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1 KAPITEL/ RUBRIK THEMA TITEL WOJ 19. JG. - 1/2013 JANUAR/FEBRUAR/MäRZ ISSN 0947-52731 Flucht und Vertreibung von 12 bis 15 Millionen Deutschen bis weit nach Ende des Zweiten Weltkrieges war die größte Zwangsmigration in der europä- ischen Geschichte. Die Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen war rück- blickend ein Erfolg, der zu den größten Leistungen Deutschlands nach 1945 zählt. Der Weg dahin war jedoch von ei- ner Vielzahl menschlicher Härten, Leid der Betroffenen ... SEITE 03 03 AUSSTELLUNG Abraham Lincoln, dem 16. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika (1861-1865), wäre es am liebsten ge- wesen, wenn man Jefferson Davis über die Grenze der USA hätte entkommen lassen – er wollte nur nichts davon wis- sen, jedenfalls nicht offiziell. Davis, das war der Mann, der die Konföderierten Staaten von Amerika als Präsident ge- führt hatte. Nach der Wahl Lincolns zum US-Präsidenten ... SEITE 06 06 BUCHVORSTELLUNG »So wird man die Menschen der balti- schen Völker, wenn sie nicht geschichts- müde geworden, […] nie verkennen können: als Kinder Europas aus dessen geschichtsträchtigem Osten, dem […] noch Kräfte des Herzens, des Gemütes, des Glaubens eigen sind, ohne die zu leben sich eigentlich nicht ziemt und nicht lohnt. […] Und alles, was ich am Ende dieser Betrachtung in einer unge- wissen Gegenwart ... SEITE 18 18 VORTRAG Angekommen. Die Integration der Vertriebenen in Deutschland WEST-OST-JOURNAL 1 2013 JANUAR FEBRUAR MäRZ WWW.GERHART-HAUPTMANN-HAUS.DE

West-Ost-Journal

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Programmzeitschrift der Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus

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Flucht und Vertreibung von 12 bis 15 Millionen Deutschen bis weit nach Ende des Zweiten Weltkrieges war die größte Zwangsmigration in der europä-ischen Geschichte. Die Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen war rück-blickend ein Erfolg, der zu den größten Leistungen Deutschlands nach 1945 zählt. Der Weg dahin war jedoch von ei-ner Vielzahl menschlicher Härten, Leid der Betroffenen ...

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03 ausstEllung

Abraham Lincoln, dem 16. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika (1861-1865), wäre es am liebsten ge-wesen, wenn man Jefferson Davis über die Grenze der USA hätte entkommen lassen – er wollte nur nichts davon wis-sen, jedenfalls nicht offiziell. Davis, das war der Mann, der die Konföderierten Staaten von Amerika als Präsident ge-führt hatte. Nach der Wahl Lincolns zum US-Präsidenten ...

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06 BuchvorstEllung

»So wird man die Menschen der balti-schen Völker, wenn sie nicht geschichts-müde geworden, […] nie verkennen können: als Kinder Europas aus dessen geschichtsträchtigem Osten, dem […] noch Kräfte des Herzens, des Gemütes, des Glaubens eigen sind, ohne die zu leben sich eigentlich nicht ziemt und nicht lohnt. […] Und alles, was ich am Ende dieser Betrachtung in einer unge-wissen Gegenwart ...

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18 vortrag

Angekommen. Die Integration der Vertriebenen in Deutschland

WEst-ost-Journal 1 2013 JAnuAr FebruArmärz

WWW.gerHart-Hauptmann-Haus.de

Page 2: West-Ost-Journal

Liebe Leserinnenund Leser,

02 Editorial

Inhalt3 Angekommen. Die integrA-tion Der Vertriebenen in Deutsch-lAnD

5 Auch ein Angekommener – Arno surminski liest

06 Funktionäre mit VergAn-genheit. DAs grünDungspräsiDium Des bunDesVerbAnDes Der Vertrie-benen unD DAs »Dritte reich«

08 DemokrAtieFeinDschAFt Von rechts unD Der untergAng Der WeimArer republik - in erinne-rung An Den 90. toDestAg WAlther rAthenAus

10 Auch ein schlesier – heinz kessler, stAlingrAD unD DAs nAtio-nAlkomitee Freies DeutschlAnD

11 »Freiheit, Die ich meinte« - helgA grebings erinnerungen An berlin unD AnDere stAtionen ihres lebens

13 meine lieblingsnoVelle Von Werner bergengruen – lese-rinnen unD leser Wählen Aus!

14 eine reizFigur – zum tsche-chischen politischen Diskurs über eDVArD beneš

15 unser europA: Alle reDen nur Vom gelD, Wir reDen Vom Wert

16 Vor 70 JAhren – Die schlAcht Von stAlingrAD in histo-rischer perspektiVe

17 eine reise Durch Die zeit mit lieDern unD chAnsons Von eDmunD nick unD erich kästner

18 kinDer europAs Aus Dessen geschichtsträchtigem osten – Die geschichte Der bAltischen stAAten Vom mittelAlter bis 1939

20 »Aussöhnung Als AuFgAbe« kongress Der cDu/csu-bunDes-tAgsFrAktion

21 eine kulturhistorische stuDienreise

22 gerhArt hAuptmAnn unD bAD lAuchstäDt – gAbriel schil-lings Flucht

23 kultur- unD begegnungs-AbenD

24 »Von Der heiDe. illustrier-te monAtsschriFt Für kultur unD leben« Als historische unD lite-rAturWissenschAFtliche Quelle zugänglich

unser Programmjahr 2012 stand im Zei-chen der Erinnerung an den 300. Geburts-tag König Friedrichs II., »des Großen« von Preußen, und unser »Namenspatron« Gerhart Hauptmann wurde genau halb so alt, nämlich 150 Jahre. Wir haben beide Daten ausgiebig gewürdigt – und wurden durch Ihre Aufmerksamkeit und Ihre Teil-nahme an vielen Veranstaltungen belohnt.Das Jahr 2013 hält nicht minder bedeuten-de Erinnerungsdaten bereit, so dass an Anknüpfungspunkten für weitere interessante Veranstaltungen mit hochkarätigen Referentinnen und Referenten kein Mangel be-steht. Daher legen wir Ihnen hiermit ein gut gefülltes Programm für das erste Quartal des neuen Jahres vor – und freuen uns auf Ihre Besuche in unserem Haus in alter Treue und Zuverlässigkeit.Im Mai 2013 wird das Bundesvertriebenengesetz (BVFG) 60 Jahre alt – im Juni 2013 steht unser Haus in Düsseldorf seit 50 Jahren allen Interessierten offen. Beide Daten sind eng miteinander verknüpft, denn ohne die gemäß § 96 BVFG gesetzlich geforderte Pflege von Kultur und Geschichte des historischen deutschen Ostens stünde dieses Haus wohl kaum so im Herzen der nordrhein-westfälischen Landes-hauptstadt. Neben dem beständigen Auftrag, eine lebendige Erinnerungskultur an den einstigen deutschen Osten zu wahren und die kulturellen Beziehungen zu unse-ren ostmittel-, ost- und südosteuropäischen Nachbarn zu pflegen (was im vereinten Europa noch ungleich größere Bedeutung gewonnen hat), regelte das BVFG in vieler Beziehung das weitere Geschick von damals zunächst rund 8 Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen und später noch das mehrerer Hunderttausend (Spät-)Aussied-ler in der Bundesrepublik Deutschland. Dieses Gesetz berührte mithin unmittelbar die Biographien von noch immer etlichen Millionen Menschen, die unter uns le-ben – und damit auch das Leben ihrer Nachkommen. Allemal Grund genug, an die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen sowie die wichtigsten Wirkungen des BVFG zu erinnern. Wir tun dies zunächst mit der ab Januar 2013 in unserem Haus präsentierten Ausstellung »Angekommen«, welche sich der Aufnahme der Flücht-linge und Vertriebenen in Nachkriegsdeutschland widmet. Es handelt sich um die erste von insgesamt drei Wanderausstellungen der Stiftung Zentrum gegen Vertrei-bungen, welche wir 2013 und 2014 in unserem Haus zeigen werden. Wir freuen uns, dass zur Eröffnung der Ausstellung Frau Erika Steinbach MdB, die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen und zugleich Vorsitzende der Stiftung Zentrum gegen Ver-treibungen, zugegen sein wird (vgl. S. 4). Zur Ausstellung bieten wir ein vielfältiges Rahmenprogramm an.Flucht und Vertreibung der Deutschen aus dem Osten seit 1944/45 sind nicht zu trennen vom von deutscher Seite begonnenen Zweiten Weltkrieg. Daher erinnern wir auch an den bevorstehenden 70. Jahrestag des Endes der Schlacht um Stalingrad Anfang Februar 1943. In Stalingrad ging nicht nur die 6. deutsche Armee unter und es starben dort während der Kämpfe seit dem Sommer 1942 mehr als 700.000 Sol-daten zumeist aus der Sowjetunion, Deutschland, Italien und Rumänien, sondern die Schlacht markiert auch einen Punkt, von dem aus wenig später der Weg geradlinig zur Vernichtung der jahrhundertealten Kultur des historischen deutschen Ostens verlief. Auch dies ist allemal ein Grund zu mahnender Erinnerung.Schließlich werden uns im Verlauf des Jahres noch weitere Themen und »Erinne-rungsorte« beschäftigen, darunter nicht zuletzt der 250. Jahrestag des Einladungs-manifestes der Zarin Katharina II. von 1763. Dieses Manifest hatte grundlegende Bedeutung für die Geschichte der Deutschen in Russland, deren große Mehrheit heute nach den Katastrophen, die über diese Bevölkerungsgruppe im von totalitä-ren Ideologien zerrissenen 20. Jahrhundert hereingebrochen sind, in unserer Mitte lebt. Dazu wird es mehrere Veranstaltungsangebote geben. Zuguterletzt wird auch die Erinnerung an den 200 Jahre zurückliegenden Beginn der »Befreiungskriege« 1813 nicht fehlen – schließlich wurde am 20. März 1813 der berühmte Aufruf des preußischen Königs Friedrich Wilhelms III. »An mein Volk« nicht zufällig in der schlesischen Metropole Breslau veröffentlicht. Dazu und zu vielen anderen Themen werden sich in unserem Programm ab dem zweiten Quartal Angebote finden.Wir zählen auch 2013 wieder auf Sie, verehrte Gäste und Freunde des Gerhart-Hauptmann-Hauses. Aber mir ist nicht bange um das nun beginnende neue Pro-grammjahr – bleiben Sie nur, so bitte ich herzlich, unser gewogenes und zuverlässiges Publikum wie 2012 und davor!Mit allen guten Wünschen für ein erfolgreiches und gesundes Jahr 2013Ihr

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3 ausstEllung

AusstellungseröFFnung mit Dem zentrum gegen Vertreibungen unD Dem bunD Der Vertriebenen

Angekommen.Die Integration der Vertriebenen in Deutschland

FortsetzungauFseite4

Fr, 11.01. 16.00 uhr

Flucht und Vertreibung von 12 bis 15 Millionen Deutschen bis weit nach Ende des Zweiten Weltkrieges war die größte Zwangsmigration in der europä-ischen Geschichte. Die Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen war rück-blickend ein Erfolg, der zu den größten Leistungen Deutschlands nach 1945 zählt. Der Weg dahin war jedoch von einer Vielzahl menschlicher Härten, Leid der Betroffenen und Spannungen zwischen Alteingesessenen und Neu-ankömmlingen geprägt. Die Einhei-mischen ignorierten weitgehend, dass sie selbst nur auf Grund der Geografie ihres Wohnortes von Vertreibung ver-schont waren. Lange blieb unklar, ob die Entwicklung positiv sein würde. Fehlender Wohn-raum, Mangeler-nährung, soziale und wirtschaftli-che Ausgrenzung begleiteten den Weg zum Mitein-ander in Deutsch-land. Der Wille der Vertriebenen, das Land aus den Trümmern des Krieges mit aufzu-bauen, sowie für ein Europa in Frie-den zu arbeiten, war wesentlicher Teil des Erfolges.Die Angekomme-nen wurden aber nicht einfach folgen-los von der bestehenden Gesellschaft absorbiert, es kam vielmehr zu den größten politischen, sozialen und kon-fessionellen Veränderungen seit dem 30jährigen Krieg. Aus vielschichtigen Kulturen der Alt- und Neubürger ent-stand eine neue deutsche Identität. Daher stellt die Pflege der kulturellen Wurzeln, welche Flüchtlinge und Ver-triebene nach 1945 in die neu entstan-dene Gesellschaft eingebracht haben eine gesamtdeutsche Verantwortung dar.Die ersten Jahre nach der Ankunft wa-ren bestimmt von Elend und Impro-visation. Für die meisten Betroffenen begann der neue Lebensabschnitt im Durchgangs- oder Aufnahmelager. Die hier eintreffenden Menschen wa-ren meist schwer traumatisiert durch den Verlust von Heimat, Angehörigen

und Besitz, durch Gewalt, Erlebnisse vor und während der Flucht oder Ver-treibung, gedemütigt durch sozialen Abstieg und eine herablassende bis feindselige Behandlung in der neuen Umgebung. Was blieb, war die Erleich-terung, nicht mehr an Leib und Leben bedroht zu sein.Auf das Lager, über Jahre der Aufenthaltsort für Hunderttau-sende, folgte häufig die Zwangs-einquartierung in Wohnungen oder Häuser von Einheimischen. Diese standen den ungebetenen Gästen oft misstrauisch, ja feind-selig gegenüber. Zu den Voraussetzungen für den rasan-

ten Wiederaufbau Deutschlands und des lang anhalten-den Aufschwun-ges zählten Men-schen, die bereit waren, zu gerin-gen Löhnen und weit unter ihrer Qualifikation hart zu arbeiten. Dies galt für Vertriebe-ne im besonders hohen Maße. Sie hatten wesentli-chen Anteil am »Wirtschaftswun-der«. Umgekehrt profitierten die Vertriebenen vom W i r t s c h a f t s a u f -

schwung, wenn auch in geringerem Umfang als die alteingesessene Bevöl-kerung. Aber sie nutzten ganz überwie-gend alle Möglichkeiten, nicht mehr von staatlicher Fürsorge abhängig zu bleiben und wirt-schaftlich wieder auf eigenen Füßen zu stehen.Die Flüchtlinge und Vertriebenen hatten oft kaum mehr als die nackte Existenz, im besten Falle einige Koffer Fluchtgepäck gerettet. Sie kamen per Eisenbahn, mit Pferdefuhrwerken, zu Fuß oder bis Kriegsende per Schiff über die Ostsee. Die Regierung Dönitz zö-gerte die Kapitulation hinaus, um noch möglichst viele Flüchtlinge auf dem Seeweg zu evakuieren. Die Ankunft erfolgte in mehreren Wel-len: Bis Kriegsende kamen die vor der

