Was ist neu an der Neuen Sozialen Marktwirtschaft?

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  • 8/3/2019 Was ist neu an der Neuen Sozialen Marktwirtschaft?

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    nsm.e

    Was s ne an eNeen Saen Mawsa?

    Andreas Freytag

    Ene Aena

    1Texte zur Sozialen Marktwirtschaft2010

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    AuSAtz r diE iNitiAtivENEuE SoziAlE MArktWirtSchAt

    Von Andreas Freytag, Jena, August 2010

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    vorWort

    Die Soziale Marktwirtscha hat in Deutschland eine beispiellose Wohlstandsbilanz erzielt. Doch seit Walter Eucken die konstituierenden und regulierenden Prinzipien ormuliert und Ludwig Erhard die

    Soziale Marktwirtscha eingehrt hat, sind gut 60 Jahre vergangen, und die Wirtscha und Gesellscha

    haben sich stark gewandelt.

    Unsere Gesellscha wird lter. Weniger junge Menschen bedeuten

    groe Herausorderungen r unsere sozialen Sicherungssysteme.

    Lngst leben wir in einer globalisierten Welt, wo Binnenmrkte an

    Bedeutung verlieren. Der globale Wettbewerb scha neuen Wohl-

    stand, stellt aber die Menschen vor neue, persnlich groe Anor-

    derungen. So mancher vermisst subjektiv Sicherheit in einer Weltbeschleunigter Vernderungen. In der Wissensgesellscha ist lebens-

    langes Lernen zur Pichtaugabe geworden.

    Nicht alle knnen diesen Herausorderungen standhalten. Viele Menschen haben den Austieg trotz

    Anstrengungen nicht gescha und erwarten auch r die Zukun kaum Chancen. Sie verharren im

    Versorgungssystem der Solidargemeinscha. Noch nie war der Sozialstaat so teuer und zugleich die

    Erwartungen an ihn so gro. Erolgreich und ezient ist er deshalb aber nicht.

    Die Initiative Neue Soziale Marktwirtscha diskutiert ber diese Fragen der Zeit: Wie knnen mglichst

    alle Menschen von der positiven Wohlstandsentwicklung protieren, wie knnen auch weniger begabteMenschen strker von ihren Chancen Gebrauch machen? Wie kann der Sozialstaat schlanker und e-

    zienter organisiert werden? Wie knnen wir die neuen Herausorderungen an unser Wirtschasmodell

    bewltigen?

    Pro. Dr. Andreas Freytag analysiert, in welcher Weise die Prinzipien der Sozialen Marktwirtscha heute

    noch eingehalten, wo sie verletzt und wiederbelebt werden mssen. Aus seinem Beitrag ergibt sich eine

    politische Agenda Erwartungen an die Soziale Marktwirtscha, die von Politik, Wirtscha und der

    Gesellscha insgesamt in naher Zukun angegangen werden mssen.

    Hubertus Pellengahr

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    zsammenassn

    1. Enn

    2. W seen w ee m vee amas?

    3. usaensn: Was es en knsens nbew e Asesssene?

    4. de Nee Sae Mawsa: Ene Aena

    a) Beste Teilhabeschancen durch einen gesunden Sozialstaatb) Chancen durch Bildung

    c) Regulierung so wenig wir mglich, so viel wie ntig

    5. Sssenen umsen

    lea- n Qeennawes

    Pbanen / impessm

    5

    8

    10

    12

    18

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    23

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    34

    iNhAlt

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    In der Diskussion um die richtige Wirtschas- und Sozialpolitik wird seit

    vielen Jahren der BegriSoziale Marktwirtschaftzwar immer noch sehrhug verwendet, aber das dahinterliegende Modell wird zunehmend

    diuser oder aber verzerrt dargestellt. Es geht heute darum, vor dem Hinter-

    grund der Herausorderungen des 21. Jahrhunderts die Soziale Markt-

    wirtscha neu auszurichten. In diesem Ausatz wird r eine Interpretation

    der Neuen Sozialen Marktwirtscha pldiert, die vor allem daran ansetzt,

    das Auseinanderdrien der Gesellscha in chancenreiche, wohlhabende

    eile au der einen und chancenlose arme Bevlkerungsteile au der anderen

    Seite zu beenden.

    Der Beitrag vergleicht zunchst die gesellschalichen Ausgangssituationen Ende der 1940er-Jahre undheute miteinander. Die Soziale Marktwirtscha weist in den letzten 60 Jahren eine sehr gute Bilanz

    au. rotz materieller Unterschiede ist der Wohlstand breit gestreut. Zudem ist es gelungen, die Folgen

    der deutschen eilung so weit zu beseitigen, dass zumindest die materiellen Unterschiede zwischen Ost

    und West gering sind und die neuen Bundeslnder einen eigenstndigen Aufolprozess gestartet haben.

    Dennoch zeigt sich, dass viele Menschen von der gesellschalichen eilhabe ausgeschlossen sind, anders

    als vor 60 Jahren.

    Der gesellschaliche Konsens vor sechzig Jahren war deshalb sicherlich ein anderer als heute: Die meisten

    Menschen sahen sich damals einer vergleichbaren Ausgangslage des otalverlusts gegenber. Die Zukun

    war oen, niemand wusste, was au sie oder ihn wartete. Somit beand sich die Gesellscha gewissermaenhinter einem Rawlsschen Schleier der Unwissenheit. Verbunden war dieser Schleier mit der Honung au

    Besserung, also au sozialen Austieg. In dieser Situation konnte ein gesellschalicher Vertrag, der au

    den Euckenschen Prinzipien basierte, mehrheitshig werden. Ein solcher Konsens ist heute oenkun-

    dig nicht mehr vorhanden. Zunchst muss konstatiert werden, dass nicht alle Menschen in Deutschland

    aus diesem enormen Fortschritt Vorteile ziehen knnen. Einige allen relativ zurck. Fr viele Menschen

    verestigt sich dieser Zustand mit der Zeit, zum eil sogar ber Generationen.

    Eine genaue Analyse der schleichenden Entwicklung zur gesellschaftlichen Spaltunglegt nahe, dass

    die Ursachen zumeist in Staatsversagen und weniger in Marktversagen zu nden sind. Dass viele dieses

    Gleichgewicht heute als verletzt erachten und die Soziale Marktwirtscha als ungerecht empnden, liegtsomit nicht daran, dass das Konzept im Grundsatz versagt, sondern ist damit zu begrnden, dass in den

    vergangenen 60 Jahren zunehmend viele der grundstzlichen Prinzipien der Sozialen Marktwirtscha

    missachtet wurden.

    zuSAMMENASSuNg

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    Die Wahrung der Solidaritt ist eine Investition in eine stabile Gesellscha. Es ist also weniger eine Frage

    des Nehmens und Gebens, sondern hier ist der Ausgleich zwischen den Fhigkeiten, den Anstrengungenund den Marktergebnissen ausschlaggebend. Die erste Anregung r die Realisierung einer Neuen

    Sozialen Marktwirtscha lautet daher, die Sozialpolitik unter einem neuen Blickwinkel zu sehen und

    dar zu werben, die Sozialpolitik als einen gesellschaftlichen Versicherungsvertragzu interpretieren

    und eine negative Einkommensteuer einzuhren. Das Grundmodell sieht vor, smtliche Sozialleistungen

    in dieser Steuer zu bndeln und die Bedrigen mit einer Zahlung, die mit steigendem Einkommen

    abnimmt, bis eine positive Steuerzahlung llig wrde, zu untersttzen.

    Eng verbunden mit der Frage der Austiegsmglichkeiten und letztlich der eilhabe am Leben einer

    Gesellscha ist zweitens die Bildungspolitik. Sie hat dar Sorge zu tragen, dass junge Menschen Chancen

    zu Bildung und Austieg bekommen.

    Das Ziel der eilhabe setzt drittens auch eine Erwartungssicherheit hinsichtlich der materiellen Aspekte

    der Zukun voraus. Was sind Ersparnisse in der Zukun wert, lohnt es sich, Vermgen auzubauen,

    oder spricht alles r eine kurzristig orientierte Konsumhaltung, die die Alterssicherung aus dem Blick

    nimmt? Es geht also um die Stabilitt des Geldwertes und damit der Ersparnisse bzw. der Alterssicherung.

    Die Neue Soziale Marktwirtscha hat an dieser Stelle die Augabe, die Regulierung im Finanzbereich

    zu schren. Auerdem ist es an der Zeit, die lngst berllige Reorm des deutschen Bankensektors

    anzugehen. Die Neue Soziale Marktwirtscha sollte die staatlichen Aktivitten im Finanzbereich genauer

    unter die Lupe nehmen. Whrend man r die Sparkassen eine Augabe in der indirekten regionalen

    Wirtschasrderung durchaus zu erkennen vermag, sieht dies bei den Landesbanken anders aus.

    Au der Grundlage dieser Fragen bedar es einer Modernisierung der Ordnung, die im Kern zwar noch

    intakt ist, jedoch den Anorderungen der modernen Gesellscha angepasst werden muss. Die Prinzipien

    Freiheit, Wettbewerb, Haung, Leistungsgerechtigkeit und Solidaritt verlieren nicht ihre Gltigkeit,

    vielmehr sollte die Neue Soziale Marktwirtscha wieder die Voraussetzung schaen, dass genau diese

    Prinzipien der Sozialen Marktwirtscha in Zukun gelebt werden knnen und die Chancen au

    leistungsadquaten Wohlstand wieder breit gestreut werden.

    zuSAMMENfASSuNg

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    Die Diskussion um die richtige Wirtschas- und Sozialpolitik wird seit vielen Jahren in unterschiedlichen

    Kreisen in der Politik, der Wirtscha und der Wissenscha intensiv gehrt. Insbesondere llt au, dassder Begri Soziale Marktwirtscha zwar immer noch sehr hug verwendet wird, aber das dahinter lie-

    gende Modell zunehmend diuser oder aber verzerrt dargestellt wird. Nicht zuletzt deshalb erscheint eine

    Klarstellung unabdingbar. Es ist allerdings auch unklar, was eine Neue Soziale Marktwirtscha konkret

    bedeutet; handelt es sich um die Abkehr von alten Ordnungsprinzipien und das Ende des deutschen Son-

    derwegs, wie vielach geordert, so z. B. Fricke (2009), r den auch mal gut mit Ludwig Erhard sein

    muss? Oder geht es um deren Wiederbelebung (Borchardt et al. 2008), und dies mglichst naturgetreu

    und unter Beruung au die Schrien von Erhard, Eucken, Mller-Armack und anderen?

