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Im Moment FOTOGRAFIE AUS SACHSEN UND DER LAUSITZ

ImMoment - lesejury.de · Dieser Methode bedienen sich auch jüngere Kollegen, denen es gleichermaßen um das Festhalten von Zeit geht, wächst doch die Bedeutung Einführung. 21

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lt 6 Grußwort

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8 Vorwort

J A S P E R V O N R I C H T H O F E N

10 Einführung

S I L K E W A G L E R | K A I W E N Z E L

237 Index der ausgestellten Werke

240 Impressum

Die Autoren und Herausgeber danken

allen an der Vorbereitung

der Ausstellung und des Kataloges

beteiligten Künstlerinnen

und Künstlern, Leihgebern

und Gesprächspartnern

sehr herzlich für ihre Unterstützung.

Da

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Der Fotografie ist es eigen, dass sie die Zeit festhalten kann und Erzählun-

gen, die sich für einen Moment öffnen, aufzuzeichnen vermag. Für die Ausstellung

»Im Moment. Fotografie aus Sachsen und der Lausitz« wurden diese Fähigkeiten

zum kuratorischen Kriterium. Im Mittelpunkt der Schau stehen Fotografien, die

vom Epochenwandel der letzten reichlich fünf Jahrzehnte berichten, von der

rasan ten Veränderung der Gesellschaft und der von ihr geprägten (Stadt-)Land-

schaft sowie von individuellen und kollektiven Transformationserfahrungen.

Sachsen und die Lausitz erlebten in den vergangenen Jahrzehnten vielfäl-

tige Umbrüche. In der Umgebung von Leipzig und in der Lausitz verschwanden

durch den extensiven Braunkohleabbau weite Landstriche mit zahlreichen Dörfern.

An ihrer Stelle breiten sich heute große Seen und Wälder aus. Neue Freiheiten

eröffneten die friedliche Revolution und die Wiedervereinigung. Gleichzeitig gingen

mit ihr aber auch die Schließung zahlreicher Betriebe und der schnelle Anstieg

der Arbeitslosigkeit einher, wovon Sachsen und die Lausitz besonders betroffen

waren. Auf der Suche nach Arbeit verließen viele Menschen die Region, was zu

einem dramatischen Bevölkerungsrückgang führte – ein noch immer anhaltender

Prozess. Fast zeitgleich wurden beide Landstriche von Veränderungen und Erfah-

rungen erfasst, die durch die Globalisierung bedingt sind und die sie mit anderen

Regionen Deutschlands, Europas und der Welt teilen. Fotografien, die diesen Wan-

del thematisieren, liegt daher stets auch etwas über den regionalen Bezug hinaus-

weisendes, Allgemeingültiges inne.

Die Schau reflektiert ebenso die Veränderungen des Mediums selbst: von

der klassischen Schwarz-Weiß-Aufnahme zur digitalen Welt. Die analoge Foto-

grafie, noch im Handabzug umgesetzt, fasziniert heute genauso wie die scheinbar

unbegrenzten digitalen Möglichkeiten, mittels derer die Fotokünstler ihr Medium

auf das Potenzial für zeitgenössische Bildfindungen befragen. Die Ausstellung

und der begleitende Katalog möchten einen Überblick über die Vielfalt neuerer

fotografischer Positionen in und aus Sachsen und der Lausitz geben. Die inhalt-

liche Spannweite der erzählerischen Bildsujets und der darauf abgestimmten

Stilmittel reicht dabei vom Dokumentarischen bis zur Inszenierung. Der regio nale

