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Weitere Titel des Autors:

Der PräsidentDas LabyrinthDie VersuchungDie WahrheitDie VerschwörungDas VersprechenDer AbgrundDas GeschenkAuf BewährungDas Glück eines Sommers

Bände der Shaw-Reihe:Die KampagneDoppelspiel

Bände der Maxwell/King-Reihe:Im Bruchteil der SekundeMit jedem Schlag der StundeIm Takt des TodesBis zum letzten AtemzugFünf vor zwölfIn letzter Minute

Bände der Camel-Club-Reihe:Die WächterDie SammlerDie SpielerDie JägerDer Auftrag

Bände der Will-Robie-Reihe:VerfolgtIm Auge des Todes

Titel auch als Hörbuch erhältlich

Über den Autor:

David Baldacci, geboren 1960, war Strafverteidiger und Wirtschafts-anwalt, ehe er 1996 mit Der Präsident (verfilmt als Absolute Power)seinen ersten Weltbestseller veröffentlichte. Seine Bücher wurden infünfundvierzig Sprachen übersetzt und erschienen in mehr als acht-zig Ländern. Damit zählt er zu den Top-Autoren des Thriller-Genres.Er lebt mit seiner Familie in Virginia, nahe Washington, D. C.

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D A V I D B A L D A C C I

Thriller

Übersetzung aus dem Amerikanischenvon Uwe Anton

D E R K I L L E R

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BASTEI LÜBBE TASCHENBUCHBand 17383

Dieser Titel ist auch als Hörbuch und E-Book erschienen

Vollständige Taschenbuchausgabeder im Gustav Lübbe Verlag erschienenen Hardcoverausgabe

Copyright © 2012 by Columbus Rose, Ltd.Titel der amerikanischen Originalausgabe: »The Innocent«

»Der Komplize« (»Bullseye« Copyright © 2014by Columbus Rose, Ltd.)

Für die deutschsprachige Ausgabe:Copyright © 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat: Judith MandtTextredaktion: Wolfgang Neuhaus, Oberhausen

Umschlaggestaltung: Mediabureau di Stefano, BerlinUnter Verwendung eines Motivs von © Arcangel/Nik Keevil

Satz: Dörlemann Satz, LemfördeGesetzt aus der Caecilia

Druck und Verarbeitung: GGP Media GmbH, PößneckPrinted in Germany

ISBN 978-3-404-17383-9

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Sie finden uns im Internet unter www.luebbe.deBitte beachten Sie auch: www.lesejury.de

Ein verlagsneues Buch kostet in Deutschland und Österreichjeweils überall dasselbe.

Damit die kulturelle Vielfalt erhalten und für die Leserbezahlbar bleibt, gibt es die gesetzliche Buchpreisbindung.

Ob im Internet, in der Großbuchhandlung, beim lokalenBuchhändler, im Dorf oder in der Großstadt – überall bekommen

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Für Mitch Hoffman,meinen Freund und Lektor

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K A P I T E L 1

Will Robie hatte auf dem kurzen Flug von Dublin nachEdinburgh jeden Passagier einer genauen Musterungunterzogen. Zuversichtlich war er zu dem Ergebnis ge-kommen, dass sechzehn von ihnen Schotten auf demWeg in die Heimat waren. Hinzu kamen dreiundfünfzigTouristen.

Robie war weder Schotte noch Tourist.Das Flugzeug brauchte siebenundvierzig Minuten,

um zuerst die Irische See und dann einen großen TeilSchottlands zu überqueren. Die Taxifahrt vom Flug-hafen kostete Robie weitere fünfzehn Minuten seinesLebens. Er stieg nicht im Balmoral Hotel oder dem Scots-man ab oder nutzte eine der anderen illustren Über-nachtungsmöglichkeiten der traditionsreichen Stadt,stattdessen bezog er ein Zimmer im dritten Stock einesGebäudes mit schmutziger Fassade, das einen neunmi-nütigen Weg von der Innenstadt den Berg hinauf erfor-derte.

Robie erhielt seinen Schlüssel und bezahlte die Über-nachtung in bar. Er trug seine kleine Tasche selbst nachoben und setzte sich aufs Bett. Quietschend gab dieMatratze unter seinem Gewicht beinahe zehn Zentime-ter nach.

Für einen so niedrigen Preis bekam man eben nurein zu weiches, protestierendes Bett.

Robie war eins dreiundachtzig groß und wog neun-zig Kilo. Seine langen, sehnigen Muskeln waren mehr

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für Ausdauer und Schnelligkeit als für explosive Kraft-entfaltung geschaffen. Einmal hatte er sich die Nase ge-brochen. Es war seine eigene Schuld gewesen, deshalbhatte er sie nie richten lassen. Er wollte immer an die-sen Fehler erinnert werden. Einer seiner Backenzähnewar falsch. Das war zusammen mit der gebrochenenNase passiert. Sein Haar war schwarz, voll und kurz,aber immer noch anderthalb Zentimeter länger als derHaarschnitt eines US-Marines. Seine Gesichtszüge wa-ren scharf und kantig, aber Robie sorgte dafür, dassniemand sie sich genau einprägte, indem er grundsätz-lich Blickkontakt vermied.

Ein Arm und der Rücken wiesen Tätowierungen auf.Eine stellte den Zahn eines weißen Hais dar. Die an-dere war ein roter Strich, der wie ein flammender Blitzaussah. Sie verhüllten alte, schlecht verheilte Narben.Für Robie hatten sie eine besondere Bedeutung. Die be-schädigte Haut war für den Tätowierer eine echte He-rausforderung gewesen, aber das Ergebnis war zufrie-denstellend.

Robie war neununddreißig Jahre alt. Morgen würdeer seinen vierzigsten Geburtstag begehen. Aber er warnicht nach Schottland gekommen, um diesen privatenMeilenstein zu feiern. Er war hier, um zu arbeiten. Vonden dreihundertfünfundsechzig Tagen eines jeden Jah-res reiste und arbeitete er ungefähr die Hälfte.

Robie ließ den Blick durchs Zimmer schweifen. Eswar klein, schmucklos und wies eine strategische Lageauf. Er stellte keine großen Ansprüche. Will Robie hattenur wenige Besitztümer und noch weniger Bedürfnisse.

Er stand auf, trat ans Fenster und drückte das Ge-sicht gegen die kühle Scheibe. Der Himmel war düster,wie oft in Schottland. In Edinburgh begrüßte man einenSonnentag dankbar und voller Erstaunen.

Links erhob sich der Holyrood Palace, die offizielleResidenz der Queen in Schottland. Von seinem Stand-ort konnte Robie ihn nicht sehen. Weit zu seiner Rech-

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ten ragte Edinburgh Castle auf. Auch dieses alte, ver-witterte Gemäuer lag außerhalb seines Blickfelds, aberRobie wusste genau, wo es sich befand.

Er warf einen Blick auf die Uhr.Noch acht Stunden.

* * *

Seine innere Uhr weckte ihn Stunden später. Er verließdas Zimmer, stieg zur Princes Street hinauf und pas-sierte das majestätische Balmoral Hotel, das den Mit-telpunkt der City markierte.

Er bestellte eine leichte Mahlzeit und trank Lei-tungswasser, ignorierte die große Auswahl an Stout-Bieren, die das Schild über der Bar anbot. Beim Essenbeobachtete er einen Straßenkünstler, der auf einemEinrad mit Fleischermessern jonglierte, während erdie Zuschauer mit witzigen, in übertriebenem schot-tischem Akzent vorgetragenen Geschichten unterhielt.Dann war da noch ein Mann in der Verkleidung des Un-sichtbaren, der für zwei Pfund das Stück Fotos von Pas-santen schoss.

Nach dem Essen ging Robie in gemütlichem Tempoin Richtung Edinburgh Castle. Er sah es in der Ferne vorsich. Die Anlage war groß und beeindruckend. Manhatte sie in ihrer langen Geschichte nie mit Gewalt er-obern können, nur mit List.

Robie stieg in der Burg ganz nach oben und blickteüber die im Zwielicht liegende schottische Hauptstadthinweg. Dabei strich er über eine Kanone, die nie wie-der einen Schuss abgeben würde. Dann wandte ersich nach links und nahm die Weite des Meeres insich auf, das Edinburgh bereits vor Jahrhunderten zueinem wichtigen Hafen gemacht hatte, in dem ununter-brochen Schiffe anlegten und ihre Fracht entluden, umdann mit neuer Ladung wieder in See zu stechen.

Robie streckte sich und spürte ein Knirschen in derlinken Schulter.

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Vierzig Jahre.Morgen.Aber zuerst musste er den heutigen Tag überleben.Wieder ein Blick auf die Uhr.Noch drei Stunden.Er verließ die Burg und betrat eine Seitenstraße. Un-

ter der Markise eines Cafés wartete er einen heftigenkalten Regenschauer ab und trank eine Tasse Kaffee.

Später passierte er ein Schild für die Geistertour Un-derground Edinburgh »nur für Erwachsene«, die erstnach Einbruch der Dunkelheit begann. Es war fast soweit. Robie hatte sich jeden Schritt, jede Bewegung ge-nau eingeprägt, um zu überleben.

Wie immer musste er darauf vertrauen, dass dasreichte.