    Dieser Ausatz entwickelt eine alternative Sicht, die

    dieser Dichotomie nicht olgt. Es geht darum, die He-rausorderungen der Sozialen Marktwirtscha im 21.

    Jahrhundert auzuarbeiten, vor allem im Hinblick da-

    rau, den Konsens ber die marktwirtschaliche Ord-

    nung und die Funktionshigkeit der Wirtschasord-

    nung wieder herzustellen. Denn heutzutage scheint

    ein gewandelter und vermutlich geringerer Konsens

    ber die Wirtschaspolitik als nach der Grndung der

    Bundesrepublik zu gelten. Damals gab es ein glaubwr-

    diges Austiegsversprechen, das sich am einachsten in

    der Erhardschen Losung Wohlstand r alle (1957)zusammenassen lsst. Dieses Versprechen hat im 21.

    Jahrhundert trotz millionenacher Einlsung r viele

    Brger seine Strahlkra ein wenig verloren. Zu viele Menschen haben diesen Austieg trotz Anstrengungen

    nicht gescha und sind von der gesellschalichen eilhabe ausgeschlossen. Sie sehen weder r sich noch

    r ihre Kinder honungsroh in die Zukun. Fr sie ist die Soziale Marktwirtscha keine Verheiung, die

    Forderung nach einer Neuen Sozialen Marktwirtscha klingt eher wie Hohn. Diese Honungslosigkeit

    wird auch gerade dadurch bedient, dass Hileleistungen des Staates (aktisch) daran geknp sind, keine

    weiteren eigenen Anstrengungen mehr zu unternehmen. Die Folgen sind dramatisch, wenn allgemein der

    Eindruck entsteht, eigene Anstrengungen hren nicht zum Erolg oder werden geradezu bestra. Denn

    diese Erwartung entwrdigt die ranserempnger, sie berordert den Staat als die umverteilende Insti-tution, sie berordert diejenigen, die zur Finanzierung herangezogen werden, und sie hrt schlielich

    dazu, dass sich Letztere der Finanzierungsverpichtung entziehen oder selbst zu Armutsllen werden. Ein

    euelskreis wrde in Gang gesetzt, der unbedingt verhindert werden muss.

    Zuvorderst ist estzuhalten, dass die Soziale Marktwirtscha in den letzten 60 Jahren eine sensationelle

    Bilanz auweist. rotz materieller Unterschiede, die sowohl au Leistungs- als auch au Prerenzunter-

    schieden beruhen, ist der Wohlstand breit gestreut. Zudem ist es gelungen, die Folgen der deutschen

    Ludwig Erhard, der Vater der Sozialen Marktwirtschat. Mit dem LeitsatzWohlstand r alle prgte er das Wirtschatswunder im Nachkriegsdeutschland.

    1 EiNhruNg

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    eilung so weit zu beseitigen, dass zumindest die materiellen Unterschiede zwischen Ost und West ge-

    ring sind und die neuen Bundeslnder einen eigenstndigen Aufolprozess gestartet haben (Paqu 2009).

    Dennoch gibt es Verwerungen. Es wird aber zu zeigen sein, dass es gerade nicht die konsequente Um-

    setzung der Sozialen Marktwirtscha war, die die oben beschriebene Divergenz von Erahrungen und

    Erwartungen verursacht hat. Vielmehr scheint es oenkundig zu sein, dass es die enormen Abweichungenvon einer regelgebundenen und langristorientierten keineswegs dem urbokapitalismus huldigenden

    Wirtschaspolitik waren, die dazu gehrt haben. Deswegen ist die ordnungspolitische Grundaussage der

    Altvorderen ber die konsistente Wirtschasordnung nach wie vor gltig.

    Allerdings muss die onla-

    ge eine andere werden, De-

    tails mssen neu gewichtet

    werden, eigene Initiative

    und individuelle Fhigkei-

    ten mssen von den Men-schen wieder als relevant

    eingeschtzt werden. Dies

    erordert einen enormen

    politischen Kraakt. Die

    Kernthese dieses Beitrages

    lautet daher: Die Neue So-

    ziale Marktwirtscha muss

    das Auseinanderdrien der

    Gesellscha verhindern und

    die eilhabe aller daran er-mglichen. Nur dann kann

    man von einer Sozialen Marktwirtscha sprechen anders gewendet: Das soziale Element bemisst sich

    nicht an der Hhe der ransers, sondern an der Flle der Chancen und der Intensitt der Beteiligung mg-

    lichst vieler! Die Bewltigung dieser Herausorderung erordert in erster Linie die Neuormulierung der

    sozialen Sicherungssysteme hin zu mehr Eektivitt, Nachhaltigkeit und Verteilungsgerechtigkeit, beglei-

    tet durch eine entsprechende Bildungspolitik sowie die zeitgeme Regulierung wichtiger systemrele-

    vanter Mrkte. Weitere ordnungspolitische Grundstze der Sozialen Marktwirtscha mssen natrlich

    auch beachtet werden. Nur so kann der die marktwirtschaliche Grundordnung langristig glaubwrdig

    aurechterhalten werden.

    Der Beitrag vergleicht zunchst die gesellschalichen Ausgangssituationen Ende der 1940er-Jahre undheute miteinander, um neue Herausorderungen an die Wirtschaspolitik zu ormulieren. Im darau ol-

    genden Abschnitt wird die Geschichte der Sozialen Marktwirtscha beleuchtet. Im Mittelpunkt stehen

    hier die Erolge der deutschen Wirtscha sowie die politischen Anreize, zunehmend mit den Prinzipien

    zu brechen. Denn nur bei Kenntnis dieser Anreize kann es gelingen, die Soziale Marktwirtscha zu

    erneuern. Der Schwerpunkt des Beitrags liegt anschlieend au den Elementen einer Neuen Sozialen

    Marktwirtscha. Abschlieend wird die Umsetzung diskutiert. Dabei sollen auch prozedurale Fragen

    einer eventuellen Politikreorm in den Blick genommen werden.

    1

    EiNfhruNg

    Quelle:IWK

    ln

    Anse es paen vemensNettogesamtvermgen in EUR, je Einwohner, in Preisen 2007

    1991

    1992

    1993

    1994

    1995

    1996

    1997

    1998

    1999

    2000

    2001

    2002

    2003

    2004

    2005

    2006

    2007

    120.000

    110.000100.000

    90.000

    80.000

    70.000

    60.000

    50.000

    40.000

    30.000

    79.434

    94.601

    100.759

    113.254

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    Seit Walter Eucken die konstituierenden

    und regulierenden Prinzipien der Sozialen

    Marktwirtscha niedergeschrieben hat

    und unter Ludwig Erhard die Soziale

    Marktwirtscha eingehrt wurde, sind

    gut 60 Jahre vergangen. Seitdem haben

    sich Niveau und Struktur der Wirtscha

    deutlich gewandelt. Zunchst ist zu betonen,

    dass es den Menschen in Deutschland

    materiell ungleich besser geht als in derNachkriegszeit. Neben der ungeheuren

    Wiederaubauleistung ist auch die Wie-

    dervereinigung nach 1990 zu nennen, die

    noch nicht gemeistert, aber weit vorangeschritten ist. Deutschland hat sich insbesondere au den Export-

    mrkten eine starke Position augebaut, die zu hohen Einkommen der Unternehmen und Beschigten

    gehrt hat. Diese Einkommen waren zunchst zunehmend gleich verteilt, die Austiegsversprechen (durch

    Bereitscha zur harten Arbeit und durch Bildung) wurden millionenach eingelst. Auch strukturell ist

    viel geschehen; die Industrien, denen ein Groteil der Anerkennung r den Wiederaubau zuteil wurde,

    sind heute nahezu verschwunden, neue Industrien und viele Dienstleistungsbranchen sind an ihre Stelle ge-

    treten. Dieser Strukturwandel ist wachstumsnotwendig , denn nur, wenn er intensiv ist und permanent statt-ndet, kann eine Wirtscha wachsen. Neue echnologien brechen sich ihre Bahn, Altes wird abgeworen.

    Ein Blick au die Entwicklung der

    Bruttowertschpung in unterschied-

    lichen Sektoren der deutschen Wirt-

    scha verdeutlicht diesen Struktur-

    wandel eindrucksvoll. Zwischen 1970

    und 2008 wuchs die deutsche Wirt-

    scha real um 133 Prozent, wobei

    unterschiedliche Sektoren sich auchhchst unterschiedlich entwickelt

    haben. Am dramatischsten war der

    Verall des Bergbaus, der 2008

    noch knapp 18 Prozent des Jahres

    1970 erwirtschae, trotz Milliarden-

    subventionen. Die Landwirtscha,

    ebenalls hoch subventioniert, konnte

    2 Wo StEhEN Wir hEutE iMvErglEich zu dAMAlS?

    Quelle:

    KlausSchrder,20JahrenachdemM

    auerfall,

    Studieim

    Auftrag

    derINSM,

    2009

    Bne n -eeDurchschnittsjahreseinkommen je Arbeitnehmer im Ost-West-Vergleich in EUR

    22.030

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    22.840

    1991 1994 1997 2000 2003 2005 2006 2007 2008

    West Ost

    Quelle:

    Prognos,

    Studie:Z

    urNormalittdesWandels

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    Dezember2009

    Wsass m WaneAnteile (gestapelt) der Erwerbsttigen nach Wirtschatssektoren 1800 - 2030

    90 %

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    80 %

    70 %

    60 %

    50 %40 %

    30 %

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    10 %

    0 %

    1800

    1825

    1849

    1861

    1875

    1882

    1895

    1907

    1925

    1933

    1939

    1950

    1960

    1970

    1980

    2010

    1990

    2020

    2000

    2030

    Sektor Land- und Forstwirtschat,Fischerei

    Sektor produzierendes Gewerbe

    Sektor Dienstleistungen

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    ein Plus von etwa 40 Prozent auweisen. Die Bauwirtscha verlor 22 Prozent. Das verarbeitende Gewerbe

    konnte einen Zuwachs von knapp 80 Prozent realisieren, der Handel wuchs um 150 Prozent, die Finanz-

    dienstleister sogar um rund 350 Prozent. Wenn man bedenkt, dass viele Sektoren regional konzentriert

    sind, so sind die Entwicklungen noch dramatischer.