Bezug ist weit gefasst und konkretisiert sich im Thema bzw. Motiv oder auch in

der biografischen Bindung der Bildautoren. Die Auswahl ist jedoch nicht als ein

Kompendium zu verstehen, sondern folgt letztlich dem subjektiven Blick der

Kuratoren. Ein Anliegen ist es, international renommierte Künstler gemeinsam

mit bisher kaum bekannten zu präsentieren, wobei die Qualität des konkreten

Bildes, nicht aber ein akademischer Weg oder eine gegenwärtige Popularität im

Vordergrund stehen. Von Interesse sind Positionen, die über das Dokumen-

tarische hinaus einen künstlerischen Blick mitbringen und sich thematisch-

motivisch, besonders auch sozial engagiert an Bildtraditionen der Fotografie in

Sachsen und der Lausitz anschließen. Diese ist von der seit Jahrzehnten erfolg-

reichen Ausbildung junger Fotografiker an der Hochschule für Grafik und Buch-

kunst (HGB) in Leipzig geprägt. Eine stilbildende Orientierung brachte die aus der

Lausitz stammende Evelyn Richter ein, die von 1981 bis 2001 an der HGB unterrich-

tete und mit einigen ihrer bekanntesten Arbeiten in der Ausstellung vertreten ist.

Nach 1990 wurden unter anderem Joachim Brohm und Timm Rautert bedeutende

Lehrerpersönlichkeiten, bei denen viele der in der Schau gezeigten jüngeren

Fotografinnen und Fotografen studiert haben.

Das produktive Umfeld in Sachsen und der Lausitz inspirierte aber auch

außerhalb der akademischen Ausbildung zu fotografischer Tätigkeit. Unter den

ausgewählten Serien der 1970er- und 1980er-Jahre finden sich mehrere Beispiele,

die ihren Ursprung einem konkreten persönlichen Interesse, verbunden mit einer

intensiven autodidaktischen Beschäftigung mit dem Medium und seinen tech-

nischen Möglichkeiten, verdanken. Einige der älteren Künstler schufen ihre Se rien

im Eigenauftrag als Langzeitprojekte des Sammelns von Motiven, die sich zu

Archiven formieren. Dieser Methode bedienen sich auch jüngere Kollegen, denen

es gleichermaßen um das Festhalten von Zeit geht, wächst doch die Bedeutung

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orn Fünfzehn Jahre nach dem Mauerfall durchreiste Falk Haberkorn gemeinsam mit

seinem Fotografenkollegen Sven Johne die neuen Bundesländer. Sie durchquer-

ten die Heimat ihrer Kindheit in der einstigen DDR auf der Suche nach den ver-

sprochenen »blühenden Landschaften«. Im Oktober und November 2004 legten

beide innerhalb von viereinhalb Wochen 8 000 km Strecke auf dem Gebiet der

ehemaligen DDR zurück. Dabei entstanden aus dem Auto heraus Fotografien, wie

sie jeder Reisende anfertigen könnte. Den beiden Fotografen ging es jedoch um

die Frage danach, wie Ostdeutschland den tiefgreifenden Strukturwandel der

vergangenen fünfzehn Jahre bewältigt hat und was von der Goldgräberstimmung

im Aufbruch nach dem Mauerfall geblieben ist. Es war die Suche nach der Sicht-

barkeit der fundamentalen Veränderungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft

nach 1989, die fotografisch festgehalten werden sollten. In der Verdichtung immer

wieder ähnlicher Aufnahmen von verlassen erscheinenden Landschaften, leeren

Dörfern, kahlgeschlagenen Ebenen, gigantischen Verkehrswegen, vorgefertigten

Eigenheimen, dem Überangebot an Kaufparks und Autohäusern – vornehmlich

auf der grünen Wiese – zeichnet sich schließlich das Bild eines zurückgelassenen,

tristen und enttäuschten Landstrichs ab. Aus dem Material von insgesamt 120 Fil-

men wurden 124 Aufnahmen ausgewählt, die als Tableau variabel installiert werden

können. Nach dem ursprünglichen Haupttitel »Goldrausch« bevorzugt Haberkorn

jetzt den neutraleren der »Ostdeutschlandreise« (After the Gold Rush) für dieses

künstlerische und doch auch zeithistorische Dokument.

Der Fotograf wurde in Berlin geboren. Nach dem Beginn des Studiums

der Russistik/Bohemistik an der Humboldt-Universität erfolgte 1995 der Wechsel

zum Studium der Fotografie an die Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leip-

zig, wo Haberkorn nach dem Diplom 2002 Meisterschüler bei Timm Rautert war.

