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Unfallchirurgie e U b ,n v 1¢)97 A. Pannike Zentrum der Chirurgie, Klinik for Unfallchirurgie (Direktor: Univ.-Prof. Dr. A. Pannike). Klinikum der Johann-Wolfgang- Goethe-Universit~it Frankfurt a. M. Weiterbildung: Gegenwfirtiger Stand N "icht selten erscheinen uns die ~irztliche Weiterbil- dung und die dieser zugrunde gelegte Ordnung wie das Lehrbeispiel der unendlichen Geschichte eines chronischen Leidens. Die Chronizit~it dieses Leidens und die Chronizitat der diesbeztiglich ersonnenen Behandlungsgrunds~itze las- sen uns immer dann aus dem Gleichmal3 unseres beruflichen Alltags aufschrecken, wenn Bundes~irzte- kammer und Deutscher Arztetag oder auch der Bun- desgerichtshof neue Therapien vorgeben. In einer kiirzlich publizierten ,,kritischen Zwischen- bilanz" zur Umsetzung der Weiterbildungsordnung von 1992 bekannte sich der Vizeprfisident der Bundes- firztekammer erneut nachdrticklich zu der Auffassung, dab die Weiterbildungsordnung nicht nur die Weiter- bildung zum Facharzt verbindlich strukturiere, son- dern dartiber hinausgehend vor allem die Funktion einer ,,Berufsaustibungsregelungsordnung" erftille [7]. Die Bayerische Landes~irztekammer hat dieser Auf- fassung widersprochen. Bei der ErGffnung des dies- j~ihrigen Bayerischen Arztetages sagte Pr~isident Dr. Hans Hege: ,,Die Weiterbildungsordnung bedarf der Vereinfa- chung, der Pr~zisierung ihrer Grundprinzipien, der Annassung~ an das sinnvoN ...... ~/,~ot~cbe~ ....... Sie darf nicht zur Berufsausiibungsregelung werden, sondern mug ihren Charakter als Qualifikations- und Schilderordnung bewahren" [6]. Nach einem Vortrag a. E. zur 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft fiir Unfallchirurgie,Berlin, 20. bis 23. November i996. Eingang des Manuskripts: 28.11. 1996. Annahme des Manuskripts: 2. 12. 1996. Hingegen vertritt, wie zitiert, der Vizepr~isident der Bundes~irztekammer weiterhin die Auffassung, dab die Weiterbildungsordnung und die dutch diese geregelte Berechtigung zur Durchftihrung und Abrechnung bestimmter firztlicher Leistungen eine immer gr6f3ere Rolle bei Fragen der Honorarverteilung und der Ein- flugnahme auf den/,irztlichen Arbeitsmarkt spiele [7]. Dieses Faktum mtissen wir sehen, auch und gerade wenn wir die mangelnde Differenzierung zwischen Weiterbildungsordnung und Abrechnungsordnung als eine der Qualit:at ~irztlicher Arbeit insgesamt eher abtr~igliche Beigabe und Belastung betrachten [6, 7, 1 l, 12]. Gewig wtirden wir ohne grOl3ere Mtihen einen posi- tiven Ansatz zur Qualitfitssicherung in der Weiterbil- dung erkennen k6nnen, wenn diese auf die bestm6g- liche Qualifizierung des Weiterzubildenden und nicht auf die Sicherung von ,,Mindestvoraussetzungen" ftir die Abrechenbarkeit firztlicher Leistungen angelegt ware. In seiner bereits zitierten Zwischenbilanz beklagt der Vizepr~isident der Bundes~irztekammer den zuneh- menden Mil3brauch der Weiterbildungsordnung und sieht diesen dadurch best~itigt, dab eine immer grOgere Zahl yon jungen Kollegen die ,,Komplettie- rung" ihrer Weiterbildung zum Facharzt vor allem in Bereichen anstrebt, die den Zugang zu einem m~g- lichst umfassenden Spektrum abrechenbarer firztlicher Leistungen er/3ft'nen [7]. Dieser Wunsch nach ,,Komplettierung" l~if3t am ehe- sten auf eine vorausgegangene ,,Aushohlung" gebiets- spezifischer oder indikationsbedingt erforderlicher Leistungen schhe3en, die nun durch eine steigende Unfallchirurgie 23 (1997), 31-38 (Nr. 1) 31

Weiterbildung: Gegenwärtiger Stand

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U n f a l l c h i r u r g i e e U b ,n v 1¢)97

A. Pannike

Zentrum der Chirurgie, Klinik for Unfallchirurgie (Direktor: Univ.-Prof. Dr. A. Pannike). Klinikum der Johann-Wolfgang- Goethe-Universit~it Frankfurt a. M.

Weiterbildung: Gegenwfirtiger Stand

N " icht selten erscheinen uns die ~irztliche Weiterbil- dung und die dieser zugrunde gelegte Ordnung

wie das Lehrbeispiel der unendlichen Geschichte eines chronischen Leidens.

Die Chronizit~it dieses Leidens und die Chronizitat der diesbeztiglich ersonnenen Behandlungsgrunds~itze las- sen uns immer dann aus dem Gleichmal3 unseres beruflichen Alltags aufschrecken, wenn Bundes~irzte- kammer und Deutscher Arztetag oder auch der Bun- desgerichtshof neue Therapien vorgeben.

In einer kiirzlich publizierten ,,kritischen Zwischen- bilanz" zur Umsetzung der Weiterbildungsordnung von 1992 bekannte sich der Vizeprfisident der Bundes- firztekammer erneut nachdrticklich zu der Auffassung, dab die Weiterbildungsordnung nicht nur die Weiter- bildung zum Facharzt verbindlich strukturiere, son- dern dartiber hinausgehend vor allem die Funktion einer ,,Berufsaustibungsregelungsordnung" erftille [7].

