48
Weiße Biotechnologie Chancen für neue Produkte und umweltschonende Prozesse

Weiße Biotechnologie - BMEL · tumspotenziale für ökonomisch bedeutende Industriezweige. Wir versprechen uns von ihr aber auch Lösungswege für viele drängende Fragen unserer

Embed Size (px)

Citation preview

Weiße Biotechnologie Chancen für neue Produkte und umweltschonende Prozesse

Impressum

Herausgeber

Bundesministerium

für Bildung und Forschung (BMBF)

Bestellungen

Schriftlich an den Herausgeber

Postfach 30 02 35

53182 Bonn

Tel.: 01805 - 262 302

Fax: 01805 - 262 303

(0,14 Euro/Min. aus dem deutschen Festnetz)

E-Mail: [email protected]

Internet: http://www.bmbf.de oder http://www.biotechnologie.de

Redaktion und Gestaltung

biotechnologie.de, Berlin

Druckerei

DruckVogt GmbH, Berlin

Bonn, Berlin 2007

Bildnachweise

Umschlag: Getty Images

Industrielle Biotechnologie: BRAIN AG, GSF, Fotolia

Anwendungsbeispiele: Fotolia, Henkel KGaA, Grafiker Heinz Fehling,

Hanspeter Helfer und Peter Philippsen (Basel, CH), MWG Biotech AG, Fotolia,

Fotolia, Kim Langille (New Brunswick, Canada), Fotolia, MWG Biotech AG

Grundlagen: Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung, Fonds der Chemischen

Industrie, Rolf Müller (Saarbrücken), Combinature Biotech AG, BAYER AG

Technologien: Matthias Peter ETH (Zürich), BRAIN AG, BRAIN AG,

Nedeljko Budisa (München), GSF, transkript

Bioreaktoren: BASF AG, Greenovation,

Industrielle Produktion: BASF AG, Canola Views Image Library, DASGIP, Fotolia,

sanofi-aventis

Weiße Biotechnologie Chancen für neue Produkte und umweltschonende Prozesse

2 VORWORT

Vorwort

Die weiße Biotechnologie gewinnt zunehmend an Bedeutung

für unser Leben: Chemische Prozesse werden durch den Einsatz

von Mikroorganismen, Enzymen oder anderen Produktions-

systemen optimiert oder ersetzt. Das Zukunftsfeld Biotechno-

logie beeinflusst schon heute Produkte und Prozesse in vielen

Branchen substantiell.

Die weiße Biotechnologie birgt viel versprechende Wachs-

tumspotenziale für ökonomisch bedeutende Industriezweige.

Wir versprechen uns von ihr aber auch Lösungswege für viele

drängende Fragen unserer Zeit. Die Bundesregierung setzt

deshalb auf den Ausbau dieser zukunftsweisenden Techno-

logie. Im Rahmen der Hightech-Strategie für Deutschland

stellen wir in den nächsten fünf Jahren bis zu 100 Millionen

Euro an Fördermitteln allein für die weiße Biotechnologie zur

Verfügung. Mit zusätzlichen Mitteln aus der Wirtschaft sollen

Forschungs- und Entwicklungsprojekte in einem Gesamtvolu-

men von mehr als 250 Millionen Euro finanziert werden.

Wir nutzen die Chancen und das hohe Innovationspotenzial

der weißen Biotechnologie. Wir vergessen dabei aber nicht,

mögliche Risiken durch intensive Forschung erkennen und

besser bewerten zu können. Deshalb werden wir die Förderung

der weißen Biotechnologie in den nächsten Jahren ausbauen:

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat

dafür zwei neue Förderinitiativen ins Leben gerufen:

Die Initiative BioIndustrie 2021 ist eine erste Maßnahme,

mit der zukünftig Ideen aus Hochschulen und Forschungsins-

tituten mit Beteiligung der Wirtschaft schneller in Produkte,

Verfahren oder Dienstleistungen einfließen werden.

Wir werden in den nächsten Jahren aber auch die Genom-

forschung und die Systembiologie an Mikroorganismen weiter

ausbauen. Sie sind die Basis für Entwicklungen von neuen

Forschungsansätzen in der industriellen Biotechnologie.

Mit der Förderinitiative Geno-Mik Plus sollen Mikroorganismen

mit Relevanz für industrielle Anwendungen mit den Methoden

der Genomforschung untersucht und für Produktionsprozesse

optimiert werden.

Mit den Förderinitiativen BioIndustrie 2021 und Geno-

Mik Plus setzt das BMBF im Sinne der Hightech-Strategie eine

Innovationspolitik aus einem Guss um. Unser Ziel muss es sein,

die deutsche Bioindustrie auch bei Beschäftigung und Umsatz

zum Spitzenreiter in Europa zu machen.

Diese Broschüre bietet einen Streifzug durch die faszinie-

rende Welt der weißen Biotechnologie. Informieren Sie sich

über laufende Fördermaßnahmen und Projekte und bekom-

men Sie eine Vorgeschmack auf das, was die weiße Biotechno-

logie möglich machen wird.

Dr. Annette Schavan, MdB

Bundesministerin für Bildung und Forschung

3 INHALT

Inhalt

Vorwort........................................................................................ 02

Wirtschaftliches Potenzial Weißer Biotechnologie ......................................................04

Wirtschaftliche Entwicklung der Weißen Biotechnologie ..04

Weiße Biotechnologie in Deutschland....................................05

Weiße Biotechnologie........................................................06

Biotechnologie – Begriffsdefinition......................................... 07

Entstehung der Weißen Biotechnologie ................................ 07

Anwendungsbeispiele Weißer Biotechnologie .. 10

Wasch- und Reinigungsmittel ................................................. 10

Antibiotika ...................................................................................12

Vitamine.......................................................................................13

Hormone ......................................................................................14

Enzyme als Therapeutika und Diagnostika ............................ 15

Lebensmittelindustrie ............................................................... 15

Nutraceuticals, Prä- und Probiotika .........................................17

Enzyme als Futtermittelzusätze ............................................... 18

Textil-, Leder- und Papierindustrie........................................... 18

Agrochemikalien ....................................................................... 19

Bioethanol, Biodiesel, Biogas und Wasserstoff .......................21

Biopolymere.................................................................................21

Grundlagen der Weißen Biotechnologie ................ 23

Mikroorganismen ...................................................................... 23

Biokatalyse und Fermentation: Enzyme ................................. 24

Molecular Pharming .................................................................. 25

Technologien zur Optimierung vonMikroorganismen und Enzymen .................................. 27

Designer Bugs ............................................................................. 27

Metabolic Pathway Engineering .............................................. 28

Gelenkte Evolution..................................................................... 29

Enzymoptimierung – Protein Engineering............................. 29

Bioprospektion ........................................................................... 29

Genome und Metagenome ....................................................... 30

Synthetische Biologie .................................................................31

Bioreaktoren und Prozess-Design ............................... 33

Industrielle Produktion ..................................................... 35

Technische Enzyme .................................................................... 35

Biotechnologische Feinchemikalien- und

Spezialchemikalienproduktion ............................................... 36

Bulkprodukte .............................................................................. 37

Bioraffinerie ............................................................................... 38

Weiterführende Literatur.................................................40

Glossar ...........................................................................................41

wollsiefes
Notiz
MigrationConfirmed festgelegt von wollsiefes

4 Entwicklung der Weißen Biotechnologie WIRTSCHAFTLICHES POTENZIAL

Wirtschaftliches Potenzial Weißer Biotechnologie

Die Fortschritte auf wissenschaftlich-technischem Gebiet

treiben derzeit die Entwicklung der Weißen Biotechnologie

voran, indem sie die Wettbewerbsfähigkeit biotechnolog-

scher Verfahren und Produkte kontinuierlich erhöhen.

Die Weiße Biotechnologie hat das Potenzial, einen substan-

tiellen Beitrag zu den Herausforderungen der industriellen

Gesellschaft zu leisten:

• Sie wird dazu beitragen, die Wettbewerbsfähigkeit der

Industrie zu verbessern, insbesondere der chemischen

Industrie, die sich in einer Phase der Neu- und Umorien-

tierung befindet.

• Die Nachhaltigkeit der industriellen Produktion wird

verbessert.

• Nachwachsende Rohstoffe als Basis der industriellen Pro-

duktion und der Energiewirtschaft werden erschlossen.

Die Anwendungsmöglichkeiten der Weißen Biotechnologie sind

durch die Vielfalt der Synthesemöglichkeiten der Natur fast unbe-

grenzt. Sowohl neue nachhaltige Produktionsmöglichkeiten be-

stehender Produkte als auch vollkommen neue Produktgruppen

können mit den Methoden der Weißen Biotechnologie entwickelt

werden. Das wirtschaftliche Potenzial, das sich aus der Nutzung

geeigneter Mikroorganismen und ihrer Enzyme ergeben kann,

ist unabsehbar. Die gegenwärtige revolutionäre Entwicklung

auf dem Gebiet der Weißen Biotechnologie lässt die Vermutung

zu, dass bisher erst die „Spitze des Eisberges“ des Innovationspo-

tenzials biotechnologischer Anwendungen erschlossen wurde.

Insbesondere Energie, Informations- und Kommunikationstech-

nologien, Gesundheit, Lebensqualität, Transport und Sicherheit

oder Verbraucherschutz zählen zu den möglichen Anwendungs-

gebieten und Geschäftsfeldern der Industriellen Biotechnologie.

Wirtschaftliche Entwicklung der Weißen Biotechnologie

Nachdem die Weiße Biotechnologie in der Pharmaindustrie

und Lebensmitteltechnologie in Form von Prozessen und

Produkten längst fest etabliert ist, wird sie nun immer häufiger

in der chemischen Industrie angewendet. Feinchemikalien, Me-

dikamente oder Polymere werden zunehmend mit Methoden

der Weißen Biotechnologie hergestellt. Da viele der biotech-

nologischen Verfahren auf erneuerbaren Rohstoffen beruhen

und mildere Reaktionsbedingungen erfordern, sind die Herstel-

lungsprozesse oft umweltfreundlicher, kostengünstiger und

nachhaltiger als herkömmliche Syntheseverfahren:

• Es werden weniger Rohstoffe, Materialien und Energie

verbraucht, außerdem sind geringere Investitionskosten

nötig.

• Komplexe Moleküle wie z. B. Zucker oder Aminosäuren

können mit einfachen, aus wenigen Teilschritten beste-

henden Produktionsprozessen hergestellt werden. Dabei

können mildere Prozessbedingungen genutzt werden

(z. B. niedrige Temperaturen und Normaldruck).

• Es fallen geringere Entsorgungskosten durch umwelt-

freundlichere Reststoffe und Emissionen an.

• Es können erneuerbare, einheimische Ressourcen genutzt

werden.

• Neue, innovative Produkte mit hohem Wertschöpfungs-

potenzial können entwickelt werden.

Die Weiße Biotechnologie birgt aus heutiger Sicht große

Chancen: Aufgrund der rasanten Fortschritte in Forschung und

Entwicklung besitzt sie ein hohes Innovationspotenzial.

Zur Sicherung und Verbesserung der Lebensqualität der Men-

schen könnten vielfältige innovative Produkte und Dienst-

leistungen beitragen, die die gesellschaftlichen Bedürfnisse

besser befriedigen können. Die Entwicklung neuer Märkte und

Beschäftigungschancen wären die positiven Folgen.

Neben den Anwendungspotenzialen sind es vor allem

gestiegene Rohstoff- und Energiepreise sowie Entsorgungskos-

ten, die das Interesse an den Möglichkeiten und Ansätzen der

Industriellen Biotechnologie in den letzten Jahren stark haben

steigen lassen. Mikrobiologisch produzierte und abbaubare Bi-

opolymere könnten zukünftig teilweise die Kunststoffindustrie

von der Erdölabhängigkeit befreien.

Durch den Einsatz erneuerbarer Rohstoffe und Energien

besitzt die Weiße Biotechnologie das Potenzial, zur Ressour-

ceneffizienz beizutragen und Stoffkreisläufe zu schließen. So

werden klimaneutralere und weniger toxische Verfahren der

Weißen Biotechnologie gegenwärtig schon für verschiedene

Produkte verwendet.

Schon heute wird der weltweite Umsatz der Weißen Bio-

technologie auf rund 50 Milliarden Euro geschätzt. Er ist damit

vergleichbar mit dem gegenwärtigen Umsatz, den Biopharma-

ka weltweit erzielen und der mit 55 Milliarden Euro angegeben

wird.

Der Anteil biotechnologischer Verfahren am Umsatz der

chemischen Industrie wird auf 5 % geschätzt. In den nächsten

fünf Jahren soll er auf 10 bis 20 % steigen. In verschiedenen Be-

reichen der chemischen Industrie gibt es keine ökonomischen

Alternativen zu biotechnologischen Produktionsverfahren,

Beispiele hierfür sind die enantiomerenreinen Spezialchemi-

kalien.

Von einer wissenschaftlichen Entdeckung bis zu deren

Umsetzung in einem kommerziellen Produkt ist es jedoch oft

WIRTSCHAFTLICHES POTENZIAL Weiße Biotechnologie in Deutschland 5

ein weiter Weg. Für eine gezielte wirtschaftliche Nutzung

industrieller biotechnologischer Verfahren müssen Grundla-

genforschung und anwendungsorientierte Forschung weiter

vorangetrieben werden.

Die Weiße Biotechnologie steht daher vor großen He-

rausforderungen: Die bisherigen Forschungsansätze und

Anwendungen stellen vielfach nur erste Schritte in Richtung

einer nachhaltigen, biobasierten Wirtschaft dar. Sie zeigen

jedoch, dass sich durch ständige Entwicklung und Ergänzung

vom Know-how unterschiedlicher Technologien innovative

Produkte und Dienstleistungen entwickeln lassen. Entschei-

dend für deren weitere Umsetzung und Kommerzialisierung

wird sein, ob und inwieweit sie die Kundenbedürfnisse besser

befriedigen können.

Weiße Biotechnologie in Deutschland

Produktion und Beschäftigung wachsen besonders in den

Industriezweigen, die in hohem Maße in Forschung und

Entwicklung investieren. Knapp 40 % des Wertschöpfungs-

anteils der deutschen Wirtschaft entfielen z. B. im Jahr 2002

auf forschungs- und entwicklungsintensive Industrien und

wissens-intensive Dienstleistungen (BMBF 2005). In einer

wissensbasierten Wirtschaft sind Innovation, Forschung und

Know-how für das erfolgreiche Bestehen im internationalen

Wettbewerb besonders wichtig.

In Deutschland ist die Hochtechnologie Weiße Biotechno-

logie seit vielen Jahren etabliert und wird ständig weiterent-

wickelt. Deutschland konnte seine starke Position in der bio-

technologischen Grundlagenforschung, der Verfahrens- und

Prozesstechnik sowie in den Produktionskapazitäten in den

vergangenen Jahren ausbauen. Begonnen hat die industrielle

Verwendung biotechnologischer Verfahren in Deutschland

mit der Produktion von OROPON® durch Röhm und Haas

in Darmstadt 1909 (siehe S. 7), wenige Jahre später folgten

Enzymprodukte für die Waschmittelherstellung und für die

Pharma- und Lebensmittelindustrie. Die deutsche Industrie

stellt heute eine stetig wachsende Anzahl von Produkten mit

Hilfe biotechnologischer Verfahren her, zu ihnen gehören

Aminosäuren, Vitamine, optisch aktive Substanzen, Feinche-

mikalien und zahlreiche Bulkprodukte.

Neben zahlreichen Forschungseinrichtungen beschäf-

tigen sich in Deutschland kleine und mittlere Unternehmen

(KMU) und verschiede globale Chemiekonzerne (beispielswei-

se Bayer AG, BASF AG, Degussa AG, Henkel KGaA) mit Weißer

Biotechnologie. Die enge Zusammenarbeit von Großunter-

nehmen, KMU oder neu gegründeten Start-up-Firmen sowie

den zahlreichen Forschungseinrichtungen auf dem Gebiet

der Weißen Biotechnologie bildet eine gute Basis für weitere

Forschung und Entwicklung.

Im Gegensatz zu den Unternehmen, die sich mit der so

genannten Roten Biotechnologie beschäftigen, fallen für die

Firmen der Weißen Biotechnologie nicht die langen Testzeiten

und Zulassungsverfahren für Produkte und Verfahren an.

Der Weg zum Markt ist schneller, einfacher und vor allem risi-

koärmer. Da es sich bei den Produkten und Verfahren oft um

Grundchemikalien und Zwischenprodukte der chemischen

bzw. der Prozessindustrie handelt, ist die Umsetzung von der

Forschung zur Anwendung vergleichsweise kurz. Neue indus-

trielle Prozesse und Produkte können in Entwicklungszeiten

von zwei bis fünf Jahren bis zur kommerziellen Anwendung

gebracht werden.

Erfolgreiche Forschung und Entwicklung können in der

Weißen Biotechnologie wegen der hohen Komplexität der

Einzeldisziplinen nur im Forschungsverbund durchgeführt

werden. Biologen, Chemiker, Verfahrenstechniker und andere

Wissenschaftler müssen das verfügbare und sich entwickeln-

de Know-how gemeinsam nutzen.

Status quo der Weißen Biotechnologie in Deutschland Deutschland hat eine starke Position in der biotechnolo-

gischen Grundlagenforschung sowie der Verfahrens- und

Prozesstechnik und verfügt damit über die potenziellen

Ressourcen für eine erfolgreiche Kommerzialisierung.Von den

480 Biotech-Unternehmen in Deutschland (biotechnologie.

de) arbeiten rund 12 % auf dem Gebiet der Industriellen Bio-

technologie. Dies entspricht einer Zahl von 57 Unternehmen

(Mehrfachnennungen waren in der Erhebung möglich).

Das Beschäftigungspotenzial der Biotech-Branche sah

im Jahr 2005 folgendermaßen aus: In der kommerziellen

deutschen Biotechnologie waren insgesamt knapp 24.000 Mit-

arbeiter beschäftigt. In den 480 Biotech-Unternehmen waren

12.973 Mitarbeiter tätig, hinzu kamen 10.856 Beschäftigte, die

in innovativ biotechnologisch-aktiven Unternehmen direkt in

der Biotechnologie tätig waren. Von den 24.000 Mitarbeitern

waren in der Industriellen oder Weißen Biotechnologie rund

2.500 Beschäftigte tätig.

Die meisten der deutschen Biotech-Unternehmen beschäf-

tigen sich mit Auftragsforschung und Entwicklung, wobei sie

größtenteils über eigene Plattformtechnologien verfügen.

Zunehmend stellen die Biotech-Unternehmen selbst oder in

Zusammenarbeit mit industriellen Partnern eigene Produkte

her.

Das vielversprechende Potenzial der Industriellen oder

Weißen Biotechnologie ist bei weitem noch nicht ausge-

schöpft. Es ist absehbar, dass der Einfluß der Biotechnologie

auf die industriellen Produktionsverfahren in Zukunft weiter

wachsen wird. Die Fortschritte in der biotechnologischen

Forschung erweitern kontinuierlich die Möglichkeiten, indus-

trielle Produktionsprozesse durch neue biotechnologische

Verfahren zu ersetzen. Die Geschwindigkeit, mit der sich die

neuen Verfahren durchsetzen werden, ist dabei abhängig von

unterschiedlichen Faktoren. Die Produktionskosten werden

neben der Kundenakzeptanz die entscheidende Triebkraft

für den Wechsel von konventionellen zu biotechnologischen

Produktionsverfahren sein.

6 Begriffsdefinition WEISSE BIOTECHNOLOGIE

Weiße Biotechnologie

Weiße oder Industrielle Biotechnologie umfasst die in der

industriellen Produktion etablierten Verfahren, um die

Werkzeuge der Natur zu nutzen. Gegenwärtig erfährt die

Weiße Biotechnologie durch technologische Durchbrüche

eine rasante Entwicklung. Die industrielle Produktion, zum

Beispiel in der chemischen Industrie, bedient sich immer

häufiger biotechnologischer Verfahren.

Die moderne Biotechnologie gewinnt für unser tägliches Le-

ben zunehmend an Bedeutung. Viele Verbesserungen – auch

wenn wir dies nicht immer wahrnehmen – beruhen heute

schon auf biotechnologischen Methoden. Neben den rasanten

Fortschritten der so genannten Roten Biotechnologie, die für

die Entwicklung neuer Arzneimittel zu einer unverzichtbaren

Technologie geworden ist, ist es vor allem die Weiße Biotech-

nologie, die unser Leben verändert und bereichert. Brot, Käse,

Bier und Wein sind Produkte, für deren Herstellung biotech-

nologische Verfahren verwendet werden. Doch nicht nur in

der Lebensmittelindustrie ist Biotechnologie von Bedeutung,

auch bei der Herstellung hochwertiger Chemikalien, Arznei-

mittel, Vitamine, Wasch- und Reinigungsmittel, bei der Ver-

edelung von Textilien, Leder und Papier und bei der Produk-

tion vieler anderer täglich benutzter Gegenstände sind Metho-

den der Weißen Biotechnologie zu einem festen Bestandteil

der Produktionsverfahren geworden.

Was versteht man unter Weißer Biotechnologie? Die Weiße Biotechnologie – auch Industrielle Biotechnologie

genannt – ist nach einer Definition der europäischen Industrie-

vereinigung EuropaBio die Verwendung der Werkzeuge der

Natur in der industriellen Produktion.

In der Weißen Biotechnologie werden demnach Organis-

men oder deren Bestandteile als Grundlagen für die industrielle

Produktion verwendet. Dies grenzt sie von der Roten Biotech-

nologie (medizinisch-pharmazeutische Biotechnologie) und

der Grünen Biotechnologie (landwirtschaftlich-pflanzliche

Biotechnologie) ab.

Durch die wissenschaftlichen Erfolge der jüngsten Zeit, die zu

der Aufklärung biologischer Systeme und ihrer Steuerungs- und

Regelungsmechanismen führten, erfährt die Weiße Biotechno-

logie gegenwärtig eine rasante Entwicklung. Sie umfasst eine

Vielzahl von Produkten, Methoden und Anwendungsmöglichkei-

ten. Zu den Produkten der Industriellen Biotechnologie gehören

Spezial- und Feinchemikalien, Lebensmittel oder Lebensmit-

telzusatzstoffe, Agrar- und Pharmavorprodukte und zahlreiche

Hilfsstoffe für die verarbeitende Industrie. Die Methoden der

modernen Weißen Biotechnologie können sowohl für die Etablie-

rung neuer biotechnischer Produktionsverfahren für bestehende

Produkte genutzt werden als auch für die Entwicklung neuartiger

Produkte mit hohem Wertschöpfungspotenzial.

Weiße Biotechnologie heute Derzeit erlebt die Weiße Biotechnologie einen starken Auf-

schwung, zum einen wegen der Etablierung erfolgreicher

Projekte, zum anderen wegen der Erfolge in der molekular-

biologischen und biotechnologischen Forschung: Genomik,

Proteomik, Metabolomik, Screening-Methoden und Bioinfor-

matik haben den Weg zu immer besseren Verfahren geebnet.

Der Zeitbedarf für die Entwicklung und Etablierung neuer

biotechnologischer Verfahren und Produkte konnte deutlich

verkürzt werden. Die Standardisierung und Miniaturisierung

der biotechnologischen Produktionsprozesse trieb die Entwick-

lung weiter voran. Sowohl Wissenschaft als auch Wirtschaft

haben sich in jüngster Zeit wieder verstärkt mit der industriel-

len Anwendung der Biotechnologie beschäftigt.

Ein verschärfter globaler Wettbewerb und daraus resul-

tierende steigende Energie- und Rohstoffpreise sowie die

Bemühungen, industrielle Prozesse insgesamt nachhaltiger zu

gestalten, haben diese Entwicklung weiter beschleunigt.

Dabei kann die Weiße Biotechnologie einen substantiellen

Beitrag zur Bewältigung von Zukunftsherausforderungen leis-

ten. Sie kann dazu beitragen:

7 WEISSE BIOTECHNOLOGIE Begriffsdefinition

• einfachere, umweltfreundlichere und sauberere Produkti-

onsverfahren zu etablieren,

• die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen zu reduzieren,

• die Investitionskosten zu verringern,

• die Energie- und Entsorgungskosten zu reduzieren,

• neue Produkte und Systemlösungen mit hohem Wert-

schöpfungspotenzial zu entwickeln,

• die Wettbewerbsfähigkeit zahlreicher Industriezweige zu

verbessern.

Biotechnologie – Begriffsdefinition

Die Biotechnologie ist in hohem Maße interdisziplinär und um-

fasst Gebiete der Molekulargenetik, Zellbiologie, Humangene-

tik, Medizin, Mikrobiologie, Virologie sowie der Bioinformatik

und Systembiologie. Als eine typische Querschnittstechnologie

nutzt die Biotechnologie neben den Methoden der Bio- und

Lebenswissenschaften auch die anderer Disziplinen, wie Me-

dizin, Chemie, Physik, Robotik, Informationstechnologie oder

Materialwissenschaften.

In einer modernen Definition erklärte die OECD (Organization for Economic Cooperation and Development) Biotechnologie als die Anwen dung von Naturwissenschaft und Technologie an lebenden Organismen, deren Teilen sowie Produkten und Modellen von ihnen.

Unter Biotechnologie versteht man die Umsetzung von Er-

kenntnissen aus der Biologie und der Biochemie in technische

oder technisch nutzbare Elemente.

Die moderne Biotechnologie zeichnet sich vor allem

dadurch aus, dass sie die Methoden der Molekularbiologie

nutzt. Die theoretischen Grundlagen dieser Methoden wur-

den erst durch die Entwicklung der Gentechnik, der Genom-

forschung und der modernen Mikrobiologie erschlossen.

Die Gentechnik entspricht dabei der Anwendung moderner

molekularbiologischer Methoden zur Änderung der geneti-

schen Eigenschaften von Organismen. Man sagt dazu auch

„rekombinante DNA-Technologie“, weil damit die Erbinfor-

mation und Gene, die in der DNA (Desoxyribonukleinsäure)

festgelegt sind, gezielt neu kombiniert also „re“-kombiniert

werden können. Die Gentechnik erweitert das methodische

Spektrum der Forscher gewaltig und erlaubt es, völlig neue

Fragestellungen zu bearbeiten. Die Methoden, die zunächst

nur bei Mikroorganismen angewendet werden konnten, wur-

den im Laufe der Jahre auch auf höhere Organismen, Tiere

und Pflanzen, erfolgreich übertragen. Der Wissensschub,

der daraus resultiert, hat die dynamische Entwicklung der

modernen Biotechnologie erst möglich gemacht.

Im Jahr 1973 wurde die moderne Biotechnologie begründet,

als es Stanley Cohen und Herbert Boyer in San Francisco zum

ersten Mal gelang, ein fremdes Gen in einen Wirtsorganismus

zu übertragen und dieses Gen in dem neuen Organismus zur

Expression zu bringen. Dies bedeutete, dass die in den Genen

gespeicherte Information in einem Wirtsorganismus in ein

Merkmal „übersetzt“ werden konnte. Der Wirtsorganismus

hatte damit neue Eigenschaften. Etwa 10 Jahre später wurde das

erste gentechnisch hergestellte Medikament zugelassen, weni-

ge Jahre später die ersten gentechnisch veränderten, transge-

nen Pflanzen angebaut.