2005 wurde er Mitbegründer der Galerie AMERIKA in Berlin (heute KLEMM’S), die

besonders aufstrebenden Nachwuchsfotografen gewidmet ist. Falk Haberkorn

lebt und arbeitet in Leipzig.

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Ausstellungsansicht (Detail) zu »Ostdeutschlandfahrt (After the Gold Rush)« | 2004/05

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Boxberg (Oberlausitz), Sachsen, 21. 10. 2004, aus der Serie

»Ostdeutschlandfahrt (After the Gold Rush)« | 2004/05

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bei Boxberg (Oberlausitz), Sachsen, 21. 10. 2004, aus der Serie

»Ostdeutschlandfahrt (After the Gold Rush)« | 2004/05

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34 35G Ü N T E R R A P P | Ruine der Holländermühle Pielitz | 1968

Als Fotografie-Autodidakt widmete sich Günter Rapp seit 1964 leidenschaftlich

der Dokumentation und Erforschung historischer Mühlen im Osten Deutsch-

lands. Dafür unternahm er alljährlich ausgedehnte, mehrwöchige Wanderungen

zu historischen Mühlengebäuden bzw. deren ehemaligen Standorten. Parallel

entstand ein umfangreiches Archiv, das rund 14 000 Fotografien umfasst. Rapp

benutzte die Fotografie vorrangig als dokumentarisches Medium. Seine Bilder

zeugen von einem an klassischen Kompositionsprinzipien geschulten Blick. In

der unter gehenden Kulturlandschaft der Wind- und Wassermühlen hatte er sein

Thema gefunden. Die Spannweite der Motive umfasst dabei Landschaftsaufnah-

men, Bau- und Objektdokumentationen, Porträts sowie kompilierende Serien.

So kehrte er zu einigen Mühlen mehrfach zurück und hielt ihre Veränderungen

bildlich fest. Während Rapps Landschaftsansichten von der romantischen Ma-

lerei des 19. Jahrhunderts angeregt zu sein scheinen, orientieren sich die Por-

trät aufnahmen an Positionen der sozialdokumentarischen Fotografie der ersten

Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Günter Rapp hatte den Beruf des Bandwebers erlernt und war später als

Aufseher in der Strafvollzugsanstalt Görlitz tätig. Seine Bild- und Textsammlung

befindet sich heute in der Oberlausitzischen Bibliothek der Wissenschaften

Görlitz und in der Deutschen Fotothek Dresden.

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36 37G Ü N T E R R A P P | Windmühlengehöft Sdier bei Großdubrau | 1970 G Ü N T E R R A P P | Hauboldsmühle in Sohland an der Spree | 1987

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42 J Ü R G E N M AT S C H I E | Quatitz | Oktober 2002

Für die Serie »Agrarlandschaften« fotografierte Jürgen Matschie in den vergange-

nen fünfzehn Jahren in loser Folge landwirtschaftliche Flächen in der Oberlausitz.

Die für eine Bewirtschaftung mit industriellen Methoden präparierten groß flächi-

gen Felder hielt er zu wechselnden Jahreszeiten fest. Weitgehend losgelöst vom

konkreten topografischen Kontext zeigen Matschies Fotografien die Aufbereitung

einer Landschaft zur Produktion von Nahrungsmitteln für eine wachsende Indus-

triegesellschaft. Wenngleich auf den Bildern keine Menschen in Aktion treten, so

sind sie doch in den Spuren ihres Handelns stets gegenwärtig. Matschie betrach-

tete die Felder aber nicht nur als Zeugnisse einer industriellen Landwirtschaft,

sondern las sie wie Bildflächen und fing zufällig entstandene grafische Formen

ein. Die Farbstimmung der jeweiligen Lichtsituation war für ihn dabei ein wesent-

liches Gestaltungselement.

