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Kant-Studien 103. Jahrg., S. 494–498 DOI 10.1515/kant-2012-0035 © Walter de Gruyter 2012 ISSN 0022-8877 BERICHTE UND DISKUSSIONEN Wege zur Freiheit? Offene Fragen der Kantischen Rechts- und politischen Philosophie Bericht zu einer Tagung in Göttingen, 5. bis 8. Juli 2012 von Philipp-Alexander Hirsch, Göttingen Vom 5. bis zum 8. Juli 2012 fand an der Georg-August-Universität Göttingen eine Tagung zum Thema „Wege zur Freiheit? – Offene Fragen der Kantischen Rechts- und politischen Philosophie“ statt. Veranstalter der Tagung, die aus Mit- teln der Fritz Thyssen-Stiftung gefördert wurde, waren Prof. Dr. Bernd Ludwig vom Philosophischen Seminar der Universität Göttingen sowie dessen Mitarbeiter Liam Feder, Philipp-Alexander Hirsch, Florian Pahlke und Alice Pinheiro-Walla. Die Tagung stand unter zwei leitenden Aspekten: Zum einen ging es um die Frage, ob Kant wirklich der liberale Theoretiker ist, für den er gemeinhin gehalten wird. Denn sei es die Begründung der Menschenwürde als angeborenes Recht, seien es liberale Völkerrechtsentwürfe und kosmopolitische Friedenstheorien: Stets beruft man sich in den gegenwärtigen Debatten der Philosophie, der Rechtswissenschaften wie auch der Politikwissenschaften auf Immanuel Kant als liberalen Denker und einen der maßgeblichen Bezugsautoren. Doch scheint Kant gerade dort, wo er als liberaler Theoretiker in Anspruch genommen wird, ein besonders zwiespältiger Denker zu sein. Zum anderen widmete sich die Tagung dem seit jeher hoch umstrit- tenen Verhältnis der Kantischen Rechtslehre zur übrigen kritischen Moralphiloso- phie. – Diesen Problemen versuchte die internationale Fachtagung nachzugehen und dabei mit Forschern auf den Gebieten der Philosophie, der Rechtswissenschaf- ten sowie der Politikwissenschaften unterschiedliche Fachdisziplinen zu vereinen. Arthur Ripstein (Toronto) eröffnete die Tagung mit einem Vortrag zum Thema „Innate Right in Public Law“. Er widmete sich der Frage, welchen Status das an- geborene Recht der Menschheit, das Kant lediglich in der Einleitung in die Rechts- lehre entwickelt, im Rahmen des öffentlichen Rechts einnimmt: Das angeborene Recht werde bei Kant deshalb nur in der Einleitung in die Rechtslehre verhandelt, weil es wie die anderen Teile der Einleitung (insbes. der moralische Rechtsbegriff und seine analytische Verknüpfung mit der Zwangsbefugnis) die Bedingungen expliziere, von welchen allererst die Möglichkeit der Rechtslehre (in ihren beiden Teilen, Privatrecht und öffentliches Recht) abhängt. Während dies für das Privat- recht insofern zutreffe, als dass das angeborene Recht – verstanden als das Recht Brought to you by | University of California Authenticated | 10.248.254.158 Download Date | 9/14/14 1:13 AM

Wege zur Freiheit? Offene Fragen der Kantischen Rechtsund politischen Philosophie

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Kant-Studien 103. Jahrg., S. 494–498 DOI 10.1515/kant-2012-0035© Walter de Gruyter 2012ISSN 0022-8877