    Der so wirkende Strukturwandel hat erhebliche Auswirkungen au die Menschen und verlangt ihnen immer

    wiederviel ab: Vernderungsbereitscha und Flexibilitt. Fr einige Menschen wird das (Arbeits-) Leben immer

    komplizierter. Einige werden sogar abgehngt. Darau muss eine Gesellscha reagieren. Bis in die 1970er-Jahre

    war es der deutschen Wirtscha leicht mglich, die im Strukturwandel verlorenen Arbeitspltze durch neue,

    in der Regel produktivere zu ersetzen. Seit der ersten lkrise llt dies zunehmend schwerer, zumal es danach

    den ersten Schub an Arbeitslosigkeit gab, die mit jeder Konjunkturkrise anstieg. Die Abnahme der Arbeits-

    losigkeit der letzten Jahre vor der Krise 2008/09 ist mit stagnierenden Reallhnen r die Arbeitsplatzbesitzer

    und niedrigen Einstiegslhnen r die Neubeschigten verbunden; dies entspricht den Empehlungen der

    Fachleute, so des Sachverstndigenrates in vielen Gutachten. Es hrt jedoch auch dazu, dass heutzutage die

    Gleichheit abnehmend ist, und es kann nicht mehr als selbstverstndlich angesehen werden, dass die Bereit-scha zur Arbeit einen Arbeitsplatz und dass Bildung sozialen Austieg nach sich ziehen. Vielmehr arbeiten

    nicht wenige Menschen in diesem Land r einen sehr niedrigen Lohn, der vor allem wenig Spielraum

    r eine angemessene Altersvorsorge bietet. Hinzu kommt, dass

    der globale Wettbewerb zunimmt und die Geschwindigkeit

    des Wandels steigt: Lngst arbeiten die Finanz- und Gtermrkte

    global, weltweite Umweltprobleme zwingen zur Neudenition der

    Ziele der Wirtschaspolitik, die digitale Revolution dringt in das

    Leben der Menschen, der qualitative Anspruch an Arbeitskre

    wird immer hher. Der Anteil von Wissen an der Wertschpung

    hat deutlich zugenommen, und das bei einer alternden Bevlke-rung in Deutschland. Gleichzeitig nimmt auch der Druck der

    Entwicklungs- und Schwellenlnder au Teilhabe am Wohlstand

    stetig zu.

    All dies hat Konsequenzen, insbesondere r die Erwartungen,

    die mit der Organisation des Wirtschaslebens verbunden sind.

    Der gesellschaliche Konsens vor 60 Jahren war deshalb sicher-

    lich ein anderer als heute: Die meisten Menschen sahen sich

    damals einer vergleichbaren Ausgangslage des otalverlusts gegenber. Die Zukun war oen,

    niemand wusste, was au sie oder ihn wartete. Somit beand sich die Gesellscha gewissermaen hintereinem Rawlsschen (1971) Schleier der Unwissenheit. Verbunden war dieser Schleier mit der Honung

    au Besserung, also au sozialen Austieg. In dieser Situation konnte ein gesellschalicher Vertrag, der

    au den Euckenschen (1952) Prinzipien basierte, mehrheitshig werden. Denn diese Prinzipien waren

    einach ormuliert und zielten darau ab, die wesentlichen Schwchen der deutschen Wirtschasordnung

    der ersten Hle des 20. Jahrhunderts die Ination und die Vermachtung der Mrkte zu beseitigen.

    Es wre allerdings verehlt anzunehmen, dass es eine einheitliche und berwltigende Zustimmung r

    das Erhardsche Wirtschasprogramm gab. Die Diskussionen, die damals gehrt wurden, waren unver-

    2WoStEhENWir

    hEutEiM

    vErglEichzudAMAlS?

    Im Hauptwerk von Volkswagen in Wolsburg: bei der automatischenFlieertigung kontrolliert ein Bandarbeiter ein Modell des VW Gol.

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    11

    gleichlich schrer im on als die heutigen, dies galt r die Diskussion in der entlichkeit sowie in

    der Wissenscha1. Auch ist es Erhard nicht gelungen, dieses Programm jemals in Reinorm umzusetzen.

    Schon rh gab es politisch bedingte Verzerrungen, die von organisierten Interessen gegen den Wirt-

    schasminister durchgesetzt wurden. Man denke nur an die Einhrung der dynamischen Rente und der

    zahlreichen und dauerhaen Ausnahmen im Kartellrecht. Dennoch hielt der Grundkonsens bis in die

    1980er-Jahre, nicht zuletzt augrund der groen Erolge.

    Ein solcher Konsens ist heute oenkundig nicht mehr vorhanden. Zunchst muss konstatiert werden, dass

    nicht alle Menschen in Deutschland aus diesem enormen Fortschritt Vorteile ziehen knnen. Einige allen

    relativ zurck. Fr viele Menschen verestigt sich dieser Zustand mit der Zeit, zum Teil sogar ber Generati-

    onen. Die Kinder von Menschen mit hohem Bildungsstand genieen ebenalls eine gute Bildung, whrend die

    Kinder aus sogenannten bildungsernen Schichten kaum Zugang zu hherer Bildung haben. Ein zunehmender

    Teil der Bevlkerung wird trotz steigender Bildungs- und Sozialausgaben nicht mehr von der Bildungspolitik

    erreicht; viele verlassen die Schule ohne Abschluss die mangelnde Teilhabe an Bildung bewirkt Schwierig-

    keiten, einen Arbeitsplatz zu nden und schlielich berhaupt am gesellschalichen Leben teilzunehmen es

    entsteht eine Gruppe von Ausgeschlossenen (Bude 2008). Der Schleier der Unwissenheit ist heute somit viel-

    ach zerrissen, wenn die Zukunsofenheit der 1950er- und 1960er-Jahre nicht mehr gegeben ist. Mutlosigkeitmacht sich dann breit. Dies grbt an den Grundesten jeder Ordnung, somit auch der Sozialen Marktwirtscha,

    auch an einer ausreichenden Solidaritt r diese Ordnung. Eine weitere bereits angesprochene gravierende

    Entwicklung scheint es dabei zu geben: Die sozialen und materiellen Unterschiede in der Nachkriegszeit waren

    nicht sehr ausgeprgt und schienen darber hinaus berwindbar zu sein. Sptestens seit der Wiedervereinigung

    ist steigende materielle Ungleichheit estzustellen (SVR 2009, S. 308-333). Dies drckt sich in den Kennzahlen

    der Einkommensverteilung aus. Relevant ist vor allem der Gini-Koezient, der bei totaler Gleichverteilung

    den Wert 0 und bei absoluter Ungleichverteilung den Wert 1 annimmt. Der Gini-Koezient r Markt-

    14 1 Exemplarisch kann man dies estmachen an drei Positionen in der wissenschatlichen Debatte ber die Rolle der Regierung zur Bekmpung der Kapitalknapp-heit zu Beginn der 1950er-Jahre: Es gab keynesianische Positionen, vertreten z. B. durch Erich Preiser und Fritz Baade, eine relativ dogmatische liberale Linie, rdie Wilhelm Rpke stand und einen pragmatischen Liberalismus, den der Wissenschatliche Beirat im BMWi, aber auch z. B. Walter Eucken vertraten (Giersch,Paqu und Schmieding 1992, S. 51-58).

    Hartz IV oder hoen au den sozialen Austieg die Frage in einem Plattenbau-Wohngebiet in Frankurt.

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    12

    quivalenzeinkommen2 ist bundes-

    weit zwischen 1991 und 2007 leicht

    von 0, 403 au 0,473 gestiegen: Dabei

    war der Anstieg im Osten (von 0,37 au

    0,512) deutlich hher als im Westen(von 0,396 au 0,461). Bei den

    Haushaltsnettoeinkommen, d. h. den

    um Steuern, Renten und Transers

    bereinigten Marktquivalenzeinkom-

    men, ist sowohl das Niveau der Un-

    gleichheit als auch ihr Anstieg geringer

    (von 0,261 au 0,29 in Deutschland,

    etwas hher im Westen). Au der ei-

    nen Seite sieht der Sachverstndigen-

    rat (2009, S. 315), darin einen Belegdar, dass das Umverteilungssystem unktioniert, andererseits ist es auch ein Anzeichen, dass der Anteil der

    Menschen, die r sich selbst sorgen knnen, im betrachteten Zeitraum abgenommen hat. Dies wird dadurch

    besttigt, dass der Anteil der Einkommen aus unselbststndiger Arbeit abnimmt, whrend im Westen der

    Anteil an Kapitaleinkommen und im Osten der Anteil an Renten und sozialen Transers am Haushaltsein-

    kommen zugenommen hat.

    Die Gerechtigkeit des Systems wird dann von vielen inrage gestellt, insbesondere mit Blick au die wach-

    sende Einkommensungleichheit. So hat eine neue Studie aus dem DIW (Gbel, Gornig und Huermann

    20010) die Tese augestellt, die Polarisierung der deutschen Gesellscha nehme zu, und zum Beleg die

    Vernderungen der Anteile reicher, mittlerer und armer Haushalte herangezogen. Die Aussage, dass eine

    2WoStEhENWir

    hEutEiM

    vErglEichzudAMAlS?

    2 Unter dem Marktquivalenzeinkommen versteht man die au Haushaltsebene erhobenen Markteinkommen, die mit Gewichtungsaktoren(1 r den willkrlich estgelegten Haushaltsvorstand, 0,5 r Mitglieder ab 15 Jahre und 0,3 r Mitglieder unter 15 Jahren) au dieHaushaltsmitglieder bezogen werden (SVR 2009, S. 310).

    umeen n desanWelches Einkommensdezil zahlt/empngt? Angaben in EUR je Person im Monat

    Transers Abgaben Saldo

    -2.500

    - 3.000

    -2.000

    -1.500-1.000

    -500

    0

    500

    1.000

    1.500

    1.

    Dezil

    2.

    Dezil

    3.

    Dezil

    4.

    Dezil

    5.

    Dezil

    6.

    Dezil

    7.

    Dezil

    8.

    Dezil

    9.

    Dezil

    10.

    Dezil

    Quelle:

    IW,

    StatistischesBundesamt;AngabenfrdasJahr2003

    2000

    2005

    2007

    1991

    1995

    0,230

    0,220

    0,210

    0,200

    0,240

    0,250

    0,260

    0,2700,280

    0,290

    0,300

    Quelle:

    SVR2009,

    S.

    310

    gn-kefen

  • 8/3/2019 Was ist neu an der Neuen Sozialen Marktwirtschaft?