Inzwischen sind weltweit mehr als 250 gentechnisch herge-

stellte Medikamente und Therapeutika auf dem Markt. Auch in

der Landwirtschaft wächst der Anteil der Biotechnologie: Die

Anbaufläche gentechnisch veränderter Pflanzen betrug im Jahr

2005 weltweit rund 90 Millionen Hektar.

Entstehung der Weißen Biotechnologie

Die Weiße Biotechnologie ist im Grunde keine neue Disziplin,

sondern entspricht einem „Griff in die Werkzeugkiste der

Natur“. Methoden der Weißen Biotechnologie werden bereits

seit Jahrtausenden genutzt. In zahlreichen Kulturen waren

Methoden der Vergärung zuckerhaltiger Nahrungsmittel zu

Alkohol mit Hilfe von Hefen, Milchsäuregärung unter Verwen-

dung von Lactobacillus-Stämmen oder die Essigherstellung mit

Hilfe spezieller Acetobacter-Spezies lange vor der Entdeckung

von Mikroorganismen oder dem Verständnis der zugrunde

liegenden Prozesse etabliert.

Historische Entwicklung der Mikrobiologie Die Entdeckung der Mikroorganismen oder das Verständnis der

biochemischen Grundlagen fermentativer Prozesse erfolgte erst

im Verlauf der vergangenen drei Jahrhunderte. Antonie van

Leeuwenhoek (1632-1723) beobachtete erstmals Mikroorganis-

men mit Hilfe eines einlinsigen Mikroskops und fand in einer

Bierprobe gelbe Hefekügelchen.

8 Entstehung WEISSE BIOTECHNOLOGIE

Beispiele für die jahrtausendelange Nutzung von Methoden der Weißen Biotechnologie sind die Produktion von Wein, Bier, Sauerteigbrot, Käse oder Joghurt durch Fermentation. Unter Fermen tation versteht man die Umsetzung von Substan zen unter Mithilfe von Mikroorganis men oder Enzymen.

In allen Kulturen der Welt wurden Lebensmit tel durch mikrobielle Fermentation verändert: Erste Anwendungen der Prinzipien der Weißen Biotechnologie begannen ca. 6000 v. Chr., als die Sumerer in Mesopotamien aus gekeimter Gerste ein alkoholhaltiges bierähnliches Getränk brauten.

Louis Pasteur (1822-1895) entdeckte 1856 in verunreinigten

Weinfässern Mikroorganismen, die er nach ihrer Form mit dem

griechischen Wort für Stäbchen Bacterion benannte. Die ent-

deckten Milchsäurebakterien (Lactobazillen) produzierten aus

Zucker durch Gärung Milchsäure, während in den Weinfässern

Hefepilze den Zucker zu Alkohol vergären sollten. Pasteur legte

mit diesen Entdeckungen die Grundlage für das Verständnis

von Fermentation beziehungsweise Gärung und begründete

die moderne Mikrobiologie. Mit seiner Erkenntnis, dass „die

Rolle des unendlich Kleinen in der Natur () unendlich groß“ ist,

war der Weg für die moderne Biotechnologie bereitet.

Die Bedeutung der Mikroorganismen als Krankheitser-

reger erkannte Robert Koch (1843-1910) als einer der ersten

Wissenschaftler. Im Jahr 1876 gelang Koch die Entdeckung des

Milzbrandbakteriums und 1882 die Identifizierung des Tuber-

kuloseerregers. Zuvor galten nicht Mikroorganismen, sondern

so genannte Miasmen – die Luft verunreinigende Gifte – als

Krankheitsursachen. Die Entdeckungen von Nutzen und Gefahr

durch Mikroorganismen gelangen in der zweiten Hälfte des 19.

Jahrhunderts fast parallel zueinander.

Enzyme Die Aufklärung der chemischen Grundlagen von Stoffwechsel-

reaktionen begann im 18. Jahrhundert als Chemiker beobach-

teten, dass eine Reaktion manchmal durch Einführung eines

Stoffes beschleunigt werden konnte, dieser allem Anschein

nach an der Reaktion aber nicht beteiligt war. Beob-achtungen

dieser Art häuften sich und zogen zu Beginn des 19. Jahrhun-

derts die Aufmerksamkeit der Chemiker auf sich.

Der schwedische Wissenschaftler Jöns Jakob Berzelius (1779-

1848), der als Begründer der modernen Chemie gilt, schrieb im

Jahre 1836 hierüber eine Abhandlung und schlug den Namen

„Katalyse“ für die Erscheinung vor. Dieser ist aus dem Griechi-

schen abgeleitet und bedeutet soviel wie „Abbau“.

Durch Beobachtungen gelang es, zu postulieren, dass che-

mische Prozesse in lebendem Gewebe nur deshalb unter sehr

milden Bedingungen ablaufen, weil dort gewisse Katalysatoren

vorhanden sind, die in der unbelebten Natur fehlen.

Bald konnten Stoffe aus Pflanzen und tierischen Geweben

extrahiert werden, die mit den beobachteten Reaktionen in

Verbindung gebracht und „Fermente“ genannt wurden. Eines

der ersten beschriebenen Fermente war das von dem deutschen

Physiologen Theodor Schwann 1835 aus dem Magensaft extra-

hierte „Pepsin“, benannt nach einem griechischen Wort, das

„verdauen“ bedeutet.

Immer weitere Fermente wurden entdeckt, und in der zwei-

ten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde immer deutlicher, dass

diese Fermente die Katalysatoren der lebenden Gewebe waren,

die im Organismus Reaktionen ermöglichten, die Chemiker

nicht zuwege brachten. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts er-

kannte man vor allem durch Versuche des deutschen Forschers

Eduard Buchner, dass Fermente nicht-lebende Substanzen

waren, die man aus Zellen gewinnen konnte und die ihre Arbeit

auch im Reagenzglas verrichteten. Der Name „Enzyme“ (aus

dem Griechischen „in der Hefe“) wurde von nun an auf alle

Fermente angewandt.

Heute wird ein Enzym (veraltet Ferment), definiert als ein

Eiweiß (Protein), das eine chemische Reaktion katalysieren

kann (siehe Seite 22). Enzyme sind essentiell für den Stoff-

9 WEISSE BIOTECHNOLOGIE Entstehung

wechsel aller lebenden Organismen. Der überwiegende Teil

biochemischer Reaktionen, von der Verdauung (Beispiel:

Pepsin) über den Energiestoffwechsel der Zellen, die Bewe-

gung oder die Informationsübertragung bis hin zum Kopieren

der Erbinformation (DNA-Polymerase), wird von Enzymen

katalysiert und gesteuert.

Biotechnologie in der industriellen Anwendung Biotechnologische Anwendungen in der industriellen Produk-

tion wurden erstmals in der Ledergerbung genutzt: Röhm und

Haas in Darmstadt produzierten bereits 1909 das erste industri-

ell verwendete Enzymprodukt OROPON®. Dieses Produkt

bestand aus Enzymen, die Proteine abbauen, den so genann-

ten Proteasen, und konnte entscheidend die Ledergerbung

verbessern: Bisher waren zur Behandlung der Felle und Häute

Beizen aus Hundekot und Taubenmist verwendet worden, die

jetzt durch das wesentlich umweltfreundlichere und sauberere

Produkt ersetzt werden konnten.

Im Jahre 1928 entdeckte Sir Alexander Fleming (1881-1955)

die keimtötende Wirkung, die von Schimmelpilzen der Spezies

Penicillium notatum ausging. Die Erkenntnis führte zur Isolie-

rung des ersten Antibiotikums, Penicillin. Penicillin wurde

1941 erstmals an einem Menschen getestet und bereits wenige

Jahre später gelang es, einen Stamm der Spezies Penicillium

chrysogenum aus einer verschimmelten Melone zu kultivieren,

der „submers“ wuchs. Das bedeutet, der Stamm wuchs nicht

nur auf Oberflächen, wie dies für Schimmelpilze sonst typisch

ist, sondern er war in einem flüssigen Medium kultivierbar.

Mit diesem Stamm war es möglich, großvolumige Fermenta-

tionstechniken zu entwickeln, um das Penicillin in industri-

ellem Maßstab herzustellen. 1944 wurde die erste Großanlage

mit Submerskultur zur Penicillin-Produktion in Brooklyn, USA,

eröffnet.

Die eigentliche wissenschaftliche Revolution begann mit

den Entdeckungen der Molekularbiologie und Genetik in der

zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die die dynamische Ent-

wicklung der modernen Weißen Biotechnologie vorantrieben.

Heute wird unter Weißer oder Industrieller Biotechno-

logie weitgehend der Einsatz biotechnologischer Methoden

innerhalb industrieller Prozesse verstanden. Die OECD identi-

fiziert hierbei zwei Schwerpunkte:

1. Ersatz endlicher fossiler Brennstoffe durch nachwachsen-

de Ausgangsstoffe, also Biomasse, und

2. Ersatz konventioneller, nicht auf biologischen Prozessen

beruhender Methoden der industriellen Produktion durch

solche, denen biologische Systeme zugrunde liegen.

Die Weiße Biotechnologie bedient sich gewissermaßen der bi-

ologischen, evolutionär geschaffenen biosynthetischen Kreati-

vität der belebten Natur. Neue Enzyme müssen nicht erst erfun-

den werden. Vielmehr produzieren Millionen unterschiedlicher

Mikroorganismen eine fast unendliche Zahl von Enzymvarian-

ten, die es zu entdecken und zu nutzen gilt. Die Erschließung

dieser biosynthetischen Möglichkeiten ist mit den Methoden

der modernen Molekularbiologie erst seit wenigen Jahrzehnten

in systematischer Form möglich geworden – die revolutionäre

Entwicklung dieser Technologie steht damit in unmittelbarem

Zusammenhang. Die produktiven Fähigkeiten von Mikroorga-

nismen scheinen fast unbegrenzt: Eine unübersehbare Vielfalt

organischer und anorganischer Moleküle können in mikrobiel-

len Stoffwechselwegen meisterlich synthetisiert werden.

Das Gebet eines Chemikers (Zitat von Leslie D. Pettit anläss-

lich des X. internationalen Symposiums 2005 über Bioorgani-

sche Chemie, Szklarska Poreba, Polen) wird angesichts dieser

Fähigkeiten verständlich:

„Dear Lord, I fall upon my knees and pray that all my

syntheses may cease to be inferior to those conducted by

bacteria.“

Die Methoden der modernen Biotechnologie unterscheiden sich

dabei von den klassischen Methoden durch die Verwendung

von Enzymen oder ganzen Zellen, die in ihren Eigenschaften

mit Hilfe molekularbiologischer Techniken verbessert werden

konnten. Damit eröffnen sich immer neue Möglichkeiten für die

Entwicklung maßgeschneiderter Synthesen.

Die moderne Weiße Biotechnologie hat ein enormes Po-

tenzial für die Zukunft und bietet ökologische, ökonomische

und funktionelle Vorteile: Biokatalysatoren sind biologisch

abbaubar, bei Biokatalysen entstehen weniger Abfall- und

Nebenprodukte, die Produktion ist mit einer verbesserten

Umweltbilanz unter milderen Bedingungen möglich. Der

Energiebedarf und der Rohstoffeinsatz sinken. Die biotechno-

logische Synthese ist in weniger Schritten möglich, aufwändi-

ge Herstellungsverfahren werden überflüssig, die Reaktionen

sind darüber hinaus hochspezifisch. Unternehmen haben auf

diese Weise die Möglichkeit, Kosten zu reduzieren und neue

Absatzmärkte zu erschließen, bei gleichzeitig verbessertem

Schutz der Umwelt.

Die beschriebenen Möglichkeiten der Weißen Biotech-

nologie sind auch in ihrer Multidisziplinarität begründet.

Die Konvergenz der Weißen Biotechnologie und anderer

Technologiefelder führt zu Synergien, so dass die Grenzen

zu Verfahrenstechnik, Informationstechnik, Nanotechnolo-

gie, Molekularbiologie, Chemie oder Biophysik zunehmend

verwischen.

10 Wasch- und Reinigungsmittel ANWENDUNGSBEISPIELE

Anwendungsbeispiele Weißer Biotechnologie

In vielen Bereichen Industrieller Produktion und Verar-

beitung werden Verfahren und Produkte der Weißen

Biotechnologie bereits heute mit großem Erfolg eingesetzt.

Die verschiedenen Anwendungsgebiete zeigen die

große Bedeutung, die diese Technologie in unserem

täglichen Leben hat.

In verschiedenen Bereichen der industriellen Produktion und

Verarbeitung sind die Methoden der modernen Biotechnolo-

gie zu einem unverzichtbaren Werkzeug geworden. Zu ihnen

gehören die Herstellung von enzymhaltigen Wasch- und

Reinigungsmitteln oder die Verwendung von Enzymen als

Medikamente, Diagnostika, Lebensmittel- oder Futtermittel-

zusätze. Bei der Produktion verschiedener Arzneimittelvor-

stufen, Antibiotika, Vitamine, Hormone oder bei der Verar-

beitung zahlreicher Lebensmittel werden biotechnologische

Verfahren eingesetzt. Sie unterliegen gerade in jüngster Zeit

durch die bahnbrechenden Erkenntnisse auf dem Gebiet der

Molekularbiologie einer dynamischen Optimierung.

Wasch- und Reinigungsmittel

Eine der klassischen Anwendungen Weißer Biotechnologie ist

die Verwendung optimierter Biokatalysatoren, so genannter

Enzyme, in Waschmitteln.

Enzymhaltige Waschmittel werden seit dem frühen 20. Jahr-

hundert eingesetzt. Enzyme verbessern Waschmittel durch die

Spaltung verschiedener Schmutzpartikel in lösliche Verbin-

dungen. Besonders eiweißhaltige Verschmutzungen wie zum

Beispiel Ei, Blut und Kakao konnten durch Enzyme immer

besser gespalten und beseitigt werden. Zunächst wurden die

in Waschmitteln verwendeten Enzyme aus den Bauchspeichel-

drüsen von Schlachttieren gewonnen. Seit den 60er Jahren

konnten sie durch Enzyme aus biotechnologischer Produktion

ersetzt werden.

Durch die Verwendung von Enzymen in Waschmitteln

konnte nicht nur das Waschergebnis verbessert werden, son-

dern vor allem konnten die Kosten und der Energieverbrauch

durch Herabsetzen der Waschtemperaturen, Waschdauer, des

Wasser- und Waschmittelverbrauchs deutlich reduziert wer-

den. Der Waschprozess wird also effektiver, kostengünstiger

und umweltfreundlicher.

Am Beispiel der Proteasen, die in etwa 80 % aller Waschmit-

tel enthalten sind, wird die Bedeutung dieser Biokatalysatoren

deutlich: Proteasen sind Enzyme, die Eiweiße (Proteine) spalten.

Eiweißhaltige Verschmutzungen machen einen großen Teil der

Wäscheverunreinigungen aus. Enzyme werden bei der Prote-

inspaltung nicht verbraucht, es ist daher möglich, sie auch in

kleinen Mengen sehr wirkungsvoll einzusetzen. Bei ausreichend

langer Einwirkungszeit kann theoretisch eine sehr kleine Menge

Proteasen eine unbegrenzte Menge Eiweiß abbauen.

Enzyme haben ein Temperaturoptimum. Sie sind grund-

sätzlich nur in einem begrenzten Temperaturbereich wirksam,

der meist zwischen 20 °C und 65 °C liegt. Eine Protease, deren

Wirkungsoptimum bei etwa 60 °C liegt, hat bei 30 °C nur noch

5 bis 10 % ihrer optimalen Wirkung. Umgekehrt kann das Enzym

bei 95 °C schon nach einigen Minuten völlig unwirksam sein.

Da Waschprozesse bei unterschiedlichen Temperaturen ablau-

fen, müssen Enzyme temperaturabhängig verwendet werden.

Sie werden auch industriell aus dementsprechend angepaßten

Mikroorganismen hergestellt. Um die Energiekosten möglichst

gering zu halten, ist es ein Forschungsziel, Enzyme zu finden,

die bei immer geringeren Temperaturen optimal wirken.

Die Alkalität des Waschwassers macht man sich seit Jahrtau-

senden zunutze, um Schmutz zu entfernen. Die Haltbarkeit der

gewaschenen Fasern ist jedoch bei höherer Alkalität geringer.

Um die Fasern zu schonen, aber auch, um die Produkte für den

Verbraucher sicherer zu machen, ist eine Herabsetzung der

Alkalität also von Vorteil. Damit die Waschleistung auch in we-

niger alkalischem Waschwasser gewährleistet bleibt, müssen

Enzyme gefunden werden, die in dem entsprechenden Milieu

optimal arbeiten. Die Enzymaktivität ist pH-abhängig. Die

meisten Waschmittelenzyme haben daher ein pH-Optimum,

das dem alkalischen pH-Wert des Waschwassers angepasst ist.

Ein Beispiel für Enzyme, die im alkalischen Milieu – also in dem

11 ANWENDUNGSBEISPIELE Wasch- und Reinigungsmittel

vorherrschenden Milieu von Waschwasser – arbeiten, sind die

Subtilisine. Sie gehören zu den Proteasen, das heißt zu den

eiweißspaltenden Enzymen, sind bakterieller Herkunft und

verdanken ihre Benennung dem Ursprungsorganismus Bacillus

subtilis. Subtilisine spalten eiweißhaltige Verschmutzungen wie

Ei, Blut oder Kakao im alkalischen Milieu so stark auf, dass diese

ausgespült werden können.

Da Enzyme trotz zum Teil hoher Temperatur- und Alkali-

stabilität leicht denaturierbare Proteine sind, reagieren sie

empfindlich auf andere Waschmittelbestandteile, beispielswei-

se gegenüber oxidierenden Bleichmitteln, aber auch gegen-

über Tensiden und Enthärtern. Dies muß bei der Entwicklung

von Wasch- und Reinigungsmitteln beachtet werden.

Die Verwendung von Enzymen ist unter dem Gesichts-

punkt der Waschmittelwirksamkeit und des Umweltschutzes

zu befürworten. Enzyme sind bereits in kleinsten Mengen

hoch wirksam, so dass eine größere Menge anderer wasch-

aktiver Substanzen eingespart werden kann. Außerdem sind

Enzyme biologisch vollständig abbaubar und ungiftig. Die

Enzymherstellung erfolgt biotechnologisch, also mit Hilfe von

Mikroorganismen in sogenannten Fermentern.

In Wasch- und Reinigungsmitteln werden neben Proteasen

folgende weitere Enzyme verwendet:

• Amylasen für den Abbau von Stärke,

• Cellulasen für den Abbau von Cellulose,

• Lipasen für den Fettabbau auch bei Temperaturen um 20°C.

Amylasen bauen Stärke ab, die z. B. in Soßen, Verdickungsmit-

teln und prozessierten Lebensmitteln, aber auch in Appretur

enthalten ist. Die Stärke wird dabei in lösliche Zweifachzucker

(Maltose) gespalten. Cellulasen sind dagegen nicht in erster

Linie für den Schmutzabbau zuständig, sondern wirken auf

die Gewebe selbst. So entfernen Cellulasen auf Baumwollge-

weben die winzigen Knötchen (Pilling), die das Gewebe rauh

machen, oder bauen abstehende Mikrofibrillen ab, die den

Farbeindruck schwächen. Sie sind auch für die Entfernung von

Pigmentflecken verantwortlich. Lipasen spalten Fette in die

leichter löslichen Bestandteile Fettsäuren und Glycerin. Fett-

BMBF-Projekt „Neue effiziente Waschprozesse bei tiefen Temperaturen – Tieftemperaturprotease“

Die zunehmende Notwendigkeit zur Einsparung von Energie

und Ressourcen stellt die Industrie vor die Herausforderung,

dem Verbraucher neue Produkte zur Verfügung zu stellen,

die diesen Erfordernissen entsprechen. Mit dem vom BMBF

geförderten Projekt „Neue effiziente Waschprozesse bei tiefen

Temperaturen – Tieftemperaturproteasen“ sollen unter Pro-

jektleitung der Henkel KGaA in Düsseldorf in Zusammenar-

beit mit Forschungseinrichtungen neue Proteasen gefunden

werden, die für die Anwendung in Waschmitteln bei niedri-

gen Temperaturen optimiert sind. Sie sollen erstmalig den

Anforderungen von so genannten Kaltwasserwaschprozessen

gerecht werden.

Um neue und geeignete Proteasen zu finden, werden zwei

unterschiedliche Vorgehensweisen gewählt. Zum einen wer-

den kultivierbare Mikroorganismen aus der Natur isoliert und

auf ihre Fähigkeit getestet, kälteaktive Proteasen zu bilden.

In einem zweiten Ansatz werden auch die Gene von Mikro-

organismen untersucht, die nicht kultivierbar sind. Hierfür

werden in Kooperation mit dem Biotechnologie-Unternehmen

BRAIN AG in Zwingenberg so genannte Metagenom-Banken

angelegt. Dabei wird die Erbinformation aller Mikroorga-

nismen eines bestimmten Lebensraums (Habitats) geklont,

sowohl die Gene der kultivierbaren Mikroorganismen als auch

die Gene der nichtkultivierbaren Arten. Diese gesamte gene-

tische Information eines Habitats nennt man Metagenom. Die

genetische Information wird auf die gesuchten Proteaseakti-

vitäten durchgemustert. Es ist auf diese Weise möglich, eine

sehr große Menge der synthetischen Vielfalt der Natur auf

geeignete Enzyme hin zu untersuchen. Im geförderten Projekt

werden die neu identifizierten Tieftemperaturproteasen

charakterisiert, in ihrer Waschleistung geprüft und auf die

Produktionseignung (Herstellbarkeit) hin bewertet. Ziel des

Projekts sind energie- und materialsparende und somit nach-

haltigere Waschprozesse, die auf neuen waschaktiven und

effizient herstellbaren Tieftemperaturproteasen basieren.

In den Vertiefungen der Platten befinden sich kleine Läppchen

mit unterschiedlichen Anschmutzungen.

Die neuen Enzyme werden hier dazugegeben und nach dem

„Waschen“ wird die Leistung der Enzyme anhand von Messungen

der Farbänderung bzw. Aufhellung beurteilt.

12 Antibiotika ANWENDUNGSBEISPIELE

schmutz wie Lippenstift oder Kragenschmutz können dann

auch bei niedrigen Waschtemperaturen entfernt werden. Der

Bereich Wasch- und Reinigungsmittel macht den größten

Marktanteil industrieller Enzyme aus (ca. 40 % VDI). Nicht nur

in Waschmitteln, sondern zum Beispiel auch in Reinigungs-

mitteln für Geschirrspülmaschinen oder in der Reinigungs-

flüssigkeit von Kontaktlinsen sind Enzyme unverzichtbare

Bestandteile. Der riesige Markt macht die ständige Entwick-

lung neuer bedarfsangepasster, gentechnisch verbesserter

Enzyme erforderlich.

Antibiotika

Antibiotika dienen der Behandlung von Infektionskrankhei-

ten und zählen zu den am häufigsten verschriebenen Medi-

kamenten. Das erste bekannte Antibiotikum, das Penicillin,

war auch eines der ersten biotechnologisch hergestellten

Produkte. Seit 1944 konnte Penicillin in industriellem Maßstab

aus Submerskulturen (Kulturen von Mikroorganismen in

Nährlösungen) des Pilzes Penicillium chrysogenum gewonnen

werden. Als Nährmedium in den Fermentern diente dabei in

Wasser eingeweichter Mais (corn steep liquor). Bis zum Ende

des Zweiten Weltkrieges boten 12 US-amerikanische und zwei

kanadische Firmen Penicillin an. Es blieb zunächst hauptsäch-

lich verwundeten Soldaten vorbehalten, denn die Produk-

tionsmenge reichte noch nicht aus, um auch alle zivilen

Patienten damit behandeln zu können. Auch nach dem Krieg

reichte die Produktion nicht für alle Patienten. Die Not der Pa-

tienten führte zu Schmuggel und Schwarzhandel, was in dem

berühmten Roman von Graham Greene „Der dritte Mann“ und

in dem gleichnamigen Film thematisiert wird.

Die große Bedeutung der Entdeckung der Antibiotika für

die moderne Medizin zeigt die Sterblichkeitsrate bei Infekti-

onskrankheiten, die 1910 bei 35 Prozent lag und bis 1990 auf

vier Prozent gesunken ist.

Ein weiteres bekanntes Breitband-Antibiotikum, das wie

das Penicillin zu den β-Lactam-Antibiotika gehört, ist das

Cephalosporin. β-Lactam-Antibiotika töten die sich teilenden

Bakterien, indem sie ihre Zellwandsynthese stören. Die Ce-

phalosporin-Produktion ist ein anschauliches Beispiel für die

Verbesserung der Antibiotika-Produktion mit Hilfe biotechno-

logischer Verfahren:

Cepholosporin wurde erstmals 1948 von dem italienischen

Wissenschaftler Giuseppe Brotzu isoliert, der beobachtete,

dass Kulturen des Schimmelpilzes Cephalosporium acremoni-

um eine Substanz produzierten, die den Erreger des Typhus,

Salmonella typhii, abtöteten.

Einer der wichtigsten Hauptausgangsstoffe für Cephalos-

phorin ist die so genannte 7-Amino-Cephalosporansäure. Im

konventionellen Verfahren wird in chemischen Prozessen der

Hauptausgangsstoff Cephalosporin C in mehreren Schritten

zu 7-Amino-Cephalosporansäure umgewandelt. Dabei werden

toxische und gefährliche Stoffe wie Trimethylchlorosilan und

Pentachlorid, chlorhaltige Lösungsmittel und schwermetall-

haltige Substanzen eingesetzt. Außerdem muss der Prozess

unter großem Energieaufwand gekühlt werden, was zu

hohen Kosten führt. Das entstehende Abgas muss aufwändig

gereinigt werden. Anfallendes Abwasser kann mit normalen

biologischen Abwasserreinigungsverfahren nicht gereinigt

werden, die entstehenden Klärschlämme müssen daher ver-

brannt werden.

Biotechnologisches Verfahren zur Cephalosporinherstellung Im biotechnologischen Herstellungsverfahren der 7-Amino-

Cephalosporansäure wird die Ausgangssubstanz Cephalospo-

rin C in zwei Reaktionsschritten durch zwei Enzyme („D-

Amino Acid Oxidase“ und „Glutaryl Amidase“) umgewandelt.