BERICHTE UND DISKUSSIONEN

Wege zur Freiheit?Offene Fragen der Kantischen Rechts-

und politischen Philosophie

Bericht zu einer Tagung in Göttingen, 5. bis 8. Juli 2012

von Philipp-Alexander Hirsch, Göttingen

Vom 5. bis zum 8. Juli 2012 fand an der Georg-August-Universität Göttingeneine Tagung zum Thema „Wege zur Freiheit? – Offene Fragen der KantischenRechts- und politischen Philosophie“ statt. Veranstalter der Tagung, die aus Mit-teln der Fritz Thyssen-Stiftung gefördert wurde, waren Prof. Dr. Bernd Ludwig vomPhilosophischen Seminar der Universität Göttingen sowie dessen Mitarbeiter LiamFeder, Philipp-Alexander Hirsch, Florian Pahlke und Alice Pinheiro-Walla. DieTagung stand unter zwei leitenden Aspekten: Zum einen ging es um die Frage, obKant wirklich der liberale Theoretiker ist, für den er gemeinhin gehalten wird.Denn sei es die Begründung der Menschenwürde als angeborenes Recht, seien esliberale Völkerrechtsentwürfe und kosmopolitische Friedenstheorien: Stets beruftman sich in den gegenwärtigen Debatten der Philosophie, der Rechtswissenschaftenwie auch der Politikwissenschaften auf Immanuel Kant als liberalen Denker undeinen der maßgeblichen Bezugsautoren. Doch scheint Kant gerade dort, wo er alsliberaler Theoretiker in Anspruch genommen wird, ein besonders zwiespältigerDenker zu sein. Zum anderen widmete sich die Tagung dem seit jeher hoch umstrit-tenen Verhältnis der Kantischen Rechtslehre zur übrigen kritischen Moralphiloso-phie. – Diesen Problemen versuchte die internationale Fachtagung nachzugehenund dabei mit Forschern auf den Gebieten der Philosophie, der Rechtswissenschaf-ten sowie der Politikwissenschaften unterschiedliche Fachdisziplinen zu vereinen.

Arthur Ripstein (Toronto) eröffnete die Tagung mit einem Vortrag zum Thema„Innate Right in Public Law“. Er widmete sich der Frage, welchen Status das an-geborene Recht der Menschheit, das Kant lediglich in der Einleitung in die Rechts-lehre entwickelt, im Rahmen des öffentlichen Rechts einnimmt: Das angeboreneRecht werde bei Kant deshalb nur in der Einleitung in die Rechtslehre verhandelt,weil es wie die anderen Teile der Einleitung (insbes. der moralische Rechtsbegriffund seine analytische Verknüpfung mit der Zwangsbefugnis) die Bedingungenexpliziere, von welchen allererst die Möglichkeit der Rechtslehre (in ihren beidenTeilen, Privatrecht und öffentliches Recht) abhängt. Während dies für das Privat-recht insofern zutreffe, als dass das angeborene Recht – verstanden als das Recht

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auf die eigene Person – rechtmäßiges Verhalten auf die Wahrung der körperlichenUnversehrtheit und des guten Rufs der Rechtspersonen restringiere und damit einRechtssystem forme, stelle sich die Lage im öffentlichen Recht komplizierter dar.Das öffentliche Recht frage weder nach der Vereinbarkeit positiver Gesetze mitdem angeborenen Recht der Menschheit noch nach der Vereinbarkeit mit denRechtsgrundsätzen des Privatrechts, sondern stelle darauf ab, ob das Volk sichdiese positiven Gesetze selbst gegeben haben könnte. Dies verweise jedoch auf dieFrage, was überhaupt bloß rechtfertigende Grundlage jeglicher gesetzgebendenGewalt sein könne: nämlich das angeborene Recht der Menschheit. Indem mandie Gesetzgebungskompetenz auf das angeborene Recht der Menschheit zurück-führe, ließen sich Kants Einwand gegen den Despotismus sowie sein Eintreten fürMeinungsfreiheit und Chancengleichheit erklären.