    13/31

    13

    steigende Polarisierung der

    Gesellscha schadet, wird

    hier explizit geteilt. Aller-

    dings llt es schwer, die

    Tese mit den in der Studieprsentierten Zahlen zu un-

    tersttzen. Seit 1993 bleiben

    die Anteile der drei Gruppen

    nahezu konstant. In der Krise

    2009 hat der Anteil reicher

    Haushalte etwas abgenom-

    men und der Anteil armer

    Haushalte zugenommen. Im

    Vergleich zu 2004 sehen die

    Vernderungen dramatisch aus, im Vergleich zu 1993 gibt es nahezu keine Vernderungen (ebenda, S.4). Der von den Verassern berechnete Polaisierungsindex llt ebenalls seit 2006 (ebenda, S. 7). Die

    Schlussolgerung des itels der Studie Die Mittelschicht verliert kann deshalb als gewagt gelten. Noch

    strker llt die Kritik aber aus, wenn bercksichtigt wird, dass die durchschnittliche Haushaltsgre laut

    Statistischem Bundesamt seit Langem, so auch zwischen 1993 und 2008, llt. Die Aussagen der Studie

    sind damit wertlos.

    Die Ursachen von Ungleichheit sind vielschichtig und erordern eine klare Analyse. Fest steht, dass die

    Gesellscha Schwierigkeiten hat, allen Mitgliedern eine hinreichende und den individuellen Fhigkeiten

    angemessene Bildung zu vermitteln, diewiederum zu angemessenen Einkommen und einer akzeptablen Po-

    sition in der Gesellscha beitragen knnte. Gesamtwirtschalich scheint dies weniger ein nanzielles alsein strukturelles Problem zu sein. Solidaritt muss in einer Sozialen Marktwirtscha vor allem (aber sicher-

    lich nicht ausschlielich) darin zum Ausdruck kommen, dass jeder mit gleichen Chancen an der Bildung

    und den Gter-, Dienstleistungs- und Arbeitsmrkten teilhaben kann. Dies ist eine Herausorderung r

    die Gesellschas- und Wirtschasordnung der Zukun, die nicht nur die inhaltliche Ausgestaltung der Re-

    geln, sondern auch das Werben um deren generelle Akzeptanz und politische Durchsetzbarkeit umasst.

    Quelle:

    IWK

    ln,

    Gutachten

    Bildungsarmut

    und

    HumankapitalschwcheinDeutschland,2

    006

    Bnsam eeb sBildungsarmut bzw. Bildungsreichtum von Kindern mit Eltern ohne Sek-II-Abschluss

    Vater ohneSek-II-Abschluss

    Mutter ohneSek-II-Abschluss

    bildungsarmbildungsreich

    5 %

    7,30 %

    45,90 %

    52,30 %

  • 8/3/2019 Was ist neu an der Neuen Sozialen Marktwirtschaft?

    14/31

    14

    Unter Europas hrenden Hen: ein Containerschi aus China beim Verladen im Hamburger Haen.

    Die Ursache r die divergierende Entwicklung innerhalb der Gesellscha wird von einigen Beobachtern in

    einer neoliberalen Radikalisierung gesehen. berspitzt ormuliert: Die entesselte Globalisierung in Ver-

    bindung mit international agierenden, kurzristig orientierten Unternehmen (darunter die sogenannten

    Heuschrecken) sowie mit immer hheren Managergehltern sei schuld, es herrsche zu hug Kasino-

    kapitalismus. Der Staat msse in einer solchen Lage strker eingreien und das Soziale zulasten der

    Marktwirtscha betonen.

    Eine genaue Analyse der Entwicklung legt diese Interpretation jedoch nicht nahe. Die Globalisierung,

    d. h. die intensive und steigende Einbindung vieler Menschen in die weltweite Arbeitsteilung, hat in

    Deutschland vor allem positive Eekte au Beschigung und Wohlstand zur Folge. Globalisierung

    sorgt r eine hhere Gleichverteilung der Einkommen (Norberg 2003). Deutschland ist ein Land der

    Exportunternehmen, die im internationalen Wettbewerb bestehen und auergewhnlich attraktiveArbeitspltze anbieten. Ein Groteil der Menschen hat auch gut bezahlte Arbeitspltze in wettbewerbs-

    higen Unternehmen. Es knnen allerdings nicht smtliche Vorteile der Globalisierung durch die

    deutschen Unternehmen ausgenutzt werden, da der internationale Wettbewerb durch zahlreiche Handels-

    barrieren beschrnkt wird. Auch grundstzlich oene Volkswirtschaen, wie Deutschland als eil der EU,

    sind eil dieses Schutzsystems, das zwar einzelne vor Wettbewerb schtzt, gesamtwirtschalich jedoch

    teuer ist. Insgesamt muss der Globalisierung ein positiver Eekt zugeschrieben werden, der umso grer

    ist, je besser eine Volkswirtscha den Strukturwandel bewltigen kann.

    3 urSAchENorSchuNg: WASzErStrt dEN koNSENS uNd BEWirkt

    diE AuSgESchloSSENhEit?

  • 8/3/2019 Was ist neu an der Neuen Sozialen Marktwirtschaft?

    15/31

    15

    Die in den Unternehmen beschigten Menschen zahlen Steuern. Nie hat der Staat so viele Mittel zur

    Vergung gehabt wie 2008, selten war der Staatsanteil hher als zur Zeit3. Leider ist es der Politik nicht

    gelungen, die Wirtschasdynamik r alle Bevlkerungsgruppen erahrbar zu gestalten; gerade die weni-

    ger gut gebildeten und daher weniger produktiven Menschen verlieren im Strukturwandel ihre Arbeits-

    pltze an das Ausland, ohne dass neue Arbeitspltze r sie entstehen. An ehlenden staatlichen Mittelnkann die ungerechte eilhabe nicht liegen. Oenbar gelingt es staatlichen Akteuren nicht in ausreichen-

    dem Mae, diese Mittel im Sinne einer als gerecht empundenen Ordnung einzubringen. Dass viele dieses

    Gleichgewicht heute als verletzt erachten und die Soziale Marktwirtscha als ungerecht empnden, liegt

    somit nicht daran, dass das Konzept im Grundsatz versagt, sondern ist damit zu begrnden, dass in den

    vergangenen 60 Jahren zunehmend viele der grundstzlichen Prinzipien der Sozialen Marktwirtscha

    missachtet wurden. Erwhnenswert sind sicherlich die Prinzipien der Oenheit, und der Gewerbe- und

    Vertragsreiheit. Zu nennen ist auch die Langristorientierung der Wirtschaspolitik, die neben der Um-

    weltpolitik auch eine traghige Steuer- und Finanzpolitik einschliet. Diese Prinzipien sind im Grund-

    satz eingehalten, teilweise verletzt. Zentral jedoch ist das Prinzip Kompetenz und Haung, das besagt,

    dass jeder dazu bereit sein muss, die Folgen seiner Handlungen zu tragen und nicht im Vorhinein die Fol-ge von Fehlentscheidungen au die Allgemeinheit zu bertragen. Angesichts von Subventionen in Hhe

    von jhrlich ca. 145 Mrd. Euro vor der Krise und der milliardenschweren Rettungspakete danach (r

    alte Industrien bei Vernachlssigung von Bildung, Innovationen und Investitionen, wie r schwchelnde

    Staatshaushalte der Mitgliedsstaaten im Euroraum), wurde diesem Prinzip oenkundig nicht Rechnung

    getragen. In Verbindung mit dem ehlenden Verantwortungsbewusstsein zahlreicher Akteure an der Spitze

    der Wirtscha (Stichwort: Boni) hat dies zu Fehlentwicklungen gehrt, die in der at bedenklich sind.

    Eher als mit entesselten Mrkten haben diese Probleme also mit staatlich verursachten Verwerungen au

    Mrkten zu tun. In Ergnzung zu den oben genannten Problemen sind viele Mrkte reguliert, selbst wenn es

    gar nicht ntig scheint. Andere sind zwar regulierungsbedrig, doch ist die Regulierung nicht angemessen.Als ein Beispiel r den ersten Fall kann der Postmarkt gelten. Hier werden dem Staatsunternehmen Sonder-

    bedingungen (wie eine Mehrwertsteuerbereiung bei gleichzeitig r alle Konkurrenten ebenalls gltigem

    Mindestlohn4) eingerumt, die es r die Konkurrenz erschweren, den Markt zu bedienen, und die dann zur

    Konsequenz haben, dass die Dienstleistungen zu teuer und vermutlich auch zu schlecht sind. Arbeitspltze

    gehen zudem verloren, laut Monopolkommission (2009, S. 38) etwa 19.000 von 48.000 bei der Konkur-

    renz. Ein aktuelles Beispiel r den zweiten Fall ist mit Sicherheit der Finanzmarkt, der zwar reguliert, aber

    oenbar nicht zielgenau reguliert ist. Die Finanzkrise nahm darin zwar nicht ihren Anang, dennoch hat die

    unzureichend kontrollierte und regulierte Finanzbranche durch ihr Fehlverhalten zur Dimension der Krise

    substanziell beigetragen (SVR 2008, S. 117-191). Dieses Fehlverhalten wurde durch die Unhigkeit der

    Ausichtsbehrden, die Geahren der neuen Finanzprodukte und der Gehaltspraxis zu bersehen, verstrkt.Schlielich ist der Arbeitsmarkt ebenalls ein Beispiel r den zweiten Fall. Regulierung scheint augrund des

    Problems asymmetrischer Inormation sowie der Hold-up-Problematik5 geboten. Die llige Regulierung

    dar aber nicht zulasten der Arbeitslosen gehen; sie tut es aber, wie man es angesichts staatlich verordneter

    Mindestlhne (z. B. im Postbereich) und der ariautonomie ohne Verantwortlichkeiten r die Beschi-

    gung vermuten muss. Mithin liegt in der Regel eher Staats- als Marktversagen vor.

    3urSAchENforSchuNg:WASzErStrtdENkoNSENSuNdBE

    WirktdiEAuSgESchloSSENhEit?

    3 Ohne die Finanzkrise wren die Einnahmen hher als 2008.

    4 Dieser Mindestlohn wurde im Januar 2010 durch ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts r rechtswidrig erklrt.

    5 Unter hold-up versteht man die Chance r eine Marktseite, spezische Investitionen der anderen Seite opportunistisch auszunutzen.Hat z.B. ein Arbeitnehmer spezische Kenntnisse r seine spezielle Ttigkeit im Unternehmen augebaut, die er anderswo nicht vergtet bekme,htte der Arbeitgeber eventuell den Anreiz, ihn auszubeuten.

  • 8/3/2019 Was ist neu an der Neuen Sozialen Marktwirtschaft?

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    16

    Mehr Anreize und Chancen zur Aunahme von Arbeit knnte gerade die Situation von Alleinerziehenden verbessern.