Geboren in Bautzen und aufgewachsen in Spreewiese, absolvierte Jürgen

Matschie nach einer Lehre als Werkzeugmacher zunächst ein Ingenieurstudium.

Zwischen 1983 und 1986 schloss sich ein Fernstudium der Fotografie an der Leip-

ziger Hochschule für Grafik und Buchkunst an. Seit 1988 ist Matschie als freibe-

ruflicher Fotograf sowie in jüngster Zeit auch als Fotohistoriker in Bautzen tätig.

Gemeinsam mit den Fotografen Frank Höhler, Thomas Kläber und Georg Krause

gründete er 2008 die ASA-Fotogruppe.

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44 45J Ü R G E N M AT S C H I E | Lauske | Oktober 2002 J Ü R G E N M AT S C H I E | Gebelzig | März 2003

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58 59YA N A M I L E V | aus der Serie »Membranen« | 2004

Die Arbeit »Membranen« wurde als 24-teilige Serie konzipiert. Die Auf nahmen

dazu entstanden in einem toskanischen Gewächshaus. Üppiges Blatt- und Gras-

werk ist vor einer Gewächshausfolie, einer scheinbaren Membran, abgebildet.

Eine Membran ermöglicht eigentlich einen Austausch von Nähr- und Botenstof-

fen. In diesem Fall aber besteht sie aus Kunststoff, sie ist abweisend und undurch-

lässig für einen Stoffwechsel oder den Austausch von Flüssigkeiten. Die Pflanzen

sind im Innenraum isoliert und die Außenwelt bleibt unerreichbar. Innen und

Außen begegnen sich nur auf der Projektionsfläche der Membran, zum Beispiel

als »Schwitzspuren« und Schatten; die Verbindung nach außen bleibt eine Fiktion.

Diesem beklemmenden Zustand stehen sinnlich- atmosphärische Überlagerungen

von Licht, Reflexion und Schatten gegenüber, die fast altmeisterliche Stimmungs-

bilder entstehen lassen. Der Betrachter fühlt sich an das bekannteste Stillleben

der deutschen Kunstgeschichte erinnert, »Das große Rasenstück« von Albrecht

Dürer. Dieser Rückgriff in die Kunstgeschichte will als »Retrokonzept« verstanden

werden, das mit neuer, zeitgemäßer Sinnlichkeit gefüllt wird.

Die in Leipzig geborene und in der DDR sowie in Bulgarien aufgewachsene

Künstlerin begann 1982 ein Studium an der Pädagogischen Hochschule Erfurt

(Russisch/Deutsch). Über Praktika an den Leipziger Theatern fand sie zur Kunst

und studierte von 1985 bis 1986 zunächst an der Hochschule für Grafik und Buch-

kunst in Leipzig und von 1987 bis 1993 dann an der Hochschule für Bildende

Künste Dresden. Nach dem Diplom für Bühnenbild/Szenografie absolvierte sie

ebenda bis 1995 das Meisterschülerstudium bei Günter Hornig. 1997 war Yana

Milev die erste Künstlerin aus dem Ostblock, deren Werke auf der documenta

ausgestellt wurden. Dem schloss sich ein zweijähriges Studium der Ethnografie

an. Danach promovierte Milev in Philosophie und habilitierte sich in Soziologie.

Yana Milev ist bildende Künstlerin, Kulturphilosophin, Soziologin und Ethnografin

sowie Kuratorin und als Universitätsdozentin tätig. Sie lebt in Berlin.

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60 61YA N A M I L E V | aus der Serie »Membranen« | 2004 YA N A M I L E V | aus der Serie »Membranen« | 2004

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88 89B E R N D S C H N A B E L | aus der Serie »VEB Volltuch Görlitz« | 1981

Zu Beginn der 1980er-Jahre fotografierte der Görlitzer Bernd Schnabel die Arbeits-

abläufe in der Produktion des VEB Volltuch Görlitz, einer Weberei, die zu dieser

Zeit zu den großen Arbeitgebern der Neißestadt zählte. Nach der friedlichen

Revolution wurde das Werk geschlossen. In die verwaisten Fabriketagen zog zehn

Jahre später das Arbeitsamt ein, in dem sich viele der ehemaligen Arbeiterinnen

wiederfanden. In seinen Fotos hat Bernd Schnabel ihre untergegangene Arbeits-

welt festgehalten und gleichzeitig einen Wirtschaftszweig dokumentiert, von dem

die Oberlausitz als eines der mitteleuropäischen Zentren der Textilindustrie über

Jahrhunderte geprägt war.