Will Robie wollte nicht in Edinburgh sterben.Kurz darauf ging er an einem Mann vorbei, der ihm

zunickte. Es war eine kaum merkliche Kopfbewegung,dann war der Mann verschwunden. Robie betrat denEingang, den der andere freigegeben hatte. Er schlossdie Tür, verriegelte sie und bewegte sich mit schnellenSchritten weiter. Seine Schuhe hatten Gummisohlen,sodass sie auf dem Steinboden keinen Laut verursach-ten. Nach zwanzig Metern fiel sein Blick auf eine Türrechts von ihm. Die nahm er. An einem Haken hing einalter Mönchsumhang mit Kapuze. Er legte ihn sich um,schlug die Kapuze hoch. Noch andere Dinge lagen fürihn bereit. Alle zwingend erforderlich.

Handschuhe.Eine Nachtsichtbrille.Ein Rekorder.Eine Pistole des Fabrikats Glock mit angebrachtem

Schalldämpfer.Und ein Messer.Robie wartete, sah alle fünf Minuten auf die Uhr. Auf

die Sekunde genau lief sie mit der Uhr eines anderenMannes synchron.

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Robie öffnete eine weitere Tür, trat hindurch. DerBoden fiel schräg ab. Er kam zu einem Bodengitter,stemmte es in die Höhe und kletterte flink an mehre-ren im Stein verankerten Eisensprossen in die Tiefe.Lautlos setzte er den Fuß auf den Boden, wandte sichnach links und zählte die Schritte. Über ihm erhob sichdie Burg. Zumindest der neue Teil.

Er befand sich nun im Untergrund von Edinburgh,dem Schauplatz der Geistertouren. Unter South Bridgeund Teilen des alten Edinburgh gab es Grüfte. Robie eiltedie dunklen gemauerten Gänge entlang. Das Nacht-sichtgerät zeigte ihm jede Einzelheit in kontrastreicherSchärfe. In halbwegs regelmäßigen Abständen war elek-trische Beleuchtung angebracht. Trotzdem war es hierunten ziemlich dunkel.

Er konnte beinahe die Stimmen der Toten hören.Hiesigen Legenden zufolge hatte die Pest um 1600 vorallem die armen Stadtteile wie Mary King’s Close heim-gesucht. Angeblich hatte man Tote für immer einge-mauert, um die Ausbreitung der Seuche zu verhindern.Robie hatte keine Ahnung, ob das stimmte oder nicht,aber es hätte ihn nicht überrascht. So reagierte die Zi-vilisation manchmal auf Bedrohungen, ob echt odereingebildet. Sie errichtete eine Mauer und schnitt dieanderen ab. Wir gegen sie. Der Stärkere überlebte. Dustirbst, damit ich lebe.

Wieder ein Blick auf die Uhr.Noch zehn Minuten.Robie ging langsamer, passte seinen Schritt an, da-

mit er Sekunden vor dem von ihm erwarteten Zeit-punkt eintraf. Für alle Fälle.

Er hörte sie, bevor er sie sah.Sie waren zu fünft, der Fremdenführer nicht einge-

rechnet. Der Mann und die Leute, mit denen er sichumgab.

Sie würden bewaffnet sein. Bereit. Die Leute, mitdenen er sich umgab, würden diesen Ort als perfekte

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Stelle für einen Anschlag betrachten und entsprechendwachsam sein.

Zu Recht.Es war dumm von dem Mann gewesen, hier runter-

zusteigen.Der Köder hatte besonders verlockend sein müssen.Und das war er.Verlockend, aber völliger Blödsinn. Genauer gesagt

gab es ihn gar nicht. Dennoch war der Mann gekom-men, weil er es nicht besser wusste. Was Robie auf dieFrage brachte, wie gefährlich der Bursche wirklich war.Aber diese Einschätzung war nicht sein Problem.

Noch vier Minuten.

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K A P I T E L 2

Robie trat um die letzte Biegung. Der Fremdenführertrug seinen auswendig gelernten Vortrag mit geheim-nisvoller, geisterhafter Stimme vor. Melodramatisch ver-kauft sich gut, dachte Robie. Tatsächlich war die Einzigar-tigkeit dieser Stimme für den Plan von entscheidenderBedeutung.

Voraus bog der Weg im rechten Winkel ab. Dort ent-lang ging auch die Tour.

Genau wie Robie, nur aus der anderen Richtung.Das Timing ließ nicht den geringsten Freiraum für

einen noch so kleinen Fehler.Robie zählte die Schritte. Er wusste, dass der Frem-

denführer das Gleiche tat. Sie hatten sogar die Längeihrer Schritte geübt, damit sie perfekt übereinstimm-ten. Sieben Sekunden später kam der Fremdenführer,der die gleiche Größe und Statur besaß wie Robie undeinen identischen Umhang trug, nur fünf Schritte vorder Gruppe um die Ecke. In der Hand hielt er eine Ta-schenlampe. Das war das Einzige, was Robie nicht nach-ahmen konnte: Aus offensichtlichen Gründen mussteer beide Hände frei haben.

Der Fremdenführer wandte sich nach links und ver-schwand in einer Felsspalte, die in einen anderenRaum mit einem anderen Ausgang führte.

Noch während Robie beobachtete, drehte er sich umund wandte der Gruppe, die Augenblicke später um dieEcke bog, den Rücken zu. Eine Hand glitt zum Rekorder

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an seinem Gürtel unter dem Umhang und stellte ihnan. Die dramatische Stimme des Fremdenführers er-klang wieder. Er erzählte die Geschichte weiter, die eran der Abzweigung unterbrochen hatte.

Es gefiel Robie nicht, anderen den Rücken zuzuwen-den, ganz und gar nicht, aber anders funktionierte derPlan nicht. Die Männer hatten Lampen dabei. Sie wür-den sehen, dass er nicht der Fremdenführer war. Dasser nicht der Sprecher war. Dass er eine Nachtsichtbrilletrug.

Die Stimme dröhnte weiter.Robie setzte sich in Bewegung. Er verringerte das

Tempo. Sie holten zu ihm auf. Das Licht ihrer Lampenglitt über seinen Rücken. Er hörte ihre Atemzüge. Rochsie. Schweiß, Eau de Cologne, den Knoblauch ihrerMahlzeit. Ihrer letzten Mahlzeit auf Erden.

Oder meine. Je nachdem, wie das hier ausgeht.Es war Zeit.Robie drehte sich um.Ein tiefer Messerstich schaltete den Mann an der

Spitze aus. Er fiel zu Boden, während er versuchte,seine Eingeweide im Körperinnern zu halten. Demzweiten Mann schoss Robie ins Gesicht. Wegen desSchalldämpfers schlug die Kugel mit einem Geräuschein, das sich wie ein harter Schlag anhörte. Er halltevon den Steinwänden wider und vermischte sich mitden Schreien des Sterbenden.

Die anderen reagierten sofort. Aber sie waren keineechten Profis. Sie waren Aasgeier, deren Beute dieSchwachen waren, die sich nicht wehren konnten. FürRobie traf beides nicht zu.

Drei von den Männern standen noch, aber nur zweiwürden Schwierigkeiten machen.

Robie schleuderte das Messer. Es bohrte sich in dieBrust des dritten Gegners und schnitt sein Herz fast inzwei Hälften. Der Mann hinter ihm feuerte, als seinKumpan zu Boden ging, aber Robie war bereits in Bewe-

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gung und benutzte den dritten Mann als Schild. DieKugel traf die Felswand. Ein Teil von ihr blieb darinstecken, ein anderer Teil bohrte sich als Querschlägerin die gegenüberliegende Wand. Der Schütze drückteein zweites Mal ab, ein drittes Mal, verfehlte aber seinZiel, weil sein Adrenalinspiegel in die Höhe geschnelltwar und seine Feinmotorik aus dem Gleichgewichtbrachte. Er feuerte beinahe verzweifelt um sich, leertedas gesamte Magazin. Kugeln prallten vom hartenStein ab. Ein Querschläger traf den Mann an der Spitzein den Kopf. Er tötete ihn nicht, weil er bereits verblutetwar und die Toten kein zweites Mal sterben konnten.Der fünfte Mann hatte sich zu Boden geworfen undschützte seinen Kopf mit beiden Händen.

Robie hatte alles gesehen. Er ließ sich zu Boden fal-len und feuerte einen Schuss in die Stirn von MannNummer vier. Diese Bezeichnungen hatte er ihnen ge-geben. Nummern. Gesichtslos. So waren sie leichter zutöten.

Blieb nur noch Nummer fünf.Nummer fünf war der einzige Grund, aus dem Will

Robie heute nach Edinburgh geflogen war. Die anderenwaren nur ein Kollateralschaden. Im großen Plan warihr Tod völlig bedeutungslos.

Nummer fünf stand auf und wich zurück, als Robieauf die Füße kam. Fünf trug keine Waffe. Er hatte sie fürunnötig befunden. Waffen waren unter seiner Würde.Zweifellos bereute er nun diese Einschätzung.

Er betete. Er flehte. Er würde bezahlen. Eine Wahn-sinnssumme. Als sich die Mündung auf ihn richtete,ging er zu Drohungen über. Wie wichtig er sei. Wiemächtig seine Freunde seien. Was er mit Robie anstel-len würde. Wie Robie leiden würde. Robie und seineganze Familie.

Robie hörte gar nicht hin. Das alles hatte er zuvorschon gehört.

Er drückte zweimal ab.

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Eine Kugel in die rechte Hirnhälfte, die andere in dielinke. Das war immer tödlich.

Auch heute Abend.Nummer fünf küsste den Steinboden und schleu-

derte Robie mit dem letzten Atemzug einen Fluch ent-gegen, den keiner der Männer mehr hörte.

Robie wandte sich ab und schob sich in dieselbeSpalte, die der Fremdenführer benutzt hatte.

Schottland hatte ihn nicht umgebracht.Dafür war er dankbar.