Die Konstruktionszeichnung der Kantischen Rechtslehre anhand der Katego-rientafel auszuweisen, hatte der Vortrag Reinhard Brandts (Marburg) „Privatrechtund Öffentliches Recht 1797“ zum Ziel: Die Kantische Rechtslehre als solchefolge in ihrer Architektonik der Urteils- oder Kategorientafel mit der Zäsur zwi-schen Quantität, Qualität, Relation einerseits und Modalität andererseits. Kantfolge exakt der Konstellation 1, 2, 3 /4 der Urteils- und Kategorientafel, insoferndas Privatrecht von 1797 in drei Hauptstücke (erstens das Haben eines äußerenMein und Dein, zweitens das Erwerben desselben und drittens die subjektiv be-dingte Erwerbung durch den Ausspruch einer öffentlichen Gerichtsbarkeit) zer-falle, worauf das Postulat folge, den Naturzustand zu verlassen und in den Zivil-zustand zu treten. Erst in diesem neuen Zustand erhalte das zuvor provisorischePrivatrecht seine peremtorische Bestimmung und Sicherheit. Das Privatrechtselbst verdanke seine triadische Struktur zum einem dem Leitfaden der Kategoriender Relation, zum anderen dem dreistufigen Aufbau des praktischen Syllogismus(Gesetz, Subsumtionsregel, Sentenz). Dieser doppelte Systemzwang mache die Ab-folge der drei Schritte im Privatrecht erklärlich. Innerhalb des Privatrechts wie-derum folge der Abschnitt „Von der subjektiv-bedingten Erwerbung durch denAusspruch einer öffentlichen Gerichtsbarkeit“ (MS, AA 06: 296.13–14) erneuteiner 3 + 1-Struktur, insofern die Trias Schenkungsvertrag, Leihvertrag und Wie-dererlangung durch den vierten Titel der Vereidigung überformt werde, welche ge-währleiste, dass der Austausch unter den drei Titeln durch die Eidessanktion seineWirklichkeit finde und mit einer Ewigkeitssanktion verbunden werde.

„The Relation between Moral and Legal Obligation: An Alternative KantianReading“ lautete der Titel des Vortrags von Georgios Pavlakos (Antwerpen undGlasgow). Pavlakos wandte sich gegen die Ansicht, dass mit der Kantischen Un-terscheidung von Moralität (innere Triebfederbestimmung durch reine Vernunft)und Legalität (Möglichkeit äußeren Zwangs) einhergehe, dass Moral und Rechtauf unterschiedlichen Arten der Obligation beruhten: Ausgehend von der Unter-scheidung zwischen Gründen und Motiven lasse sich zeigen, dass Motive als psy-chologische Zustände für die Frage der Gründe von moralischen und rechtlichenObligationen irrelevant seien. Gründe jeglicher Obligation seien stets normativeTatsachen. Bei der Moral gehe es darum, die subjektiven Motive zu objektivenGründen zu erheben. Moralität qualifiziere also lediglich Motive im Hinblick auf

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eine vorher bestehende Obligation. Beim Recht hingegen gehe es darum, objektiveGründe in den tatsächlichen Handlungen der Subjekte wirksam zu machen, unddie Zwangsbefugnis beim Recht erfülle genau diese Funktion im Hinblick auf einevorher schon bestehende Obligation. Also unabhängig von der Art ihrer Befol-gung sei die Obligation bei Moral und Recht stets von gleicher Art.

Christoph Horn (Bonn) erläuterte in seinem Vortrag „Wie unterscheiden sichmoralische und rechtliche Normativität in Kants praktischer Philosophie?“ dasProblem, inwiefern Kants politische Philosophie mit der kritischen Moralphiloso-phie der 1780er Jahre zusammenhängt und wandte sich gegen eine rechtsmorali-sche Interpretation der politischen Philosophie Kants: Mit letzterer sei zunächstKants Forderung nach einem unbedingten politischen Loyalismus unvereinbar.Außerdem fehle bei Kant zum einen eine Konzeption moralischer Menschen-rechte, zum anderen die globale Forderung nach einer universellen Rechtsgeltung.Weitere Einwände gegen eine rechtsmoralische Interpretation ergäben sich daraus,dass Kantische Moralität dadurch gekennzeichnet sei, dass sie – im Gegensatz zuKants Rechtsdenken – a priori an den homo noumenon adressiert sei, unaus-weichliche Geltung, absolute Vorrangigkeit sowie intrinsische Handlungsmotiva-tion der Akteure fordere und außerdem auf dem Autonomietheorem und dertranszendentalen Freiheitslehre beruhe. Hieraus müsse gefolgert werden, dassKant in seiner politischen Philosophie eine Idee rechtlich-politischer Normativitätentwickele, die sich ganz fundamental von seinem Begriff moralischer Normativi-tät unterscheide und sich auf handelnde Akteure unter nicht-idealen Bedingungenbeziehe.

