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Das Meer zwischen der griechischen Insel Lesvos und der West-Türkei ist heute Morgen ruhig, wirkt regelrecht friedlich. Eine große Segelyacht ohne Segel kommt in Sicht, wird von der Sonne angestrahlt und von 2 Booten begleitet. Ich stehe auf der Mole im Hafen des schönen Ortes Molivos, auch Mithimna genannt, ganz im Norden der Insel Lesvos. Seit 7 Uhr habe ich als Volontärin bei der griechischen Hilfsorganisation STARFISH Dienst im Hafen. www.asterias-starfish.org. "Ein Flüchtlingsboot mit 52 Leuten an an Bord ist gemeldet, es kommt schon in Sicht, alle Ankommenden ok" ruft Laith, unser Schichtleiter. Wir wissen was wir zu tun haben: Kartons mit Wasser, mit trockener Kleidung und Schuhen nach Sorten und Größen sortiert, Decken, Babynahrung, Windeln, heißen Tee, Sandwiches in die Nähe der Anlegestelle zu bringen. Das Boot wird festgemacht, die Leute im Hafen klatschen zur Begrüßung in die Hände, heißen die Ankommenden willkommen. "Wir haben es heil übers Meer geschafft" steht in die Gesichter der Menschen aus Afghanistan, aus Pakistan und aus Syrien geschrieben. Zuerst sehe ich ausschließlich Männer, die schon auf der Fahrt im Boot standen.

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Das Meer zwischen der griechischen Insel Lesvos und der West-Türkei ist heute Morgen ruhig, wirkt regelrecht friedlich.

Eine große Segelyacht ohne Segel kommt in Sicht, wird von der Sonne angestrahlt und von 2 Booten begleitet.

Ich stehe auf der Mole im Hafen des schönen Ortes Molivos, auch Mithimna genannt, ganz im Norden der Insel Lesvos. Seit 7 Uhr habe ich als Volontärin bei der griechischen Hilfsorganisation STARFISH Dienst im Hafen. www.asterias-starfish.org.

"Ein Flüchtlingsboot mit 52 Leuten an an Bord ist gemeldet, es kommt schon in Sicht, alle Ankommenden ok" ruft Laith, unser Schichtleiter. Wir wissen was wir zu tun haben: Kartons mit Wasser, mit trockener Kleidung und Schuhen nach Sorten und Größen sortiert, Decken, Babynahrung, Windeln, heißen Tee, Sandwiches in die Nähe der Anlegestelle zu bringen.

Das Boot wird festgemacht, die Leute im Hafen klatschen zur Begrüßung in die Hände, heißen die Ankommenden willkommen. "Wir haben es heil übers Meer geschafft" steht in die Gesichter der Menschen aus Afghanistan, aus Pakistan und aus Syrien geschrieben. Zuerst sehe ich ausschließlich Männer, die schon auf der Fahrt im Boot standen.

Wie sonst können 52 Menschen auf einer Segelyacht Platz finden, die für maximal 16 Personen zugelassen ist? Aus der Mitte des Bootes kommen schüchtern die Frauen und Kinder von Bord. Mir fällt eine Mutter auf mit einem Kind auf ihrem Rücken, einem Baby vor ihren Bauch gebunden und an der Hand hält sie einen etwas größeren Jungen. Ich gehe langsam auf sie zu, verneige mich leicht und begrüße sie in ihrer Sprache: "Marhaba". Die Frau kommt aus Afghanistan. Ihr englisch sprechender

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Ehemann, mit 2 schweren Koffern ihres letzten Hab und Guts beladen, erzählt mir später, dass er mit seiner Familie von Kabul bis in die Türkei zu Fuss gelaufen sei, über Berge mit Schnee.....

Das kleine Lächeln um Fais Mund ermuntert mich, sie an die Hand zu nehmen und in ein ruhiges Fleckchen mit einer Bank und einem Tisch zu geleiten. Schnell besorge ich Windeln, Kindernahrung, Milch, Wasser, trockene Kleidung, warme Socken und Schuhe, Decken fürs Baby und Kleinkind. Der Tisch wird zum Wickeltisch. In Windeseile wechselt die Mutter Wäsche und Windeln der Kids, packt sie warm ein, entspannt sich.

Der etwas ältere Sohn tobt mit anderen Kindern im ausrangierten Fischerbeiboot.

"Sukran, sukran - danke, danke" und immer wieder "Sukran"

Etwas später: "Ma ismuka - wie heißt du?" fragt Fais mich schüchtern. Wir kommen uns immer näher, umarmen uns lange sehr herzlich, weinen vor Rührung. Sie fragt mich: "Wann können wir wieder nach Hause?"

Nachdem ich Fais heißen Tee und Toast gebracht habe, fühle ich mich so richtig gut, so RICHTIG HIER an diesem Platz im Hafen von Molivos zusammen mit den dankbaren kleinen und großen Flüchtlingen, zusammen mit der liebevollen Helper-Family. Endlich kann ich ganz persönlich meine Gastfreundschaft überbringen, etwas von meinem guten Leben abgeben und damit auch mir selbst etwas Gutes tun. Grenzen und Asylfragen habe ich nicht im Kopf noch im Herzen, mein Gegenüber wohl auch nicht.

Als wir Norddeutschen vor vielen Jahren Griechenland zu unserer Gastheimat erkoren hatten, lernten wir offene Gastfreund- und Hilfsbereitschaft durch unsere Nachbarn und Nachbarinnen im Dorf. Aber nicht nur dort. Wir erfahren das Gefühl, willkommen zu sein, täglich.

Nun überlege ich, unsere Gastfreundschaft weiter auszuweiten. Ankommende Flüchtlinge können nach ihrer Registrierung 6 Monate im Land bleiben. Wie wäre es mit dem Angebot, den gestressten Familien vor ihrer anstrengenden Weiterreise gen Norden eine erholsame Pause bei uns und in unserem griechischem Umfeld anzubieten? Sie könnten sich in ein europäisches Land einfühlen, konkret im Süden des Peloponnes, im Kreis Messinien, ihre Erlebnisse sacken lassen, sich mit unserer Unterstützung um ihre Gesundheit kümmern, etwas englisch oder auch deutsch lernen, ganz einfach mit uns leben. Wir

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könnten von ihnen lernen und uns wechselseitig den unterschiedlichen Lebensweisen, Kulturen annähern, einfach als gleichberechtigte, zugewandte Menschen mit einander leben, gern auch fröhlich zu sein ;-*)

Ingrid Spieker