Beide Enzyme wurden aus natürlich vorkommenden Mikroor-

ganismen gewonnen. Die Mikroorganismen wurden dabei so

optimiert, dass eine sehr hohe Ausbeute bei der Gewinnung

der Enzyme erreicht werden konnte. Die gewonnenen Enzyme

wurden isoliert, gereinigt, auf Trägersubstanzen aufgebracht

und dann in einem Bioreaktor verwendet. In dem biotech-

nologischen Verfahren zur 7-Amino-Cephalosporansäure-

Produktion kann so bei Zimmertemperatur mit Wasser als

Lösungsmittel und ohne toxische Stoffe oder Schwermetalle

gearbeitet werden. Das Abwasser kann danach im Wesent-

lichen biologisch gereinigt werden. Dadurch muss weniger

Klärschlamm in der Müllverbrennung entsorgt werden

und die Abgasemissionen fallen geringer aus. Allerdings

13 ANWENDUNGSBEISPIELE Vitamine

erhöht sich die Abwasserfracht geringfügig. Das biotechnolo-

gische Verfahren ist erheblich kostengünstiger, Energie- und

Materialkosten können deutlich eingespart werden.

Vitamine

Ein weiteres Beispiel Weißer Biotechnologie ist die Produktion

von Vitaminen. Vitamine müssen mit der Nahrung aufgenom-

men werden, da sie vom körpereigenen Stoffwechsel zum größ-

ten Teil nicht synthetisiert werden können. Es sind organische

Verbindungen, die vom Organismus nicht als Energieträger,

sondern für andere lebenswichtige Funktionen benötigt wer-

den. Einige Vitamine werden dem Körper als Vorstufen (Pro-

vitamine) zugeführt, die dann erst im Körper in die Wirkform

umgewandelt werden. Man unterteilt Vitamine in fettlösliche

(lipophile) und wasserlösliche (hydrophile) Vitamine. Die meis-

ten Vitamine werden chemisch synthetisiert, die Vitamine C,

B12 und B2 werden jedoch überwiegend mit biotechnologischen

Verfahren hergestellt.

Vitamin C wird durch Kombination von chemischer und bi-

otechnologischer Synthese mit Hilfe eines gentechnisch verän-

derten Bakterienstammes der Gattung Erwinia gewonnen, der

ein Enzymgen (Reduktase) aus einem anderen Bakterium, dem

Corynebakterium, enthält. Bei der Herstellung des Vitamins B12

konnte die aufwändige chemische Synthese des Cobalamins,

der Vorstufe des Cyanocobalamins (Vitamin B12), durch einen

einstufigen Fermentationsprozess mit Hilfe des Mikroorganis-

mus Pseudomonas denitrifans ersetzt werden.

Herstellung von Vitamin B2

Die Vitamin B2-Produktion zeigt deutlich die Vorteile biotech-

nologischer Produktionsverfahren in der Vitaminherstellung:

Der biotechnologische Herstellungsprozess von Vitamin B2 wird

unter anderem von der BASF AG in Ludwigshafen eingesetzt

und hat inzwischen den chemisch-technischen Syntheseweg

nahezu komplett ersetzt: Vitamin B2 wird für den Energiehaus-

halt der Zellen benötigt und kommt vor allem in Milch, Käse,

Eiern, Fleisch, Nüssen und Leber vor. Es unterstützt den Organis-

mus beim Aufbau bestimmter chemischer Verbindungen und

beim Abbau von Kohlenhydraten, Fettsäuren und Aminosäu-

ren. Ein Mangel von Vitamin B2 kann u. a. zu Wachstumsstörun-

gen führen.

Vitamin B2 dient auch als gelber Farbstoff. Bei dieser Ver-

wendung gilt Vitamin B2 als Zusatzstoff und muss unter der

Bezeichnung Riboflavin (E 101) in der Zutatenliste aufgeführt

werden. Riboflavin (auch: Lactoflavin) ist ohne Höchstmengen-

beschränkung zur Färbung von Lebensmitteln und in Futter-

mitteln zugelassen.

Chemisches Verfahren Noch in den 90er Jahren wurde Vitamin B2 bei der BASF in

einem achtstufigen Syntheseprozess hergestellt. Wichtigster

Ausgangsstoff war dabei Zucker (Glukose), der zuerst in einem

biotechnologischen Verfahrensschritt zu Ribose fermentiert

wurde. Danach folgten jedoch rein chemisch-technische

Ashbya gossypii, Zellwand (rot) und Zellkerne (gruen)

Prozessschritte. Hierzu wurden einige umweltschädliche

Chemikalien eingesetzt: z. B. musste das entstehende Produkt

aufwändig unter Verwendung von Säure gereinigt werden,

um schließlich zu 96 % aus Vitamin B2 zu bestehen.

Biotechnologische B2-Produktion Wesentlicher Ausgangsstoff für die biotechnologische

Herstellung von Vitamin B2 ist ebenfalls Glukose. In einem Bio-

reaktor wird dabei ein auf die Produktion von Vitamin B2 opti-

mierter Stamm des Pilzes Ashbya gossypii oder ein verwandter

Pilz der Spezies Eremothecium ashbyii verwendet. Verwendung

finden auch Vitamin-überproduzierende Stämme des Bakte-

riums Bacillus subtilis, die das Vitamin nicht natürlich bilden,

sondern gentechnisch verändert wurden. Pflanzenöl auf Soja-

basis, das Glukose enthält, wird als Ausgangsstoff genutzt.

In der Fermentation entsteht in einem einzigen Prozess-

schritt Vitamin B2 in Form gelber Kristalle.

Beim biotechnologischen Verfahren kann gegenüber dem

chemischen Verfahren eine Verringerung der Umweltbelas-

tung um 40 % erreicht werden: So können die CO2-Emissionen

um 30 %, der Stoffverbrauch um 60 % und die entstehenden Ab-

fälle um 95 % verringert werden. Es werden weniger umwelt-

gefährdende Chemikalien verwendet und weniger Nebenpro-

dukte entstehen, so dass auf einige der aufwändigen und zum

Teil umweltrelevanten Prozessschritte zur Aufreinigung des

Endprodukts verzichtet werden kann.

14 Hormone ANWENDUNGSBEISPIELE

Hormone

Auch bei der Hormonsynthese spielen biotechnologische

Verfahren eine zunehmende Rolle. Hormone sind körpereige-

ne Informationsübermittler. Nach ihrem chemischen Aufbau

unterscheidet man zwischen Hormonen, die vor allem aus

Eiweiß bestehen, und solchen, die sich überwiegend aus Fetten

zusammensetzen. Erstere heißen Peptidhormone, zu letzteren

gehören vor allem Steroidhormone. Peptidhormone sind u. a.

Insulin, Glucagon und die Hypophysen- und Zwischenhirn-Hor-

mone. Zu den Steroidhormonen zählen die Geschlechts- und

Nebennierenrindenhormone. Viele Krankheiten beruhen auf

Fehlleistungen verschiedener Hormonsysteme. Die Gabe von

Hormonen ist in der Medizin bei verschiedenen Krankheiten

erforderlich (z. B. Wachstums- oder Wechseljahrsbeschwerden,

Krebstherapie u. a.).

Die Synthese des Steroidhormons Cortison ist ein Beispiel

für die Kombination biotechnologischer und chemischer

Syntheseschritte. In den frühen 30er Jahren wurde das Ne-

bennierenrindenhormon Cortison von den Forschern Edward

C. Kendall und Tadeusz Reichenstein erstmals isoliert. Die

schmerz- und entzündungslindernde Wirkung des Steroidhor-

mons machte Cortison als Medikament interessant. Die aufwän-

dige chemische Synthese war zunächst nur in 37 Schritten unter

extremen Reaktionsbedingungen möglich. Die Biotechnologie

ermöglicht die Verkürzung der Synthese auf 11 Schritte, für die

man industriell ddie Stoffwechselleistung des Pilzes Rhizopus

arrhizus verwendet. Durch biotechnologische Verfahren konn-

ten Druck und Temperatur der Syntheseschritte reduziert und

damit die Herstellungskosten gesenkt werden.

Mit Hilfe weiterer biotechnologischer Prozesse konnte der

Ausgangsstoff für die Cortison-Synthese, Diosgenin, der aus der

mexikanischen Yams-Wurzel gewonnen wurde, ersetzt werden.

In den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts stiegen die

Preise für den Ausgangsstoff Diosgenin so stark an, dass alterna-

tive Methoden mit Hilfe der Biotechnologie entwickelt wurden:

BMBF-Fördermaßnahme „GenoMik-Plus – Funktionelle Genomforschung an Mikroorganismen für Industrielle Produktion, Ernährung, Umwelt und Gesundheit“

Das BMBF führt mit der Fördermaßnahme „GenoMik-Plus

– Funktionelle Genomforschung an Mikroorganismen für

Industrielle Produktion, Ernährung, Umwelt und Gesundheit“

die erfolgreichen Projekte der GenoMik-Förderung (2001-2006)

fort. Unterstützt wird es dabei aktiv vom „Industrieverbund

Mikrobielle Genomforschung“, zu dem sich 16 Unternehmen aus

der chemischen Industrie, der Pharmaindustrie, der Nahrungs-

güterwirtschaft und der Biotechnologie zusammengeschlossen

haben. Dieser Industrieverbund begleitet die Förderaktivität

mit dem Ziel, einen Ansprechpartner auf Seiten der Wirtschaft

zu schaffen, der die Interessen und Aktivitäten der beteiligten

Unternehmen bündelt, den Technologietransfer optimiert und

die Koordination der Forschung auf europäischer Ebene leitet.

Sorangium cellulosum

Das Bielefelder GenoMik-Plus Netzwerk mit dem Forschungs-

vorhaben „Funktionelle Genomforschung an Bakterien für

den Umweltschutz, die Landwirtschaft und die Biotechnolo-

gie“ setzt sich aus insgesamt 26 Forschergruppen zusammen,

die an 15 Universitäten, drei Forschungszentren sowie in drei

Industrieunternehmen arbeiten. Es baut auf die Arbeiten der

GenoMik-Fördermaßnahme auf und unterteilt sich in die drei

Forschungscluster „Pflanzenassoziierte Bakterien“, „Primärme-

tabolitproduzenten“ und „Sekundärmetabolitproduzenten“. Im

Mittelpunkt dieser Analysen steht die Entzifferung der Genomse-

quenzen von sechs verschiedenen Bakterienspezies mit Relevanz

in den Bereichen Umweltschutz (Alcanivorax borkumensis), Land-

wirtschaft (Azoarcus sp., Xanthomonas campestris, Clavibacter

michiganensis) und Biotechnologie (Sorangium cellulosum) sowie

die Herstellung von genomweiten Microarrays (DNA-Chips).

Die zukünftigen Arbeiten betreffen vorwiegend Postgenom-

analysen, d. h. Analysen, die über die Entzifferung der DNA

hinaus gehen und sich mit der Genaktivität und Proteinsynthese

(Transkriptom und Proteom) und dem Stoffwechsel (Metabolom)

der verschiedenen Bakterienspezies beschäftigen. Ein weiterer

Forschungsschwerpunkt ist die Untersuchung kombinatorischer

Biosynthese von neuartigen Antibiotika durch Streptomyceten

(„Sekundärmetabolitproduzenten“). In das Bielefelder Netzwerk

wurden vier Arbeitsgruppen neu integriert, die sich der Analyse

von antibiotisch wirksamen Sekundarmetaboliten der Bakterien-

spezies Bacillus amyloliquefaciens widmen. Das an der Universität

Bielefeld angesiedelte Netzwerkzentrum wird das Projektma-

nagement übernehmen sowie den Netzwerkpartnern seine

Infrastruktur und Plattformtechnologien zur Verfügung stellen.

15 ANWENDUNGSBEISPIELE Enzyme

Der mikrobielle Abbau bei der Herstellung von Sojabohnenöl

führt zu einem Rückstand, der einen hohen Anteil der Steroide

Sitosterol und Sigmasterol enthält, die den limitierten Aus-

gangsstoff Diosgenin ersetzen konnten.

Enzyme als Therapeutika und Diagnostika

Die Verwendung biotechnologisch hergestellter Enzyme in der

Medizin ist vielfältig: Enzyme werden in Therapie und Diagnose

eingesetzt. Erst mit den Fortschritten der biotechnologischen

Forschung der vergangenen Jahrzehnte hat sich das ökonomi-

sche Potenzial therapeutischer Enzyme entwickeln können.

Durch die Verfahren der Weißen Biotechnologie können Enzy-

me preisgünstig mit hoher Leistungsfähigkeit und Selektivität

hergestellt werden.

Die so genannten therapeutischen Enzyme werden direkt

als Medikamente verwendet. Zu ihnen gehören: Lipasen zur

Unterstützung von Fettabbau und Verdauungsfunktion; Protea-

sen, die den Eiweißabbau ermöglichen und auch der Unterstüt-

zung der Verdauungsfunktion dienen; Lysozym, das antibakte-

riell durch das Auflösen von Bakterienwänden wirkt; Urokinase,

die die Auflösung von Blutgerinnseln ermöglicht; Thrombin,

das die Blutgerinnung und den Wundverschluss beschleunigt

oder Pegaspargase, die den Abbau der Aminosäure Asparagin

in Krebszellen bewirkt (Asparagin, das z. B. für den Aufbau der

DNA notwendig ist, kann von bestimmten Krebszellen nicht

synthetisiert werden).

Morbus Fabry Mit der Entwicklung geeigneter therapeutischer Enzyme

wird beispielsweise auch versucht, Therapien gegen seltene

Stoffwechselerkrankungen, die oft genetisch bedingt sind, zu

entwickeln. Ein Beispiel dafür ist neben der Mukoviszidose, zu

deren Behandlung verschiedene Enzyme getestet werden, die

Fabry-Krankheit.

Die Mukoviszidose ist eine genetisch bedingte Stoffwech-

selerkrankung, bei der die Sekrete exokriner Drüsen verändert

sind. In Lunge, Dünndarm, Bauchspeicheldrüse, Gallenwegen

und Schweißdrüsen werden zähe Sekrete gebildet, die nur

schwer aus dem Körper abtransportiert werden können. Be-

handelt werden kann die Krankheit nur symptomatisch. Hierzu

gehört unter anderem auch die Gabe von Verdauungsenzymen

(Lipasen).

Die Fabry-Krankheit (Morbus Fabry) gehört zu den ge-

netisch bedingten lysosomalen Speichererkrankungen, das

bedeutet, dass in den Zellorganellen, die Lysosomen heißen,

Stoffe gespeichert werden, die normalerweise abgebaut wer-

den können. Die Vermehrung von nicht-abgebautem Material

in den Lysosomen hat verschiedene schwere Erkrankungen zur

Folge. Dazu gehört die Fabry-Krankheit, die auf einer Mutation

im alpha-Galaktosidase A-Gen beruht. Das Enzym alpha-Galac-

tosidase A ist im körpereigenen Stoffwechsel für den Transport

bestimmter Fette, den Glykosphingolipiden, verantwortlich.

Durch den genetisch bedingten Mangel des Enzyms alpha-Ga-

laktosidase A können die Glykosphingolipid-Fette nicht aus den

Zellen entfernt werden, und es kommt zu einer Akkumulation

dieser Fette in den Lysosomen verschiedener Körperzellen.

Besonders die Akkumulation in Nierenzellen führt zu schweren

Gewebeschädigungen mit der Folge eines möglichen Nieren-

versagens.

Die Enzymersatztherapie mit gentechnisch hergestellter

alpha-Galactosidase A führt bei Patienten mit der Fabry-Krank-

heit zu einer Reduktion der lysosomalen Glykosphingolipid-Ab-

lagerungen.

Weitere Enzyme in Medizin und Diagnostik Ein anderes Beispiel für erfolgreiche Enzymtherapie ist die

Urokinase: Das Enzym Urokinase, auch Plasminogen-Aktivator

genannt, wird als Thrombolytikum zur Lösung von Blutgerinn-

seln bei akuten Herzinfarkten und Schlaganfällen eingesetzt.

Urokinase wurde erstmals in menschlichem Urin entdeckt.

Urokinase ist in der Lage, diverse Proteine im Blutplasma zu

spalten, insbesondere das Fibrin in Gerinnseln (Fibrinolyse). Der

Weltmarkt für thrombolytische Medikamente betrug im Jahr

2005 ungefähr 1,7 Milliarden US-$, der Anteil von Plasminogen

Aktivator-Substanzen wird dabei auf 40% geschätzt.

In der Diagnostik werden Enzyme vielfältig genutzt – Beispiele

hierfür sind Enzyme wie Phosphatasen und Peroxidasen, die

zum Tumornachweis verwendet werden oder Elastase zur

Bestimmung von Pankreasinsuffizienz und Glucoseoxidase

zur Blutzuckerbestimmung mit Biosensoren.

Lebensmittelindustrie

In der Lebensmittelindustrie werden mehr als 40 Enzyme in

unzähligen Produktionsprozessen eingesetzt. Enzyme sind

biochemische Werkzeuge, die den Aktionsradius der modernen

Lebensmitteltechnologie deutlich erweitert haben. Es findet

heute kaum noch eine Lebensmitteltechnologie-Tagung statt,

auf der nicht neue Einsatzmöglichkeiten für Enzyme vorge-

16 Lebensmittelindustrie ANWENDUNGSBEISPIELE

stellt werden: Enzyme modifizieren Stärke, optimieren Fette

und Eiweiße, sie stabilisieren aufgeschlagene Schäume und

Cremes, „verkleben“ unterschiedliche Fleischteile zu Koch-

schinken oder Brühwurst, Enzyme sorgen für die Bissfestigkeit

von Cornflakes, die Gefrier-Tau-Stabilität eines Fertigteiges,

die gleichmäßige Qualität von Eiswaffeln oder verhindern

das Kleben von Nudeln nach dem Kochen. Enzyme konser-

vieren Mayonnaise und Eiprodukte, steuern die Reifung von

fermentierten Lebensmitteln und Getränken, sie ermöglichen

intensivere Aromen, spalten aus Butter-, Käse- oder Rahma-

romen Fettsäuren ab oder bilden aus Eiweißen Würze oder

Bratengeschmack.

Immer mehr Enzyme werden mit modernen biotechnolo-

gischen Methoden mit Hilfe von Mikroorganismen produziert.

Ein bekanntes Beispiel hierfür ist das Labferment, das bei der

Käseherstellung verwendet wird. Labferment wurde ursprüng-

lich aus Kälbermägen isoliert. Heute wird der Hauptwirkstoff

des Labferments, das Chymosin (auch: Rennin), biotechnolo-

gisch von Mikroorganismen produziert. Chymosin ist für die

Herstellung von Käse unverzichtbar. Es spaltet das Kasein-

Eiweiß der Milch und bewirkt dadurch deren Gerinnung

(„Dicklegung“): Das Kasein verklumpt und trennt sich von der

wässrigen Molke. Danach beginnt der Reifeprozess des Käses.

Weitere wichtige kommerziell genutzte Enzyme in der Lebens-

mittelindustrie sind die Pektinasen. Pektinasen erleichtern

und verbessern das Auspressen von Obst und Gemüse, indem

sie die Pektinmittellamelle der pflanzlichen Zellwand abbauen

und dadurch die Saftausbeute erhöhen. Pektinasen und andere

Enzyme bauen auch die nach dem Auspressen noch vorhan-

denen Trübstoffe ab und ermöglichen es, klaren Apfelsaft zu

produzieren.

Auch in vielen Backmischungen sind Enzyme enthalten, die

optimale Teigeigenschaften, Krustenstabilität, Volumen und

Färbung bewirken. Das inzwischen weit verbreitete Aufbacken

von vorproduzierten, gefrorenen Teig-Rohlingen wäre ohne

Enzyme nicht möglich.

Stärkeverzuckerung Eine der kommerziell wichtigsten Enzym-Anwendung im

Lebensmittelbereich ist die Stärkeverzuckerung. Rüben- oder

Rohrzucker sind längst nicht mehr die einzigen Lieferanten für

Zucker, jede stärkehaltige Pflanze kann als Ausgangssubstrat

für die Zuckerherstellung dienen: Enzyme spalten die Stärke in

ihre Grundbestandteile – verschiedene Zucker – und fügen sie

zu weiteren Zutaten und Zusatzstoffen zusammen.

Musste früher in einem technischen Prozess die Stärke mit

Wasser und starken Säuren zu einem Gemisch aus Zuckermo-

lekülen verarbeitet werden, benutzt man heute für die Stärke-

verzuckerung fast nur noch Enzyme. Sie bieten eine Reihe von

Vorteilen: Da Enzyme die verzweigten Stärkemoleküle an ganz

bestimmten Stellen spalten, lässt sich der Verzuckerungspro-

zess gezielt steuern. So erhält man verschiedene Stärkesirupe,

die sich in ihrer Süßkraft, aber auch in ihren technologischen

Eigenschaften unterscheiden. Diese Sirupe werden nicht nur als

maßgeschneiderte Süßungsmittel in unzähligen Lebensmitteln

und Getränken verwendet, sondern können weiterverarbeitet

werden zu Traubenzucker, Zuckeraustauschstoffen oder Fett-

ersatzstoffen.

Die Stärkeverzuckerung wurde erst wirtschaftlich interes-

sant, als die zur Stärkespaltung benötigten Enzyme mit Hilfe

der modernen Biotechnologie kostengünstig, in unbegrenzten

Mengen und in ausreichender Qualität hergestellt werden

konnten. Fast alle in der Stärkeverzuckerung eingesetzten

Enzyme werden heutzutage aus gentechnisch veränderten

Mikroorganismen gewonnen.

Die Stärkeverzuckerung erfolgt in drei Stufen:

In einem ersten Schritt erfolgt die Stärkeverflüssigung: In der

ersten Stufe wird die Stärke in verschiedene Zuckereinheiten

gespalten. Es entsteht ein Gemisch aus Maltosen (Malzzucker)

und Dextrinen (Zwischenform zwischen Stärke und Dextrose).

Die eingesetzten Stärke-spaltenden Enzyme (verschiedene

Amylasen) sind überwiegend unter Einsatz moderner Metho-

den der Biotechnologie hergestellt.

Der zweite Schritt ist die Stärkeverzuckerung: Die entstan-

denen Abbauprodukte werden nun weiter zu Einfachzuckern

(Monosaccharide) abgebaut. Hierfür wird die Stärke-abbauende

Wirkung bestimmter Enzyme (Glucoamylase und Pullulanase)

genutzt. Der gebildete Glukosesirup ist ein Gemisch aus Glu-

kose (Traubenzucker) und Fruktose (Fruchtzucker), er wird von

der Süß- und Backwarenindustrie genutzt, da der Sirup nicht so

leicht kristallisiert.

Der dritte Schritt, die Isomerierung, wird von einem gen-

technisch hergestellten Enzym, der Glucose-Isomerase, durch-

geführt: Ein Teil der Glukose wird in Fruktose umgewandelt.

Nach mehrmaligem Prozessdurchlauf steigen Fruktosegehalt

und Süßkraft immer weiter an, bis der gewonnene Fruktose-

sirup fast die Süßkraft des traditionellen Haushaltszuckers

erreicht.

In den USA hat dieser High Fructose Corn Sirup, das wich-

tigste Produkt der Maisstärkeindustrie, den Zucker bereits weit-

gehend verdrängt. Cola und Limonaden werden fast ausschließ-

lich mit diesem Sirup gesüßt.

17 ANWENDUNGSBEISPIELE Nutraceuticals, Prä- und Probiotika

Aminosäuren als Nahrungsergänzung Eine weitere Gruppe wichtiger biotechnologisch hergestellter

Produkte in der Nahrungsmittelindustrie sind Aminosäu-

ren, die Klasse organischer Moleküle, aus denen die Eiweiße

aufgebaut sind. Es gibt rund 20 verschiedene Aminosäuren, die

für den Aufbau der Eiweiße verwendet werden. Sie enthalten

jeweils eine Aminogruppe (–NH2) und eine Carboxylgruppe

(COOH). Ihre Molekülstruktur ist dergestalt, dass sie in verschie-

denen zueinander spiegelbildlichen Formen vorliegen können,

den sogenannten Enantiomeren. Diese Moleküle unterscheiden

sich nicht in der chemischen Zusammensetzung oder in der

Formel, sie verhalten sich aber wie Spiegelbilder zueinander.

Zur Veranschaulichung wird oft das Bild der rechten und

linken Hand gebraucht, die nicht gleich, sondern wie Spie-

gelbilder zueinander aussehen. Die Moleküle unterscheiden

sich in ihren physikalischen Eigenschaften, der optischen

Aktivität,voneinander. Das bedeutet, dass sie die Polarisati-

onsebene von linear polarisiertem Licht nach links oder rechts

drehen. Man bezeichnet sie dann als linksdrehend oder rechts-

drehend. Oft unterscheiden sich die enantiomeren Moleküle

vor allem in ihrer Wirkung deutlich voneinande

Viele Enzymreaktionen sind auf ein Enantiomer, entwe-

der das linksdrehende oder das rechtsdrehende, spezialisiert.

Sowohl in der Lebensmittelindustrie als auch in der Futtermit-

telindustrie werden Aminosäuren, die wichtigsten Protein-

bausteine, als Nahrungsergänzung zugesetzt. Alle natürlich

vorkommenden Aminosäuren können inzwischen mit Fermen-

tationstechniken mit Hilfe von Enzymen hergestellt werden.

Fast alle Aminosäuren in Lebewesen sind linksdrehend (L-Form).

Ein Beispiel für die Nahrungsergänzung ist die biotechnolo-

gische Produktion von L-Glutaminsäure, die als Geschmacksver-

stärker in Form von Mono-Sodium-Glutamat verwendet wird.

Die weltweite biotechnologische Produktion von L-Glutamin-

säure liegt bei mehr als einer Million Tonnen pro Jahr.

Ein weiteres Beispiel ist L-Lysin, das vor allem als Futtermit-

teladditiv in großem Maßstab biotechnologisch produziert wird

(350.000 t/a).

Aspartam Bei der Aspartam-Produktion werden ebenfalls fermentativ her-

gestellte Aminosäuren verwendet. Aspartam ist ein künstlicher

Süßstoff, der 200mal süßer schmeckt als Zucker, er hat einen

Energiegehalt von 410 kcal auf 100 g, etwa soviel wie Zucker.

Aufgrund seiner höheren Süßkraft, wird der Stoff jedoch in viel

geringeren Mengen eingesetzt, so dass mit Aspartam gesüßte

Lebensmittel in der Regel einen erheblich niedrigeren Ener-

giegehalt haben als zuckerhaltige. Aspartam wird vor allem

für diätische Lebensmittel verwendet (z. B. Light-Getränke) und

derzeit weltweit in einer Menge von etwa 15.000 t/a hergestellt.

Der Jahresumsatz beträgt schätzungsweise 850 Mio. Euro.

Die chemische Synthese von Aspartam wird zunehmend auf

biotechnologische Verfahrensschritte umgestellt. Im Gegen-

satz zur chemischen Synthese der Aminosäurebausteine ist es

mit biotechnologischen Verfahren möglich, durch die Enantio-

merenselektivität der eingesetzten Biokatalysatoren nur eines

der beiden spiegelbildlich zueinander symmetrischen Moleküle

herzustellen (siehe auch Kapitel Biokatalyse und Fermentation:

Enzyme). Nur die L-Form wird benötigt, da nur diese für die

Aspartam-Synthese geeignet ist. Die beiden Hauptbestandteile

des Aspartams, die Aminosäuren L-Asparaginsäure und L-Phe-

nylalanin, können fermentativ produziert werden. Durch das

Enzym Thermolysin können die beiden Aminosäuren zu einem

Dipeptid verbunden werden, das über weitere chemische Reak-

tionsschritte zu dem Methylester des Dipeptids, dem Aspartam,

modifiziert wird.