* * *

Robie schlief friedlich, nachdem er fünf Männer getötethatte.

Er wachte um sechs Uhr auf und frühstückte ineinem Café um die Ecke des Hotels. Später ging er zuFuß zur Waverly Station direkt neben dem BalmoralHotel und stieg in einen Zug nach London. Vier Stun-den später traf er in der King’s Cross Station ein undnahm ein Taxi nach Heathrow. Flug 777 der British Air-ways hob später an diesem Nachmittag ab. Dank schwa-chem Gegenwind landete die Maschine nur siebenStunden später auf dem Dulles Airport.

In Schottland war es bewölkt und kühl gewesen. InVirginia war es heiß und trocken, obwohl die Sonneschon tief stand. In der Hitze des Tages hatten sich Wol-ken gebildet, aber es würde kein Unwetter geben, weiles auch keine Feuchtigkeit gab. Es waren bloß Drohge-bärden von Mutter Natur.

Vor dem Terminal wartete ein Wagen auf Robie. Aufdem Plakat stand kein Name.

Der Wagen war ein schwarzer SUV.Regierungskennzeichen.Robie stieg ein, legte den Sicherheitsgurt an und

nahm die Ausgabe der Washington Post vom Sitz. Er gabdem Fahrer keine Anweisungen. Der Mann wusste auchso, wohin er musste.

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Der Verkehr auf der gebührenpflichtigen Dulles TollRoad war überraschend spärlich.

Robies Handy vibrierte. Er blickte auf das Display.Da stand nur ein Wort: Glückwunsch.Er steckte das Handy zurück in die Jackentasche.Seiner Meinung nach war »Glückwunsch« das fal-

sche Wort. »Gratuliere« ebenfalls. Auch »Danke« passtenicht. Robie wusste selbst nicht, wie das richtige Wortlautete, wenn man seine Anerkennung über die Er-mordung von fünf Menschen zum Ausdruck bringenwollte.

Vielleicht gab es ein solches Wort gar nicht. Viel-leicht reichte Schweigen.

Die Fahrt endete vor einem Gebäude abseits derChain Bridge Road im Norden von Virginia. Eine Nach-besprechung würde es nicht geben. Es war besser, keineAufzeichnungen zu hinterlassen. Im Fall einer Unter-suchung konnte man einen nicht existierenden Berichtauch nicht entdecken.

Andererseits hatte Robie keine offizielle Deckung,falls die Dinge schiefgingen, aber damit musste er leben.

Er begab sich zu einem Büro, in dem er zwar nichtoffiziell angestellt war, das er aber manchmal be-nutzte. Trotz der späten Stunde wurde hier gearbeitet.Die Angestellten sprachen Robie nicht an. Sie warfenihm nicht einmal einen Blick zu. Er wusste, dass siekeine Ahnung hatten, was er tat, aber sie zogen es ver-nünftigerweise vor, keinen Kontakt mit ihm zu suchen.

Er setzte sich an den Schreibtisch, zog die Tastaturdes Computers zu sich heran, verschickte ein paarE-Mails und blickte aus einem Fenster, das in Wirklich-keit gar kein Fenster war. Es war bloß ein Kasten mit si-muliertem Sonnenlicht, weil ein echtes Fenster eineÖffnung war, durch die andere einsteigen konnten.

Eine Stunde später betrat ein pummeliger Mann mitkäsiger Hautfarbe in einem zerknitterten Anzug dasBüro. Sie grüßten einander nicht. Pummel legte einen

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USB-Stick vor Robie auf den Tisch. Dann machte er aufdem Absatz kehrt und verschwand wieder. Robie blickteauf den silbrig schimmernden Gegenstand. Der nächsteAuftrag war bereits vorbereitet. In den letzten Jahrenhatte sich der zeitliche Abstand zwischen den Jobs deut-lich verringert.

Robie steckte den USB-Stick ein und ging. Dieses Malfuhr er selbst in einem Audi, der auf seinem Platz ineiner angrenzenden Garage gestanden hatte. Er genossdas Gefühl der Behaglichkeit, als er sich auf den Fah-rersitz gleiten ließ. Der Audi gehörte ihm, nun schonseit fast vier Jahren. Er fuhr ihn durch die Sicherheits-kontrolle. Auch der Posten würdigte ihn keines Blickes.

Der Unsichtbare in Edinburgh. Robie wusste genau,wie sich das anfühlte.

Auf der Straße schaltete er höher und gab Gas.Wieder vibrierte das Handy. Er warf einen Blick auf

das Display.Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.Robie lächelte nicht, verzog keine Miene. Er warf das

Handy auf den Beifahrersitz und trat das Gaspedaldurch.

Es würde weder Kuchen geben noch Kerzen.Auf der Fahrt dachte Robie an den unterirdischen

Tunnel in Edinburgh. Vier der toten Männer warenBodyguards gewesen. Harte, gnadenlose Männer, die inden letzten fünf Jahren mindestens fünfzig Menschenermordet hatten, darunter auch Kinder. Der fünfteMann mit den beiden Kugeln im Gehirn war CarlosRivera. Er handelte mit Heroin und zwang junge Men-schen zur Prostitution. Rivera war stinkreich gewesenund hatte vorgeblich in Schottland Urlaub gemacht.Tatsächlich hatte er sich mit einem Zar der Russen-mafia in Edinburgh treffen wollen, um ihre Geschäfts-interessen zu vereinigen. Auch Kriminelle globalisier-ten gern.

Robie hatte den Befehl erhalten, Rivera zu töten.

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Doch der Grund dafür waren weder der Menschenhan-del noch der Drogenschmuggel gewesen. Rivera hattesterben müssen, weil die Vereinigten Staaten erfah-ren hatten, dass er mithilfe mehrerer hochrangiger Ge-neräle der mexikanischen Armee einen Staatsstreichplante. Die neue Regierung wäre allerdings kein FreundAmerikas gewesen, also durfte man das nicht zulas-sen. Das Treffen mit dem Russen war eine Falle ge-wesen, der Köder. Es gab weder einen Zaren noch einTreffen. Die verbrecherischen mexikanischen Generälewaren ebenfalls tot, ausgeschaltet von Männern wieRobie.

Nachdem Robie zu Hause angekommen war, spa-zierte er zwei Stunden lang durch die dunklen Straßen.Er ging hinunter zum Fluss und beobachtete die Auto-scheinwerfer, die auf der Virginia-Seite die Nacht durch-schnitten. Ein Patrouillenboot der Polizei glitt über dieruhige Oberfläche des Potomac.

Er blickte hinauf zum mondlosen Himmel, eineTorte ohne Kerzen.

Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.

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K A P I T E L 3

Drei Uhr morgens.Will Robie war seit zwei Stunden wach. Die Mission

auf dem USB-Stick, den er erhalten hatte, würde eineReise erforderlich machen, die noch länger war als dieReise nach Edinburgh. Auch diesmal war das Ziel eingut beschützter Mann mit mehr Geld als Moral.

Robie arbeitete seit nunmehr fast einem Monat andieser Aufgabe. Zahllose Details mussten berücksich-tigt werden, und der Spielraum für Fehler war noch ge-ringer als bei Rivera. Die Vorbereitungen waren strapa-ziös und hatten ihren Tribut gefordert. Robie konntenicht schlafen und aß nur sehr wenig.

Aber jetzt versuchte er sich zu entspannen. Er saß inder kleinen Küche seines Apartments. Die Wohnungbefand sich in einer gut situierten Gegend mit prächti-gen Häusern. Robies Gebäude gehörte allerdings nichtdazu. Es war alt und zweckmäßig, und es gab lauteRohrleitungen und seltsame Gerüche, ganz zu schwei-gen von den geschmacklosen Teppichen. Die Mieterwaren völlig unterschiedlich und schufteten schwer;die meisten standen am Anfang ihres Erwachsenenda-seins. Sie brachen in aller Herrgottsfrühe auf, um anihre Arbeitsplätze in den Anwaltskanzleien, Buchhal-tungsfirmen und Investmentkonzernen zu kommen,die über die ganze Stadt verteilt waren.

Manche von ihnen benutzten öffentliche Verkehrs-mittel, die U-Bahn oder den Bus, andere fuhren auf dem

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Fahrrad oder gingen sogar zu Fuß zu den großen Re-gierungsgebäuden des FBI, der IRS und der US-Noten-bank.

Robie kannte keinen der anderen Mieter, obwohl erjedem von ihnen hin und wieder begegnete. Man hatteihn über sie alle informiert. Sie interessierten sich nurfür ihre Karrieren und blieben für sich.

Genau wie Robie. Er bereitete sich auf den nächstenAuftrag vor. Brütete über den Einzelheiten, weil er nurso überleben konnte.

Er stand auf und schaute aus dem Fenster auf dieStraße hinunter, wo gerade ein einzelnes Auto vorbei-fuhr. Seit einem Dutzend Jahren bereiste er nun dieWelt. Und wohin er auch fuhr, starb jemand. Er konntesich nicht mehr an die Namen der Leute erinnern, de-ren Leben er beendet hatte. Sie waren ihm egal, wenner sie tötete, und sie waren ihm auch jetzt egal.

Shane Connors, Robies Vorgänger in diesem Job,hatte fast dreißig Prozent mehr Ziele eliminiert alsRobie in der gleichen Zeit. Connors war ihm ein guter,verlässlicher Mentor gewesen. Nach seiner »Pensionie-rung« hatte man Connors einen Schreibtischjob zuge-teilt. In den vergangenen fünf Jahren hatte Robie kaumnoch Kontakt zu ihm gehabt. Aber es gab nur wenigeMänner, die er mehr respektierte. Der Gedanke an Con-nors ließ Robie über die eigene Pensionierung grübeln.In nur wenigen Jahren würde sie unweigerlich kommen.

