Anforderungen, die Fachkräfte in der Arbeit mit

Kindern in ihren ersten drei Lebensjahren erfüllen müssen. Dazu gehören u.a. ent-

wicklungspsychologisches Wissen; die Fähigkeit, Anzeichen für Kindeswohlgefähr-

dung zu erkennen; mit kultureller Vielfalt umgehen zu können; mit Eltern zusammen-

zuarbeiten; frühe Sprachförderung zu leisten oder inklusive Pädagogik praktizieren

können. Nicht zuletzt müssen Fachkräfte die Bildungsprozesse der Kinder beobach-

ten und dokumentieren können. Diese Anforderungen sollen sie selbst organisiert,

kreativ und reflexiv bewältigen und daher nicht lediglich über Wissen verfügen, son-

dern es auch entsprechend umsetzen können; in diesem Sinne wird Qualität als

Kompetenz verstanden.

Der Diskurs über die Kompetenz von frühpädagogischen Fachkräften ist ein Diskurs

der Leitbilder. In den zahlreichen Berichten, Dokumentationen, Plänen und Empfeh-

lungen zur Qualitätsentwicklung in Kindertageseinrichtungen, die in den vergange-

nen Jahren entstanden sind, lassen sich diese Leitbilder auffinden. Üblicherweise

werden sie nicht von Fachkräften, sondern von politischen Entscheidungsträgern o-

der wissenschaftlichen Experten entworfen. Sie rücken die Fachkräfte ins Zentrum

des Interesses an einer Qualitätsentwicklung in Kindertageseinrichtungen und richten

hohe und neuartige Erwartungen an sie. Dabei werden ihnen ausgeprägte Defizite

attestiert, zugleich wird ihnen eine entscheidende Bedeutung für das Gelingen von

Bildungs- und Lernprozessen zugeschrieben. Das Qualitätsproblem der Praxis sehen

diese Dokumente darin, pädagogische Aufgaben zu erkennen und mit ihnen im Hori-

zont von wissenschaftlich begründeten Maßstäben professionellen Handelns in einer

nachweisbaren und überprüfbaren Weise umgehen zu können.

Der Diskurs über die „gute Fachkraft“ argumentiert auf der Ebene von Zielen und

Programmen, an denen die Praxis gemessen wird. Von entscheidender Bedeutung

ist daher der Kompetenzerwerb bzw. die verbesserte Qualifizierung des Personals in

Form von akademischen Abschlüssen und von Fort- und Weiterbildung. Wie diese

Erwartungen aufgegriffen und in praktische Pädagogik verwandelt werden, und wie

diese Praxis dann als eine Praxis im Sinne der Programme ausgewiesen wird, bleibt

im Dunkeln. Pädagogische Praxis wird als eine black box behandelt, deren Produkte

evaluiert werden. Die entscheidende Frage nach dem „wie“, nach dem Eigensinn der

Praxis und nach ihren Grenzen und Möglichkeiten bleibt unbeantwortet.

Ein analytischer Qualitätsbegriff würde nicht fragen, welche Leistungsanforderungen

pädagogische Praxis erfüllen muss, sondern wie die Praxis diese Erwartungen auf-

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greift und wie sie sie bearbeitet. Er könnte eine Untersuchung darüber anleiten, wie

Wissen und Ambitionen von Fachkräften die Praxis des frühpädagogischen Feldes

strukturieren. Darüber gibt es nur wenig empirisch fundiertes Wissen. Es ist empi-

risch nicht geklärt, wie Anforderungen in Kindertagesstätten aufgegriffen und umge-

setzt werden; ebensowenig ist klar, wie die politischen Diskurse über die Aufgaben

der Kindertagesbetreuung in das Selbstverständnis der Fachkräfte und ihre pädago-

gische Arbeit eingehen (Betz 2013, 262).

Eine evaluative Perspektive auf das Qualitätsproblem verfehlt diese Herausforde-

rung, vor der die pädagogische Praxis steht, und kann daher auch keinen systemati-

schen Beitrag zu der Beschreibung und Analyse dieser Praxis leisten. Ein analyti-

scher Qualitätsbegriff erkennt dagegen den Eigensinn der Praxis und die sie begren-

zende Eigenlogik an, statt die alltägliche Wirklichkeit in den Einrichtungen immer

schon als eine schlechte Variante des scheinbar Möglichen und Wünschbaren anzu-

sehen.

Es stellt sich also nicht allein die Frage, was wichtige Ziele sind. Darüber kann man

streiten. Die qualitätsrelevante Frage an die institutionelle Kleinkinderziehung ist aber

auch nicht: Erfüllt die pädagogische Praxis die Erwartungen, die an sie gerichtet wer-

den? Sondern: Wie ermöglicht sich die pädagogische Praxis, sich im Horizont der an

sie gerichteten komplexen, teils dilemmatischen Erwartungen ihr Handeln als ein pä-

dagogisches Handeln zu vergegenwärtigen und es als solches Dritten gegenüber

auch nachzuweisen, in diesem Sinne: Wie bewirkt sie, was sie leistet (Honig et al.

2004)? Die Frage richtet sich auf Praktiken der Pädagogisierung eines alltäglichen

Geschehens in Kindertageseinrichtungen. Es lässt sich in dieser Perspektive als eine

institutionelle Praxis beschreiben, die ihre Bildungsbedeutsamkeit hervorbringen und

ausweisen muss (Honig et al. 2013). Qualität ist als ein öffentliches, in diesem Sinne:

soziales und damit repräsentiertes und beobachtbares Phänomen zu verstehen, das

an ein Publikum adressiert ist und von diesem als „gute Praxis“ anerkannt werden

muss, um „Qualität“ zu sein. Man könnte in Analogie zu den Qualitätsbegriffen des

EPPE- und des NUBBEK-Projekts von einem Verständnis von Qualität als Pädagogi-

sierung sprechen.

5. Ausblick

Diese Kritik des Qualitätsbegriffs hat zwei überraschende Pointen:

Zum einen lässt sie erkennen, dass die Kindertagesbetreuung möglicherweise

schlechter ist als sie sein dürfte, dass sie aber vor allem mehr und anderes leistet als

ihr zugetraut wird, denn von ihr wird mehr erwartet als die Entwicklung von Kindern

zu fördern. Zum anderen lenkt die Kritik des Qualitätsbegriffs die Aufmerksamkeit auf

die Eigenlogik, den Eigensinn der Praxis und verweist auf reflexive Vergegenwärti-

gung als Weg zu ihrer Gestaltung und Entwicklung.

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(B) Die Kita als Bildungseinrichtung – Was sind die Ziele in Hamburg?

Einführender Vortrag von Dirk Bange, Leiter der Abteilung Familie und Kinder-

tagesbetreuung, Behörde für Arbeit, Soziales Familie und Integration

Die Hamburger Kita-Landschaft hat sich seit der Einführung des Kita-Gutscheinsys-

tem rasant verändert. Seit dem Jahr 2002 hat sich die Zahl der in Kitas und Tages-

pflege betreuten Krippenkindern von etwa 8.700 auf rund 17.300 im Jahr 2013 erhöht

und damit fast verdoppelt. Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der Kinder im Alter von 3

bis unter 6 Jahren in den Kitas von 34.900 auf 41.100 Mädchen und Jungen gestie-

gen.

Kitas sind Orte der Betreuung, Bildung und Erziehung. Sozial- und bildungspoliti-

sches Ziel der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) ist es,

insbesondere in Stadtteilen mit sozialen Problemlagen die Eltern dazu zu bewegen,

die Kitas noch früher als bisher für ihre Kinder (und sich) zu nutzen.

Ab dem 01.08.2014 werden deshalb die Elternbeiträge für die 5-stündigen Leistun-

gen abgeschafft, und es wird für die Kitas und die Kindertagespflege massiv gewor-

ben.

Die Freie und Hansestadt Hamburg (FHH) gibt für die Kindertagesbetreuung im Jahr

2014 etwa 563 Mio. € aus. Für die Jahre 2015 und 2016 sind weitere deutliche Stei-

gerungen zu erwarten. Im Jahr 2003 - vor Einführung des Kita-Gutscheinsystems -

waren es noch 240 Mio. € für den Krippen- und Elementarbereich.

Veränderte Altersstruktur der Mädchen und Jungen in den Kitas

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Seit dem Jahr 2011 sind die Horte nach und nach in das System der Ganztägigen

Bildung und Betreuung an Schulen (GBS) integriert worden. Der Weggang der Hort-

kinder und die zunehmende Zahl von Krippenkindern haben zu einer deutlich verän-

derten Altersstruktur in den Kitas geführt. Kitas nehmen jetzt verstärkt - anders als

früher - das ganze Jahr über Krippenkinder auf, um ihre Einrichtung auszulasten.

Dadurch kommt es ständig zu Eingewöhnungsphasen und zu Veränderungen in den

Gruppen.

Diese strukturelle Veränderung in den Kitas und die Möglichkeiten, darauf zu reagie-

ren, werden die Diskussion über die pädagogische Qualität in den nächsten Jahren

mitbestimmen.

Angesichts der dynamischen Entwicklung in den letzten 10 Jahren ist eine Konsoli-

dierungsphase für die Qualitätsentwicklung notwendig, in der die Kita-Verbände,

Kita-Träger, der Landeselternausschuss (LEA) und die BASFI gemeinsam über die

Veränderungen reflektieren.