Low-fat Eis Der Nutzen für den Verbraucher wird auch bei der Herstellung

von Speiseeis mit Typ-III-Eis-strukturierendem Protein deut-

lich. Das Eis-strukturierende Protein kommt in der Natur im

Blut des Polardorsches (Macrozoarces americanus) und anderen

Tieren und Pflanzen vor, die in extremer Kälte leben. Die Eis-

strukturierenden Proteine schützen vor Gewebeschäden durch

Eiskristalle, indem sie die Temperaturgrenze herabsetzen, bei

der sich die Eiskristalle bilden. Die Verwendung dieser Proteine

bei der Herstellung von Speiseeis ermöglicht die Reduzierung

von Sahne und Fetten. Die Proteine werden biotechnologisch in

Hefe produziert und seit drei Jahren in den USA beispielsweise

zur Produktion von low-fat Eis verwendet.

Nutraceuticals, Prä- und Probiotika

Mit dem Begriff „Nutraceuticals“ bezeichnet man die biologisch

aktiven physiologisch wirksamen Inhaltsstoffe in Nahrungsmit-

teln. Dazu gehören z. B. Antioxidantien, Ballaststoffe, sekundä-

re Pflanzenstoffe und viele andere.

Es handelt sich dabei um Nahrungsmittelbestandteile, die

von medizinischem und gesundheitlichem Nutzen sein kön-

nen, d. h. deren Verwendung prophylaktisch bzw. therapeu-

tisch sein kann (z. B. Regulierung des Cholesterin- und Blutzu-

Polardorsch (Macrozoarces americanus)

18 Enzyme als Futtermittelzusatz ANWENDUNGSBEISPIELE

ckerspiegels, Senkung des Krebsrisikos usw.). Nutraceuticals

oder Lebensmittel mit einem beanspruchten Zusatznutzen für

die Gesundheit, werden von der Industrie gezielt entwickelt,

und Nahrungsmittelexperten und Branchenbeobachter sagen

ihnen Milliardenumsätze voraus.

Die Inhaltsstoffe von Nutraceuticals müssen als Nah-

rungsbestandteile toxikologisch unbedenklich sein und sind

daher vorläufig auf Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemen-

te, Nahrungsfasern und gewisse lebende Bakterienstämme

beschränkt. Die Anwendungen sind vielfältig: Gelenkbeweg-

lichkeit, Knochenaufbau, Verdauung, Cholesterolgehalt oder

Muskelaufbau sollen durch Nutraceuticals positiv beeinflusst

werden. Die Darmfunktion soll beispielsweise durch Prä-

und Probiotika positiv unterstützt werden: Präbiotika sind

bestimmte lösliche Stoffe, wie z. B. Oligofructose, die eine posi-

tive Wirkung auf die Bakterienflora des Dickdarms zeigt.

Ein Probiotikum ist eine Präparation aus lebensfähigen Mi-

kroorganismen, die – in ausreichenden Mengen konsumiert –

die Gesundheit des Wirtsorganismus positiv beeinflusst, indem

sie das Gleichgewicht der Darm-Mikroorganismen verbessert.

Am längsten angewendet werden probiotische Milchsäurebak-

terien, aber auch Hefen und andere Spezies sind in Gebrauch.

Probiotika können als speziell zubereitete Lebensmittel oder in

Form von Arzneimitteln dargereicht werden. Als gesundheits-

relevante Effekte von Probiotika gelten, dass Lactobazilli und

Bifidusbakterien durch Verdrängung unerwünschter Darmbak-

terien wie Clostridien zur Verhinderung und Verkürzung von

Durchfallerkrankungen beitragen können, dass die Lactosever-

wertung bei Lactoseintoleranz ermöglicht wird und dass das

Immunsystem stimuliert werden kann.

Probiotische Milchprodukte haben in den vergange-

nen Jahren eine weite Verbreitung erfahren. Sie enthalten

speziell gezüchtete Bakterienstämme, die widerstandsfä-

higer gegen Magensäure und gegen Gallensäuren sind, so

dass sie im menschlichen Darm nicht abgetötet werden wie

andere Bakterien, sondern lebend in tiefere Darmabschnitte

gelangen, sich dort vermehren und ihre gesundheitsfördern-

den Eigenschaften entfalten können. Man unterscheidet

rechtsdrehende (L(+)-Laktat) und linksdrehende (D(-)-Laktat)

Milchsäurebakterien. Während die rechtsdrehende Milch-

säure auch im menschlichen Organismus vorkommt und

durch ein spezielles Enzym abgebaut wird, kann D(-)-Laktat

nicht direkt verstoffwechselt werden. Entgegen früherer Ver-

mutungen kommt es dabei jedoch bei gesunden Menschen

nicht zu einer Übersäuerung, sondern der Abbau dauert

einfach etwas länger.

Ein ganz anderes Beispiel der Anwendungsmöglichkeiten

probiotischer mikrobiologischer Kulturen sind innovative

Produkte für Körperpflege und Mundhygiene, die auf Milch-

säurebakterien basieren: Probiotische Milchsäurebakterien

(Lactobacillen) konnten identifiziert werden, die zum Einsatz

in neuartigen Produkten für die Körperpflege und Mundhy-

giene geeignet sind. Vielversprechende Einsatzgebiete der

probiotischen Bakterien sind der Kampf gegen Karieserreger,

die Vermeidung von Körpergeruch und die Regeneration der

schützenden Hautflora. Natürliche Kulturen sollen dabei zur

aktiven Abwehr von schädlichen Keimen eingesetzt werden.

Enzyme als Futtermittelzusatz

Schon seit vielen Jahren werden verschiedene Aminosäuren

den Futtermitteln in der Tierfutterproduktion zugesetzt. Aber

auch der Zusatz von biotechnologisch entwickelten Enzymen

gewinnt zunehmend an Bedeutung. Besonders in der Zucht von

Geflügel und Schweinen werden vermehrt Enzyme eingesetzt,

die den Abbau von pflanzlichen Zellwandbestandteilen ermög-

lichen, da diese Enzyme von den Tieren selbst nicht gebildet

werden können.

Ein interessantes Beispiel hierfür ist das Enzym Phytase:

Phytase wirkt auf bestimmte Phosphorverbindungen, die

Phytinsäuren, die unter Freisetzung von Phosphaten gespal-

ten werden. Phytase wird als Zusatzstoff in Futtermitteln für

Nicht-Wiederkäuer wie Schweine oder Geflügel verwendet,

die anders als Wiederkäuer nicht in der Lage sind, den in der

pflanzlichen Nahrung enthaltenen lebensnotwendigen Nähr-

stoff Phosphor aufzuschließen. Die Zugabe von Phytase ermög-

licht den Aufschluss des Phosphors aus der Nahrung, so dass auf

die sonst übliche Zufütterung von Phosphat verzichtet werden

kann. Der Phosphatgehalt in der Gülle oder dem Stalldung und

die Phosphatbelastung der Umwelt kann durch die Enzymzuga-

be deutlich reduziert werden.

Erst durch biotechnologische Verfahren war es möglich,

Phytase großtechnisch herzustellen und als Futtermittelzu-

satzstoff zu verwenden. Bei diesem Verfahren werden Schim-

melpilzkulturen der Arten Aspergillus oder Trichoderma als

Produktionsorganismen eingesetzt.

Textil-, Leder- und Papierindustrie

In der Textilveredelung werden die äußeren Eigenschaften von

Textilien z. B. durch Färben, Bleichen und Bedrucken verän-

dert. Die herkömmlichen, zumeist zeitaufwändigen Prozesse

19 ANWENDUNGSBEISPIELE Textil-, Leder- und Papierindustrie

verbrauchen viel Energie und Zusatzstoffe. Textilien werden

zum Beispiel „entschlichtet“, d. h. dass Stärkeüberzüge, die zum

Schutz während des Herstellungsverfahrens aufgebracht wer-

den, durch stärkespaltende Amylasen enzymatisch abgebaut

werden.

Bleichen von Textilien Zum Bleichen von Textilien wird in der Textilindustrie im

Allgemeinen Wasserstoffperoxid (H O ) genutzt. Wasserstoff-2 2

peroxid ist ein starkes Oxidationsmittel, das nach dem jeweili-

gen Bleichprozess wieder vollständig aus dem Textil-material

entfernt werden muss. Im konventionellen Verfahren wird

Wasserstoffperoxid beseitigt, indem das Textilmaterial mindes-

tens zweimal mit 80-95°C heißem Wasser gespült wird. Dieser

Prozess dauert etwa zwei Stunden und verbraucht viel Wasser

und Energie. Eine vollständige Entfernung des Bleichmittels

gelingt jedoch nicht. In einem darauf folgenden Prozessschritt

werden deshalb verschiedene Chemikalien zur Nachbehand-

lung eingesetzt.

In dem biotechnologischen Verfahren wurde zur Entfer-

nung des Bleichmittels Wasserstoffperoxid ein enzymatischer

Prozess entwickelt, der schon einige Verbreitung in der Textilin-

dustrie gefunden hat, aber das konventionelle Verfahren noch

nicht vollständig ersetzen konnte.

In diesem biotechnologischen Verfahren wird zur Nachbe-

handlung der Textilien das Enzym Katalase (KAPPAZYM AP-neu,

Kapp Chemie GmbH) eingesetzt. Dieses Enzym baut das Was-

serstoffperoxid innerhalb von wenigen Minuten ab bei 30-40°C,

dabei entstehen Wasser und Sauerstoff.

Statt zweier Spülzyklen muss zur Entfernung des Bleichmit-

tels nur noch ein Spülschritt mit warmem Wasser durchgeführt

werden.

Durch die Anwendung des biotechnischen Verfahrens

sinken die Kosten für Kühlwasser, Prozesswasser und Dampf,

allerdings fallen zusätzliche Kosten zur Anschaffung des En-

zyms an. Insgesamt gesehen können jedoch Kosten eingespart

werden, was die Wettbewerbsposition verbessert. Auch die

Umweltwirkungen verringern sich durch den neuen Prozess:

Es werden weniger Wasser für das Spülen und zur Prozessküh-

lung, weniger Prozessenergie in Form von Dampf verbraucht

und weniger Industrieabwasser erzeugt.

Stonewashed-Effekt Jedes Jahr werden weltweit eine Milliarde Jeans verkauft – viele

mit dem modernen Stonewashed-Effekt. Um diesen Effekt zu

erreichen, werden Jeans in herkömmlichen Verfahren mit

Bimsstein gewaschen. Das kostet Wasser und Energie und die

Produktqualität leidet, denn das Gewebe wird durch den Bims-

stein stark beansprucht. Problematisch sind zudem die Abfälle,

denn pro Hose entstehen 600 Gramm Steinabrieb, die entsorgt

werden müssen und die Maschinen stark in Mitleidenschaft

ziehen.

Durch Einsatz von Enzymen (Biostoning durch Cellulasen)

ist es möglich, dieselbe optische Wirkung wie durch den Einsatz

von Bimssteinen zu erzielen und gleichzeitig die Umwelt zu

entlasten: Bezogen auf Wasser, Luft und Abfall können die um-

weltrelevanten Kosten um 54 Prozent gegenüber dem konven-

tionellen Verfahren gesenkt werden.

Der Weltmarkt für in der Textilindustrie eingesetzte Enzy-

me beträgt etwa 125 Millionen Euro, mit Wachstumsraten von

ungefähr 3% jährlich.

In der Lederindustrie werden Enzyme vor allem zur Reini-

gung der Lederhäute und zur Verbesserung der Lederqualität

eingesetzt. Der Markt für Enzyme in diesem Bereich wird auf ca.

10 Mio. US-$ geschätzt (VDI).

Papier- und Zellstoffindustrie In der Zellstoff- und Papierindustrie werden Enzyme einge-

setzt, die ein chlorfreies Bleichen ermöglichen. Darüber hinaus

werden Enzyme bei der Pechreduktion in der mechanischen

Zellstoffherstellung und bei der Prozessverbesserung in der Pa-

pierherstellung eingesetzt. Amylasen zur Stärkemodifizierung,

Cellulasen zur Fibrilierung des Faserstoffes, Proteasen, Lipasen

und Xylanasen werden in der Papier- und Zellstoffherstellung

verwendet.

Enzyme für umweltfreundliches chlorfreies Bleichen gelten

als einer der am schnellsten wachsenden Märkte industrieller

Enzyme.

Agrochemikalien

Der weltweite Markt für Biopestizide, also Mittel für die Un-

krautbekämpfung mit Mikroorganismen oder ihren Produkten,

beläuft sich auf ca. 130 Mio. Euro im Jahr.

Ein Beispiel für Biopestizide ist die Produktion des Toxins

des Bodenbakteriums Bacillus thuringiensis. Das so genannte

Bt-Toxin wirkt auf verschiedene Insekten toxisch, für andere

Organismen ist es aber ungiftig. Deshalb werden die Sporen von

Bacillus thuringiensis auch im ökologischen Landbau als Pflan-

zenschutzmittel eingesetzt. Für den konventionellen Landbau

20 Agrochemiekalien ANWENDUNGSBEISPIELE

wird das Toxin in industriellem Maßstab in Fermentern produ-

ziert. Andere Beispiele für Bioherbizide sind z. B. die selektiv

phytopathogenen Pilze, die so genannten Mycoherbizide (Bsp.

Colletotrichum gleosporioides, Phytophtora palmivora).

Bialaphos Das Herbizid Bialaphos (L-Alanyl-L-Alanyl-Phosphinothricin)

ist ein natürliches Tripeptid bestehend aus den Aminosäuren

Alanin und Phosphinothricin. Bialaphos ist das Produkt von

zwei verschiedenen im Boden lebenden Streptomyceten-Arten.

Bialaphos, auch Gluphosinat oder Phosphinotricin genannt,

inhibiert in Pflanzen das Enzym Glutaminsynthetase und

wirkt damit als Totalherbizid: Die Aufnahme das Herbizids

geschieht nicht über die Wurzeln, sondern hauptsächlich über

die grünen Pflanzenteile und bewirkt dort eine Hemmung der

Glutaminsynthetase. Dies führt zur Anreicherung von Ammo-

nium im Blattgewebe der Pflanze und zu einem Mangel an Glu-

tamin und anderen Aminosäuren. In der Folge kommt es zur

Hemmung der Photosynthese und schließlich zum Absterben

des Blattgewebes und der gesamten Pflanze. Durch genetische

Manipulation können auch Pflanzen mit Gluphosinat-Resis-

tenz gezüchtet werden (Grüne Gentechnik).

Mit den Methoden der modernen Biotechnologie können

auch konventionelle Pestizide oder deren Zwischenprodukte

produziert werden. Ein Beispiel hierfür ist das biotechnologi-

sche Verfahren zur Herstellung von chiralen Phenoxypropio-

BMBF-Projekt „Enzymatische Vernetzung der Haut zur Ledererzeugung“

Die Gerbung von Häuten ist ein seit Jahrhunderten etabliertes

Verfahren zur Herstellung von Leder. Schon immer war die

Gerberei mit der Entstehung von schmutzbelastetem Abwasser

und Abfällen verbunden.

Hier setzt das vom BMBF geförderte Projekt „Enzymatische

Vernetzung der Haut zur Ledererzeugung“ unter der Projektlei-

tung der N-Zyme-Biotec GmbH, Darmstadt, in der Zusammen-

arbeit mit dem Lederinstitut Gerberschule Reutlingen und dem

Forschungsinstitut für Leder und Kunststoffbahnen, Freiberg

an: Um die Umweltbelastungen durch schwermetallhaltige

Chemikalien wie z. B. Chrom(III)-Salzen im Gerbprozess zu redu-

zieren, sollen innovative biotechnologische Prozesse entwickelt

werden.

Chromgerbung zur Lederproduktion Leder wird aus der Haut geschlachteter Tiere hergestellt.

Dabei wird die Haut durch die Gerbung zu dem neuen Produkt

„Leder“. Die Chromgerbung stellt mit ca. 85 % Anteil an der

weltweiten Ledererzeugung das gegenwärtig wichtigste Gerb-

verfahren dar. Andere Gerbverfahren, z. B. unter Anwendung

von Aluminium- oder Zirkon-Salzen und/oder Aldehyden (d. h.

Glutaraldehyd und -derivate), sowie die Gerbung mit pflanzli-

chen und synthetischen Gerbstoffen kommen nur für spezielle

Produkte zum Einsatz, da hierdurch eine andere Lederqualität

erzielt wird.

Neben einer Vielzahl technologischer Vorteile, die die

Gerbung mit Chromsalzen aufweist, besteht der Nachteil

dieses Verfahrens in den umweltgefährdenden Eigenschaften

des Schwermetalles Chrom. Insbesondere aus der Fähigkeit von

Chrom(III) zur Bildung von toxischem Chrom(VI) kann eine

Umweltgefährdung resultieren.

Chromsalze stabilisieren die Haut unter anderem mittels

hydratisierter Komplexe, die sich zwischen die Carboxylgrup-

pen (Glutaminsäure, Asparaginsäure) des Kollagens einlagern.

Eine umweltfreundliche Alternative zur Vernetzung und Stabi-

lisierung von Haut stellt die Nutzung von Enzymen dar.

Die proteinmodifizierenden Eigenschaften von Trans-

glutaminasen legten frühzeitig ihre Anwendungen in

biotechnologischen Verfahren nahe. Insbesondere in der

Lebensmitteltechnologie findet das bakterielle Enzym von

Streptomyces mobaraensis bereits großtechnischen Einsatz.

Transglutaminasen sind dafür bekannt, dass sie Proteine durch

Verknüpfung der Aminosäuren Lysin und Glutamin kovalent

miteinander verbinden. Das vom BMBF geförderte Vorhaben

„Enzymatische Vernetzung der Haut zur Ledererzeugung“

bietet die Möglichkeit, ein auf biotechnologischen Prinzipien

basierendes Gerbverfahren unter Verwendung von bakteriel-

ler Transglutaminase zu entwickeln, welches eine innovative

und umweltfreundliche Alternative zu den heutigen Gerbver-

fahren darstellt.

Die anfallenden Abfallstoffe sind untoxisch und stel-

len keinerlei Abwassergefährdung dar. Selbst wenn der

Chromeinsatz nicht vollständig vermieden werden könnte,

hätte dies positiven Einfluss auf die Abwassersituation der

Gerbereien und auf die Verwertbarkeit anfallender Nebenpro-

dukte.

21 ANWENDUNGSBEISPIELE Bioethanol, Biodiesel, Biogas und Wasserstoff

nat-Herbiziden (2.000 t/a). Das biotechnologische Verfahren

bietet den Vorteil, dass nur die aktive chirale Form gebildet

wird.

Bioethanol, Biodiesel, Biogas und Wasserstoff

Verschiedene Energieträger können aus Biomasse gewonnen

werden. Die wirtschaftliche Bedeutung besonders von Bioetha-

nol und Biodiesel hat in den vergangenen Jahren kontinuierlich

zugenommen.

Bioethanol Bioethanol (Ethylalkohol) wird durch die Fermentation von Zu-

ckern normalerweise mit Hilfe von Hefen produziert. Diese Zu-

cker können aus verschiedenen Rohstoffen gewonnen werden

wie Zuckerrüben, Rohrzucker, Mais, Getreide und organische

Abfälle. Um schwerer fermentierbare Substrate wie organische

Abfälle oder lignozellulosehaltige Substrate für die Bioethanol-

Produktion verwenden zu können, ist es notwendig, kom-

plexere Moleküle wie Pentose oder Zellulose aufzuschließen.

So genannte Super Bugs (siehe Seite 25) – hoch spezialisierte,

genetisch veränderte Mikroorganismen – werden entwickelt,

die durch ihre enzymatische Ausstattung in der Lage sind, auch

diese Substrate zu Glucose bzw. Ethanol zu metabolisieren. Der

Alkohol kann durch einfache Destillation aus dem Fermentati-

onsmedium gewonnen und nach einem Dehydrierungsschritt

als Bioethanol verwendet werden.

In Europa ist eine Bioethanolbeimischung zu normalem

Kraftstoff von bis zu 5 % erlaubt. Vor allem in den USA und

Brasilien werden große Mengen Bioethanol als Bio-Kraftstoff

genutzt. Weltweit wurden z. B. im Jahr 2002 26 Mio. Tonnen

Ethanol produziert, von denen 63 % als Kraftstoff verwendet

wurden.

Biodiesel Biodiesel wird aus pflanzlichen Fetten und Ölen produziert.

In Europa wird der größte Anteil des Biodiesels aus Rapsölen

gewonnen. Raps eignet sich für die Herstellung von Biodiesel,

da der Fettgehalt in den Samen bei etwa 40 bis 45 % liegt. Aus der

Rapssaat wird zunächst in der Ölmühle das Öl gewonnen, das zu

fast 95% aus C18-Fettsäuren besteht, die mit dem dreiwertigen

Alkohol Glyzerin über Esterbindungen verknüpft sind. In einer

einfachen chemischen Reaktion tauschen diese drei Fettsäuren

in Gegenwart eines Katalysators ihren Platz am dreiwertigen

Glycerin mit einwertigem Methanol. So entstehen drei einzelne

Fettsäuremethylester-Moleküle und ein Glycerin-Molekül. Aus

den Fettsäuremethylester-Molekülen wird der Biodiesel her-

gestellt. Normalerweise sind für die Produktion des Biodiesels

keine Verfahren der Industriellen Biotechnologie erforderlich,

es wird aber daran gearbeitet, das chemische Katalyseverfahren

durch nachhaltigere biotechnologische Verfahren zu ersetzen.

Biogas Biogas ist normalerweise das Produkt der Methanfermentation

von Biomasse. Dieser Prozess erfordert die Zusammenarbeit

verschiedener Mikroorganismen, die komplexes organisches

Material in Kohlendioxid (CO2) und Methangas transformieren

können. Dabei können 90 % des Energiegehaltes des Rohstoff-

Materials in Form von Biogas wiedergewonnen werden. An dem

Konzept „Biomasse zu Biogas“ wird derzeit intensiv gearbei-

tet. Seine zukünftige Entwicklung ist dabei abhängig von

der Entwicklung von Energiepflanzen, Rohstoff-, Agrar- und

Energiepreisen und einer Optimierung der biotechnologischen

Verfahren.

Wasserstoff Ein weiterer interessanter Energieträger, der aus Biomasse

produziert werden kann, ist molekularer Wasserstoff (H ). 2

Wasserstoff kann durch eine Kombination verschiedener

mikrobiologischer Fermentationsprozesse aus organischem

Material gewonnen werden. Bisher ist es möglich, 30 % des En-

ergiegehalts des Ausgangsmaterials in Form von H2 zurück zu

gewinnen. Die Verbesserung der H2-Gewinnung aus Biomasse

wird Gegenstand zukünftiger Forschungsbemühungen sein.

Biopolymere

Die biotechnologische Herstellung von Bausteinen und

Polymeren für die Kunststoff- und Polymerindustrie ist ein

weiteres zukunftsträchtiges Innovationsfeld biokatalytischer

Verfahren. An der Entwicklung von biologisch abbaubaren

biokompatiblen Polymeren wird seit vielen Jahren intensiv ge-

forscht. Auf dem Markt sind modifizierte Produkte auf der Basis

nachwachsender Rohstoffe (z. B. Stärke, Cellulose), biotechno-

logisch hergestellte Polymere (z. B. Polyhydroxyfettsäuren PHF,

Polylactide) oder chemisch synthetisierte abbaubare Polymere.

Immer noch sind die Herstellungskosten der Biopolymere so

hoch, dass sie keine Anwendung als Bulkprodukte wie Verpa-

ckungsmaterial oder Folien finden.

Durch biotechnologische Verfahren können petrochemi-

sche Verfahren für die Produktion von Ausgangsverbindungen

für die Kunststoffherstellung ersetzt werden. Die Weiße Bio-

technologie ermöglicht darüber hinaus auch die Produktion

22 Biopolymere ANWENDUNGSBEISPIELE

neuartiger, biologisch abbaubarer Ausgangsverbindungen für

die Kunststoffherstellung im Hightech-Bereich. Beispiele hier-

für sind 1,3-Propandiol (PDO), neuartige biologisch abbaubare

Polymerprodukte aus Polylactid (PLA) oder Poly-beta-Hydroxy-

butyrat (PHB).

Verschiedene internationale Konzerne haben bereits Bio-

polymere in ihr Produktportfolio integriert. So produziert Car-

gill Dow jährlich mehr als 140.000 t des biologisch abbaubaren

PLA-Kunststoffs NatureWorksTM und Toyota Rayon verwendet

bereits heute schon PLA-Kunststoffe in Fahrzeugmodellen.

Ein weiteres Beispiel für wirtschaftlich erfolgreiche Biopolyme-

re ist die neue synthetische Polyester-Faser Sorona® von DuP-

ont. In einer Kooperation zwischen den Firmen Genencor und

Du Pont wurde ein E. coli-Stamm entwickelt, der vier gentech-

nische Veränderungen enthält, die es möglich machen, dass

aus dem Ausgangssubstrat Glukose enzymatisch 1,3-Propan-

diol gebildet wird, der monomere Baustein des synthetischen

Polyesters, aus dem Sorona® besteht.

BMBF-Projekt „Enzymatische Entrostung – Entwicklung eines biotechnologischen Verfahrens zur Entfernung von Korrosionsschichten von metallischen Oberflächen“

Die Beseitigung von Metallkorrosionen ist in den Industrielän-

dern ein bedeutender Wirtschaftszweig, denn Metallkorrosio-

nen verursachen hohe Kosten.

Das derzeit am meisten eingesetzte Verfahren zur Entros-

tung ist das Beizen mit Flusssäure oder anderen hochkonzen-

trierten anorganischen Säuren. Hierbei entstehen Probleme

wie der Verschleiss von Werkzeugen, gesundheitliche Beein-

trächtigung der beteiligten Beschäftigten durch Dämpfe sowie

Entsorgungskosten für die anfallenden gebrauchten Säurekon-

zentrate. Neben dem Beizen werden mechanische Verfahren

(Sandstrahlen) und elektrolytisch-chemische Verfahren zur

Entfernung von Korrosionen eingesetzt.

Rost besteht hauptsächlich aus Eisen(III)Oxid (Fe2O3) in dem

das Eisen dreiwertig vorliegt. Da Eisen ein essentielles Spuren-

element für das Wachstum von Mikroorganismen ist, haben

Mikroorganismen im Verlauf der Evolution spezielle Strategien

zur Eisenaufnahme entwickelt, um auch unter eisenarmen

Bedingungen überleben zu können: sie scheiden so genannte

Siderophore, biologische Komplexbildner, in die Umgebung

aus. Siderophore sind in der Lage, Fe3+-Ionen mit hoher Affinität

zu komplexieren und an der Mikroorganismenzellmembran als

Fe2+-Ionen wieder abzugeben. Siderophore sind sehr effektive

Komplexbildner. Die Effektivität der biologischen Eisenauf-

nahme zeigt sich auch daran, dass mehr als 99% der im Meer

vorkommenden gelösten Eisenmenge in organisch gebundener

Form vorliegt.