Falls ich so lange lebe.Robies Tätigkeitsfeld war etwas für junge Männer.

Mit vierzig würde er es keine weiteren zehn Jahreschaffen. Seine Fähigkeiten würden zu sehr nachlas-sen. Irgendwann, irgendwo würde eines seiner Zielebesser sein als er, und dann würde er sterben.

Robies Gedanken schweiften wieder zu Shane Con-nors, wie er hinter seinem Schreibtisch saß. Für Robiewar auch das eine Art Tod, nur trug er einen anderenNamen.

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Er ging zur Wohnungstür und legte das Auge an denSpion. Obwohl er keinen seiner Nachbarn persönlichkannte, bedeutete das nicht, dass er keine Neugier ver-spürte. Tatsächlich war er sogar sehr neugierig, was dieanderen betraf. Die Erklärung dafür war einfach: IhrLeben war normal.

Seines nicht.Sie dabei zu beobachten, wie sie ihrem alltäglichen

Leben nachgingen, war für Robie die einzige Möglich-keit, nicht den Bezug zur Realität zu verlieren.

Er hatte sogar daran gedacht, einige von ihnen nä-her kennenzulernen. Das wäre eine gute Tarnung fürihn – der Versuch, sich anzupassen. Obendrein würdees ihm helfen, sich auf den Tag vorzubereiten, an demer nicht mehr tun würde, was er jetzt tat, und ein halb-wegs normales Leben führte.

Vielleicht.Vielleicht auch nicht.Seine Gedanken wandten sich wieder der bevorste-

henden Mission zu, so wie immer. Wie jedes Mal. Un-weigerlich.

Es würde schwierig sein. Er konnte draufgehen. Aberdas kannte er nicht anders. Das war immer so.

Er führte ein seltsames Leben, das war ihm klar.Aber es war sein Leben.

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K A P I T E L 4

An diesem Tag machte die Costa del Sol ihrem Namenalle Ehre.

Robie trug einen strohfarbenen Hut mit schma-ler Krempe, ein weißes T-Shirt, eine blaue Jacke, ver-blichene Jeans und Sandalen. Sein gebräuntes Gesichtzierte ein Dreitagebart. Er war in den Ferien oder sahzumindest so aus.

Er bestieg die große, wuchtige Fähre, die die Straßevon Gibraltar überqueren würde. Ein Blick zurückzeigte ihm noch einmal die schroffen Berge, die sich ander beeindruckenden spanischen Küste erhoben. DerKontrast, den die steilen Felsen zum blauen Mittelmeerbildeten, war faszinierend. Robie bewunderte den An-blick ein paar Sekunden lang und wandte sich dann ab.

Er hatte das Bild fast schon wieder vergessen. Es gabandere Dinge, die ihn beschäftigten.

Das Ziel der Schnellfähre war Marokko. Sie schau-kelte wie ein Metronom, als sie den Hafen von Tarifaverließ, um nach Tanger zu kommen. Sobald sie an Ge-schwindigkeit gewonnen und das offene Meer erreichthatte, wurde die Fahrt ruhiger. Der Bauch der Fährewar mit Autos, Bussen und Sattelschleppern gefüllt.Der Rest war mit Passagieren vollgestopft, die etwasaßen, sich in der Spielhalle mit Videospielen die Zeitvertrieben oder sich mit zollfreien Zigaretten und Par-füm eindeckten.

Robie nahm seinen Platz ein und bewunderte den

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Ausblick oder tat zumindest so. Die Meerenge war zehnMeilen breit, und die Fahrt würde nur ungefähr vierzigMinuten dauern. Das war nicht viel, um in Ruhe nach-zudenken. Robie verbrachte die Zeit damit, abwech-selnd die Fluten des Mittelmeers und die anderen Pas-sagiere zu betrachten. In der Hauptsache handelte essich um Touristen, die sich unbedingt damit brüstenwollten, in Afrika gewesen zu sein, aber Robie wusste,dass Marokko sich sehr von dem Bild unterschied, dasdie meisten Leute von Afrika hatten.

In Tanger stieg er von der Fähre. Busse, Taxis undFremdenführer warteten auf die Meute. Robie miedsie alle und verließ den Hafen zu Fuß. Augenblicklichwurde er von Straßenhändlern, Bettlern und Ladenbe-sitzern belagert. Kinder zerrten an seiner Jacke undbettelten um Geld. Robie richtete den Blick zu Bodenund ging weiter.

Er überquerte den lärmenden, geschäftigen Ge-würzmarkt. An einer Ecke wäre er beinahe auf eine äl-tere Frau getreten, die offenbar eingeschlafen war, alssie ein paar Laibe Brot zum Verkauf anbot. Was für einScheißleben. Wahrscheinlich bestand es nur aus dieserEcke und ein paar Laiben Brot, die an den Mann ge-bracht werden mussten. Ihre Kleidung war schmutzig,genau wie ihre Haut. Sie war mollig und weich undwirkte dennoch unterernährt, wie es häufig zu beob-achten ist.

Robie beugte sich vor und drückte ihr ein paarMünzen in die Hand. Ihre verkrümmten Finger schlos-sen sich darum, und sie bedankte sich bei ihm in ih-rer Sprache. Robie antwortete in seiner Sprache: »KeineUrsache.« Irgendwie verstanden beide, worum es ging.

Robie setzte seinen Weg fort und schritt schnelleraus, nahm die Stufen, an die er gelangte, immer zweioder drei auf einmal. Er kam an Schlangenbeschwö-rern vorbei, die sonnenverbrannten Touristen exotischbunte Schlangen mit gezogenen Zähnen um die Hälse

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legten. Dann weigerten sie sich, die Reptilien wiederwegzunehmen, ehe man ihnen fünf Euro in die Handgedrückt hatte.

Eine nette Gaunerei, überlegte Robie, wenn man dasGeld bekommt.

Sein Ziel war ein Zimmer über einem Restaurant,das echte lokale Küche versprach. Natürlich handeltees sich um eine Touristenfalle. Das Essen war gewöhn-lich, das Bier warm, die Bedienung desinteressiert. DieBusfahrer schleppten ahnungslose Leute hierher undmachten sich dann aus dem Staub, um anderswo einesehr viel bessere Mahlzeit zu bekommen.

Robie stieg eine Treppe hinauf, öffnete das Tür-schloss mit dem Schlüssel, den man ihm zuvor gege-ben hatte, und schloss die Tür hinter sich. Er blicktesich um. Bett, Stuhl, Fenster. Mehr brauchte er nicht.

Den USB-Stick hatte er schon vor langer Zeit ver-nichtet. Der Plan stand fest. Alles, jede Bewegung, warin den Vereinigten Staaten in einer Kulisse geübt wor-den, die eine genaue Nachbildung des Ziels darstellte.Jetzt kam der schwierigste Teil. Das Warten.

Er setzte sich aufs Bett, rieb sich den Nacken, lo-ckerte die von der langen Reise in Flugzeug und Schiffverspannten Muskeln.

Dieses Mal war das Ziel kein Idiot wie Rivera, son-dern ein misstrauischer Zeitgenosse, der sich mitProfis umgab, die nicht wild drauflosballern würden.Diese Zielperson zu liquidieren würde schwierigersein.

Robie hatte nichts aus Spanien mitgebracht, weil erdurch die Zollkontrolle gemusst hatte, um auf dieFähre zu können. Hätte die spanische Polizei eine Pis-tole gefunden, wäre das mehr als ein Problem gewesen.Aber alles, was er brauchte, war in Tanger.

Er zog die Jacke aus, legte sich aufs Bett und ließ zu,dass die von außen eindringende Hitze ihn schläfrigmachte. Er schloss die Augen in dem Wissen, sie in vier

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Stunden wieder zu öffnen. Der Straßenlärm verebbte,als er einnickte.

Als er erwachte, waren fast vier Stunden vergangenund der heißeste Teil des Tages angebrochen. Er wischtesich den Schweiß vom Gesicht, trat ans Fenster und ver-folgte, wie vier Touristenbusse durch Straßen navigier-ten, die nicht für so große oder unhandliche Fahrzeugegebaut worden waren. Auf den Bürgersteigen wimmeltees von Menschen, Einheimischen und Besuchern.

Nach einer weiteren Stunde verließ Robie das Zim-mer. Auf der Straße wandte er sich nach Osten undschlug ein zügiges Tempo ein. In wenigen Sekundenwar er im Gewühl der Altstadt untergetaucht. Er würdedie benötigte Ausrüstung besorgen, nichts anderes.Alle Gegenstände waren nur für die Mission vorgese-hen. Robie war in siebenunddreißig Länder gereist undhatte kein einziges Souvenir gekauft.

Sieben Stunden später war es ziemlich dunkel. Ro-bie näherte sich der großen, zweckmäßigen Anlagevon Westen. Auf dem Rücken trug er einen Kasten undeinen Rucksack mit Trinkwasser, einem Gefäß zumReinpinkeln und Verpflegung. Es war nicht vorgesehen,dass er diesen Ort in den nächsten drei Tagen verließ.

Er blickte sich um, konzentrierte sich auf die Ge-rüche des Dritte-Welt-Landes. Die Luft schien Regenanzukündigen, aber der würde ihn nicht behindern.Die Mission fand drinnen statt.