Bildungsempfehlungen als verbindlicher Rahmen für die Pädagogik

Im Jahr 2005 sind die „Hamburger Bildungsempfehlungen für die Bildung und Erzie-

hung von Kindern in Tageseinrichtungen“ erstmals herausgebracht worden. Dies war

ein Meilenstein für die Entwicklung der pädagogischen Arbeit in den Kitas. Sie haben

dazu beigetragen, dass sich die Kitas als erster Bildungsort etabliert haben.

Die gesellschaftlichen und die fachpolitischen Veränderungen sind rasant, so dass

bereits im Jahr 2012 eine überarbeitete Neuauflage der Bildungsempfehlungen ge-

meinsam mit den Kita-Verbänden erarbeitet und veröffentlicht worden ist. Die Bil-

dungsempfehlungen formulieren für die Hamburger Kitas zentrale Qualitätsansprü-

che, die insbesondere den Erzieherinnen und Erziehern sowie den Leitungskräften

Orientierung für eine qualitativ hochwertige pädagogische Arbeit geben sollen.

Ich bin mir sicher, dass die Bildungsempfehlungen von den Kitas entsprechend ihrer

jeweiligen Konzepte und Traditionen sehr gut umgesetzt werden und zu einer deut-

lich verbesserten pädagogischen Qualität beigetragen haben.

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NUBBEK-Studie: Qualität muss weiterentwickelt werden

Wie die NUBBEK-Studie zeigt, muss - trotz aller methodischen Einschränkungen -

weiter an der pädagogischen Qualität der Kitas gearbeitet werden. Denn:

Etwa 10% der untersuchten Kitas weisen laut NUBBEK eine unzureichende

Qualität aus.

Mit mehr als 80% bewegt sich der größte Teil der Kitas im Bereich mittlerer Qua-

lität.

Nur 5 bis 7% sind überdurchschnittlich gut.

Die NUBBEK-Studie hat zudem festgestellt, dass die Kitas nur einen relativ kleinen

Beitrag zur Kompetenzentwicklung der Kinder leisten. Dies soll auch bei der Sprach-

entwicklung gelten.

Erfolge bei der Sprachförderung

Die Zahlen zum Sprachförderbedarf bei den Hamburger Viereinhalbjährigen-

Untersuchungen zeigen dagegen, dass die Kitas mehr bewirken als die Ergebnisse

der NUBBEK-Studie nahelegen. Dabei sind die Erfolge umso größer je länger die

Kinder eine Kita besucht haben. So lag im Vorstellungsverfahren im Schuljahr

2012/2013 der Anteil der Kinder mit ausgeprägtem Sprachförderbedarf bei Mädchen

und Jungen, die weniger als 12 Monate in einer Kita waren, in Hamburg bei 26,4%.

Bei den Kindern, die drei Jahre und länger eine Kita besucht haben, dagegen nur bei

4,2%. Dies ist eine Differenz von deutlich über 20 Prozentpunkten. In den Stadtteilen

mit besonderen sozialen Problemlagen finden sich auf höherer Basis sehr ähnliche

Ergebnisse.

Anteil der Kinder mit ausgeprägtem Sprachförderbedarf im Vorstellungsverfahren Schuljahr 2012/2013

Stadtteil

Dauer des Kita-Besuchs in Monaten

Insgesamt

bis 11 12 bis 23 24 bis 35 mehr als 35

Wilhelmsburg/Veddel 38,6% 30,4% 29,0% 15,9% 29,1%

Hamburg 26,4% 16,1% 10,1% 4,2% 12,1%

Wir müssen uns also nicht verstecken. Allerdings brauchen vor allem Kinder mit Mig-

rationshintergrund noch mehr Sprachförderung. Die BASFI hat deshalb KitaPlus ein-

geführt und uns für die Verlängerung des Bundesprogramms „Offensive Frühe Chan-

cen: Schwerpunkt-Kitas Sprache & Integration“ erfolgreich eingesetzt. Die Rückmel-

dungen aus der Praxis zu den beiden Programmen sind sehr positiv.

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Externe Evaluation ist notwendig

Seit 2008 wird in Hamburg über die Einführung einer externen Evaluation diskutiert,

die in den Medien oft als „Kita-TÜV“ bezeichnet wird. Derzeit suchen wir nach einem

alternativen Begriff, der keine technischen Assoziationen auslöst und stärker die Ziel-

setzungen der externen Evaluation ausdrückt als der Begriff „Kita-TÜV“.

Die Ziele der externen Evaluation sind es, kontinuierlich

Aussagen über die erreichte Qualität einzelner Kitas zu ermöglichen,

die Qualität der pädagogischen Arbeit weiterzuentwickeln,

für die Eltern, die Gesellschaft und die Politik Transparenz herzustellen und

als Grundlage für eine landesweite Qualitätsberichterstattung und damit der Wei-

terentwicklung der Kindertagesbetreuung in Hamburg zu dienen.

Vor einem Jahr haben sich BASFI, Kita-Verbände und LEA auf ein Verfahren zur ex-

ternen Evaluation der Qualität aller Kitas verständigt, das die in vielen Kitas bereits

bestehenden internen Verfahren um einen Blick von außen ergänzen soll.

Gemeinsam mit der Fa. Rambøll, die als Akkreditierungsstelle für die externe Evalua-

tion in einem EU-weit durchgeführten Vergabeverfahren ausgewählt wurde, erarbei-

ten BASFI, Kita-Verbände und LEA auf Basis der „Eckpunkte für die Durchführung

der externen Evaluation der Qualität in Hamburger Kindertagesbetreuungseinrich-

tungen“ derzeit Kriterien, anhand derer die Einlösung in den Kita-

Bildungsempfehlungen formulierter Qualitätsansprüche verbindlich überprüft werden

soll.

Ein „Kita-Ranking“ ist – entgegen anders lautender, immer wieder geäußerter Sorgen

– nicht das Ziel der BASFI.

Vielmehr muss angesichts der wachsenden Vielfalt von Mädchen und Jungen in den

Kitas und der unterschiedlichen Ansprüchen von Müttern und Vätern, der Fachkräfte,

der Öffentlichkeit und der Politik an die Kitas ständig neu über die Qualitätsentwick-

lung diskutiert werden. Dazu werden die Ergebnisse der externen Evaluationen in

Zukunft hoffentlich viele Hinweise und Impulse geben. Sie werden die Diskussion

über den Wert der Kindertagesbetreuung für die Gesellschaft bereichern.

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(C) Die Qualitätsansprüche der Wohlfahrtsverbände Round-Table-Gespräch mit Gerlinde Gehl, Fachbereichsleiterin Kinder- und Jugendhilfe, Diakonisches Werk Hamburg Claus Reichelt, Geschäftsführungsteam Soal e.V. Statement von Gerlinde Gehl, Fachbereichsleiterin Kinder- und Jugendhilfe, Diakonisches Werk Hamburg

Qualität im Dialog

Entlang der vorgegebenen vier Leitfragen sind die folgenden Aspekte im Round-

Table- Gespräch diskutiert worden:

1. Die Hamburger Bildungsempfehlungen – Einschätzung aus Sicht der Diako-

nie

Mit den Hamburger Bildungsempfehlungen liegt eine Sammlung bester Fachpraxis

vor, auf deren Grundlage es den Einrichtungen möglich ist, das eigene Profil zu

schärfen und die je eigene Qualitätsentwicklung danach auszurichten. Die damit ver-

bundene Transparenz und Sprachfähigkeit im Kontakt mit den Eltern, erleichtert die

alltägliche Arbeit vor Ort. Die interessierte Öffentlichkeit kann sich mit Hilfe der Emp-

fehlungen einen Eindruck verschaffen, welche Anforderungen an die Fachkräfte in

den Kitas gestellt werden. Somit wird eine fachlich fundierte Debatte ermöglicht, die

mittelbar zu einer Aufwertung des Berufsfeldes beitragen kann. Dass an der Erarbei-

tung auch die Verbände, und damit indirekt die Träger, beteiligt wurden, verhindert

die einseitige Setzung der Qualitätsanforderung zu Gunsten einer im Dialog entwi-

ckelten Qualitätsdebatte.

Gleichzeitig gilt es warnend darauf hinzuweisen, dass die vorliegenden Bildungsemp-

fehlungen mit den zur Verfügung stehenden finanziellen und personellen Ressourcen

nicht eins zu eins umgesetzt werden können! Diese fehlende Transparenz kann dazu

führen, dass z.B. Eltern, die Hamburger Bildungsempfehlungen als Katalog und

Maßgabe der Arbeit und des Angebotes ihrer Kita missverstehen.

Wie die Teams vor Ort an der Implementierung der Empfehlungen arbeiten können,

wird den Gegebenheiten vor Ort überlassen. Aus der Praxis ist bekannt, dass die

Teams sehr unterschiedlich verfahren (vgl. Schlüsselstudie Viernickel/ Nentwig-

Gesemann und deren Unterscheidung in wertekernbasierte, umsetzungsorientierte

und distanzierte Herangehensweisen) In welcher Weise es den Teams geling, eine

Prioritätenliste der Umsetzung zu erstellen und diese verständlich zu vertreten, hängt

von der Haltung der Teams aber auch der fachlichen Unterstützung in diesem Pro-

zess der Professionalisierung ab.

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2. Das Verständnis von Qualität in einer „guten“ Kita – Einschätzung aus Sicht

der Diakonie

Unter Qualität versteht die Diakonie das Maß der Erfüllung von Anforderungen oder

Erwartungen an die Bildung, Betreuung und Erziehung. Nach dieser Definition kann

Qualität nur in einem dialogischen Prozess bestimmt bzw. beschrieben werden.

