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Was ist Heuristik? Definitionsversuche (1): Heuristik (altgr. heurísko ‚ich finde‘; heuriskein ‚(auf-)finden, entdecken‘) bezeichnet die Kunst, mit begrenztem Wissen und wenig Zeit zu guten Lösungen zu kommen. Heuristik als die Lehre von den Such- und Findestrategien, als regelgeleitetes Handeln wissenschaftlicher Forschung, als Methodologie für Wissenschaft (Grundlagen, F u. E). Heuristik ist die "Untersuchung der Mittel und Methoden des Aufgabenlösens" (Georg Pólya); sie will uns also beim Problemlösen helfen. Die Systematische Heuristik ist eine Technologie der geistigen Arbeit. Sie ist ein Methodensystem zur Bewältigung von Problemlösungsprozessen aus den Bereichen Naturwissenschaft und Technik. Methodenlehre zu Regeln des Findens.

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Was ist Heuristik?

Definitionsversuche (1):

Heuristik (altgr. heurísko ‚ich finde‘; heuriskein ‚(auf-)finden, entdecken‘) bezeichnet die Kunst, mit begrenztem Wissen und wenig Zeit zu guten Lösungen zu kommen.

Heuristik als die Lehre von den Such- und Findestrategien, als regelgeleitetes Handeln wissenschaftlicher Forschung, als Methodologie für Wissenschaft (Grundlagen, F u. E).

Heuristik ist die "Untersuchung der Mittel und Methoden des Aufgabenlösens" (Georg Pólya); sie will uns also beim Problemlösen helfen.

Die Systematische Heuristik ist eine Technologie der geistigen Arbeit. Sie ist ein Methodensystem zur Bewältigung von Problemlösungsprozessen aus den Bereichen Naturwissenschaft und Technik.

Methodenlehre zu Regeln des Findens.

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Was ist Heuristik?

Definitionsversuche (2):

Wie kommt man von Altem zu Neuem, vom Bekannten zum Unbekannten?

Wie erfinde man Nie-Dagewesenes?

Gibt es Regeln und Verfahren für das Aufdecken/Entdecken des Neuen?

Lassen sich Regeln und Verfahren für das Auffinden von Neuem theoretisch begründen?

Ist Heuristik ein Kunst, eine Lehre, eine Technik, …?

Heuristik kann (letztlich) nicht streng sein! Daher oft abwerten gebraucht und von Philosophen häufig nicht geliebt.

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Was ist Heuristik?

Drei Hauptfragerichtungen:

- Soziologische (Verwurzelung geistigen Schaffens in der Umwelt)

- Denkpsychologische (psychologische Bedingungen produktiver Denkleistungen)

- Methodologische (Heuristische Methodentheorie)

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Was ist Heuristik?

Geschichte:

Historische Entwicklungslinien:

1. Rationale Heuristik

2. Dialektische Heuristik

3. Empirische Heuristik

4. Neuere Ansätze

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1. Rationale Heuristik

Raimundus Lullus (Ramon Llull) (1232-1316) „Ars magna et ultima“ (ca. 1275)Athanasius Kircher (1602-1680) „Ars Magna Lucis et Umbrae“ (1646, 1093 S.)Joachim Jungius (1587–1657) Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 – 1716)Christian Wolff (1679–1754) Jakob Friedrich Fries (1773 – 1843) Johann Friedrich Herbart (1776 – 1841) Bernhard Bolzano (1781 – 1848)

Die Entwicklung rationaler Entdeckungs- und Erfindungsverfahren wird auf den Missionar Lullus im 13. Jhdt. ("Lullische Kunst") zurückgeführt und auf den Jesuiten Kircher im 17. Jhdt.; Jungius (erstes Auftreten des Begriffs "Heuristik"?), Descartes ("Regeln"), besonders Leibniz ("ars inveniendi") sind Repräsentanten, ebenso Wolff, Fries, Bolzano. Der Einsatz von Rationalität und formaler Logik, besonders der Mathematik, mit möglichst universalem Anspruch kennzeichnen diese Art von Heuristik. Die moderne Logistik, der Versuch eines computer-gesteuerten "General Problem Solver" (Newell & Simon 1972), die KI. stehen in dieser Tradition.

