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1 Ausgabe 1 Preis: Spende WAS TUN! RKJ Revolutionär- kommunistische Jugend

Was tun! Nr. 1

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"Was tun!" ist die Zeitung der Revolutionär-kommunistischen Jugend – einer trotzkistischen Jugendorganisation, die sich gerade gründet. Mit dieser Zeitung möchten wir dazu beitragen zu klären, was für eine Jugendorganisation wir heute in Deutschland brauchen.

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Page 1: Was tun! Nr. 1

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Ausgabe 1 Preis: Spende

WAS TUN!

RKJ Revolutionär-kommunistischeJugend

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RKJWer wir sind

Die Revolutionär-kommunistische

Jugend (RKJ) ist eine Jugendorga-

nisation im Aufbau, die aus Unab-

hängigen, Jugendlichen von RedBrain

und WaffenDerKritk, sowie Mitgliedern

der Revolutionären Internationalistischen

Organisation (RIO) besteht. Wir sind an

Schulen und Universitäten aktiv und se-

hen uns ideologisch dem revolutionären

Marxismus verpflichtet.

Sowohl in der Theorie als auch in der

Praxis verteidigen wir die Unabhängigkeit

und Zentralität der Arbeiter*innenklas-

se zur Überwindung des Kapitalismus in

der Tradition der revolutionären Methode

Marx’, Engels’, Lenins und Trotzkis. Ebenso

verstehen wir uns als anti- imperialistisch,

antirassistisch und antisexistisch und

kämpfen mit aller Kraft gegen diese Un-

terdrückungsformen an.

Wir sind der festen Überzeugung, dass

der Sozialismus nur auf den Trümmern der

alten Gesellschaft, d.h. durch die Zerschla-

gung des bürgerlichen Staates und nur

international erreicht werden. Aus diesem

Streben heraus kämpfen wir an der Seite

der Ausgebeuteten und Unterdrückten.

Proletarier*innen

aller Länder

vereinigt euch!

Jugend gegen Ausbeutung

Wie organisieren wir uns gegen die Auswirkungen der Krise?

von Bastian Schmidt

Klassenkampf statt Vaterland

Woher kommt Nationalismus und wie kämpfen wir gegen ihn?

von Bastian Schmidt

Was tun, wenn es brennt?

Welche Strategie gegen Faschismus?

von Alexej Geworkian

Verteidigung des Trotzkismus

Was ist Trotzkismus und was bedeutet er für unsere Praxis?

von Kofi Lumumba

Lost Generation?

Wie muss die Jugend gegen den Imperialismus kämpfen?

von Alexej Geworkian und Kofi Lumumba

Revolution statt Reform

Bieten reformistische Phänomene einen Ausweg aus der Krise?

von Max Karlmann

Klassenkampf und

revolutionärer Feminismus

Was ist heute die Aufgabe eines revolutionären Feminismus?

von Brot und Rosen

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Kontaktfacebook.c

om/rkjugend

Was tun!... ist die Zeitung der Revolutionär-kommunistischen

Jugend – einer trotzkistischen Jugendorganisation, die

sich gerade gründet. Mit dieser Zeitung möchten wir

dazu beitragen zu klären, was für eine Jugendorganisa-

tion wir heute in Deutschland brauchen.

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von Bastian Schmidt

Die Bedeutung der kapitalistischen Krise seit 2007 wird Arbeiter*innen und Jugendlichen in Südeuropa besonders hart vor Augen ge-

führt. 51 Prozent Jugendarbeitslosigkeit in Grie-chenland, 48 Prozent in Spanien. Die, die es sich leisten können, suchen in anderen Ländern Europas eine Perspektive. Das ist vor allem die Folge einer brutalen Kürzungspolitik der dortigen Regierungen, die unter dem Troika1-Diktat durchgesetzt wurde. Privatisierungen wurden weiter ausgeweitet und ein massiver Stellenabbau vorangetrieben. Das Ziel sind Einsparungen auf den Schultern der Ausgebeuteten und die nachhaltige Umstrukturierung des europäi-schen Arbeitsmarktes nach deutschem Vorbild.

Denn auch wenn die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland im europäischen Vergleich am gerings-ten ist, wurde der Arbeitsmarkt im Sinne von Kapi-talinteressen liberalisiert, sodass Vollbeschäftigung unter Jugendlichen eine Seltenheit ist. Das betrifft vor allem junge Frauen und People of Colour (PoC), das heißt Menschen, die in Deutschland sexistisch und rassistisch diskriminiert werden. Diese Entwick-lung hin zu Teilzeitbeschäftigung wurde in Deutsch-land mit der Agenda 2010 eingeläutet. Ein Viertel der jungen Menschen zwischen 15 und 25 Jahren arbeitet heute in prekären Beschäftigungsverhältnis-sen, oft neben der Ausbildung2. Das heißt, sie haben nur unsichere befristete Verträge, verdienen wenig und ihre Arbeitszeiten ändern sich ständig. Die Fol-gen sind neben erhöhten psychischen Belastungen aufgrund unsicherer Zukunftsaussichten auch die Aushöhlung von Arbeiter*innenrechten, wie dem Kündigungsschutz.

Gewerkschaften in Routine gefangen

Die Antwort der Gewerkschaften auf diese neueste Entwicklung ist ernüchternd. Sie hängen weiter an

1 Die Troika besteht aus der Europäischen Kommission, der Eu-

ropäischen Zentralbank (EZB) und dem Internationalen Währungs-

fond (IWF) – und heißt jetzt „Institutionen“

2 Vgl. http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/010/1801029.pdf

der Sozialpartnerschaft: Statt in Konfrontation mit den Kapitalist*innen zu gehen, setzen sie auf Ver-handlungen und Zusammenarbeit mit ihnen. Diese Praxis der Apparate widerspricht den Erfahrungen vieler Jugendlicher, die keinerlei Sozialpartnerschaft von ihren Bossen erleben. Auch die Tatsache, dass mit der Agenda 2010 der härteste Angriff auf Arbei-ter*innenrechte in Deutschland von Gewerkschafts-führungen mit ausgehandelt wurde, senkt das Ver-trauen in diese Organe. Der ohnehin schon geringe gewerkschaftliche Organisationsgrad in Deutsch-land von 18 Prozent ist bei unter 25-Jährigen noch einmal geringer. Das hängt auch damit zusammen, dass viele Jugendliche ihre prekären Arbeitsverhält-nisse neben der Ausbildung oft nur als Übergangssi-tuation empfinden, die ihnen einen praktischen Ne-benverdienst einbringen. Dazu kommt der massive Druck der Kapitalist*innen auf die Arbeiter*innen durch die Befristung von Arbeitsverhältnissen. Um

Die kapitalistische Krise schlägt immer größere Wellen in Europa. Auch die Jugend in Deutsch-land bekommt die Auswirkungen der Krise und der Agenda 2010 zu spüren. Wie müssen wir uns dagegen organisieren?

AusbeutungJugend gegen

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den eigenen Job nicht durch Konflikte mit den Bos-sen zu verlieren, schrecken viele vor gewerkschaft-licher Organisierung zurück.

Doch auch eine abgeschlossene Ausbildung ist heutzutage alles andere als ein Garant für einen sicheren Vollzeitjob. Diese Entwicklung hin zu Teil-zeitarbeit wird von bürgerlichen Kräften zynischer-weise als die beste „Work-Life-Balance“3 bezeich-net. Die gewerkschaftlichen Apparate schauen dieser Entwicklung weitestgehend ohnmächtig zu.

Allerdings bedeutet dies nicht, dass die Jugend-lichen sich nicht in Gewerkschaften organisieren sollten. Im Gegenteil: je niedriger der gewerk-schaftliche Organisationsgrad im Betrieb, desto schlechter die Arbeitsbedingungen. Die Gewerk-schaften sind auch weiterhin die Basis für den Kampf um weitere Rechte. Ihr derzeitiger ver-krusteter Zustand bedeutet nichts anderes, als dass wir einen intensiveren Kampf um die Rück-eroberung unserer Gewerkschaften führen müs-sen!

Ein Weg für die Jugend!Die Jugend hat ihre gesamte Zukunft noch vor

sich. Viele Jugendliche sind im Gegensatz zu al-ten Gewerkschaftsmitgliedern bisher kaum mit schlechten Erfahrungen belastet. Manöver, die ihr Engagement bremsen und ihre Interessen verraten sollen, können sie deshalb besser er-kennen und dagegen kämpfen. Das bedeutet aber in keiner Weise, darauf zu setzen, weitere junge Bürokrat*innen auf der gewerkschaftli-chen Karriereleiter aufsteigen zu lassen. Viel-mehr ist es notwendig klassenkämpferische, von den Führungen unabhängige, Basisstruk-turen in Gewerkschaften aufzubauen, in denen Jugendliche als Arbeiter*innen gegen die An-griffe auf ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen kämpfen. Diese Strukturen ermöglichen erst den erfolgreichen Kampf gegen die Kapita-list*innen und die sozialpartnerschaftlichen Ge-werkschaftsführungen, wenn diese gegen die Interessen der Arbeiter*innen handeln.