Anders als die Bestimmung der Qualität z.B. von Produkten geht die Diakonie davon

aus, dass die Empfänger von Qualität gleichzeitig die Qualität selbst „mitproduzie-

ren“. Ohne die „Mitarbeit“ von Kindern und deren Familien, kann keine befriedigende

Bildung, Betreuung und Erziehung entstehen. (Exkurs: Das Leitbild der Hamburger

Diakonie trägt den Titel “Profil im Dialog“).

Vor dem Hintergrund der in Hamburg zu führenden Debatte um „Kita-

TechnischerÜberwachungsVerein“ und die externe Evaluation kann der dialogisch

begründete Qualitätsbegriff eine einseitig gesetzte und monokausale Definitionsho-

heit des Qualitätsbegriffes konstruktiv hinterfragen und hoffentlich verhindern.

Neben einer auskömmlichen Ausstattung sind die Mitarbeitenden die wichtigste

Grundlage einer „guten“ Kita. Die sogenannte „gute“ Kita befindet sich in einem fort-

laufenden Entwicklungsprozess: die professionelle Haltung wird gefördert und weiter

entwickelt. Gemeinsame Werte und Ziele sind definiert, werden umgesetzt und konti-

nuierlich überprüft und ggf. überarbeitet. Die Mitarbeitenden einer Kita erfahren ide-

alerweise beste Unterstützung von Seiten des Trägers und arbeiten in einem wert-

schätzenden Klima. In einer „guten“ Kita macht den Mitarbeitenden das Arbeiten

Freude, sie können ihre fachliche Kompetenz ausbauen und begegnen einander in

kollegialer Achtung. Eltern werden kompetent begleitet und als Partner mit Eltern-

kompetenz anerkannt und beteiligt. Im Sinne einer inklusiven Kita entwickelt das

Team Diskriminierungssensibilität und ist bereit, in einem fortlaufenden Prozess Vor-

urteile und Barrieren ausfindig zu machen und zu beheben. Eine „gute“ Kita stellt

sich auf die individuellen Entwicklungsbedürfnisse jedes Kindes ein und erhält hierzu

die erforderlichen Ressourcen.

Diese Ausführungen sind wichtig und gleichzeitig farblos. Wir haben Kinder befragt,

die die Kita verlassen haben, um zur Schule zu wechseln, was aus ihrer Sicht eine

„gute „ Kita ausmacht. Die Aussagen der Kinder verleihen den oben benannten Krite-

rien die notwendige Farbe.

Aus meiner Sicht auf den Punkt gebracht, hat es folgende Antwort: „Ich habe in der

Kita Freunde gefunden!“. Dieses Kind äußert selbst-bewusst, selbst-ständig und

selbst-wirksam, dass ihm im Dialog mit anderen, Bindung und Freundschaft gelun-

gen ist. Ein bleibender Eindruck beim Übergang von der Kita in Richtung Schule!

3. Wo sieht die Diakonie Unterschiede zu anderen Trägern?

Die Mitgliedseinrichtungen der Diakonie Hamburg sind evangelische Einrichtungen.

Die Grundlagen der Arbeit und der Umgang miteinander orientieren sich an einem

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christlichen Menschenbild und an christlichen Werten. Werteorientierung wird im bes-

ten Falle erfahrbar und gibt Mitarbeitenden, Kindern und Eltern Orientierung (Exkurs

Logo „Evangelische Kitas – mit Gott groß werden“ – beschreibt auch die Veränder-

barkeit des Gottesbildes in der eigenen Biographie).

4. Wie sorgt die Diakonie dafür, dass die Mitgliedseinrichtungen die definierten

Standards einhalten?

Das Diakonische Werk als Landesverband fungiert nicht als Träger der Kitas, son-

dern berät die Träger in rechtlichen, konzeptionellen, pädagogischen und wirtschaft-

lichen Fragen.

Die Mitgliedseinrichtungen befinden sich in einem Prozess zur Erlangung des Evan-

gelischen Gütesiegels BETA. Hierbei handelt es sich um ein auf ISO 9001:2008 ba-

siertes und für die Kitaarbeit angepasstes Qualitätsmanagementmodell. Die Umset-

zung der definierten Standards wird durch eine externe Zertifizierungsgesellschaft

begutachtet. Kann die Umsetzung der Standards nachgewiesen werden, erlangt die

Kita das Gütesiegel. Nach drei Jahren muss sich die Kita erneut begutachten lassen,

um das Gütesiegel zu behalten. Mit Stand Mai/ 2014 wurde bereits 49 von 170 evan-

gelischen Kitas das Gütesiegel verliehen. Die weiteren Kitas befinden sich alle im

Erarbeitungsprozess und werden darin fachlich begleitet.

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Statement von Claus Reichelt Geschäftsführungsteam SOAL e.V.

Die Kultur einer Stadt erkennt man an dem Umgang mit ihren Kindern.

Ganz herzlich bedanke ich mich im Namen unseres Verbandes SOAL für die Einla-

dung zu dieser Veranstaltung und freue mich auf einen regen und hoffentlich auch

kritischen Austausch.

Zunächst einige Worte zu den Hamburger Bildungsempfehlungen, da das vom Ver-

band SOAL und Weltwerkstatt Köln (Prof. Dr. Schäfer) entwickelte Qualitätsentwick-

lungsverfahren für Kindertagesstätten – kurz SOALQE –darauf in der Praxis ja auch

Bezug nimmt.

Die Hamburger Bildungsempfehlungen sind ein wichtiger Schritt in einen gemeinsa-

men Verständigungsprozess zwischen allen Akteuren der Kindertagesbetreuung in

Hamburg herzustellen, den Kindern, Eltern, PädagogInnen, zuständigen Behörden

und der Politik.

Sie geben brauchbare Anregungen, Kinder und Eltern in ihren Prozessen und Inte-

ressen zu begleiten.

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Viele wichtige Themen wie Globalisierung, Zerstörung der Natur, Übergänge, Erzie-

hungspartnerschaft werden darin angesprochen –

bedauerlich jedoch, dass die PraktikerInnen keine öffentlich finanzierten Möglichkei-

ten haben, regelmäßig verbandsübergreifend Erfahrungen auszutauschen und von-

einander zu lernen. Das wäre für uns ein Ausdruck von Qualität.

Angesichts der sehr knappen Zeit möchte ich auf unseres Erachtens wichtige Prob-

lemfelder hinweisen:

Hilfreich wäre, das Wort ErzieherInnen durch PädagogInnen zu ersetzen –

dadurch würde die Professionalität gegenüber den Lehrern deutlich hervor-

gehoben.

Das Kapitel Bildungs- und Erziehungspartnerschaft mit Eltern, fände eine gute

Ergänzung durch ein Kapitel, das ausdrücklich die PädagogInnen wertschät-

zend anspricht und ihre Rechte deutlich macht,

Ein weiteres Beispiel aus dem Themenfeld Bildungsverständnis (Seite 15):

„Gemäß unserer demokratischen Verfassung und einem demo-

kratischen Bildungsverständnis tragen Bildung, Erziehung und

Betreuung ... dazu bei, die gleichen Rechte aller Kinder auf Bil-

dung und das Recht jedes einzelnen Kindes auf Entfaltung sei-

ner Potentiale zu gewährleisten“

und weiter

„Jedes Kind soll die Chance haben, seine Absichten, Fähigkei-

ten und individuellen Möglichkeiten in die Entwicklung von Ge-

meinschaft und Gesellschaft einzubringen“.

oder

„Ein demokratisches Bildungsverständnis dazu beitragen soll,

die „gleichen Rechte aller Kinder auf Bildung und das Recht je-

des einzelnen Kindes auf Entfaltung seiner Potentiale zu ge-

währleisten“.

Ganz ernsthaft, wichtige Worte. Wie bitte schön, soll das aber gehen, wenn wir im

Kita-Gutschein-System von strukturierten Betreuungszeiten ausgehen,

+ in denen die Kinder im Stundentakt betreut werden,

+ wovon einige Ganztagsbetreuung genießen während andere Kinder nur vier Stun-

den Betreuungszeit und somit auch nur vier Stunden Chancengleichheit in der Bil-

dung erfahren? Hinzuweisen wäre an dieser Stelle auch an den Kontext Ökonomi-

sierung der Bildung

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Auch mit einigen Indikatoren haben wir so unsere Probleme und manche erwecken

den Eindruck, als wären die PädagogInnen – mit Verlaub gesagt – nicht sehr profes-

sionell. Wie unsinnig das sein kann, möchte ich an dem Qualitätsanspruch Frühför-

derung in der Kita deutlich machen. Da heißt es unter 1.:

„Alle Fachkräfte entwickeln ein Grundverständnis für die Würde

eines jeden Kindes“.

Das mag sicherlich gut gemeint sein. Doch was ist ein „Grundverständnis für die

Würde“? Würde lässt sich ja nicht in wenig, mittel, viel aufteilen. Also hier wäre un-

bedingt nachzudenken. Es wäre wünschenswert, Kita-Gutscheinsystem und die

Hamburger Bildungsempfehlungen in Einklang mit dem Inklusionsgedanken zu brin-

gen.