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2. Dialektische Heuristik

Friedrich Schleiermacher (1768–1834) postulierte die Heuristik als eigenständige Wissenschaft neben der Logik. An Stelle der abstrakten Zielsetzung sollte eine konkrete Denkpraxis treten. Schleiermacher definierte Heuristik als bewusstes, kunstmäßiges geistiges Arbeiten zum Finden neuer Erkenntnisse und Erkenntniszusammenhänge im Kontext einer Gegensatz-Analyse. Nach Schleiermacher zerfällt der Erkenntnisprozess bei der Heuristik in zwei Etappen:

- Konzentration auf den Problemsachverhalt.

- Bezugnahme auf den allgemeinen Zusammenhang.

Entscheidend sei hierbei die bewusste Durchführung des Verfahrens, da sich unbewusste und Zufallslösungen einer empirischen Überprüfung entziehen.

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3. Empirische Heuristik

Neben der mathematisch-logischen entsteht eine empirische Heuristik, niedergelegt in den Schriften von Naturwissenschaftlern: Galilei, Newton, Einstein U. a. Ernst Mach hat hier eine herausragende Position durch seine historische und kritische Darstellung der Entwicklung der Mechanik, der Wärmelehre und der Optik, besonders aber durch sein Methodenbuch (1905), das, für Physiker geschrieben, ebenso für Psychologen und Sozialwissenschaftler eine Fundgrube für methodologische Anregungen ist. Themen sind die Alltagsbasis, Experiment und Gedankenexperiment, Variation, Analogie, Hypothese, Paradoxie U. a. Auch die gemeinverständlichen Schriften von Einstein (1938), von Weizsäcker (1985) und Hawking (1988) bieten reiches heuristisches Material.

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4. Neuere Ansätze

Die Beispiele

- George Pólya (1887 – 1985)

- Johannes Müller (1921 – 2008)

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Raimundus Lullus (Ramon Llull) (1232-1316)- mehr als 250 Schriften -

„Ars magna et ultima“ (ca. 1275)

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Athanasius Kircher (1602-1680)

„Ars Magna Lucis et Umbrae“ (1646, 1093 S.)

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René Descartes (1596-1650)Vier heuristische Regeln des „Discours de la methode"

1. Niemals etwas als wahr anzuerkennen, was nicht klar als solches erkannt sei,

2. jedes Problem (jede Schwierigkeit) in so viele Teile zu zerlegen, als nur irgendwie möglich und als zur Lösung erforderlich sei,

3. immer beim Einfachsten und Leichtesten zu beginnen und nach und nach bis zur Erkenntnis des Zusammengesetzten fortzuschreiten sowie

4. überall so vollständige Aufzählungen und so allgemeine Übersichten anzustellen, daß man sicher sei, nichts auszulassen.

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Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 – 1716)

Characteristica Universalis

"Es ist aber bei dem Gebrauch der Sprache, auch dieses sonderlich zu betrachten, daßdie Worte nicht nur der Gedanken, sondern auch der Dinge Zeichen seyn, und daß wir Zeichen nöthig haben, nicht nur unsere Meynung Andern anzudeuten, sondern auch unsern Gedanken selbst zu helfen." (Leibniz: Unvorgreifliche Gedanken betreffend die Ausübung und Verbesserung der teutschen Sprache)

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Bernhard Bolzano (1781 – 1848)

B. Bolzanos Wissenschaftslehre, 1837, S. 40

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Bernhard Bolzano (1781 – 1848)

1. die Erfindung einer zweckmäßigen Frage,

2. die Vorüberlegung, z. B. ob die vorliegende Frage überhaupt beantwortbar ist. und die Abspaltung von Vorfragen,

3. die eigentliche Lösung, entweder direkt durch probeweisen Versuch einer Ableitung aus schon Bekanntem und Anerkanntem oder indirekt, hypothetisch unter Verwendung auch von Assoziationen und Analogien,

4. die Lösungsprüfung, das Fundieren der Lösung vor allem bei dem hypothetischen (indirekten) Vorgehen, wobei Bolzano wiederum den Akzent auf die logische Prüfung, den Nachweis der Wahrheit legt.