Die Bayerische Landes~irztekammer hat dieser Auf- fassung widersprochen. Bei der ErGffnung des dies- j~ihrigen Bayerischen Arztetages sagte Pr~isident Dr. Hans Hege:

,,Die Weiterbildungsordnung bedarf der Vereinfa- chung, der Pr~zisierung ihrer Grundprinzipien, der Annassung~ an das sinnvoN . . . . . . ~/,~ot~cbe~ .. . . . . . Sie darf nicht zur Berufsausiibungsregelung werden, sondern mug ihren Charakter als Qualifikations- und Schilderordnung bewahren" [6].

Nach einem Vortrag a. E. zur 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft fiir Unfallchirurgie, Berlin, 20. bis 23. November i996.

Eingang des Manuskripts: 28.11. 1996. Annahme des Manuskripts: 2. 12. 1996.

Hingegen vertritt, wie zitiert, der Vizepr~isident der Bundes~irztekammer weiterhin die Auffassung, dab die Weiterbildungsordnung und die dutch diese geregelte Berechtigung zur Durchftihrung und Abrechnung bestimmter firztlicher Leistungen eine immer gr6f3ere Rolle bei Fragen der Honorarverteilung und der Ein- flugnahme auf den/,irztlichen Arbeitsmarkt spiele [7].

Dieses Faktum mtissen wir sehen, auch und gerade wenn wir die mangelnde Differenzierung zwischen Weiterbildungsordnung und Abrechnungsordnung als eine der Qualit:at ~irztlicher Arbeit insgesamt eher abtr~igliche Beigabe und Belastung betrachten [6, 7, 1 l, 12].

Gewig wtirden wir ohne grOl3ere Mtihen einen posi- tiven Ansatz zur Qualitfitssicherung in der Weiterbil- dung erkennen k6nnen, wenn diese auf die bestm6g- liche Qualifizierung des Weiterzubildenden und nicht auf die Sicherung von ,,Mindestvoraussetzungen" ftir die Abrechenbarkeit firztlicher Leistungen angelegt ware.

In seiner bereits zitierten Zwischenbilanz beklagt der Vizepr~isident der Bundes~irztekammer den zuneh- menden Mil3brauch der Weiterbildungsordnung und sieht diesen dadurch best~itigt, dab eine immer grOgere Zahl yon jungen Kollegen die ,,Komplettie- rung" ihrer Weiterbildung zum Facharzt vor allem in Bereichen anstrebt, die den Zugang zu einem m~g- lichst umfassenden Spektrum abrechenbarer firztlicher Leistungen er/3ft'nen [7].

Dieser Wunsch nach ,,Komplettierung" l~if3t am ehe- sten auf eine vorausgegangene ,,Aushohlung" gebiets- spezifischer oder indikationsbedingt erforderlicher Leistungen schhe3en, die nun durch eine steigende

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Zahl von Zusatzqualifikationen (,,additional qualifica- tions") ausgeglichen werden kann oder mug.

Wir sollten in diesem Zusammenhang nicht den Ein- druck autkommen lassen, die Kollegen, von denen die Rede ist, seien grunds~itzlich einseitig und eigenntitzig motiviert, so daf3 ihr Streben nach qualit~itssichernder Weiterbildung und Professionalit~it insoweit in Zweifel zu ziehen sei. Die Gesellschaft, unsere Standesvertreter und wir selbst sollten im anhaltenden Wirrwar wider- streitender Eigengesetzlichkeiten nicht aus den Augen verlieren, welche materiellen Voraussetzungen heute er- fiillt sein miissen, damit ein Arzt ein guter Arzt sein kann.

Die Weiterbildungsordnung von 1992 beschreibt als eines ihrer wesentlichen Ziele den auf einer abge- schlossenen Berufsausbildung (zum Arzt) aufbauen- den Erwerb eingehender Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten als qualifizierenden Berechtigungs- nachweis for die Austibung definierter firztlicher Tfitigkeiten [8, 9, 12, 14, 18].

Es scheint daher interpretationsbedtirftig, wenn diese Weiterbildungsordnung als zusfitzliche Zielsetzung die Sicherung der Qualitfit ~irztlicher Berufsaustibung nennt und dabei Weiterbildungszeit und Weiterbil- dungsinhalte nach Mindestweiterbildungszeiten und Mindestinhalten bemiBt.

Im Gegensatz dazu geht die der Medizin zugewandte Soziologie unverfindert davon aus, dab qualifizierte ~irztliche Arbeit als Begrttndung und Nachweis ftir Profession und Professionalit~it ein hohes MaB an berufsbezogenen Kenntnissen und Erfahrungen vor- aussetzt [4, 12].

Trotz fortentwickelter Arbeits- und Honorarvertei- lungsstrategien sowie kontinuierlich angestrebter ArbeitszeitverkCirzung orientiert sich die Weiterbil- dungsordnung weiterhin an zeitlichen und inhaltlichen Mindestanforderungen, fordert aber weiterhin, dab die Weiterbi!dung gr'Jnd!ic5 und umfassend sein so1].

