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www.darmstadt.de - Kultur in Darmstadt, Weimarer Republik und NS-Zeit Weimarer Republik und Nazizeit Die Zeit der Weimarer Republik war in Darmstadt zunächst geprägt durch die unmittelbaren und mittelbaren Folgen des Ersten Weltkriegs, an dessen Ende die Stadt 2.000 Gefallene zu beklagen hatte. Im Zuge der Umwälzungen bei Kriegsende wurde Großherzog Ernst Ludwig abgesetzt und der Volksstaat Hessen begründet, dessen Hauptstadt Darmstadt blieb. Die französische Besatzungszone des Brückenkopfes Mainz reichte bis Arheilgen und Griesheim und erschwerte den wirtschaftlichen Neubeginn ebenso wie der Wegfall von Hof und Garnison. Im April und Mai 1920 war Darmstadt selbst von französischen Truppen besetzt. Wohnungsnot Außenansicht des 1927 eröffneten Herngartencafés (im 2. Weltkrieg zerstört) Ausgewiesene und Flüchtlinge aus den besetzten Gebieten sowie zurückkehrende Soldaten sorgten für einen großen Mangel an Wohnraum und in der Lebensmittelversorgung. Es fehlte an allem. Beinah täglich gab es Sperrungen von Gas und Strom, da keine genügende Kohleversorgung gewährleistet werden konnte. An manchen Tagen musste sogar die Straßenbahn abgestellt werden. Die Stadtverwaltung versuchte mit mehreren Straßen- und Wohnungsbauprogrammen wenigstens der schwierigen Wohnungslage Herr zu werden. Wohnblocks und Siedlungshäuser entstanden in großer Zahl im Westen und Südwesten der Stadt. Inflation Auf dem Höhepunkt der Notlage, geprägt von einer galoppierenden Inflation, kam es im Oktober 1923 in der Altstadt zu Hungerunruhen. Fast ein Drittel der Darmstädter Haushalte konnte mit Suppenküchen und Wärmestuben vom städtischen Wohlfahrtsamt unterstützt werden. Die Notenpressen kamen mit dem Gelddrucken bereits nicht mehr nach, so dass einige Firmen eigenes Notgeld herausgaben. Manche Firmen druckten sogar betriebsinternes Geld auf Festmark oder Dollarbasis. Mit der Einführung der Rentenmark am 16. November wurde die Inflation beendet. Zuletzt war der Preis für einen Liter Milch auf nicht mehr vorstellbare 400 Milliarden Mark gestiegen. Auf dem Wege der Besserung: Die goldenen zwanziger Jahre Mit der Umstellung auf die neue Goldmark begann allmählich eine wirtschaftliche und politische Sicherung. Unterbrochene Bauprogramme wurden wieder aufgenommen und die Elektrifizierung der Straßenbahn wurde abgeschlossen. Auf der Lichtwiese wurde 1924 der Darmstädter Flughafen eröffnet. Kunst und Kultur Auch auf kulturellem Gebiet gab es neue Entwicklungen: Das Hessische Landestheater begann avantgardistische Stücke zu spielen, wie beispielsweise von Georg Büchner. Weiterhin waren die kulturellen Entwicklungen durch die Darmstädter Sezession gekennzeichnet, einer überregionalen Künstlervereinigung. Darunter waren Künstler aus allen Bereichen, wie der Maler Max Beckmann oder der Bildhauer Bernhard Hoetger. Die Darmstädter Sezession richtete sich vor allem gegen alte Kunstauffassungen. Weltwirtschaftskrise Nach dieser kurzen Phase der Erholung machte die Weltwirtschaftskrise das Erreichte er-neut zunichte. Im Februar 1932 betrug die über dem Reichsdurchschnitt liegende Arbeitslosigkeit 28%. Allein in Darmstadt waren 1930 rund 21.000 Menschen ohne Arbeit. http://www.darmstadt.de/kultur/geschichte/09442/ (1 von 4) [6.11.2009 12:18:17]

Weimarer republik und ns zeit

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Weimarer Republik und Nazizeit in Darmstadt