Eine solche gewerkschaftliche Organisierung ersetzt dabei keinesfalls den Aufbau einer re-volutionären Partei der Jugend und der Arbei-ter*innen.

Die meisten Jugendlichen arbeiten heute schon und werden in Zukunft ein besonders prekarisierter Teil der lohnabhängigen Klasse sein. Unter einem enormen Leistungsdruck werden sie auf ihre Zukunft vorbereitet. Des-halb stellen wir die Forderung nach dem Recht auf einen freien Ausbildungsplatz, der min-destens nach dem Mindestlohn bezahlt wird, auf. An der Seite der Arbeiter*innen müssen wir um unsere Arbeitsbedingungen von heute und morgen kämpfen.

3 Vgl. http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschafts

politik/armut-und-reichtum/arbeitsmarkt-check-

hat-die-agenda-2010-beschaeftigung-gbracht-12117587.

html

Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen [und nicht von Völkern]. – Karl Marx

Klassenkampfvon Bastian Schmidt

Die sozialen Widersprüche in Europa spitzen sich seit dem Ausbruch der Krise 2007 massiv zu. Arbeitslosigkeit, Kürzungspolitik und Mas-

senentlassung stehen auf der Tagesordnung. Schul-dige sind für viele bürgerliche Politiker*innen schnell gefunden: Die Griech*innen seien einfach zu faul, Roma grundsätzlich kriminell und Muslime/Muslimas alles potentielle IS-Terrorist*innen.

Demgegenüber stehe vielfach der*die durch-schnittliche Deutsche, der*die fleißig, ordentlich und pünktlich sei. Solch eine nationale Identität ist dann nicht einfach nur ein Merkmal, sondern wird genutzt, um beispielsweise die gute Wirtschaftslage in Deutschland zu erklären. Umgekehrt stören dann natürlich „die Ausländer“ das nationale Miteinander, weil sie aufgrund ihrer Nationalität nicht mit diesen „deutschen“ Tugenden gesegnet worden seien. Be-sonders in Krisenzeiten bedienen sich auch bürger-liche Politiker*innen dieser nationalistischen Unter-scheidung, um Diskriminierungen an Schulen, Unis und in Betrieben zu rechtfertigen.

Nation und KapitalDamit verschwimmt umso mehr der echte Gegen-

satz in dieser Gesellschaft: der Gegensatz zwischen den Interessen der Kapitalist*innen und denen der Arbeiter*innen. Denn sichere Arbeitsverhältnisse und hohe Löhne sind keinesfalls im Interesse von Kapitalist*innen, die aus der Arbeit maximalen Pro-fit herausschlagen wollen und müssen. „Müssen“ deshalb, weil sie in stetiger Konkurrenz gegenüber anderen Kapitalist*innen stehen. Dazu kommt die internationale Konkurrenz ver-

schiedener nationaler Kapitalfraktionen. Diese Kon-kurrenz macht den bürgerlichen Staat für den*die Kapitalist*in unerlässlich. Denn der Staat mit seinen Gesetzen schafft erst die Bedingungen für die ka-pitalistische Konkurrenz mit Marktliberalisierungen und Eigentumsschutz. Auch nach außen vertritt der Staat die Interessen seiner Kapitalist*innen, indem er meist ökonomisch unterentwickelte Staa-ten durch Kapitalexporte in die Konkurrenz zwingt. Damit schafft er einerseits Abhängigkeit und ande-rerseits billige Absatzmärkte für die eigenen Pro-dukte.

Lohndrückerei und Prekarisierung sind dabei ledig-lich Teil des Kampfes um Marktanteile und damit Teil

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unserer kapitalistischen Gesellschaft. Ein*e Kapita-list*in muss deshalb keineswegs ein „schlechter“ Mensch und damit eine Ausnahme sein, wie es uns immer wieder versucht wird zu erläutern, wenn die Wirtschaft mal wieder in die Krise rutscht. Er*Sie wird von der nationalen und internationalen kapi-talistischen Konkurrenz zu diesem Handeln gezwun-gen. Dabei wird die Konkurrenz der verschiedenen nationalen Kapitale auch dafür genutzt, uns zu er-klären, dass wir die gleichen Interessen wie die Ka-pitalist*innen unserer Länder hätten. So werden die Klassenwidersprüche zwischen Kapital und Arbeit verschleiert und an deren Stelle ein nationales und sozialpartnerschaftliches Miteinander gestellt.

Nationale Einheit?Viele Jugendliche erleben schon frühzeitig in der

Schule und an Universitäten eine Mystifizierung des Begriffs „Nation“. Die Entstehung von Natio-nen wird uns als Geschichte von „großen Männern“ verkauft, deren Handeln von bestimmten nationa-len Tugenden geprägt worden sei. Vielfach wird auch heute noch die „nationale Einheit“ seitens der Bourgeoisie beschworen, obwohl gerade sie in ihren historischen Revolutionen oftmals die „Hilfe“ des Proletariats gegen Adel und Klerus brauchte.

Als sich dann kämpferische Arbeiter*innen und Ju-gendliche mit Massenstreiks gegen diese bürgerli-che Klasse, beispielsweise in Frankreich, wehrten, wurden diese Proteste mit Unterstützung von Otto v. Bismarcks Truppen aus Deutschland blutig nieder-geschlagen. Höhepunkt war die Niederschlagung der Pariser Kommune 1871, in deren Folge meh-rere Zehntausend Kommunard*innen massakriert wurden – auch andere europäische Länder erlebten ähnliche Auseinandersetzungen, in denen letztlich bürgerliche Kräfte in Zusammenarbeit mit ehemals feudalen Kräften die proletarischen Kämpfe unter-drückten und niederschlugen.

Die Jugend hat kein VaterlandAngesichts der objektiven Klassenwidersprüche

und der Entstehungsgeschichte heutiger National-

staaten von nationaler Einheit oder Volkssolidarität zu sprechen, ist also blanker Hohn für das Andenken vieler Kämpfer*innen für die sozialistische Revoluti-on. Nationalismus ist aber auch heute noch Alltag: Wir finden bis heute nationalistische und rassistische Spaltungen innerhalb der Jugend und der Arbei-ter*innen vor. Weiter gefördert wird das durch struk-turelle Diskriminierungen: Sei es durch erschwer-ten Zugang zu Schulen und Universitäten, durch die Nicht-Anerkennung ausländischer Abschlüsse, durch schlechtere Benotungen aufgrund der Her-kunft oder Diskriminierung bei der Wohnungs- und Arbeitssuche. Dieser Spaltung müssen wir uns heute gemeinsam entgegenstellen.

Die Jugendlichen sind oft die ersten, die die Aus-wirkungen von zunehmenden Angriffen auf Lebens-bedingungen durch die Kapitalist*innen erfahren. Jede klassenversöhnlerische Politik mit den Aus-beuter*innen ist dabei nicht nur dem Untergang geweiht, sondern stärkt unmittelbar nationalisti-sche und faschistische Kräfte. In Griechenland zum Beispiel erleben wir nach dem Verrat der „linken“ Syriza an den Arbeiter*innen und Jugendlichen eine politische Hinwendung zur faschistischen Par-tei „Goldene Morgenröte“, die bei 18 bis 24-jähri-gen mittlerweile die stärkste Kraft darstellt. Dem-gegenüber brauchen wir eine klassenunabhängige Organisierung von Jugendlichen gemeinsam mit Arbeiter*innen, die gegen jede Form von nationa-listischer und rassistischer Politik innerhalb und au-ßerhalb dieser Organisation kämpft.

➤ Sofortiger Stopp aller Grenzkontrollen! Bedin-gungsloses Bleiberecht für alle Geflüchteten unabhängig von der Herkunft!

➤ Für die Anerkennung aller ausländischen Ab-schlüsse!

➤ Für einen gleichberechtigten Zugang zu Bil-dungseinrichtungen und zum Arbeitsmarkt!

➤ Für eine Bildung ohne Rassismus an Schule, Universität und Ausbildungsplatz!

KlassenkampfVaterland!

statt

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Von Alexej Geworkian

Obwohl selbst bürgerliche Politiker*innen jetzt Refugees Welcome rufen, nehmen die Angriffe auf Geflüchtete nicht ab. Obwohl

die bürgerlichen Medien jetzt Angela Merkel dafür feiern, wie „weltoffen“ und „aufgeschlossen“ sie gegenüber Geflüchteten sei, steigt die Zahl der Ab-schiebungen. Und obwohl die Kriege in Syrien und Irak seit Jahren toben, geben sich die deutschen und europäischen Behörden als „unvorbereitet“ und sind nicht in der Lage, eine menschenwürdige Asylpolitik zu machen. Wie erklärt sich diese Widersprüchlich-keit? Wie erklärt es sich, dass die Angriffe auf Ge-flüchtetenheime zwar seit Jahresbeginn andauern, die Reaktion der Linken aber eher zurückhaltend denn offensiv ist? Hieß Antifa nicht Angriff?