Roten Armee oder vor Titos Partisanen aus Jugoslawien Geflohenen, unmittel-bar danach die Opfer von »wilden« Vertreibungen vor allem durch Polen und Tschechen. Paradoxerweise setz-te nach der Potsdamer Konferenz, auf der die endgültige Vertreibung der Deutschen aus Polen, der Tschecho-

slowakei und Ungarn verkündet worden war, zunächst ein Abeb-ben der Vertreibungen ein. Die Deutschen wurden bis zu ihrer Abschiebung zu Zwangsarbeit herangezogen. Danach wurden sie in menschenunwürdiger, aber

halbwegs geregelter Form über Sam-mellager, meist in Güterzügen, nach Deutschland transportiert. Die USA er-reichten bei der tschechoslowakischen Regierung kleine Zugeständnisse beim Ablauf der Vertreibung. So konnten sich deutsche Behörden und karitative Organisationen 1946 und 1947 not-dürftig auf den Ansturm vorbereiten. Die bayerischen Behörden etwa erhiel-ten über die USA nur ungefähre Zahlen und kurzfristig Ankunftsdaten der Su-detendeutschen.Das Lager als »Verräumlichung des Ausnahmezustands« war ein Paradig-ma des 20. Jahrhunderts. Vernichtungs-absicht und Willkürherrschaft waren genuine Merkmale totalitärer Konzen-trationslager. Flüchtlings- und Durch-gangslager im Nachkriegsdeutschland hingegen boten erste Stationen des Überlebens.Die Umnutzung von bestehenden La-gern im Nachkriegsdeutschland war der logistischen Notwendigkeit geschuldet. Viele Flüchtlingslager hatten vor 1945 als Lager für Zwangsarbeiter, als KZ-Außenlager oder Straflager, dann zur

Internierung von Nationalsozialis-ten gedient. So wurden z.B. ganze Werksgelände der Dynamit AG in

Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Bayern samt Bunkeranlagen nun zu Auffangarealen für Flüchtlinge und Ver-triebene, welche sie zeitweilig auch mit Displaced Persons teilten. Aus einigen dieser Lager entstanden später Wohn-siedlungen.Als flexible, rasch zu erbauende und wieder zerlegbare Provisorien waren Nissenhütten und Baracken vielen

inzusammenarbeitmitdembundderVertriebenen

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4 ausstEllung

FortsetzungVonseite3

Vertriebenen eine erste Bleibe, die ab Anfang der 1950er Jahre häufig durch Reihenhäuser ersetzt wurden.Im Lager folgte der Ersterfassung eine ärztliche Untersuchung. Räumliche Enge, mangelhafte hygienische Verhält-nisse, Seuchengefahr und eine schwieri-ge Versorgungslage mit Lebensmitteln, Heizmaterial und Kleidung dominier-ten den Lageralltag.Die wirtschaftliche Integration der meisten Vertriebenen gelang im Verlauf der 1950er Jahre. Um sich heimisch zu

fühlen, brauchten Viele jedoch weitaus länger. Auch die nächste Generation erfuhr teilweise noch offene Diskrimi-nierung. Später ging oft ein Riss selbst durch Familien, wenn die Jüngeren die Heimatverbundenheit der Eltern oder Großeltern als unzeitgemäß kritisier-ten und ihnen mit Unverständnis oder Desinteresse begegneten.Die Einbindung in Vereine, Parteien oder Kirchengemeinden erleichterte es, sich einzuleben und nicht mehr als Fremde wahrgenommen zu werden. Schützen-, Sport- und Kleingartenver-eine verwehrten jedoch teilweise noch bis in die 1960er Jahre Vertriebenen die Mitgliedschaft. Das führte etwa zur Gründung eigener Sportvereine, die sich oft zu angesehenen, offenen Orts- und Stadtteilvereinen entwickelten.Ob und wie stark die Neuankömmlin-ge an alten Gepflogenheiten festhiel-ten, war von vielen Faktoren abhängig. Wo eigene Kirchengemeinden und Siedlungen gegründet wurden, ent-stand meist ein traditionsbewusstes Gemeinschaftsleben. Die Mehrzahl der Vertriebenen musste sich jedoch ohne diesen Rückhalt behaupten. Manche Familie bewahrt noch heute Trachten und Bräuche der alten Heimat. Gerich-

te und Rezepte, die mit den Eltern und Großeltern in den Westen gelangten, erfahren eine Renaissance. Dinge, die durch Flucht und Vertreibung gerettet wurden, werden von Generation zu Ge-neration weitervererbt.Als gemeinsame Interessenvertretung entstand der Bund der Vertriebenen (BdV) erst 1957. Er gründete sich als Dachverband von zwanzig Lands-mannschaften und den Landesver-bänden. Bis 1948 wirkte das alliierte Koalitionsverbot der Gründung eines Gesamtverbandes entgegen. Doch

schon früh entstanden lokale Initiativen für Vertriebene, oft unter dem Dach der Kirchen. Wie in allen gesellschaftlichen Berei-chen der jungen Bundesrepublik so auch in den Organisationen der Vertrie-benen gab es Personen, die durch das NS-Regime geprägt oder sogar Teil des Machtapparates gewesen waren und sich nun in den neuen Institutionen be-tätigten. Vom Nationalsozialismus ge-prägtes sowie extremistisches Gedan-kengut, gleich welcher Couleur, fand zu keiner Zeit Eingang in die Verbandspo-litik des BdV. Die führenden Vertreter des BdV kamen aus allen demokrati-schen Parteien. Alle Präsidenten waren Mitglieder des Deutschen Bundestages. Der BdV hat bis heute seine Aufgabe in der fachkundigen Begleitung von Gesetzgebung und Verwaltung auf al-len die Vertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler betreffenden Rechtsge-bieten. Einen besonderen Schwerpunkt bildet die Pflege und Bewahrung des kulturellen Erbes und die soziale Bera-tung und Betreuung von Spätaussied-lern und Migranten durch die Lands-mannschaften und Landesverbände. Darüber hinaus bildet der BdV mit sei-nen Mitgliedsverbänden eine wichtige

Brücke zu den Nachbarländern.Die Zahl derer, die Flucht und Ver-treibung nach dem Zweiten Weltkrieg noch selbst miterlebt haben, nimmt ab. Kulturelle und soziale Unterschie-de zwischen Familien mit und solchen ohne Vertreibungserfahrung sind nach und nach in den Hintergrund gerückt.Der Trauer der Vertriebenen um die erlittenen Verluste steht als Trost ge-genüber, dass Geschichte und Kultur der Deutschen aus Osteuropa heute in vielen Bereichen der deutschen Ge-sellschaft intensiver wahrgenommen, bewahrt und gepflegt werden. In staatli-chen und kommunalen Einrichtungen, an den Universitäten und Volkshoch-schulen, im Geschichtsunterricht der Schulen, im kirchlichen Bereich und in den Medien gibt es ein zunehmendes Interesse. Als Flaggschiffe, vor allem in Bezug auf die wenigen dinglichen Hin-terlassenschaften, fungieren die Ost-deutschen Landesmuseen. Ihr Auftrag ist die Pflege des kulturellen Erbes, das Flüchtlinge und Vertriebene nach 1945 in die neu entstandene Gesellschaft eingebracht haben. Die Auseinander-setzung mit der Geschichte der Vertrei-bungen im Kontext der deutschen und europäischen Geschichte stellt auch weiterhin eine gesellschaftliche Aufga-be dar.Die Ausstellung, die durch das Zent-rum gegen Vertreibungen vorbereitet wurde, zeigt den Weg von der Ankunft über die ersten Jahre durch die Wirt-schaftswunderzeit bis hin zur Gegen-wart. Die Veränderungen der gesamten deutschen Gesellschaft durch Flücht-linge und Vertriebene in sozialen, kon-fessionellen und politischen Belangen werden ebenso präsentiert wie die Rah-menbedingungen, die dafür erkämpft wurden, seien es Rechtsstatus, Städte-bau, Gedenkkultur oder die Pflege der eigenen kulturellen Wurzeln.Die Ausstellung wird der Düsseldorfer Öffentlichkeit durch ein Begleitpro-gramm der Stiftung Gerhart-Haupt-mann-Haus vorgestellt. zgV

Die Ausstellung ist bis zum 11. April 2013 geöffnet.Eröffnung:Fr, 11. 01. 2013 – 16.00 UhrEichendorff-Saal

Es sprechen:PD Dr. Winfrid HalderDirektor des Gerhart-Hauptmann-Hauses

Erika Steinbach MdBPräsidentin des Bundes der Vertriebenen

Persönliche Anmeldung erforderlich.

Die Ausstellung im pAul-löbe-hAus in berlin

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5 lEsung

Er selbst kann ein Lied davon singen, wie es war anzukommen. Allerdings kein lustiges. Nämlich anzukommen aus dem Osten im verbliebenen Wes-ten Deutschlands. Anzukommen nach Flucht und Vertreibung. Anzukommen, arm und auf Hilfe angewiesen. Anzu-kommen, ohne willkommen zu sein.Arno Surminski hat es erlebt, vielmehr erlitten. Für den 10-Jährigen endete die Kindheitsidylle im ostpreußischen Jäg-lack, unweit von Drengfurt, abrupt mit dem Vormarsch der Roten Armee im Ja-nuar 1945. Beide Eltern, Surminskis Va-ter war Schneidermeister, seine Mutter stammte von einem Bauernhof, wurden bald darauf zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion verschleppt. Arno Surminski hat sie nie wie-dergesehen und erst im Jahre 2000 ihre Todesdaten erfah-ren. Die zunächst alleine ange-tretene Odyssee des elternlo-sen Kindes führte über einen Flüchtlingslageraufenthalt in Thürin-gen 1947 ins schleswig-holsteinische Trittau, wo der junge Surminski Aufnahme bei einer kinderreichen, ebenfalls aus Ostpreußen vertriebenen Familie fand.Nach dem Schulabschluß machte Arno Surminski eine Ausbildung zum An-waltsgehilfen, verließ diesen Beruf aber als 21-Jähriger schon wieder und ging nach Kanada, wo er unter anderem als Holzfäller arbeitete. Der nordamerika-nische Kontinent taucht seither in sei-nem literarischen Schaffen so beständig auf wie seine ostpreußische Herkunft. Nach der Rückkehr nach Deutschland war Surminski wieder als Anwaltsgehil-fe und dann im Versicherungsgeschäft tätig. Das Schreiben hat ihn allerdings schon immer beschäftigt, war seine Leidenschaft von Kindheit an. So hat er nebenher als Wirtschaftsjournalist gearbeitet. 1974 erschien Surminskis erster Roman: »Jokehnen oder Wie lange fährt man von Ostpreußen nach Deutschland?« Inzwischen sind es 14 Romane und eine Fülle von Erzählun-gen, die Surminski vorgelegt hat. Als Autor hat er inzwischen auch zahlreiche Auszeichnungen und Preise erhalten; besonders erfreulich war, dass er sich 2009 in unserem Haus in die erlauchte Reihe der Träger des Andreas-Gryphi-us-Preises eingereiht hat.»Jokehnen« – das Buch wurde 1987 mit Armin Müller-Stahl verfilmt – war eine Hommage an und zugleich ein Ab-

di, 26.02. 19.00 uhr

Auch ein Angekommener – Arno Surminski liest

begleitprogrAmm zur Ausstellung»Angekommen«

gesang auf Surminskis ostpreußisches Heimatdorf. Hermann Steputat, die kindliche Hauptfigur des Buches, hat sicher nicht von ungefähr einige auto-biographische Züge Arno Surminskis angenommen. Am Ende steht er ohne seine Eltern in einer kalten, schneebe-deckten Welt und läßt die Ruinen sei-nes Heimatdorfes hinter sich.Im Grunde folgerichtig war »Kude-now oder An fremden Wassern wei-nen« 1978 Surminskis zweiter Roman. Wieder dürften die Person des Autors und die Hauptfigur des Buches, der 12-jährige Kurt Marenke, kaum vonei-nander zu trennen sein – so wenig sie