Eine Weiterbildungsordnung sollte nicht nur eine ver- trauensbildende Systematik erkennen lassen, sie sollte darttber hinaus so strukturiert sein, dab sie nicht auf die Funktion einer Berufsaus~bungsregelung beschrfinkt bleibt, sie sollte umsetzbar sein und dem wfihrend ihrer Geltungsdauer zu erwartenden medizinischen Fort- schritt und Wandel ausreichend Raum lassen. Zugleich

sollte die Weiterbildungsordnung ftir den Barger und die politische Offentlichkeit, aber auch for den Weiter- zubildenden und den Weiterbilder deutlich machen, mit welchem Standard ftir welche ~irztlichen Aufgaben wei- tergebildet werden soil [11, 12].

In der derzeitigen Wirtschafts- und Rechtslage bleibt zu fragen, ob denn in den Kliniken unter diesen Bedingungen, das heigt trotz GSG und Arbeitszeitge- setz, eine qualifizierte Weiter- und Fortbildung aller ~irztlichen Mitarbeiter iiberhaupt noch zu realisieren ist [12, 15].

Entsprechend den in der Weiterbildung zum Facharzt gesteckten Zielen sollen besondere Kenntnisse, Erfah- rungen und Fertigkeiten nur dann als nachgewiesen gelten, wenn der Arzt die Weiterbildung im Gebiet, in einem Schwerpunkt des Gebietes oder die fakultative Weiterbildung im Gebiet erfolgreich abgeschlossen hat [8, 9].

Im Hinblick auf die Berechtigung zur Fahrung von Schwerpunktbezeichnungen nach § 2 Abs. 1 legt die Weiterbildungsordnung fest, dab diese nur in Verbin- dung mit der Bezeichnung des Gebietes geftihrt wer- den diirfen, dem die Schwerpunkte zugeordnet sind. FOr ein Gebiet dtirfen in der Regel nicht mehr als zwei Schwerpunktbezeichnungen (zum Beispiel Viszeral- chirurgie und Unfallchirurgie) nebeneinander geftihrt werden. Die Erm~ichtigung (Befugnis) zur Weiterbil- dung kann grundsfitzlich nur fiXr ein Gebiet und einen zugehOrigen Schwerpunkt erteilt werden [8, 9].

An dieser Stelle wiederhole ich: Die Tatsache, dab die Chirurgie nach langer innerdisziplinfirer wie interdiszi- plinfirer Weiterbildungsdiskussion als einheitliches Gebiet mit der Weiterbildung zum Facharzt fttr Chir- urgie beibehalten werden konnte, ist zu einem nicht geringen Anteil darauf zurackzufiihren, dab die Unfallchirurgen allen Widerst~inden und Einreden zum Trotz an der Chirurgie als ihrer disziplinfren Matrix festgehalten haben [!! , 12, 16]. Dies muB ganz bewugt erinnert werden: nich~ zu!etzt, um keinen Zweifel daran zu iassen, dab sich die Unfallchirurgie weder aus der Chirurgie hinausdrfingen noch aus ihr herauslOsen lassen darf.

Die von vielen bedauerte Verselbst~indigung der Herz- chirurgie, der Kinderchirurgie und der Plastischen Chirurgie hat dazu geftihrt, dab das Gebiet Chirurgie kfinftig im Zusammenwirken tier Schwerpunktbereiche

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Gef~igchirurgie. Thoraxchirurgie. Unfallchirurgie und Viszeralchirurgie realisiert wird [3, 2 t].

Die qualifizierte Erfahrungsbildung vollzieht sich in der Chirurgie in einem mindestens ftinfj~ihrigen Ent- wicklungsprozef3, der dem in Weiterbildung stehenden Arzt stufenweise neue, zunehmend schwierigere Bereiche der Chirurgie erschliegt, so dab er am Ziel seiner beruflichen Entwicklung die fachlichen Stan- dards des Gebietes in einem Ausmaf3 beherrscht, das ihn beffihigt, diese selbst~indig und in eigener Verant- wortung zu praktizieren [12, 20].

Insbesondere unter diesem Aspekt ist es schwer ver- stfindlich, dab unsere Weiterbildungsordnung nicht vorrangig auf die Vermittlung und den Nachweis des h~3chstm6glichen Qualit~itsstandards ausgerichtet ist und die Anerkennung als Facharzt ffir Chirurgie start dessen weiterhin auf der Basis von Mindestvorausset- zungen ausgesprochen wird.

Das Prfisidium der Deutschen Gesellschaft for Chirur- gie hat auf Vorschlag einer grof3en Weiterbildungs- kommission, der zwei Unfallchirurgen angeh~3rten, 1994 einstimmig beschlossen, dab zum Abschlul3 der Weiterbildung im Gebiet Chirurgie (das ist die Basis- weiterbildung bis zum Facharzt ftir Chirurgie) in gegliederten Krankenh/iusern folgende Gesamtzeiten erffillt sein sollten [14]:

Viszeralchirurgie (einschliel31ich Poliklinik: _> 15 Monate Geffigchirurgie: 0 bis 6 Monate Thoraxchirurgie: 0 bis 6 Monate

Unfallchirurgie (einschlief31ich Poliklinik): > 15 Monate Chirurgische Intensivmedizin: 6 Monate Weiteres anrechenbares Gebiet: 0 bis 6 Monate

Notfallmedizin (anteilm~il3ig verteilt auf Unfallchirur- gie und Viszeralchirurgie einschliel31ich ihrer Unter- gruppierungen) 0 bis 6 Monate

Bezfiglich der Weiterbildung in den Schwerpunk- ten empfiehlt die Deutsche Geseltschaft fiir Chimrgie, bei Weiterbi!dung i~ zwei Schwerpunkten nur einen Schwerpunkt, und zwar ffir die Dauer eines Jahres, in der Regelweiterbildung zu versenken.