Hauptphasen des heuristischen Prozesses nach Bolzano

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George Pólya (1887 – 1985)

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Entwurf einer empirischen, nondirektiven Heuristik

Gerhard Kleining (1926-)Begründer der qualitativ-heuristischen Sozialforschung

Prinzipien:

(1) Offenheit des Forschers und des Forschungsgegenstandes.

(2) Variation und Analyse auf Gemeinsamkeiten.

(3) Alle wissenschaftlichen Methoden entwickeln sich aus den Alltagsverfahren durch Abstraktion.

(4) Beobachtung und Experiment als Grundmethoden.

(5) Das Dialogprinzip, Dialektik.

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Johannes Müller (1921 – 2008) Begründer der Systematischen Heuristik in der DDR

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Gegenstand der Systematischen Heuristik

Die Systematische Heuristik ist eine Technologie der geistigen Arbeit. Sie ist ein Methodensystem zur Bewältigung von Problemlösungsprozessen aus den Bereichen Naturwissenschaft und Technik.Das Prinzip der Systematischen Heuristik besteht darin, wiederkehrende Problemklassen mit Methoden („Programme“) zu bearbeiten, die sich in der Vergangenheit als effektiv erwiesen haben. Das Verfahren der Problemlösung wird durch das Oberprogramm der Systematischen Heuristik vorgeschrieben und für die jeweilige Aufgabe spezifiziert. Die Systemwissenschaftliche Arbeitsweise regelt die Arbeitsmethoden und den Begriffsapparat der Systematischen Heuristik.

Arbeitsschritte des Oberprogramms der Systematischen Heuristik

1. Präzisierung der Aufgabenstellung2. Aufstellung des Operationsplanes3. Ermittlung der Verfahren zur Bewältigung des Operationsplanes4. Aufstellung des Arbeitsplanes5. Ausführung des Arbeitsplanes6. Formulierung der Ergebnisse und des methodischen Gewinns

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Bestandteile der Systematischen Heuristik

Die Programmbibliothek zur Systematischen Heuristik für Naturwissenschaftler und Ingenieure stellt Programme (Methoden) für folgende Problemklassen bereit:

Speicherplatz A - Präzisieren von AufgabenstellungenSpeicherplatz B - Entwicklung von Zeichen und ZeichensystemenSpeicherplatz C - Entwicklung von GesetzesaussagenSpeicherplatz D - Entwicklung von ModellenSpeicherplatz E - Prinzipbestimmung, Bewertung und Anpassung von EntwürfenSpeicherplatz F - Entwicklung gedanklicher Verfahren

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Beispiel des Programms A 112: „Systemkonstruktion mit Hilfe der Theorie der Kybernetik“

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Geschichtliches zur Systematischen Heuristik

• 1967 Das Konzept der Systematischen Heuristik wird von Johannes Müller entwickelt.• 1968 Gründung der AG "Methodologie der Technischen Wissenschaften" an der TH Karl-

Marx-Stadt • 1967 bis 1973 In Bärenstein (Erzgebirge) finden Lehrgänge zur Systematischen Heuristik

für Industriekader der DDR statt.• 1969 Durch direkte Intervention von Walter Ulbricht wird die Systematische Heuristik

institutionalisiert. Die Abteilung Systematische Heuristik – erweitert um 25 Forscher aus Universitäten, TH's und der Industrie – wird Teil der Akademie für marxistisch-leninistische Organisationswissenschaft (Akademie MLO, Berlin).