Robie schaute auf die Uhr und hörte ihn näherkommen. Er duckte sich hinter ein paar Fässer. DerLastwagen fuhr an ihm vorbei und hielt ein Stück wei-ter. Robie näherte sich von hinten. Drei Schritte spä-ter lag er unter dem Fahrzeug und klammerte sich anMetallvorsprüngen fest, die aus dem Unterboden rag-ten. Der Laster fuhr wieder los, hielt dann noch einmal.Ein langgezogenes Knirschen von Metall auf Metall er-tönte. Mit einem Ruck, der um ein Haar Robies Griff ge-sprengt hätte, fuhr das Fahrzeug wieder an.

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Fünfzehn Meter weiter hielt der Lastwagen erneut.Die Türen öffneten sich, Füße berührten den Boden,die Türen schlugen zu. Schritte eilten davon. Wiederdas Knirschen. Riegel schnappten zu. Dann Stille. Nurdie Schritte der Patrouille waren zu hören, die für dienächsten drei Tage rund um die Uhr präsent sein würde.

Robie passte es so ab, dass er sich in dem Momentunter dem Lastwagen hervorrollte und ins Gebäudehuschte, als das Knirschen verstummte. Robie hattenur diese eine Chance gehabt, ins Gebäude einzu-dringen.

Mission erfüllt. Zumindest dieser Teil.Jetzt kam der Wettlauf gegen die Uhr.Er rannte los. Der harte Kasten schlug im Takt seiner

Schritte gegen seinen Rücken.Robie erreichte die andere Seite, griff nach dem Trä-

ger, zog sich Hand über Hand zu der ausgesuchtenStelle. Er schwang nach links, dann nach rechts undsprang.

Nahezu lautlos landete er auf dem Metall undhuschte zu einer fünfundzwanzig Meter entferntenStelle in einer der dunkelsten Ecken des Gebäudes.

Er erreichte sie mit genau fünf Sekunden Vorsprung.Die Beleuchtung erlosch, der Alarm schaltete sich

ein. Augenblicklich füllte sich der Raum mit einem Git-ter aus Strahlen, die für das menschliche Auge unsicht-bar waren. Berührten sie etwas, und sei es nur flüchtig,schrillten die Sirenen los. Eindringlinge würde man aufder Stelle hinrichten. Das hier war so ein Ort.

Robie drehte sich auf den Rücken und wandte dasGesicht der Decke zu.

Noch drei Tage. Zweiundsiebzig Stunden.Manchmal hatte es den Anschein, als wäre sein Le-

ben ein ununterbrochener Countdown.

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Es war Zeit.Die Gebetsteppiche wurden hervorgeholt. Knie be-

rührten den Boden, und sämtliche Köpfe wandten sichnach Osten und senkten sich dann, um auf Kniehöhezu ruhen. Der vertraute Singsang ertönte.

Mekka lag zweitausendfünfhundert nautische Mei-len entfernt, mit dem Flugzeug ungefähr fünf Stun-den. Für die Männer auf den Teppichen aber lag es be-deutend näher.

Nachdem sie die Gebete gesprochen und die reli-giösen Pflichten erfüllt hatten, rollten sie die Teppichewieder zusammen und verstauten sie. Auch Allahwurde in den Hinterköpfen seiner Anhänger verstaut.

Zum Essen war es noch zu früh. Aber nicht zumTrinken.

In Tanger gab es Orte, da konnte man das, ob dieMoslems nun Abstinenzler waren oder nicht.

Die zwei Dutzend Männer besuchten einen solchenOrt. Sie gingen nicht zu Fuß. Sie fuhren in einem Kon-voi aus vier Hummern. Die Hummer waren nach ame-rikanischem Militärstandard gepanzert und würdensämtlichen Kugeln und den meisten Raketenangriffenwiderstehen können. Wie die Busse erschienen dieseFahrzeuge viel zu breit für die schmalen Straßen.

Der wichtigste Mann fuhr in dem dritten Hummer,in dem er vorn und hinten geschützt war. Sein Namelautete Khalid bin Talal. Er war ein saudischer Prinz,

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ein Vetter des Königs. Allein durch diese Verbindungbrachte man ihm in fast allen Ecken der moslemischenund christlichen Welt Achtung entgegen.

Er kam nicht oft nach Tanger. Heute Abend war eraus geschäftlichen Gründen hier. In den frühen Mor-genstunden würde er in seinem Privatjet abreisen, dergut hundert Millionen Dollar gekostet hatte. Für jedenNormalsterblichen war das eine ungeheure Summe,für Talal war es weniger als ein Prozent seines Reinver-mögens. Die Saudis waren im Allgemeinen enge Ver-bündete des Westens, insbesondere der Amerikaner.Zumindest in der Öffentlichkeit. Reibungsfreier Ölflusssorgte für gute Freundschaften. Die Welt bewegte sichschnell, und Männer aus einem kargen Wüstenlandkonnten sich Flugzeuge leisten, die neunstellige Sum-men kosteten.

Allerdings gehörte dieser saudische Prinz nicht zuden Freunden der USA. Talal hasste den Westen, vorallem Amerikaner, in aller Öffentlichkeit. Eine solchePosition gegen die letzte Supermacht der Welt einzu-nehmen war gefährlich.

Man verdächtigte Talal der Entführung, Folterungund Ermordung von vier US-Soldaten, die man aus ei-nem Club in London verschleppt hatte. Aber man hattenichts beweisen können, und der Prinz hatte keinerleiKonsequenzen tragen müssen. Außerdem wurde er ver-dächtigt, drei Terrorangriffe in zwei verschiedenen Län-dern finanziert zu haben, was zum Tod von über hun-dert Menschen geführt hatte, darunter ein DutzendAmerikaner. Aber auch das hatte man nicht beweisenkönnen, und so hatte es auch hier keinerlei Konsequen-zen gegeben.

Aber es hatte Talal auf eine Liste gebracht. Und derPreis für den Platz auf dieser Liste würde mit dem vol-len Segen der saudischen Führung kommen. Talal warzu ehrgeizig und zu lästig geworden, um weiterlebenzu dürfen.

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Die Leute, mit denen er sich treffen wollte, mochtenden Westen oder die Amerikaner auch nicht beson-ders. Sie und Talal hatten viel gemeinsam. Sie sehntensich nach einer Welt, die nicht vom Sternenbannerangeführt wurde. Auf der Zusammenkunft sollte be-sprochen werden, wie man eine solche Welt erschaffenkonnte. Das Gremium war ein sorgsam gehütetes Ge-heimnis.

Talal hatte den Fehler gemacht, dieses sorgsam ge-hütete Geheimnis zu lüften.

Man betrat den Club durch eine Stahltür mit einerTastatur. Talals Bodyguard, der an der Spitze ging,tippte den aus zehn Ziffern bestehenden Code ein, dertäglich gewechselt wurde. Die fünfzehn Zentimeterdicke, von einer Hydraulik bewegte Tür schloss sichhinter den Männern. An strategischen Punkten erho-ben sich Splitterschutzwände. Bewaffnete Wächter be-zogen Stellung. Diese Vorkehrungen boten höchste Si-cherheit für die wenigen Leute, die sie sich leistenkonnten.

Der Prinz und seine Gruppe nahmen an einem gro-ßen runden Tisch in einem mit einem Seil abgetrenn-ten Bereich Platz, der sich auf einer erhöhten Teakholz-plattform befand, von Vorhängen verhüllt. Der Blickdes Prinzen war ständig in Bewegung; er behielt dieUmgebung im Auge. Zwei Attentatsversuche hatte erüberlebt. Den ersten durch einen Vetter, den zweitendurch die Franzosen. Der Vetter war tot, genau wieFrankreichs bester Auftragskiller.

Talal vertraute niemandem. Ihm war völlig klar,dass die Amerikaner jetzt, wo ihre französischen Ver-bündeten versagt hatten, nicht weit sein würden. SeineBodyguards waren auf Herz und Nieren überprüft; siewaren eine loyale Gruppe, mit engen Bindungen un-tereinander, und duldeten keine Außenseiter. Weiße,Schwarze oder Hispanos kamen nicht einmal in dieNähe des inneren Kreises. Und Talal war bewaffnet. Er

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war ein guter Schütze. Seine verspiegelte Sonnenbrillebehielt er sogar in Räumen auf. Niemand vermochtezu sagen, in welche Richtung er blickte. Die Gläserwaren speziell präpariert. Ihr Vergrößerungsfaktor er-laubte es ihm, Dinge zu sehen, die dem bloßen Augeentgingen.

Aber im Hinterkopf hatte auch er keine Augen.Der livrierte Kellner näherte sich, brachte aber keine

Drinks, nur Servietten. Der Prinz hatte stets seine eige-nen Getränke und Gläser dabei. Schließlich hatte ernicht die Absicht, sich vergiften zu lassen. Er schenktesich einen Bombay Sapphire ein, gab einen Schuss To-nic hinzu, trank einen Schluck, ließ den Blick schwei-fen und war mit einem Teil seiner Gedanken mit derbevorstehenden Zusammenkunft beschäftigt.

Er war auf jede Eventualität vorbereitet.Nur nicht auf eine vergrößerte Prostata.Das war ein Ärgernis, das nicht einmal sein Reich-

tum bezwingen konnte. Schließlich konnte er nicht je-mand anderen für sich pinkeln gehen lassen.

Seine Männer vergewisserten sich, dass die Toilettefrei von Feinden und Sprengstoff und nur durch eineTür zugänglich war. Ein Mann säuberte Waschbecken,Toilette und Kabine mit einem antibakteriellen Spray.Königliche Milliardäre benutzten kein Urinal.