Die radikale Linke in Deutschland hat sich in den letzten Jahren stark umstrukturiert. Das lag unter anderem an politischen Differenzen über die not-wendige Strategie gegenüber staatlichen Angriffen. Doch daraus entstanden beinahe keine revolutio-nären Gruppen und keineswegs Parteien, die eine Strategie für die Verankerung in der Jugend und der Arbeiter*innenklasse vorweisen können. Die Konse-quenz ist, dass zwar den faschistischen Aufmärschen stets eine gewisse Zahl an Gegendemonstrierenden begegnet, dass aber von einer Massenmobilisierung gegen Rechts nicht die Rede sein kann …

Bürgerlicher „Antifaschismus“… außer wenn die großen bürgerlichen Parteien

wie die SPD oder die Grünen zu antirassistischen Kundgebungen aufrufen, wie am 12.09. am Rathaus-markt in Hamburg. Mehrere Tausend Menschen sind dort anwesend und auch in Berlin waren die „NoBär-gida“-Proteste am größten, als diese Parteien zur Kundgebung am Brandenburger Tor aufriefen. Nur scheinbar paradox, dass etwa zur gleichen Zeit Län-der wie Bosnien und Herzegowina, Serbien und Mazedonien zu „sicheren Herkunftsstaaten“ erklärt wurden. Dies bedeutet, dass Asylsuchende aus die-sen Ländern generell kein Asyl bekommen. Während sich also die bürgerlichen Parteien einen „antirassis-

Die ständigen rassistischen Angriffe auf Geflüchtetenheime rufen nach Gegenwehr. Wie kann diese vorangetrieben und organisiert werden?

Was tun, wenn es brennt?

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Was tun, wenn es brennt?

tischen“ Touch geben, schieben sie weiterhin fleißig ab. Ebenso sind diese Parteien dafür verantwortlich, dass imperialistische Kriege ausgelöst und Waffe-nexporte erhöht werden. Deshalb ist es notwendig, die heuchlerische Politik dieser Kriegsparteien zu entlarven und demgegenüber eine eigene revolutio-näre Perspektive entgegenzusetzen.

Es ist also notwendig, für eine unabhängige Pers-pektive jenseits dieser Parteien zu kämpfen. Wir dür-fen auch beim Kampf gegen die Faschist*innen, kein Vertrauen in den bürgerlichen Staat haben. Denn obwohl sich die bürgerlichen Politiker*innen von den Nazis distanzieren und sie als „Pack“ bezeich-nen, sind sie sich dennoch nicht zu schade dafür, ihre Forderungen nach Verschärfungen des Asylrechts und der Wiedereinführung von Grenzkontrollen zu akzeptieren und durchzusetzen. Das Ergebnis davon ist ein Doppeldiskurs, von dem wir uns nicht blen-den lassen dürfen. Das bedeutet, dass ein Kampf gegen rassistische und faschistische Strukturen nur mit einem gleichzeitigen Kampf gegen den bürger-lichen Staat stattfinden kann. Jedoch bedeutet eine unabhängige Strategie keineswegs ein Programm, das zum Beispiel aus individualistischen autonomen Aktionen gegen den Staat oder die Faschist*innen besteht. Und zwar nicht, weil wir Mitleid mit den Faschist*innen oder den Herrschenden hätten, son-dern weil wir sie viel effektiver mit Massenaktionen schlagen können, basierend auf der Selbstorganisie-rung der Unterdrückten und Ausgebeuteten.

Angriff gegen Faschismus, Staat und Kapital

Diese Angriffe der Faschist*innen auf Migrant*in-nen sowie die Angriffe der Regierung auf die Rech-te der Geflüchteten bilden also zwei Seiten ein und derselben Medaille. Sie müssen deshalb gleichzeitig bekämpft werden. Die Situation erfordert den Auf-bau von antirassistischen Basisstrukturen an Schulen und Universitäten durch Jugendliche, die dem all-täglichen Rassismus von Nationalist*innen auf der Straße und in den Regierungen etwas entgegenset-zen. Aus diesen Strukturen können darüber hinaus

Selbstverteidigungskomitees von Geflüchteten und Aktivist*innen entstehen, um der unmittelbaren Ge-fahr zu begegnen. Aber es wäre ein fataler Fehler zu glauben, dass diese Selbstverteidigung rein passiv wäre: schon der preußische Militärstratege Carl v. Clausewitz hat betont, dass eine Verteidigung aktiv und mit „geschickten Schlägen“ gepaart sein müss-te. Doch damit fängt es erst an.

Die Jugend allein hat selbst relativ wenig Einfluss auf die herrschende Politik. Ein Schulstreik, ein Unistreik hat zwar eine starke Symbolkraft, jedoch schadet sie dem bürgerlichen Staat nur sehr be-dingt. Notwendig ist deshalb die Verbindung der Basisstrukturen mit kämpferischen Arbeiter*innen. Denn allein die Arbeiter*innenklasse hat die soziale Macht, die Produktion in Deutschland lahmzulegen. Man stelle sich nur einmal vor, ver.di oder die GdL würden gegen Arbeitsverbote und Residenzpflicht streiken. Die Forderungen wären vermutlich schnell erfüllt.

Hunderttausende von Geflüchteten werden in den nächsten Monaten in den Arbeitsmarkt integriert werden. Das Kapital will sie als billige Arbeitskräf-te missbrauchen. Daher schürt es auch Hass und Rassismus unter den Arbeiter*innenmassen, die sich eher als Konkurrent*innen denn als Klassenge-schwister sehen sollen. Die Absicht dahinter ist klar: Sie sollen sich lieber selbst bekämpfen, anstatt sich gegen ihre Bosse gemeinsam zu organisieren. Denn sie haben einen gemeinsamen Feind: die Bourgeoi-sie. Es ist der Staat, dieses Instrument der herr-schenden Klasse, welcher im gleichen Atemzuge das Streikrecht massiv einschränkt und den Geflüchte-ten ihre demokratischen Rechte verwehrt. Es ist die Bourgeoisie, die sich der faschistischen Banden als Vorwand bedient, um weitere Einschränkungen des Asylrechts durchzusetzen. Die Bourgeoisie ist es, welche die Arbeiter*innen tagtäglich ausbeutet und Jugendliche und Frauen unterdrückt. Ohne Zweifel: der Kampf gegen den Faschismus kann nur auch ein Kampf gegen Staat und Kapital sein.

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von Kofi Lumumba

Der überwältigende Erfolg der Oktoberrevolu-tion in Russland wurde entscheidend beein-flusst von Lenins Rückkehr aus dem Exil und

den von ihm verfassten Aprilthesen.So sollte unter der Parole „des Überganges der

Macht in die Hände des Proletariats und der sich ihm anschließenden ärmsten Teile der Bauernschaft“ der Kampf gegen die klassenversöhnlerische Politik Sta-lins und Kamenews erfolgen. Wie die Menschewiki unterstützten sie die bürgerliche Übergangsregie-rung, noch dazu trat Kamenew für die Vaterlands-verteidigung gegen Deutschland ein.

Damit übernahm Lenin die Theorie, die Trotzki in seinem 1906 veröffentlichtem Buch „Ergebnisse und Perspektiven“ entwickelte und die später als Theorie der permanenten Revolution bekannt wer-den sollte. Die zentralen Schlussfolgerungen hierfür konnte Trotzki aus den Erfahrungen der Revolution von 1905 ziehen, in der er der Vorsitzende des Pe-trograder Sowjets war.

Permanente RevolutionWährend die bürgerlichen Revolutionen in den

meisten Ländern Europas längst die Herrschaft des Adels beendet und die Bourgeoisie an die Macht gebracht hatten, steckte Russland noch tief im feu-dalen Sumpf. Durch den ökonomischen und mili-tärischen Druck der umliegenden Staaten und das Fehlen einer eigenen starken nationalen Bourgeoisie wurde der Zarismus dazu gedrängt, für die Stabili-sierung seiner Macht nach außen selbst die kapitalis-tische Entwicklung anzutreiben. Deshalb explodier-ten bis zum Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts die Staatsausgaben für Militär und Industrie in den Städten, die auch Ziel von Investitionen des interna-tionalen Kapitals wurden. Währenddessen herrschte auf dem Land noch die Kleinproduktion vor. Es wur-de also in Russland gleichzeitig unter modernsten und unter veralteten vorindustriellen Bedingungen produziert.