allerdings auch einfach iden-tisch sind. Kurt findet kurz vor Weihnachten 1946 in dem hol-steinischen Flecken Kudenow seine Familie wieder, von der er im Chaos der Flucht andert-halb Jahre zuvor getrennt wor-den war. Genauer: Kurt trifft

nur noch auf seine Mutter und seine Schwester. Vom Tod des Vaters erfährt er zunächst nur Ungenaues, denn die Mutter ist unfähig, ihm davon zu er-zählen, schließlich macht ihm die um einige Jahre ältere Schwester klar, dass der Vater von sowjetischen Soldaten erschossen wurde. Kurt lebt zwischen der Tristesse des kargen alltäglichen Daseins im zur Wohnstätte umfunkti-onierten Hühnerstall des Großbauern Kock, der die unerwünschten Mitbe-wohner lieber heute als morgen wieder loswerden möchte, der Fremdheit in der Schule, in der er und die anderen »Polackenkinder« schon durch ihre Sprache auffallen, und seiner eigenen Traumwelt, in der ein starker, freilich fiktiver Freund schon mal die Maschi-nenpistole gegen Kurts Widersacher hebt. Die drei Marenkes haben es dabei noch gut: Das Wohnen im Hühnerstall ganz für sich ist ein Privileg gegenüber den anderen unfreiwilligen Zuwandern aus dem Osten, die in Bauer Kocks Scheune zusammengepfercht hausen. Die holsteinische Dorfgemeinschaft versucht sich gegen die Eindringlinge abzuschotten, diese dagegen sind sich untereinander uneins und haben kaum Möglichkeiten, Ansprüche durchzuset-zen. Nur Kurts Talent im Umgang mit Pferden und der ungehemmte Fleiß sei-ner Schwester, der den Eindruck macht, als betäube sie sich mit Arbeit, lassen den Bauern ein gewisses Interesse an

beiden entwickeln. So gelingt es den zweien doch noch in Kudenow »anzu-kommen« – die Mutter dagegen ver-harrt in der Illusion der Rückkehr ins verklärt erscheinende Heimatdorf und hofft unverwandt auf die Rückkehr des ältesten Sohnes, der als Soldat seit 1944 an der Ostfront vermisst ist und von dem sie seither ohne Nachricht ist …Als 2008 Andreas Kosserts wissen-schaftliche Studie »Kalte Heimat« erschien, in der erstmals breit auf die Ressentiments eingegangen wurde, die den Flüchtlingen und Vertriebenen seit 1945 vielfach in den Aufnahmegebieten in Westdeutschland entgegengebracht wurden, hat diese nüchterne Sicht auf die keineswegs nur von solidarischem Denken und Hilfsbereitschaft geprägte Nachkriegsgesellschaft einiges Aufse-hen erregt. Kosserts Buch hat die teil-weise allzu glatt anmutende Geschichte vom Erfolg der Integration der Vertrie-benen (die nicht grundsätzlich falsch ist) um ein notwendiges Stück korri-giert und ergänzt. Arno Surminski hat Ähnliches bereits dreißig Jahre zuvor auf freilich ganz andere Art und Weise getan. Die Bücher des neben dem mit Surminski befreundeten Siegfried Lenz wichtigsten deutschen Gegenwartsau-tors ostpreußischer Herkunft sind aus der mit dem historischen deutschen Osten verbundenen Erinnerungskultur nicht wegzudenken. Und wer Surminski schon einmal selbst gehört hat, der weiß, dass er nicht nur schreibend ein brillanter Erzähler ist.

WinFridHalder

Die Lesung gehört zum Rahmenpro-gramm der Ausstellung »Angekom-men« (vgl. S. 3)

arnosurminski

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großen politischen Zündstoff – in einer vom vorangehenden Konflikt zerrisse-nen Nation, die erst ihre innere Einheit wenigstens so weit zurückgewinnen mußte, dass ihre staatliche Einheit eini-germaßen stabil wiederhergestellt wer-

den konnte.Auch nach Lincolns Ermordung infolge eines Komplotts von Südstaaten-Extremisten Mitte April 1865 hielten die ihm in der politischen Verantwortung folgenden Nordstaatenpoliti-ker, wenn auch vor dem Hinter-

grund heftiger diesbezüglicher Kontro-versen, an der einmal eingeschlagenen Linie der vorrangigen »nationalen Ver-söhnung« fest. Jefferson Davis war zwar verhaftet worden und wurde we-gen Verrates angeklagt, allerdings ohne dass ein Gerichtsverfahren zustande kam. Im Mai 1867 wurde Davis nach nicht ganz zwei Jahren aus der Unter-suchungshaft entlassen – da befanden sich alle anderen Mitglieder der vorma-ligen konföderierten Regierung längst wieder auf freiem Fuß. Das Verfahren gegen Davis wurde 1869 eingestellt, kein anderes Mitglied seines Kabinetts wurde je juristisch zur Verantwortung gezogen. Lincoln hatte gewusst, dass ein politisch hoch aufgeladenes, aber ohne Hauptverhandlung ergebnislos eingestelltes Verfahren stets eine Pein-lichkeit darstellt – für die Anklägerseite. Auch auf den untergeordneten Ebenen praktizierte man schließlich eine Politik der Vermeidung von Strafverfah-ren – kein einziger Südstaaten-Gene-ral wurde wegen Kriegsverbrechen verurteilt. Lediglich ein ehemaliger Offizier der Südstaaten-Armee wurde wegen des Massensterbens in einem von ihm geleiteten Kriegsgefangenen-lager als Kriegsverbrecher angeklagt, zum Tode verurteilt und schon im No-vember 1865 hingerichtet. Alle ande-ren ehemaligen Verantwortungsträger in Politik und Militär der Südstaaten blieben unbehelligt, insbesondere die-jenigen, die bereit waren, einen Loyali-tätseid auf die Union abzulegen. Schon bis zum Juli 1870 waren alle Staaten, die sich 1861 der Sezession angeschlossen hatten, wieder förmlich als Mitglieds-staaten der USA aufgenommen.Natürlich ist die Situation in Deutsch-

06 BuchvorstEllung

Funktionäre mit Vergangenheit. Das Gründungspräsidium des Bundesverbandes der Vertriebenen und das »Dritte Reich«

buchVorstellung mit proF. Dr. michAel schWArtz, institut Für zeitgeschichte münchen-berlin

Mi, 06.03. 19.00 uhr

Abraham Lincoln, dem 16. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika (1861-1865), wäre es am liebsten ge-wesen, wenn man Jefferson Davis über die Grenze der USA hätte entkommen lassen – er wollte nur nichts davon wis-sen, jedenfalls nicht offiziell. Davis, das war der Mann, der die Konföderierten Staaten von Amerika als Präsident geführt hatte. Nach der Wahl Lincolns zum US-Präsidenten (No-vember 1860) war der längst schwelende Streit zwischen den Nord- und den Südstaaten, in dem die Frage der Abschaffung der Sklaverei eine wichtige Rolle spielte, eskaliert. Zumeist noch vor Lincolns förmlichem Amtsantritt sagten sich schließlich 11 der damals 34 US-Bundesstaaten von der Union los und gründeten besagte Konföderierte Staaten, in denen Davis zum Präsidenten gewählt wurde. Seine Amtszeit endete mit der endgültigen militärischen Niederlage der Südstaa-ten im Frühjahr 1865, nachdem de-ren Abspaltung schon bald nach ihrer Verkündung in den Sezessionskrieg gemündet hatte. Dieser ist bis zum heutigen Tag mit schätzungsweise rund 600.000 direkten oder indirekten Todesopfern die blutigste militärische Auseinandersetzung, in welche die Ver-einigten Staaten je verwickelt waren. Dieser Bürgerkrieg zwischen 1861 und 1865 war nicht nur äußerst verlustreich, sondern er wurde von beiden Seiten teilweise mit brutalsten Mitteln auch gegen die Zivilbevölkerung geführt; von den Kriegstoten waren »nur« etwa 216.000 gefallene Soldaten.Gleichwohl hätte Präsident Lincoln es insgeheim begrüßt, wenn Davis, sein wichtigster politischer Antipode in dieser Auseinandersetzung, sang- und klanglos über die Grenze verschwun-den wäre. Dahinter stand bei dem studierten Juristen und überzeugten Sklavereigegner Lincoln keineswegs mangelndes Gerechtigkeitsgefühl. Aber gerade als Jurist sah er gewaltige Schwierigkeiten voraus, Männer wie Davis und andere Verantwortliche ge-richtlich zu belangen – Lincoln wusste, dass das was modern als »Regierungs-kriminalität« bezeichnet wird, im enge-ren strafrechtlichen Sinn schwer fassbar ist. Er erwartete dementsprechend von etwaigen Strafverfahren keinen wirkli-chen Gerechtigkeitsgewinn, wohl aber

inzusammenarbeitmitdembundderVertriebenen

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land nach dem Zweiten Weltkrieg mit der in den USA nach dem Ende des Bürgerkrieges 1865 nur in einem sehr weitgefassten Sinn vergleichbar. Die von deutscher Seite seit 1933 in Deutschland und großen Teilen Eu-ropas verübten (Kriegs-)Verbrechen hatten eine völlig andere Dimension als die Gewalttaten im eigenen Land seit 1861 in den USA. Die politisch Ver-antwortlichen, soweit sie sich nicht wie Hitler und andere ihrer Verantwortung feige entzogen hatten, jedoch juristisch belangen zu können erwies sich als schwieriges Unterfangen. Der Nürn-berger Hauptkriegsverbrecherprozess von 1945/46 war nur möglich auf der Grundlage einer inzwischen erfolgten und mühsam durchgesetzten Fortent-wicklung des Völkerrechtes – so etwa der juristischen Definition des Begriffs »Völkermord«. Das Nürnberger Ver-fahren wurde jedoch gerade mit Blick auf die Neuartigkeit einiger Rechtsbe-griffe immer wieder mit juristischen, weniger mit politischen Argumenten angegriffen. Vor allem die US-Ameri-kaner, zumal die historisch gebildeten Vertreter der westlichen Hauptsieger-macht, waren sich über die Problematik völlig im Klaren – und auch über die Schwierigkeiten, die nach einem ge-waltsamen Konflikt und einem politi-schen Systemwechsel mit dem Versuch einhergehen würden, einen durchgrei-fenden Wechsel der Eliten, will heißen einen personellen Austausch in den

Schaltstellen von Politik, Verwal-tung und Wirt-schaft zugunsten »Unbelasteter« herbeizuf ühren.

Den hatte es nämlich im Süden der USA seit 1865 auch nicht gegeben.Recht besehen war die sogenannte »Entnazifizierung« in den westlichen Besatzungszonen Deutschlands seit 1945 ein politisch wünschenswertes, juristisch aber höchst heikles und hin-sichtlich seiner Erfolgsaussichten von Beginn an desparates Unternehmen. Am »einfachsten« war noch der Um-gang mit den direkt an Morden und an-deren Verbrechen beteiligten Tätern – deren Schuld konnte mit den üblichen staatsanwaltlichen und gerichtlichen Methoden untersucht, abgeurteilt und bestraft werden. Weitaus schwieriger war dies mit den im weiteren Sinne

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07 BuchvorstEllung

politisch Verantwortlichen, die das NS-Regime an mehr oder weniger bedeu-tender Stelle mitgetragen und gestützt, mithin auch zur Ermöglichung seiner monströsen Verbrechen indirekt beige-tragen hatten, ohne je selbst ein Mord-werkzeug in die Hand zu nehmen oder einen anderen Menschen physisch zu beeinträchtigen. Wie sollte die Palet-te des überzeugten Mittuns, des um persönlicher Vorteile willen oder aus schlichter Angst Mitlaufens, der gleich-gültigen, politisch und ethisch indolen-ten »Ich tue nur meine Arbeit«-Haltung juris-tisch klar gefasst und angemessen abgestraft wer-den?Der Umstand, dass der Kal-te Krieg sehr schnell zum Rah-menszenario für den politischen Neubeginn in N a c h k r i e g s -d e u t s c h l a n d wurde, hat insbe-sondere bei den A m e r i k a n e r n aus strategischen E r w ä g u n g e n die Absicht aus We s t d e u t s c h -land möglichst rasch wieder ei-nen ökonomisch prosperierenden, politisch stabilen und militärisch starken Bundesgenossen un-mittelbar an der »Frontlinie« zum glo-balen kommunistischen Widersacher zu machen, in den Vordergrund treten lassen. Die hochgradig gefährliche Sys-temkonkurrenz zwischen westlichem Staatenverbund und Ostblock hat voll-ends dazu beigetragen, aus der Entnazi-fizierung ein rückschauend betrachtet blamables deutsches Trauerspiel zu ma-chen. Strategische Bündniserwägungen auf der Seite der Sieger gingen einher mit – ohne weiteres nachvollziehbaren – Bestrebungen auf Seiten der meisten Verlierer, das Vorangegangene eben-so rasch wie vollständig vergessen zu machen. Die Nachlebenden von heute können das kaum anders als mit Be-schämung wahrnehmen – und müssen sich zugleich fragen, worin praktikable Alternativen hätten bestehen können. Und nicht wenige von ihnen müssten sich zugleich fragen lassen, welche Qua-lität der von ihnen mitverantwortete Umgang mit der politischen Elite der ehemaligen DDR hatte. Eine weitere, keineswegs unmittelbar vergleichbare,

aber alles andere als abwegige histori-sche Parallele.Es hat, so die These, noch niemals in der Geschichte wirklich weitreichende Elitenwechsel im Zusammenhang mit politischen Umbrüchen gegeben – es sei denn um den Preis der bedenken-losen Verfolgung und physischen Ver-nichtung der zu diesen Eliten zählenden Menschen. Als Beispiel hierfür könnte im 20. Jahrhundert vorrangig die Sow-jetunion im Zeichen der Massenmord-politik Lenins und Stalins firmieren.