„Drei Fragen zu Kants Rechtslehre“ stellte Ulli F. H. Rühl (Bremen), die aufoffene Problemstellen innerhalb des Kantischen Rechtsdenkens verweisen: Zumeinen sei zu fragen, ob das angeborene Freiheitsrecht aus dem kategorischen Im-perativ abgeleitet werden könne. Die Rechtslehre enthalte keine Ableitung des an-geborenen Rechts. Jedoch bestehe die dem angeborenen Freiheitsrecht korrespon-dierende Pflicht aus der Perspektive der Selbst-Gesetzgebung (Autonomie) darin,Übergriffe auf den Körper und die persönliche Freiheit des anderen zu unterlas-sen. Kant leite dies in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten unmittelbar ausder Selbstzweckformel ab, sodass nach letzterer eine Pflicht gegenüber anderenbestehe, deren Freiheit der Willkür zu respektieren. Zum anderen sei zu fragen,welche Erkenntnis aus Kants analytischer Verknüpfung von Recht und Zwangs-befugnis zu gewinnen sei. Denn die Verknüpfung von Recht und Zwangsbefugnisfunktioniere nur deshalb, weil Kant einen sehr künstlichen Begriff von ‚recht‘ ver-wende, bei dem allein aus dessen Nominaldefinition folge, dass das Hinderniseiner solchen Handlung die Eigenschaft ‚unrecht‘ haben muss, sodass das Hinder-nis des Hindernisses ‚recht‘ sein muss. Dieser logisch korrekte Schluss trage abernichts zur Erkenntnis des Phänomenbereichs von Rechtsnomen und -institutiona-lisierungen bei. Fraglich sei schließlich, warum die Rechtslehre keine Methoden-lehre und Kasuistik benötige, da einerseits die wenigsten Rechtspflichten mitmathematischer Genauigkeit bestimmt seien, andererseits es der juristischen Er-fahrung widerspreche, dass für die Anwendung von Normen auf konkrete Sach-verhalte keine Methodenlehre erforderlich sein soll. Beides erscheine insbes. vor

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dem Hintergrund der vollkommenen (engen) Tugendpflichten gegen sich selbstproblematisch, da Kant bei diesen eigentlichen vollkommenen Pflichten kasuisti-sche Fragen aufwerfe.

Peter Niesen (Darmstadt) analysierte in seinem Vortrag „Laws for which anExternal Legislation is Possible“ den Begriff einer rechtlichen, äußeren Gesetz-gebung bei Kant, um davon ausgehend die Frage zu beantworten, welche völker-rechtlichen Regeln wirklich rechtliche Gesetze im Sinne Kants sind bzw. seinkönnen: Es gebe drei Bestimmungen, die bei Kant den Begriff einer äußeren, recht-lichen Gesetzgebung ausmachen: Erstens sei rechtliche Gesetzgebung indifferentgegenüber der Handlungsmotivation, zweitens erstrecke sie sich nur auf äußerePflichten. Vor allem aber erfordere drittens rechtliche Gesetzgebung die Möglich-keit der Publizität, d. h. nur veröffentlichbare Regeln könnten bei Kant Gegen-stand äußerer, rechtlicher Gesetzgebung sein. Das ‚öffentliche‘ Völkerrecht einesStaatenbundes sei daher zwar kein Zwangsrecht, da es an einer wirklichen äuße-ren Gesetzgebung fehle, dennoch handle es sich um äußere rechtliche Gesetz-gebung im Sinne Kants, da es grundsätzlich diese Eigenschaften erfülle. Das ‚Pri-vatvölkerrecht‘ im internationalen Naturzustand hingegen entbehre der drittenEigenschaft, d.h. der Möglichkeit der Publizität, sodass es nicht Gegenstandäußerer Gesetzgebung sein könne, z.B. das vermeintliche Recht, Präventivkriegezu führen.