Nach Auffassung der Deutschen Gesellschaft fiir Unfallchirurgie ist die im vorstehenden Weiterbil- dungs-Curriculum vorgesehene Blockbildung nur dort m6glich und sinnvoll, wo die Struktur der einzelnen Einrichtung und die vermittelbaren Weiterbildungsin-

halte diese zulassen und insoweit anrechenbare Wei- terbildungsleistungen unter verantwortlicher Leitung eines zu ihrer Vermittlung Qualifizierten und Befug- ten vermittelt und erbracht werden [14].

Angesichts der Bedeutung der Hauptschwerpunkte ,,Viszeralchirurgie" und ..Unfallchirurgie" und des in diesen Bereichen erforderlichen Aufwandes ffir die Qualitfitssicherung in der Krankenversorgung wie auch in der Aus-, Weiter- und Fortbildung der ~irzt- lichen und nicht~irztlichen Mitarbeiter vertritt die Deutsche Gesellschaft ffir Unfallchirurgie die Ansicht, dab ein ungegliedertes Haus keinesfalls fiber die Wei- terbitdung im Gebiet hinausgehend zur Weiterbildung in beiden Hauptschwerpunkten zugelassen werden kann. Das heigt, dab sich das ungegliederte Haus in der Weiterbildung auf einen der beiden Hauptschwer- punkte des Gebietes zu beschrfinken hat. In den Kran- kenh~iusern und Kliniken der hOheren Versorgungs- stufen sollten aus den gleichen Grtinden grunds~itzlich zwei mit eigener Entscheidungskompetenz und eige- nen Rechten ausgestattete Abteilungen eingerichtet oder weiterhin vorgehalten werden [14].

In einer bedarfsorientierten Analyse wurde anl~il31ich des Deutschen Chirurgenkongresses 1991 erstmals ge- fragt:

Wieviel/welche Chirurgie braucht der Chirurg

a) im ungegliederten Haus der Grund- und Regelver- sorgung,

b) in der Fachabteilung eines gegliederten Kranken- hauses,

c) im Krankenhaus/Zentrum der Maximalversorgung?

In diesem Zusammenhang vertrat F. Harder die Ansicht, dab in den Krankenh~iusern der Grund- und Regelversorgung die Chirurgie des Notwendigen und H~iufigen im Sinne einer (erweiterten) Grundversor- gung durch eine ,,Spezialisierung in die Breite" sicher- gestellt werden m~isse [5].

tch habe Martin A!lg~Swer gelegentiich dort zitiert, wo wit nicht {ibereinstimmen [I, i3]. Heute wiii ich Uber- einstimmendes herausstellen, das seine Berechtigung behalten hat oder erst in jtingster Zeit neue Best5ti- gung gefunden hat.

Ein Hauptthema des Deutschen Chirurgenkongresses 1974 war die innerdisziplin~ire und die interdis- ziplinare Zusammenarbeit [2, 20].

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Pannike: Weiterbildung: Gegenwiirtiger Stand

Bei der Diskussion dieser Problematik zeigte sich M. Allg6wer schon seinerzeit besorgt, dal3 wir in unse- ren Zentren Chirurgen ausbilden, die den praktischen Aufgaben der allt~iglich geforderten Notfallchirurgie nicht mehr gewachsen sind. Er forderte, dab die Chir- urgie freigehalten werden mtisse van einer - so All- g6wer - Spezialisierungsneurose, weil wir sonst, zumindest in den peripheren Hfiusern, in eine Medizin hineingeraten wtirden, die wir uns volkswirtschaftlich (!) nicht (mehr) leisten kOnnen [2].

als ,,Viszeralchirurg" oder ,,Unfallchirurg", sondern als Chirurg vorsteht [2, 12, 14, 18].

Das ungegliederte Haus, so die Auffassung der DGU, sollte van einem Chirurgen geftihrt werden, der sich for die Schwerpunktbereiche Viszeralchirurgie und Unfallchirurgie qualifiziert hat, aber daneben auch der Versorgungsstufe seines Hauses entsprechende Kenntnisse in den Schwerpunktbereichen Gef~if3chir- urgie und Thoraxchirurgie erworben hat.

Bei seiner Analyse unterschied Allg6wer zwei Arten der Spezialisierung

a) die vertiefte Besch~iftigung und Auseinanderset- zung mit einem speziellen Problem und

b) eine gfinzlich anders motivierte Art der Spezialisie- rung, deren Wurzeln er in der Neigung zu Bequem- lichkeit und Eigennutz suchte.

Beschwichtigend schlog er nicht aus, dab bei einer sol- chen Beschr~inkung auch Bescheidenheit (mit) im Spiele sein kOnne. Man wolle ein Gebiet bearbeiten, das zeitlich und intellektuell tiberschaubar sei.

An die Adresse der Universit~itszentren und akademi- schen (Lehr-) Krankenh~iuser richtete Allg6wer die Feststellung, daf3 sich diese Einrichtungen nahezu beliebig organisieren kOnnten, solange ihr ,,Ausbil- dungsprodukt" for seine Aufgabe im mittleren und kleineren Hause tauglich bleibe [2].

Die Unfallchirurgie, so Allg{3wer weiter, werde gut daran tun, eine breite Ausbildung und auch eine breite Tfitigkeit zu verlangen. Ftir die kleinen und mittleren H~iuser seien die Unfallchirurgen nur so lange wirt- schaftlich tragbar und medizinisch sinnvoll, wie sie vail und kompetent in den Notfalldienst der Gesamtchir- urgie einbezogen bleiben kOnnten. Dies allerdings gilt umgekehrt in n~imlicher Weise: Auch der Viszera!chir- urg wird nur so lange roll und kompetent am chirurgi- schen Notfalldienst teilnehmen k6nnen, als er diesen in seiaer Gesamtheit qualifiziert er!ern: hat under die erforderiichen Kenntnisse, Erfahrungen und Fertig- keiten durch kontinuierliche und ernsthaft motivierte Mit- und Zusammenarbeit mit den anderen chirurgi- schen Schwerpunktbereichen aufrechterh~iIt.