Bernd Schnabel absolvierte eine Ausbildung als Elektromaschinenbauer

und war später im Bereich Elektrotechnik des Braunkohlekraftwerks Hagenwerder

tätig. Seit 1998 war er in der thermischen Abfallbehandlungsanlage Lauta für die

Bereiche Öffentlichkeitsarbeit und Schulkommunikation zuständig. Daneben wid-

mete er sich als Autodidakt intensiv der Fotografie mit dem Schwerpunkt auf

Motiven aus der Arbeitswelt. 1984 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern des

im Kraftwerk Hagenwerder angesiedelten Fotoclubs »Energie«, eines Zusammen-

schlusses von Autodidakten, die gemeinsame Fotokampagnen und Ausstellungen

organisierten sowie sich in der Kinder- und Jugendarbeit engagierten. So leitete

Bernd Schnabel in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre eine Fotogruppe für Kinder

und Jugendliche an der 20. Polytechnischen Oberschule in Görlitz-Königshufen.

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90 91B E R N D S C H N A B E L | aus der Serie »VEB Volltuch Görlitz« | 1981 B E R N D S C H N A B E L | aus der Serie »VEB Volltuch Görlitz« | 1981

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M AT T H I A S R I E T S C H E L

Caseritz, Bauernhof, Vorbereitung Osterreiten (aus der Serie »In der Bachaue.

Bilder aus der sorbischen Lausitz«) | 1985

»Genau im Mittelpunkt unseres Kontinents entspringt die Satkula, ein Bach, der

sieben Dörfer durchfließt«, schrieb der Schriftsteller Jurij Brezan in seinem 1976

erschienenen Roman »Krabat oder die Verwandlung der Welt«. Für Brezan waren

die Dörfer an der Satkula in der sorbischen Lausitz gewöhnlich und besonders

zugleich. Sie dienten ihm als Resonanzboden für die großen historischen Ereig-

nisse der europäischen Geschichte. Genau diese Dörfer an der Satkula wählte

der Fotograf Matthias Rietschel 1985 als Gegenstand für seine Diplomarbeit an der

Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB). Im Zyklus »In der Bachaue.

Bilder aus der sorbischen Lausitz« porträtierte er ihre Bewohner und interes sierte

sich dabei für vermeintlich Alltägliches wie die Putzfrau im Schulgebäude, die

Heuernte oder das örtliche Sportfest. Auch die zentralen Ereignisse, die das

Leben im Dorf strukturieren, hielt Rietschel fest. Dabei scheinen stets die sorbi-

schen Bräuche und der katholische Glaube auf, die in jenen Dörfern noch intensiv

gelebt wurden und die sie in der DDR beinahe wie kulturelle Inseln wirken ließen.

Meisterhaft gelang es Rietschel, jene Momente mit der Kamera einzufangen, in

denen sich spannungsreiche Kompositionen ergaben oder eine besondere Licht-

stimmung die Bilderzählung verstärkte.

Matthias Rietschel wuchs in Kamenz auf. Nach dem Abitur nahm er ein

Studium der Fotografie an der Leipziger HGB auf. Seit 1986 ist er als freiberuflicher

Fotograf und Bildjournalist in Dresden tätig.

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M AT T H I A S R I E T S C H E L

Naußlitz, Feldarbeit (aus der Serie »In der Bachaue.

Bilder aus der sorbischen Lausitz«) | 1985

M AT T H I A S R I E T S C H E L

Crostwitz, Friedhof, Totengräber Valentin (aus der Serie »In der Bachaue.