B. Sharon Byrd (Jena) und Joachim Hruschka (Erlangen) legten in ihrem Vor-trag „Drei Funktionen eines rechtlichen Zustandes (Rechtsstaats)“ eine neue Inter-pretation des zweiten Absatzes des § 45 der Rechtslehre vor: Dort liefere Kantals erster Denker eine Begründung für die Unterscheidung der drei Montes-quieu’schen Staatsgewalten. Bei jedem Erwerb oder jeder Erhaltung des Seinenziehe der Bürger einen praktischen Vernunftschluss, d.h. er erwerbe etwas (odererhalte das Seine) durch Anwendung des Gesetzes, d.h. durch Subsumtion seinesFalles unter das Gesetz (§ 49 der Rechtslehre). Der Bürger suche also sein Recht,indem er selbst den Schluss vollziehe, jedoch lieferten allererst die staatlichen In-stitutionen die verbindlichen Urteile: Erforderlich sei zunächst die Legislative, diedas Gesetz gebe. Zur Sicherstellung, dass alle auf dieselbe Weise schließen, seiendarüber hinaus auch noch die Exekutive, die allererst die Bedingungen für dieSubsumtion schaffe, sowie die Judikative erforderlich, die die rechtskonformenHandlungen des Bürgers bestätige. Der praktische Vernunftschluss, den der Bür-ger ziehe, bilde damit eine synthetische Einheit, die die Trichotomie der drei Ge-walten rechtfertige.

Den Abschluss der Fachtagung bildete Heiner F. Klemmes (Mainz) Vortrag„Menschenwürde und Menschenrecht“, in dem er sich mit § 42 der Rechtslehreauseinandersetzte und eine Erklärung präsentierte, wie die dortige BehauptungKants, dass sich Personen im rechtlichen Naturzustand wechselseitig kein Unrechtantun könnten, obwohl „sie im höchsten Grade daran unrecht“ tun, „in einemZustande sein und bleiben zu wollen, der kein rechtlicher ist“ (MS, AA 06:307–308), zu verstehen sei: Die offenkundige Frage sei, wie man Unrecht tunkönne, obwohl nicht die Rechte anderer Personen lädiert würden? Diese Fragelasse sich unter Rückgriff auf die so genannten Ulpianischen Formeln beantwor-

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ten, in denen Kant ausgehend vom Begriff der Menschheit und der (für die Zwe-cke des Rechts revidierten) Selbstzweckformel der Grundlegung zur Metaphysikder Sitten deutlich mache, dass wir nicht das Recht haben, auf unser Recht zu ver-zichten, weil wir uns nicht zu einer Sache machen dürften. Wir seien verpflichtet,unsere Freiheit in ihrem äußeren Gebrauch zu erhalten. Dies sei allererst durchden Übergang in den bürgerlichen Zustand möglich, sodass wir „im höchstenGrade daran unrecht“ täten, sollten wir im Naturzustand verbleiben. Der Grunddieser rechtlichen Verbindlichkeit schließlich liege in der Vernunft selbst, die sichals letzten und obersten Zweck unseres Wollens und Handelns setze.

Im Anschluss an die Vorträge fand vom 7. bis zum 8. Juli ein Graduiertenkol-loquium statt. Es bot Doktoranden, die eine Arbeit auf dem Gebiet von KantsRechtsphilosophie bzw. politischer Philosophie schreiben, die Möglichkeit, zumeinen die eigenen Projekte den Konferenzteilnehmern zu präsentieren und mit ih-nen zu diskutieren, zum andern sich untereinander zu vernetzen. Das Kolloquiumwurde von allen Seiten äußerst positiv aufgenommen. Es trugen vor: EwaWyrêbska (Lodz, „Rechtssubjekt und Rechtsbegriff bei Kant“), Philipp-Alexan-der Hirsch (Göttingen, „Der ‚Zweck‘ im Recht bei Kant. Immanuel Kants kriti-sche Begründung von Rechts- und Tugendlehre vor dem Hintergrund des Reichsder Zwecke“), Jacob Weinrib (Toronto, „Permissive Laws in Kantian Right“),Martin Brecher (Bonn, „Der Zweck der Natur und die Würde der Menschheit:Eine kritische Rekonstruktion von Kants Eherecht und Sexualethik“), OscarCubo Ugarte (Trier, „Ein normatives Modell der Demokratie in Kants Rechts-lehre“), Micha Glaeser (Harvard Univ., „Hobbes, Kant and Rawls on Legal Ob-ligation“), Tim Wihl (HU Berlin, „Gleichheit als Transzendentalbedingung – Zurersten Stufe der verfassungsrechtlichen Gleichheit im Anschluss an Kant“).

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