Und die ist nun gewiss für demo-kratisch struktu-rierte Gemein-wesen in keiner Beziehung ein Vorbild. Die nunmehr vorliegende Stu-die von Michael Schwartz zu den politischen Bio-graphien der Männer, die der Gründergenera-tion des Bundes der Vertriebenen angehört haben, fügt sich nahtlos in das Bild der jungen Bundes-republik – wer dieses kennt, wird sich von den hier quel-lengesättigt und

en détail dargelegten politischen Le-benswegen von insgesamt 13 Personen kaum überraschen lassen. Sie spiegeln brennglasartig die Nachkriegsgesell-schaft und ihre naturgemäß vielfältigen Verbindungslinien in die Zeit vor 1945 wider, die zugleich generationelle Un-terschiede umfassen. Die Bandbreite reicht dabei vom sozialdemokratischen Emigranten Wenzel Jaksch (1896-1966), über den natürlich katholischen

Zentrumspolitiker Linus Kather, der sich später der NPD annäherte, über den Kommunalpolitiker Alfred Gille (1901-1970), der 1928 zum ersten Mal zum Bürgermeister des ostpreußischen Lötzen gewählt wurde und es, inzwi-schen NSDAP-Mitglied, bis 1942 blieb, bis hin zum SS-Freiwilligen und mögli-chen Kriegsverbrecher Rudolf Wollner (1923-2002).Die jetzt vorliegende wissenschaftliche Studie geht zurück auf Debatten um das Gründungspersonal des Bundes der Vertriebenen und dessen politi-sche Vergangenheit, welche seit 2006 durch das Magazin »Der Spiegel« an-gestoßen wurden. Gegenüber voraus-gehenden Untersuchungen zeichnet sich die neue Darstellung von Michael Schwartz durch die akribische Auswer-tung umfassender Quellenbestände aus. Sie ist zweifellos ein in Zukunft unverzichtbarer Beitrag zur Geschichte der Vertriebenenorganisationen in der Bundesrepublik Deutschland.Michael Schwartz, Jahrgang 1963, hat Geschichte und Katholische Theolo-gie an der Universität Münster studiert. Er ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter des renommierten Instituts für Zeit-geschichte, das Standorte in München und Berlin unterhält. Darüber hinaus lehrt Michael Schwartz als außerplan-mäßiger Professor Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Münster. Er hat bereits zahlreiche wissenschaft-liche Studien zur Geschichte der Ver-triebenen in Deutschland nach 1945 vorgelegt, darunter »Vertriebene und ‚Umsiedlerpolitik‘. Integrationskonflik-te in den deutschen Nachkriegsgesell-schaften und die Assimilierungsstra-tegien in der SBZ/DDR 1945-1961« (München 2004).Prof. Schwartz ist auch Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates der Bundes-Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung in Berlin.Die Buchvorstellung gehört zum Rah-menprogramm der Ausstellung »Ange-kommen« (vgl. S. 3)

WinFridHalder

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08 vortrag

Am 25. Juni 1922 trat der amtierende Reichskanzler der ersten deutschen Republik ans Rednerpult des Berliner Reichstags. Der Zentrumspolitiker Joseph Wirth hatte das Amt des Re-gierungschefs erst vor etwas mehr als einem Jahr übernommen, er stand an der Spitze einer Koalition aus Zentrum, SPD und linksliberaler DDP. Mit 41 Jahren war er der bis dahin jüngste deutsche Kanz-ler. In der vorausgegangenen par-teiinternen Kandidatenkür hatte sich Wirth als Repräsentant des linken Zentrumsflügels gegen den als konservativ geltenden Oberbürger-meister von Köln, Dr. Konrad Adenau-er, durchgesetzt.Wirths erste Amtszeit als Kanzler hatte allerdings nur wenige Monate gedauert, da er im Oktober 1921 bereits wieder zurückgetreten war – dies vor allem um den Protest seines Kabinetts gegen die von den alliierten Siegermächten des Ersten Weltkriegs angeordnete Tei-lung Oberschlesiens zugunsten Polens zum Ausdruck zu bringen. In einer äu-ßerst schwierigen politischen Situation aber hatte ihn der sozialdemokratische Reichspräsident Friedrich Ebert erneut mit der Regierungsbildung beauftragt, und Wirth hatte schweren Herzens zugestimmt und sein zweites Kabinett zusammengestellt. Dieses war aller-dings wiederum mehrfach umgebildet worden; die wohl wichtigste Änderung bestand darin, dass Wirth, der zuvor in Personalunion auch das Ressort Äuße-res geleitet hatte, am 01. Februar 1922 Walther Rathenau zum Außenminister bestellte.Rathenau war damit neben Reichs-wehrminister Otto Geßler der zweite Minister, der der DDP angehörte. Zu-gleich war er längst bevor er das neue Ministeramt antrat, eine der prominen-testen Persönlichkeiten in Wirtschaft, Kultur und Politik Deutschlands. Walther Rathenaus Vater, Emil Rathe-nau, hatte 1883/87 die »Allgemeine Electrizitäts-Gesellschaft« AEG ge-gründet, nachdem er das wirtschaftli-che Potential erkannt hatte, das in der damals hochmodernen Nutzung von elektrischer Energie zunächst vor allem zu Beleuchtungs- und Antriebszwecken steckte. Emil Rathenaus Unternehmen wuchs in sehr kurzer Zeit sprunghaft zu einem der größten deutschen Industrie-konzerne heran. Sein ältester Sohn Wal-

di, 29.01. 19.00 uhr

VortrAg Von proF. Dr. hAns mommsen(ruhr-uniVersität bochum)

Demokratiefeindschaft von rechts und der Untergang der Weimarer Republik - In Erinnerung an den 90. Todestag Walther Rathenaus

»nicHtnurdieglüHendsteliebezudeutscHlandHatte

diesermann,derdunklenmäcHtenzumopFergeFallenist,erHatteaucHeinetieFe

liebezupreussen.«(gerHartHauptmannüber

WaltHerratHenau,27.Juni1922)

ther verlebte seine Kindheit und Jugend in Berlin und wurde durch umfassende Studien (Physik, Chemie, Maschinen-bau) in Straßburg, Berlin und München auf eine künftige Beteiligung an der Unternehmensführung vorbereitet. Al-lerdings hegte bereits der junge Walther

Rathenau ein intensives Interes-se auch für bildende Kunst, Lite-ratur und Politik. Seit 1893 über-nahm er trotz eines zeitweilig gespannten Verhältnisses zu sei-nem Vater, Leitungsaufgaben in-nerhalb des Konzerns. Daneben

begann er frühzeitig auch als Autor mit kritischer Haltung zu Kultur und Politik seiner Gegenwart hervorzutreten. Eine sechsbändige Werkausgabe zeugt heute noch von der stupenden Produktivität Rathenaus, der immer nur gewisserma-ßen »nebenbei« schrieb. Durch seine künstlerischen Interessen kam Walther Rathenau in Kontakt mit zahlreichen Zeitgenossen aus der Kulturszene; eine Freundschaft verband ihn etwa mit Gerhart Hauptmann. Hauptmann vermittelte Rathenaus Aufnahme in den elitären Kreis der Autoren des S. Fi-scher-Verlages (darunter neben Haupt-mann u. a. Thomas Mann, Hugo von Hof-m a n n s t h a l , Richard Deh-mel oder Her-mann Hesse). Im Gegenzug widmete Ra-thenau Haupt-mann 1912 seine bedeutende Schrift »Zur Kritik der Zeit« »als Zeichen der Dankbarkeit, die ich als Deutscher dem Dichter unserer Zeit schulde, und als Gabe herzlicher Freundschaft.«Zum ersten Mal eine im engeren Sinne politische Funktion übernahm Walther Rathenau Mitte August 1914, wenige Tage nach Ausbruch des Ersten Welt-kriegs. Im Unterschied zum größten Teil der politischen und militärischen Führung des Deutschen Reiches hat-te Rathenau bereits erkannt, dass im Zeitalter der Hochindustrialisierung eine effektive Organisation der Kriegs-wirtschaft entscheidende Bedeutung für die Erfolgsaussichten einer Kriegs-partei hatte. Auf seine Anregung hin wurde im preußischen Kriegsminis-terium die »Kriegsrohstoffabteilung« eingerichtet, deren Leitung Rathenau

selbst antrat (zusätzlich zum Aufsichts-ratsvorsitz bei der AEG, den er seit 1912 innehatte). Seinem Organisationstalent war es wesentlich zu verdanken, dass die Versorgung der kaiserlichen Ar-mee insbesondere mit Munition nicht schon Ende 1914 zusammenbrach. Zwar schied Walther Rathenau aus der Funktion bei der Kriegsrohstoffabtei-lung bereits im März 1915 wieder aus, er hatte jedoch dauerhafte Impulse für die kriegswirtschaftliche Organisation gegeben.Mit der Novemberrevolution, dem Ende der Monarchie und der Gründung der Weimarer Republik Ende 1918 trat die Politik endgültig in den Vorder-grund der Tätigkeit Walther Rathenaus. Schon Mitte November 1918 wirkte er am Zustandekommen der ersten förm-lichen Vereinbarung zur Zusammenar-beit von Gewerkschaften und Arbeit-gebern (Stinnes-Legien-Abkommen) mit. Daneben konzentrierte er seine publizistische Tätigkeit auf Schriften zum politischen und wirtschaftlichen Neubeginn in Deutschland. Er schloß sich der neu gegründeten DDP an und wirkte als deren Wirtschaftsfach-

mann. In dieser Rolle wurde Rathenau auch beteiligt an der Lösung der au-ßen- und wirt-schaftspolitisch d r ä n g e n d s t e n und schwierigs-ten Problematik

der jungen Republik, nämlich der Frage der Reparationsleistungen an die Ad-resse der siegreichen Kriegsgegner, so wie sie der Versailler Vertrag vom Juni 1919 forderte. Rathenau plädierte da-für, den Versuch zu unternehmen, den Reparationsforderungen der Alliierten möglichst weitgehend nachzukommen – letztlich aber in der Intention da-mit unter Beweis zu stellen, dass diese schlechterdings unerfüllbar waren und zugunsten Deutschlands revidiert wer-den müßten. Er vertrat folglich mutig eine weitaus realistischere, allerdings auch äußerst unpopuläre Auffassung zur Reparationsfrage als die meisten anderen Politiker. Insbesondere sei-tens der rechtsradikalen Kräfte wurde Rathenau als »Erfüllungspolitiker« ge-schmäht und zum Hassobjekt gemacht

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09 vortrag

– ohne dass diese in der Reparationspo-litik in Anbetracht der massiven Über-legenheit der Siegermächte eine irgend praktikable Alternative zu bieten gehabt hätten. Rathenau eignete sich für die rechtsradikal-antisemitischen Kräfte auch in Anbetracht seiner Herkunft aus einem wohlhabenden jüdischen Unter-nehmerhaushalt offenbar besonders als Feindbild.Nachdem Walther Rathenau am 1. Februar 1922 im Kabinett Wirth die Leitung des Auswärtigen Amtes über-nommen hatte, trat er noch mehr ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Schon we-nige Wochen später, Mitte April 1922 reiste Rathenau als Außenminister mit Reichskanzler Wirth zu einer internati-onalen Wirtschaftskonferenz nach Ge-nua. An deren Rand vereinbarte Rathe-nau am 16. April 1922 mit der ebenfalls angereisten Delegation der jungen, von Wladimir I. Lenin beherrschten Sow-jetunion unter Führung von deren Au-ßenminister Georgi Tschitscherin im nahegelegen Rapallo einen Vertrag, der die Weltöffentlichkeit überraschte. Die beiden infolge von Krieg und Revoluti-on international isolierten Staaten sag-ten sich gegenseitig einen Verzicht auf jegliche Wiedergutmachungsleistun-gen zu und verabredeten zugleich die Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Beziehungen.Walther Rathenau zeichnete damit für eine der wichtigsten Etappen der deut-schen Außenpolitik nach dem Ende des Ersten Weltkriegs verantwortlich. Der außenpolitische Überraschungs-erfolg führte allerdings nicht dazu, dass die Schmähungen gegen Rathenau nachgelassen hätten. Ein bereits zuvor geschmiedetes Mordkomplott nahm seinen Lauf.Am Morgen des 24. Juni 1922 wollte Walther Rathenau von seiner Berliner Privatvilla ins Auswärtige Amt in der Wilhelmstraße fahren. Er befand sich trotz vorausgehender Morddrohungen lediglich in Begleitung seines Chauf-feurs. Bald nach der Abfahrt wurde Ra-thenaus offenes Cabriolet von einem anderen Fahrzeug überholt. Als sich beide Autos auf gleicher Höhe befan-den, eröffnete einer der beiden Atten-täter, der 23-jährige Erwin Kern, mit einer Maschinenpistole das Feuer auf Rathenau. Sein Mittäter, der 26-jährige Hermann Fischer, warf eine Handgra-nate in den Fonds des Minister-Wagens. Walther Rathenau war sofort tot.Beide Mörder hatten im Ersten Welt-krieg als junge Offiziere gedient, beide hatten danach verschiedenen Freikorps angehört. So wie der Kreis ihrer Unter-stützer, die die Tat mitvorbereitet und Kern und Fischer zunächst zur Flucht