Wie Allg6wer ist die Deutsche Gesellschaft ftir Unfall- chirurgie stets davon ausgegangen, dab der Chirurg, der ein ungegliedertes Haus ftihrt, diesem Haus nicht

Da die Weiterbildung der Arzte auch ktinftig nicht auf die bestm6gliche Qualifizierung und die Gew~ihr- leistung qualit~itssichernder Professionalit~it ausge- richtet sein wird, sondern entsprechend ihrer Rechts- grundlage als ,,Nebenprodukt" der firztlichen Dienst- leistung betrachtet werden mul3, k/Snnen die bedarfs- orientierten Erfordernisse van Inhalt und Umfang der Weiterbildung nur tiber die Analyse des Kran- kenhauses, das heil3t fiber den Kompetenz- und Lei- stungsbedarf des individuellen Krankenhauses, ermittelt werden. Das bedeutet, dag in diesem Zu- sammenhang vor allem die Voraussetzungen for eine qualifizierte Notfallversorgung wie auch deren Sicherstellung und kontinuierlicher Einsatz zu prtifen sind [15].

Hier kommen die Zertifizierung, die Dezertifizierung und die Rezertifizierung eines Krankenhauses in die Diskussion. Zu fragen ist, wer entscheidet, aufgrund welcher Kompetenz, nach welchen Kriterien und ftir welche Zeitr~iume tiber die Zertifizierung eines Kran- kenhauses und der dart t~itigen Arzte.

In der derzeitigen gesundheitspolitischen Situation mug man fttrcbten, dab die Kostentr~iger die betriebs- wirtschaftliche Effizienz eines Hauses und weniger die wesentlich schwieriger zu ermittelnde Qualit~it der ~irztlichen und medizinischen Versorgung zur Grund- lage der Zertifizierung machen.

Die DGU hat der Bundes~irztekammer bereits im Winterhalbjahr !992/93, das heigt vor Inkrafttreten der noveitierten Weiterbildungsordnung, einen mk den anderen Schwerpunkten der Chirurgie wie auch mit der Orthopfidie, der Kinderchirurgie und der Pla- stischen Chirurgie abgestimmten Richtlinienkataiog vorgelegt, in dem die van den genannten Gesellschaf- ten und Vereinigungen vertretenen Weiterbildungs- grunds5tze zusammengefagt warden waren (siehe auch DGU: Mitteilungen und Nachrichten 28/93) [18].

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Dem erarbeiteten Richtlinienkatalog hat die DGU die nachfolgend zitierten Grunds~itze vorangestellt.

.,Die Deutsche Gesellschaft ftir Unfallchirurgie hfilt an dem die Bearbeitung der Musterweiterbildungsord- nung bestimmenden Grundsatz der ,Qualit~itssiche- rung durch Qualit~itsverbesserung" lest. Sie vertritt die Auffassung, dab Qualit~it sowie fachgebiets- und schwerpunktspezifische Kompetenz ein breites und stabiles Fundament ben6tigen, das durch die formale Festschreibung von Mindestanforderungen nicht aus- reichend gesichert werden kann.

In anderen Ordnungsbereichen gesammelte Erfahrun- gen belegen n~imlich, daf3 sich das individuelle Enga- gement mit grof3er Regelhaftigkeit dauerhaft an ein- real vorgegebenen Mindestanforderungen orientiert und nicht lfinger auf die Sicherstellung des Notwendi- gen und der sich fortentwickelnden Qualit~it ausge- richtet bleibt.

Als gemeinsame Pflicht der wissenschaftlichen Each- gesellschaften und der fach~irztlichen Berufsverb~inde und doch wohl auch der ~krztekammern erachten wir die Entwicklung und Sicherstellung vertrauensbilden- der Leitlinien in der ~irztlichen und medizinischen Versorgung der BevOlkerung.

Zugleich verpflichtet diese Aufgabe alle Beteiligten dazu, diese Leitlinien gebiets- und schwerpunktfiber- greifend abzustimmen und sich fiir ihre patienten-, aufgaben- und qualitfitsorientierende Lrberprtifung und Fortentwicklung kontinuierlich und in regelm~f3i- gen Konferenzen einzusetzen" [18].

Die DGU wartet noch immer darauf, daf3 die Bundes- firztekammer zur Diskussion des vorgelegten Richtli- nienkatalogs, dessen nochmalige Darstellung und ErlS, uterung in diesem Rahmen nicht mOglich ist, ein- Ifidt. Es kann nicht lfinger ausgeschlossen werden, daf3 diese Ein!adung unter anderem auf sich warten l~13t. weil die geforderte Erarbeitung der sogenannten Leit- iinien, anders als zunfichst angektindigt, nicht in erster Linie und vor al!em der Qua_~it~tssicherung dient. Es steht zu befiirchten, dab hier nicht allein die Grund- lage ftir eine neue Honorarumverteilung, sondern auch far die Begrenzung oder Ausgrenzung bestimm- ter firztlicher Leistungen gelegt werden soll.