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Page 1: Weimarer republik und ns zeit

www.darmstadt.de - Kultur in Darmstadt, Weimarer Republik und NS-Zeit

Weimarer Republik und Nazizeit

Die Zeit der Weimarer Republik war in Darmstadt zunächst geprägt durch die unmittelbaren und mittelbaren Folgen des Ersten Weltkriegs, an dessen Ende die Stadt 2.000 Gefallene zu beklagen hatte. Im Zuge der Umwälzungen bei Kriegsende wurde Großherzog Ernst Ludwig abgesetzt und der Volksstaat Hessen begründet, dessen Hauptstadt Darmstadt blieb. Die französische Besatzungszone des Brückenkopfes Mainz reichte bis Arheilgen und Griesheim und erschwerte den wirtschaftlichen Neubeginn ebenso wie der Wegfall von Hof und Garnison. Im April und Mai 1920 war Darmstadt selbst von französischen Truppen besetzt.

Wohnungsnot Außenansicht des 1927 eröffneten Herngartencafés (im 2. Weltkrieg zerstört)

Ausgewiesene und Flüchtlinge aus den besetzten Gebieten sowie zurückkehrende Soldaten sorgten für einen großen Mangel an Wohnraum und in der Lebensmittelversorgung. Es fehlte an allem. Beinah täglich gab es Sperrungen von Gas und Strom, da keine genügende Kohleversorgung gewährleistet werden konnte. An manchen Tagen musste sogar die Straßenbahn abgestellt werden. Die Stadtverwaltung versuchte mit mehreren Straßen- und Wohnungsbauprogrammen wenigstens der schwierigen Wohnungslage Herr zu werden. Wohnblocks und Siedlungshäuser entstanden in großer Zahl im Westen und Südwesten der Stadt. Inflation Auf dem Höhepunkt der Notlage, geprägt von einer galoppierenden Inflation, kam es im Oktober 1923 in der Altstadt zu Hungerunruhen. Fast ein Drittel der Darmstädter Haushalte konnte mit Suppenküchen und Wärmestuben vom städtischen Wohlfahrtsamt unterstützt werden. Die Notenpressen kamen mit dem Gelddrucken bereits nicht mehr nach, so dass einige Firmen eigenes Notgeld herausgaben. Manche Firmen druckten sogar betriebsinternes Geld auf Festmark oder Dollarbasis. Mit der Einführung der Rentenmark am 16. November wurde die Inflation beendet. Zuletzt war der Preis für einen Liter Milch auf nicht mehr vorstellbare 400 Milliarden Mark gestiegen. Auf dem Wege der Besserung: Die goldenen zwanziger Jahre Mit der Umstellung auf die neue Goldmark begann allmählich eine wirtschaftliche und politische Sicherung. Unterbrochene Bauprogramme wurden wieder aufgenommen und die Elektrifizierung der Straßenbahn wurde abgeschlossen. Auf der Lichtwiese wurde 1924 der Darmstädter Flughafen eröffnet. Kunst und Kultur Auch auf kulturellem Gebiet gab es neue Entwicklungen: Das Hessische Landestheater begann avantgardistische Stücke zu spielen, wie beispielsweise von Georg Büchner. Weiterhin waren die kulturellen Entwicklungen durch die Darmstädter Sezession gekennzeichnet, einer überregionalen Künstlervereinigung. Darunter waren Künstler aus allen Bereichen, wie der Maler Max Beckmann oder der Bildhauer Bernhard Hoetger. Die Darmstädter Sezession richtete sich vor allem gegen alte Kunstauffassungen. Weltwirtschaftskrise Nach dieser kurzen Phase der Erholung machte die Weltwirtschaftskrise das Erreichte er-neut zunichte. Im Februar 1932 betrug die über dem Reichsdurchschnitt liegende Arbeitslosigkeit 28%. Allein in Darmstadt waren 1930 rund 21.000 Menschen ohne Arbeit.

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1933 - 1945

Bereits 1929 saßen Mitglieder der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) in der Stadtverordnetenversammlung. Bei der Reichstagswahl am 5.3.1933 stimmten genau 50 % der Darmstädter Wähler für die NSDAP. Nach der Verkündung der Wahlergebnisse wurden sofort Hakenkreuzflaggen auf dem Landtagsgebäude gehisst. SA-Männer verbrannten die schwarzrotgoldene Fahne der Republik auf dem Luisenplatz. Landtag und Stadtverordnetenversammlung wurden rasch gleichgeschaltet, Stadtverordnete und Oberbürgermeister nicht mehr gewählt, sondern ernannt. Nur wenige Tage nach dem offiziellen Abschluss der Machtergreifung in Hessen begannen die NS-Machthaber mit ersten Maßnahmen zur Ausgrenzung der Juden. Sofort wurden Boykottaktionen gegen jüdische Geschäfte durchgeführt, die nach und nach aus dem Stadtbild verschwanden. Später setzte die "Beurlaubung" jüdischer Lehrer ein.