Dies fasste Trotzki unter dem Gesetz der „unglei-chen und kombinierten Entwicklung“ zusammen, das die Entwicklung der rückständigen durch den Einfluss der fortgeschritteneren kapitalistischen Län-der beschreibt. Diese Nationen durchlaufen nicht dieselben Schritte, sondern können einzelne Stufen überspringen und sich gewisse technische Errungen-

schaften der fortgeschritteneren Staaten aneignen.In dieser widersprüchlichen Situation schlussfolger-

te Trotzki, dass die Bourgeoisie weder den Willen noch die Kraft haben würde, um die Lage der bäuer-lichen Massen mittels Lösung der Agrarfrage zu ver-bessern, geschweige denn die Lage des wachsen-den Proletariats. Denn dafür war sie zu schwach und hatte zu viel Angst vor der Stärke des mobilisierten Proletariats. Die Aufgaben, die zuvor von den nati-onal-liberalen Bourgeois erfüllt wurden, konnte jetzt nur die Arbeiter*innenklasse bewältigen: Sturz des Adels und Agrarrevolution.

Entgegen einiger Annahmen ist das Bauerntum nicht eine eigene Klasse. Es besteht vielmehr aus verschiedenen Schichten, die sich durch große He-terogenität auszeichnen. Die Geschichte hat ge-zeigt, dass die Parteien des Bauerntums zwischen den Bolschewiki, das heißt der Partei der Revoluti-onär*innen um Lenin und Trotzki und den Parteien der Bourgeoisie schwankten und nicht in der Lage waren „eine selbstständige politische Rolle zu spie-len“. Aber Bäuer*innen machten in Russland einen Großteil der Bevölkerung aus. Die Frage, welche Rolle sie in der Revolution zu spielen hatten, war also eine sehr wichtige.

Trotzki erkannte in diesem Zusammenhang die Un-zulänglichkeit der Parole der „demokratischen Dikta-tur der Arbeiter und Bauern“ und setzte ihr die Not-wendigkeit der Diktatur des Proletariats im Bund mit den bäuerlichen Massen entgegen. Das Proletariat, als revolutionäre Klasse, muss in der Revolution sei-ne Klassenunabhängigkeit bewahren und mit seinen fortschrittlichen Forderungen die Bauernschaft ge-gen die Bourgeoisie führen. Um die demokratischen und sozialen Errungenschaften zu sichern, die durch den Sturz der Kapitalist*innen erreicht werden, ist es allerdings notwendig, auch nach ihrem Sturz sozialis-tische Maßnahmen gegen die Bourgeoisie zu ergrei-fen. Die Diktatur der Bourgeoisie muss also durch die Diktatur des Proletariats ersetzt werden.

So waren Trotzkis Theorie und Lenins Aprilthesen eine Absage an die menschewistische Etappenthe-orie. Diese besagte, dass zuerst gemeinsam mit progressiven bürgerlichen Kräften der Zarismus ge-stürzt und eine bürgerlich-kapitalistische Ordnung hergestellt werden müsse, bevor später die sozia-le Revolution folgen würde. Auch die stalinistische Theorie des „Sozialismus in einem Land“ wurde schon lange vor ihrer Entstehung widerlegt: Perma-

Verteidigung des TrotzkismusDie Revolutionär-kommunistische Jugend versteht sich in ihren Grundsätzen als trotzkistisch.Der nachfolgende Artikel soll den Anfang einer Debatte über den Trotzkismus und seine Aktua-lität auf theoretischer Ebene sowie die daraus folgenden praktischen Schritte bilden.

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Verteidigung des Trotzkismusnenz bedeutet nicht nur, dass es kein Verweilen auf einer Etappe, sondern auch, dass es keinen Sieg vor der Weltrevolution geben kann.

Die Ansätze der Theorie der permanenten Revolu-tion wurden durch Marx und Engels nach der deut-schen Revolution von 1848 herausgearbeitet, bei der das liberale Bürgertum im Gegensatz zu 1789 in Frankreich keine revolutionäre Rolle spielen konnte. Eine weitere zentrale Erfahrung war die der Pariser Kommune im Jahr 1871. Marx erkannte hier, dass es nicht ausreichend war, den bürgerlichen Staatsap-parat zu übernehmen – er musste zerschlagen und an seiner Stelle ein proletarischer Staat aufgebaut werden.

Es handelt sich also letztendlich um die weiterfüh-rende Theoretisierung und praktische Anwendung von Gedanken, die ihren Ursprung bei Marx und Engels haben. Die Theorie erwies sich auch prak-tisch, weil sie der russischen Revolution gegen den Etappismus der Menschewiki zum Erfolg verhalf. Sie behält auch heute noch ihre Gültigkeit in den halb-kolonialen Ländern nicht nur in Bezug auf die demo-kratische, sondern auch auf die nationale Frage und die Befreiung vom imperialistischen Joch.

ÜbergangsprogrammEinen weiteren bedeutenden Beitrag Trotzkis zum

methodischen Repertoire des revolutionären Mar-xismus stellt das Übergangsprogramm dar. Es wurde 1938 auf dem Gründungskongress der IV. Internati-onale vorgestellt und kann als ihr programmatisches Manifest betrachtet werden.

Die sozialdemokratischen Parteien, die zur Zeit des aufstrebenden Kapitalismus existierten, besaßen ein System aus Minimal- und Maximalprogramm, also die Forderungen der Tageskämpfe einerseits und der sozialen Revolution andererseits. Dies war in einer Epoche, als es noch möglich war, begrenzte Zugeständnisse seitens der Kapitalist*innen zu er-wirken. In der Zeit des kapitalistischen Niedergangs fielen diese Zugeständnisse jedoch Stück für Stück weg und die Unzulänglichkeit der bisherigen Heran-gehensweise zeigte sich.

Im Übergangsprogramm dagegen sind Forderun-gen für den alltäglichen Kampf enthalten, deren Zuspitzung die bürgerliche Ordnung und das Pri-vateigentum in Frage stellen: Forderungen, die die Massen zum Sozialismus führen, wenn sie von ihnen

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aufgegriffen werden.Es beinhaltet Forderungen wie der Erhöhung der

Löhne und ihrer permanenten Anpassung an die In-flation. Oder die Forderung nach einer gleitenden Skala der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich, so-wohl als Mittel gegen strukturelle als auch konjunk-turelle Arbeitslosigkeit oder die nach der Öffnung der Geschäftsbücher, um die Lügen der Bourgeois zu entlarven, wenn sie Stellen streichen oder Gehäl-ter kürzen wollen – all das verschärft die Konfrontati-on der Klassen auf ökonomischer wie auf politischer Ebene.

Trotzki geht jedoch auch auf die Notwendigkeit ein, die wichtigsten Industrien sofort und ohne Ent-schädigung (!) zu enteignen, die Banken zu verstaat-lichen und in einer Nationalbank unter der Kontrol-le des Proletariats zu vereinen, um die Kosten der Krise nicht auf die Arbeiter*innenklasse, die durch Spekulation Arbeit, Brot und Wohnung verliert, ab-zuwälzen.

Diese Forderungen müssen getragen werden von Komitees in den Betrieben, die von allen Arbei-ter*innen gewählt werden und „einen organisier-ten Ausdruck“ ansonsten spontaner Aktionen wie Streiks und Besetzungen darstellen, während denen die Frage nach der Herrschaft im Betrieb sich stellt.

Von der Stärke und Verankerung dieser Komitees hängt ab, ob Forderungen wie die Öffnung der Ge-schäftsbücher umgesetzt werden können, denn sie sind es, die stattdessen die Kontrolle übernehmen müssen. Mit dem Erreichen der Hegemonie in den Betrieben, wenn die Arbeiter*innen immer mehr die Planung der Produktion übernehmen, zeigt sich die Arbeiter*innenkontrolle als Schule der Planwirt-schaft. So „bereitet sich das Proletariat darauf vor, unmittelbar die Führung der nationalisierten Indust-rie zu übernehmen, wenn die Stunde dafür geschla-gen hat.“

Aus den Komitees und Streikposten müssen, wenn sich zu Zeiten von Streiks der Klassenkampf verschärft, unweigerlich Organe der proletarischen Selbstverteidigung werden. Schon heute sehen sich Streikende immer wieder dem Polizeiapparat ge-genüber, während faschistische Banden ihre Feind-schaft gegenüber Gewerkschaften äußern und am 1. Mai in verschiedenen Städten die Demonstrationen des DGB angreifen.

Die Bewaffnung des Proletariats muss dabei durch die Organisationen der Arbeiter*innenklasse durch-geführt werden und darf sich nicht vom Rahmen der bürgerlichen Gesetze oder der Moral beschränken lassen, sondern einzig und allein vom Klassenstand-punkt aus erfolgen. Hier und in all den beschriebe-nen Prozessen ist eine revolutionäre Partei notwen-dig, die die Avantgarde der Arbeiter*innen vereint, die Erkenntnisse der Klassenkämpfe der Vergangen-heit in sein Programm aufnimmt und um die Vor-herrschaft in den Organen der Selbstorganisierung kämpft.