Verschiedene Versuche zeigten, dass das Siderophor Desferri-

oxamin E auch in geringen Konzentrationen (0,1%) in der Lage

ist, Eisen(III)oxidschichten von Blechen abzutragen. Im Rahmen

des BMBF-Projekts „Enzymatische Entrostung – Entwicklung ei-

nes biotechnologischen Verfahrens zur Entfernung von Korrosi-

onsschichten von metallischen Oberflächen“ konnte unter der

Projektleitung der ASA Spezialenzyme GmbH, Braunschweig, in

Zusammenarbeit mit der Bio-Logik-Control, Karlsruhe, und der

Chemie und Biotechnologie GmbH, Gütersloh, ein Tauchbad

entwickelt werden, das auf Basis mikrobieller Siderophore und

beigemischter Hilfsstoffe innerhalb von ein bis zwei Stunden zu

einer Entrostung von Metallblechen führt.

Die Wiederverwendung des Siderophors ist durch den Ein-

satz von Reduktionsmitteln grundsätzlich möglich. Es gelang

eine Rückgewinnung von 56 % des eingesetzten Siderophors.

Die Ergebnisse der durchgeführten toxikologischen Tests

zeigten keinerlei Effekte durch die getesteten Siderophore.

Somit kann man davon ausgehen, dass human-, tier-, pflanzen-

und ökotoxikologische Probleme, hervorgerufen durch den

praktischen Einsatz der Siderophore, eher unwahrscheinlich

sind.

Erfolgreiche Praxistests zur Entrostung von Schrottmetall-

teilen sowie von Formteilen zeigten die Anwendbarkeit des ent-

wickelten Verfahrens unter realen Bedingungen. Im Vergleich

zu konventionellen Beizsäuren und Sandstrahlverfahren sind

wirtschaftlich interessante Anwendungen möglich.

23 GRUNDLAGEN Microorganismen

Grundlagen der Weißen Biotechnologie

Die Weiße Biotechnologie basiert auf den Stoffwechsel-

leistungen, die Mikroorgansimen erbringen. Enzyme

tierischer, pflanzlicher oder mikrobieller Herkunft haben

sich dabei zu bedeutenden technischen und analytischen

Hilfsreagenzien entwickelt.

Die Weiße Biotechnologie verwendet Mikroorganismen oder

deren Bestandteile, um mit Hilfe ihrer Stoffwechselleistungen,

wertvolle biotechnologische Produkte herzustellen oder wich-

tige chemische Reaktionen durchzuführen. Die Ausgangsquelle

für die Stämme, die in der Industriellen Biotechnologie einge-

setzt werden, ist die Natur. Es wird geschätzt, dass mehr als zwei

Milliarden verschiedene Spezies von Mikroorganismen existie-

ren, von denen weniger als 1% bisher bekannt sind. Diese Mikro-

organismen erbringen erstaunliche Stoffwechselleistungen, die

sich die Industrielle oder Weiße Biotechnologie zunutze macht.

Mehr als 10.000 verschiedene natürlich vorkommende Enzyme

werden vermutet, von denen erst ein Bruchteil bekannt ist.

Mikroorganismen

Mikroorganismen umfassen eine große und vielfältige Gruppe

mikroskopisch kleiner Organismen, die als einzelne Zellen oder

Zellansammlungen leben. Die mikrobiellen Zellen sind von

Membranen umgeben, was eine Grundvoraussetzung für Leben

ist. Nur durch die Kompartimentierung können die chemischen

Komponenten des Lebens ausreichend konzentriert vorliegen,

um alle notwendigen chemischen Reaktionen zu ermöglichen.

Zellen sind dabei kein geschlossenes System, sondern kommuni-

zieren mit der Umgebung und tauschen Stoffe aus.

Mikroorganismen existieren bereits seit 3,8 Milliarden Jahren

auf der Erde, also lange bevor Pflanzen oder Tiere entstanden.

Escherichia coli

Tetraedermodell in der Fischer-Projektion

Ihre evolutionäre Vielfalt übertrifft bei weitem die der höher

entwickelten Organismen. Sie können an Extremstandorten in

Bezug auf Druck, Sauerstoffgehalt und chemischen Stress leben.

Es werden mehr als zwei Milliarden Spezies geschätzt, von denen

weniger als 1% bisher entdeckt und klassifiziert werden konnte.

Ihre vielfältigen physiologischen Fähigkeiten machen Mi-

kroorganismen zu hochspezialisierten Chemikern. Sie verstoff-

wechseln z. B. Kohlenstoffverbindungen wie Kohlenmonoxid

(CO) und Methan (CH4), Sulfate und Schwefel oder Nitrate und

toxische Metallverbindungen. Mikroorganismen erzeugen die

Hälfte des elementaren Sauerstoffs auf der Erde. Die außeror-

dentliche Vielfalt ermöglicht es spezialisierten Mikroorganis-

men, in einer erstaunlichen Fülle von Habitaten zu leben, z. B.

auch unter extremen Lebensbedingungen (Extremophile). Sie

können unter normalerweise tödlich wirkenden Faktoren wie

einem pH-Wert von 11 und 300 g Salz pro Liter Wasser ebenso

überleben wie unter den Druck- und Lichtverhältnissen in 2,4

km Meerestiefe oder in 350°C heißen, schwermetallsulfid-rei-

chen Hydrothermalschloten. Diese Anpassung an eine Vielfalt

ökologischer Nischen ist nur durch die ungewöhnlichen Fähig-

keiten von Mikroorganismen möglich und macht sie damit zu

wertvollen Quellen für unbekannte Enzyme oder Gene.

Mikroorganismen machen auch einen großen Teil der

Biomasse der Erde aus. Etwa 60% der Biomasse besteht aus

Mikroorganismen.

Es gibt prokaryotische und eukaryotische Mikroorganis-

men. Prokaryotische Organismen besitzen keinen membra-

numschlossenen Zellkern. Zu den Prokaryoten gehören die

Bacteria und Archaea. Eukaryoten haben eine komplexere

Struktur, membranumschlossene Organellen und einen Zell-

kern, zu ihnen gehören die Algen, Pilze und Protozoen (und

eben auch alle höheren multizellulären Organismen). Proka-

ryotische und eukaryotische Mikroorganismen haben eine

24 Biokatalyse und Fermentation GRUNDLAGEN

enorme evolutionäre Diversität ausgebildet. Die Genome von

Mikroorganismen sind von vergleichsweise geringer Größe,

was ihre Analyse vereinfacht.

Die Weiße Biotechnologie verwendet Mikroorganismen,

um mit Hilfe ihrer Stoffwechsel-Spezialisierungen wertvolle

Wirtschaftsprodukte herzustellen oder wichtige chemische

Reaktionen durchzuführen. Quelle für die Stämme, die in der

industriellen Mikrobiologie eingesetzt werden, ist die Natur.

Die verwendeten Stämme wurden von so genannten Wildtyp-

Stämmen zu wertvollen Industriestämmen weiterentwickelt,

die hochspezialisiert sind und hohe Erträge produzieren.

Mikroorganismen, die in der industriellen Anwendung einge-

setzt werden, müssen in geeigneten preisgünstigen Medien

kultivierbar sein, schnell wachsen, möglichst nicht pathogen

sein und sollten das gewünschte Produkt in Kultur in großem

Maßstab relativ schnell bilden können.

Biokatalyse und Fermentation: Enzyme

Enzyme beeinflussen und steuern fast alle chemischen Reakti-

onen in lebenden Zellen – z. B. sämtliche Stoffwechselvorgänge

sowie den Aufbau aller Zellbestandteile. Mehr als 10.000 ver-

schiedene natürlich vorkommende Enzyme werden geschätzt,

mehr als 3.000 Enzyme sind inzwischen bekannt. Selbst ein so

kleiner Organismus wie das Darmbakterium Escherichia coli

nutzt mehr als 500 verschiedene Enzyme.

Enzyme wirken als Biokatalysatoren, d. h. sie helfen bei der

chemischen Reaktion von Ausgangsstoffen oder Substraten in

andere Produkte, ohne sich dabei selbst zu verändern.

Enzyme bewirken als Biokatalysatoren den Ablauf chemi-

scher Reaktionen unter den Druck-, pH-Wert- und Temperatur-

bedingungen, die in einer Zelle herrschen. Sie ermöglichen

dadurch erst die Lebensprozesse.

In allen Zellen von Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen

laufen in jeder Sekunde Tausende von enzymatischen Reaktio-

nen geordnet ab. Die Reaktionen sind dabei hochspezifisch,

d. h. nur bestimmte Substrate können von einem Enzym in ein

definiertes Produkt umgesetzt werden. Die Biokatalyse findet

an dem so genannten aktiven Zentrum eines Enzyms statt. Die

Substrate passen zu dem aktiven Zentrum durch ihre dreidimen-

sionale Konfiguration wie „der Schlüssel zum Schloss“. Schon

geringfügig veränderte Substrate können von dem spezifischen

BioFuture-Preisträger Rolf Müller „Heterologe Expression und Modifikation von Naturstoff-Biosynthesewegen aus Myxobakterien“

BioFuture ist eine Förderinitiative des BMBF zur Unterstützung

des wissenschaftlichen Nachwuchses auf dem Gebiet der Bio-

technologie. Seit 1998 beteiligten sich mehr als 1.400 Wissen-

schaftlerinnen und Wissenschaftler an diesem Wettbewerb.

51 Preisträgerinnen und Preisträger konnten sich in einem an

hohen Qualitätskriterien orientierten Auswahlverfahren durch-

setzen. Sie werden beim Aufbau einer Nachwuchsgruppe sowie

der Bearbeitung eines selbst gewählten Forschungsthemas

finanziell unterstützt. Ziel des Wettbewerbs ist die Gewinnung

exzellenter Nachwuchskräfte für die Wirtschaft und Wissen-

schaft im Bereich Biotechnologie. Inzwischen haben zahlreiche

Fruchtkörper des Myxobakteriums Chondromyces crocatus

Preisträgerinnen und Preisträger erfolgreich ihre berufliche

Entwicklung in der Wissenschaft oder der Wirtschaft vorange-

bracht. Einer der Gewinner ist Prof. Dr. Rolf Müller, der an der

Universität des Saarlandes, Pharmazeutische Biotechnologie,

forscht.

Sein Projekt „Heterologe Expression und Modifikation von

Naturstoff-Biosynthesewegen aus Myxobakterien“ beschäftigt

sich mit den bodenbewohnenden Myxobakterien, die seit eini-

gen Jahren als herausragende Produzenten von Naturstoffen

mit biologischer Aktivität zunehmend an Bedeutung gewinnen.

Die interessanten Produkte könnten zu potenziellen Quellen

für neue Leitstrukturen in der Pharmaindustrie werden. Dies

macht die Untersuchung der Naturstoffe, ihrer Synthesewege,

der beteiligten Enzyme und Gene erforderlich.

Myxobakterien sind langsam wachsende Mikroorganismen.

Systeme für die genetische Modifikation dieser Bakterien sind

aber bisher kaum oder gar nicht etabliert. Wegen der vielfälti-

gen Synthesefähigkeiten der Myxobakterien ist es wünschens-

wert, genetische Hilfsmittel für die Expression kompletter

Biosynthese-Gencluster in geeigneten Wirtsorganismen zu

entwickeln. In dem Projekt von Müller werden Pseudomona-

den und schnell wachsende thermophile Myxobakterien als

potentielle Wirtsbakterien für die Myxobakterien-Produkte

untersucht. Das Ziel soll dabei die Produktion neuer, modifizier-

ter oder anderweitig schwer zugänglicher myxobakterieller

Naturstoffe in geeigneten Wirtsorganismen sein.

25 GRUNDLAGEN Biokatalyse und Fermentation

Streptomyceten für die „kombinatorische“ Biosynthese

Enzym nicht mehr umgesetzt werden. Im aktiven Zentrum wer-

den die Reaktionspartner kurzzeitig gebunden, und hochreakti-

ve chemische Gruppen werden räumlich so zusammengebracht,

dass die chemische Reaktion unter den Umgebungsbedingun-

gen stattfinden kann. Dies bedeutet, dass die Aktivierungsen-

ergie, die für den Ablauf der chemischen Reaktion ohne einen

Katalysator notwendig wäre, stark gesenkt wird.

Das aktive Zentrum kann durch einen konkurrierenden

Hemmstoff blockiert werden. Dieser wird selbst nicht umge-

setzt, passt aber nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip in das akti-

ve Zentrum und verhindert durch die Blockade die eigentliche

Umsetzung des Substrates (kompetitive Hemmung).

Enantiomerenselektivität Ein großer Vorteil von Enzymen gegenüber chemischen Ka-

talysatoren besteht darin, dass sie nicht nur für die Substrate

hochspezifisch sind, sondern auch für die ablaufende chemi-

sche Reaktion und damit für die entstehenden Produkte.

In chemischen Reaktionen werden häufig Enantiomere

gebildet. Dies sind Moleküle, die sich bei gleicher chemischer

Struktur wie Bild und Spiegelbild in ihrer räumlichen Anord-

nung voneinander unterscheiden. Die Enantiomer-Gemische

nennt man Racemate. Da sich die zueinander spiegelbildlichen

Moleküle in ihrer biologischen Aktivität stark voneinander

unterscheiden, sind Synthesen mit hoher Enantiomerenselekti-

vität von Vorteil. Enzyme sind dank ihrer hohen Spezifität in der

Lage, nur eine enantiomere Form eines Moleküls zu bilden.

Die meisten Biokatalysatoren sind Proteine, das heißt sie

sind aus Aminosäuren aufgebaut. Für ihre katalytische Wir-

kung benötigen sie oft zusätzliche chemische Komponenten,

die man Cofaktoren nennt. Die Enzyme können in der Weißen

Biotechnologie für die Produktion von Ausgangsstoffen, als

Bestandteil des Produktionsprozesses oder aber als biotechno-

logisches Produkt von Bedeutung sein.

Biokatalysatoren sind von entscheidender Bedeutung für

eine erfolgreiche Nutzung des Potenzials der Weißen Biotech-

nologie. Als Biokatalysatoren werden in biotechnologischen

Prozessen entweder isolierte Enzyme oder Organismen verwen-

det, die eine bestimmte Kombination von Enzymen enthalten.

Dabei kann es sich zum Beispiel um Mikroorganismen wie Pilze,

Bakterien oder Algen handeln, die natürlich oder gentechnisch

verändert sein können.

In einem charakteristischen biotechnologischen Prozess

werden Rohstoffe in einem geschlossenen Reaktor (z. B. einem

Fermenter) unter Energieeinsatz zu einem oder mehreren Pro-

dukten umgesetzt. Die dabei stattfindende chemische Reaktion

benötigt definierte Temperaturen und Drücke. Durch die Betei-

ligung von Biokatalysatoren kann die Synthese der gewünsch-

ten Produkte bei milden Reaktionsbedingungen in Bezug auf

Druck, Temperatur sowie pH-Wert stattfinden, und es wird eine

höhere Ausbeute ermöglicht. Die Produktion ist dadurch oft

kostengünstiger und umweltschonender, als dies mit konventi-

onellen chemischen Verfahren zu erreichen wäre. Mit Hilfe von

Biokatalysatoren können neue Produkte hergestellt werden, für

die es bisher keine chemischen Synthesemöglichkeiten gibt.

Die Biokatalyse gilt als wesentliche Innovationskraft für die

Weiße Biotechnologie: Für die industrielle Produktion liegt das

Potenzial der Biokatalyse in der Entwicklung neuer Prozesse

mit hochspezifischen Stoffumwandlungen, die energie- und

ressourcensparend sind und keine Abfallstoffe produzieren, die

nicht weiter verwendbar sind.

Molecular Pharming

In den vergangenen Jahren hat das zukunftsträchtige Gebiet

des Bio- oder Molecular Pharming für die Produktion von

Wirkstoffen zunehmend an Bedeutung gewonnen. Durch

geeignete gentechnische Modifikationen sollen Nutzpflanzen

als „Synthese-Reaktoren“ für hochwertige Proteine dienen.

Arzneimittel, Impfstoffe, monoklonale Antikörper für die me-

dizinische Diagnostik oder auch für technische Enzyme können

in gentechnisch veränderten Pflanzen hergestellt werden. Ein

fremdes Gen wird dabei in die Pflanze eingeschleust, damit die-

se eine Wirksubstanz – in den meisten Fällen ein rekombinantes

Protein – erzeugt. Die Wirksubstanz kann dann aus der Pflanze

Pflanzen liefern nicht nur Nahrung, sondern auch wertvolle Roh-

stoffe für die Industrie. Eine Reihe von Unternehmen hat sich darauf

spezialisiert, durch molekularbiologische Veränderungen die Inhalts-

stoffe von Pflanzen zu optimieren.

26 Molecular Pharming GRUNDLAGEN

isoliert und weiter verarbeitet werden. Die ersten dieser in

transgenen Pflanzen produzierten pharmazeutischen Proteine

befinden sich bereits in der klinischen Prüfung.

Molecular Pharming erfordert besondere Sicherheitsmaß-

nahmen. Transgene Pflanzen, die therapeutisch wirksame

Substanzen produzieren, müssen strikt von Lebens- und

Futtermittelpflanzen getrennt werden. Biopharming-Pflan-

zen müssen auf einem Feld so angebaut werden, dass sicher-

gestellt werden kann, dass diese Pflanzen nur dort wachsen.

Um Auskreuzungen und Vermischungen zu verhindern, sind

besondere Sicherheitsauflagen bei Versuchen mit Biophar-

ming-Pflanzen erforderlich. Dies ist auch notwendig, um die

Urheber- bzw. Patentrechte zu schützen.

Für die Produktion rekombinanter Proteine in pflanz-

lichen Systemen, werden derzeit meistens stabil transfor-

mierte Pflanzen verwendet. Hierbei liegt die Menge an dem

gewünschten Produkt häufig unter 1% des Gesamtproteinge-

haltes der transgenen Pflanzen. Von Vorteil ist die Verwen-

dung von Non-Food-Pflanzen wie Tabak, da dieser nicht als

Nahrungsmittel für Tier oder Mensch dient und so Wirksub-

stanzen auch nicht irrtümlich in die Nahrungskette gelangen

können. Allerdings sind für viele Biopharming-Projekte Mais,

Raps, Tomaten und Kartoffeln die Pflanzen der Wahl. Auch an

Moos und Algen als Produktionsorganismen für Wirksubstan-

zen wird geforscht. Der Vorteil von Moos und Algen besteht

darin, dass sie in Flüssigmedien in so genannten Bioreaktoren

kultiviert werden und dadurch die Freisetzungsproblematik

entfällt (siehe S. 32). Ein alternatives Bioreaktor-Modell sind

Wurzelkulturen. Hierbei werden genetisch veränderte Pflan-

zenwurzeln steril in einem Reaktorsystem angezogen und die

Wirksubstanzen aus dem Nährmedium isoliert.

Das Molecular Pharming zur Produktion von Wirkstoffen

bietet viele Vorteile, so sind in Pflanzen sowohl die Faltung als

auch die Modifizierung der Proteine (z. B. Glycosylierung) den

Vorgängen in Säugetieren viel ähnlicher als in mikrobiologi-

schen Systemen. Zudem sind pflanzliche Produktionssysteme

frei von menschlichen Krankheitserregern oder Viren. Darü-

ber hinaus können durch den Einsatz pflanzlicher Systeme die

derzeitigen Produktionsengpässe bei Bioreaktoren umgangen

und damit die Produktionskosten erheblich gesenkt werden.

BMBF-Projekt „Entwicklung eines biokatalytischen und nachhaltigen Verfahrens zur industriellenHerstellung enantiomerenreiner Amine und Alkohole“

Der Schwerpunkt des BMBF-Projekts „Entwicklung eines bio-

katalytischen und nachhaltigen Verfahrens zur industriellen

Herstellung enantiomerenreiner Amine und Alkohole“ unter

Projektleitung der Degussa AG lag auf der Entwicklung von

maßgeschneiderten „Designerzellen“ und deren Anwendung

in industriell wichtigen Redoxreaktionen. Die Arbeiten wurden

in Kooperation mit Partnern der Universität Stuttgart, der

Universität Düsseldorf der FAL Braunschweig und dem Biotech-

Unternehmen BRAIN AG, Zwingenberg, durchgeführt.

Der Markt für chirale Wirkstoffe wächst kontinuierlich

um mehr als 10 % jährlich. So wurde von dem Beratungsunter-

nehmen Frost & Sullivan der Umsatz mit chiralen Wirkstoff-

Intermediaten für das Jahr 2003 auf 7,7 Mrd. US-$ geschätzt,

der erwartete Umsatz für das Jahr 2009 auf fast 15 Mrd. US-$.

Besonders in der Pharmaindustrie wächst die Nachfrage nach

entantiomerenreinen Produkten kontinuierlich. Aber auch in

der Kosmetik-, Lebensmittel- und Futtermittelindustrie sind

für viele Produkte enantiomerenreine Wirkstoff-Intermediate

erforderlich. Enantiomerenreine Synthesemethoden werden

daher immer wichtiger in der chemischen Industrie.

Zu diesem Zweck wurde im Rahmen des BMBF-Projekts

„Entwicklung eines biokatalytischen und nachhaltigen Ver-

fahrens zur industriellen Herstellung enantiomerenreiner

Amine und Alkohole“ eine Technologieplattform entwickelt,

mit deren Hilfe durch Ganzzellkatalyse in Redoxreaktionen

enantiomerenreine Aminosäuren und Alkohole synthetisiert

werden können. Für die Ganzzellkatalyse werden Designer-Zel-

len entwickelt, die die jeweils geeigneten Kombinationen der

geeigneten Enzyme rekombinant in Hochleistungsstämmen

von E. coli enthalten. Durch den interdisziplinären Ansatz des

Projekts konnte eine erfolgreiche Redox-Technologieplattform

entwickelt werden, die es ermöglichte, eine Reihe von Verfah-

ren auf dem Gebiet der Redoxreaktionen bereits im technischen

Maßstab zu etablieren.

Die jeweiligen Reaktionsarten und Zielprodukte unter

Verwendung von Redox-Ganzzellkatalysatoren umfassen dabei

bislang:

• Produktion chiraler Alkohole für die Pharmaindustrie

durch asymmetrische Reduktion von Ketonen mit

Ganzzellkatalysatoren

• Produktion natürlicher Alkohole für die Aromaindustrie

durch Reduktion von Aldehyden mit Ganzzellkatalysa-

toren

• Produktion chiraler L-Aminosäuren für die Pharma-

industrie durch asymmetrische reduktive Aminierung

von Ketosäuren mit Ganzzellkatalysatoren

Diese Arbeiten zur Redoxtechnologie mit maßgeschneiderten

Ganzzellkatalysatoren für die Herstellung von Alkoholen und

L-Aminosäuren erfuhren Anerkennung durch das Erreichen

der Endrunde beim Innovationspreis der Deutschen Wirtschaft

2004 und wurden kürzlich mit dem Degussa-Innovationspreis

2005 in der Kategorie „Neue oder verbesserte Prozesse“ ausge-

zeichnet und.

27 TECHNOLOGIEN ZUR OPTIMIERUNG Designer Bugs

Technologien zur Optimierung von Mikroorganismen und Enzymen

Die technologischen Durchbrüche auf den Gebieten der

Enzymentwicklung, der Biokatalyse oder der genetischen

Modifizierung von Mikroorganismen zeigen ständig neue

Potenziale der Weißen Biotechnologie auf.

Ziel ist dabei die Entwicklung neuer biotechnologischer

Prozesse und die Optimierung vorhandener Prozesse,

um biologische Wirkprinzipien für die industrielle

Produktion nutzen zu können.

Die Biotechnologie ist für die Entwicklung neuer biotechnolo-

gischer Prozesse und die Optimierung vorhandener Prozesse

auf die Identifizierung von geeigneten Mikroorganismen und

deren Enzyme angewiesen. Mikroorganismen und Zellen müs-

sen ganz speziellen Anforderungen genügen, um in industriel-

len Prozessen eingesetzt werden zu können. Hierzu gehört die

leichte Kultivierbarkeit, die gentechnische Manipulierbarkeit

und die Fähigkeit, DNA stabil aufzunehmen. Die in industriel-

len Prozessen verwendeten Stämme und Zelllinien unterliegen

einer ständigen Optimierung zur Erhöhung der Produktaus-

beute.

Von den ca. 10.000 in der Natur vermuteten Enzymen

werden bisher nur etwa 130 Enzyme in unterschiedlichen indus-

triellen Verfahren genutzt. Es gibt einen großen Bedarf, weitere

natürliche Enzyme mit neuen Eigenschaften zu identifizieren

und zu isolieren. Sie können direkt aus den Organismen isoliert

oder über die Gewinnung von Metagenomen, d. h. der Gesamt-

heit der Genome eines Biotops (s. u.), gesucht werden.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Enzyme und Mikro-

organismen für biokatalytische Prozesse zu optimieren. Im

Folgenden sollen die wichtigsten Technologien vorgestellt

werden.

Designer Bugs

Die Weiße Biotechnologie setzt Biokatalysatoren für Stoffum-

setzungen ein. Bei den Biokatalysatoren handelt es sich um iso-

lierte Enzyme oder um intakte Zellen bzw. Mikroorganismen.

Der Begriff „Designer Bugs“ beschreibt Stämme verschie-

dener Spezies von Mikroorganismen, die mit gentechnischen

Methoden gezielt so verändert wurden, dass sie die gewünsch-

ten biotechnologischen Reaktionen mit hoher Effizienz kataly-

sieren können.

Um einen maßgeschneiderten, industriell nutzbaren Mikroor-

ganismen-Stamm zu identifizieren, müssen die unerwünschten

Eigenschaften des Wildstammes eliminiert oder reduziert wer-

den, die die Ausbeute an Produkten limitieren. Die gewünsch-

ten industriell nutzbaren Eigenschaften müssen dagegen

verstärkt werden, um eine höhere Ausbeute zu erzielen.

Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae

Maßgeschneiderte Mikroorganismen müssen mit Hilfe der mo-

dernen Molekularbiologie nicht mehr durch Zufallsmutagene-

se, Selektion und Screening gefunden werden, sondern können

gezielt konstruiert bzw. „designed“ werden.

Mit der Verfügbarkeit der Sequenzinformation ganzer

mikrobieller Genome haben sich Verständnis und Möglich-

keiten genetischer Manipulation enorm verbessert. Mehr als

200 verschiedene Spezies sind bisher vollständig sequenziert,

dies bedeutet: ihre genetische Information ist entziffert und

ermöglicht eine Identifizierung des Stoffwechselpotenzials

verschiedener Mikroorganismen. Trotz vollständig bekannter

Genom-Sequenzen ist das synthetische Potenzial von Mikroor-

ganismen bei Weitem nicht ausgenutzt. Viele der möglichen

Genprodukte sind noch immer unbekannt.