Mit der (noveIlierten) Weiterbildungsordnung von 1992 wurde eine neue Definition des Gebietes Chirurgie ver- abschiedet. Die Chirurgie umfaf3t nunmehr die Erken-

nung und Behandlung yon chirurgischen Erkrankun- gem Verletzungen und Fehlbildungen mit den entspre- chenden Untersuchungsverfahren, konservativen und operativen Behandlungsverfahren des Gebietes ein- schlief31ich der gebietsbezogenen Intensivmedizin, den Nachsorgeverfahren des Gebietes sowie der Rehabilita- tion in jedem Lebensalter [8, 9, 14, 18].

Der Schwerpunkt Unfallchirurgie umfaf3t definitions- gem/ig die Prfivention, die Erkennung, die operative und nichtoperative Behandlung yon Verletzungen und deren Folgezustanden einschlieglich der Nachsorge und der Rehabilitation [8, 9, 12, 14, 18].

Aufmerksame Chirurgen und Unfallchirurgen werden diese Definition auf den ersten Blick ftir lfickenhaft oder unzul~nglich harem da sie nicht alle denkbaren oder bisher vonder Chirurgie und Unfallchirurgie ver- tretenen T~itigkeitsbereiche im Wort festschreibt.

Die neugefaf3te Definition des Gebietes Chirurgie und ihre Interpretation lassen - mehr als bisher - deutlich werden, dab die Weiterbildungsordnung entsprechend der vonder Bundes~irztekammer vertretenen Auffas- sung auch oder vorrangig eine ,,Berufsaustibungsrege- lung" ist. Dies wird unter anderem daran erkennbar. dab die Weiterbildungsordnung (beispielsweise mit Hilfe der Richtlinien iiber den [nhalt der Weiterbil- dung) auf dem Wege der Zuordnung oder Ausgren- zung bestimmter 5rztlicher Leistungen den Verzicht auf angestammte T~itigkeiten erzwingt.

Allerdings muf3 zugleich festgestellt werden, da6 das Untfitigsein wie das Nichttfitigseindttrfen auf ange- stammten oder neu zug~inglich gewordenen Feldern notwendigerweise zu einem Qualifikationsdefizit und im weiteren zu einem Kompetenzverlust bei den Unt~itigen ftihren mug [11, 13].

Auf die Dauer verlieren alle Institutionen und Gemeinschaften jede Ffihigkeit und Kompetenz, die sie nicht verantwortungsbewuf3t und gemeinnatzig ein- setzen [4]. Bereits im Jahre 88 hat die DGU auf gef~_hrdete Kompetenzbereiche der Chirurgie aL'f- merksam gemacht. Die seitherige Entwicklung hat gezeigt, daf3 diese Sorge nicht unbegrtindet war [17].

Unabhfingig von der durch die Weiterbildungsord- nung vorgegebenen Definition ist die Unfallchirurgie heute ein Aufgabenbereich der Chirurgie, in dem das beste Behandlungsergebnis nicht selten unter (konsi- liarischer) Mitwirkung yon in der Behandlung speziel-

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ler Verletzungen und ihrer Folgezust~inde erfahrenen Fachleuten aus anderen Bereichen und Gebieten, aber auch nicht durch diese allein, erreicht wird [12, 13].

Angesichts der Fallgruben, die durch die fortschrei- tende arbeitsteilige Fragmentierung und Diversifizie- rung ~irztiichen Handelns und ~irztticher Verantwort- lichkeit entstanden sin& daft kein Zweifel daran gelassen werden, dab die Unfallchirurgie in Kranken- versorgung und Weiterbildung keine Nebenbei-Auf- gabe for unterbesch~iftigte Generalisten oder konsi- liarisch beigezogene Spezialisten sein kann [10, 13, 16].

Augenffilliger Beleg ftir diese Aussage sind die Erfor- dernisse for die Sicherstellung einer qualifizierten Behandlung der Schwerverletzten, die heute auch unter dem Gesichtspunkt der Qualit~itssicherung nicht lfinger zu verantworten ist ohne

1. eine aufgabenbezogen strukturierte Organisation, ohne

2. aufgabenbezogen qualifiziertes und trainiertes Per- sonal und ohne

3. angemessene technische und materielle Ausstat- tung.

Qualitfits- und Leistungsverlust des Krankenhauses ftihren, das diese Empfehlung umsetzt. Dieses Kran- kenhaus wfire dann in der Tat nicht mehr in der Lage, zu leisten, was es leisten mug [10. 15].

Die in diesem Zusammenhang often oder verdeckt gestellte Frage lautet: Wie kann bei m0glichst gerin- gem Ausgabenaufwand eine ,,angemessene" Qualitfit des medizinischen und grztlichen Versorgungsstan- dards gesichert werden?

Ohne Zweifel dient diese Frage weniger der Qualit~its- sicherung als der Qualit~itskontrolle, die weit treffen- der als betriebswirtschaftliche Effizienzkontrolle be- zeichnet werden sollte.

Das Mif31ingen rein betriebswirtschaftlich ausgerichte- ter Sanierungsmal3nahmen scheint in mehrfacher Hin- sicht vorprogrammiert, wenn die Entwicklung des Krankenhauses allein den Politikern, den Juristen und der betriebswirtschaftlichen Administration tiberlas- sen bleibt und diese sich die Minimierung der Defizite bei gleichzeitiger Maximierung des Gewinns zum Ziel setzen [19].

Die Sicherstellung einer qualifizierten Notfall- und Schwerverletztenversorgung ist, auch im Hinblick auf die Erfordernisse in der theoretischen und praktischen Weiter- und Fortbildung, nicht zu gew~ihrleisten ohne angemessene finanzielle und personelle Abstiitzung, die in der Zeit der fortschreitenden Mittelverknappung und fehlender Berticksichtigung in den derzeit praktizierten Vergiitungssystemen zunehmend gef~ihrdet ist [15].