Die Qualitätsentwicklung im Verband SOAL

Über den ganzen Verband gesehen sind etwa 20 verschiedene Qualitätsentwick-

lungsverfahren unterschiedlichster Art in Anwendung. Die Mitglieder des Verbandes

sind selbständig in allen ihren Entscheidungen. Nachfolgend stelle ich Ihnen das vom

Verband SOAL entwickelte Qualitätsverfahren für Kindertagesstätten im Schnell-

durchgang vor, das gemeinsam von Weltwerkstatt Köln (Prof. Dr. Gerd E. Schäfer

u.a.) und SOAL entwickelt und nun gemeinsam mit den PraktikerInnen aus den Kitas

erprobt und fortgeführt wird. Daran können alle Verbände, Träger und Kitas bun-

desweit teilnehmen. Das drei Jahre dauernde, mit Zertifikat abschließende QE-

Verfahren von SOAL kann in gewissem Sinn sowohl als

Persönlichkeitsentwicklung für Bezugspersonen und Institutionen

Und zugleich als berufsbegleitende Qualifizierungsmaßnahme genutzt werden

im Sinne einer auch selbst erarbeiteten Professionalisierung.

Zur „Philosophie“:

Wer Kinder unterstützend begleiten möchte, muss etwas über die Kinder und

sich selbst wissen.

Wir sprechen von einer

Kultur des Innehaltens und einer

neuen Kultur des Lernens, in der das Erfahrungslernen Grundlage des

Wissens ist,

in dem sich Praxis und Theorie in einem permanenten Prozess ergänzen

und alle voneinander lernen Erwachsene von Kindern und umgekehrt.

Das möchte ich an fünf, von Prof. Dr. Gerd Schäfer formulierten Bildungspotentialen

deutlich zu machen:

Ein Erziehungsverständnis, das einer Pädagogik des Innehaltens folgt

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Ein Lernverständnis, in dem Können und Wissen, sich aus Erfahrungen

ergeben

Eine partizipatorische Didaktik, die im Alltag und den kulturellen Sachbezü-

gen gelebt wird

Ein Institutionsverständnis, das von einer lernenden Institution ausgeht, die

dem Bildungsverständnis folgt

Ein Fortbildungsverständnis als Zusammenspiel von

verinnerlichter und reflexiver Pädagogik,

von Theorie und Praxis

spiralförmigen modularen Aufbau – permanenter Prozess

Daten und Fakten:

Start 2004, 70 Einrichtungen, 7 Durchgänge, 8. In Vorbereitung –

80 Qualitätsbeauftragten (QEB) der teilnehmenden Träger werden in 6 Modulen,

monatlichen QEB-Treffen, und weiteren Workshops in dem Bildungsverständnis ge-

schult. Die QEB-Treffen, Berichtswesen sind fester Bestandteil auch nach der Zertifi-

zierung. Umfangreiches Berichts-, Dokumentations- und Präsentationswesen sowie

Einrichtungsbesuche geben

+ den 4 ReferentInnen (Theorie),

+ dem Projektmanagement sowie 4 PädagogInnen (Praxis)

+ unter wissenschaftlicher Begleitung von Prof. Dr. G. Schäfer

kontinuierlich Informationen.

Alle zwei Jahre evaluieren ALLE teilnehmenden Einrichtungen die QE. Das Zertifikat

gilt zwei Jahre und wird in einem erneuten Zertifizierungsprozess in der Regel ver-

längert. Regelmäßige Nachschulungen beziehen neue PädagogInnen mit ein. Ex-

kursionen, Hospitationen und Fortbildungsangebote runden den QE-Prozess ab.

Die SOALQE formuliert sich in 7 Rechten der Kinder, die zugleich auch Titel und

Inhalt der über drei Jahre in dreimonatigem Rhythmus stattfindenden Workshops

sind:

Kinder haben ein Recht auf Bildung ab der Geburt – Grundverständnis der

SOALQE (Bildungsverständnis Schäfer)

(MODUL 1) Kinder haben ein Recht auf PädagogInnen, die ihr pädagogi-

sches Verhalten reflektieren

Hier wird das Handwerkszeug vermittelt: Kommunikation, Stressanalysen des

Alltags, Fallgespräche usw.

(MODUL 2) Kinder haben ein Recht auf PädagogInnen, die ihre Lebenser-

fahrungen hinterfragen.

In diesem Modul reflektieren die PädagogInnen ihre Bildungs-Biografie – eine

Wahrnehmende Beobachtung in die Vergangenheit und nach innen – Intro-

spektion. Die hier erfahrene Reflexion schafft Vertrauen, Beziehung und Ver-

ständnis z.B. für pädagogische Interventionen.

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(MODUL 3) Kinder haben ein Recht auf eigene Bildungsprozesse, die von

Erwachsenen anerkannt werden, obwohl sie häufig rätselhaft und fremd er-

scheinen – das Kernstück der SOALQE –

Die Beobachtung der Kinder, es geht hier um Innehalten, Wahrnehmen, Re-

flexion und Schlussfolgerungen ziehen. Der Blick ist also – entgegen Modul 2

– nach außen gerichtet. Erlernt werden Techniken und Methoden der Präsen-

tation und Dokumentation in Schrift, Bild und Video-Filmen.

(MODUL 4) Kinder haben ein Recht auf Themen, Umgebungen und Materi-

alien, die entdeckendem Lernen Raum geben.

Aus den Modul 2 und vor allem Modul 3 folgen Veränderungsprozesse: unter-

stützende Strukturen und unterstützende Räume.

(MODUL 5) Kinder haben ein Recht auf PädagogInnen, die ein vertieftes

Interesse an einem Bildungsbereich haben –

Ein zweitägiger Bildungskongress für alle Teams bietet Gelegenheit Theorie

und Praxis längs verschiedener Bildungsbereiche zu vertiefen.

(MODUL 6) Kinder haben ein Recht auf Nachhaltigkeit ihrer Bildungspro-

zesse

Dieses beschreibt die Zertifizierung, die von allen ReferentInnen und den je-

weiligen Teams gestaltet wird. Das Zertifikat kann mit Auflagen oder Empfeh-

lungen vergeben werden, was dann nachzuarbeiten und nachvollziehbar zu

machen ist.

Dieses Recht auf Nachhaltigkeit wird ebenfalls durch die Basisworkshops „Ro-

ter Faden“ eingelöst, in dem auf wissenschaftlicher Ebene Theorie und Praxis

in zweimonatlichen Workshops für alle QE-Durchgänge gemeinsam auf

Grundlage der Praxis ausgetauscht werden.

Ganz bewusst haben wir unsere Qualitätsansprüche als Rechte der Kinder formuliert,

denn ein Recht hat das Kind – es braucht um Rechte nicht zu bitten. Und – es sind

die Erwachsenen, die diese Rechte zu erfüllen haben.

Ich möchte noch einmal auf die Modul 2 „Reflexion des eigenen Bildungsprozesses“

und Modul 3 „Wahrnehmendes Beobachten“ zurückkommen. Die intensive und re-

gelmäßige Reflexion des eigenen Bildungsprozesses in Bezug zur pädagogische

Arbeit sowohl mit den Kindern, den Eltern und den Teamkollegen halten wir für un-

abdingbar, da der intrapersonelle und extrapersonelle Prozess die pädagogische Ar-

beit intensiv beeinflusst. Alle weiteren Bereiche: Elternarbeit, Stadtteil, soziokulturel-

les Umfeld, am SOALQE-Verfahren teilnehmende Träger usw. ringen sich um die

Begleitung des Bildungsprozesses des Kindes, wie, - wenn ich ein Bild benutze: wie

Ringe, ausgelöst von einem ins Wasser geworfenen Stein.

Abschließen möchte ich mit Worten, die Loris Malaguzzi 1991 anlässlich eines Reg-

gio-Kongresses in Berlin äußerte:

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„Wir stoßen immer wieder auf ein erstaunliches Phänomen: Es

ist so, als ob Städte nicht zur Kenntnis nehmen würden, dass

es in Ihnen Kinder gibt, die dort leben. Oft beginnen Gesell-

schaften erst bei Schuleintritt, also zu spät, zu bemerken, dass

sie Kinder haben. Also müssen wir zunächst bewirken,

dass der Kindergarten ein Projekt ist,

dass sie die Stadt und ihre Bewohner begierig wahrneh-

men wollen;

dafür müssen die Kinder in der Stadt präsent sein,

auf ihren Plätzen, in ihren Schwimmbädern, in den Theatern.

Wir müssen darauf hinwirken, dass die Stadt die Intelligenz und

Sensibilität der Kinder beachtet und berücksichtigt.“

Malaguzzi spricht also von der Stadt, deren Kultur man an dem Umgang mit ihren

Kindern erkennt. Er fasst den Rahmen von Qualität – wie wir heute sagen würden -

viel weiter. In diesem Sinne scheint es mir wichtig, die Anstrengungen und Ansprü-

che der Qualität in der frühkindlichen Bildung in einem viel größeren Bogen zu se-

hen, nämlich die Qualität

der Lebensumstände der Kinder und ihren Familien,

der Jugendlichen, Jungen Erwachsenen und älteren Menschen, der Flüchtlin-

ge aus Lampedusa und Bedürftigen.

Die Frage „Verwahrt, überfordert oder gut betreut“ würden wir umformulieren in die

Frage: Welche Kindertagesstätten braucht die Stadt Hamburg, um sich wahrhaftig

auf den Weg in eine Willkommensgesellschaft zu begeben.

Das ist für uns Qualität.

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(D) Arbeitsgruppen AG 1: »Akademisierung – wozu?« - Workshop

Abbi.1 Layout d. Praxisforschungsposters d. Studiengruppe

3

„Viele fordern für Erzieherinnen und Erzieher eine Hochschulausbildung. Doch keiner

will sie bezahlen. Wie groß wäre der zusätzliche Nutzen?“

• Worum geht es?

Das Arbeitsfeld KiTa befindet sich in den letzten Jahren in einem stetigen Wandel.

Die Phase der frühen Kindheit steht mehr und mehr im Mittelpunkt. Es wurde aner-

kannt, dass hier die Weichen für die weitere Entwicklung der Kinder gelegt werden.