Talal betrat die gereinigte Kabine, schloss hinter sichdie Tür und verriegelte sie. Dazu benutzte er ein Ta-schentuch. Seinen Übermantel hatte er vorher ausge-zogen. Darunter trug er einen Maßanzug, der zehntau-send britische Pfund gekostet hatte. Er besaß fünfzigsolcher Anzüge und konnte sich nicht erinnern, wo siealle waren, da sie sich weit verstreut in seinen vielen,über die ganze Welt verteilten Besitzungen befanden.Nicht einmal als junger Mann war er mit einem Li-nienflugzeug geflogen. In jedem seiner Häuser befandsich ein ganzer Stab Bediensteter. Wenn er in Hotels ab-stieg, dann nur in den vornehmsten Häusern; er mie-

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tete ganze Etagen, damit er auf dem Weg zu seinen Räu-men keine gewöhnlichen Menschen ertragen musste.Überall wurde er mit einem Autokonvoi oder Hub-schrauber befördert. Leute wie er waren nicht den Un-bilden des Verkehrs ausgesetzt. Der Luxus seines Le-bens war unvorstellbar. Talal fand das vollkommen inOrdnung, denn nach seinen eigenen Maßstäben hatteer nicht die geringste Ähnlichkeit mit anderen mensch-lichen Wesen.

Ich bin wertvoller. Viel wertvoller.Trotzdem musste er wie jeder andere Mann, ob reich

oder arm, den Reißverschluss herunterziehen, um seinGeschäft zu erledigen. Er schaute auf die Wand vor sich,betrachtete die Graffiti und die schmutzigen Worte. An-geekelt blickte er weg. Der westliche Einfluss hattesolche Dinge an diesen Ort gebracht, davon war erüberzeugt. Im Westen konnten Frauen Autos steuern,wählen, außerhalb ihrer Häuser arbeiten und sich wieHuren anziehen. Die ganze Welt ging vor die Hunde.Selbst in seinem eigenen Land durften Frauen heutzu-tage wählen und andere Dinge tun, die nur Männernzustanden. Der König war wahnsinnig und, was nochviel schlimmer war, eine Marionette des Westens.

Talal betätigte die Spülung mit der Schuhspitze, zogden Reißverschluss der Hose zu und entriegelte dieTür. Während er sich die Hände wusch, betrachtete ersein Spiegelbild. Ein fünfzig Jahre alter Mann blickteihm entgegen; der Bart zeigte graue Strähnen, derBauch war dick. Er war mehr als zwölf Milliarden Dollarschwer, was ihn laut Forbes Magazine auf Platz einund-sechzig der reichsten Menschen der Welt katapultierte.Er hatte sein Ölgeld genommen und es mithilfe seinesguten geschäftlichen Riechers und seiner internationa-len Verbindungen in viele profitable Unternehmungengesteckt. Auf der Forbes-Liste stand er zwischen einemrussischen Oligarchen, der sich nach dem Fall der Sow-jetunion staatliche Vermögensposten mit Gangster-

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methoden für ein Butterbrot unter den Nagel gerissenhatte, und einem Technikgenie in den Zwanzigern, des-sen Unternehmen allerdings noch nie auch nur einenCent Gewinn gemacht hatte.

Talal verließ die Toilette und ging zurück zu seinemTisch, umgeben von seinen Bodyguards. Sie hatten dieDiamantenformation eingenommen. Diese Taktik hatteTalal dem amerikanischen Secret Service abgeschaut.In seinem Gefolge reiste sein Leibarzt, genau wie beimamerikanischen Präsidenten. Warum nicht den Stärks-ten nachahmen, lautete seine Devise.

In seiner Vorstellung war Talal genauso wichtig wieder amerikanische Präsident. Tatsächlich hätte er ihngern als Anführer der freien Welt ersetzt. Allerdingswürde die Welt bei weitem nicht so frei sein, wenn erdas Sagen hätte, angefangen bei den Frauen.

Nach den Drinks begaben sie sich zum Abendes-sen in ein Restaurant, das gemietet worden war, damitder Prinz in Ruhe essen konnte, ohne befürchten zumüssen, von Fremden gestört zu werden. Danach legteer wieder seinen Übermantel an und kehrte zu sei-nem Flugzeug zurück, das in einem sicheren Hangarauf dem hinteren Teil eines privaten Flugplatzes au-ßerhalb der Stadt stand. Die Hummer passierten dasoffene Tor des Hangars und hielten vor dem großen Jet.Wo die meisten Flugzeuge weiß lackiert waren, wardieses hier schwarz. Dem Prinzen gefiel diese Farbe. Erhielt sie für ein Symbol der Männlichkeit und derMacht, und sie vermittelte das deutliche Gefühl vonGefahr.

Genau wie er.Die Hangartore schlossen sich, bevor Talal aus dem

Wagen stieg, denn offene Tore hätten einem Scharf-schützen Ziele bieten können. Die Hangartore würdensich erst wieder öffnen, wenn der Jet startbereit war.

Talal stieg die Gangway hinauf und japste leicht, alser oben angelangt war. Die Zusammenkunft würde in

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diesem Flugzeug stattfinden – am Boden, nicht in derLuft. Sie würde eine Stunde dauern.

Und der Prinz würde das Sagen haben.Er war es gewöhnt, das Sagen zu haben.Aber nicht mehr lange.

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Am Fuß der Gangway standen zwei Wächter. Der Restder Wachmannschaft befand sich im Flugzeug undumgab den Mann, der bei jedem Angriff das Hauptzielsein würde. Die Kabinentür war verschlossen und ver-riegelt. Der Jet war wie eine Gruft. Eine sehr teure Gruft.Aber wie bei allen Grüften gab es Schwachpunkte.

Der Prinz saß an der Mitte des Tisches in der Kabine.Er hatte die Inneneinrichtung selbst entworfen. DasFlugzeug wies beinahe siebenhundertzwanzig Qua-dratmeter Marmor und exotisches Holz auf; es gabOrientteppiche und exquisite Gemälde und Skulpturenlängst verstorbener Künstler von Museumsqualität, dieer in 40.000 Fuß Höhe und bei einer Geschwindigkeitvon 500 Meilen die Stunde bewundern konnte. Talalwar ein Mann, der sein Geld ausgab und auf diese Weiseseinen Reichtum genoss.

Er blickte in die Runde. Zwei Besucher waren da. EinRusse und ein Palästinenser. Eine ungewöhnliche Part-nerschaft, aber sie interessierte den Prinzen.

Sie hatten versprochen, dass sie für den richtigenPreis etwas zustande bringen konnten, das jeder an-dere, der Prinz eingeschlossen, für unmöglich gehaltenhätte.

»Ihr seid sicher, dass ihr das schafft?« Talal klangungläubig.

Der Russe nickte bedächtig, aber voller Überzeu-gung. Er war ein großer Mann mit Vollbart und kahlem

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Kopf, was ihm ein unausgewogenes, fußlastiges Aus-sehen verlieh.

»Ich bin gespannt, wie das gehen soll«, sagte derPrinz. »Denn man hat mir gesagt, dass schon der Ver-such sinnlos ist.«

»Die stärkste Kette wird an ihrem schwächstenGlied gesprengt«, entgegnete der Palästinenser. Er warein kleiner Mann, und sein Bart war noch dichter alsder des Russen. Sie waren wie ein Schlepper und einSchlachtschiff, aber es war offensichtlich, dass derkleine Mann in dieser Partnerschaft der Anführer war.

»Und was ist das schwächste Glied?«»Eine Person. Aber diese Person steht direkt neben

dem, den Sie wollen. Diese Person gehört uns.«»Wie soll das gehen? Das ist unmöglich«, sagte der

Prinz.»Es ist möglich.«»Was ist mit dem Zugang zu Waffen?«»Die Person – besser gesagt, ihr Job – wird den Zu-

gang zu Waffen möglich machen.«»Und wie wollen Sie diese Person überzeugen?«»Das ist unwichtig.«»Nicht für mich. Diese Person muss bereit sein, zu

sterben. Anders geht es nicht.«Der Palästinenser nickte. »Diese Bedingung wird er-

füllt.«»Wirklich? Die Abendländer tun so etwas nicht.«»Ich habe nicht gesagt, dass die Person ein Abend-

länder ist.«»Sie wurde eingeschleust?«»Daran wird schon seit Jahrzehnten gearbeitet.«»Wieso?«»Wieso tut überhaupt einer von uns etwas? Weil wir

an etwas glauben. Und wir müssen Schritte unterneh-men, um diesen Glauben in die Tat umzusetzen.«

Der Prinz lehnte sich zurück. Er sah interessiert aus.»Die Pläne liegen bereit«, sagte der Palästinenser.

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»Aber wie Sie wissen, sind für ein solches Unterneh-men beträchtliche Mittel erforderlich. Vor allem für dieFolgen. Im Augenblick ist unsere Person sicher. Aberdas könnte sich bald ändern. Überall gibt es Augen undOhren. Je länger wir warten, desto größer die Gefahr,dass die Mission scheitert, bevor sie überhaupt eineChance bekommt.«

Der Prinz strich mit dem Finger über das geschnitzteHolz der Tischplatte, während er aus dem Bullaugeblickte. Die Flugzeugfenster waren übergroß, und ergenoss den Ausblick von seinem hohen Sitz.

Das Unterschall-Geschoss traf ihn mitten in dieStirn und ließ sein Gehirn explodieren. Er wurde nachhinten gegen den Lederstuhl geschleudert und sanklangsam zu Boden. Graue Masse, Blut, Knochensplitterund Gewebe bedeckten das zuvor makellose Innere derKabine.