• 1969 bis 1972 Die Systematische Heuristik wird erfolgreich bei zahlreichen Entwicklungsprojekten des Maschinenbaus, der Chemieindustrie (Leuna und Schwedt) und der Elektronik (Robotron) praktisch angewandt. Das Zentralinstitut für Schweisstechnik in Halle/Saale (ZIS, Prof. W. Gilde) wird als "Versuchsfeld" bis 1986 betreut.

• 1971 Nach dem VIII. Parteitag entscheidet das Politbüro der SED im Oktober, die Akademie MLO und mit ihr die Abteilungen Systematische Heuristik und Operation Research aufzulösen. Walter Ulbricht wurde im Mai 1971 durch Erich Honecker abgelöst.

• Nach 1972 verbleibt eine kleine Restgruppe von 5 unter dem Dach des Zentralinstituts für Kybernetik (AdW, Berlin, Prof. Horst Völz). An verscheiden Hochschulen und Universitäten wird weiter an der Systematischen Heuristik gearbeitet.

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Bitteres Resümee von Prof. Albrecht, Mitbegründer der Systematischen Heuristik:

"Die Arbeit der Abteilung Systematische Heuristik war zwar erfolgreich, aber das zählte in der DDR nicht. Für einige bornierte Genossen des Politbüros (allen voran Kurt Hager) war die Reinheit der Lehre und der 'unerschütterliche Klassenstandpunkt' wichtiger als wissenschaftliche Erkenntnisse und tatsächliche Erfolge. Es durfte nicht sein, dass der Sozialismus mit 'technokratischen' (ideologiefreien) Methoden aufgebaut werden sollte. Die hoch spezialisierte Beratergruppe wurde aus rein ideologischen Gründen aufgelöst und nach Hause geschickt. Damit war auch die industrielle Anwendung der Systematische Heuristik beendet.

Die ehemaligen Mitarbeiter der Abteilung SH haben auch ohne Institution weiter mit der Systematischen Heuristik gearbeitet. Sie haben diese Technologie in vielfältiger Form angewandt, modifiziert und weiterentwickelt. Aber spätestens mit der Wiedervereinigung geriet die Systematische Heuristik völlig ins Abseits. Wieder vollkommen unverständlich. Denn in der Bundesrepublik sind hunderte von Beratungsfirmen gut im Geschäft. Nicht eine arbeitet mit der Systematischen Heuristik. Kein Wunder: Erstens ist diese Technologie völlig unbekannt und zweitens benötigt man dafür naturwissenschaftliches Fachwissen und hoch qualifizierte Coaches. Wo kriegt man solche Leute her? (... mit der Greencard?) Hier geht es nämlich um rein technisch-wissenschaftliche Problemlösungen und nicht (nur ...) um die Maximierung des Ertrages eines Unternehmens.“

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Die Heuristik-Konzeption Schleiermachers

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Heuristik rückt in den Focus von Dialektik/Logik

Erstmals wird bei Bolzano und Schleiermacher die Heuristik nicht als eine geschlossene sichere Universalmethode gefasst (wie etwa von Lullus bis Leibniz), sondern als immer unsicher bleibendes Methodengefüge, dass sich aus der Reflexion über bereits gewonnenes Wissen ergibt:

D.h. weder ein kombinatorische noch eine axiomatische Heuristik, sondern eine „Heuristik aus der Mitte“ bzw. „Heuristik an der Grenze“

Schleiermacher zur Euklidischen Methode:"Die Art, wie ein einzelner, der die Wissenschaft aufstellt, dazu gekommen ist, ... wird gewöhnlich ignoriert. .. . Die Kunst des Erfindens ist also eine ganz andere als die Wissenschaft des Erfundenen, der Zusammenhang und die Art, wie man von einem zum anderen gekommen ist, gar nicht dasselbe".