Nicht alle Spezies eignen sich für die Entwicklung von

„Designer Bugs“. Die Mikroorganismen müssen gentechnisch

gezielt veränderbar sein, und DNA stabil aufnehmen können.

Vorteilhaft sind dabei Mikroorganismen, die ein geringes Ge-

fährdungspotenzial für Mensch und Umwelt haben. Es werden

daher häufig Ausgangsstämme verwendet, für die die moleku-

larbiologischen Methoden etabliert sind, so z. B. Escherichia coli,

Bacillus subtilis, Corynebacterium glutamicum oder die Bäcker-

hefe Saccharomyces cerevisiae. Die Art und Anzahl der geneti-

schen Veränderungen kann dabei variieren.

28 Metabolic Pathway Engineering TECHNOLOGIEN ZUR OPTIMIERUNG

Durch einen weiteren Ausbau der Systembiologie und eine

Verbesserung des Wissens von Genomik, Proteomik, Metabo-

lomik und anderer „Omik“-Technologien wird eine zielgerich-

tete Konstruktion von „Designer Bugs“ auch in Zukunft weiter

verbessert werden können.

Metabolic Pathway Engineering

Das Metabolic Pathway Engineering hat die zielgerichtete

Verbesserung zellulärer Eigenschaften durch die Verän-

derung oder Einführung neuer biochemischer Reaktionen

unter Anwendung rekombinanter DNA-Techniken zum

Ziel: Zwischen 100 bis 1.000 Prozesse laufen zeitlich parallel

im Stoffwechsel einer Zelle ab. Die Analyse dieser Prozesse

ermöglicht Erkenntnisse über die industrielle Nutzbarkeit

von Stoffwechselprozessen in Mikroorganismen. Metabolic

Pathway Engineering befasst sich mit einer gezielten Ver-

änderung der Genexpression von Organismen, um Stoff-

wechselprozesse zu verändern bzw. die Produktionsleistung

zu verbessern. Dabei wird die gesamte Zelle als Bioreaktor

verwendet und optimiert. Zunächst müssen die Netzwerke,

die Stoffwechselwege und deren Produkte analysiert werden.

Die Modulation erfolgt in Stoffwechsel-Netzwerken, deren

Analyse durch molekularbiologische Methoden erst möglich

ist (Proteom-Analysen, DNA-Arrays, Systembiologie u. v. m.).

Die verschiedenen Stoffwechselpfade einer Zelle werden da-

bei derart manipuliert, dass einzelne Stoffwechselvorgänge

modifiziert, eliminiert oder verstärkt werden. Dies geschieht

durch gezielte Veränderung der Zellphysiologie oder der

Regulationsfunktionen.

In mathematischen Modellen können Stoffwechselpfade

in Mikroorganismen simuliert und analysiert werden.

BMBF-Projekt „Designermikroorganismen – Die Zelle als nachhaltige Fabrik, dargestellt am Beispiel der Produktion chiraler Hydroxyverbindungen“

Chemische Moleküle bilden so genannte Enantiomeren-Paare,

die sich wie Spiegelbilder zueinander verhalten, also „chiral“

sind. Interessanterweise kommt in der Natur in der Regel im-

mer nur eines dieser Spiegelbilder zum Einsatz, während das

andere einfach nicht „passt“. Gerade im Bereich der Medizin

und der Schädlingsbekämpfung ist es daher wichtig, das akti-

ve Enantiomer zu verwenden, um die notwendigen Wirkstoff-

mengen klein zu halten. Die chemische Synthese von enantio-

merenreinen Produkten ist jedoch sehr aufwändig und teuer.

Enzyme sind darauf beschränkt, enantiomerenreine Verbin-

dungen herzustellen, es liegt also nahe, diese Werkzeuge der

Natur auch für die industrielle Produktion zu nutzen.

Im Bereich der Produktion enantiomerenreiner Alkohole

ist die Verwendung von Alkoholdehydrogenasen (ADH) schon

seit langem ein Standardverfahren: Ein in sich symmetrisches

Keton könnte chemisch zu einem spiegelbildlichen Enantio-

merenpaar von Alkoholen reduziert werden, die zueinander

nicht symmetrisch, aber chiral sind. Die Verwendung einer

entsprechenden Alkoholdehydrogenase ermöglicht nun die

selektive Herstellung nur eines dieser Spiegelbilder.

Die Produktion solcher Alkoholdehydrogenasen geschieht

heute durch Bakterien, denen die Gene für interessante ADH

mittels gentechnischer Methoden eingefügt wurden. Die

Zellwand und -membran dieser Bakterien wird mechanisch

zerstört und dieser Rohextrakt als Biokatalysator im Produkti-

onsprozess eingesetzt.

Neben der ADH wird für die Reaktion ein Cofaktor und

ein weiteres Enzym benötigt (Glucosedehydrogenase oder

Formiatdehydrogenase). Zur Herstellung der beiden Enzy-

me müssen normalerweise zweimal Bakterien angezüchtet

werden, die jeweils das Gen für eines der beiden interessanten

Enzyme enthalten. In dem BMBF-Projekt „Designermikroor-

ganismen“ soll nun unter der Projektleitung der Jülich Chiral

Solution GmbH in Zusammenarbeit mit dem FZ Jülich und der

Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf, versucht werden den

Prozess so zu optimieren, dass weder mehrere Fermentatio-

nen durchgeführt werden müssen, noch größere Mengen des

Cofaktors in der Reaktionslösung benötigt werden. Das wird

möglich durch Bakterien, die beide Enzyme enthalten.

Bei der Entwicklung der geeigneten Mikroorganismen

sind einige Hürden zu überwinden: Es muß ein Organismus

gefunden werden, dessen Zellmembran durchlässig genug ist,

um den nötigen Stoffaustausch zuzulassen, aber auch fest ge-

nug, das System zusammen zu halten. So werden neben Coli-

Bakterien auch Organismen der Spezies Bacillus untersucht.

Nicht jede natürliche Alkoholdehydrogenase ist geeignet.

Die Suche nach neuen ADH ist daher ein wichtiger Bestandteil

des Projektes. Ebenfalls arbeitet nicht jede ADH mit jedem

Cofaktorregenerierungssystem zusammen, so daß man die

richtigen Paarungen finden muß. Die Reaktionsdurchführung

selbst mit all ihren Parametern wie Temperatur, zeitabhän-

gigen Substratkonzentrationen, Einsatzmenge der Bakterien

und die Aufarbeitung des Produktes werden ebenfalls unter-

sucht.

Mit der Produktion eines chiralen Alkohols hat man

eine Substanz erzeugt, die den Ausgangspunkt zur Synthese

vieler industriell interessanter Produkte im Bereich Pharma,

Nahrungsmittel oder Agrochemie bildet. Wenn diese mit ver-

ringertem Energieaufwand, Abfallaufkommen und Wasser-

verbrauch hergestellt werden können, sind auch die endgülti-

gen Produkte in ihrer Umweltverträglichkeit ein gutes Stück

weiter gekommen.

29 TECHNOLOGIEN ZUR OPTIMIERUNG Gelenkte Evolution

Gelenkte Evolution (Directed Evolution)

Die Natur nutzt seit Jahrmillionen die zufällige Verände-

rung von Genen (Mutation) und deren Produkten. Durch die

anschließende Selektion werden die am besten an die Umge-

bung angepassten Varianten ausgewählt. Im Labor werden mit

Hilfe unterschiedlicher Methoden (chemische, enzymatische)

verschiedene Mutanten erzeugt, die Unterschiede in der Ami-

nosäureabfolge in ihren Proteinen zeigen. Im anschließenden

Durchmusterungsverfahren werden verbesserte Proteinvarian-

ten gesucht (Screening-Verfahren). Wurde eine Enzymvariante

gefunden, die eine höhere Produktivität hat, ist das zugehörige

Gen Ausgangspunkt für die nächste gelenkte Evolutionsrunde.

Dieser Vorgang wird in iterativen Zyklen wiederholt bis die

angestrebten Verbesserungen erzielt werden konnten.

Erste industriell verwendete Enzymvarianten sind das Er-

gebnis vieler Mutations- und Durchmusterungsrunden.

Hochdurchsatz-Screening-Verfahren werden in Zukunft

eine immer schnellere und effizientere Identifizierung verbes-

serter Proteinvarianten ermöglichen. Mittelfristig wird es durch

diese Verfahren zu einer Umstellung von den traditionelleren

Top-Down-Verfahren in die kostengünstigeren und ressourcen-

schonenden Bottom-Up-Verfahren kommen. Man spricht von

einem Top-Down-Ansatz, wenn ganze Zellen für die Produktion

oder Umwandlung von Stoffen eingesetzt werden, auch ohne

die Stoffwechselprozesse im Detail zu kennen. Dem Bottom-

Up-Ansatz entspricht hingegen, dass man für gewünschte

Zellfunktionen bereits bekannte, funktionierende Stoffwechsel-

prozesse heraussucht und entsprechende Biomoleküle in einer

maßgeschneiderten Zelle zusammenführt.

Enzymoptimierung – Protein Engineering

In der Natur vorkommende Enzyme besitzen einen hohen

Optimierungs- und Anpassungsbedarf für den Einsatz in indus-

triellen Prozessen. Es gibt verschiedene gentechnische Ansätze,

bekannte Enzyme zu verändern. Bei genauer Funktions- bzw.

Strukturkenntnis des Enzyms und seines Gens können gezielte

Gen- und Aminosäureveränderungen vorgenommen werden.

Durch Computersimulationen werden vorab Funktionsoptimie-

rungen ermittelt. Auf Basis dieser Simulationen werden dann

gezielt nur wenige Varianten hergestellt und in ihrer biokataly-

tischen Funktion untersucht.

Dazu werden einerseits biochemische Stoffwechselprozesse

erforscht. Andererseits werden mit Methoden der gelenkten

Evolution Enzyme dahingehend modifiziert, dass sie unter

definierten Bedingungen leistungsfähiger werden.

Mit Hilfe des Protein Engineering können maßgeschnei-

derte Enzyme hergestellt werden, mit denen biokatalytische

Reaktionen optimierbar sind.

Neben gezielten Mutationen und Rekombinationen ist das

so genannte Gene Shuffling eine Möglichkeit, verbesserte En-

zyme zu entwickeln: Das Fragmentieren und Neukombinieren

von Genen ermöglicht das „Mischen“ von Proteinstrukturen,

die bereits von der Natur vorselektiert und damit funktional

Ausstrich von Mikroorganismen, wie sie in modernen biotechnologi-

schen Prozessen als Produktionsstämme eingesetzt werden.

sind (englisch: Gene Shuffling). Ausgangspunkt sind mehrere

Varianten eines Gens oder unterschiedliche Gene mit hoher

Sequenzidentität (mehr als 80 %). Die Gensequenzen werden mit

Hilfe von Enzymen zerschnitten, und die entstehenden Frag-

mente der verschiedenen Varianten werden rekombiniert. Über

verschiedene molekularbiologische Methoden lassen sich die

Fragmente wieder zu vollständigen Genen zusammenfügen.

Man erhält dann unterschiedliche Zusammensetzungen der

Gene, die aus verschiedenen Fragmenten der unterschiedlichen

Genvarianten bestehen und viele neue Genvarianten darstellen.

Diese werden z. B. in Bakterien eingebracht und können dann

auf verbesserte Varianten hin durchgemustert werden.

Bioprospektion

Unter Bioprospektion versteht man die gezielte Suche nach

neuen Wirkstoffen in der Natur, die für kommerzielle Zwecke

synthetisiert werden können. Pflanzen, Tiere und Mikroor-

ganismen können als Ausgangsorganismen geeignet sein.

Pflanzliche Wirkstoffe werden bereits erfolgreich in der Pro-

duktion von Pharmazeutika und Arzneimitteln genutzt.

Ein großes Potenzial für die Entwicklung neuer Materia-

lien und Wirkstoffe verspricht man sich auch von der Erfor-

schung so genannter extremophiler Mikroorganismen. Dabei

handelt es sich um Mikroorganismen, die an extreme Milieus

z. B. in Geysiren oder der Tiefsee angepasst sind. Aufgrund

ihrer hochspezifischen Eigenschaften wie z. B. Druck-, Tempe-

ratur- und Säuretoleranz erscheinen die von ihnen gebildeten

Enzyme für die Nutzung in biotechnologischen Prozessen, in

denen ebenfalls Hitze, Kälte oder Säure herrschen, besonders

geeignet. Biokatalysatoren aus extremophilen Mikroorganis-

men können in industriellen Verfahren mit hohen Anforde-

rungen herkömmliche, meist teurere, langwierigere und

vor allem umweltschädlichere Verfahren ersetzen. Zugleich

ermöglichen diese Biokatalysatoren gänzlich neue, umwel-

tentlastende biotechnologische Herstellungsprozesse in der

Chemie- und Pharmaindustrie sowie in den Bereichen Kosme-

tik, Lebensmittel, Textil und Energieversorgung.

30 Genome und Metagenome TECHNOLOGIEN ZUR OPTIMIERUNG

Genome und Metagenome

Ein besseres Verständnis der Funktion von Mikroorganismen

setzt die Entzifferung des Genoms und damit ein besseres

Begreifen der Stoffwechselwege voraus. Das Genom ist die

Gesamtheit der Erbinformation einer Zelle. In Bakterien gibt

es neben dem Chromosom meist noch weitere ringförmige

DNA-Moleküle, die so genannten Plasmide.

Die Entzifferung ganzer Genome ist durch die techni-

schen Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte möglich

geworden. Ein Meilenstein zu dieser Entwicklung war die Ein-

führung der „Schrotschuß-Sequenzierung“ (Whole Genome

Shotgun Sequencing) durch Craig Venter.

Neue Sequenzierverfahren ermöglichten in den vergange-

nen Jahren eine immer schnellere und günstigere Entschlüs-

selung genomischer Daten. Die Zugänglichkeit und Nutzbar-

keit der Genominformationen mit Hilfe der Bioinformatik,

funktionellen Genomik und der Systembiologie ermöglichen

das Auswerten sehr großer Datenmengen, das Automatisieren

der Zusammenhänge und das so genannte Data Mining.

Da ein großer Teil (mehr als 90 %) der Mikroorganismen

nicht kultivierbar und damit nicht identifizierbar ist, sind

Informationen zu deren genetischen oder physiologischen

Eigenschaften nur schwer zu ermitteln. Ein Lösungsansatz

hierfür ist die genomische Untersuchung von Metagenomen,

d. h. der Gesamtheit der Genome eines Lebensraums oder Bio-

tops oder einer Lebensgemeinschaft (Biozönose). In Metageno-

men können Biokatalysatoren aufgefunden werden, die bisher

noch nicht bekannte biochemische Reaktionen katalysieren

und neue Stoffwechselprodukte bilden.

Beispiele für Metagenomprojekte sind die Sequenzie-

rungen des Metagenoms urbaner Luft oder von mikrobiellen

Lebensgemeinschaften des menschlichen Darms, der Haut

oder der Atemwege. Aus der Menge der gewonnenen Infor-

mationen kann die Anzahl neuer Gene ohne Homologie zu

BioChance PLUS-Projekt „Entwicklung innovativer, Hochdurchsatz-Durchmusterungssysteme zum Auffinden und Verbessern von Biokatalysatoren in Metagenom- und Zufallsmutagenese-Bibliotheken“

Ein interdisziplinäres Team aus Hochschulgruppen der Inter-

national University Bremen und der Universität Stuttgart-Ho-

henheim entwickelt unter Projektkoordination der BRAIN AG,

Zwingenberg, neue Methoden zum Auffinden von verbesserten

industriell relevanten Enzymen. Enzyme haben als biologische

Screening nach Proteasen zur Waschmittelanwendung

Katalysatoren entscheidenden Anteil an einer Veredelung

und Verbesserung von natürlichen Rohstoffen und an nach-

haltigen Herstellungsprozessen für die Bereiche Feinchemie,

Textilverarbeitung, Kosmetik, Ernährung und Gesundheit.

Derzeitig steht den Zielindustrien jedoch nur eine in Umfang

und Funktionalität begrenzte Anzahl an relevanten Biokata-

lysatoren zur Verfügung. Eine Ursache hierfür ist zu einem

wesentlichen Teil die mangelnde Kultivierbarkeit potenziell

interessanter mikrobieller Spenderorganismen (z. B. Bakterien,

Pilze, Algen). Aus diesem Grund werden seit einigen Jahren mit

der Etablierung der Metagenom-Technologie die genetischen

Ressourcen von nicht kultivierbaren Mikroorganismen für die

industrielle Verwertung erschlossen. Mit modernen Methoden

der Molekularbiologie soll die biochemische und katalytische

Vielfalt mikrobieller und pflanzlicher Biodiversitäten nutzbar

gemacht werden. Um die Identifizierung weiterer industriell

hoch relevanter Enzymklassen in ausreichender Quantität und

Qualität zu beschleunigen, soll im Rahmen des Verbundvorha-

bens für die Durchmusterung von Metagenom- und Zufallsmu-

tagenese-Bibliotheken eine breit anwendbare Ultrahochdurch-

satz-Durchmusterungstechnologie entwickelt werden. Diese

basiert auf Mikrokompartimentierung in Doppelemulsionen

und Fluoreszenzsortierung mittels FACS-basierter („Fluorescen-

se Activated Cell Sorter“) Verfahren.

31 TECHNOLOGIEN ZUR OPTIMIERUNG Synthetische Biologie

bisher bekannten Genen ermittelt werden und darüber auf die

Anzahl der unterscheidbaren Spezies innerhalb eines Metage-

noms geschlossen werden.

Synthetische Biologie

Ende der 1990er Jahre begann man am Massachusetts Institute

of Technology (MIT) in Cambridge, MA (USA) die Synthetische

Biologie zu entwickeln. Heute gehört die interdisziplinäre

Wissenschaft zwischen Biologie und Technologie nach Ansicht

vieler Forscher zu den zukunftsträchtigsten Forschungsrich-

tungen. Die Synthetische Biologie ist dabei ein Wissenschafts-

zweig der Biologie, der mit Hilfe künstlicher biologischer Syste-

me das Verhalten natürlicher biologischer Systeme nachahmt,

um ein vertieftes Verständnis der Funktion dieser Systeme und

ihrer Evolution zu erlangen.

Zunächst wurde diese neue Teildisziplin der Biologie mit

dem Ziel entwickelt, biologische Steuervorgänge nachzubil-

den und sie besser zu verstehen. Dazu werden künstliche Gene

in Bakterien eingeschleust. Die Gene werden für diesen Zweck

designt und synthetisiert. Mit synthetischen Genen können in-

zwischen komplexe Designerproteine zusammengebaut wer-

den. Mit solchen Bausteinen, so genannten Biobricks, sollen

dann Zellvorgänge gezielt gesteuert werden, gewissermaßen

Zellmaschinen aus biologischen Bausteinen gebaut werden.

Verglichen wird dies mit einem „Baukasten biologischer Schal-

telemente“, den Biologen und Ingenieure künftig nutzen sol-

len, um neues Leben aus vorhandenen Bausteinen zu konstru-

ieren. Organismen können auf diese Weise zusammengesetzt,

auseinandergenommen und wieder neu kombiniert werden.

In der Synthetischen Biologie arbeiten Biologen, Chemiker und

Ingenieure zusammen, um abgewandelte biologische oder

künstliche Systeme zu erzeugen, mit den Zielen, verschiede-

ne Eigenschaften zu reproduzieren, biologische Systeme in

technische zu integrieren oder biologische Systeme mit neuen

Eigenschaften zu erzeugen, also synthetische Organismen.

Die Biobricks werden die Zellen in Maschinen verwandeln, die

Informationen verarbeiten, Nanomaterialien herstellen oder

medizinische Diagnosen vornehmen. Die Mikromaschinen

könnten Medikamente oder Werkstoffe bilden, die die Natur

nicht oder nur widerwillig herstellt oder aber Krebs bekämp-

fen, schädliche Stoffe aufspüren und vernichten oder Energie-

träger wie Wasserstoff produzieren.

In der Regel werden dabei die Methoden der Gentechnik

angewandt, wodurch sich Systeme ergeben, die der Evolution

unterworfen sind. Im Unterschied zu der gentechnologischen

BioFuture Preisträger Nediljko Budisa „Maßgeschneiderte Proteine“

Einer der Preisträger des BioFuture-Wettbewerbs, die sich mit

dem Themengebiet Weiße Biotechnologie beschäftigen, ist

Dr. Nediljko Budisa vom Max-Planck-Institut für Biochemie

in Martinsried. In seinem Projekt beschäftigt er sich mit der

Umprogrammierung lebendiger Zellen, die durch den Einbau

künstlicher Aminosäuren maßgeschneiderte Proteine und Bio-

materialen erzeugen sollen. Budisa möchte dabei ein schnelles,

effizientes und billiges Verfahren entwickeln, das die Herstel-

lung von neuartigen Biomaterialen mit Eigenschaften und

Funktionen ermöglicht, die in der Natur nicht vorkommen.

Die Produktion dieser neuen Materialien soll in geeigneten

gentechnisch veränderten Mikroorganismen erfolgen. Mikro-

organismen können in der Regel 20 verschiedene Aminosäuren

selbst herstellen. Durch Einsatz von veränderten Wirtszellen,

bei denen z. B. ein oder mehrere Gene für die Aminosäureher-

stellung verändert sind, kann die Aminosäureauswahl für die

Proteinsynthese beeinflusst werden. Solche Zellen können neue,

so genannte nichtkanonische Aminosäuren selbst produzieren

oder direkt aus dem Nährmedium aufnehmen. Diese neuen

Proteinbausteine können nur in entsprechend modifizierten

Zellen eingebaut werden. Die Zellen müssen dafür zahlreiche

Enzyme enthalten, die so verändert wurden, dass sie die neuen

synthetischen Aminosäuren für die Proteinsynthese verwenden

können. Die geeigneten Enzyme können durch gerichtete Evolu-

Kolibakterien mit fluoreszierenden Proteinen vor (cyan) und nach

(gold) der gentechnischen Veränderung.

tion in Durchmusterungs- und Selektionverfahren identifiziert

werden. In dem Projekt des BioFuture-Preisträgers Budisa sollen

Mikroorganismen durch gezielte experimentelle Intervention

(z. B. Knock-out vorhandener Gene, Einbau neuer Gene, Import

der Gene anderer Mikroorganismen) befähigt werden, selbst die

neuen Aminosäuren herzustellen und direkt in das Zielprotein

einzubauen. Ziel des Projektes ist dabei die Entwicklung neuer

therapeutischer oder diagnostischer Werkzeuge, nicht-invasiver

Sensoren oder neuer umweltfreundlicher Materialien auf Basis

von Proteinen mit synthetischen Aminosäurebestandteilen.

32 Synthetische Biologie TECHNOLOGIEN ZUR OPTIMIERUNG

Veränderung von Organismen werden in der Synthetischen

Biologie nicht einzelne Gene verändert, sondern der ganze

Organismus neu kombiniert. Die Synthese ganzer Viren ist

inzwischen gelungen, die Erzeugung eines synthetischen

Bakteriums samt Membran ist jedoch wesentlich komplexer.

Bisher gibt es noch keine greifbaren Ergebnisse, denn das

Design dieser synthetischen Zellmaschinen benötigt noch

sehr viel mehr Zeit. Verschiedene Projekte werden verfolgt,

um zum Beispiel Bakterien zu schaffen, die entsprechend

bestimmter Vorgaben funktionieren. So sollen beispielsweise

Bakterien entwickelt werden, die den Treibhauseffekt und

die Energieprobleme der Welt lösen, indem sie Kohlendioxid

binden und Wasserstoff produzieren. Die Dimensionen der

Synthetischen Biologie sind noch unabsehbar. Ob es tatsäch-

lich in Zukunft gelingt, Biobausteine in gleicher Weise wie

zum Beispiel Elektronikkomponenten herzustellen und nach

einem Baukastenprinzip zu kombinieren, ist noch vollkom-

men offen.

BMBF-Förderinitiative „Genomik-Plus – Funktionale Genomforschung an Mikroorganismen für industrielle Produktion, Ernährung, Umwelt und Gesundheit“

Das bundesweite Genomforschungsnetzwerk „BiotechGeno-

Mik – from Genomes to Functions to Products“ wird vom BMBF

im Rahmen der Förderinitiative „Genomik-Plus – Funktionale

Genomforschung an Mikroorganismen für industrielle Pro-

duktion, Ernährung, Umwelt und Gesundheit“ (siehe Seite 12)

gefördert. Das Netzwerk besteht aus 20 Einzelprojekten an 14

verschiedenen Forschungseinrichtungen mit einer Koordinati-

onszentrale an der Universität Göttingen. Zwei Industrieunter-

nehmen mit eigenen Projekten und 12 weitere Unternehmen als

Kooperationspartner sind in das Netzwerk eingebunden. Das

Netzwerk ist in drei Projektverbünde mit den Kurztiteln Bacil-

lOMik, GenoMik Engineering und MetaGenoMik gegliedert. Im

Verbund BacillOMik steht die funktionelle Genomforschung an

Bacillus licheniformis, einem industriell für die Produktion von

Enzymen eingesetzten Bakterium, im Vordergrund. Ziel ist da-

bei das bessere Verständnis der zellulären Vorgänge während

des Produktionsprozesses. Weitere vielversprechende Produk-

tionsorganismen wie Ralstonia eutropha, Gluconobacter oxydans

oder Clostridium ljungdahlii, deren Genomsequenzen wie auch

die von Bacillus licheniformis in Göttingen ermittelt wurden,

stehen im Zentrum der Forschungsarbeiten des Verbundes

GenoMik Engineering. Auch hier wird mit den Methoden der

funktionellen Genomik an der Entwicklung neuer oder verbes-

serter Produktionsorganismen gearbeitet. Der dritte Verbund

MetaGenoMik hat sich zum Ziel gesetzt, die enorme mikrobielle

Biodiversität unter Einbeziehung bislang nicht-kultivierbarer

Mikroorganismen für die Entwicklung neuer Produkte und

Produktionsprozesse zu nutzen. Diverse Metagenom-Genban-

ken sollen mit neuen Screening-Methoden nach Genen für neu-

artige Enzyme und Naturstoffe durchmustert werden. In den

vergangenen Jahren der GenoMik-Förderung konnten die Göt-

tinger Netzwerkpartner wichtiges Know-how auf dem schnell

evolvierenden Gebiet der funktionellen Genomforschung

erwerben. Jetzt gilt es, hierauf aufbauend, die Forschung mit

Blick auf Anwendungspotenziale voranzutreiben. Die enge

Verknüpfung zwischen Industrie und Forschung ist dabei ein

wichtiges Anliegen des BiotechGenoMik-Netzwerkes.