verholfen hatten, waren sie Mitglieder der rechtsradikalen »Organisation Consul« (O.C.). Die O. C. war eine weitverzweigte Terrororganisation, die der ehemalige Marine-Offizier und Freikorpsführer Hermann Ehrhardt 1920 gegründete hatte. Ihre Mitglieder waren wie Kern und Fischer mehrheit-lich einstige Offiziere, die meisten wa-ren noch keine 30 Jahre alt. Angehörige der O.C. waren auch in die Ermordung des Zentrumspolitikers Matthias Erz-berger am 26. August 1921 und einen Anschlag auf den Sozialdemokraten Philipp Scheidemann am 4. Juni 1922 verwickelt, den dieser nur durch Zufall überlebte. In beiden Fällen hatten die Attentäter – wie bei Rathenau – ihre unbewaffneten Opfer, die keinen Po-lizeischutz hatten, auf offener Straße angegriffen.Die beiden eigentlichen Täter des Ra-thenau-Mordes wurden rund drei Wo-chen nach der Tat auf der Burg Saaleck von der Polizei gestellt, Kern wurde erschossen, Fischer beging Selbstmord. Gegen einen Teil der weiteren Tatbetei-ligten wurden wenig später zum Teil hohe Haftstrafen verhängt. Allerdings war selbst der Fahrer des Wagens, in dem Kern und Fischer gesessen hatten, der wegen Beihilfe zum Mord zu 15 Jahren Zucht-haus verurteilt wurde, aufgrund einer Amnestie bereits Anfang 1930 wieder frei.Reichskanzler Wirth stand also an je-nem 25. Juni 1922 am Rednerpult des Reichstages, am Tag nach dem Mord an Walther Rathenau. Zunächst machte er die hasserfüllten Anwürfe von deutsch-nationalen Politikern gegen Rathenau für die »Mordatmosphäre« verant-wortlich, aus der schließlich die Tat hervorgegangen sei. Gerade Rathenau mit seinem eminenten Verhandlungs-geschick auch gegenüber den alliierten Siegermächten werde nun bitter fehlen. Wirth schloß seine Rede mit dem Aus-ruf: »Da steht der Feind, der sein Gift in die Wunden des Volkes träufelt. – Da

steht der Feind – und darüber ist kein Zweifel: dieser Feind steht rechts!«Prof. Dr. Hans Mommsen geht in sei-nem Vortrag den Triebkräften der »Konterrevolution« von rechts und de-ren Rolle beim Scheitern der Republik von Weimar nach. Die Kräfte, die in den ersten Jahren der Republik direkt oder indirekt hinter den Morden an Matthias Erzberger und Walther Rathenau sowie ungezählten weiteren Gewalttaten stan-den, waren auch an ihrer letztendlichen Vernichtung seit Beginn der 1930er Jahre beteiligt. Prof. Mommsen stellt das Wirken dieser politischen Richtung in einen gesamteuropäischen Zusam-menhang.Hans Mommsen gehört seit Jahrzehn-ten zu den international renommier-testen deutschen Zeithistorikern und den besten Kennern der Geschichte der Weimarer Republik und der NS-Diktatur. Zu diesem Themenfeld hat er eine Vielzahl von Veröffentlichun-gen vorgelegt, darunter nicht zuletzt den voluminösen Band »Aufstieg

und Untergang der Republik von Wei-mar 1918-1933« (3. Aufl., München 2009). Er hatte von 1968 bis zu seiner

Emeritierung 1996 den Lehrstuhl für Neuere Geschichte an der Ruhr-Uni-versität Bochum inne. Hans Mommsen hat Gastprofessuren beziehungsweise Forschungsaufenthalte an den Univer-sitäten Princeton, Harvard, Berkeley, Washington D. C. und Jerusalem ab-solviert. Er war und ist Mitglied zahlrei-cher wissenschaftlicher Gremien. 2010 nannte ihn die »Zeit« anläßlich seines 80. Geburtstages einen »der ganz Gro-ßen seines Fachs«. Im gleichen Jahr erhielt er für sein Gesamtwerk den »Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch«.Der Vortrag eröffnet eine Veranstal-tungsreihe, die sich aus gegebenem Anlass mit rechter Gewalt und Demo-kratiefeindlichkeit in der deutschen und europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts auseinandersetzt.

. WinFridHalder

inzusammenarbeitmitderVolksHocHscHule

düsseldorF

ersAtztermin Für Die im noVember krAnkheitsbeDingt AusgeFAllene VerAnstAltung.

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10 vortrag

ren, die sich dem NKFD angeschlossen haben, um »Verräter oder Patrioten« handelte (so der Titel der lange Zeit maßgeblichen wissenschaftlichen Stu-die des Historikers Bodo Scheurig, die zuerst 1965 erschien). In der späteren DDR gehörten ehemalige Mitglie-der des NKFD, das die sowjetischen Machthaber bald nach der deutschen Kapitulation im Mai 1945 als inzwi-schen überflüssig auflösten, zu den Be-gründern der Nationalen Volksarmee – so wie Heinz Keßler. Er ist bereits 1945 nach Deutschland zurückgekehrt und wurde als kommunistischer »Nach-wuchskader« zunächst bei der »Freien Deutschen Jugend« (FDJ) eingesetzt. Doch schon kurz nach der Gründung der DDR ging Keßler zur »Volkspoli-zei«, die teilweise schon paramilitäri-schen Charakter erhielt. Dort machte der einstige einfache Wehrmachtssol-dat eine schwindelerregende Karriere: Bereits Anfang Oktober 1952 wurde der 32-Jährige zum Generalmajor be-fördert. In diesem Rang ging er dann in

die NVA über. Dort wurden Leute wie Keßler gebraucht, Männer mit lu-penreiner »pro-letarischer Her-

kunft«, kommunistischem Parteibuch und sowjetischer »Antifa-Schulung«. Ihre ideologische Kompetenz wurde gebraucht, um Experten wie Vincenz Müller zu kontrollieren, auf deren mi-litärischen Sachverstand die SED nicht verzichten wollte. Müller war im Range eines Generalleutnants der Wehrmacht im Juli 1944 in sowjetische Gefangen-schaft geraten und hatte sich seinerseits bald darauf dem NKFD angeschlossen. Nach der Entlassung aus der Gefangen-schaft wurde Müller in den zunächst verdeckten Aufbau der NVA einbe-zogen und erhielt schon 1953 bei der »Kasernierten Volkspolizei« neuerlich den Dienstgrad Generalleutnant. Nicht anders als bei der Bundeswehr stan-den auch bei der Schaffung der NVA nicht selten Offiziere Pate, die schon in der kaiserlichen Armee, dem Hun-derttausend-Mann-Heer der Weimarer Republik und dann in der Wehrmacht gedient hatten (dies zum Thema »Ent-nazifizierung« in der DDR, vgl. Beitrag »Funktionäre mit Vergangenheit«, S. 6). Kommunisten wie Heinz Keßler und andere sorgten indessen für deren ideologische Linientreue.Die Karriere des einstigen Wehrmachts-

VortrAg Von Dr. Jörg morré, Deutsch-russisches museum berlin-kArlshorstAuch ein Schlesier – Heinz Keßler, Stalingrad und das Nationalkomitee Freies DeutschlandFällt heute der Name Heinz Keßlers folgt wohl bei vielen, die die Existenz der DDR noch miterlebt haben, 22 Jahre nach deren Ende die verwunderte Rückfrage: »Lebt der denn noch?« In der Tat, Heinz Keßler weilt noch unter uns, hochbetagt mit jetzt fast 93 Jahren. Dann wird wohl dem einen oder anderen einfallen, dass Keßler Verteidigungsmi-nister der DDR war. Genauge-nommen war er der dritte und vorletzte Inhaber dieses Amtes. Nach der förmlichen Gründung der »Nationalen Volksarmee« im Jahre 1956 (die lediglich die schon vor der Gründung der DDR eingeleitete Auf-stellung militärisch bewaffneter Ver-bände in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands sankti-onierte) standen vor Keßler lediglich Willi Stoph (1956-1960) und dann für rund ein Vierteljahrhundert Heinz Hoffmann (1960-1985) an der Spitze der bisher einzigen deutschen »Ar-beiter- und Bauernarmee«, wie Keßler noch am 06. März 2011 anläßlich des 55. Jahrestages der NVA-Gründung in Berlin emphatisch ausführte. Nach Hoffmanns plötzlichem Tod Anfang Dezember 1985 wurde Keßler »Minis-ter für Nationale Verteidigung«, folg-lich auch Mitglied des »Ministerrates« der DDR, an dessen Spitze Willi Stoph stand. Keßlers Aufstieg zum Ressort-chef ging einher mit seiner Beförderung zum »Armeegeneral«, dem höchsten militärischen Rang, den die DDR ver-geben hat. Wichtiger noch war sicher-lich, dass Keßler im April 1986 in das Politbüro des Zentralkomitees der SED gewählt wurde. Damit gelangte er in den Kreis der 22 mächtigsten Männer in der DDR, die sich um Generalsekre-tär Erich Honecker scharten.Heinz Keßler stand damit im Zenit einer allemal bemerkenswerten Bio-graphie, die am 20. Januar 1920 im niederschlesischen Lauban begann. Er stammt aus einem Arbeiterhaushalt, seine Eltern sind mit ihm noch vor der Einschulung ins sächsische Chemnitz gezogen. Die politische Orientierung seines Vaters, der Metallarbeiter war und sich bald nach deren Gründung der KPD anschloß, war maßgeblich für den jungen Heinz – und ist es wohl noch heute für den über 90-Jährigen, der seit 2009 der DKP angehört. Keßler selbst machte eine Ausbildung als Ma-

do, 28.02. 19.00 uhr

schinenschlosser und arbeitete in die-sem Beruf, bis er 1940 zur Wehrmacht einberufen wurde. Schon drei Wochen nach dem Beginn des Feldzuges gegen die Sowjetunion nutzte Keßler als ein-facher Soldat die Gelegenheit zur Roten

Armee überzulaufen. Zu diesem Zeitpunkt, da die angreifenden deutschen Truppen die Streit-kräfte Stalins vorläufig in einen desaströsen Rückzug trieben, war dies sicher ein risikoreiches Unternehmen.Wie andere kooperationswillige

Kriegsgefangene wurde Keßler auf eine »Antifa-Schule« geschickt, um dort auf einen künftigen Einsatz im Rahmen der »Feindpropaganda« der Roten Armee vorbereitet zu werden. Ein Wendepunkt wurde auch für Keßler die Schlacht von Stalingrad. Nach der Kapitulation der Reste der 6. deutschen Armee Anfang Februar 1943 gerieten erstmals rund 100.000 deutsche Soldaten auf einen Schlag in Gefangenschaft. Mit Billigung Stalins wurde von der Moskauer Exilleitung der KPD um Wil-helm Pieck und Walter Ulbricht bald darauf die Gründung des »Na-tionalkomitees Freies Deutschland« (NKFD) vorbereitet. Dieses sollte als Sammelbecken für weitere deutsche Kriegsgefangene dienen, die nunmehr zur Zusammenarbeit mit den Sowjets bereit waren – der propagandistische Wert einer solchen Organisation wurde auf sowjetischer Seite zunächst hoch eingeschätzt. Heinz Keßler gehörte zu den Gründungsmitgliedern des NKFD, das am 12./13. Juli 1943 in Krasno-gorsk unweit von Moskau aus der Tau-fe gehoben wurde. Dort wurde für die Gefangenen, die bereit waren, sich dem Nationalkomitee anzuschließen, ein gesondertes Lager mit erheblich besse-ren Lebensbedingungen geschaffen als in den sonstigen Lagern. An die Spitze des NKFD trat der Schriftsteller Erich Weinert, der seit 1929 der KPD ange-hörte und der 1935 in die Sowjetunion emigriert war. Neben Weinert gehörten auch Pieck und Ulbricht dem NKFD an und sorgten dafür, dass die Kontrol-le von dessen Tätigkeit durch deutsche Kommunisten lückenlos war.In Westdeutschland wurde schon bald nach 1945 heftig darüber gestritten, ob es sich bei den Soldaten und Offizie-