Gleichzeitig finden sich immer mehr fachwissenschaftliche Diskurse und die For-

schungslandschaft im Themenfeld Frühkindliche Bildung, Erziehung und Betreuung

erweitert sich stetig. Nun ist es klar, dass sich durch diese diversen Realitäten auch

die ständig veränderten und wachsenden Anforderungen an alle Akteure dieses Fel-

des immer deutlicher zeigen und diskutiert werden müssen. Aus dieser Entwicklung

heraus wurden spezielle Studiengänge für den Arbeitsbereich der frühkindlichen Bil-

dung entwickelt. 4Durch den deutschen Bildungsföderalismus findet sich eine große

Heterogenität. Auch wenn der Beschluss der Kultusminister-konferenzen einen ge-

meinsamen „Orientierungsrahmen, Bildung und Erziehung in der Kindheit“5 entwi-

ckelt hat, befinden sich viele Studiengänge noch in einer „Sondierungsphase“.

Hier wird entwickelt, erprobt, weiterentwickelt und ggf. verworfen

• Ziel des Workshops

Das Ziel des Workshops sollte sein, mit den Teilnehmenden über den zusätzlichen

Nutzen bzw. den „Mehrwert“ von akademisierten Fachkräften in der Kita ins Ge-

spräch zu kommen.

3 Forschungsposter der Referent*Innen während des Studiums BA soziale Arbeit& Diakonie – Frühkindliche Bildung 2010-

2014) 4 http://www.akipaed.de/wp-content/uploads/2013/12/04_Artikel_ISA-Jahrbuch.pdf(Letzter Zugriff am 27.05.2014)

5 KMK, JFMK (2010): Gemeinsamer Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 16.09.2010 sowie Beschluss der Jugend- und

Familienministerkonferenz vom 14.12.2010. Anlage „Gemeinsamer Orientierungsrahmen, Bildung und Erziehung in der Kindheit“: „Weiterentwicklung der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Erzieherinnen und Erziehern - Gemeinsamer Orientie-rungsrahmen „Bildung und Erziehung in der Kindheit“. http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2010/2010_09_16-Ausbildung-Erzieher-KMK-JFMK.pdf

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• Input der Referentinnen und Diskussion

Eröffnet wurde der Workshop mit einem kleinen Exkurs in die Welt der Studiengänge

im Bereich der frühkindlichen Bildung.

Laut der Datenbank Wiff (Weiterbildungsinitative Frühpädagogische Fachkräfte) gibt

es in Deutschland zurzeit 114 Studiengänge an 80 Hochschulstandorten. Diese wer-

den in Vollzeit als auch berufsbegleitend oder beufsintegrierend angeboten.

Im weiteren Verlauf wurden Inhalte einer Wiff Expertise aus dem Jahre 2012 vorge-

stellt, die erste Erfahrungen von Absolventinnen dieser Studiengänge zusammen-

fasst. Nach dieser Studie berichten die Absolventinnen, dass die berufliche Status-

zuweisung der Studiengänge fehle.

Aus diesem Grund lohne sich zum jetzigen Zeitpunkt lediglich auf der individuellen,

persönlichkeitsbildenden Ebene. Absolventinnen erwarten jedoch adäquate Arbeits-

bereiche mit einer angemessenen Bezahlung. Sollen demnach die erheblichen An-

strengungen zur Etablierung akademischer Studiengänge im Bereich der Kindheits-

pädagogik nachhaltig zu positiven Ergebnissen führen, vor allem auch bezogen auf

die angestrebte Qualitätsverbesserung in der unmittelbaren Arbeit mit den Kindern,

so müssen weitere Schritte unternommen werden, um einen dauerhaften Berufsver-

bleib der Kindheitspädagog*innen , vor allem der im Gruppendienst tätigen Graduier-

ten sicherzustellen

Um einen Einblick in einen solchen Studiengang zu gewähren wurden im Anschluss

kurz Inhalte des berufsintegrierenden Studienganges „Soziale Arbeit & Diakonie -

Frühkindliche Bildung“ des Rauhen Hauses in Hamburg erläutert. Alle Referentinnen

des Workshops haben diesen Studiengang vor kurzem, neben ihrer Tätigkeit in Kin-

dertagesstätten Hamburgs und Schleswig-Holsteins, mit Erfolg durchlaufen.

Anhand eines Schaubilds wurde dargestellt, dass sich das Studium über sechs Se-

mester zieht. Das Studium ist in 15 Modulen zu verschiedenen Themen eingeteilt. In

jedem Modul muss ein benoteter Leistungsnachweis erbracht werden. Inhalte der

Module sind zum Beispiel: Planen und Gestalten, Geschichte, rechtliche Grundlagen,

Leiten und Steuern oder Didaktik und Methodik. Ein besonderer Schwerpunkt des

Studiums ist die Praxisforschungswerkstatt, welche sich über alle 6 Semester er-

streckt. Diese ermöglicht den Studierenden forschend zu lernen. Die Referentinnen

dieses Workshops haben sich in dieser Forschungswerkstatt mit dem Thema der

Akademisierung von Fachkräften in der Kita beschäftigt.

Nach dem theoretischen Input wurden die Teilnehmenden des Workshops aufgefor-

dert, sich in Kleingruppen mit dem Mehrwert von akademisierten Fachkräften in der

Kita aus der Sicht unterschiedlicher Akteure zu beschäftigen. Hierfür hatten die Re-

ferentinnen folgende Fragen an Stellwänden vorbereitet.

1. Welchen Mehrwert bringen akademisierte Fachkräfte, den Trägern d. KiTas?

2. Welchen Mehrwert bringen akademisierte Fachkräfte den Familien d. KiTas?

3. Welchen Mehrwert bringen akademisierte Fachkräfte dem Team einer KiTa?

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Die Teilnehmenden diskutierten in ihren Gruppen zu den einzelnen Fragen und

schrieben Ihre Ergebnisse auf Karten, welche zu den Fragen an die Stellwand gehef-

tet wurden. In der Abschlussrunde des Workshops sprach das Plenum gemeinsam

mit den Referentinnen über Kontroversen und Gemeinsamkeiten der Diskussionen in

den Kleingruppen.

• Fazit des Workshops

Es wurde deutlich, dass ein Großteil den Mehrwert durch die Akademisierung durch-

aus sieht und dieses auch befürwortet. Zurzeit setzen die Träger, die akademisierten

Fachkräfte vorwiegend in Leitungspositionen ein.

Auf die Frage woher der erhöhte Finanzierungsbedarf für die akademisierten Fach-

kräfte kommen sollte, wurde keine Aussage getroffen.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das Thema der Akademisierung im

frühkindlichen Arbeitsfeld noch kontrovers diskutiert wird. Die Bereitschaft, sich mit

der Bedeutung akademisierter Fachkräfte in Kitas auseinanderzusetzen war jedoch

deutlich zu spüren.

Literatur : http://www.ev-hochschule-hh.de/fileadmin/user_upload/downloads/Erasmus_und_Akkreditierung/Neue_Dokumente_Akkr/02_FB_Modulkatalog_2013.pdf (letzter Zugriff: 24.05.2014) WIFF Expertise Nicole Kirstein/Klaus Fröhlich-Gildhoff/RalfHaderleinVon der Hoch-schule an die Kita - Berufliche Erfahrungen von Absolventinnen und Absolventen kindheitspädagogischer Bachelorstudiengänge (Publikation)

http://www.akipaed.de/wp-content/uploads/2013/12/04_Artikel_ISA-Jahrbuch.pdf (letzter Zugriff am 27.05.2014) Aktionsrat Bildung; Verein der Bayerischen Wirtschaft e.V. (Hrsg.) (2012): Professio-nalisierung in der Frühpädagogik. - Qualifikationsniveau und -bedingungen des Per-sonals in Kindertagesstätten. Münster. http://www.aktionsrat-bil-dung.de/fileadmin/Dokumente/Gutachten_Professionalisierung_in_der_Fruehpaedagogik.pdf. ( letzter Zugriff am 27.05.2014)

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AG 2: »Armut – und wer sieht hin?« - Workshop

Worum geht es?

Kinderarmut hat viele Facetten und ist ein heiß diskutiertes Thema in der Öffentlich-

keit. Wie stellt sich die Diskussion in der Kita dar, offen oder als Tabu? Wer über-

nimmt dafür die Verantwortung? Und wo bleibt das Kind dabei? „Kinderarmut ist zu

einer Thematik geworden, die es nicht mehr ermöglicht, wegzuschauen.“6 Immer

mehr Kitas sind gefordert auf die Bedürfnisse armer Mädchen und Jungen und ihrer

Familien aufmerksam zu werden und individuelle Hilfe anzubieten. Welche Kompe-

tenzen müssen Fachkräfte mitbringen, um mit den dazu kommenden Aufgabenfel-

dern professionell umzugehen?

Input der Referentinnen

Als Grundlage für die Diskussion stellten die Referentinnen folgende Armutsdefinition

vor:

„Kinder in Deutschland gelten als arm, wenn ihre Eltern über ein Einkommen verfügen, das weniger als 50-60% des durchschnittlichen Nettoeinkommens umfasst. Auf Basis dieser Definition liegt nach der amtlichen Erhebung „Leben in Europa“ (EU-SILC 2006) die Armutsgrenze in Deutschland bei 781€ pro Monat (=60% des Durchschnittsnettoeinkommens) für Alleinstehende.“7

Außerdem führten sie weiter aus, dass in Deutschland 2,5 Millionen Kinder und Ju-

gendliche am Existenzminimum leben. Demnach lebt jedes sechste Kind in Armut. In

Bezug auf Hamburg sind dies ca. 24,6 Prozent und somit ca.49.800 Kinder.