33 BIOREAKTOREN UND PROZESS-DESIGN

Bioreaktoren und Prozess-Design

In der industriellen Produktion und Verarbeitung werden

Verfahren der Biotechnologie bereits heute mit großem Er-

folg eingesetzt. Die biotechnologische Produktion erfolgt

dabei überwiegend durch Mikroorganismen oder Enzyme

in Bioreaktoren oder Fermentern, die das Kernstück jeder

biotechnologischen Produktionsanlage darstellen.

Die großtechnische Herstellung von Enzymen erfolgt überwie-

gend durch Mikroorganismen in geschlossenen Systemen (Bio-

reaktoren oder Fermenter). Wenn nicht die Mikroorganismen

selbst zur Biokatalyse eingesetzt werden, können die aus ihnen

isolierten Enzyme verwendet werden. Der Bioreaktor oder

Fermenter ist das Kernstück jeder biotechnologischen Produkti-

onsanlage. Betriebsreaktoren haben Fassungsvermögen von bis

zu 1,5 Millionen Litern.

In biotechnologischen Produktionen werden Reaktoren

eingesetzt, die eine exakte Prozesskontrolle und -Führung

gewährleisten. Das gängigste Modell ist der Rührreaktor, der

thermostatiert ist, über Rührwerk und Begasung verfügt und

sterile Zuleitungen und Probenentnahmeventile besitzt. Man un-

terscheidet heute drei Gruppen von Verfahren in Bioreaktoren:

1. Das diskontinuierliche Verfahren (Batch- oder Chargen-

verfahren), bei dem der Reaktionsraum zu Beginn mit

dem gesamten Ausgangsmaterial und den Mikroorga-

nismen gefüllt wird. Der Tank wird nach Beendigung der

Reaktion geleert und das Produkt gereinigt.

2. Das kontinuierliche Verfahren, bei dem dem Reaktor

ständig die Ausgangsstoffe zugeführt und ein Reakti-

onsgemisch entnommen werden. Ein Fließgleichgewicht

zwischen Durchflussrate und Wachstumsgeschwindigkeit

der Mikroorganismen muss sich dabei einstellen.

3. Es gibt auch die semi-kontinuierliche Produktion, bei der

in bestimmten Intervallen Fermentationsbrühe aus dem

Reaktionsraum abgezogen und durch neues Medium er-

setzt wird oder lediglich neues Medium zugegeben wird.

Das entscheidende Problem beim Züchten freier Zellen ist die

homogene Durchmischung des gesamten Fermentationsguts.

Bei aeroben Prozessen ist darüber hinaus ein ausreichender

Sauerstoffeintrag erforderlich. In einem Rührreaktor erfolgt

die Durchmischung mit Hilfe von Rührwerken, Pumpen oder

Turbinen, die Luft einblasen und dispergieren.

In Membranreaktoren werden keine homogenen Mischun-

gen aus Medium und Zellen verwendet, sondern das Produkt

wird vom Katalysator (Zelle oder Enzym) durch eine Membran

getrennt. Beim Hohlfaserreaktor sind die Katalysatoren auf

der äußeren Oberfläche von Hohlfasern immobilisiert, durch

die das Medium strömt. In Festbettreaktoren wird eine Ober-

flächenvergrößerung durch die Füllung mit Trägermaterial

erreicht, das aus porösem Glas oder Cellulose bestehen kann.

Eine Immobilisierung der Katalysatoren hat verschie-

dene Vorteile, z. B. die Erhöhung der Katalysatorstabilität,

die Verlängerung der Lebensdauer, die Möglichkeit einer

Mehrfachverwendung, eine einfachere Produktreinigung und

oft auch eine verbesserte Produktqualität. Enzyme können

dabei nicht nur in wässrigem Milieu bzw. Medium aktiv sein,

sondern auch in apolaren Lösungsmitteln (z. B. organische

Lösungsmittel). Für das biotechnologische Verfahren ist dann

ein Zweiphasensystem erforderlich, d. h. der Einschluss der

Enzyme in geeignete Hydrogele oder cross-linked enzyme

cristals (CLEC).

Jede mikrobielle Fermentation muss überwacht werden, um

sicherzugehen, dass das Verfahren richtig abläuft. Das Wachs-

tum der Mikroorganismen und die Produktbildung müssen

ständig kontrolliert werden. Im Zuge der rasanten Entwick-

lung der Sensortechnik ist eine Erfassung von Temperatur,

pH-Wert, Zellmasse, Nährstoffkonzentration und Produkt-

konzentration in Echtzeit möglich. Durch den Einsatz von mo-

derner Computer- und Datenverarbeitung im Zusammenspiel

mit immer empfindlicherer Mess- und Regelungstechnik ist

eine echte Regelung aller Prozessparameter mit minimalem

Personalaufwand möglich.

Die vorbereitenden Maßnahmen für die Fermentation

und die Aufbereitung der Substratlösung für den Bioreaktor

wird „Upstream-Processing“ genannt – die Schritte, die von

34 BIOREAKTOREN UND PROZESS-DESIGN

der Fermentationslösung über die Abtrennung des Produkts

bis zum gereinigten Endprodukt notwendig sind, nennt man

„Downstream-Processing“.

Werden die Produkte von den verwendeten Mikroorga-

nismen in das Medium abgesondert, ist die Aufreinigung

durch Filtration einfacher (Bsp. Penicillin). Schwieriger ist die

Gewinnung des Produktes, wenn die Mikroorganismen und

Zellen erst aufgeschlossen werden müssen und das Produkt

von den restlichen Zellinhalten getrennt werden muss. Das

Produkt kann dann in weiteren Schritten z. B. chromatogra-

phisch gereinigt und aufkonzentriert werden.

Für das Übertragen biotechnologischer Prozesse aus dem

Labor auf den großtechnischen Maßstab sind umfangreiche

verfahrenstechnische Kenntnisse erforderlich. Die Maßstabs-

vergrößerung ist ein komplizierter Schritt in der Industriellen

Biotechnologie. Problematisch sind dabei vor allem Belüftung

und Mischung in einem industriellen Fermenter. Von einem

Laborfermenter erfolgt zunächst der Schritt zu einer Pilot-

anlage, bevor man das Verfahren in einem kommerziellen

Fermenter testet. Durch den Einsatz von Computersimulation

können Reaktionsbedingungen biotechnologischer Prozesse

in nächstgrößeren Verfahrensmaßstäben simuliert werden.

Mit Hilfe geeigneter Software kann der Molekülfluss im Re-

aktor oder die Stoffwechselaktivität der Zellen bzw. Enzyme

vorab berechnet („in silico“) werden. Mathematische Modelle

können dafür verwendet werden, die Wirkung verschiede-

ner Parameter auf Wachstum und Produktausschüttung zu

ermitteln. Mit einem solchen Ansatz kann die Maßstabsüber-

tragung (das Scale-up) vom Labor in die industrielle Produk-

tion zur Verringerung aufwändiger Vorversuche erleichtert

werden. Grundlage hierfür sind nicht nur bioinformatische

Programme und leistungsstarke Rechner, sondern auch ein

sehr genaues Verständnis der Stoffwechselvorgänge in den

verwendeten Mikroorganismen.

BMBF-Projekt Bioproduktion „Physcomitrella patens als Bioreaktorzur Produktion heterologer, pharmazeutisch relevanter Proteine“

Das BMBF-geförderte Projekt „Physcomitrella patens als Biore-

aktor zur Produktion heterologer, pharmazeutisch relevanter

Proteine“ beschäftigt sich mit der Weiterentwicklung des Moos-

bioreaktors. Er wurde 1999 von der Firma greenovation Biotech

in Freiburg zum Patent angemeldet. Das Besondere der Tech-

nologie ist die Verwendung von Moosen in biotechnologischen

Prozessen als Proteinproduktionssystem. Durch gentechnische

Veränderungen kann das Moos Physcomitrella patens in die Lage

versetzt werden, pharmazeutische Proteine wie z. B. Antikörper

oder Enzyme zu produzieren. In Mooszellen können die Zucker-

ketten gezielter und konsistenter verändert werden als dies in

anderen Zellkultursystemen möglich ist. Zahlreiche Proteine

in biologischen Systemen tragen Zuckerketten. Diese Zucker-

strukturen sind an wichtigen biologischen Abläufen beteiligt

Bioreaktor mit Physcomitrella patens

und für zahlreiche Eigenschaften von Proteinen verantwortlich.

Sie beeinflussen z. B. Bindungseigenschaften, Verträglichkeit,

Aktivität oder Stabilität. Bei der Herstellung rekombinanter

Proteine mit biotechnologischen Verfahren besteht eine der

Schwierigkeiten darin, die natürlichen Zuckerstrukturen der

Proteine nachzubilden. Dies ist besonders bei den Proteinen von

Bedeutung, die in Form von Medikamenten eingesetzt werden

sollen, also den Biopharmazeutika.

In dem BMBF-Projekt wurde unter Leitung der greenova-

tion Biotech GmbH in Zusammenarbeit mit den Universitäten

Karlsruhe und Freiburg der menschliche Blutgerinnungsfaktor

IX als Zielprodukt ausgewählt. Dabei sollte der Moosbioreaktor

vom Versuchsstadium zu einem technischen Maßstab weiterent-

wickelt werden. Hierfür mussten zunächst die einzusetzenden

Moosstämme optimiert werden, d. h. sie mussten gentechnisch

so verändert werden, dass sie die Proteine mit den gewünschten

Zuckerverbindungen herstellen konnten. In weiteren Schritten

wurden die Kulturbedingungen und die verwendeten Expressi-

onsprozesse angepasst und die gewonnenen Proteine optimiert.

Um das Problem der Produktion in industriellem Maßstab zu

lösen, wurde auf ein bestehendes Konzept aus der Algenkulti-

vierung zurückgegriffen. Dabei werden große Volumina durch

eine gewundene Glasröhre erreicht, in der das Medium mit der

Produktionspflanze zirkulieren kann und in der die optima-

le Lichtausbeute, die das Moos für das Wachstum benötigt,

gewährleistet ist. Der Produktionsorganismus „Moos“ konnte

im Laufe des BMBF-Projektes für die industrielle Produktion von

Proteinen etabliert werden. Dies ist besonders für die Produkti-

on von Biopharmaka wichtig, da Zuckerstrukturen kontrolliert

beeinflusst werden können.

35 INDUSTRIELLE PRODUKTION Technische Enzyme

Industrielle Produktion

Die Bedeutung der Weißen Biotechnologie in der che-

mischen Industrie ist in den letzten Jahren kontinuierlich

gestiegen. Als Produkte gewinnen neben Feinchemikalien

auch so genannte Bulk- oder Grundchemikalien und tech-

nische Enzyme zunehmend an Bedeutung.

Zu den wichtigsten biotechnologisch hergestellten Produkten

der Weißen Biotechnologie gehören heute Bioethanol, Zitro-

nensäure, die Vitamine C und B12 sowie Antibiotika. Rund 130

verschiedene Enzyme werden in biotechnologischen Prozessen

eingesetzt (DECHEMA, 2005).

In zunehmendem Maß werden so genannte Bulk- oder Grund-

chemikalien wie z. B. Vitamin C mit Hilfe biotechnologischer

Verfahren hergestellt. Bulkchemikalien sind Produkte, von denen

jährlich mehr als 10.000 Tonnen (t/a) produziert werden (SusChem

2005).

Die größten Wachstumsraten für die Weiße Biotechnolo-

gie werden jedoch in der steigenden Produktion von Feinche-

mikalien mit Hilfe biotechnologischer Verfahren gesehen.

Aktuell werden nach Untersuchungen des Beratungsunter-

nehmens McKinsey schätzungsweise 5 % der chemischen

Produkte durch biotechnische Verfahren hergestellt. Es wird

geschätzt, dass dieser Anteil bis 2010 auf 15 bis 20 % erhöht

werden kann. Der Umsatz, der durch den Einsatz von Biotech-

nologie in der chemischen Industrie erzielt werden könnte,

würde sich dann auf etwa 300 Mrd. € pro Jahr beziffern und

sich aus Umsätzen mit neuen biotechnologischen Produkten

sowie der Verbesserung bestehender Produktionsprozesse

zusammensetzen.

Technische Enzyme

Mit Hilfe der Biotechnologie lassen sich bestehende industrielle

Verfahren so optimieren oder sogar ersetzen, dass natürliche

Ressourcen geschont und die Umwelt entlastet werden. Einen

wichtigen Beitrag auf diesem Gebiet leistet die moderne Enzym-

technologie, die als Teildisziplin der Biotechnologie versucht,

Biokatalysatoren (Enzyme) für technische Prozesse nutzbar zu

machen.

Enzyme werden für chemische Produktionsprozesse immer

interessanter, um besonders die schwierigen Teilschritte einer

chemischen Synthese auszuführen. Die Vorteile der Enzymka-

talyse betreffen neben der Umwelt vor allem die Wirtschaft-

lichkeit, und so produzieren einige Unternehmen mit Hilfe von

Enzymen bereits Produkte im Tonnenmaßstab.

Produkte der Weißen Biotechnologie, die bereits heute im Tonnenmaßstab hergestellt werden (* enzymatisch hergestellt) nach DECHEMA, 2004.

Säuren Antibiotika Zitronensäure 1.000.000 Lebensmittel, Waschmittel

Essigsäure 190.000 Lebensmittel

Gluconsäure 100.000 Lebensmittel, Textil, Metall

Itaconsäure 15.000 Kunststoff, Papier, Klebstoff

L-Apfelsäure* 100 Säuerungsmittel

Aminosäuren

L-Glutamat 1 500.000 Geschmacksverstärker

L-Lysin 700.000 Futtermittel

L-Threonin 30.000 Futtermittel

L-Asparaginsäure* 13.000 Aspartam-Herstellung

L-Phenylalanin 10.000 Aspartam, Medizin

L-Tryptophan 1.200 Ernährung, Futtermittel

L-Arginin 1.000 Medizin, Kosmetik

L-Cystein 500 Pharma, Lebensmittel

L-Alanin* 500 Infusionslösungen

L-Methionin 400 Infusionslösungen

Lösungsmittel Bioethanol 18.500.000 Lösungsmittel, Energieträger

Penicilline 45.000 Medizin, Futtermittelzusatz

Cephalosporine 30.000 Medizin, Futtermittelzusatz

Tetracycline 5.000 Medizin Biopolymere

Polylactid 140.000 Verpackung

Xanthan 40.000 Erdölförderung, Lebensmittel

Dextran(-derivate) 2.600 Blutersatzstoff

Vitamine

Ascorbinsäure (Vit. C) 80.000 Pharma, Lebensmittel

L-Sorbose 50.000 Pharma, Lebensmittel

(Vit. C Vorstufe)

Riboflavin (B2) 30.000 Wirkstoff, Futterzusatz Kohlenhydrate Glucose* 20.000.000 Flüssigzucker

High Fructose Syrup* 8.000.000 Getränke, Ernährung

Fructooligosaccharide* 10.500 Präbiotikum

Cyclodextrine* 5.000 Kosmetik, Pharma,

Lebensmittel

Produkt Weltjahres produktion (t/a)

Anwendung Produkt Weltjahres produktion (t/a)

Anwendung

36 Technische Enzyme INDUSTRIELLE PRODUKTION

Da der Zeitraum für eine molekularbiologische Optimierung

von Enzymen in den letzten Jahren um den Faktor 10 bis 100 ge-

sunken ist und Stabilität und Produktivität stark gestiegen sind,

spielen Enzyme eine zunehmende Rolle in biotechnologischen

Produktionsprozessen und als biotechnologische Produkte

(DECHEMA, 2004). Der Markt für technische Enzyme liegt

aktuell bei 1,7 Milliarden Euro mit jährlichen Wachstumsraten

von etwa 10 % . Allein in den USA wird der Markt für Enzyme

für pharmazeutische, industrielle und andere biokatalytische

Anwendungen bei Wachstumsraten von 6 % bis zum Jahr 2008

auf 1,9 Mrd. US-$ steigen (DECHEMA, 2004).

Technische Enzyme werden überwiegend in folgenden Sekto-

ren verwendet:

50 % Lebensmittel/Getränke

35 % Wasch- und Reinigungsmittel

5 bis 14 % Textilindustrie

4 bis 5 % Feinchemikalien/Pharmazeutika

1 bis 3 % Papierindustrie

1 % Lederindustrie

Durchschnittlich 60 % der eingesetzten technischen Enzyme

werden mit Hilfe gentechnisch veränderter Organismen produ-

ziert, mit stetig steigendem Anteil (VDI, 2006).

Biotechnologische Feinchemikalien- und Spezialchemikalienproduktion

Das größte Potenzial der Weißen Biotechnologie wird in der

Wirkstoffproduktion der Feinchemie gesehen. Als Produkte der

Feinchemie werden Substanzen betrachtet, die einen hohen

Funktionalisierungsgrad aufweisen und in Tonnagen von welt-

weit weniger als 10.000 t/a produziert werden (im Gegensatz

zu Bulkchemikalien s. o.). Die wachsende Bedeutung enantio-

merenreiner Wirkstoffe z. B. für die Pharmaindustrie wird dazu

führen, dass bis zum Jahr 2010 etwa 60 % des Umsatzvolumens

pharmazeutischer Produkte biotechnologisch hergestellt

BMBF-Projekt „Neuartige Haloperoxidasen aus Basidiomyceten“

Haloperoxidasen gehören zu den vielseitigsten Enzymen

überhaupt. Sie katalysieren neben klassischen Peroxidase-

Reaktionen und Halogenierungen auch die stereoselektiven

Oxidationen von unterschiedlichsten organischen Substraten.

Haloperoxidasen sind durch ihre hohe Spezifität und ihr syn-

thetisches Potenzial für technische Anwendungen von großem

Interesse. Sie eignen sich für enantioselektive Synthesen von

Feinchemikalien, als schonende Halogenierungsmittel oder als

oxidierende Agenzien.

Bisher waren Haloperoxidasen nur aus Schimmelpilzen,

Bakterien und Algen bekannt. Erstmalig gelang es in dem

BMBF-Projekt den Partnern unter Leitung der JenaBios GmbH

in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Lausitz, dem Inter-

nationalen Hochschulinstitut Zittau, der Universität Rostock,

der Fachhochschule Zittau/Görlitz und der Schering AG, Berlin,

aus einem höheren Pilz, dem Ständerpilz Agrocybe aegerita

(Südlicher Ackerling), eine Haloperoxidase zu isolieren und

zum Patent anzumelden.

Der Südliche Ackerling ist ein schnellwüchsiger Holz- und

Mulch-bewohnender Pilz aus der Verwandtschaft des Champi-

gnons, der in Südeuropa als kommerzieller Zuchtpilz angebaut

wird (Piopino) und auch labortechnisch in Bioreaktoren kulti-

viert werden kann. Dabei wird gezielt auf die Enzyminduktion

gescreent. Da die Ständerpilze besonders artenreich sind und

weltweit vorkommen, ist davon auszugehen, dass im Rahmen

des Projektes interessante Enzympräparate mit neuen katalyti-

schen Eigenschaften gefunden werden können. Insbesondere

Reaktionen, die auf chemischem Wege nicht oder nur unspe-

zifisch durchführbar sind, stehen dabei im Mittelpunkt des

Interesses. Ziel des Projektes ist es, neuartige Haloperoxidasen

aus Basidiomyceten zu produzieren, zu reinigen, zu charakteri-

sieren und prozesstechnisch zu erproben. Die Haloperoxidasen

sollen dabei über bisher nicht realisierbare katalytische Eigen-

schaften verfügen.

Bisher sind erst wenige Haloperoxidasen kommerziell

erhältlich. Mit der chlorierenden Haloperoxidase von A. aege-

rita steht ein erstes Enzym dieses Typs aus Basidiomyceten zur

Verfügung, das gegenüber bekannten Haloperoxidasen eine

Reihe von Besonderheiten aufweist: Es hat ein breiteres Subst-

ratspektrum und ein höheres pH-Optimum (weniger sauer), das

Enzym ist in der Lage, eine Vielzahl von chemischen Reaktio-

nen zu katalysieren, darunter einige, die biotechnologisch von

großem Interesse sind. Letztlich wird eine Vermarktung von

Haloperoxidasen entscheidend von den Herstellungskosten

abhängen, d. h. inwieweit es gelingt, die Enzyme in geeigneten

biotechnologischen Verfahren herzustellen.

INDUSTRIELLE PRODUKTION Bulkprodukte 37

werden. Bereits heute basieren mehr als 50 % der wichtigsten

100 Arzneimittel auf enantiomerenreinen Wirkstoffen. Mit

traditionellen (chemisch/physikalischen) Katalysatoren ist es

nicht möglich, enantiomerenreine Produkte zu synthetisieren.

Da sich die enantiomeren Formen chiraler Moleküle in ihrer

biologischen Aktivität stark voneinander unterscheiden, ist es

jedoch wünschenswert, Prozesse zu entwickeln, die eine eantio-

merenselektive Produktion ermöglichen. Antibiotika und ihre

Zwischenprodukte gehören zu den wichtigsten Feinchemikali-

en mit einem geschätzten Marktwert von 20 Mrd. Euro. Da ihre

chemische Struktur meist komplex ist und es keine chemischen

Synthese-Alternativen gibt, werden sie zu einem überwiegen-

den Teil mit fermentativen Verfahren produziert.

Es wird geschätzt, dass bis zum Jahr 2010 bei der Produkti-

on von 30 bis 60 % aller Feinchemikalien ein biokatalytischer

Schritt involviert sein wird. Der aktuelle weltweite Marktanteil

biotechnischer Verfahren im Bereich Feinchemikalien wird auf

50 Milliarden US-$ geschätzt und soll in den nächsten 10 bis 20

Jahren auf über 250 Milliarden US-$ ansteigen. Derzeit werden

auf dem Gebiet der Feinchemikalien mit Methoden der Weißen

Biotechnologie zum überwiegenden Teil chirale Verbindungen

hergestellt.

Durch Biokatalyse ist es möglich, reinere Ausgangsstoffe für

Arzneimittel, verträglichere Kosmetika und gesündere Lebens-

mittel herzustellen.

Bulkprodukte

Unter Bulkprodukten oder Basischemikalien versteht man

chemische Produkte, die weltweit in Mengen von mehr als

10.000 Tonnen pro Jahr hergestellt werden. Durch verbesserte

Up-scaling-Methoden finden biotechnologische Verfahren zu-

nehmend Einsatz in der großtechnischen Produktion. In einer

McKinsey-Studie wird geschätzt, dass der Anteil biotechnolo-

gischer Verfahren an der Produktion von Bulkchemikalien bis

zum Jahr 2010 auf 6 bis 12 % steigen wird.

Biotechnologisch hergestellte Bulkchemikalien werden

überwiegend in der Lebensmittel-, Genußmittel- und Futter-

mittelindustrie verwendet. Hierzu gehören L-Glutaminsäure

(1 Mrd. t/a), Zitronensäure (1 Mrd. t/a), L-Lysin (700 Mio. t/a),

Milchsäure (150 Mio. t/a), Gluconsäure (100 Mio. t/a) und Vita-

min C (80 Mio. t/a). Ein weiteres Beispiel für die Verwendung

von Basischemikalien, die mit Hilfe der Weißen Biotechno-

logie hergestellt werden, ist Acrylamid. Acrylamid dient als

Ausgangsmaterial für die Produktion eines breiten Spektrums

chemischer Produkte. Erstmal wurde 1985 ein biotechnologi-

sches Produktionsverfahren unter Verwendung des Enzyms

Nitrilhydratase zur Herstellung von Acrylamid eingeführt.

Heute werden Schätzungen zufolge weltweit mehr als 100.000t/a

Acrylamid biotechnologisch hergestellt. Zunehmend an Inter-

esse gewinnen in jüngster Zeit auch biotechnologische Verfah-

BioChance PLUS-Projekt „Entwicklung und Produktion neuartiger Enzyme für industrielle Anwendungen“

Das BioChance Plus-Projekt „Entwicklung und Produktion

neuartiger Enzyme für industrielle Anwendungen“ der Direvo

Biotech AG, Köln hat das Ziel vollkommen neuartigen Enzy-

men für industrielle Anwendungen zu entwickeln und zu

produzieren. Die Enzyme sollen dabei für den Einsatz in einem

breiten Anwendungsspektrum, wie beispielsweise im Futter-

und Lebensmittelbereich, in der Kosmetik- und Reinigungs-

mittelindustrie und in der industriellen Synthese chemischer

Zwischenprodukte maßgeschneidert sein. Der entscheidende

Unterschied zu herkömmlichen Verfahren liegt in der Gene-

rierung völlig neuer enzymatischer Funktionen für welche in

der Natur bislang keine adäquaten Enzyme gefunden werden

konnten oder die nicht existieren. Das Einsatzspektrum solcher

Enzyme in industriellen Anwendungen ist hierbei immens. Die

überwiegende Mehrzahl der von Konsumenten oder der Indus-

trie gewünschten industriellen Anwendungen konnte bislang

nicht oder nur unzulänglich mittels Enzymen durchgeführt

werden. Dieser Sachverhalt spiegelt das enorme Potenzial der

Generierung von Enzymen mit neuen Aktivitäten und Spezifitä-

ten wider.

Um erstmals Zugang zu einer solchen Klasse von neuar-

tigen Produkten in Form von Enzymen mit neuen Funktio-

nen zu finden, wurde ein einzigartiges technisches Konzept

entwickelt, das die Generierung von Enzymen mit gänzlich

neuen molekularen Funktionen ohne Vorbilder in der Natur

ermöglicht. Dieses Konzept konnte bereits in verschiedenen

Machbarkeits-Studien überprüft werden und ist patent- und

markenrechtlich geschützt.

Die vollkommen neuartige so genannte NBE-Technologie

wird in dem Projekt „Entwicklung und Produktion neuartiger

Enzyme für industrielle Anwendungen“ auf den kommerziell

bedeutenden industriellen Anwendungsbereich übertragen.

Eine schnelle Generierung entsprechender Produkte in die-

sem Bereich mit anschließender Vermarktung soll so erreicht

werden.

38 Bioraffinerie INDUSTRIELLE PRODUKTION

ren, mit denen Monomere und Polymere für die Kunststoff- und

Polymerindustrie hergestellt werden können. Beispiele hierfür

sind Polylactid (PLA), 1,3-Propandiol (PDO) oder Poly-3-Hydroxy-

butyrat-co-3-Hydroxyhexanoat (PHBH).

Bioraffinerie

Der Anbau nachwachsender Rohstoffe gehört neben der Bereit-

stellung von Nahrungsmitteln seit Jahrhunderten zu den Haupt-

aufgaben der Landwirtschaft. Farbstoffe, Lampenöle, Schmier-

und Reinigungsmittel oder Fasern für die Textilindustrie sind

Beispiele hierfür. Nach der Entdeckung fossiler Rohstoffe als

Basis für synthetische Produkte wurden pflanzliche Rohstoffe zu-

nehmend verdrängt. Die chemische Industrie ist heute in vielen

Bereichen auf kohlenstoffhaltige Rohstoffquellen angewiesen.