VortragsreiHe»deutscHebiograpHien

im20.JaHrHundert«

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FortsetzungauFseite12

11 vortrag & BuchvorstEllung

soldaten und dann Armeegenerals der NVA Heinz Keßler endete abrupt im November 1989. Als die »jungen Ge-nossen« um Egon Krenz den verzwei-felten Versuch unternahmen, der SED in der von ihr selbst abgewirtschafteten DDR die Macht zu erhalten, wurde auch Keßler zwangsweise in den Ru-hestand geschickt. Kurzzeitig war er wegen Korruptionsverdachts in Unter-suchungshaft, als die DDR gerade noch existierte. Im Frühjahr 1990 wurde er aus der SED/PDS ausgeschlossen. Im September 1993 wurde Heinz Keßler im ersten der sogenannten »Mauer-schützenprozesse« aufgrund seiner Mitverantwortung für die Todesschüs-se an der innerdeutschen Grenze und der Berliner Mauer wegen »Anstiftung zum Totschlag« zu sieben Jahren Haft verurteilt. Mit auf der Anklagebank sa-ßen u. a. Erich Mielke und Willi Stoph. Keßler wurde aus gesundheitlichen Gründen im Frühjahr 1998 vorzeitig aus der Haft entlassen.Bis heute freilich vertritt er die Mei-nung, dass der Mauerbau von 1961 lediglich der »Friedenssicherung« ge-dient habe. So in einem Buch, dass er vergangenes Jahr zusammen mit dem ehemaligen NVA-Generaloberst Fritz Streletz veröffentlichte. Streletz war Keßlers Stellvertreter als Verteidigungs-minister und wurde 1993 gemeinsam mit ihm verurteilt – wie Keßler darüber hinaus ein gebürtiger Schlesier.Dr. Jörg Morré ist ein führender Exper-te für die Geschichte der deutsch-sow-jetischen Beziehungen, vor allem seit Beginn des Krieges zwischen Hitler-Deutschland und der UdSSR im Juni 1941. Er leitet das Deutsch-Russische Museum in Berlin-Karlshorst, das sich am Ort der Unterzeichnung der deut-schen Gesamtkapitulation vom 8. Mai 1945 und dem späteren Hauptsitz der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland befindet. Der deutsch-sowjetische Krieg von 1941 bis 1945 steht im Mittelpunkt der Dauerausstel-lung des Museums, die derzeit grund-legend erneuert wird. Jörg Morré hat neben zahlreichen anderen Veröffent-lichungen die wichtigste und umfas-sendste neuere Untersuchung über das Nationalkomitee Freies Deutschland veröffentlicht (München 2001).

WinFridHalder

»Freiheit, die ich meinte« - Helga Grebings Erinne-rungen an Berlin und andere Stationen ihres Lebens

do, 14.03. 19.00 uhr

buchVorstellung mit proF. Dr. helgA grebing, berlin

Historiker tun das nicht. Historikerin-nen auch nicht. Erinnerungen schrei-ben nämlich. Eigentlich.Denn das heißt ja, dass man sich von der hohen Warte der Kathederperspek-tive auf die Ebene der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen begibt – und denen bringen die Vertreterinnen und Vertre-ter der Geschichtswissenschaft stets ein gerüttelt Maß an professionel-lem Misstrauen entgegen. Wol-len erstere doch allzu oft ver-mitteln, dass sie ganz bestimmt wissen, »wie es wirklich gewe-sen ist«, da sie ja – im Unter-schied zu den naseweisen Wis-senschaftlern – »selbst dabei waren«. Dergleichen Überzeugungen werden dann regelmäßig von den me-thodenstolzen, erkenntnistheoretisch versierten Wissenschaftlern mit über-legener Quellen- und Literaturkenntnis demontiert, ja als ebenso schmaler wie subjektiver, womöglich noch durch Erin-nerungslücken, Irrtümer und bewusste Auslassungen deformierter Ausschnitt entlarvt, der allenfalls zur Illustrierung, um nicht zu sagen zur Garnierung des ungleich komplexeren historischen Ge-schehens taugt.Wenn Historike-rinnen und Histo-riker es dennoch tun, Erinnerun-gen schreiben nämlich, tun sie das naturgemäß weitaus weniger unbeschwert als manch’ Fußball-Profi, der, so um die Mitte Dreißig, nach dem Ende der aktiven Spie-lerlaufbahn einst-weilen nach Zeitvertreib jenseits des grünen Rasens Ausschau hält. Histori-kerinnen und Historiker wissen, dass sie, wenn sie selbst das schaffen, was die Quellenkunde ein »Ego-Dokument« zu nennen pflegt, sich damit ihrerseits unter’s quellenkritische Seziermesser der geschätzten Kollegenschaft bege-ben – sich also einer selbst lang geübten Operation unterziehen, nur diesmal auf der anderen Seite. Das mögen, nein, das riskieren die wenigsten – Ärzte wollen ja auch lieber keine Patienten sein.Helga Grebing wusste, worauf sie sich einließ. Natürlich. Renommierte

(Zeit-)Historikerin, die sie ist. Das zeigt sie schon zu Beginn ihres Buches, als sie »ein wenig Vorwort« voranstellt – in dem sie die ihr selbstverständlich bewussten Grenzen des persönlichen Erinnerungsvermögens mit einem schlagenden Argument in Kauf nimmt: Dass als Alternative nur eines bleibt, das Verschweigen nämlich. Sie hat abgewo-

gen zwischen der natürlichen Fragwürdigkeit der subjektiven Memoria und dem früher oder später zwangsläufig restlosen Versinken des Unausgespro-chenen im Vergessen. Und hat sich für erstere entschieden.Gut so. Denn man erfährt folg-

lich viel über ein Leben, dessen Aus-gangsvoraussetzungen den Weg auf einen Lehrstuhl für Geschichte an ei-ner deutschen Universität so gar nicht vorherzubestimmen schienen. Die Vor-fahren väterlicherseits kamen aus dem thüringischen Eichsfeld nach Berlin, die Mutter stammte aus nicht minder ländlicher Umgebung, genauer einem Dorf am nördlichen Rand der dama-ligen preußischen Provinz Posen. Der elterliche Haushalt in Berlin war ein

Arbeiterhaushalt , der Vater war als Maurer tätig , die Mutter als Arbei-terin in einem Be-trieb, der Schreib-maschinent y pen herstellte. Der frü-he Unfalltod des Vaters im März 1935 hat die Bil-dungschancen der gerade fünfjähri-gen Helga Gre-bing gewiss nicht verbessert. Dem

Einschnitt des Verlustes folgt der Ein-schnitt des Umzuges in die dörfliche Peripherie Berlins, wobei die nahe Hauptstadt doch stets das Gravitations-zentrum der Grebingschen Vita blieb. Prägend bis heute, das weiß jeder, der die Autorin schon getroffen hat und so ihren Sprachduktus kennt – auch wenn sie frühzeitig mit mütterlicher Hilfe ein Bewußtsein entwickelt hat für die Klippen des »mir« und »mich«, die es zwischen dem Berlinerischen und dem Hochdeutschen zu umschiffen gilt.Lernfreude, nein Lernbegierde kenn-

proF.dr.Helgagrebing

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12 BuchvorstEllung

zeichnet die junge Helga Grebing am deutlichsten (wohl nicht nur die jun-ge). Der frühe Traum der Achtjährigen, einmal »Professor« werden zu wollen, auch wenn sie einstweilen Probleme mit den Tücken der Schreibweise des Wunschberufes hat, spricht Bände. Und dieser Zug des Wissenwollens war gewiss die wichtigste Vorausset-zung für den alles andere als selbstver-ständlichen Weg von der Miersdorfer Volksschule über die Neuköllner Han-deslehranstalt, die »Vorstudienanstalt« der inzwischen Ost-Berliner Univer-sität zur jungen West-Berliner Freien Universität. Der Bildungsweg des Ar-beiterkindes verläuft vor dem Hinter-grund der zunächst generationsbedingt zwangsläufigen Verstrickung mit dem Nationalsozialismus, der gerade der Jugend kaum eine Chance ließ, sich zu entziehen, dann vor dem Hintergrund der fortschreitenden Distanzierung und kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle bis 1945 in den Jah-ren danach. Helga Grebing thematisiert die Desillusionierung, Abwendung und Orientierungssuche im Katastro-phenszenario der ersten Nachkriegs-jahre, angereichert durch überlieferte frühe eigene Texte mit bemerkenswer-ter Offenheit, welche die Lektüre ihres Buches gerade auch heute für junge Leserinnen und Leser eindrücklich machen dürfte. Lernen kann man aus Helga Grebings Erinnerungen im Üb-rigen auch, dass die rückschauend vor-genommene, vermeintlich eindeutige Teilung der Welt in Ost und West im Zeichen des Kalten Krieges seit spätes-tens 1948 in individuellen Biographien so einfach keineswegs verlief. Eine Pa-rallelexistenz des »Dazwischen«, wie Helga Grebing sie aus persönlichen und praktischen Gründen als Studen-tin der Freien Universität mit Wohnsitz in der sowjetischen Zone führte, hand-greiflich fassbar in zwei Ausweisen, ausgestellt von den schon getrennten Administrationen diesseits und jenseits der Berliner Sektorengrenzen, macht deutlich, dass reale Lebenswirklichkei-ten auch noch anderen Gesetzen folgen als vordergründig klaren politischen Grenzziehungen.Die spezifischen Risiken dieser Paral-lelexistenz vergrößerte Helga Grebing noch dadurch, dass sich die noch in Reichweite der sowjetisch gestützten SED-Mächtigen lebende Studentin bewusst gegen die kommunistisch dominierte Einheitspartei und für die Sozialdemokratie entschied. Der Weg zur SPD war, trotz »proletarischer« Herkunft, durchaus nicht selbstver-ständlich: Zeitweilig ging für sie eine gewisse Anziehungskraft von Jakob

Kaiser aus, bezeichnenderweise ein aus der christlichen Gewerkschaftsbewe-gung hervorgegangener CDU-Linker (das kritische Interesse freilich bleibt: Grebing promoviert später über den politischen Katholizismus in der Wei-marer Republik, ein damals reichlich ungewöhnliches, weil riskant gegen-wartsnahes Thema). Der Redner Kurt Schumacher gefiel ihr dagegen mit seiner ebenso schneidenden wie laut-starken Polemik nicht, der körperlich versehrte, aber ungebrochen kämpfe-rische Sozialdemokrat Schumacher be-eindruckte sie dagegen schon. Und der junge Willy Brandt, den sie bald kennen-lernte, wurde zur lebenslangen Bezugs- und wohl auch Identifikationsfigur. Der Eintritt in die SPD war demnach zwei-

fellos eine Überzeugungstat, im Januar 1949, als die Partei längst unzweideutig in Frontstellung zur sich noch vor der förmlichen Gründung der DDR her-ausbildenden kommunistischen Dik-tatur im Osten stand, Monate bevor sie im mit amerikanischer Hilfe demokra-tisch strukturierten Westdeutschland, zunächst noch unter Schumachers Führung in eine fast zwei Jahrzehnte andauernde Oppositionsrolle verwie-sen wurde.Die Leserinnen und Leser, die »vom Fach«, will heißen Historikerinnen und Historiker sind, werden auch Grebings Schilderungen ihres wissenschaftli-chen Werdegangs, nicht zuletzt der Begegnungen mit den akademischen Lehrern Hans Rosenberg und Hans Herzfeld zu schätzen wissen. Bedauer-lich bleibt schließlich nur, dass Helga Grebing sich nach ihrem Abschied von Berlin und der Ankunft in München, wo sie Anfang 1953 als Verlagslektorin ihre erste berufliche Station erreichte, auf »Meilensteine«, also eine knappe Skizze ihres weiteren Weges beschränkt

hat. Denn es wäre schon interessant, noch mehr darüber zu erfahren, wie es einer Frau, zumal sie das universitäre Milieu im engeren Sinne für längere Zeit verlassen hat, gelungen ist, doch noch eine Professur zu erhalten (1971 zunächst in Göttingen), also den alten Traum zu verwirklichen. Und dies in der »Zunft« – die Selbstbezeichnung der Historiker verweist nicht von unge-fähr auf ein männerdominiertes, stark traditionsbezogenes handwerkliches Berufsverständnis mit archaischen, auf personalen Verbindungslinien beru-henden Karrieremustern (damals noch, heutzutage ist das natürlich alles ganz anders). Vielleicht folgt ja doch noch eine Fortsetzung – »extended versi-on«, wie das heute heißt.Historiker tun es doch. Erinnerungen schreiben nämlich. Friedrich Prinz (1928-2003), nur wenig älter als Hel-ga Grebing, hat es getan und damit dem Böhmen seiner Kindheit und Ju-gend vor 1945 ein Denkmal gesetzt. Sein Buch »Szenenwechsel« (1995) folgte seiner »Geschichte Böhmens 1848-1948« (1988), er wahrte also das sich ergänzende Verhältnis von wissenschaftlicher Geschichtsschrei-bung und Autobiographie. Genau wie der unlängst hochbetagt verstorbene Eric Hobsbawm (1917-2012), der zu-erst mit dem »Zeitalter der Extreme« eine herausragende Geschichte des 20. Jahrhunderts veröffentlichte (1994) und dann sein eigenes Leben in diesem zerrissenen Jahrhundert beschrieb (Ge-fährliche Zeiten, 2003).Helga Grebing hat zu Beginn ihrer Laufbahn als Autorin eine knappe Geschichte des Nationalsozialismus vorgelegt (zuerst 1959, seither viel-fach aufgelegt), eines der ersten Über-blickswerke, das auch einem nicht fachwissenschaftlichen Publikum einen Zugang zum Verständnis der zwölf Ka-tastrophenjahre und ihrer Vorgeschich-te eröffnet hat. Bald folgte die erste Auflage ihrer Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung (1966), ein Buch, das gleichermaßen oft neu aufgelegt und von ihr selbst grundlegend neu er-arbeitet wurde (zuletzt 2007). Neben ungezählten anderen Veröffentlichun-gen folgte 2008 eine Biographie Willy Brandts. Nun liegen ihre Erinnerungen vor – und lassen die innere persönliche Logik ihres wissenschaftlichen Schaf-fens klar hervortreten. Wie bei Prinz und Hobsbawm. Auch Historikerin-nen und Historiker leben nicht im luft-leeren, nein, nicht im geschichtslosen Raum. Natürlich.Auch Historikerinnen tun es. Erinne-rungen schreiben nämlich. Bald noch andere. Hoffentlich. WinFridHalder