    Fr viele Beobachter liegt ein anderer eil der Erklrung r die ehlende Akzeptanz einer au Wettbewerb

    augebauten Wirtschasordnung in der grozgigen Sozialpolitik, die zu wenig Anreize bzw. Chancen zur

    Wahrnehmung der eigenen Verantwortung und Aunahme von Arbeit geben wrde. Die Studie von Boss,

    Christensen und Schrader (2010) zeigt, dass gerade Alleinverdiener mit Kindern in Familien und Allein-

    erziehende im Durchschnitt nur geringgig mehr durch Arbeit als durch ransers verdienen. Dies ist einZeichen dar, dass die Sozialpolitik nicht die wirklich Bedrigen schtzt und wieder in die Arbeitstei-

    lung zurckhrt, sondern eher r immer mehr Soziallle sorgt. Indem sie die Erhhung des relativen

    Armutsrisikos r genau diese Gruppen und das Wegbrechen der Mittelschicht in Deutschland konstatie-

    ren, besttigen Grabka und Frick (2010) diesen Beund. In seinem lesenswerten Essay beschreibt Gunnar

    Heinsohn (2010) den euelskreis, der sich aus einer alschen Anreizstruktur in der Sozialpolitik ergibt,

    recht genau am Beispiel der Vereinigten Staaten. Auch bei uns gilt: Mehr Geld r die Bedrigen zu

    verteilen wie vielach geordert , hrt zunchst dazu, dass sich der Abstand zwischen Arbeitseinkom-

    men und leistungslosen Einkommen verringert. Dies bedeutet, dass der Anreiz, r sich selbst zu sorgen,

    abnimmt. In Verbindung mit einer Lohnpolitik, die (sei es durch arivertrag oder durch staatliche Min-

    destlhne, siehe auch Rag-nitz und Tum (2007)) die

    Lohnentwicklung von der

    Produktivittsentwicklung

    gerade der Arbeitslosen ab-

    koppelt, werden diese An-

    reize mit ehlenden Chan-

    cen am Arbeitsmarkt6 ver-

    bunden. Das heit, es ist

    r viele Menschen weder

    ntig noch mglich, r sichselbst zu sorgen. Dies trgt

    dazu bei, dass sich der

    Zustand der Arbeitslosig-

    keit perpetuiert. Schlielich

    kommt sogar eine Verschr-

    ung dergestalt hinzu, dass

    die Belastungen der Arbeit-

    nehmer steigt, ihr Nettoein-

    kommen sinkt und die rela-

    tive Armut zunimmt.

    Ein weiteres Element kommt hinzu, das in der Diskussion o vernachlssigt wird und meines Erachtens

    nicht hinreichend untersucht ist: Es ist nicht auszuschlieen, dass ein Zustand der Arbeitslosigkeit in Ver-

    bindung mit staatlichen Zahlungen von vielen sicherlich als entwrdigend empunden wird, wodurch sie

    sich mglicherweise zurckziehen und noch weniger Anreize verspren, sich zurck in die gesellschaliche

    eilhabe zu bewegen. Dadurch erhrt der gesellschaliche Konsens einen weiteren Rckschlag. Vorschl-

    ge, die darau hinauslauen, zur Erhhung des Lohnabstandes allein die Regelstze r ransereinkommen

    6 Ragnitz und Thum (2007, S. 38) zuolge sind die negativen Beschtigungswirkungen eines fchendeckenden Mindestlohnes von 7,50 Euromit ber 620.000 zu erwartenden zustzlichen Arbeitslosen im deutschen Niedriglohnbereich enorm.

  • 8/3/2019 Was ist neu an der Neuen Sozialen Marktwirtschaft?

    17/31

    17

    systematisch zu senken, knnen vor diesem Hintergrund ebenalls nicht akzeptiert werden, sie verschren

    das moralische Problem7. Auch lsen sie das Problem der eilhabe keineswegs, denn die Beschigungs-

    mglichkeiten werden dadurch nicht besser. eilhabe und der Zusammenhalt kann nur in einer umassen-

    den Reorm der Sozialsysteme im Verbund mit der Bildungspolitik gesichert werden (siehe unten).

    Schlielich ist noch ein zu-

    stzliches Argument von

    Bedeutung, wenn es darum

    geht, den mangelnden Kon-

    sens ber die Soziale Markt-

    wirtscha zu erklren. In

    den vergangenen Dekaden

    haben viele Menschen diesen

    Austieg realisiert und sind

    zu Wohlstand gelangt. Misstman Armut und Reichtum

    aber relativ, so gibt es natr-

    lich immer Arme und Rei-

    che. Mit steigendem Wohl-

    stand wird die relative Armut

    nicht geringer, wenn sich die Verteilung nicht ndert. Bestehen soziale Austiegsmglichkeiten, kann die

    relative Armut abnehmen. Das relative Austiegsversprechen kann theoretisch aber nur so lange gelten, bis

    es eingelst ist, das heit bis es eine Gleichverteilung von Einkommen und Vermgen gibt. Hinzu kommt,

    dass die Einlsung des Austiegsversprechens eine Momentaunahme ist: Wenn die Verteilung recht gleich

    geworden ist, kann der Strukturwandel leicht r wieder steigende Ungleichheit sorgen. Dies gilt insbeson-dere, wenn es der Politik nicht gelingt, das Gespr r Strukturwandel und die Bereitscha, sich mit ihm

    auseinanderzusetzen, in der Bevlkerung wach zu halten. Damit ist die Soziale Marktwirtscha sozusagen

    ein Oper des eigenen Erolgs geworden, zumindest in der Wahrnehmung. Man knnte es auch so ormu-

    lieren: Relative Armut, die keine absolute Armut ist, hrt zu gehlter Armut und gehlter Ungerechtig-

    keit. Je weiter man Armut deniert, d. h. je nher die Armutsschwelle am Durchschnitt der Einkommen

    einer Volkswirtscha liegt, desto grer ist die gehlte Ungerechtigkeit.

    Fasst man zusammen, so ist estzuhalten, dass im Vergleich zur Nachkriegszeit ein wesentlich hheres allge-

    meines Wohlstandsniveau (auch r Menschen, die von Untersttzung durch den Staat leben) erreicht ist,

    dass aber auch eine Verestigung der sozialen Strukturen eingetreten ist. Ursachen dar scheinen in der nichtangemessenen Reaktion der Wirtschas- und Sozialpolitik au die weltwirtschalichen Herausorderungen

    zu liegen. Darunter allen die Verletzung einiger wirtschaspolitischer Grundstze, die Fehlentwicklungen

    der Sozialpolitik, die Schwchen in der Bildungspolitik sowie berregulierung einiger Mrkte.

    3urSAchENforSchuNg:WASzErStrtdENkoNSENSuNdBE

    WirktdiEAuSgESchloSSENhEit?

    reae EnmmensamEntwicklung des Schwellenwertes

    9.740

    10.994

    1993

    1995

    1997

    1999

    2001

    2003

    2005

    2007

    1983

    1985

    8.000

    8.5009.000

    9.500

    10.000

    1987

    1989

    1991

    10.500

    11.000

    11.500

    9.064

    11.19911.101

    Quelle:

    DIW,

    IWK

    ln;

    60ProzentdesMediansdesbedarfsgewichteten

    Pro-

    Kopf-EinkommensinPreisenvon2007

    7 Um hier belastbare Aussagen zu treen, muss mehr konomische, soziologische und psychologische Forschung (auch kombiniert)betrieben werden. Die Arbeit von Bude (2008) bildet eine solide Grundlage.

  • 8/3/2019 Was ist neu an der Neuen Sozialen Marktwirtschaft?

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    18

    4 diE NEuE SoziAlE MArktWirtSchAt:EiNE AgENdA

    Damit sind die heutigen Herausorderungen skizziert: Es geht darum, das Auseinanderdrien einer

    wohlhabenden Gesellscha in einen schrumpenden reichen eil und einen wachsenden armen von

    ransers dauerha abhngigen eil zu verhindern. Eine Marktwirtscha ist dann sozial, wenn sie dies

    scha, d. h. wenn jeder einzelne grundstzlich in der Lage ist, r sich selbst zu sorgen, und wenn diejeni-

    gen, die dies nicht schaen, von der Gesellscha temporr oder in schweren Fllen dauerha untersttzt

    werden. Eine eilung der Gesellscha wie beschrieben wre menschlich eine Katastrophe und kono-

    misch nicht nachhaltig. Warum sollten vielltige alente dauerha ungenutzt brachliegen? Wieso sollen

    Menschen, die arbeiten wollten und knn-

    ten, daran gehindert werden? Ludwig Erhard

    konnte diese Herausorderungen in seiner Zeitnicht vorhersehen, und sie sind mit der Rheto-

    rik Ludwig Erhards nicht zu bewltigen. Es ist

    nicht zu leugnen, dass die Globalisierung au

    den Strukturwandel und die Anpassungslasten

    einzelner beschleunigend wirkt. Die Anorde-

    rung, stndig hinzuzulernen, ist r viele neu

    und wird als anstrengend empunden. Und

    dennoch: Viele Aussagen Ludwig Erhards sind

    im Jahre 2010 so wahr wie im Jahr 1957. Sie

    kennzeichnen damals wie heute den Charak-ter der erolgreichsten Wirtschasordnung.

    Grundstzlich gehe ich also von der Prmisse

    aus, dass Wirtschaspolitik auch in der Globa-

    lisierung des rhen 21. Jahrhunderts au soli-

    den Grundstzen basieren muss. Es ist zum Beispiel unabdingbar, dass es eine Langristorientierung bzw.

    Konstanz der Wirtschaspolitik gibt, um den Unternehmen und Beschigten Planungssicherheit bezg-

    lich der Rahmenbedingungen zu geben. Auch andere Prinzipien wie die der Geldwertstabilitt, Oenheit

    der Mrkte und die tragende Rolle des Eigentums haben sich als unverzichtbar herausgestellt. Angesichts

    der enormen nanziellen Belastungen der entlichen Haushalte stellt die Sicherung der Geldwertstabi-

    litt eine der wesentlichen Augaben der vor uns liegenden Dekaden dar, wenn es nicht zu einer Erosiondes Mittelstandes und einer enormen Zunahme der Armut in Deutschland kommen soll. Ebenalls nicht

    hinterragt wird der gesellschaliche Konsens, dass eine moderne Industriegesellscha einer unktions-

    higen und leistungsstarken Sozialpolitik bedar.