Der Russe sprang auf, hatte aber keine Waffe. Siewar am Eingang konfisziert worden. Der Palästinensersaß wie betäubt da.

Die Wächter reagierten. Einer zeigte auf das zer-splitterte Flugzeugfenster. »Da draußen!«

Sie eilten zur Kabinentür.Die beiden Bodyguards außerhalb des Flugzeugs

hatten die Waffen gezogen und feuerten in die Rich-tung, aus der der tödliche Schuss gekommen war.

Kugeln schlugen um Robies Position ein. Er zielte,erwiderte das Feuer. Der erste Bodyguard ging nacheinem tödlichen Kopfschuss zu Boden. Der zweite brachAugenblicke später mit einer Kugel im Herzen zusam-men.

Aus seiner hohen Position heraus richtete Robie dieGewehrmündung auf die Flugzeugtür, jagte fünf Ku-geln durch die Mitte und zerstörte die Türverriegelung.Dann wirbelte er herum, zerschoss das Cockpitfensterund damit die Flugzeugkontrollen. Der große Vogelwürde für eine Weile am Boden festsitzen. Robie hatte

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das Glück, dass kugelsichere Materialien für Flugzeugezu dick und zu schwer waren. Das machte eine solcheMaschine zu einer hundert Millionen Dollar teurenGruft mit einer sehr großen Achillesferse.

Er war mit dem Töten fertig.Jetzt kam der schwierigste Teil.Der Rückzug.Robie balancierte den Träger entlang, bis er die

Wand auf der anderen Seite des Hangars erreichte. Dortstieß er ein Fenster auf, befestigte sein Kabel an demHaltering, den er in der vergangenen Nacht dort festge-schraubt hatte, und seilte sich zum Boden ab. SeineFüße berührten den Asphalt, und er rannte in östlicherRichtung vom Hangar und dem toten Prinzen fort. Ererklomm einen Zaun, sprang auf der anderen Seite hi-nunter. Hinter ihm ertönten Rufe. Lichtstrahlen durch-bohrten die Dunkelheit. Kugeln flogen in seine Rich-tung, schlugen aber weit entfernt ein. Doch Robiewusste, wie schnell sich das ändern konnte.

Ein Wagen jagte heran. Robie warf seine Ausrüstungauf den Rücksitz, sprang ins Fahrzeug. Der Wagenschoss los, bevor er die Tür richtig geschlossen hatte.Robie sah den Fahrer nicht an, und der Fahrer igno-rierte ihn.

Nach wenigen Meilen hielt er in den Außenbezirkenvon Tanger. Robie sprang aus dem Fahrzeug, eilte aufeine Gasse zu, ging weitere hundertfünfzig Meter undbetrat einen kleinen Hof. Dort stand ein blauer Fiat. Erstieg ein, fischte den Schlüssel unter der Sonnenblendehervor, schob ihn ins Zündschloss, ließ den Motor anund fuhr vom Hof.

Fünf Minuten später näherte er sich dem Zentrumvon Tanger. Er durchquerte die Stadt und parkte denWagen am Hafen. Aus dem Kofferraum nahm er einekleine Tasche mit Kleidung und anderen unverzichtba-ren Dingen, darunter Reisedokumente und etwas Geldin Landeswährung.

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Er nahm nicht die Schnellfähre zurück nach Spa-nien, sondern die langsame Fähre von Tanger nachBarcelona. Sein Arbeitgeber hatte ihm eine Familienka-bine für drei Personen spendiert statt nur einen Sitz-platz. Robie verstaute die Tasche, verriegelte die Türund legte sich aufs Bett. Ein paar Minuten später legtedie Fähre vom Dock ab.

Die Fahrt nach Barcelona würde siebenundzwanzigStunden dauern. Niemand würde damit rechnen, dassein Attentäter mit einem Boot entkam, das mehr alseinen Tag braucht, um seinen Zielhafen zu erreichen.Sie würden die Flughäfen überprüfen, die Schnellfäh-ren, die Bahnhöfe. Aber nicht diese träge alte Bade-wanne, die für ein paar hundert Meilen auf dem Mittel-meer so viel Zeit benötigte. Da es fast Mitternacht war,würde er erst übermorgen eintreffen.

Robie hatte ein Richtmikrofon mit langer Reichweitegehabt, mit dem er die Unterhaltung im Flugzeugzwischen dem Prinzen und den beiden anderen Män-nern hatte belauschen können. Zugang zu Waffen …eine seit Jahrzehnten laufende Operation … bedeu-tende Mittel für die Folgen. Das würde man weiterver-folgen müssen. Aber das war nicht sein Job. Er hatteseine Aufgabe erfüllt. Er würde Bericht erstatten, undandere würden weitermachen. Sogar die saudische Kö-nigsfamilie würde erleichtert sein, dass eines ihrerschwarzen Schafe nicht mehr existierte, davon war Ro-bie überzeugt. Das offizielle Statement würde einensolchen Akt der Gewalt selbstverständlich verurteilen.Sie würden eine sorgfältige Untersuchung des Vorfallsverlangen, würden schäumen vor Wut, jammern vorSchmerz. Diplomatische Kommuniqués würden ausge-tauscht werden. Aber in den eigenen vier Wänden wür-den sie einen Toast auf die Verantwortlichen diesesAttentats ausbringen. Mit anderen Worten: einen Toastauf die Amerikaner.

Es war eine saubere Operation gewesen. Robie hatte

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den Prinzen von dem Moment an im Fadenkreuz ge-habt, in dem er aus seinem Wagen gestiegen war. Schonda hätte er ihn ausschalten können, aber er hatte war-ten wollen, bis der Prinz und seine Bodyguards sich anBord des Flugzeugs befanden. Waren die Sicherheits-leute in der Maschine gefangen, blieb einem Schützenmehr Zeit zur Flucht.

Robie hatte Talal ungefähr eine halbe Minute langaus den Augen verloren, nachdem er die Maschine be-treten hatte, doch als er sich an den Tisch setzte, war erwieder in Sicht gewesen.

Robie hatte auf Talals Kopf gezielt, obwohl es derschwierigere Schuss gewesen war. Aber durch das Ziel-fernrohr hatte er die Riemen gesehen, die unter demÜbermantel zum Vorschein gekommen waren, als derPrinz sich auf seinem Stuhl nach vorn gebeugt hatte. Ertrug eine Schutzweste. Aber nicht auf dem Kopf.

Robie hatte drei Tage und Nächte seines Lebens dortoben unter dem Dach verbracht, hatte in ein Glas ge-pinkelt und Kraftriegel gegessen, während er in einemGebäude, das angeblich abgeriegelt und sicher gewe-sen war, auf sein Ziel gewartet hatte, den Prinzen.

Jetzt war der Prinz tot.Und seine Pläne waren mit ihm gestorben.Will Robie schloss die Augen und schlief, während

die Fähre auf ihrer langsamen Fahrt sanft auf denruhigen Wellen des Mittelmeers schaukelte.

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Das hier war anders.Es war ganz in der Nähe. Sein Zuhause, um genau zu

sein.Seit Tanger und Khalid bin Talal waren fast drei Mo-

nate vergangen. Das Wetter war kühler, der Himmelgrauer. In der ganzen Zeit hatte Robie niemanden getö-tet. Für ihn war das eine ungewöhnliche lange Periodeder Untätigkeit, aber das störte ihn nicht. Er ging spazie-ren, las, aß in Restaurants und unternahm ein paar Rei-sen, bei denen es nicht um den Tod eines Menschenging. Mit anderen Worten, er führte ein normales Leben.

Aber dann war der USB-Stick gekommen, und Robiehatte wieder zur Waffe gegriffen. Das lag erst zwei Tagezurück. Kaum Zeit zur Vorbereitung, aber der USB-Stickhatte ihn darüber informiert, dass die Mission höchstePriorität besaß. Und wenn der USB-Stick sprach, han-delte Robie.

Nun saß er mit einer Tasse Kaffee im Wohnzimmer.Es war früh am Morgen, doch er war schon seit ein paarStunden auf. Da die Mission sich der Entscheidung nä-herte, hatte er schlecht schlafen können. So war dasimmer. Es war nicht so sehr Nervosität, es war vielmehrder Wunsch, sich besser vorbereitet zu haben. War erwach, feilte ein Teil seines Verstandes ständig am Plan,entdeckte Fehler und beseitigte sie.

Während seiner Auszeit hatte er sich an sein Vorha-ben gehalten und mehr Zeit mit anderen Menschen

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verbracht, hatte sogar die Einladung eines Nachbarn zueiner zwanglosen Party in der Wohnung des Mannesin der zweiten Etage angenommen. Es waren nur einDutzend Leute da gewesen, von denen einige ebenfallsMieter waren. Der Nachbar hatte Robie seinen Freun-den vorgestellt, aber Robies Aufmerksamkeit hatte sichschnell auf eine junge Frau konzentriert.

Sie war erst kürzlich hier eingezogen und machtesich regelmäßig um vier Uhr morgens mit dem Fahrradauf den langen Weg zum Weißen Haus. Robie wusste,wo sie arbeitete, weil er ein Dossier über sie bekommenhatte. Und er wusste, dass sie so früh zur Arbeit fuhr,weil er sie oft durch seinen Türspion beobachtet hatte.

Sie war viel jünger als er, hübsch und – soweit er esbeurteilen konnte – intelligent. Mehrmals hatten sieBlickkontakt gehabt. Er spürte, dass sie nur wenigeFreunde hatte, genau wie er selbst. Er spürte auch, dasssie nichts dagegen haben würde, wenn er sie ansprach.