Diese Gefahr wtirde sich explosionsartig zum Flfichen- brand ausweiten, wenn der von einigen Kranken- hausberatern als kurzfristige Reaktion auf die ge- sundheitspolitische Entwicklung empfohlene Katalog betriebswirtschaftlicher MaBnahmen auch den ,,Aus- stieg" aus der Facharztweiterbi!dung einbeziehen sollte, wie dies bereits jetzt punktuell erkennbar wird [15].

• Fn* o +,~,~ " " .den kostensparenden Einsatz von Fach~irzten wird spfitestens dann beendet sein, wenn diese aus dem Krankenhaus (Niederlas- sung, Ruhestand) ausscheiden und ausreichend quali- fizierte und erfahrene Arzte nicht mehr in erforder- licher Zahl zur Verfiigung stehen.

Ein solcher Ausstieg wtirde, wenn nicht kurzfristig, so doch l~ingerfristig, zu einem nicht vertretbaren

Es mug daran festgehalten werden, dab die Qualitfit der medizinischen und firztlichen Versorgung wie die Qualitfit der durch sie gesttitzten Weiterbildung nicht allein auf der Grundlage juristisch oder/Skono- misch fagbarer Fakten beurteilt werden darf. Es kann nicht geniigen, die Leistungen eines Kranken- hauses allein in den Kategorien einer betriebswirt- schaftlichen Kosten-Nutzen-Systematik zu betrach- ten.

Hans Ulrich, Sprecher der St. Galler Management- schule, sagte unlfingst: ,,Ich wehre mich entschieden gegen eine Auffassung, welche einzig eine Unterneh- mensfahrung, die auf einem egoistischen kurzfristi- gen Gewinnstreben und auf einem 0konomistischen Weltbild beruht, als betriebswirtschaftlich richtig be- zeichne~" [19].

Nach der Grundidee des Krankenhauses und der Uni- versit~it darf man in diesem Zusammenhang gar nicht erst fragen. Bei rein betriebswirtschaftlicher Betrach- tung scheint die Befiirchtung nicht unberechtigt, dab der Patient am Ende nur mehr als nichtaustauschbare Ressource far die Erbringung abrechenbarer Kran- kenhausleistungen in die Planung des Krankenhauses einbezogen wird.

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Pannike: Weiterbihhmg: Gegenwiirtiger Stand

Wenn die Krankenhausversorgung und deren Qualit~it vorrangig oder ausschliel31ich als existenzsichernde Grundlage des Unternehmens Krankenhaus betrachtet wird, ist die Qualit~it der ~irztlichen Weiter- und Fortbil- dung, aber auch die Umsetzung des Inhalts der Weiter- bildungsordnung in h6chstem Mage gef~ihrdet.

In jedem Fall ist hier zu fragen, ob das Krankenhaus und die dort t~itigen )krzte auch in Zukunft in der Lage sein werden, zu leisten, was sie t'itr den Patienten leisten mtissen [3, 10, 14, 15]. Angesichts einer solchen Entwicklung darf auch der Arzt nicht iiberrascht sein, wenn das Vertrauen seines Patienten ihn - den Arzt - nicht l~inger tr~igt.

Die Er/3rterung dieser Frage wird zusehends schwieri- ger, da die Prognosen fiber die weitere Entwicklung des Krankenhauses aul3erordentlich widerspriJchlich sind. Verwirrung stiftet in diesem Zusammenhang auch, dab jeder, der - auch in tier Weiterbildung - yon Qualitfitssicherung spricht, etwas anderes meint.

Angesichts der dargelegten Entwicklungen scheint es dringend geboten, davor zu warnen, die durch die Wei- terbildungsordnung yon 1992 er6ffneten M6glichkeiten for eine fortschrittsorientierte und aufgabenbezogene Neustrukturierung der Chirurgie durch unschltissiges Z6gern, durch das erneute Beharren auf Partikularin- teressen oder die erzwingende Vorgabe einer rein betriebswirtschaftlichen Triagierung zu verspielen.

Die Weiterbildungsordnung wird eine Berufsaus- ttbungsregelung und eine Abrechnungsordnung blei- ben, wenn die wissenschaftlichen Fachgesellschaften weiterhin vers~iumen oder darauf verzichten, die erfor- derlichen Qualifizierungs- und Qualitfitssicherungs- standards for die von ihnen zu verantwortenden Berei- che in eigener Kompetenz zu definieren.

patienten-, aufgaben- und qualitfitsorientierte t~Iber- prtifung kontinuierlich sicherstellen.

Ziel der Weiterbildung mug der Erwerb professionel- ler Kompetenz sein, nicht ein ,,Zertifikat", dessen (formaler) Besitz vorrangig zur Abrechnung bestimm- ter ~irztlicher Leistungen legitimiert. Solange Inhalt und Qualit~it der Weiterbildung nicht zuerst v o n d e r firztlichen und medizinischen Notwendigkeit einer qualifizierten Versorgung der Bev61kerung bestimmt werden, ist zu befiirchten, dab die Bev61kerung am Ende aller Weiterbildungsregelungen mit einer sach- widrigen, weil vorrangig honorarpolitischen Begren- zung der Fachgebiete konfrontiert wird und die vor- geblich angestrebte Vertiefung und Verbesserung der firztlichen und medizinischen Versorgungsqualit~it weiterhin nicht erreicht werden.