Bilder aus der sorbischen Lausitz«) | 1985

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138 139C H R I S T I A N B O R C H E R T | Die Familie Lorenc an der Hausecke | 1996 C H R I S T I A N B O R C H E R T | Die Familie Lorenc an der Hausecke | 1986

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152 153M AT T H I A S W E B E R | aus der Serie »Die Hand am Lenker« | 2015

Auf seinen Wegen als Bildjournalist durch die Oberlausitz nahm Matthias Weber

für die Serie »Die Hand am Lenker« in loser Folge Porträts von Radfahrern auf,

denen er auf den Landstraßen begegnete. In der für schnelles Reisen ausgebauten

Landschaft der Gegenwart wirkt ihre Fortbewegung beinahe archaisch. Es sind

markante Charaktere, deren Fahrten Weber für seine Fotografien kurz unterbrach.

Das Fahrrad bedeutet für sie nicht einfach ein Transportmittel, sondern gerät zum

Attribut der Porträtierten und korrespondiert auf erstaunliche Weise mit ihrem

Habitus. Alter und Marke reflektieren dabei ebenso die jeweilige Persönlichkeit

wie die Dinge, die mit dem Rad transportiert werden: Kisten oder Taschen, Brenn-

holz oder Angel. Auch die Haltung, die die Porträtierten zu ihrem und mit ihrem

Fahrrad jeweils einnehmen, formuliert ihre Persönlichkeit im Bild weiter aus, sei

es ein gebücktes Schieben oder ein stolzes Sitzen auf dem Sattel.

Geboren und aufgewachsen im sächsischen Nerchau, war Matthias Weber

seit Mitte der 1970er-Jahre zeitweise als Baufacharbeiter, Krankenpfleger und Heil-

erziehungspfleger tätig. Parallel dazu begann er sich auf Anregung seines Vaters

intensiv mit der Fotografie zu beschäftigen. Seit 1990 ist er als freiberuflicher

Fotograf und Fotojournalist tätig. Er lebt und arbeitet heute in Großhennersdorf

bei Zittau.

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154 155M AT T H I A S W E B E R | aus der Serie »Die Hand am Lenker« | 2017 M AT T H I A S W E B E R | aus der Serie »Die Hand am Lenker« | 2015

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212 213M A R C E L N O A C K

Archivblatt 004 (aus dem Werkkomplex »Struga. na wsón gwałt«) | 2013/2017

In der Lausitz geboren und aufgewachsen, gehören sowohl die anhaltende Be-

drohung der Landschaft durch den Braunkohletagebau als auch das Thema der

aufgrund des komplexen Strukturwandels schrumpfenden Städte zu den unmit-

telbaren Lebenserfahrungen von Marcel Noack. Es ist naheliegend, dass sich der

Fotograf mit diesen Themen künstlerisch auseinandersetzt. Sein seit 2004 bis in

die Gegenwart entwickeltes Langzeitprojekt ist »Weißwasser Süd«. Vom als »Stadt-

umbau Ost« deklarierten Abrissprogramm des Bundes profitierte Weißwasser

beispielhaft, dort verschwand der ganze Stadtteil Süd. Noack begleitet diesen

Rückbau, bei dem sich immer neue, auch überraschende Sichtachsen mit immer

anderen Perspektiven ergeben, mit der Kamera. Ihn interessiert dabei die Rekon-

struktion des Ortes anhand der durch die Veränderungen in die Landschaft ein-

geschriebenen Spuren, die er fotografisch dokumentiert und in einem wachsen-

den Archiv von bereits mehr als 1 600 Aufnahmen versammelt. Dieses Material

wiederum ist eine wichtige Grundlage weiterer künstlerischer Arbeit. Ganz ähn-

lich ist die Vorgehensweise in »Struga. na wsón gwałt«, in der Noack die durch den

Braunkohletagebau bedrohte sorbische Landschaft zeigt und an bereits verschwun-

dene bzw. gerade im Verschwinden begriffene Orte und Naturräume erinnert.