Vor diesem Hintergrund verblasst die für die Stadtgeschichte bedeutsame zwangsweise Eingemeindung von Eberstadt und Arheilgen 1937.

NS-Hochschulbund marschiert am 1. Mai 1939 am Schlossgartenplatz vorbei

In der Nacht vom 9 zum 10. November 1938 wurden die Synagogen in der Bleichstraße und der Friedrichstraße wie auch diejenigen in Eberstadt und in anderen Orten der Umgebung angezündet und zerstört.

1942 / 1943 wurden die verbliebenen Juden und Sinti , etwa 3000 Menschen, in die Vernichtungslager transportiert. Dort wurden die nicht arbeitsfähigen - also auch die Kinder - meistens sofort, die anderen nach vorheriger Ausbeutung durch Zwangsarbeit ermordet.Für die Bevölkerung und die Betroffenen galt die Version der "Umsiedlung zum Arbeitseinsatz". Um diese Lüge zu bekräftigen, wurden zunächst nur arbeitsfähige Personen unter 65 Jahren deportiert. Nach weiteren Deportationen, zuletzt auch von Kindern aus sogenannten "Mischehen", galt Darmstadt im Juni 1943 als "judenrein". Nach dem gescheiterten Attentatsversuch auf Hitler am 20.07.1944 wurden auch verschiedene Darmstädter Angehörige von Widerstandsgruppen ermordet (u.a. Leuschner, Mierendorff).

Wilhelm Leuschner (links) und Theodor Haubach.

Die Zerstörung des alten Darmstadt - Brandnacht vom 11./12.09.1944

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"A quiet trip all around, with everything going according to plan", beschrieb ein englischer Bomberpilot das furchtbarste Ereignis der Darmstädter Geschichte. Es handelt sich um die totale Zerstörung der alten Haupt- und Residenzstadt in der Nacht vom 11. zum 12. September 1944. 235 Bomber der Royal Air Force verwandelten Darmstadt in eine ausgedehnte Trümmerwüste. Der Angriff kostete über 11000 Menschen das Leben und zerstörte die Stadt zu fast 80%. Um 23.55 Uhr warfen die ersten Maschinen ihre Bomben ab. Um 00.20 war der Angriff bereits beendet. Gleich zu Beginn fiel die Luftschutzleitung aus, sodass keine zentralen Rettungsmaßnahmen koordiniert werden konnten. Tausende von Einzelbränden entwickelten sich zu einem gigantischen Feuersturm, dessen gewaltiger Sog die Menschen in die Flammen riss oder in ihren Kellern ersticken ließ. Rettungsmaßnahmen waren unter diesen Umständen unmöglich. Im Verhältnis zur Größe der Stadt war die Zahl der Opfer eine der höchsten im Zweiten Weltkrieg überhaupt. Das gesamte öffentliche Leben kam zum Erliegen.

Luftbild vom Tag danach - rechts unten: Großer Woog

66.000 der Überlebenden mussten nach der Brandnacht in den Odenwald oder an die Bergstraße evakuiert werden. Besatzung und Neubeginn Als amerikanische Truppen sechs Monate nach der Brandnacht, am 25. März 1945, einmarschierten und der Stadt ein vorzeitiges Kriegsende bescherten, betraten sie eine Trümmerlandschaft. 50 000 Menschen lebten zu diesem Zeitpunkt noch in den Trümmern - 115 000 Bewohner hatten vor dem Krieg in der Stadt gelebt. Die Verbliebenen harrten zum Teil in Kellerhöhlen, Gartenhäuschen und Ruinen aus. 15 Jahre sollte allein die Beseitigung der Trümmer andauern. Der Wiederaufbau selbst zog sich über Jahrzehnte hin.

Haltestelle Schloss am Friedensplatz 1945 (die Straßenbahnen mit Tarnanstrich gegen Tiefflieger aus dem Jahr 1944)

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Blick von der Pädagogstraße zur Stadtkirche ca. 1930 - vor der Zerstörung

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