FortsetzungVonseite11

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Nordosten Europas. Seit 1902 besuchte der junge Bergengruen das altehrwürdi-ge Lübecker Katharineum – eine geis-tige Pflanzstätte der besonderen Art. Etliche späterhin berühmte Literaten haben die 1531 gegründete Schule be-sucht, darunter Theodor Storm, Emanuel Geibel und natürlich nicht zuletzt die

Brüder Heinrich und Thomas Mann, zumeist ohne ihre spä-tere Bedeutung durch allzu auf-fällige schulische Leistungen frühzeitig erahnbar werden zu lassen. So auch im Falle Werner Bergengruens, obwohl dieser, genau wie die Gebrüder Mann,

noch als Schüler zu schreiben begann.Die Familie des jungen Dichters verließ Riga bereits 1909, um sich in Marburg niederzulassen. Ob nun durch Zufall am Ort einer der b e d e u t e n d s t e n Ni e d e r l a ss u ng e n des Deutschen Ordens im Westen Deutschlands oder nicht – die Bezie-hung zum Osten blieb erhalten. Wer-ner Bergengruen beherrschte nicht zuletzt die russi-sche Sprache so gut, dass er in den 1920er Jahren zum Übersetzer Dosto-jewskis und Tols-tois wurde. Er schuf Ü b e r t r a g u n g e n , deren Qualität sich dadurch erweist, dass sie zum Teil heu-te noch im Buchhandel erhältlich sind. Bevor er selbst allerdings vollends zum Schriftsteller und literarischen Überset-zer wurde, hat Bergengruen nach dem Abitur in Marburg, München und Ber-lin Geschichte, Jura und Literaturwis-senschaft studiert. Er musste auch die Zäsur des Ersten Weltkrieges noch hin-ter sich bringen, in dem er als Offizier in der deutschen Armee diente. Auch über die deutsche Niederlage von 1918 hinaus blieb er Soldat, um nach dem Zusammenbruch des Zarenreiches und der Oktoberrevolution in seiner Heimat als Angehöriger der Baltischen Landeswehr gegen die Bolschewiki zu kämpfen.

13 litEratur

»1892 wurde ich geboren und zwar in Riga, das damals noch zum russischen Kaiserreich gehörte […]. Wie Jean Paul zu Wunsiedel sage ich zu Riga: ‚Ich bin gern in dir geboren.‘ Meine Geburt ereignete sich nach dem alten Stil, das heißt: nach dem in Russland damals noch geltenden julianischen Kalender. Eine energische Tante meiner Mutter, die bereits meinen Vater als Knaben zum Gegen-stand ihrer Pädagogik gemacht hatte, […] nahm gelegentlich meiner ersten Deutschland-reise die Umrechnung des Da-tums in die von der übrigen Welt gebrauchte gregorianische Zeit-zählung vor. Hierbei verzählte sie sich um einen Tag, denn die Rechenkunst war bei uns zu Lande wenig geachtet und wenig geübt – meist verließ man sich auf Schätzungen. Ich beging später den Fehler, den Irrtum zu korrigieren, indessen nicht mit der Energie jener Großtante, und der Umstand, dass sich in amtlichen Papieren von nun an zwei verschiedene Geburtsdaten fanden, hat mir manches behördliche Mißtrauen eingetragen. Als ich die Geburt eines meiner Kinder auf dem Charlotten-burger Standesamt anmeldete, sagte ein strenger Mann: ‚Wann ist das Kind geboren? Sie wissen ja nicht einmal, wann Sie geboren sind!‘ Ich nahm die Zurechtweisung hin, denn wie könnte ein vor dem Schalter Stehender einem hinter dem Schalter Sitzenden eine Ge-schichte erzählen wollen, die mit: ‚Mei-ne Großtante …‘ anfängt?‘«So beginnt ein kurzer Lebenslauf, den Werner Bergengruen 1952 schrieb. Die Skizze der eigenen Vita des Sechzigjäh-rigen ist gleichermaßen bezeichnend für Bergengruens Humor und seine Selbstironie. Von der Herkunft aus ei-nem deutsch-baltischen Elternhaus im lettischen Riga blieben Bergengruen freilich lebenslang nicht allein die Ka-lamitäten der beiden Geburtsdaten er-halten. Der baltische Sprach- und Kul-turraum prägte ihn vielmehr nachhaltig – er ist aus dem späteren Schaffen des Schriftstellers Bergengruen schlechter-dings nicht wegzudenken. Dies obwohl bereits der 10-Jährige auf die höhere Schule ins damalige Deutsche Reich geschickt wurde, genauer nach Lübeck, also gewiß nicht zufällig in die traditi-onsreiche Ostseekapitale mit ihren ur-alten und vielfältigen Bindungen in den

lesung mit Dr. hAJo buch unD pD Dr. WinFriD hAlDer

Meine Lieblingsnovelle von Werner Bergengruen – Leserinnen und Leser wählen aus!

do, 21.02. 19.00 uhr

Seit 1920 lebte und arbeitete Werner Bergengruen in Berlin, zeitweilig als Chefredakteur der »Baltischen Blätter«, dann immer stärker als Autor eigener Romane, Erzählungen und Lyrikbände. Das Jahr 1933 erlebte er, inzwischen auch Familienvater, mit zwiespältigen Empfindungen, wie viele andere Kon-servative auch. In der Zeit danach ging er zunehmend auf Distanz zum NS-Re-gime. Teil seiner persönlichen Stand-ortbestimmung war der Übertritt zur katholischen Kirche im Jahre 1935; in München, in dessen Nähe Bergengruen seither wohnte, gehörte er zum regime-kritischen Kreis um Theodor Haecker, Carl Muth und andere. Der 1935 erschiene-ne Roman »Der Großtyrann und das

Gericht« ist – im Gewande der his-torischen Erzäh-lung – eine kaum v e r s c h l ü s s e l t e Absage an den ge-heimpolizeilichen Ü b e r w a c h u n g s -staat und dessen Denunziantenwe-sen. 1937 erfolg-te Bergengruens Ausschluss aus der »R e i c h s s c h r i f t -t u m s k a m m e r « , mit der Begrün-dung, er sei un-geeignet »durch schriftstellerische Veröf fent l ichun-gen am Aufbau der deutschen Kultur m i t z u w i r k e n . « Damit konnte er

in Deutschland nicht mehr legal publi-zieren. Dennoch kamen auf Umwegen, wie bei anderen Autoren der »Inneren Emigration« auch, noch Werke von ihm heraus.Womöglich hat ihn die Zerstörung seines Hauses in Solln bei München durch einen Bombenangriff schon 1941 davor bewahrt, wie Haecker und Muth ins engere Umfeld des studenti-schen Widerstandskreises der »Weißen Rose« um Hans und Sophie Scholl zu geraten – eine lebensgefährliche Nähe nach der Verhaftung und Ermordung der Gruppe im Frühjahr 1943. Da wohnte Bergengruen bereits im ländlichen Tirol, wo er das Kriegsende 1945 physisch

FortsetzungauFseite14

Wernerbergengruen

Page 14: West-Ost-Journal

14 litEratur & vortrag

vertriebene Ex-Präsident, betrieb von London aus die aus seiner Sicht zwin-gend notwendige Lösung des »deut-schen Problems« in einem zukünftig

wieder zu errichtenden tsche-choslowakischen Staat. Er sah dabei, je länger er sich mit ent-sprechenden Konzepten be-fasster, desto entschiedener die Vertreibung des deutschspra-chigen Teils der Bevölkerung, die zwischen 1918 und 1938 in

der Tschechoslowakei lebte, als unver-meidlich an. Betroffen war dadurch im-merhin nicht ganz ein Viertel der tsche-choslowakischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger aus der Zeit vor der fatalen Münchner Konferenz vom Sep-tember 1938, auf der Hitler-Deutsch-land im Schulterschluß mit Mussolinis Italien Großbritannien und Frankreich zur Preisgabe der Tschechoslowakei ge-nötigt hatte. Bei der dort vereinbarten Abtretung des zumeist von Deutschen

unbeschadet erlebte.Obwohl Bergengruen in der frühen Nachkriegszeit zeitweilig in der Schweiz und in Rom lebte, wurde er nun rasch einer der prominentesten Autoren der jungen Bundesrepublik. Wie der mit ihm befreundete Reinhold Schneider galt er als Repräsentant des »anderen Deutschland« – da man sich in West-deutschland vielfach schwer damit tat, die Emigranten aus der Zeit nach 1933 wieder willkommen zu heißen, erfreu-te sich ein Autor wie Bergengruen, der offenkundig »dagegen gewesen«, aber in Deutschland geblieben war, großer Beliebtheit. Vielfältige Ehrungen und Auszeichnungen folgten, darunter der Schiller-Gedächtnispreis und der Or-den Pour le mérite (Friedensklasse). Werner Bergengruen starb am 4. Sep-tember 1964 in Baden-Baden.Bergengruen war ein Meister nicht nur der Gedichtform und des »großen« Romans, sondern insbesondere auch des novellistischen Erzählens. Viele Leserinnen und Leser werden sich er-innern, der einen oder anderen Ber-gengruenschen Novelle im schulischen Deutschunterricht begegnet oder spä-ter damit in Berührung gekommen zu sein – Kleinodien der Sprach- und Er-zählkunst allemal. Besonders berühmt sind etwa »Die drei Falken« (1937) oder »Der Spanische Rosenstock« (1940).

Wir freuen uns, wenn Sie, liebe Leserin-nen und Leser, für die hier angekündig-te Lesung einen Wunsch äußern, wel-che Novelle von Werner Bergengruen vorgetragen werden soll. Sie können das ganz formlos bis zum 18. Januar 2013 tun: Telefonisch unter 0211/1699114 (Frau Bergmann), postalisch oder per e-mail ([email protected]) an mich. Das Werk mit den meisten »Stimmen« wird gelesen!

WinFridHalder

VortrAg Von Dr. miroslAV kunŠtát, tschechi-sche AkADemie Der WissenschAFten, prAgEine Reizfigur – zum tschechischen politi-schen Diskurs über Edvard Beneš

Mi, 06.02. 18.00 uhr

Schon der Titel von Jiři Grušas letztem, posthum veröffentlichten Buch stellt für manchen eine Provokation dar: »Beneš als Österreicher«. Gruša wurde in dem Jahr geboren, das in der ersten Amtszeit von Edvard Beneš (1884-1948) als Präsident der Tschechoslowakischen Repu-blik zentrale Bedeutung hatte, nämlich 1938. Die Auseinan-dersetzung mit dem Politiker Beneš wurde gewissermaßen zu einem Lebensthema Jiři Grušas. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass ihn sein Lebensweg aus seinem ostböh-mischen Geburtsort Pardubice über die Zugehörigkeit zur Oppositions-bewegung gegen die kommunistische Herrschaft in der Tschechoslowakei in Prag und die damit verbundene Verfol-gung ausgerechnet nach Deutschland, genauer in die alte Bundesrepublik der 1980er Jahre führte. Seither leb-te Gruša in dem Land, von dem 1938 die Zerschla-gung der Tschechoslo-w a k i s c h e n R e p u b l i k ausging, an deren Spitze Edvard Beneš stand.Das Verhält-nis der Tsche-chen zu den D e u t s c h e n und umge-kehrt be-stimmte die Biographien von Edvard Beneš und Jiři Grušas g l e i c h e r -maßen mit – nur zogen sie andere Schlüsse da-raus. Beneš, der durch die Z e r s t ö r u n g der Tsche-choslowakei infolge der gewaltsamen E x p a n s i o n des NS-Staates ins britische Exil