Schleiermacher zur Logik:Die klassischen logischen Theorien der Begriffs- und Urteilsbildung leisten nichts für die Produktion von Wissen- "weil sie keine Regeln des Fortschreitens geben."- weil "Logik nicht auf die Construction ausgeht, sondern nur auf das fragmentarische""Alle Erfindung steckt ... in der Begriffsbildung, zu welcher die Logik so gut als keine Anleitung giebt." 336/337

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Heuristik rückt in den Focus von Dialektik/Logik (2)Dialektik als Prinzip der Kunst und Kunstlehre der Heuristik, als Meta- und Objektebene der Heuristik bei Schleiermacher:"Dialektik als Princip der Kunst das Wissen zu produciren, gleichviel von welchem Punkt." (Jonas, 363)

Wieso ist Dialektik Kunst?Schleiermacher: "Das Philosophiren ist deshalb Kunst, weil die Anwendung der Regeln nicht wieder unter Regeln zu bringen ist.“ (350)

Klare Unterscheidung Schleiermachers zwischen der -Logik als formale Darstellungsmethode zur Ableitung der Einzelerkenntnisse im wissenschaftlichen System (Explizierung des Impliziten)

"An der Logik war es ein Fehler keine Regeln zum Uebergang zu geben außer dem unnüzen Syllogismus, weil sie alles durch Ableitung erzwingen will." (337)-Architektonik als der Strukturtheorie des Zusammenhangs der Einzelerkenntnisse im wissenschaftlichen System und der-Heuristik als der Methodentheorie des Findens oder „Erfindens" der Einzelerkenntnisse und ihres Zusammenhangs(z.B. der Unterschied zwischen der logischen Struktur eines Beweises, der Stellung des Beweises innerhalb der Theorie und der Heuristik des Findens des Beweises).

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Stellung der Heuristik in der Dialektik Schleiermachers

Die Entwicklung der Dialektik als Kunst/Theorie der Produktion des Wissens hat zwei Aspekte:

a) das Zurückgehen auf die allen gemeinsamen [also intersubjektiven] Grundauffassungen = transzendentaler Teil der Dialektik

b) die Entwicklung der für alle akzeptablen Regeln des gedanklichen Fortschreitens = formaler oder technischer Teil der Dialektik.

1. Der formale / technische Teil der Dialektik ist damit Heuristik!2. Der transzendentale Teil der Dialektik muss den Regeln des formalen genügen!

"Dialektik ist die Architektonik alles Wissens" (Jonas 445)

Problem:Nach Schleiermacher unterteilt sich der technische Teil der Dialektik in Konstruktion und Kombination, wobei sich die Kombination in Architektonik und Heuristik untergliedert. Damit wäre die Heuristik ein Teil ihrer selbst (des technischen Teils der Dialektik) und die Dialektik ein Teil des technischen Teils, namentlich der Architektonik.

Dieses Problem hat Werner Hartkopf in „Dialektik – Heuristik – Logik“ – dem einzigen Werk zur Heuristik Schleiermachers – nicht bewältigt.

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Ausgangspunkt des technischen Teils:

Denken als durch Inneres und durch Äußeres bedingt.Nur der Gegensatz beider Momente der Spontaneität oder Selbsttätigkeit (Inneres) und der Rezeptivität (Äußeres) konstituiert das Denkenkeine Rezeptivität ohne Selbsttätigkeit, keine Selbsttätigkeit ohne sinnliche Eindrücke. Maßgeblich für das Zustandekommen von Wissen ist das "Wissenwollen"Wissenwollen = ProblemlösungsstrebenWissenwollen ist nach Außen (Sinneseindrücke, Materie) oder nach Innen (Begriff und Schema, Form) gerichtet und bewegt sich in diesem Gegensatz.Selbsttätigkeit produziert die Form des Wissens, Rezeptivität gibt die Materie des WissensSelbsttätigkeit zielt auf die Einheit, Rezeptivität erschließt die MannigfaltigkeitDenken als Wissen produziert die Einheit in der Mannigfaltigkeit durch Integration bzw. Ausdifferenzierung der GegensätzeZiel ist das gewusste Wissen in seinen Zusammenhängen nach innen und außen

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Denken auf dem Weg zum Wissen vollzieht sich in zwei relativ gegensätzlichen Formen:

1. die Konstruktion, das Denken an und für sich, das Konstruieren der Denkelemente: Begriffs- und Urteilsbildung

Begriffs- und Urteilsbildung erfolgen wesentlich über Induktion und Deduktion

2. die Kombination, die Verbindung eines Denkens mit einem schon Gedachten, das Operieren mit dem schon geschaffenen Denkmaterial: Architektonik und Heuristik.