    Das alles ist nicht neu, aber es kann auch nicht bedeuten, dass theoretische berlegungen, die r die

    Nachkriegszeit erarbeitet wurden und sich damals bewhrten, unverndert auch nach ber 60 Jahren

    noch unverndert Gltigkeit haben. Vielmehr scheint es gravierende Vernderungen mit Blick au die

    Ist zunehmende Arbeitslosigkeit eine Auswirkung der Globalisierung?Hier eine Warteschlange vor dem Jobcenter Berlin-Mitte.

  • 8/3/2019 Was ist neu an der Neuen Sozialen Marktwirtschaft?

    19/31

    19

    4diENEuESoziAl

    EMArktWirtSchAft:EiNEAgENdA

    Erwartungen an die Politik und den damit verbundenen gesellschalichen Konsens zu geben. Diesem

    muss insoern Rechnung getragen werden, als dass die Erwartungen an den Staat wieder au ein Nor-

    malma zurckgehrt werden msen. Denn die dauerhae eilung der Gesellscha ist teuer und hrt

    zur Entsolidarisierung. Das Konzept der Sozialen Marktwirtscha ist geeignet, der eilung entgegen zu

    wirken, denn es verbindet die Allokationsezienz in vorbildlicher Weise mit einer Leistungs- und Start-gerechtigkeit. Sie muss nicht neu erunden, aber mit neuem Leben versehen und in neue der politi-

    schen Realitt angepassten Formulierungen gekleidet werden. Besonders drei Felder bedren vor dem

    Hintergrund der Kernthese einer genauen Betrachtung und weit reichender Reormen, die Sozialpolitik,

    die Bildungspolitik und die Regulierungspolitik8. Es kann nicht Augabe dieser Schri sein, konkrete

    Optionen zu bewerten und eindeutige Vorschlge zu unterbreiten. Im Folgenden werden stattdessen

    allgemeine Diskussionslinien augezeigt eine Agenda eben!

    Die Wahrung der Solidaritt ist eine Investition in eine stabile Gesellscha. Es ist also weniger eine Fragedes Nehmens und Gebens, sondern hier ist der Ausgleich zwischen den Fhigkeiten, den Anstrengungen

    und den Marktergebnissen ausschlaggebend. Die erste Anregung r die Realisierung einer Neuen Sozialen

    Marktwirtscha lautet daher, die Sozialpolitik unter einem neuen Blickwinkel zu sehen und dar zu werben:

    In einer zu wenig beachteten Schri haben Karl Homann und Ingo Pies (1996) die Sozialpolitik als einen

    gesellschalichen Versicherungsvertrag skizziert. Die Mitglieder der Gesellscha benden sich mit Blick au

    ihre Zukun hinter dem schon erwhnten Schleier der Ungewissheit. Selbst die Fleiigste kann arbeits-

    los werden, wie auch ein gesund lebender Mensch pltzlich schwer erkranken kann9. Sozialpolitik wird

    dann als ein Vertrag anstelle einer Oktroyierung von Abgaben zugunsten anderer wahrgenommen. Damit

    rckt die Umverteilung aus dem Fokus, und Risikoaspekte werden bedeutsamer. Denn nun wird klar, dass

    die Sozialversicherung riskante Unternehmung berdern kann und damit r Mrkte da ist und nicht imGegensatz zum Markt steht (Homann und Pies 1996). Ganz im Gegenteil, wer Risiken bernimmt und

    sich au Mrkten engagiert, hat eine Rckendeckung. Inhaltlich ndert sich zunchst nichts, aber die

    Perspektive ist eine andere.

    Es bleibt dann die inhaltliche Frage,

    welche Form eine moderne Sozial-

    politik annehmen sollte? Die Ant-

    wort ist genau so einach wie kom-

    pliziert. Einerseits muss die Hile,

    die ein Arbeitsloser bekommt, zumLeben in diesem Land reichen, ande-

    rerseits soll das Lohnabstandsgebot

    gewahrt bleiben, um die bekannten

    Fehlanreize zu vermeiden und die

    Vertrauenskrise der Sozialen Markt-

    wirtscha nicht zu vertieen. Denn

    ein Problem der Sozialen Marktwirt-

    a) Bese teabeanen enen esnen Sasaa

    8 Dies schliet nicht aus, dass auch andere Politikelder reormiert werden mssen, darunter die Steuerpolitik und die derale Ordnung. Zentral r dieAkzeptanz und Teilhabe scheinen jedoch die in diesem Ausatz diskutierten Felder zu sein.

    9 Die Krankenversicherung deckt die damit verbundenen Kosten ab. Interessanterweise sind die Mitglieder der Krankenkassen meist reiwillig in dieserVersicherung und nehmen die damit verbundene Umverteilung klaglos, in gewisser Weise sogar zurieden (wenn sie gesund bleiben) in Kau.

    Quelle:

    BMAS,

    StatistischesBundesamt,IW

    KlnSaesnen

    je Einwohner in EUR pro Jahr, in Preisen von 2008

    2008

    1980

    1984

    1988

    1992

    1996

    2000

    2004

    1960

    1964

    2.283

    3.8566.690

    7.961

    6.034

    8.865

    1966

    1972

    1976

    4.000

    3.000

    2.000

    1.000

    5.000

    6.000

    7.0008.000

    9.000

    10.000

    7.729

    0

  • 8/3/2019 Was ist neu an der Neuen Sozialen Marktwirtschaft?

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    20

    scha 2010 liegt darin, dass viele Menschen im Niedriglohnbereich arbeiten. Es ist hchst raglich, ob sie

    mit diesen Lhnen r eine angemessene Lebenshrung und Alterssicherung sorgen kann. Dies kann nicht

    im Interesse der Gesellscha und ihrer Mitglieder liegen. Nicht zuletzt dieser Frage wegen werben Gewerk-

    schaen r sektorbergreiende Mindestlhne. Allerdings zeigt sich dann die Problematik des Niedrig-

    lohnsektors. Es mag Flle geben, in denen Arbeitgeber die Not einzelner bzw. in einer Region ausnutzenund bewusst sehr niedrige Lhne zahlen. Es gibt aber sicher auch viele Flle, in denen hhere Lhne als

    die gezahlten aus Sicht der Arbeitgeber nicht mglich sind. Die betroenen Menschen verlren ihren

    Arbeitsplatz (siehe Funote 6). Gleichzeitig ist es nicht akzeptabel, die ranserzahlungen zu reduzieren.

    Denn sie sind schon heute nicht allzu hoch, und es wre politisch nicht durchsetzbar. Dies gilt vor allem

    vor dem Hintergrund, dass nicht nur die Arbeitsanreize, sondern auch die Beschigungschancen ange-

    sichts der arihne gering sind.

    Die geeignete Alternative zur Lsung des Problems kann eine Form der negativen Einkommensteuer darstel-

    len, die die zweite Anregung r die Neue Soziale Marktwirtscha bildet. Das Grundmodell sieht vor, smtli-

    che Sozialleistungen in dieser Steuer zu bndeln und die Bedrigen mit einer Zahlung, die mit steigendemEinkommen abnimmt, bis eine positive Steuerzahlung llig wrde, zu untersttzen (Kronberger Kreis 1986).

    Der entscheidende Vorteil liegt darin, dass die Aunahme von Arbeit bei der richtigen Festlegung von Steu-

    ersatz und Transerhhe und einer Reorm des Tarirechts wesentlich attraktiver als heute erscheint. Dar-

    ber hinaus erhht das System die Transparenz der Sozialleistungen, was ja das Bundesverassungsgericht in

    seiner Entscheidung vom Januar 2010 angemahnt hat. Drittens ist es mit einer modernen Vorstellung von

    Menschenwrde vereinbar, wenn der in Not Geratene sich selbst helen kann und au diese Weise mgli-

    cherweise langristig von der Untersttzung der Allgemeinheit unabhngig wird, wenn er sich in der Besch-

    tigungweiter qualiziert und das Einkommen aus dem Transerbereich herauswchst. Schlielich wird ein

    Teil der Sozialbrokratie entbehrlich, und die Beschigten knnten produktiven Ttigkeiten nachgehen.

    Der jhrliche Steuertari htte im einachsten Fall olgendes generelles Aussehen: t =-a+by, mit t = Steuerlast,

    a = ranserzahlung ohne eigenes Einkommen, b = Steuersatz und y = Einkommen. Unter der Annahme,

    dass a den Wert 3.600 und b den Wert 0,3 htte, ergbe sich das Bild in der nebenstehenden Grak . Konkret

    bedeutet es, dass in diesem Beispiel

    bei einem Einkommen von 0 Euro

    monatlich 300 Euro ranserzah-

    lungen an den Brger llig wren.

    Dieser Betrag wrde r jeden

    zuverdienten Euro um 30 Cent

    reduziert, bis der Steuerpich-tige 12.000 Euro verdient. Da-

    nach wre au jeden zuverdienten

    Euro eine Steuerlast von 30 Cent

    llig. Dieses Modell setzt voraus,

    dass die Lohnndung ohne ge-

    setzlichen oder aktischen Min-

    destlohn auskommt.

    EUR -3.600

    Fllige Steuer p.a. in EUR

    EUR 12.000

    Neae Enmmenssee

    Einkommen p.a. in EUR

    Quelle:

    EigeneDarstellung

    Steuerza

    hlung

    0

    Transfer

    empfang

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    21

    4diENEuESoziAl

    EMArktWirtSchAft:EiNEAgENdA

    Dieses Grundmodell hat auch

    Kritik erahren, vor allem wegen

    der Anreizwirkungen eines

    leistungslosen Grundeinkom-

    mens ohne Nachweis der Be-drigkeit. Auerdem wird be-

    mngelt, dass es zu einem noch

    ausgebauten Niedriglohnsektor

    und einem Drehtreekt

    hrt, wenn gut bezahlte Ar-

    beitnehmer entlassen werden

    und dann zu verschlechterten

    Konditionen wieder eingestellt

    werden. Dieses Problem ist nur

    relevant, wenn es keinen Mismatch am Arbeitsmarkt gibt, wenn also nicht gut ausgebildeteKre gesucht werden bei gleichzeitig hoher Arbeitslosigkeit unter weniger gut ausgebildeten

    Menschen10. Diesen kann mit dem Modell geholen werden. Das Versprechen bzw. der von vielen

    gesehene Vorteil liegt ohnehin darin, dass es mglich scheint, wieder viele Menschen zur gesell-

    schalichen eilhabe zu bewegen und Lernprozesse in Gang zu setzen, sodass die Betroenen sich

    am Arbeitsmarkt etablieren und langristig hhere Gehlter erzielen knnen. Die Kritik muss

    natrlich bercksichtigt werden, wenn es um eine konkrete Umsetzung ginge. Es gibt eine ganze Reihe von

    verwandten Umsetzungsvorschlgen, die teilweise umassend sind, zum eil aber auch Modellcharakter

    haben. Zu nennen wren hier beispielha die aktivierende Sozialhile des Io-Instituts, das solidarische

    Brgergeld des ehemaligen thringischen Ministerprsidenten Dieter Althaus sowie das Kombilohn-

    modell; r eine bersicht siehe SVR (2007), Spermann (2008) sowie Roth (2002) r ltere Anstze undeine Bewertung derselben. Nach meinem Darhalten besteht noch Forschungsbedar.