Es geht heute jedoch nicht darum, das Übergangs-

programm als „Bedienungsanleitung“ für Revoluti-onär*innen zu betrachten. Vielmehr verhält es sich wie mit dem kommunistischen Manifest, von dem Marx und Engels im Vorwort zur deutschen Ausgabe von 1872 erklärten:

„Wie sehr sich auch die Verhältnisse in den letzten fünfundzwanzig Jahren geändert haben, die in die-sem ‘Manifest’ entwickelten allgemeinen Grundsät-ze behalten im ganzen und großen auch heute noch ihre volle Richtigkeit. Einzelnes wäre hier und da zu bessern.“

Wie zu Zeiten des Übergangsprogramms befinden wir uns auch heute immer noch im Zeitalter des Im-perialismus. Seine Strategie und seine Forderungen bleiben deswegen auch heute noch aktuell.

Trotzkismus vs. StalinismusDie von Trotzki gegründete IV. Internationale

kämpfte gegen den Kapitalismus, aber sie wendete sich auch gegen die bürokratische Degeneration der Sowjetunion und der Kommunistischen Internationa-le (der III. Internationale). Im Übergangsprogramm zeigte sie die Notwendigkeit auf, die herrschende Bürokratie zu entmachten und die Macht der Sow-jets, das heißt der Räte, die die Grundlage der Revo-lution gewesen waren, wiederherzustellen und ihnen ihre „freie demokratische Form“ wiederzugeben.

Die Herrschaft der Bürokratie zeigte sich auch auf theoretischer Ebene: Niemand in der Partei der Bol-schewiki wäre vor Lenins Tod 1924 überhaupt auf den Gedanken eines „Sozialismus in einem Land“ gekommen. Die Vorstellung davon, Sozialismus nur in der Sowjetunion aufbauen zu können, hatte sich aber zur Zeit der Gründung der IV. Internationale lange durchgesetzt. Dass dies geschehen konnte, hängt maßgeblich mit dem wachsenden Einfluss der Sowjetbürokratie zusammen, deren Verkörperung Josef Stalin wurde. Stalins Theorie diente zur Recht-fertigung der Herrschaft dieser Kaste, die anfing die Arbeiter*innenklasse zu unterdrücken, die Gewerk-schaften zu entmachten oder jegliche innerparteili-che Demokratie zu ersticken.

Diese Politik hatte dramatische Folgen: Sie führte zu weltweiten Niederlagen der Arbeiter*innenklas-se und der Ermordung einer ganzen Generation an bolschewistischen Revolutionär*innen – darunter auch Leo Trotzki vor 75 Jahren. Die trotzkistische Strategie dagegen beinhaltet die Perspektive der Weltrevolution: Kein Land kann in das Stadium des Sozialismus eintreten, solange die Bedingungen hierfür nicht international gegeben sind. Das bedeu-tet nicht, dass die Revolutionen in vielen Ländern simultan erfolgen müssen – es bedeutet, dass die Revolution permanent und in Beziehung zum inter-nationalen Klassenkampf stattfindet, bis die ganze Welt sozialistisch geworden ist. Dies ist das Banner, um welches sich die Arbeiter*innenmassen scharen müssen, wenn sie im imperialistischen Zeitalter vor der Entscheidung stehen: Sozialismus oder Barbarei.

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Von Alexej Geworkian und Kofi Lumumba

Ist es Zufall, dass die Jugendarbeitslosigkeit in allen Ländern der EU schwindelerregend hoch ist? Oder dass Jugendliche viel häufiger von prekären Ar-

beitsverhältnissen betroffen sind als der Rest der Be-völkerung, vor allem migrantische Jugendliche? Nein. Es liegt am Kapitalismus, dass die Jugend stärker aus-gebeutet und politisch-rechtlich unterdrückt wird. Und das betrifft vor allem Jugendliche aus den vom Imperi-alismus abhängigen Ländern.

So darf es nicht weitergehen Im Rahmen der Weltwirtschaftskrise wurden immer

mehr Jugendliche dazu gezwungen, ihre Heimatländer zu verlassen und in den imperialistischen Zentren unter-bezahlt zu arbeiten. Etliche junge Menschen sind zum Beispiel nach Deutschland gekommen, um so wie wir unter prekären Arbeitsbedingungen einen miserablen Lohn zu bekommen, besonders aus Ländern wie Grie-chenland, Spanien oder Portugal. Ihre Verzweiflung wird dabei ausgenutzt, um die Löhne aller zu drücken. Es ist nicht verwunderlich, dass Deutschland Menschen anzieht, die in ihren Heimatländern keine Perspekti-ven mehr für sich sehen. Denn die deutsche Wirtschaft wächst und die Kapitalist*innen haben Bedarf an neuen Arbeiter*innen, um sie auszubeuten.

Wie kommt es, dass die deutsche Wirtschaft im Ver-gleich zu anderen Ländern so stabil ist? Das liegt an der Rolle Deutschlands auf internationaler Ebene. Wir sprechen im Zusammenhang damit vom deutschen Im-perialismus. Deutschland ist aufgrund seiner hochent-wickelten Wirtschaft in der Lage, seine Güter massen-haft zu exportieren. Dadurch kann das deutsche Kapital Einfluss auf Länder ausüben, die von diesen Exporten abhängig sind. Und nicht nur Waren werden expor-tiert, sondern auch Kapital: Dem deutschen Kapital gehören viele Unternehmen außerhalb Deutschlands. Die deutsche Regierung und unter ihrem Einfluss die europäischen Institutionen handeln dabei im Interes-se der deutschen Bourgeoisie. Zum Beispiel wurden in Griechenland Privatisierungen erzwungen, die deut-schen Kapitalist*innen zugute kamen: Unter anderem wurden privatisierte Flughäfen zu niedrigen Preisen an deutsche Kapitalist*innen verkauft. Der deutsche Im-perialismus versucht alles, um für die deutschen Unter-nehmen einen Vorteil aus der Krise zu schlagen.

Die imperialistischen Länder zwingen also andere Län-der in ein Abhängigkeitsverhältnis. Es geht ihnen dabei einzig und allein um die Profite der Kapitalist*innen, die

expandieren wollen, weil sie in ihren eigenen Ländern an Grenzen stoßen. Die Regierungen der imperialisti-schen Länder setzen die Interessen ihrer Bourgeoisie notfalls auch militärisch durch. Zahlreiche NATO-Krie-ge wie in Libyen, Somalia oder Serbien sind Beispiele dafür.

So kommt es auch zu massiven Geflüchtetenströmen: Millionen Menschen in aller Welt fliehen, nachdem ihre Länder ausgebeutet und zerstört wurden. Dem deut-schen Kapital dienen sie dann als billige und entrechte-te Arbeitskräfte, die teilweise auch illegalisiert arbeiten müssen. Auch viele Jugendliche begeben sich auf die Flucht. Ob nun illegalisiert oder nicht, müssen sie unter den gleichen – oder noch schlimmeren – Bedingungen arbeiten wie wir. Der Imperialismus und die Krise lassen also die Jugend bluten und es sieht fast so aus, als sei daran nichts zu ändern …

Für eine kämpferische Jugend!Doch es gibt zwei Möglichkeiten, wie wir reagieren

können: entweder wir lassen den Kopf hängen – oder wir kämpfen für unsere Zukunft! Wenn wir für unsere Zukunft kämpfen wollen, müssen wir gemeinsam mit allen unterdrückten und ausgebeuteten Jugendlichen hierzulande kämpfen. Dann müssen wir uns selbst or-ganisieren und für unsere politischen Rechte kämpfen! Wir müssen gegen die Ausbeutung der Jugendlichen im Arbeitsleben kämpfen! Wir müssen uns international mit den Jugendlichen in Griechenland, Spanien oder Syrien solidarisieren! Wir müssen den Imperialismus stürzen! Dies können wir nur tun, indem wir zunächst Widerstand gegen die Kapitalist*innen im eigenen Land leisten.

Die Politiker*innen sehen es als ausgemachte Sache an, dass die Jugend stillhält und sich ein Leben lang für die Profite der Kapitalist*innen abschuftet. Wir nicht. Wir wollen unsere Zukunft nicht für verloren geben. Deshalb kämpfen wir mit einem anti-imperialistischen Programm gegen Rassismus und Faschismus, die beide Werkzeuge des Kapitals sind. Der Kampf gegen den Imperialismus muss ein antikapitalistischer sein, weil der Imperialismus nur für die Bedürfnisse des Kapitals da ist. Unser Kampf muss deshalb gemeinsam mit de-nen stattfinden, die wie wir im Kapitalismus ausgebeu-tet und unterdrückt werden. Deshalb organisieren wir uns heute an der Seite der Arbeiter*innen und Frauen für unsere Zukunft.