Heuristik als Kombination nach außen, ein „Hinausgreifen", ein „Hereinholen von Äußerem", bei dem zu einem gegebenen Wissen ein anderes gesucht wird (also ein problemgebundenes, problembezogenes Denken, bei dem es um ein Ausfüllen von Wissenslücken geht) = Fortschreiten von einem Bekannten zu einem Unbekannten

Architektonik als Kombination nach innen, bei der die Vielheit des gedanklich Gegebenen in eine Ordnung gebracht, aus der Vielheit eine Einheit gebildet werde, also eine rein denkimmanente geistige Operation, das logische, systembildende, Einzelwissen verknüpfende Denken.= Fortschreiten von der Vielheit des Bekannten zu dessen unbekannter Einheit

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Relativität der Entgegensetzung von Konstruktion und Kombination, wie auch von Heuristik und Architektonik.

Schleiermacher:„Die heuristische [Operation] ist durch die architectonische bedingt denn nur nach einem bestimmten eine Mehrheit des Wissens umfassenden Schematismus kann von Einem Punkt aus ein andrer bestimmt gesucht werden.“

Vgl. Die Suche nach unbekannten chemischen Elementen auf der Grundlage des Periodensystems der Elemente.

Schleiermacher weiter:„Eben so aber die architectonische durch die heuristische [Operation bedingt] denn nicht jede unbestimmte Vielheit läßt sich in eine abgeschlossene Ordnung bringen, es muß erst das fehlende dazu gesucht werden.“

Vgl. Die Suche nach Missing Links zur Bestätigung der Evolutionstheorie.

Ist der „Technische Teil“ der Dialektik auf die Regeln der Produktion von Wissen ausgerichtet, so ist er in seiner Gesamtheit „Heuristik“, umfassende Konstruktion und Kombination, mithin auch Architektonik und Heuristik!

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Leitsätze aus Robert Grassmanns Erspähungslehre, entwickelt in Anknüpfung an Schleiermachers Dialektik (Deduktion der Konstruktion)

„1. Der Geist des Menschen erzeugt die Begriffe. Alle Begriffe, welche der Geist auf einem Gebiete erzeugt, bilden eine Einheit.Alle Begriffe, welche der Geist auf einem Gebiete bildet, müssen wesentlich Eins und doch zugleich jeder von jedem andern wesentlich verschieden sein.2. Der Geist des Menschen setzt Bestimmungen, durch welche er die Begriffe bestimmt, gegenseitig abgrenzt und von einander unterscheidet.3. Jede Bestimmung und Unterscheidung der Begriffe wird durch das Setzen eines Gegensatzes bewirkt.4. Jeder Gegensatz wird von zwei (nicht mehr) Begriffen gebildet, und zwar ist der erste Begriff der Gegenbegriff des zweiten und der zweite der Gegenbegriff des ersten.5. Begriff und Gegenbegriff entstehen zugleich durch den Gegensatz aus der Einheit. Die Tätigkeit des Geistes besteht darin, in der Einheit Gegensätze zu setzen.6. Begriff und Gegenbegriff bilden also einen Gegensatz in der Einheit, in der Weise, dass von den beiden Gegenbegriffen jeder die ganze Einheit nur in einseitiger Weise bildet.7. Zwei Gegenbegriffe in einer Einheit werden gebildet, indem die je zwei Seiten zweier Gegensätze in jedem der beiden Gegensätze vorhanden, aber im einen gerade, im andern entgegengesetzt, kurz, sich kreuzend verbunden werden, oder die beiden Gegenbegriffe in der Einheit entstehen durch kreuzende Verbindung zweier Gegensätze, d.h. durch die Kreuzverbindung zweier Gegensätze."

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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!