    Eng verbunden mit der Frage der Austiegsmglichkeiten und

    letztlich der eilhabe am Leben einer Gesellscha ist die Bil-

    dungspolitik. Sie hat dar Sorge zu tragen, dass junge Menschen

    Chance zu Bildung und Austieg bekommen. Generell gibt es im

    Moment eine ganze Reihe von Kritikpunkten am deutschen Bil-

    dungssystem, die bereits in der Vorschule ansetzen und sich bisin die Universitt einschlielich der Doktorandenausbildung

    ortsetzen lassen. Es scheint also eindeutig so zu sein, dass gerade

    jugendliche Immigranten sich zunehmend dem Bildungssystem

    erolgreich entziehen knnen (Bude 2008)11. Zu viele Menschen

    verlassen die Schule ohne Abschluss (65.000 Jugendliche ohne

    Hauptschulabschluss in 2008: Bildungsbericht 2010, BMBF).

    Weitere Schwchen der deutschen Bildungslandscha wurden

    Von der Vorschule bis in die Hrsle der Universitten zeigen sich zuneh-mend die Schwchen im deutschen Bildungssystem. Hier verolgenStudenten der Universitt Leipzig eine Vorlesung zum Thema Thermodynamik.

    b) canen Bn

    10 Diesen Mismatch kann man auch heute noch erkennen, wie entsprechende Aussagen aus den Unternehmen zeigen.

    11 Eine strkere Verpfichtung r Immigranten, sich genau wie die hier Geborenen den hiesigen Regeln (z. B. Schulpficht)zu unterweren und die Sprache zu lernen, sollte dabei selbstverstndlich sein.

    Ane e Sabne ne Absss

    20082007200620052004200320022001200019991998

    0 %

    2 %1 %

    3 %4 %

    5 %6 %7 %8 %

    9 %10 %

    Quelle:I

    WK

    ln

    9,0 9,48,15

    7,0

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    in den Universitten verortet und zwar sowohl vor als auch nicht weniger nach der Umsetzung der

    Bologna-Reormen. Dieses Tema ist insgesamt ein emotional sehr besetztes, weil es erstens alle Menschen

    betri und weil es zweitens sehr stark ideologisch durchdrungen ist. Davon sind auch Bildungspolitiker

    nicht rei. Nicht zuletzt deshalb soll es in diesem Beitrag nicht um Verbesserungsoptionen im herkmm-

    lichen Sinne gehen, z. B. Bachelor- vs. Diplomstudiengnge oder Gemeinschasschule vs. dreigliedrigesSchulsystem etc. Vielmehr geht es um die unterschiedlichen Prozesse, die denkbar sind, bildungspolitische

    Ziele zu erreichen.

    Dazu mssen die Ziele erst einmal vernnig deniert werden. In der politischen Diskussion gibt es viele

    Beitrge, die sowohl au die Eektivitt als auch au die Gerechtigkeit des Bildungssystems abzielen. Deshalb

    sollte zunchst einmal deniert werden, welche kurz- und langristigen Ziele sich die Bildungspolitik setzt,

    bevor man mit den Schritten beginnt, um diese Ziele zu erreichen. Es scheint, dass dies noch gar nicht umas-

    send geschehen ist; die Umsetzung hat aber bereits begonnen. Unstrittige Ziele sind sicherlich die olgenden

    (Wmann 2009):

    Es muss dann geklrt werden, welche Verahren zur Umsetzung der Plne und zum Erreichen der Ziele ge-

    whlt werden. Dies ist nicht trivial, weil sich Zielkonikte ergeben. Deshalb wird hier die Anregung unter-

    breitet, dass die Neue Soziale Marktwirtscha sich strker mit der Ausgestaltung einer zielgenauen Bildungs-

    politik beasst, als dies die Vordenker taten. Vor allem muss politisch r die ausreichende Finanzierung

    gerungen werden.

    Bildung muss politische Prioritt genieen,12

    Jedes Kind muss einen Abschluss erreichen, der seinen Fhigkeiten entspricht,

    gerade Kinder aus sogenannten bildungsernen Schichten mssen gerdert werden,

    es muss ein breites Angebot an beruficher Ausbildung r alle Abschlsse geben,

    der Universittszugang dar nicht vom Einkommen der Eltern abhngen (Distribution),

    deutsche Universittsabsolventen mssen international wettbewerbshig sein,

    sie mssen in der Lage sein, mit dem absolvierten Studium eine angemesseneBeschtigung zu erhalten (Allokation I),

    gleichzeitig muss sich eine Gesellschat auch sogenannter Orchideencher, derendirekter konomischer Nutzen nicht soort ersichtlich ist, erhalten (Allokation I I),

    deutsche Forschung muss ebenalls international wettbewerbshig sein,

    lebenslanges Lernen ist eine Voraussetzung r berufiches Fortkommen und,muss gerdert werden,

    die Kosten des Bildungssystems mssen berschaubar sein und gerecht verteilt

    werden.

    12 Dies ist nicht selbstverstndlich im politischen Prozess. Man denke nur daran, wie leicht sich die Bundesregierung damit tat, 5 Milliarden Euro Abwrack-prmie auszuloben, und wie schwer es llt, Planstellen in Schulen und Universitten zu schaen bzw. zu erhalten. Htte beispielsweise die FSU Jena diese5 Milliarden Euro als Vermgen zur Vergung, knnte sie den Etat aus den Realzinsen decken (siehe www.uni-jena.de).

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    4diENEuESoziAl

    EMArktWirtSchAft:EiNEAgENdA

    Das Ziel der Teilhabe setzt natrlich auch eine Erwartungssicherheit hinsichtlich der materiellen Aspekte

    der Zukun voraus. Was sind Ersparnisse in der Zukun wert, lohnt es sich, Vermgen auzu-

    bauen, oder spricht alles r eine kurzristig orientierte Konsumhaltung, die die Alterssicherung

    aus dem Blick nimmt? Es geht also um die Stabilitt des Geldwertes und damit der Ersparnisse bzw.

    der Alterssicherung. Hier weist die Bundesrepublik eine historisch einmalige Erolgsgeschichte

    vor, nmlich ber 60 Jahre relative Preisniveau-

    stabilitt13. Damit haben die Bundesbank bis 1999

    und die Europische Zentralbank seitdem die

    Voraussetzungen r breiten Wohlstand und sichere

    Erwartungen hinsichtlich der Stabilitt von Investi-

    tionen geschafen. Ein gut reguliertes und beausich-

    tigtes Finanzsystem hat das Seinige dazu beige-

    tragen, diese Sicherheit zu gewhrleisten. So war eszumindest bis zum Jahre 2008.

    Inzwischen ist berdeutlich geworden, dass eile

    der Finanzindustrie nicht angemessen reguliert und

    beausichtigt waren und noch sind. Zudem hat sie

    sich nicht verantwortungsbewusst den Kunden ge-

    genber verhalten. Vielmehr wurden riskante Pro-

    dukte kreiert und so verkau, dass die Risiken nicht

    erkennbar waren. Dazu trugen die Anreize im Fi-

    nanzwesen sowie die stndigen Innovationen bei.In der at besteht ein Marktversagen in Form von

    asymmetrischer Inormation, das durch Regulierung

    und Ausicht behoben werden muss. Neben Markt-

    versagen muss vor allem Staatsversagen konstatiert

    werden. Die Grnde hierr sind vielltig poli-

    tischer und technischer Natur und knnen hier

    nicht behandelt werden. Das Problem besteht aber nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Denn

    die Finanzmrkte sind global eng vernetzt, und es gibt Ansteckungseekte. Daher kann eine berzeu-

    gende Lsung nur darin bestehen, die Mrkte grenzbergreiend so zu regulieren, dass die Ansteckungs-

    geahren verringert werden. Hier besteht trotz zahlreicher Anlue wie der G-20-Gipel in orontoim Juni 2010 und hnliche reen noch keine adquate Lsung. Auer Absichtserklrungen ist bisher

    nichts geschehen. Diese beziehen sich zudem au die Kapitalanorderungen und kaum au die Anreize

    r Bankmitarbeiter.

    Das heit allerdings nicht, dass die Bundesregierung keine Handhabe besitzt, um die Stabilitt des deut-

    schen Finanzsystems zu strken14. So kann sie die Gehaltsregelungen der deutschen Banken sehr wohl

    regulieren, insbesondere die exiblen Bestandteile. Hier kme es darau an, die Bonuszahlungen an lang-

    Eine schlechte Bank als gute Lsung? Die Idee zur Stabilisierungdes Innerbankverkehrs: eine Bad Bank.

    ) reen s wen we m, s e we n

    13 Die Bedeutung der Geldwertstabilitt wurde in einer jngst erschienen Verentlichung vom Chekonom des IWF inrage gestellt (Blanchard et al. 2010).Diese uerung ist insoern sehr gehrlich, als dass sie den Regierungen einen scheinbar bequemen Ausweg aus der skalpolitischen Klemme nach derWeltwirtschatskrise anbietet. Infation ist dem Wachstum abtrglich und schadet vor allem der unteren Mittelschicht einer Gesellschat sie verschrtedie hier diskutierten Probleme massiv. 1).

    14 Siehe z. B. de Haan, Oosterloo und Schoenmaker (2009) und die Beitrge in von Delhaes-Guenther, Dietrich, Karl-Hans Hartwig und Uwe Vollmer (2001).