Aus der Diskussion

Viele der Teilnehmerinnen konnten aus ihren eigenen Erfahrungen zu dem Thema

berichten. Einig war man sich darüber, dass für einen kompetenten Umgang mit dem

Thema Armut bei Kindern, die Rahmenbedingungen in Kindertageseinrichtungen

erweitert werden müssen. Vor allem zeitliche und personale Ressourcen, sowie in-

terdisziplinäre Teams, Supervision und Beratung der Mitarbeitenden, waren Aspekte

die genannt wurden. Obwohl Armut in der Gesellschaft längst sichtbar ist, befindet

sich die Arbeit in den Kitas noch am Anfang. Durch die Auseinandersetzung mit der

vorhandenen Problematik, werden notwendige Folgehilfen sichtbar, die aber auf-

grund von finanziellen Defiziten, ausgebremst werden. Weiterhin bemerkten die Teil-

nehmenden, dass der Begriff der Armut, ein ungutes Gefühl auslöst, welches eher

durch ein positives Wort ersetzt werden müsste. Auch Themen aus den Referaten

des Vormittags wurden bedacht, so kam z.B. die Frage auf, warum der Hamburger

6 Becker 2013 et. al

7 Andersen, Sabine / Fegter Susann (2009): Spielräume sozial benachteiligter Kinder.

Bepanthen – Kinderarmutsstudie. Universität Bielfeld, Die Arche, Bepanthen, Bayer Health Care (Hg.). Bielefeld.

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Senat Beitragsfreiheit für Kitaplätze schaffen muss, anstatt diese Gelder für zusätzli-

che Personalkosten zu benutzen.

Fazit

Am Ende des Workshops haben die Beteiligten zusammengefasst, dass jede Kita

ihre individuellen Prioritäten setzen muss, bezogen darauf, was es von den Bil-

dungsempfehlungen umsetzt, da diese sehr umfangreich sind. Die Fachkräfte orien-

tieren sich hierbei an den jeweiligen Bedürfnissen, der zu betreuenden Jungen und

Mädchen und ihrer Mütter und Väter. Dabei wurden Unterschiede wahrgenommen

bezogen auf das, was eine Familie in sogenannten „Brennpunkten“ braucht und auf

das, was eine Familie in einem „Wohlstandsbezirk“ braucht. Auf der anderen Seite

wurde aber auch festgestellt, dass es für die Entwicklung von Kindern gleichermaßen

wichtig ist, dass diese sichere Bindungserfahrungen machen. Dieses bildet die

Grundlage dafür, dass sich das einzelne Kind der Welt öffnet und so seine Explora-

tion stattfinden kann. Ein Blick auf die Resilienzforschung lässt hierbei erkennen,

dass auch Kinder, die in finanzieller Armut leben, eine Chance darauf haben zu wi-

derstandsfähigen Erwachsenen zu werden. Um den vielschichtigen Bedürfnissen der

unterschiedlichen Familien gerecht zu werden ist eine gute Vernetzung von unter-

schiedlichen Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe unabdingbar. Denn meist kann

nur vereint effektiv geholfen werden. Bei der Bewältigung der immer komplexer wer-

denden Aufgaben im Kitabereich (z.B. der Aufwand für die Bewerbung und Bearbei-

tung von Bildungspaketempfänger*innen) werden die zeitlichen Ressourcen jedoch

immer knapper.

Allerdings ist eine intensive Eltern- bzw. Familienarbeit als ein wichtiges Qualitäts-

merkmal für eine gute Kita zu nennen, in die es sich lohnt zu investieren. Denn Su-

pervision, Fortbildungen, Zeit für Vor- und Nachbereitungen der pädagogischen Ar-

beit mit Kindern, aber auch für die Reflexion der Elterngespräche dienen der Quali-

tätssicherung. Dieser notwendige Mehraufwand bedingt das Geld von Trägern, de-

nen es wert ist, gutausgebildete und zahlreiche Fachkräfte einzustellen, damit die

qualitative Arbeit erhalten bleibt und Fachkräfte nicht krank werden.

Literatur Dr. S. Andresen und S. Fegter (2009): „Bepanthen-Kinderarmutsstudie 2009“, Be-panthen-Kinderförderung Bayer Vital GmbH, Leverkusen 2009 B. Hock / G. Holz / R. Wüstendörfer (2000): „Gute Kindheit – Schlechte Kindheit. Armut und Zukunftschancen von Kindern in Deutschland“. Abschlussbericht zur Stu-die im Auftrag des Bundesverbandes der Arbeiterwohlfahrt. Frankfurt am Main. M. Hübenthal (2009): „Kinderarmut in Deutschland-Empirische Befunde, kinderpoliti-schen Akteure und gesellschaftspolitische Handlungsstrategien“, Deutsches Jugend-institut München. Quelle: http://www.dji.de/bibs/21_expertise_huebenthal_kinderarmut_2009.pdf Rev.12.04.2013

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R. Lutz et. al (2010): „Wege aus der Kinderarmut: Gesellschaftspolitische Rahmen-bedingungen und sozialpädagogische Handlungsansätze“ M. Rumpf (2009): Pressemitteilung zum OECD Kinderbericht „Doing better for child-ren“ Quelle: http://www.oecd.org/els/family/44464365.pdf Rev.06.05.2013 „KiGSS-Studie“ (2007): Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Robert-Koch-Institut Berlin, Bundesgesundheitsblatt, 50Jg., H.5/6 G.Trabert (2007): „Kinderarmut und Gesundheit.“ In Deutsches Kinderhilfswerk e.V. (Hrsg.): Kinderreport 2007. Daten, Fakten, Hintergründe. Freiburg M. Zander (2010): „Armes Kind – starkes Kind?“, Verlag für Sozialwissenschaften /Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010, 3.Auflage M.-S. Honig et.al (2004): „Was ist ein guter Kindergarten?“, Juventa Verlag Weinheim und München 2004 M. Winkler (2010): „Nähe, die beschämt – Armut auf dem Land“; eine qualitative Stu-die des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD, 2. Auflage, Lit Verlag Berlin 2010 Die Workshop-Leiterinnen Maren Werth, Susan Becker und Nicole Meyer sind alle-samt Absolventinnen des Studiengangs Soziale Arbeit und Diakonie mit dem Schwerpunkt Frühkindliche Bildung. Sie studierten an der Evangelischen Hochschule in Hamburg. (Abschluss: Sozialpädagoginnen BA) Während ihres Studiums forschten sie gemeinsam, in welcher Form Fachkräfte die Bedürfnisse armer Familien wahr-nehmen. Bei Fragen können Sie sie gerne dazu kontaktieren. Kontakt: Nicole Meyer: [email protected]

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AG 3: »Bildungsempfehlungen – völlig umsonst?« - Workshop

Seit August 2013 haben bundesweit alle Kinder ab dem ersten Lebensjahr einen

Rechtsanspruch auf Kindertagesbetreuung. Die Zahl der außerfamiliär betreuten

Kinder unter drei Jahren ist in Hamburg in den letzten Jahren ständig gestiegen und

liegt zur Zeit bei ca. 30 Prozent. Dabei werden die Kinder überwiegend in Kinderta-

geseinrichtungen betreut. Grundlage für die Arbeit in den Kitas sind die Hamburger

Bildungsempfehlungen, welche 2012 neu überarbeitet wurden. Sie bilden den aktu-

ellen Orientierungsrahmen für die Arbeit in Hamburger Kitas und formulieren „be-

gründete Qualitätsansprüche an das pädagogische Handeln“ (Hamburger Bildungs-

empfehlungen: 2012) und Indikatoren.

„Bildung braucht Bindung und Beziehung“ heißt es in den Hamburger Bildungsemp-

fehlungen. Gerade Krippenkinder sind auf eine feinfühlige und sichere Bindung an-

gewiesen. Diese Bindung soll in der Eingewöhnungsphase aufgebaut werden. Dabei

geben die Hamburger Bildungsempfehlungen kein Eingewöhnungsmodell vor, son-

dern ermöglichen eine freie Gestaltung des Überganges von der Familie in die Kita.

Absolventinnen des berufsintegrierenden Studiengangs „Soziale Arbeit & Diakonie –

Frühkindliche Bildung“ haben am Beispiel der Eingewöhnung von Krippenkindern

untersucht, inwieweit die Vorgaben der Hamburger Bildungsempfehlungen in der

Praxis umgesetzt werden. Margriet Bartelds, Marina Kühl, Gabriele Rutz und Manja

Schulz-Alsen stellten ihre Forschungsergebnisse vor.

Input der Referentinnen

Anlass für die Forschungsarbeit waren die von den Referentinnen in ihrer täglichen

Arbeit erlebten Diskrepanzen zwischen den Vorgaben der Hamburger Bildungsemp-

fehlungen und der Praxis. Die Datenerhebung erfolgte durch qualitative Interviews. In

fünf narrativen Interviews berichteten Krippen-Fachkräfte über die letzten Eingewöh-

nungen von Kindern. Die Auswertung der einzelnen Interviews fand nach der Groun-

ded Theory (Strauss und Corbin) statt.