Auf der Party trug sie einen kurzen schwarzen Rockund eine weiße Bluse. Ihr Haar war zum Pferdeschwanzzurückgebunden. In der Hand hielt sie einen Drink undblickte gelegentlich in Robies Richtung, lächelte undschaute dann wieder weg, um die Unterhaltung mit je-mand anderem fortzuführen, den Robie nicht kannte.

Er hatte mehrmals erwogen, sich der jungen Frauzu nähern, hatte dann aber die Party verlassen, ohneauch nur den Versuch zu machen. Als er gegangen war,hatte er einen letzten Blick auf sie geworfen: Sie lachteüber irgendeine Bemerkung und schaute nicht in seineRichtung. Das war auch besser so. Denn was hätte esgebracht?

Robie stand auf, blickte aus dem Fenster. Die Blätterim Park verfärbten sich allmählich, und die Abendewurden kühl. Manchmal hatten sie noch die Schwüledes Sommers, aber der Sommer lag im Sterben, daswar nicht zu übersehen. Andererseits war das Wettergar nicht so übel für eine Stadt, die auf einem Sumpf

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erbaut worden war – und nach Meinung vieler Leuteimmer noch ein Sumpf war, zumindest der Teil, in demdie Politiker residierten.

In der kurzen Zeit, die ihm zur Verfügung stand,hatte Robie seine Erkundung abgeschlossen und Probe-läufe durchgeführt, auch wenn es unter diesen Um-ständen logistisch schwieriger gewesen war. Trotzdemgefiel ihm die Sache nicht. Aber darüber zu urteilenstand ihm nicht zu.

Er würde weder in ein Flugzeug noch in einen Zugsteigen müssen, um an den vorgesehenen Ort zu kom-men. Auch die Zielperson war anders. Aber nicht impositiven Sinn. Ganz und gar nicht.

Manchmal kümmerte Robie sich um Personen, dieeine globale Bedrohung darstellten, wie Rivera oderTalal. Manchmal schaffte er einfach nur ein Problemaus der Welt. Doch wie man es auch ausdrückte – amEnde lief es jedes Mal auf das Gleiche hinaus. Seine Ar-beitgeber entschieden, wer von den lebenden, atmen-den Zeitgenossen sich als Ziel qualifizierte. Und dannwandten sie sich an Männer wie Robie, um dem Lebenund Atmen des Betreffenden ein Ende zu setzen.

Es machte die Welt zu einem besseren Ort.Jedenfalls lautete so die Rechtfertigung.So wie damals, als die stärkste Armee des Plane-

ten auf einen Verrückten im Nahen Osten gehetzt wor-den war. Der militärische Sieg hatte von Anfang anfestgestanden. Doch was danach gekommen war, hatteman so nicht voraussehen können. Es war ein sichständig veränderndes Chaos, dem man nicht entrin-nen konnte.

Gefangen in der eigenen Falle.Die Behörde, für die Robie arbeitete, hatte eindeutige

Verfahrensregeln für Agenten, die auf einer Mission inGefangenschaft gerieten. Man würde nicht einmal ein-gestehen, dass Robie überhaupt für die VereinigtenStaaten arbeitete. Man würde nichts unternehmen, um

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ihn zu retten. Es war das genaue Gegenteil vom Mantrader US Marines, Kameraden um keinen Preis zurückzu-lassen. In Robies Welt ließ man jeden zurück.

Deshalb hatte er bei jeder Mission einen Fluchtplan,der nur ihm selbst bekannt war. Er hatte noch nie aufdiesen persönlichen Ersatzplan zurückgreifen müssen,weil er noch nie versagt hatte.

Bis jetzt. Morgen war wieder ein Tag, an dem er dieChance bekam, auf die Schnauze zu fallen.

Shane Connors hatte ihm die Ersatzplan-Strate-gie beigebracht. Er hatte ihm erzählt, wie er selbst inLibyen auf seinen Ersatzplan zurückgreifen musste,nachdem seine Mission gescheitert war, ohne dass erSchuld daran gehabt hätte.

»Da draußen bist du der Einzige, der dir wirklich denRücken deckt«, hatte Connors gesagt. Diesen Rat hatteRobie nie vergessen. Und er würde jetzt nicht damitanfangen.

Er ließ den Blick durch die Wohnung schweifen.Hier war er nun schon seit vier Jahren zu Hause, wasihm größtenteils gefiel. Es gab Restaurants, die zu Fußerreichbar waren. Die Gegend war interessant, und esgab interessante Geschäfte, die nicht zu uniformen Fi-lialen nationaler Ladenketten gehörten. Und Robie aßoft in Restaurants. Er saß gern an einem Tisch und be-obachtete die Leute. In gewisser Weise studierte erdie Menschheit. Darum war er noch am Leben. Er ver-stand Menschen oft schon nach wenigen Sekundender Beobachtung. Das war kein natürliches Talent. Eswar eine Fertigkeit, die er sich im Laufe der Zeit bei-gebracht hatte, so wie seine meisten anderen Fertig-keiten.

Im Keller seines Mietshauses gab es einen Gymnas-tikraum, in dem Robie seine Muskeln stählte, seine Re-flexe verbesserte und Techniken übte, die geübt wer-den mussten. Er war der Einzige, der diese Geräte jebenutzte. Das Training mit Waffen und anderem erfor-

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derlichem Rüstzeug für sein Handwerk fand selbstver-ständlich an anderen Orten statt.

Im Flur draußen vor der Wohnung öffnete undschloss sich eine Tür. Robie trat an den Türspion undbeobachtete, wie die Frau ihr Fahrrad durch den Flurschob. Es war die hübsche Frau von der Party. Die jungeFrau, die im Weißen Haus arbeitete. Manchmal trug sieauf dem Weg dorthin Jeans und zog sich erst am Ar-beitsplatz um. Sie verließ das Gebäude jeden Morgenals Erste, es sei denn, Robie war aus irgendeinem Grundschon unterwegs.

A. LambertDieser Name stand unten auf dem Briefkasten. Das

A stand für Anne. Das wusste er von der Überprüfungihres Hintergrunds.

Auf seinem Briefkasten stand einfach nur Robie.Keine sonstige Initiale. Er hatte keine Ahnung, ob dieLeute sich darüber wunderten. Wahrscheinlich nicht.

Die Frau war Ende zwanzig, hochgewachsen unddünn, mit langem blondem Haar. Bei ihrem Einzughatte Robie sie mal in Shorts gesehen. Da war ein An-flug von X-Beinen, aber ihr Gesicht war ebenmäßig.Und unter der rechten Braue war ein Muttermal. IhreStimme war angenehm, denn er hatte mal ein Ge-spräch belauscht, das sie auf dem Flur mit einem ande-ren Mieter geführt hatte, der die derzeitige Regierungnicht unterstützte. Ihre Antworten waren klug undfundiert gewesen. Sie hatte Robie beeindruckt.

In Gedanken nannte er sie »A«.Als A nun mit ihrem Fahrrad im Fahrstuhl ver-

schwand, trat er von der Tür zurück und ging zu einemanderen Fenster, von dem aus man die Straße sehenkonnte. Eine Minute später verließ sie das Gebäude,legte ihren Rucksack an, schwang sich aufs Rad undfuhr los. Robie beobachtete sie, bis sie um die Ecke bogund die reflektierenden Streifen auf ihrem Rucksackund ihrem Helm aus seinem Sichtfeld verschwanden.

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Nächster Stopp: 1600 Pennsylvania Avenue.Es war halb fünf am Morgen.Er wandte sich vom Fenster ab und musterte den

Raum. In seiner Wohnung gab es nichts, das jeman-dem einen Hinweis auf seine Tätigkeit gegeben hätte.Er hatte einen offiziellen Job, den man bis in alle Ein-zelheiten bestätigen würde, falls jemand nachfragte.Trotzdem war seine Wohnung unscheinbar und ent-hielt so gut wie nichts von persönlichem Interesse. Erhatte es lieber so, als dass andere eine Vergangenheitfür ihn erfanden und Fotos ihm unbekannter Personen,die er als Verwandte oder Freunde ausgeben musste,an die Wände seiner Wohnung hingen. Sogar die Stan-dardprozedur hatte er abgelehnt, die darin bestand, dieWohnung mit Tennisschlägern oder Skiern, Briefmar-kenalben oder Musikinstrumenten auszustatten, umHobbys vorzutäuschen. In Robies Wohnung gab es nurein Bett, ein paar Stühle, ein paar Bücher, die er tat-sächlich gelesen hatte, Lampen, Tische, eine Esseckeund ein Bad mit Dusche und Toilette.

Er griff nach der Stange über der Tür zum Schlaf-zimmer und machte zwanzig Klimmzüge. Es fühltesich gut an, die Spannung in den Muskeln zu spüren,und er zog sein Gewicht mühelos in die Höhe. Kör-perlich war er den meisten Zwanzigjährigen haushochüberlegen. Seine Kraft und seine Reflexe waren nochimmer ausgezeichnet.

Aber nun war er vierzig und nicht mehr das, was ereinst gewesen war. Er konnte nur hoffen, das unwei-gerliche Nachlassen von Fähigkeiten und Körperlich-keit durch den verstärkten Rückgriff auf Erfahrungenim Außeneinsatz ausgleichen zu können.

Er legte sich aufs Bett, zog aber keine Decke übersich, obwohl er die Wohnung stets kühl hielt.

Er musste schlafen.Die kommende Nacht würde arbeitsreich sein.Und anders.