Lost Generation? No Way!

Lost Generation?Kriege, die im Interesse der Kapitalist*innen geführt werden, zerstören die Lebensgrundlage von Ju-gendlichen auf der ganzen Welt. Und die Jugendarbeitslosigkeit in Ländern wie Griechenland nimmt einer ganzen Generation die Hoffnung auf eine Zukunft. Schuld daran ist der deutsche Imperialis-mus. Was aber heißt Imperialismus und wie kann eine kämpferische Jugend gegen ihn kämpfen?

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von Max Karlmann

Es dröhnt durch die sozialen Netzwerke und Medien. Go Syriza! Es ist der 25. Januar 2015 – in Griechenland wird ein neues Parlament ge-

wählt.Endlich soll der neoliberalen EU das Modell eines

sozialen Europas entgegengesetzt werden! Was schon im Januar klar war, wurde inzwischen

auch durch den Lauf der Dinge bewiesen: Die Regie-rung von Syriza war kein Aufschwung für ein soziales Europa. Sie war nicht einmal das kleinere Übel.

Unter ihrer Fahne gab es im Gegenteil massive Angriffe auf die griechischen Arbeiter*innen und Jugendlichen. Es gab nichts, was sie der Troika und Merkel entgegensetzen konnten.

Am 5. Juli ließ die griechische Regierung eine Volksbefragung ausrichten. Abgestimmt wurde über Spardiktate der „Institutionen“ (Internationaler Wäh-rungsfond, Europäische Zentralbank und EU-Kom-mission – ehemals Troika). 63 Prozent der griechi-schen Wähler*innen stimmten mit OXI (Nein). Einige Tage später verkündete Tsipras, er wolle den Spar-programmen dennoch „bis auf den letzten Buchsta-ben“ folgen – und zehn Tage später wurden die Spar-diktate vom griechischen Parlament abgesegnet.

Mitte August wurden vom griechischen Parlament und dem Bundestag das dritte Memorandum ver-abschiedet – ein „Rettungspaket“, das alles bisher Dagewesene übertrifft. Griechisches Staatseigen-tum im Wert von 50 Milliarden Euro wird privatisiert – alleine 13 Flughäfen kauft der deutsche Konzern Fraport, Tarifverträge werden abgeschafft usw.

Für die griechische Jugend bedeutet das vor allem eine weitere Verschlechterung ihrer Lebensbedin-gungen. Etwa 60 Prozent haben keinen Job, viele können sich nur gerade so mit Niedriglohnjobs über Wasser halten.

Damit hat Syriza bewiesen, dass das reformistische Konzept der linken Regierungen gescheitert ist – also das Konzept von Regierungen in einem kapita-listischen Staat, die aus reformistischen Organisatio-nen gebildet werden.

Die Linke Plattform in SYRIZA und einige Gruppen der griechischen Linken gründeten nun eine neue Partei – die „Volkseinheit“ (LAE). Sie unterscheiden sich dadurch von SYRIZA, dass sie einen

Austritt Griechenlands aus dem Euro fordern – aber auch sie wollen das Privateigentum der Kapitalist*in-nen nicht berühren und wichtige Industrien und Ban-ken unter Arbeiter*innenkontrolle verstaatlichen. Auch sie verfolgen eine reformistische Strategie, die letztendlich genauso zum Scheitern verurteilt ist wie die Politik von Syriza.

Ein Austritt von Griechenland aus dem Euro mit einer neuen Währung unter kapitalistischen Bedin-gungen würde dazu führen, dass diese massiv ab-gewertet werden würde. Das heißt, dass die Kauf-kraft der ohnehin schon von starker Arbeitslosigkeit betroffenen Jugend geschwächt werden würde. Die Folge wäre eine massive Verschlechterung ihrer Le-bensbedingungen.

Nun wurde Syriza dennoch wieder gewählt – und wurde dabei auch von der Spitze der Linkspartei un-terstützt.

Reformismus in DeutschlandViele in Deutschland haben Illusionen in diese Par-

tei. Laut ihrem Programm kämpft sie für einen de-mokratischen Sozialismus und die Überwindung des Kapitalismus. Doch Messen wir sie an ihren Taten:

In zehn Jahren gemeinsamer Regierung mit der

SPD in Berlin privatisierte sie 150.000 Wohnungen, schloss Schulen und Jugendzentren und senkte Löh-ne im öffentlichen Dienst – Lehrer*innen und Erzie-her*innen waren gezwungen zu streiken. In Branden-burg fördert sie den Kohleabbau. Auf Bundesebene stimmte sie im Bundestag sogar in einem Fall für die Verlängerung der Sparpakete der „Institutionen“. Außerdem verteidigt sie die Syriza-Regierung, die für die Umsetzung des dritten Memorandums ver-antwortlich ist.

In der aktuellen Asyldebatte fordert die Partei klei-ne Verbesserungen der Situation der Geflüchteten.Aber sie fordern kein bedingungsloses Bleiberecht für alle Geflüchteten oder die Abschaffung der Re-sidenzpflicht. Immer mehr Abgeordnete der Links-partei haben kein Problem mit Waffenexporten oder Auslandseinsätzen – also kein Problem mit einer Po-litik, die Fluchtursachen erst erzeugt.

Die Linkspartei will Regierungsbeteiligung um je-den Preis – die Unterdrückten sind ihr im Grunde egal.

Revolution statt Reform!Es gibt große Illusionen darin, der Kapitalismus könne schrittweise überwunden werden. Woher kommen diese Illusionen? Welche Auswirkungen hat Reformismus heute? Wie sieht eine revolu-tionäre Strategie aus?

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Die „Linksjugend Solid“ …Wie sieht es bei der Jugendorganisation der Links-

partei aus, der Linksjugend Solid?Dieser Verband ist unter anderem die Hochburg

der sogenannten „Antideutschen“. Diese solidari-sieren sich bedingungslos mit Israel und verteidigen die USA – vertreten also eine klar pro-imperialisti-sche Politik.

Auf dem letzten Bundeskongress der Linksjugend setzten sie einen Antrag durch, der richtigerweise An-

tisemitismus kri-tisiert, aber auch jede Kritik an Israel für antisemitisch erklärt. Danach wäre es nicht nur antisemitisch, den kapitalistischen Staat Israel mit einer sozialistischen Revolution zu zerschlagen, sondern auch jede Solidari-tät mit dem Befreiungskampf der Palästinenser*innen (NICHT: mit Hisbollah und Hamas) sei antisemitisch.

Eine Organisation, die sich als sozialistisch versteht, kann kein Raum für Antisemit*innen sein – aber auch nicht für Personen, die sich mit dem Imperialismus solidarisieren.

Die Existenz der „Antideutschen“ zeigt besonders krass, dass Jugendliche das schwammig gehaltene Dokument „Unser Programm“ von Solid nicht allzu ernst nehmen sollten.

Dennoch ist es aufschlussreich – betont werden durchaus viele richtige Dinge: das Parlament sei nur eine Bühne und der Kampf müsse außerhalb der Parlamente stattfinden, die Überwindung des Kapitalismus, Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln, Verstaatlichung von Betrieben unter Arbeiter*innenkontrolle usw.

Das größte Problem ist aber der Mangel an Stra-tegie – sie verlieren sie kein Wort darüber, wie das alles erreicht werden soll. Stattdessen beschränken sie sich darauf „Freiräume zu erkämpfen“.

Der Gipfel ist ihr positiver Bezug zu dem sogenann-ten „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“, auf Vene-zuela (ehemals Chavez, heute Maduro) und Bolivien (Morales). Weder gibt es in diesen Ländern Arbei-ter*innendemokratie, noch umfassende Verstaatli-

chung des Privateigentums an Produktionsmitteln. Die Regierungen beider Länder versuchen die Arbei-ter*innenklasse mit den nationalen Kapitalist*innen zu versöhnen – im Interesse der Kapitalist*innen.

Was Solid als Stärke verkaufen will, ist eigentlich ihre größte Schwäche: „Wir wollen keine uniforme Gruppe sein, unsere Vielfalt ist unsere Stärke.“

Jeder kleine Teil von Solid kocht also seine eigene Suppe. Einige Teile verstehen sich zwar als revoluti-onär – aber am Ende steht nichts anderes als noch mehr Suppe.

Revolutionäre Politik zeichnet gerade aus, dass sie nicht nur unabhängig von jeder Fraktion der Kapi-talist*innen ist, sondern auch aktiv in den Klassen-kampf eingreifen kann. Dazu braucht es Einigkeit in strategischen und programmatischen Fragen. Wenn Revolutionär*innen mit Reformist*innen einen Kom-promiss aushandeln, dann ist das Ergebnis nicht ein bisschen weniger revolutionär, sondern letztendlich einfach nur reformistisch.