Im Anschluss wurde über die Bedeutung des Bindungsaufbaus des Kindes zu einer

Bezugsperson in der Krippe berichtet. Jedes Kind baut in den ersten Monaten seines

Lebens verschiedene Beziehungen zu seinen Mitmenschen auf, die sich in Ihrer

Qualität unterscheiden. Erlebt der Säugling liebevolle Betreuung und verlässliche

Versorgung seiner Bedürfnisse so kann er eine sichere Bindung zu einer Bezugsper-

son aufbauen, die ihm jederzeit Schutz gewähren kann. Sicher gebundene Kinder,

sind mehr an ihrer Umgebung interessiert und können sich intensiver mit ihrer Um-

welt auseinandersetzen. Darüber hinaus sind sie offener neuen Herausforderungen

gegenüber und können leichter Schwierigkeiten bewältigen. Bindung ist somit

Grundvoraussetzung für Bildungsarbeit in den Krippen.

Der Übergang in die Krippe stellt für das Kind eine neue Herausforderung dar, die es

ohne Begleitung seiner Hauptbezugsperson nicht unbeschadet bewältigen kann. Um

einen sanften Übergangsprozess für das Kind und seine Bezugsperson zu gestalten,

wurde das Berliner Eingewöhnungsmodell konzipiert, welches auf der Bindungstheo-

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rie basiert. In Hamburg findet die Eingewöhnung von Krippenkindern überwiegend in

Anlehnung an das Berliner Eingewöhnungsmodell statt. Auch die Hamburger Bil-

dungsempfehlungen basieren auf diesem Modell. Das Berliner Eingewöhnungsmo-

dell ist nur ein Leitfaden, der von der Krippenfachkraft auf jedes Kind und jede Fami-

lie individuell zugeschnitten werden muss. Hierfür ist entwicklungspsychologisches

Fachwissen und eine sensible Grundhaltung der Krippenfachkraft unabdingbar.

Anhand von Zitaten aus den Interviews wurde in einer Ouiz-Runde exemplarisch die

Diskrepanz zwischen der Praxis und den Hamburger Bildungsempfehlungen aufge-

zeigt. Die ersten Eindrücke der Workshop-Teilnehmer spiegelten Entsetzen wieder.

Die wichtigsten Ergebnisse der Forschungsarbeit

Weder die Theorie noch das Berliner Eingewöhnungsmodell oder die entspre-

chenden Empfehlungen in den Hamburger Bildungsempfehlungen scheinen

so verstanden und verinnerlicht worden zu sein, dass eine Umsetzung in der

Praxis möglich ist.

Vier von fünf Fachkräften haben spezielle Krippenfortbildungen besucht, aber

eine Verinnerlichung der theoretischen Grundlagen hat nicht stattgefunden.

Die Fachkräfte sind sich der entwicklungs-psychologische Bedeutung der Ein-

gewöhnungsphase nicht bewusst und das Berliner Eingewöhnungsmodell wird

nicht individuell auf das einzelne Kind angewandt.

Einzelne Punkte des Berliner Eingewöhnungsmodels werden von allen immer

wieder beschrieben und nach eigenem Plan abgearbeitet. Dabei wird aber

nicht erklärt, warum sie so handeln.

Weder das Berliner Eingewöhnungsmodell noch die Hamburger Bildungsemp-

fehlungen werden hinterfragt. Sie werden als gegeben hingenommen und die

Fachkräfte arrangieren sich damit.

Ein Hinterfragen der eigenen Arbeit oder ein Entwickeln von eigenen Kriterien

finden nicht statt, da die Fachkräfte eine schwierige Eingewöhnung als eige-

nes Versagen verstehen.

Es wurde daraufhin gemeinsam erarbeitet, welche Voraussetzungen benötigt wer-

den, damit die pädagogischen Fachkräfte die Bildungsempfehlungen verstehen und

verinnerlichen können.

Zeitliche Ressourcen fehlen für Reflexion und Supervision

Rahmenbedingungen müssen den Anforderungen angepasst werden

Austausch im Team über Erfahrungen in der Praxis

Neue Kita-Kultur entwickeln, in welcher ältere und jüngere Mitarbeiterinnen

sich gemeinsam in den Austausch und das Lernen begeben

Haltungsvermittlung und Persönlichkeitsentwicklung müssen in der Ausbil-

dung integriert werden

Tiefes Verständnis der eigenen Aufgaben und Verantwortung dem Kind ge-

genüber ist nötig

Ausbildung muss zum forschenden und reflektierenden Lernen hinführen

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Mehr Erfahrungen schon in der Ausbildung sammeln können und diese re-

flektieren

Im System ist es angelegt, dass MA nicht reflektieren, sondern ständig nur

reagieren

Fazit:

Am Beispiel der Eingewöhnung von Krippenkindern zeigt sich, dass die Hamburger

Bildungsempfehlungen nicht in allen Bereichen umgesetzt werden. Eine notwendige

Verinnerlichung von Grundlagen (Theorie) hat nicht stattgefunden. Sowohl in der

Ausbildung, als auch in der täglichen Arbeit, muss eine professionelle Haltung entwi-

ckelt oder angenommen werden. Hierfür ist Zeit zum Reflektieren notwendig, aber

auch das Sammeln von eigenen Erfahrungen unabdingbar. Die Hamburger Rah-

menbedingungen erschweren dieses. Es reicht nicht aus, die Bildungsempfehlung zu

schreiben, zu drucken und zu verteilen. Zur Verinnerlichung bedarf es eines Prozes-

ses der gemeinsamen Auseinandersetzung im Team mit den Theorien und Konzep-

ten. Das Entwickeln einer kritisch-forschenden Haltung und eigenes Lernen wird so

erst ermöglicht.

„Ein Gramm Erfahrung ist besser als eine Tonne Theorie, einfach deswegen, weil jede Theorie nur in der Erfahrung lebendige und der Nachprüfung zugängliche Bedeutung hat. Eine Erfahrung, selbst eine sehr bescheidene Erfahrung kann Theorie in jedem Umfange erzeugen und tragen, aber eine Theorie ohne Bezugnahme auf irgendwelche Erfahrung kann nicht einmal als Theorie bestimmt und klar erfasst werden. Sie wird leicht zu einer bloßen sprachlichen Formel, zu einem Schlagwort, das verwendet wird, um das Denken [...] unnötig und unmöglich zu machen“ (Dewey)

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AG 4: »Gute Leitung – aber wie?« - Workshop

Nach einem kurzen Input zu den Dimensionen des Kita-Managements sowie Ma-

nagementfeldern und Aufgabenbereichen im Bildungs- und Sozialmanagement, die

den Komplexitätsgrad im Feld darlegen, sowie zum aktuellen Forschungsstandbilde-

ten sich vier Arbeitsgruppen zu den Themen:

Rahmenbedingungen von Trägern und Verbänden für gute Leitung – Entwick-

lung eines Forderungskatalogs

Veränderung des Berufsbilds von Leitungen – wissen jüngere Leitungen, was

auf sie zukommt? Wie werden sie auf Management vorbereitet?

Pädagogik versus Unternehmensführung – wie mit Widersprüchen und Di-

lemmata umgehen?

Was ist gute Führung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern

Die Ergebnisse wurden präsentiert und gruppenübergreifend diskutiert.

Literatur:

Böttcher, W. & Merchel, J. (2010). Einführung in das Bildungs- und Sozialmanage-ment. Opladen: Budrich.

Fthenakis, Hanssen, Oberhuemer & Schreyer (Hrsg.). (2003). Träger zeigen Profil.

Greving, H. (2008). Management in der Sozialen Arbeit. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Simsa, R. & Patak, M. (2008). Leadership in Nonprofit-Organisationen. Die Kunst der Führung ohne Profitdenken. Wien: Lind38e international.

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(E) Wider den Optimierungszwang – Ein Zwischenruf gegen die Überforderung der Kinderheit

Bei der Tagung musste der ursprünglich vorgesehene Vortrag von Dr. Nils

Minkmar aus Krankheitsgründen kurzfristig entfallen. Stattdessen sei an dieser

Stelle ein Essay des Autors zum selben Thema dokumentiert:

Mittwoch, 10. Juli 2013

Lebensprojekt Kind - Die Überforderung der Kindheit

Kinder sind zum Projekt permanenter Optimierung geworden, es muss einfach alles perfekt sein: beste Noten, wertvolle Spiele. So wird die Kindheit zum Krampf. Und das schreckt potentielle Eltern ab.

Von Nils Minkmar

© Julia Zimmermann Einfach nur spielen? Das wäre ein bisschen wenig. Der Spielplatz in der Berliner Hans-Otto-Straße bietet nebenbei einen veritablen Kunstparcours für die Eltern.

Sie zog sich hohe Chucks an, enge Jeans, eine Baseballkappe und ein Kapu-

zenshirt: Die zweiundfünfzigjährige Mutter wollte nicht etwa im Auftrag des Springer

Verlags die Berliner Start-up-Szene bestaunen, sondern die Abiturprüfung in Eng-

lisch ablegen - aber nicht ihre eigene, sondern die ihrer Tochter. Die Nachricht von

diesem sehr schnell vereitelten Betrugsversuch passt gut in die Zeit: Eltern bewerten

die Schule, die Jugend, ja, die ganze Kindheit zunehmend als etwas, das man nicht

allein den Kindern überlassen darf.

Autor: Nils Minkmar, Jahrgang 1966, verantwortlicher Redakteur für das Feuilleton.

Das Streben nach einer makellosen Schulleistung und, mehr noch, nach einer per-

fekten Kindheit und Jugend ist in den Mittelschichten zu einer kollektiven Zwangsvor-

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stellung geworden. Und es ist auch ein zentrales politisches Projekt, ein immenser

Markt und ein unendliches, diskursives Superthema, vielleicht das letzte Theater

bürgerlicher Ambitionen.