Seine Werke werden für jede Präsentation als Wand- oder Rauminstallation neu

zusammengestellt und reflektieren den dokumentarischen bzw. Archivcharakter.

In Bad Muskau geboren, studierte Noack von 2002 bis 2010 Fotografie an

der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, seit 2004 bei Tina Bara in

der Klasse für Fotografie und Bewegtbild. Von 2010 bis 2013 war er Meisterschüler

bei Tina Bara. Seit 2015 ist Noack Dozent für Fotodesign an der Leipzig School of

Design und freiberuflicher Fotograf. Er lebt und arbeitet in Leipzig und der Lausitz.

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Archivblatt 454 (aus dem Werkkomplex »Struga. na wsón gwałt«) | 2013/2017

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Archivblatt 180 (aus dem Werkkomplex »Struga. na wsón gwałt«) | 2013/2017

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220 221R U D O L F H A R T M E T Z | Görlitz, Hainwald | 1994

Seit den 1970er-Jahren schuf Rudolf Hartmetz mehrere in umfangreichen Mappen

angelegte Bildserien zu Stadträumen und Baudenkmälern im Osten Deutsch-

lands. So fotografierte er zwischen 1992 und 2003 im Auftrag der Görlitzer Altstadt-

stiftung Architekturdenkmale in der Neißestadt. Daraus entstand der aus zehn

Mappen bestehende Zyklus »Görlitz. Fotografische Zustandsbeschreibung eines

Denkmals«. Hartmetz erlebte die Görlitzer Denkmallandschaft in einer Zeit des

intensiven Umbruchs: Nach Jahrzehnten der Vernachlässigung fanden in der Alt-

stadt und den Gründerzeitquartieren ab Beginn der 1990er-Jahre umfangreiche

Sanierungsarbeiten statt. Neben der Dokumentation baulicher Zustände reizten

Hartmetz städtebauliche Kompositionen und pittoreske Details. Geometrische

Konstellationen, die er dabei beobachtete, verleihen einigen Fotografien fast

schon abstrahierenden Charakter.

Aufgewachsen im sächsischen Hartha, absolvierte Rudolf Hartmetz zunächst

eine Fotografenlehre und studierte anschließend an der Leipziger Hochschule für

Grafik und Buchkunst. Erste selbstständige Arbeiten schuf er als Bilddokumen-

tarist beim Aufbau des Erdölverarbeitungswerks in Schwedt/Oder. Danach arbei-

tete er als Fotograf an der Bauakademie der DDR in Berlin und wandte sich der

Architektur- und Landschaftsfotografie zu. Seit 1971 war Hartmetz als freischaf-

fender Fotograf zunächst in Frankfurt/Oder und ab 1991 in Bautzen tätig. Seinen

künstlerischen Nachlass bewahrt das Rudolf-Hartmetz-Archiv in Rheinsberg.

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222 223R U D O L F H A R T M E T Z | Görlitz, Dresdener Straße | 1998 R U D O L F H A R T M E T Z | Görlitz, Stadtmauer an der Peterskirche | 1994

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Der Fotografie ist es eigen, dass sie die Zeit festhalten

kann und Erzählungen, die sich für einen Moment öffnen,

aufzuzeichnen vermag. Der Band »Im Moment. Fotografie

aus Sachsen und der Lausitz« versammelt Werke von rund

40 namhaften und bisher weniger bekannten Fotografin-

nen und Fotografen. Im Mittelpunkt stehen Aufnahmen,

die vom Epochenwandel der vergangenen fünf Jahrzehnte

berichten, von der rasanten Veränderung der Gesellschaft

und der von ihr geprägten (Stadt-)Landschaft sowie von

individuellen und kollektiven Transformationserfahrungen.

Die einzelnen Bildautoren verbindet ein übergreifendes

Interesse an erzählerischen Sujets und Stilmitteln mit

einer inhaltlichen Spannweite von dokumentarischen Po-

sitionen über Porträts bis hin zur inszenierten Fotografie.

SANDSTE I N