Kein Wunder also, dass die Führung von Solid vieles macht, aber keine revolutionäre Politik. Sie ist eng mit der Linkspartei verwoben und wird von ihr bezahlt. Und so betreibt der „sozialistische“ Ju-gendverband vor allem eines: reformistische Politik.

… und die „Revolutionäre Linke“Anfang Juli gründete sich der Bundesarbeitskreis

Revolutionäre Linke als Antwort auf die reaktionäre Stimmung in der Linksjugend. Wir begrüßen diesen Schritt und wollen uns an dieser Stelle solidarisch, aber kritisch, damit auseinander setzen.

In ihrer Gründungserklärung vertritt die Revolutio-näre Linke ein antikapitalistisches und antiimperialis-tisches Programm.

„Wir [...] streiten für eine Partei, die an der Seite der Unterdrückten steht – nicht der Unterdrücker! Dazu muss sich auch in der Partei etwas ändern.“ Sie „kämpfen gemeinsam dafür, dass dieser Jugendver-band [Solid] wieder den Namen sozialistisch, links, demokratisch verdient hat.“

Die Revolutionäre Linke möchte innerhalb von Solid also für revolutionäre Positionen kämpfen und Solid in eine revolutionäre Jugendorganisation verwan-deln. Das heißt vor allem: Kampf gegen die re-formistische Mehrheit. Es ist merkwürdig, dass es in der Gründungserklärung trotzdem keine Auseinandersetzung mit dem Reformismus gibt.

Es ist richtig, innerhalb von Solid für revoluti-onäre Positionen zu kämpfen und Jugendliche um einen revolutionären Pol herum zu sam-meln, wenn man in Solid ist. Aber Solid liegt

Revolution statt Reform!

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fest in den Händen der reformistischen Führung und es wird sehr wahrscheinlich nicht gelingen, sie hin-aus zu werfen. Es gibt keine echte interne Demokra-tie bei Solid, sondern einen bürokratischen Apparat.

Früher oder später wird sich deswegen vermutlich die Frage stellen: Ordnet man sich der reformisti-schen Führung unter oder bricht man mit Solid, um eine revolutionäre Jugendorganisation aufzubauen?

Das Ziel muss ganz klar benannt werden: Samm-lung der revolutionären Kräfte in Solid und Bruch – hin zum Aufbau einer echten revolutionären Ju-gendorganisation.

Der Reformismus im SchafspelzDie vorherrschende Ideologie der Jugend in

Deutschland ist – neben offenem Reformismus wie durch Solid vertreten – der Autonomismus. Der Fo-kus ihrer Politik liegt vor allem in der Erringung von „Freiräumen“, im Antifaschismus und Antirassismus.

Zwar fordern sie „mehr Staatszerlegung“ und fin-den Staat, Nation und Kapital „scheiße“.

Aber sie leugnen die Zentralität des Proletariats, das sich mit den anderen Unterdrückten in einer re-volutionären Partei organisieren muss, um – gestützt auf Organe der Selbstverwaltung – den bestehen-den Staat wirklich zerschlagen zu können.

Außer Demonstrationen und kleinbürgerlichem in-dividuellen „Terror“ haben sie keine Strategie, um die Bourgeoisie tatsächlich herauszufordern. Statt den Kapitalismus also tatsächlich zu konfrontieren, ordnen sie sich ihm unter – während sie versuchen, kleine Verbesserungen zu erringen.

Hinter ihren radikalen Phrasen versteckt sich am Ende auch nur Reformismus.

Es lebe die Revolution!Wir stehen hingegen für eine Strategie des „auf-

ständischen Generalstreiks“ ein. Nach dem Vorbild der Oktoberrevolution von 1917 braucht es eine Revolution der Arbeiter*innenklasse im Bündnis mit allen anderen Unterdrückten. Der bürgerliche Staat muss in einem bewaffneten Aufstand zerschlagen werden und durch die sozialistische Diktatur des Proletariats ersetzt werden. Dabei muss das Privat-eigentum an Produktionsmitteln in die Hände der Arbeiter*innenklasse überführt werden. Das ist nur möglich durch Organe der Selbstverwaltung der Massen und eine revolutionäre Partei.

„Selbstverständlich gibt es auch unter den Arbei-ter[*innen], die früher in der ersten Reihe standen, heute eine ganze Menge, die müde geworden und enttäuscht sind. Sie werden, zumindest in der nächsten Periode, abseits bleiben. Wenn sich ein Programm oder eine Organisation verbraucht hat, verbraucht sich auch die Generation, die sie auf ih-ren Schultern trug. Die Erneuerung der Bewegung vollzieht sich durch die Jugend, die frei ist von aller Verantwortung für die Vergangenheit. […] Nur die frische Begeisterung und die Angriffslust der Jugend können die ersten Erfolge im Kampf sichern; nur die-se Erfolge können die besten Elemente der alten Ge-neration auf den Weg der Revolution zurückkehren lassen. So war es bisher und so wird es immer sein.“1

Das ist der einzige Ausweg für die unterdrückten Massen.

1 Trotzki, Leo: Das Übergangsprogramm. https://www.marxists.

org/deutsch/archiv/trotzki/1938/uebergang/

Per Evolution zum Sozialismus?

Reformismus ist kein neues Phänomen. Seit etwas mehr als 100 Jahren kämpft er als Agent der Kapi-talist*innen innerhalb der Arbeiter*innenklasse.

Mit dem 1. Weltkrieg zerbrach 1914 die Sozialistische Internationale. Denn die Sozialdemokratischen Parteien stellten sich auf die Seite der herrschenden Klasse in ihren jeweiligen Ländern. So führten die einzelnen Sozialdemokratischen Parteien Krieg gegeneinander.

Auf der einen Seite standen die Internationalist*innen: unter anderem die Gründer*innen der späteren KPD in Deutschland und der Bolschewiki in Russland.

Besonders wichtig waren die alten Jugendorganisationen der Sozialdemokratischen Parteien, die sich 1915 zur 50.000 Mitglieder starken Jugendinternationale zusammenschlossen und unermüdlich gegen den Krieg agitierten.

Auf der anderen Seite diejenigen, die sich auch heute noch als sozialdemokratisch bezeichnen, wie die deutsche SPD.

Damals spaltete sich die Arbeiter*innenbewegung in Reformsozialist*innen und Revolutionär*innen.Mithilfe der Parlamente und der Gewerkschaften erstritten die Reformist*innen kleine Verbesserungen

für die Arbeiter*innenklasse – ohne tatsächlich für den Sozialismus zu kämpfen. Diese Verbesserungen wurden von Bürokrat*innen ausgehandelt, die als Vermittler*innen zwischen den Klassen fungierten.

Möglich waren Reformen nur dadurch, dass die imperialistischen Staaten in Wachstumsperioden durch die Ausbeutung anderer Staaten so viel Profit anhäufen konnten, dass sie einen Teil davon den Arbeiter*innen in ihren eigenen Ländern zu Verfügung stellen konnten. Das erzeugte tiefe Illusionen in den Reformismus bei den Unterdrückten.

Die Bürokrat*innen, die selber davon profitierten und profitieren, entwickelten folglich ein Interesse am Bestehen des Imperialismus. So erklärt sich ihre Zustimmung zum 1. Weltkrieg und z.B. auch die heutige Zusammenarbeit von Gewerkschaften und deutschem Staat.

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die Aktivistinnen von Pan y Rosas zum Beispiel die streikenden Arbei-ter*innen der Fabrik Panrico zu einer Demonstrati-on zum Frauenkampftag. Die Arbeiter*innen traten dort als Arbeiter*innen auf und dieses Zeichen be-eindruckte viele Teilnehmer*innen der Demonstrati-on. Zur selben Zeit sollte die Abtreibung im Spani-schen Staat verboten werden und die streikenden Frauen von Panrico machten mit ihren Forderungen klar, wie Abtreibungsverbote sie als Frauen der Ar-beiter*innenklasse betreffen würden1.

Feminist*innen müssen sich aber auch für die Kämpfe des Proletariats interessieren und sie aktiv unterstützen, denn in diesen Kämpfen geht es um die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Millionen von Frauen. Außerdem hat nur die Arbeiter*innen-klasse, im Bündnis mit allen Unterdrückten, die sozi-ale Macht, den Kapitalismus zu stürzen. Ein Bündnis zwischen einer revolutionären Frauenbewegung und der Arbeiter*innenbewegung ist deshalb zentral, um die Unterdrückung letztendlich zu vernichten. Heute ist diese Perspektive weitgehend unsichtbar und scheint sehr weit weg. Unsere Aufgabe ist es, sie wieder sichtbar zu machen. Denn die Spaltung zwischen Arbeiter*innen- und Frauenbewegung hilft nur den Kapitalist*innen.