Kind als Lebensprojekt des Bürgertums

Es ist daher auch kein Wunder, dass sich viele trotz milliardenschwerer staatlicher

Förderung nicht dazu durchringen können, Kinder zu bekommen - der Druck ist ein-

fach zu groß. Wenn erst alles stimmen muss, bevor das Baby willkommen ist, kann

das unter wesensmäßig nicht perfekten Sterblichen ziemlich lange dauern. Und wenn

das zum Lebensprojekt erwählte Kind das Licht der Welt erblickt, wird die Regie nicht

so schnell aufgegeben, werden keine Kompromisse mehr gemacht.

Das Blühen der elterlichen Neurosen ist bereits im Sandkasten zu bestaunen. Gut,

dass man bei einem Aufenthalt auf den Spielplätzen der Republik in der Regel schon

Kinder hat, man würde sonst von dem Projekt leichten Herzens Abstand nehmen.

Derart entfesselte Ambitionen würde man sich an manchem deutschen Arbeitsplatz

wünschen. Der Spielplatz wird zum Assessmentcenter mit Plastikspielzeug ohne

Weichmacher. Die Kleinen werden von ihren eigenen Eltern als künftige Player der

globalisierten Ökonomie bewertet, es geht um Sozialkompetenz, Problemlösungska-

pazität, emotionale Intelligenz und allseitige Optimierung.

Bedingungen für ein glückliches Leben

Die anwesenden Eltern haben zu allem einen Tipp, schlichten jeden Schippenstreit,

pazifizieren und reglementieren, dass die Kinder nur noch staunen. Oder sie ziehen

Schuhe und Strümpfe aus und setzen sich gleich dazu, denn man könnte auch noch

zum allerbesten Freund, zur allerbesten Freundin des Kindes promovieren. Statt des

leicht genervten „Jetzt geht mal schön spielen!“, mit dem in den siebziger Jahren die

Nickipullover tragenden Scharen auf die Straße geschickt wurden, um auf rostigen

Rädern und Spielplätzen ohne TÜV-Plakette ihr Leben zu riskieren, heißt es heute

alltagspädagogisch versiert: „Schaut mal, so spielt ihr noch schöner!“ Kindheit ist

nicht genug, sie muss permanent optimiert werden.

Das wird als Hindernis zur Familiengründung seltsamerweise nie diskutiert: wie ab-

schreckend der Trend zur perfekten Kindheit und zur perfekten Eltern-Kind-

Beziehung wirkt. In Wahrheit ist pädagogische und familiäre Perfektion stets erstre-

benswert, aber keine Bedingung für ein glückliches Leben. Wenn man heute im

Freundes- und Kollegenkreis mit erwachsenen Männern und Frauen über ihr Zuhau-

se und ihre frühen Jahre spricht, dann ist man oft erstaunt darüber, aus welch wind-

schiefen Verhältnissen ganz gerade Menschen wachsen. Menschen sind, das sollte

man beim Grübeln über die stete Verbesserung des Guten gelegentlich bedenken,

recht anpassungsfähige Säugetiere. Viele werden dort geboren, wo eigentlich gar

nichts in Ordnung ist.

Drohnenhafte pädagogische Präsenz

Aber das Streben nach einem Leben mit Kindern, in dem jeden Tag „alles gut“ ist,

beschränkt sich ja nicht nur auf die Familie, es weist erschreckenderweise auch noch

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weit darüber hinaus. Kinder sind nicht nur der Schlüssel zu einem geglückten Leben,

sie gelten auch als die Rettung unseres Zivilisationsmodells oder am besten gleich

des Planeten. So sympathisch der dem Grönemeyer-Song entlehnte Ruf „Kinder an

die Macht!“ gemeint war - er entspricht auch einer Flucht der Erwachsenen vor ihrer

aktuellen Verantwortung. Auf den Wert von Kindern können sich in einer säkularen,

globalisierten und wertepluralistischen Gesellschaft alle einigen, und zwar recht

schnell, vielleicht auch nur noch darauf. Das kann aber auch zu einer Überforderung

des ganzen Instituts führen. Der Spruch, ohne den kaum noch eine politische Grund-

satzrede auskommt - „Kinder sind unsere Zukunft“ -, ist, bei aller lobenswerten Ab-

sicht, auch eine Belastung der Kinder, die in ihrer eigenen Gegenwart leben und

nicht nur für eine Zukunft, in der sie gar keine Kinder mehr sein werden. Und außer-

dem verklebt solch umfassendes Pathos gern die kleinen und ganz banalen Miss-

stände wie einstürzende Schulgebäude oder unterfinanzierte Nachmittagsbetreuung.

In den Kindergärten müssen sich die skandalös schlecht bezahlten Erzieherinnen

häufiger fragen lassen, wie die Kleinen denn heute gefordert und gefördert wurden.

Der Anblick einer irgendwie vor sich hin spielenden Bande macht manche Eltern ner-

vös. Offenbar haben diese Kinder Spaß, schön, aber ist es auch richtiger, wertvoller

Spaß? Eltern übertragen die eigene Fragilität und Unsicherheit einer die Gestalt im-

merzu wandelnden Berufswelt, in der permanent Leistung und Weiterbildung die Re-

gel ist, auf den Nachwuchs. Dabei ist die allerbeste Basis für späteres Wohlergehen

eine friedliche und fröhliche Kindheit, mit allem, was dazugehört. Und das suchen

sich die Kinder im Zweifelsfall selbst, ohne drohnenhafte pädagogische Präsenz. Sie

ist auch sachlich und fachlich unsinnig.

Fragen werden am besten dann entschieden, wenn sie sich stellen

Die technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen gehen so schnell vonstatten

und schreiten auf so gewundenen, unvorhersehbaren Pfaden voran, dass Fragen der

Berufsfindung am besten dann entschieden werden, wenn sie sich stellen. Und das

ist nicht im Vorschulalter der Fall. Unvergesslich auch die gequälte Frage eines be-

sorgten Vaters, der am Ende eines langen Informationsabends einer Montessori-

Schule aufstand und angsterfüllt rief: „Das gefällt mir alles sehr gut, aber wenn mein

Sohn später in den Härten des Berufs seinen Mann stehen muss?“ Es handelte sich

wohlgemerkt um eine Grundschule, der fragliche Sohn besuchte noch - hoffentlich

ahnungslos, welche volkswirtschaftlichen Großtaten von ihm noch erwartet werden -

einen Kindergarten. Er konnte dann von einem Vater beruhigt werden, der selbst auf

solch einer Schule gewesen war und heute Polizisten ausbildet. Seine verblüffende

Botschaft: Wie man als Erwachsener im Beruf reüssiert, entscheidet sich nicht im

Kindergarten, auch noch nicht in der Grundschule, sondern wenn es so weit ist, im

Beruf selbst.

Diese Lage ist bei all ihren Tücken das Resultat eines riesigen zivilisatorischen Fort-

schritts: Dass Kinder nicht mehr geschlagen, ausgebeutet und gedemütigt werden

dürfen, dass ihr Wohl ein hoher Wert ist und die Elternliebe nicht mehr als zu über-

windendes Gefühlsrelikt behandelt wird, zeichnet unsere Zeit vor allen anderen aus.

Aber der Wert dieser Anstrengungen ergibt sich nicht aus zu erwartenden Leistungen

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der Kinder, wenn sie groß sind. Das ist ein Wert an sich. Die Kindheit wird nicht auf

das Ziel hin gelebt, später schön, reich und berühmt zu werden; dann wären ja 99,99

Prozent der Erdenbewohner krasse Versager. Die Optimierung der Kindheit im Hin-

blick auf ein nach unseren heutigen Kriterien gelingendes Erwachsenenleben ist nur

in Maßen erfolgversprechend, es spielen einfach zu viel Faktoren hinein. Manche

Wissenschaftler halten ja auch die kindliche Peergroup, also die Spiel- und Klassen-

kameraden, die Kinder aus der Nachbarschaft, für einen ebenso wichtigen Einfluss

wie die Eltern. Denn wer weiß schon, ob man als Berufsberater der eigenen Kinder

das richtige Gepäck zusammenstellt?

Gegen eine Deutungshoheit von Schulnoten

Gorbatschow hat immer gesagt, seiner Mutter wäre es lieber gewesen, er wäre als

Funktionär im Kaukasus geblieben. In diesem Sinne müssen auch die Schulnoten,

freilich wichtig, nicht das ganze Leben hegemonial dominierend gedeutet werden.

Jeder Erwachsene kennt doch bewundernswerte Zeitgenossen, die einmal sitzenge-

blieben sind, ihre Mühe mit bestimmten Lehrern hatten oder sonst wie schlechte No-

ten produziert haben. Umgekehrt gerät manch allzu zurückgezogen aufgewachsener

Superschüler im späteren Leben, im Studium etwa, in soziale oder seelische Untie-

fen.

Klassenarbeiten wandern wie Schulzeugnisse früher oder später gesammelt in Kis-

ten und von dort in den Keller, wo sie friedlich vor sich hin schlafen. Noten sind nicht

der Dax des frühen Lebens, geben keine Auskunft über das Gelingen der Entwick-

lung. Sie sind nicht völlig irrelevant, und eine erfolgreiche Schullaufbahn ist eine

rundum begrüßenswerte Erfahrung; aber die ist eben auch eine Frage des elterlichen

Prismas. Wenn ein Schüler in einer fünften Klasse des Gymnasiums in Tränen aus-

bricht, wenn er in einer Klassenarbeit eine Drei geschrieben hat, dann ist daran am

allerwenigsten die Note besorgniserregend.