Fossile Rohstoffe (Erdöl, Erdgas und Kohle) werden zu einem

hohen Anteil sowohl als primäre Energielieferanten als auch als

Grundstoffe für zahlreiche petrochemische Verfahren genutzt.

Dabei werden etwa 4 % der fossilen Rohstoffe stofflich genutzt.

Der Anteil der nachwachsenden Rohstoffe am Gesamtroh-

stoffeinsatz in der chemischen Industrie wächst jedoch seit eini-

gen Jahren wieder kontinuierlich und liegt derzeit bei etwa 10%,

wobei hier ein deutlich größeres Potenzial gesehen wird (vgl. BIO

2004). Für eine intensivere stoffliche und energetische Nutzung

nachwachsender Rohstoffe stellen Bioraffinerietechnologien

eine wichtige Voraussetzung dar.

Unter einer Bioraffinerie versteht man eine Anlage, die

pflanzliche Rohstoffe in industriell verwertbare Zwischen- und

Endprodukte umwandelt. Die Biomasse dient dabei als Fermen-

tationsmedium. Ein Beispiel hierfür ist die enzymatische Hydro-

lyse lignozellulosehaltiger Biomassen, deren Cellulosebestand-

teile in die Produkte Glucose und Cellobiose fermentiert werden,

die entweder direkt verwendbar sind, als Ausgangsstoffe für

Feinchemikalien oder zur Ethanolproduktion dienen können.

BMBF-Projekt BioExPoSys „Entwicklung von Verfahren zur Herstellung mikrobieller Exopolysaccharide als wasserlösliche Verdicker“

Wasserlösliche, polymere Verdicker haben eine große wirtschaft-

liche Bedeutung und finden in vielen Industriezweigen Anwen-

dung. Darunter fallen u. a. die Lebensmittel- und die Kosmetik-

industrie sowie die Verwendung in technischen Anwendungen

wie z. B. als Bohr- oder als Flockungshilfsmittel. Der Gesamtmarkt

für diese Anwendungen liegt bei mehreren 100.000 Tonnen pro

Jahr. Gegenwärtig handelt es sich bei den Verdicker-Produkten

häufig um Polyacrylate sowie Derivate von diesen. Die zumeist

preiswerten Produkte haben zwar gute anwendungstechnische

Eigenschaften, sie sind jedoch nicht biologisch abbaubar und

stellen damit eine ökologische Belastung dar. Zudem basieren

die Polyacrylat-Produkte auf fossilen (petrochemischen) Rohstof-

fen, die immer knapper und teurer werden.

Die Suche nach alternativen Ausgangsstoffen für Verdi-

cker wird daher immer notwendiger. In vielen Fällen haben

mikrobielle Biopolymere, wie z. B. Polysaccharide, gegenüber

Mikrobiologische Herstellung von Bernsteinsäure

chemischen Verdickern entscheidende Vorteile. Neben den

positiven Produkteigenschaften basieren die Polysaccharide auf

nachwachsenden Rohstoffen und sind biologisch abbaubar. Im

Lebensmittelbereich werden Polysaccharide wie Xanthan und

Carragenan bereits häufig verwendet. Im Bereich technischer

Anwendungen führen sie jedoch noch ein Schattendasein.

Ziel des BMBF-Projekts unter Leitung der Degussa AG mit

Beteiligung von deutschen Universitäten und kleinen mittelstän-

dischen Unternehmen ist die Etablierung von wettbewerbsfähi-

gen, biotechnologischen Verfahren zur Herstellung mikrobieller

Biopolymere. Dabei vereinen die Arbeiten systembiologische

Ansätze mit Bioprospecting und Prozessoptimierung.

Im systembiologischen Ansatz werden in Zusammenarbeit

mit der TU Berlin, der Universität Bielefeld und der Insilico

Biotech GmbH aus Stuttgart Genom-, Transkriptions-, Prote-

om- und Fluxanalysen von bekannten mikrobiellen Stämmen

erstellt. Die daraus gewonnenen Informationen werden zur

gentechnischen Modifikation der Stämme verwendet mit dem

Ziel, Stämme zu gewinnen, die Biopolymere mit unterschiedli-

chen Eigenschaften und mit hoher Ausbeute und Produktivität

herstellen. Die evolutionäre Vielfalt von Mikroorganismen und

deren Stoffwechselwegen bietet aber ebenso einen Zugang

zu neuen und werthaltigen Biopolymeren. Im Verlauf des

Projektes wurden daher von der BRAIN AG (Zwingenberg)

hochkomplexe Bioarchive gescreent und interessante Habitate

durchsucht. Eine Vielzahl biopolymerbildender Mikroorganis-

men konnten auf diese Weise gefunden werden. Ein paralleles

und auf kleinen Maßstab spezialisiertes Fermentationssystem

hat die DASGIP AG (Jülich) entwickelt und für Mikroorganismen

mit hochviskosen Produkten optimiert.

39 INDUSTRIELLE PRODUKTION Bioraffinerie

In integrierten Bioraffinerien ist es möglich, sowohl eine

Vielzahl von Rohstoffquellen zu verwenden als auch eine breite

Palette an Chemikalien, Wertstoffen, Zwischen- und Endpro-

dukten herzustellen.

Als Biomasse können Getreide, Mais, Klee oder lignocellulo-

sehaltiges Material wie Stroh, (Bruch)-Holz oder Altpapier ver-

wendet werden. Da die meisten landwirtschaftlich genutzten

Pflanzen eher im Hinblick auf hohe Erntefruchterträge als auf

Biomassevolumina hin optimiert wurden, müssen so genannte

Energiepflanzen verstärkt gezüchtet werden.

Die Verarbeitung von Biomasse in nutzbare Produkte umfasst

zwei Entwicklungsphasen, d. h. eine dem Prozess vorgeschal-

tete sowie eine ihm nachgelagerte Phase zur Aufbereitung

der Produkte. Die vorgeschaltete Upstream-Phase schließt

sämtliche Schritte ein, die bis zur Entstehung eines verwert-

baren Substrats oder Mediums nötig sind. Zur nachgelager-

ten Downstream-Phase gehören hingegen alle Prozesse zur

Aufbereitung, Trennung und Reinigung von Bioprodukten. Die

Downstream-Phase kann auch als Bioraffination bezeichnet

werden.

Die klimatischen Verhältnisse im nördlichen Mitteleuropa

sind keine idealen Voraussetzungen für das Etablieren von

Bioraffinerien: Die notwendige Biomasse muss kontinuierlich,

in ausreichender Menge und in konstanter Qualität sowie zu

wettbewerbsfähigen Preisen verfügbar sein. Das heutzutage

industriell und über Bioraffinerien genutzte Material stammt

zumeist aus landwirtschaftlichen Quellen (Mais, Raps u. ä.). Für

einen kontinuierlichen Grundstoffbedarf bei flächendeckender

Umstellung auf Bioraffinerien zum Beispiel zur Kraftstofferzeu-

gung reichen solche Quellen in Deutschland bisher nicht aus.

Biomasse könnte in Zukunft zum Beispiel durch zuneh-

mende Nutzung von Forst- und anderen lignocellulosehaltigen

Biomassenabfallprodukten bereitgestellt werden. Gegenwärtig

befinden sich enzymatische Vorbehandlungstechniken in der

Entwicklung, die diese Ausgangsstoffe für biotechnische Ver-

fahren wirtschaftlich verwertbar machen.

Im Hinblick auf die Optimierung interessanter Rohstoffe

befinden sich Getreide- und Baumsorten in der Entwicklung,

deren jeweiliger Stärke-, Öl- oder Ligningehalt durch gentech-

nische Veränderung entscheidend erhöht werden konnte.

Auch könnten die Erträge der rohstofflich verwertbaren

Biomasse gesteigert werden, indem das Wachstumsverhalten

genetisch selektiv beeinflusst wird. Getestet werden Pflanzen

mit verbesserter Trocken- oder Kälteresistenz, Anregung zu

Dauerwachstum ohne tages- oder jahreszeitliche Ruhepausen

und Pflanzen mit erhöhter Fruchtfolge.

40 WEITERFÜHRENDE LITERATUR

Weiterführende Literatur

Antranikian, G. (Hrsg.): Angewandte Mikrobiologie.

Springer, Heidelberg, 2006.

Madigan, M., Martinko J., Brock Mikrobiologie, Pearson

Education, München, 2006.

CEFIC & EuropaBio: A European Technology Platform for

Sustainable Chemistry, 2005.

DECHEMA e. V.: Weiße Biotechnologie: Chancen für

Deutschland, DECHEMA, Frankfurt am Main, 2004.

DECHEMA e. V.: Biotechnologie 2020,DECHEMA, Frankfurt

am Main, 2005.

EuropaBio, White Biotechnology: Gateway to a More Sustai-

nable Future, 2003 (www.europabio.org).

Frost & Sullivan: Advances in Biotechnology for Chemical

Manufacture, 2003, (www.frost.com, www.technical-insights.

frost.com).

Heiden, S., Zinke, H. (Hrsg.): Weiße Biotechnologie –

Industrie im Aufbruch, BIOCOM Verlag, Berlin, 2006.

McKinsey & Company: Industrial Biotechnology, 2003

(www.mckinsey.com).

OECD: Statistical Definition of Biotechnology, 2005 (

www.oecd.org).

RBACAS – Royal Belgian Academy Council of Applied

Science: Industrial Biotechnology and Sustainable Chemistry,

2004.

Renneberg, R.: Biotechnologie für Einsteiger.

Elsevier Verlag, München, 2006.

SusChem, Innovation for a Better Future, 2005

(www.suschem.org).

SusChem, Industrial or White Biotechnology, 2005

(www.suschem.org).

VDI: Biokatalyse in der industriellen Produktion, ZTC der

VDI Technologiezentrum GmbH, Düsseldorf 2006.

Zinke, H.: Weiße Biotechnologie – Neue Produkte, gesell-

schaftlicher Nutzen und Wertschöpfungspotentiale, ZEIT-

SCHRIFT FÜR BIOPOLITIK, BIOCOM Verlag, Berlin, 2004.

41 GLOSSAR

Glossar

Aminosäuren Aminosäuren sind eine Klasse organischer Moleküle mit min-

destens einer Carboxylgruppe (–COOH) und mindestens einer

Aminogruppe (–NH2). Sie dienen als Bausteine der Proteine. Von

den proteinogenen Aminosäuren sind bisher 23 bekannt.

Amylasen Amylasen sind Enzyme, die sowohl im Pflanzen- als auch im

Tierreich vorkommen. Sie spalten Polysaccharide (Vielfachzu-

cker), wie z. B. Stärke, an den Glykosidbindungen und bauen sie

auf diese Weise ab.

Antibiotika Als Antibiotika werden Medikamente bezeichnet, mit denen

Infektionskrankheiten behandelt werden. In der Medizin

werden sie gegen bakterielle Infektionen oder Infektionen

durch Protozoen eingesetzt. Im ursprünglichen Sinn sind An-

tibiotika natürlich gebildete Stoffwechselprodukte von Pilzen

oder Bakterien, die schon in geringer Menge das Wachstum

von anderen Mikroorganismen hemmen oder diese abtöten.

Darüber hinaus werden inzwischen auch solche Medikamente

mit antimikrobieller Wirkung als Antibiotika bezeichnet, die in

der Natur nicht vorkommen und synthetisch oder gentechnisch

gewonnen werden.

Archaea Archaea, früher als Archaebakterien oder Urbakterien bezeich-

net, bilden neben den Bakterien (Bacteria) und den Eukaryoten

(Eukaryota) eine der drei Domänen, in die alle zellulären Le-

bewesen eingeteilt werden. Es sind einzellige Organismen mit

einem meist in sich geschlossenen DNA-Molekül, sie besitzen

weder ein Cytoskelett noch Zellorganellen.

Bakterien Die Bakterien (Bacteria) (aus dem Altgriechischen bakterion

– Stäbchen) bilden neben den Eukaryoten und Archaea eine

der drei grundlegenden Domänen, in die heute alle Lebewesen

eingeteilt werden. Sie besitzen keinen Zellkern und gehören zu

den Prokaryoten.

Biokatalysator Biokatalysatoren sind Biomoleküle, die biochemische Reak-

tionen in Organismen beschleunigen oder verlangsamen,

indem sie die Aktivierungsenergie der Reaktionen herab- oder

(seltener) heraufsetzen. Sie gehen selbst unverändert aus den

Reaktionen hervor und können somit viele Reaktionszyklen

hintereinander katalysieren.

Biomasse Biomasse bezeichnet die Gesamtheit der Masse an organischem

Material in einem definierten Ökosystem, das biochemisch

synthetisiert wurde. Sie enthält also die Masse aller Lebewesen,

der abgestorbenen Organismen und die organischen Stoff-

wechselprodukte.

Bioreaktor Ein Bioreaktor ist ein Behälter, in dem speziell herangezüch-

tete Mikroorganismen oder Zellen unter möglichst optimalen

Bedingungen in einem Nährmedium kultiviert werden, um

entweder die Zellen selbst, Teile von ihnen oder eines ihrer

Stoffwechselprodukte zu gewinnen. Bioreaktoren sind zum

Teil größer als 100 Kubikmeter und werden auch als Fermenter

bezeichnet.

Bulkchemikalien/Bulkprodukte Bulkchemikalien oder Bulkprodukte sind Grundchemikalien,

die in Mengen von mehr als 10.000 Tonnen pro Jahr hergestellt

werden.

Cellulasen Cellulasen sind Enzyme, die Cellulose zu ß-Glukose abbau-

en. Die Cellulose (C6H10O5)n ist ein Polysaccharid und als der

Hauptbestandteil von pflanzlichen Zellwänden die häufigste

organische Verbindung der Erde.

Chiralität Mit Chiralität bezeichnet man die Eigenschaft bestimmter

Gegenstände oder Systeme, durch Drehung nicht mit dem Ori-

ginal in Deckung gebracht werden zu können. Diese gleichen

sich wie Spiegelbilder. Gegenstände oder Systeme mit dieser

Eigenschaft nennt man dabei chiral.

Cofaktor Als Cofaktor bezeichnet man eine niedermolekulare Substanz,

die zum Ablauf einer biochemischen Reaktion notwendig ist.

Cofaktoren werden an ein Enzym oder Protein gebunden und

werden im Verlauf der Reaktion meist nicht verändert.

DNA/DNS Die Desoxyribonukleinsäure (acid), DNS (DNA), ist eine Nuklein-

säure in Form einer Doppelhelix. Sie enthält die genetische

Information für die biologische Entwicklung in Zellen und

einigen Viren. Im internationalen und im wissenschaftlichen

Sprachgebrauch wird die Desoxyribonukleinsäure mit der eng-

lischen Abkürzung DNA (deoxyribonucleic acid) bezeichnet, im

deutschen Sprachraum auch mit DNS.

42 GLOSSAR

Downstream-Processing Die Schritte, die zur Aufreinigung des Produktes aus der

Fermentationslösung eines Bioreaktors nach Abschluß der

Reaktion notwendig sind, bezeichnet man als Downstream-Pro-

cessing.

Enantiomere Enantiomere sind Stereoisomere, deren räumliche Strukturen

sich wie Bild und Spiegelbild verhalten, sich sonst aber nicht

weiter unterscheiden. Die Summenformel von Enantiomeren

bleibt identisch, es liegt Chiralität vor. Sie unterscheiden sich

in der optischen Aktivität, das bedeutet, dass sie die Polarisati-

onsebene von linear polarisiertem Licht nach links oder rechts

drehen. In den meisten Fällen unterscheiden sich Enantiomere

in ihrer Wirksamkeit in biologischen Systemen.

Enzym Ein Enzym, veraltet auch Ferment genannt, ist ein Protein, das

eine chemische Reaktion katalysieren kann. Enzyme spielen

eine tragende Rolle im Stoffwechsel aller lebenden Organis-

men: Der überwiegende Teil biochemischer Reaktionen in le-

benden Systemen wird von Enzymen katalysiert und gesteuert.

Eukaryoten Als Eukaryoten werden alle Lebewesen mit Zellkern und Zell-

membran zusammengefasst.

Expression Genexpression, oder kurz Expression, bezeichnet im weiteren

Sinne die Ausprägung der genetischen Information (Gen, DNA)

zum Merkmal bzw. Phänotyp eines Organismus oder einer

Zelle. Der Begriff wird im engeren Sinn für die Synthese von

Proteinen aus den genetischen Informationen verwandt.

Ferment Ferment ist der veraltete Begriff für Enzym.

Fermenter Fermenter ist eine andere Bezeichnung für Bioreaktor.

Gärung Als Gärung bezeichnet man energieliefernde, organisches Ma-

terial zersetzende Stoffwechsel-Prozesse, die ohne Einfluss von

freiem Sauerstoff (anaerob) stattfinden. Der Mensch nutzt viele

dieser Gärungsprozesse seit Urzeiten zur Nahrungsherstellung

und Veredelung.

Gen Ein Gen ist ein Abschnitt auf der Desoxyribonukleinsäure (DNA),

der die Grundinformationen zur Herstellung einer biologisch

aktiven Ribonukleinsäure (acid), RNS (RNA), enthält. Bei diesem

Herstellungsprozess (Transkription genannt) wird eine Negativ-

kopie in Form der RNA hergestellt.

Genom Als Genom oder auch Erbgut wird eine Gesamtheit der ver-

erbbaren Nukleinsäure einer mehr oder weniger autonomen

Struktur bezeichnet. Diese autonome Struktur kann ein Virus,

eine Zelle, ein Organell oder ein Organismus sein. Zumeist han-

delt es sich bei der vererbbaren Nukleinsäure um DNA.

Genomik Mit Genomik wird die Analyse und Entzifferung des Genoms

bezeichnet.

Gentechnik Die Gentechnik oder Gentechnologie ist ein Teilgebiet der Bio-

technologie. Sie ist ein auf den Kenntnissen der Molekularbiolo-

gie aufbauendes Verfahren zur Anwendung gezielter Eingriffe

in das Erbgut und/oder in die biochemischen Steuerungsvor-

gänge von Lebewesen bzw. viralen Genomen.

Hefe Die Hefen sind einzellige Pilze, die sich durch Sprossung oder

Teilung (Spaltung) vermehren.

Hormon Ein Hormon ist ein biochemischer Botenstoff.

Lipasen Lipasen sind Enzyme, die Lipide wie Triglyceride oder Diglyce-

ride zu Glycerin und freien Fettsäuren umwandeln, indem sie

die Esterbindung zwischen Glycerin und Fettsäure katalytisch

spalten.

Metabolomik Der Begriff Metabolom wurde in Analogie zu den Begriffen

Genom und Proteom geprägt und leitet sich von Metabolismus

(= Stoffwechsel) ab.

Metagenom Als Metagenom bezeichnet man die Gesamtheit der genomi-

schen Information der Mikroorganismen einer bestimmten

Lebensgemeinschaft (Biozönose) oder eines Biotops.

Molekularbiologie Die Molekularbiologie umfasst die Biologie der Zelle auf mo-

lekularer Ebene. Sie befasst sich mit der Struktur und Funktion

von DNA und RNA bis hin zu den Proteinen und wie diese unter-

einander interagieren.

Mutation Eine Mutation (aus dem Lateinischen mutare = (ver)ändern)

ist die Veränderung des Erbgutes eines Organismus durch

Veränderung der Abfolge der Nucleotidbausteine oder durch

Veränderung in der DNA-Struktur.

GLOSSAR 43

Organellen In der Biologie ist ein Organell („Orgänchen“) eine intrazellulä-

re, von einer Membran umschlossene funktionelle Untereinheit

einer Zelle.

pH-Wert Der pH-Wert ist ein Maß für die Stärke der sauren bzw. basi-

schen Wirkung einer wässrigen Lösung.

Polysaccharide Unter Polysacchariden, einer Unterklasse der Kohlenhydrate,

versteht man Vielfachzucker mit vielen Monosaccharideinhei-

ten. Mehrere Einfachzucker (z. B. Glukose oder Fruktose) bilden

eine Kette und stellen dann ein Biopolymer dar.

Prokaryoten Prokaryoten sind zelluläre Lebewesen, die keinen Zellkern

besitzen. Die DNA befindet sich in prokaryotischen Zellen frei

im Cytoplasma als Kernäquivalent oder auch Nucleoid. Die

Domänen der Bakterien (Bacteria) und der Archaeen (Archaea)

fassen alle Prokaryoten zusammen.

Proteasen Proteasen sind Enzyme, die andere Proteine zerschneiden

können.

Proteine Proteine, umgangssprachlich auch Eiweiße genannt, sind

Makromoleküle, die hauptsächlich aus Aminosäuren bestehen.

Die Aminosäuren sind dabei durch Peptidbindungen zu Ketten

verbunden. Proteine gehören zu den Grundbausteinen aller

Zellen.

Proteomik Die Proteomik umfasst die Erforschung des Proteoms, d. h. der

Gesamtheit aller in einer Zelle oder in einem Lebewesen unter

definierten Bedingungen und zu einem definierten Zeitpunkt

vorliegenden Proteine.

Racemat In der Chemie bezeichnet man als ein Racemat ein äquimolares

(1:1) Gemisch von zwei Enantiomeren.

Reaktor Ein Reaktor ist ein abgegrenzter Raum (Behältnis etc.), in dem

gezielte physikalische oder chemische Reaktionen oder biologi-

sche Vorgänge (Bioreaktor) ablaufen.

Rekombinant Als rekombinant hergestellt werden Eiweißmoleküle bezeich-

net, die zum Beispiel mit Hilfe von gentechnisch veränderten

Bakterien in großen Mengen produziert werden. Dabei wird das

genetische Material des Produktionsorganismusneu zusam-

mengestellt, rekombiniert.

RNA/RNS Ribonukleinsäure ist eine Nukleinsäure, das heißt eine Kette

aus vielen Nukleotiden (ein so genanntes Polynukleotid),

die meist einzelsträngig vorliegt. Im internationalen und im

wissenschaftlichen Sprachgebrauch wird die Ribonukleinsäure

mit der englischen Abkürzung RNA (ribonucleic acid) bezeich-

net, im deutschen Sprachraum auch mit RNS. Eine wesentliche

Funktion der RNA in der Zelle ist die Umsetzung von geneti-

scher Information in Proteine. RNA ist hierbei als Informations-

träger beteiligt, und als katalytisches Molekül bei der Überset-

zung dieser Information in ein Protein.

Sequenz In der Genetik ist die Sequenz der genomischen DNA, kurz DNA-

Sequenz oder Nukleotid-Sequenz, die Abfolge der DNA-Baustei-

ne (Nukleotide), wie sie aus der DNA-Sequenzierung entziffert

werden kann.

Spezialchemikalien Spezialchemikalien weisen einen hohen Funktionalisierungs-

grad auf. Weltweit werden davon Tonnagen von weniger als

10.000 Tonnen pro Jahr hergestellt .

Systembiologie Die Systembiologie ist ein Teilgebiet der Biowissenschaften, in

dem versucht wird, biologische Organismen in ihrer Gesamt-

heit zu verstehen. Ein integriertes Bild aller regulatorischen

Prozesse über alle Ebenen, vom Genom über das Proteom, zum

Stoffwechsel bis hin zum Verhalten und zur Biomechanik des

Gesamtorganismus soll entschlüsselt werden.

Transkriptomik Transkriptomik bezeichnet die Erforschung aller Gene, die als

mRNA (Boten-RNA) vorliegen. Die mRNA ist eine Abschrift der

Gene. Sie wird bei der Transkription produziert. Transkription

ist der erste Schritt der Proteinbiosynthese, bei der anhand der

Baupläne der Erbinformation Eiweiße aus entsprechenden

Aminosäurebausteinen entstehen. Die Boten-RNA dient dabei

als Indikator für die Aktivität von Genen.

Transgen Transgene Organismen sind Lebewesen, die in ihrem Genom

zusätzliche Gene aus anderen Arten enthalten. Es handelt sich

um genetisch veränderte Organismen (GVO).

Upstream-Processing Als Upstream-Processing bezeichnet man die vorbereitenden

Maßnahmen für die Fermentation. Sie umfassen beispielsweise

die fachgerechte Lagerung von Mikroorganismen, die Vorbe-

reitung der Substrate oder auch die Reinigung und Sterilisation

des Bioreaktors.

44 GLOSSAR

Vitamine Vitamine sind organische Verbindungen, die vom Organismus

nicht als Energieträger, sondern für andere lebenswichtige

Funktionen benötigt werden. Der körpereigene Stoffwechsel

ist nicht in der Lage, die Vitamine zu synthetisiern. Sie müssen

deshalb mit der Nahrung aufgenommen werden.

Zelle Die Zelle (aus dem Lateinischen cellula = kleine Kammer, Zelle)

ist die kleinste strukturelle Einheit aller Lebewesen. Es gibt

Einzeller, die aus einer Zelle bestehen, und Mehrzeller, bei de-

nen mehrere Zellen zu einer funktionellen Einheit verbunden

sind. Jede Zelle stellt ein strukturell abgrenzbares, eigenstän-

diges und selbsterhaltendes System dar. Die Zelle enthält die

Informationen für all diese Funktionen und Aktivitäten. Alle

Zellen können sich durch Zellteilung vermehren, verfügen über

einen Stoff- und Energiewechsel, reagieren auf Reize und haben

unter Umständen die Möglichkeit zur Bewegung. Jede Zelle,

ob prokaryotisch oder eukaryotisch, hat eine Membran, die die

Zelle von der Umgebung abgrenzt. Durch diese Membran wird

kontrolliert, was in die Zelle aufgenommen und was hinaus-

transportiert wird. Ähnliche funktionsbezogene Strukturen

gibt es in kleinstem Maßstab auch innerhalb der Zelle. Diese

Strukturen nennt man Organellen.

Zellkern Als Zellkern (lat. Nucleus = Kern, altgriechisch Karyon = Kern)

bezeichnet man ein im Zellplasma gelegenes Organell der

eukaryotischen Zelle, das die Erbinformation in Form der DNA

enthält.

Diese Druckschrift wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit vom Bundesmi-

nisterium für Bildung und Forschung unentgeltlich abgegeben. Sie ist nicht

zum gewerblichen Vertrieb bestimmt. Sie darf weder von Parteien noch von

Wahlwerberinnen/Wahlwerbern oder Wahlhelferinnen/Wahlhelfern während

einesWahlkampfes zum Zweck der Wahlwerbung verwendet werden. Diesgilt für

Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen sowie fürWahlen zum Europäi-

schen Parlament.

Missbräuchlich ist insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen und an

Informationsständender Parteien sowie das Einlegen, Aufdrucken oder Aufkleben

parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt ist gleichfalls die

Weitergabe an Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung.

Unabhängig davon, wann, auf welchem Weg und in welcher Anzahl diese Schrift

der Empfängerin/dem Empfänger zugegangen ist, darf sie auch ohne zeitlichen

Bezug zu einer bevorstehenden Wahl nicht in einer Weise verwendet werden, die

als Parteinahme der Bundesregierung zugunsten einzelner politischer Gruppen

verstanden werden könnte.