Alle Chirurgen m~issen sich darttber klar sein, dal3 die mit der novellierten Musterweiterbildungsordnung yon 1992 (trotz der Eingrenzungen) er/3ffneten MOglichkei- ten nur dann realisiert und genutzt werden k6nnen, wenn diese von allen Chirurgen often und schwerpunkt- iibergreifend angenommen werden und auch die Reali- sierung der Inhalte und die daraus abzuleitenden Wei- terbildungsziele in gemeinsamer Verantwortung an- genommen und getragen werden [12, 14, 16].

Es soil in diesem Zusammenhang nicht verschwiegen werden, dab man sich in letzter Zeit wieder hfiufiger an ein bekanntes Kindergedicht erinnert ftihlt, wenn der eine oder andere erneut davon zu tr~iumen beginnt, wie sch6n es doch gewesen, als man noch der B~ickermeister war, der sich auf die n~ichtens ftir ihn werkelnden Heinzelm~innchen verlassen konnte.

In den Tabellen 1 und 2 ist beispielhaft gezeigt, wie die Aufgabenzuordnung und Weiterbildungskompetenzen

Die Fachgesellschaft mug (gegebenenfalls fiber den European Board of Surgery Certificates of Quality in Training [EBSQ], zum Beispiel EBSQ-gen. Surgery [in general] oder EBSQ-trauma: trauma surgery) bestimmen, warm ein ~'~: " - ~_.~:ru~g ein Chirurg ist und wel- cher Kompetenz er bedarf, um ein vertrauensbildend qualifizierter Viszeral- oder Unfallchirurg zu sein [23].

Die Fachgesellschaften miissen auf der Basis der ihnen eigenen und von ihnen zu vertretenden Fachkompe- tenz bedarfsbezogene Qualifizierungsnormen und Qualit~itssicherungskriterien for die firztliche Weiter- bildung und Berufsaustibung entwickeln und deren

i. Abdominal- und Organchirurgie 2. Spezielle endokrinologische und gastroenterologische Chirurgie 3. Onkologische Chirurgie 4. Transplantationschirurgie 5. Gefag- und Thoraxchirurgie (soweit nicht eigenst~indig vertreten)

Tabelle 1. Chirurgie I: Viszeralchirurgie.

1. Chirurgie des Sttitz- und Bewegungsapparates 2. Schwerverletztenbehandlung (einschlieglich D-Arzt) 3. Handchirurgie 4. Plastische und Wiederherstellungschirurgie 5. Physikalische Therapie und Rehabilitation

Tabelle 2. Chirurgie II: Unfallchirurgie.

Unfallchirurgie 23 (1997), 31 - 38 (Nr. 1 ) 37

Pannike: Weiterbildung: Gegenwiirtiger Stand

in e inem gegliederten Haus der h6heren Versorgungs-

stufen kiJnftig gestaltet werden k6nnten .

Bei Real isat ion dieses Konzepts wtirde die Viszeral-

chirurgie ergfinzt durch die Gerbil3- und Thoraxchirur-

gie, soweit diese nicht als eigenst~indige Bereiche ver-

t reten sind [16].

Als gemeinsame Einr ich tungen unter jeweils eigen-

st~indiger Veran twor tung der chirurgischen Par tner

k6nn ten geftihrt werden

1. die Chirurgische In tens ivs ta t ion (soweit nicht ei-

genst~indiger Funkt ionsbere ich) ,

2. die Chirurgische Kinders ta t ion und die

3. Septisch-chirurgische Station.

En tsprechend der geme insamen Empfeh lung der

Deutschen Gesellschaft for Chirurgie und der Deut-

schen Gesellschaft far Unfal lchirurgie organisiert und

leitet der Unfatlchirurg die Behand lung der Schwer-

verletzten und Polytraumatis ier ten.

Die fachliche und rechtliche Veran twor tung des kon-

siliarisch beigezogenen Vertreters eines anderen

Schwerpunktes oder eines anderen Gebie tes bleibt

davon unber t ihr t [16].

Eine wahrhaft traurige Bilanz w~ire es, wenn wit am

Ende unserer Bemt~hungen e inges tehen mfif3ten, dab

wir den Pat ien ten aus dem Auge ver loren haben, da

wir t iberwiegend und unverwand t auf die (betriebs-

wirtschaftliche) Prosperit~it des Krankenhauses , in

dem wir arbeiten, und auf den persOnlichen Nutzen

geschaut haben,

E b e n s o traurig ware es, w e n n wir e r k e n n e n m a g t e n ,

daf3 die Qual i ta t unserer ~irztlichen und medizini-

schen Arbe i t un te r dem Druck betr iebswir tschaf t l i -

cher Sachzwfinge und Z i e l v o r g a b e n nicht l~inger

gew~hrleistet werden kann , wei! die mater ie l len , per-

sonel len und konzep t ione l l en Voraus se t zungen for

eine qualif izierte We i t e rb i l dung nicht mehr gegeben

s~nd.

Diese Gefahr nicht nur zu er6r tern, sie abzuwenden ist

unsere Aufgabe.

Literatur

l.AllgOwer. M.: Unfatlchirurgie. Langenbecks Arch. Chir. 332 ( 1972)+ (Kongret3bericht).

2. AllgOwer, M.: Interdisziplinfire Zusammenarbeit aus der Sicht des Chirurgen. Langenbecks Arch. Chir. 337 (1974), (Kongregbericht).

3.Becker, H.-M_ H. J. Pompino. P. Satter, A. Berger: Stetlungnah- me zur Weiterbildung in der Chirurgie. Unfallchirurgie 17 (199l). 303-304.

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Verfasser: Univ.-Prof Dr. A. Pannike, Klinik fiir Unfallchirurgie. Zentrum der Chirurgie der Universitiit, Theodor-Stern Kai Z D-60590 Frankfurt a. M.

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