Der heutige FeminismusDass die Perspektive der Zusammenführung von

Kämpfen der Arbeiter*innen und der Frauen nicht sichtbar ist, liegt aber auch daran, dass die Klassen-frage innerhalb des Feminismus kaum eine Rolle mehr spielt. Klasse ist dabei für uns, anders als für einige Feminist*innen, nicht eine Frage der kulturel-len Identität, sondern eine ökonomische Kategorie. Außerdem können wir kaum von einer Frauenbe-

1 klassegegenklasse.org/der-streik-bei-panri-co-war-unsere-wichtigste-schule

wegung sprechen, die als solche offen, mit eigenen Forderungen auftritt. Es gibt eher einen fragmen-tierten Feminismus, der es uns schwerer macht, weil wir unsere Strategie keiner tatsächlichen Bewegung anbieten können.

Frauen sind von der Krise besonders betroffen. In unserer Situation kann eine Frauenbewegung, die keine Illusionen in den Staat hat, internationalistisch ist und sich vornimmt, die Interessen der Frauen der Arbeiter*innenklasse ins Zentrum zu stellen, not-wendige Antworten bieten. Und zwar auf Probleme, die einen großen Teil der Frauen betreffen – auch Feminist*innen, die sich bisher vor der Klassenfrage gedrückt haben.

Welche nächsten Schritte?Unser Ziel ist es, auch in Deutschland eine revolu-

tionäre Frauenorganisation aufzubauen, ähnlich wie Pan y Rosas. Die Genossinnen von Pan y Rosas ha-ben uns dafür unter anderem mit auf den Weg ge-geben, wie wichtig eine gute gemeinsame theore-tische Grundlage ist. Eine gute Vorstellung davon, woher Sexismus und Unterdrückung kommt, hilft uns zu erkennen, welche Art von Politik wir dage-gen stellen müssen. Es hilft uns auch dabei, zu ent-scheiden, in welche der Debatten und Kämpfe wir uns einmischen müssen. Deshalb werden wir einen Lesekreis organisieren.

Außerdem müssen wir uns immer wieder fragen, unter welchen Problemen (junge) Frauen heute lei-den und welche Antworten wir auf ihre Probleme geben können. Wir müssen erklären können, dass alltägliche Probleme nicht „natürlich“ sind, sondern dass sie einen Zweck für den Kapitalismus und das Patriarchat haben. Von diesen alltäglichen Fragen ausgehend können wir dann darüber diskutieren, was wir dagegen tun können. Daraus ergeben sich die zentralen Diskussionen revolutionärer Politik heute.

➤ Fortsetzung von Seite 16

Brot und Rosen lesen!Wie ist die Emanzipation zu erreichen und wie die soziale Revolution? Was bedeutet es, dass wir als

Frauen* unterdrückt und als Arbeiterinnen ausgebeutet werden? Welche Rolle spielten Frauen* in den Kämpfen der Vergangenheit, und was können wir aus ihrem Beispiel lernen? Welche Strategien zur Be-freiung schlagen die verschiedenen Feminismen vor?

Andrea D‘Atri gibt in ihrem Buch „Brot und Rosen“ Antworten auf diese Fragen. Sie tut dies aus mar-xistischer Sicht, mit der Überzeugung, dass die vollständige Befreiung der Frauen* nicht im Kapitalismus erreicht werden kann, wir uns aber dennoch schon heute als Frauen* organisieren müssen, um gegen unsere Unterdrückung zu kämpfen. Gleichzeitig muss dieser Kampf mit einer Strategie der Überwin-dung des Kapitalismus verbunden werden.

Andrea D‘Atri ist Gründerin der sozialistischen Frauenorganisation Pan y Rosas in Argentinien. Auch in anderen Ländern wie Mexiko, Brasilien, Chile, Bolivien und im Spanischen Staat existiert Pan y Rosas und macht Politik auf Grundlage dieses Buchs.

Wir denken, dass dieses Werk auch für uns gerade in Zeiten von Prekarisierung und Sparpolitik – die Frauen* besonders betreffen – von allen Frauen* in Europa gelesen werden muss. Deshalb werden wir es ins Deutsche übersetzen und laden alle Frauen* ein, es (noch vor der Veröffentlichung) gemeinsam mit uns zu lesen und zu diskutieren. Wenn du Interesse hast, melde dich bitte bei uns.

Erstes Treffen 21.10.15, 18 UhrBlauer Salon im [email protected]

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Brot und Rosen......war die Losung eines Streiks von 20.000 Textilarbeiterinnen in Massachusetts in den USA im Jahr

1912. Die kämpfenden Frauen forderten genug für ein Leben (Brot), aber auch für ein schönes Leben (Rosen). Seit damals steht sie für die Kämpfe der Arbeiterinnen um ihre Befreiung. Gruppierungen von kämpferischen Frauen (und LGBT*) in Argentinien, Mexiko, Chile, Brasilien, Bolivien und dem Spani-schen Staat machen als Brot und Rosen (Pan y Rosas/Pão e Rosas in der jeweiligen Sprache) klassen-kämpferische feministische Politik.

Hier in Deutschland geben wir (Frauen* von RIO, der Revolutionären Internationalistischen Organisa-tion, und der Revolutionär-kommunistischen Jugend in Gründung) unter dem Namen Brot und Rosen Flugblätter zu feministischen Themen heraus, zum Beispiel zum Frauenkampftag, zu den Protesten ge-gen den sogenannten „Marsch für das Leben“ oder zum Streik im Sozial- und Erziehungsdienst. Außer-dem veranstalten wir einen Lesekreis und Workshops.

Von Brot und Rosen

„Frauen der Arbeiter*innenklasse werden als Frauen unterdrückt und als Arbei-ter*innen ausgebeutet“ - das war einer

der gemeinsamen Ausgangspunkte eines Treffens von revolutionären Frauen der Trotzkistischen Frak-tion – Vierte Internationale und ihnen nahestehen-den Aktivist*innen, an dem wir teilnahmen. Genos-sinnen der sozialistischen Frauenorganisation Pan y Rosas im Spanischen Staat hatten das Treffen vor-bereitet. Wir diskutierten aktuelle Themen, wie die Frage des Kopftuchs und der Prostitution oder den Zustand der Frauen- und LGBT*-Bewegungen und berichteten von unseren Erfahrungen. Wir wollen hier wichtige Erkenntnisse zusammenfassen.

Selbstorganisierung von FrauenWir denken, dass die Frauenunterdrückung nur

mit dem Kapitalismus endgültig beseitigt werden kann. Die Frauenunterdrückung gibt es zwar schon sehr viel länger als den Kapitalismus, aber sie hat sich historisch immer wieder gewandelt und an die verschiedenen Produktionsweisen – von denen der Kapitalismus die heute herrschende ist – angepasst. Das heißt für uns aber nicht, dass wir die Frauen-unterdrückung heute einfach hinnehmen können.

Frauen müssen sich schon heute selbstständig or-ganisieren, um für ihre Rechte zu kämpfen. Frauen-organisationen stehen dabei nicht in Konkurrenz zu gemischten revolutionären Organisationen, sondern im Bündnis mit ihnen und Frauen sollten sich in bei-den organisieren.

Frauenbewegung und Arbeiter*innenbewegung

Eine Aufgabe von Revolutionär*innen heute ist es, die Kämpfe der Frauen und die Kämpfe der Arbei-ter*innen zusammenzubringen. Es sind vor allem Frauen der Arbeiter*innenklasse, die von sexisti-schen Gesetzen, Rollenvorstellungen und einer be-sonderen Ausbeutung betroffen sind. Bürgerliche Frauen können sich bis zum einem gewissen Grad zum Beispiel über Abtreibungsverbote hinwegset-zen, indem sie ins Ausland reisen oder sie können ärmere Frauen für die Hausarbeit bezahlen. Feminis-tische Kämpfe haben also immer auch einen Klassen-inhalt – und unsere Aufgabe muss es sein, dafür zu kämpfen, die Forderungen der weiblichen Arbeite-rinnen ins Zentrum zu rücken. Dafür muss auch die Arbeiter*innenbewegung in den Kämpfen der Frau-en sichtbar werden.

So mobilisierten

Brot Rosenund

Ende August fand in Barcelona ein Treffen von revolutionären Frauen statt. Neben Mitgliedern der Frauenorganisation Pan y Rosas im Spanischen Staat und Genossinnen der CCR (Courant Communiste Révolutionnaire) aus Frankreich nahmen auch Aktivistinnen der Revolutionär-kom-munistischen Jugend in Gründung an diesem Treffen teil. Wir präsentieren hier einige unserer Schlussfolgerungen.

Klassenkampf Feminismus

und revolutionärer

➤ Fortsetzung auf Seite 15