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    ristige Erolgsaktoren zu koppeln und die kurzristige Gewinnmaximierung unattraktiv zu machen;

    entsprechende Selbstverpichtungen durch die Branche knnen als gescheitert angesehen werden. Die

    Hhe der Gehlter zu deckeln, ist mit einer reiheitlichen Ordnung nicht kompatibel und auch gar nicht

    notwendig. Das Argument, die besten Kre wandern im Falle einer Gehaltsregulierung ins Ausland ab,

    zieht dabei nicht. Bruno Frey (2009) vertritt zu Recht die Ansicht, man knne diejenigen, die die Krisemitverursacht haben, getrost ziehen lassen! Hier wre eine Anregung r die Neue Soziale Marktwirt-

    scha, die Regulierung zu schren und au die Gehaltsstruktur im Finanzbereich Einuss zu nehmen,

    so dass Langristorientierung r die Mitarbeiter attraktiv wird. Wenn die Gehlter transparent nach-

    vollziehbar werden, werden die Resultate des Wettbewerbs in der Sozialen Marktwirtscha auch wieder

    akzeptabel. Au jeden Fall sind Nachrichten ber Boni r Mitarbeiter z. B. der HSH Nordbank im Jahre

    2010 eine schwere Belastung r die Akzeptanz der marktwirtschalichen Ordnung.

    Auerdem ist es an der Zeit, die lngst berllige Reorm des deutschen Bankensektors anzugehen.

    Gerade die Landesbanken waren r die hohen Kosten, die der Steuerzahler durch die Finanzkrise

    zu tragen hatte, verantwortlich. Sie vergen weder ber ein traghiges Geschsmodell noch bereine eektive interne Ausicht. Sie scheinen eher eine Art Spielzeug r global ambitionierte Landes-

    politiker ohne Fachkenntnisse zu sein. Das ist nicht nur aus konomischen Grnden abzulehnen, sondern

    widerspricht auch den Prinzipien einer Demokratie, wenn ohne parlamentarische Kontrolle entliche

    Gelder ausgegeben werden. Die Neue Soziale Marktwirtscha sollte die staatlichen Aktivitten im Finanz-

    bereich genauer unter die Lupe nehmen. Whrend man r die Sparkassen eine Augabe in der indirekten

    regionalen Wirtschasrderung durchaus zu erkennen vermag, sieht dies bei den Landesbanken anders

    aus. Sollte der Sparkassensektor ohne Clearing-Stelle nicht auskommen, wre der Vorschlag des Bundes-

    wirtschasministers Brderle, die Landesbanken zu usionieren, die richtige Alternative. Gleichzeitig ist

    darber nachzudenken, die Governance-Strukturen bei den Sparkassen ebenalls in Richtung mehr rans-

    parenz und eindeutiger Zuordnung von Verantwortlichkeiten zu reormieren (Freytag 2001).

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    5 SchluSSolgEruNgEN zur uMSEtzuNg

    In diesem Ausatz wird r eine Interpretation der Neuen Sozialen Marktwirtscha pldiert, die vor allem

    daran ansetzt, das Auseinanderdrien der Gesellscha in chancenreiche, wohlhabende eile au der einenund chancenlose arme Bevlkerungsteile au der anderen Seite zu beenden. Es wurde auch deutlich, dass

    die diesbezglichen Probleme ihre Ursachen nicht in einer Marktradikalisierung sondern in der permanen-

    ten Schwchung der Sozialen Marktwirtscha in den vergangenen Dekaden haben. Die dar wichtigsten

    Politikelder wurden in der Sozialpolitik und untersttzend der Bildungs- und Regulierungspolitik iden-

    tiziert; und zwar wichtig in dem Sinne, dass dort die Stellschrauben r die Wiedereingliederung der

    Ausgeschlossenen liegen. Es reicht allerdings nicht, die Probleme zu identizieren, sie mssen in einem

    politischen Kraakt auch dann einer Lsung zugehrt werden.

    Die erolgreiche Umsetzung der Sozialen Marktwirtscha war auch in der Vergangenheit ein politischer

    Balanceakt, der recht gut gelungen ist. Im Zeitablau sind jedoch etliche Verzerrungen entstanden, dieomals nicht au mangelndem Verstndnis der Akteure, sondern au politischen Zwngen beruhten. Die

    politischen Entscheidungstrger olgen dabei nicht nur der langristigen wirtschaspolitischen Rationali-

    tt. Vielmehr denken sie omals in Wahlzyklen und mssen kurzristig eingreien, z. B. wenn ein regional

    konzentrierter Sektor in wirtschaliche Bedrngnis gert15. Dabei ist es o unerheblich, ob dieses Eingreien

    wirtschaspolitisch sinnvoll ist oder nicht. Dies hat es organisierten Interessen immer wieder ermglicht,

    Sonderrechte durchzusetzen16. Der Abbau solcher Rechte dauert in Einzelllen Dekaden, wie anhand der

    Gemeinsamen Agrarpolitik der EU oder der deutschen Steinkohlepolitik sichtbar wird. Reormbemhungen

    sind deshalb notwendigerweise mit einem langen Atem zu unternehmen. Dennoch zeigt die Geschichte,

    dass wirtschaspolitische Reormen mglich sind (Freytag und Renaud 2007 und 2008).

    In einer Demokratie stoen nicht nur unterschiedliche Interessen aueinander. Sie sind auch mit unter-

    schiedlich gutem Wissen und unterschiedlichen Ressourcen ausgestattet. Je augeklrter und konomisch

    gebildeter die Brger sind, desto eher knnte man erwarten, dass eine Regierung mit gravierenden Ver-

    letzungen der korrekten Wirtschasordnung von der Bevlkerung abgestra werden msste. Dagegen

    spricht allerdings ein weiteres Versumnis in der Bildungspolitik, durch das diese Fehlentwicklungen

    unter Vernachlssigung historischer Erahrungen mit zentral gelenkten staatswirtschalichen Systemen

    vollkommen alsch und oberchlich interpretiert werden. Es mangelt eben gerade am breiten Verstnd-

    nis r die Rolle von Mrkten und Wettbewerb und an einer angemessenen Bercksichtigung konomi-

    scher Zusammenhnge in der Schulbildung, die sich in weiterhrenden Bildungstrgern ortsetzt. Es

    geht so weit, dass konomische Aussagen auch wenn sie nur empirische Zusammenhnge auzeigen als Ideologie gelten. Es ehlt an der Bereitscha und der Fhigkeit der breiten entlichkeit, konomi-

    sche Aussagen kritisch und mit Grundverstndnis zu hinterragen. Hier liegt eine groe gesellschaliche

    Augabe (Enste, Haerkamp und Fetchenhauer 2009, Freytag und Renaud 2007), denn nur das tiee allge-

    meine Verstndnis r wirtschaliche Zusammenhnge kann wirtschaspolitische Fehlentwicklungen in

    demokratischen Prozessen verhindern.17

    15 Die sogenannte Neue politische konomie beschtigt sich mit dem Auseinanderallen von wirtschatlicher und politischer Rationalitt;siehe Donges und Freytag (2009, Kapitel IV).

    16 Das jngste Beispiel ist das Hotelgewerbe, das im Wachstumsbeschleunigungsgesetz 2009 eine Mehrwertsteuererleichterung eingerumt bekommen hat,ohne dass der gesamtwirtschatliche Nutzen direkt erkennbar wre.

    17 In diesem Zusammenhang spielt natrlich auch eine Rolle, wie sich die Wirtschatswissenschaten selbst defnieren.

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    5Schl

    uSSfolgEruNgENzuruMSEtzuNg

    Au der Grundlage dieser Fragen bedar es einer Modernisierung der Ordnung, die im Kern zwar noch

    intakt ist, jedoch den Anorderungen der modernen Gesellscha angepasst werden muss. Die Prinzipien

    Freiheit, Wettbewerb, Haung, Leistungsgerechtigkeit und Solidaritt verlieren nicht ihre Gltig-

    keit, vielmehr sollte die Neue Soziale Marktwirtscha wieder die Voraussetzung schaen, dass genau

    diese Prinzipien der Sozialen Marktwirtscha in Zukun gelebt werden knnen und die Chancen auleistungsadquaten Wohlstand wieder breit gestreut werden.

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    litErAtur-uNdQuEllENvErzEichNNiS

  • 8/3/2019 Was ist neu an der Neuen Sozialen Marktwirtschaft?

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    BiShErigE PuBlikAtioNEN

    he 1

    Pro. Dr. Rol Peekoven

    z rem e Mewesee

    Zurck zu einer generellenKonsumbesteuerung

    he 1

    Weee Pbanen ne

    www.insm.de

  • 8/3/2019 Was ist neu an der Neuen Sozialen Marktwirtschaft?

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    A es Asaes Was s ne an e Neen Saen Mawsa?

    Pro. Dr. Andreas Freytag

    heasebe:

    Initiative Neue Soziale Marktwirtschaf INSM GmbH

    Georgenstrae 22

    10117 Berlin

    gesse:

    Hubertus Pellengahr

    Pjeen:

    Marco Mendor, Marc Feist

    knaaname:

    eleon: 030 / 27877 - 171

    eleax: 030 / 27877 - 181

    E-Mail: [email protected]

    gafse gesan: Serviceplan Public Opinion GmbH & Co. KG, Berlin

    d: Druckzone GmbH, Cottbus

    San: August, 2010

    Die Initiative Neue Soziale Marktwirtscha ist ein berparteiliches Bndnis aus Politik,

    Wirtscha und Wissenscha. Sie wirbt r die Grundstze der Sozialen Marktwirtscha in

    Deutschland und gibt Anste r eine moderne marktwirtschaliche Politik. Die INSM

    wird von den Arbeitgeberverbnden der Metall- und Elektroindustrie nanziert. Sie steht

    r Freiheit und Verantwortung, Eigentum und Wettbewerb, Haung und sozialen Ausgleich

    als Grundvoraussetzungen r mehr Wohlstand und eilhabechancen.

    iMPrESSuM

  • 8/3/2019 Was ist neu an der Neuen Sozialen Marktwirtschaft?

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    Pro. Dr. Andreas Freytag ist Proessor r Wirtschaspolitik an der Friedrich-

    Schiller-Universitt Jena. Er lehrt auerdem regelmig an der echnischen

    Universitt allinn. Vor der Beruung nach Jena orschte und lehrte Freytag an

    der Universitt zu Kln, der Cambridge University und der estnischen Zent-

    ralbank. Er ist assoziiert mit dem European Centre or International Political

    Economy in Brssel, dem South Arican Institute or International Aairs in

    Johannesburg und der G8-Research Group an der University o oronto. Er

    studierte Volkswirtschaslehre in Kiel, promovierte und habilitierte in Kln.Freytag ist Autor zahlreicher Austze und Bcher, u. a. des mit Juergen B. Donges gemeinsam verassten

    Lehrbuchs Allgemeine Wirtschaspolitik (UB, 3. Auage 2009). berdies beteiligt er sich regelmig

    an der aktuellen wirtschaspolitischen Debatte, so auch im konomenblog (www.oekonomenblog.de).

    Andreas Freytag