Fortsetzung Von seite 13

DAs beneš-stAnDbilD in prAg

Page 15: West-Ost-Journal

15 vortrag & diskussion

bewohnten, aber bis dahin zur Tsche-choslowakei gehörenden Sudetenlan-des wurde der amtierende Staatschef Beneš nicht einmal gefragt. Aus Protest trat er wenige Tage später zurück und ging alsbald nach London. Rechtzeitig genug, um der militärischen Besetzung der »Rest-Tschechei«, also der end-gültigen Zerschlagung des bisherigen tschechoslowakischen Staates auf Be-fehl Hitlers im März 1939 zu entgehen.Die Gewaltsamkeit der Zeit unter der deutschen Besetzung bis 1945 und die sich – nach Benešs Rückkehr nach Prag und ins Präsidentenamt der wie-der errichteten Tschechoslowakei im Mai 1945 – vollziehende Ver trei bung von rund drei M i l l i o n e n Sudetendeut-schen bilden seither ein zentrales Thema im deutsch-tschechi-schen Diskurs über die gemeinsame jüngere Vergangenheit. Die Person von Edvard Beneš und seine politische Mit-verantwortung spielen dabei eine eben-so gewichtige wie nach wie vor umstrit-tene Rolle, und zwar in Tschechien und in Deutschland gleichermaßen. Der Titel von Jiři Grušas Buch spielt nicht zuletzt darauf an, dass Beneš 34 seiner insgesamt 64 Lebensjahre – mithin mehr als die Hälfte – als Untertan der Habsburger-Monarchie zugebracht hat und natürlich auch durch diese geprägt wurde. Ähnlich im Übrigen wie der nur knapp fünf Jahre jüngere Hitler, allerdings unter ganz anderen Vorzeichen. »Beneš als Österreicher«, das zunächst in tschechischer Sprache erschien, was gewiß kein Zufall war, da Jiři Gruša sowohl Deutsch wie Tsche-chisch schreiben konnte, Grušas letztes Buch also greift folglich in eine ausge-

inzusammenarbeitmitdemtscHe-cHiscHenzentrumdüsseldorF

unddersudetendeutscHenlandsmannscHaFt,landesgruppe

nrW

dr.miroslaVkunŠtát

Fünf Düsseldorfer Europäer(innen) aus fünf Nationen im Gespräch: Der neue Osten: Polen: Andrezej Kolinski, Polnisches Institut Düssel-dorf Das EU-Gründungsland: Italien: Myriana Marconi-Dybowski, Journalistin Der gefährdete Klassiker: Griechen-land: Michael Patentalis, Gesell-schaft griechischer AutorenDie glücklich integrierte Mitte: Deutschland: Dr. Katja Schlenker, Stiftung Gerhart-Hauptmann-HausModeration: Luigi La Grotta, stell-vertretender Redakteur beim WDR.Düsseldorf hat gut 30 Auslandsverei-ne aus europäischen Nachbarstaaten. Wenn sich alle an eine Tischgruppe setzten, ähnelte das dem EU-Minister-rat. Wir versuchen bescheidener, fünf ver-schiedene Perspektiven zueinander zu bringen. Wir sind Europa und wollen die grundlegenden Fragen nach Frieden, Demokratie, Tole-ranz und Gemein-sinn nicht einem anonymen Markt überlassen, der nur seinen eigenen Ge-setzen folgt. Über das »liebe Geld«, die Bankenkrise und die weitreichenden sozialen Folgen möchten wir auch dis-kutieren, aber noch mehr über die Wer-te, die uns zusammenhalten. Eine Veranstaltung des Düsseldorfer Appell und Evangelische Stadtakade-mie in Kooperation mit den an der Dis-kussion beteiligten Institutionen Veranstaltungsort: Haus der Kir-che, Bastionstraße 6

Unser Europa: Alle reden nur vom Geld, wir reden vom Wert

Mi, 06.02. 19.00 uhr

dehnte innertschechische Debatte ein. Diese dreht sich – wie die Frankfur-ter Allgemeine Zeitung in einer Besprechung des Buches formulierte – um die »zwiespältigste Figur der jüngeren Geschichte des Landes«. Die ver-tretenen Positionen lie-gen dabei wahrlich weit wahrlich weit auseinan-der: Jiři Gruša, der nicht nur Schriftsteller, son-dern auch von 1990 bis 2004 Botschafter seines Landes in der Bundes-

republik Deutschland und Österreich war, zählt Beneš resümierend zu den »Gartenzwergen der europäischen Ge-schichte«, den gleichen Edvard Beneš, für den im Mai 2005 vor dem Prager Außenministerium ein neu geschaffe-nes Denkmal enthüllt wurde. Der da-malige tschechische Ministerpräsident Jiři Paroubek war bei der Enthüllung der überlebensgroßen Statue zugegen und sagte, die Errichtung des Denkmals habe der »beachtenswerte Mann« Beneš verdient.Der Ende Oktober 2011 überraschend verstorbene Jiři Gruša kann an der wei-teren Diskussion über Edvard Beneš nicht mehr teilnehmen – indessen

darf diese wohl weder in Deutsch-land noch in Ts c h e c h i e n als abge-s c h l o s s e n

betrachtet werden, zumal die berüch-tigten Dekrete überwiegend aus der un-mittelbaren Nachkriegszeit, die Benešs Namen tragen und die Grundlage der Entrechtung und Vertreibung der Su-detendeutschen (und der in der Tsche-choslowakei lebenden Ungarn) waren, förmlich noch immer in Kraft sind. Den Verlauf und den gegenwärtigen Stand der tschechischen Debatte über Edvard Beneš resümiert Dr. Miroslav Kunštát. Er ist Historiker und Wissenschaftli-cher Mitarbeiter bei der Tschechischen Akademie der Wissenschaften in Prag und lehrt darüber hinaus am Institut für Internationale Studien der dortigen Karls-Universität. Miroslav Kunštát ist ein durch zahlreiche Veröffentlichun-gen in tschechischen und deutschen Organen ausgewiesener Experte für die jüngeren deutsch-tschechischen Bezie-hungen.

WinFridHalder

Page 16: West-Ost-Journal

16 vortrag

Vor 70 Jahren – die Schlacht von Stalingrad in historischer Perspektive

VortrAg Von Dr. bernD ulrich, berlin

Mo, 04.02. 19.00 uhr

„Meine liebe Ljussa, ich habe so viel er-lebt und gesehen, dass ich mich selber wundern muß, wie meine Seele, mein Herz und mein Gedächtnis damit fertig werden. Mir ist, als sei ich damit bis zum Rand gefüllt … Morgen will ich mich hinsetzen und einen langen Aufsatz schreiben.“ So heißt es in einem Brief vom 29. Dezember 1942, den Wassilj Grossman seiner Frau schickte.Zu diesem Zeitpunkt hatte Grossman den seit Ende August 1942 tobenden Kampf um Sta-lingrad in voller Länge und aus nächster Nähe miterlebt. Der aus dem ukrainischen Berditschew stammende Grossman, Jahrgang 1905, war bereits in den 1930er Jahren ein bekannter Schriftsteller in der Sowjetunion ge-worden; bei seinen ersten literarischen Versuchen war er durch Michail Bulg-akow und Maxim Gorki ermuntert worden, sodass er den Beruf des Ingeni-eurs bald aufgab.Im Juni 1941, unmittelbar nach dem Beginn des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion, hatte sich Grossman so-fort freiwillig zum Frontdienst bei der Roten Armee gemeldet. Dort freilich befand man ihn für körperlich un-tauglich – daraufhin wurde Grossman Mitarbeiter der Soldatenzeitung „Kras-naja Swesda“ (Roter Stern). Seine Vor-gesetzten schickten ihn prompt schon im August 1941 als Kriegsberichterstat-ter doch an die Front – und Grossman blieb dort fast ununterbrochen, bis er im April 1945 mit den sowjetischen Truppen Berlin erreichte und dort die deutsche Gesamtkapitulation erlebte.Das Erlebnis der Schlacht um Sta-lingrad freilich behielt für Grossman zeitlebens zentralen Stellenwert. Er schrieb darüber nicht nur, wie er sei-ner Frau angekündigt hatte, „einen lan-gen Aufsatz“, sondern schließlich bis 1959 seinen wichtigsten Roman unter dem Titel „Leben und Schicksal“ – ein Werk, für das zahlreiche Rezensenten, nachdem es 2007 erstmals vollständig und unverstümmelt in deutscher Über-setzung veröffentlicht wurde, fast nur Superlative gebrauchten. Und richtig: Es handelt sich um einen wahrhaft mo-numentalen Jahrhundertroman, schon rein äußerlich ein Schwergewicht mit über 1.000 Seiten. Grossman hat nicht nur das Toben der Schlacht, das er selbst miterlebte, in atemberaubenden Bildern eingefangen, sondern auch das Leiden der Zivilbevölkerung und den

Massenmord an den sowjetischen Ju-den durch deutsche „Einsatzkomman-dos“ verarbeitet. Grossmans eigene Mutter ist wie die große Mehrzahl der über 33.000 Menschen, die zur jüdi-schen Bevölkerung von Berditschew gehörten, vermutlich schon im Juli 1941 ermordet worden. Grossman hat

es sich nie verziehen, sie nicht frühzeitig zu sich nach Moskau geholt zu haben und schrieb der toten Mutter zeitlebens Briefe. „Leben und Schicksal“ enthält aber auch unverhohlene Kritik an den Machtmechanismen der

stalinistischen Sowjetunion; Grossman zeigt ungeschminkt, wie höhere Partei-funktionäre noch immer ungeschmä-lert privilegiert lebten, während die ein-fache Bevölkerung längst bittere Not litt. Und auch das Straf- und Zwangs-arbeitslagersystem des „Gulag“ blieb nicht unerwähnt, lange bevor Alex-ander Solschenizyn den Begriff welt-weit bekannt mach-te. Schließlich läßt Grossman deutlich werden, dass es auch in der Sowjetunion Antisemitismus gab, eine Einsicht, gegen die er sich selbst lange gewehrt hat. Nicht zuletzt deswe-gen hat Grossman nicht erlebt, wie sein Hauptwerk publiziert wurde. Als er 1964 starb, waren die vorhandenen Manuskripte durch den KGB beschlag-nahmt und Grossman mußte davon ausgehen, dass der Roman nie gedruckt werden würde, obwohl er bei Partei-chef Chruschtschow direkt „Freiheit für mein Buch“ einforderte. Erst 1980 gelangte auf verschlungenen, geheimen Wegen ein von Freunden gerettetes Ex-emplar des Manuskripts in die Schweiz und wurde bald darauf publiziert.Grossmans eingangs zitierter Satz, wo-nach er die Fülle des Erlebnisses von Stalingrad kaum zu fassen und verarbei-ten vermochte, dürften viele verstanden haben, die einen ähnlichen Erfahrungs-horizont hatten – soweit sie noch am Leben waren. Niemand weiß, wieviele Menschen insgesamt direkt oder in-direkt durch die Stalingrader Schlacht ums Leben kamen. Etwa 220.000 Mann der 6. deutschen Armee wurden im

November 1943 in und um Stalingrad eingekesselt, etwa 90.000 davon gingen Ende Januar/Anfang Februar 1943 in Gefangenschaft. Die Zahl derer, die zuvor als „Experten“ oder Verwundete ausgeflogen wurden, ist nicht genau be-kannt, es waren vermutlich ca. 20.000. Zwischen 5.000 und 6.000 Überle-bende kehrten zum Teil erst in den 1950er Jahren aus der Gefangenschaft nach Deutschland zurück. Die Anzahl der gefallenen Rotarmisten wird auf etwa eine halbe Million geschätzt, mit den Verwundeten hat die Rote Armee wohl über eine Million Mann verloren. Wieviele Zivilpersonen im Verlauf der Schlacht starben, ist unbekannt; von den rund 445.000 Einwohnern, die Stalingrad 1939 hatte, lebten in der Ruinenwüste Anfang 1943 gewiß nur noch wenige Tausend, der größere Teil

war unter desolaten Umständen (die Grossman ebenfalls nicht zu beschreiben vergißt) evakuiert worden.„Fertig werden“ kann man mit Sta-lingrad wohl nie. Der 70. Jahrestag der Kapitulation der 6. Armee gibt An-laß, verstärkt an das Grauen des Krieges zu erinnern, zumal kaum noch Zeitzeu-gen am Leben sind. Der Vortrag des Ber-

liner Historikers Dr. Bernd Ulrich rich-tet sich auf die Voraussetzungen, den Verlauf und die Folgewirkungen der Schlacht um Stalingrad – die natürlich weit über das Frühjahr 1943 hinaus-reichten. Ulrich hat 2005 im renom-mierten C. H. Beck-Verlag in München einen hervorragenden Überblicksband zur Stalingrad-Schlacht vorgelegt, der zur neueren deutschsprachigen Stan-dardliteratur zum Thema gehört. Bernd Ulrich hat an der Freien Universität Berlin Geschichte und Germanistik studiert. Von 1990 bis 1995 war er am dortigen Friedrich-Meinecke-Institut Wissenschaftlicher Mitarbeiter. Von 1997 bis 2003 war er am Hambur-ger Institut für Sozialforschung tätig. Seither arbeitet er wieder in Berlin als freischaffender Historiker, hat eine Vielzahl von Publikationen vorgelegt sowie an zahlreichen Ausstellungen und Rundfunksendungen mitgewirkt. WinFridHalder

WAssilJ grossmAn (1905-1964) in schWerin 1945

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»leben in Dieser zeit«Eine Reise durch die Zeit mit Liedern und Chansons von Edmund Nick und Erich KästnerDie Zeit hat viele Gesichter. Der Kom-ponist Edmund Nick (1891-1974) und der Schriftsteller Erich Kästner (1899-1974) waren selten scharf beobachten-de Zeitzeugen, ihre Werke der Spiegel eines Jahrhunderts voller Brü-che, Höhen und Tiefen. Der in Dresden geborene Käst-ner ist nicht nur Autor von Kin-derbuchklassikern wie »Das fliegende Klassenzimmer« oder »Emil und die Detektive«. Sei-nen Zeitgenossen war er als Verfasser zeitkritischer, politisch-satirischer Ge-dichte und Texte für das Kabarett be-kannt. Der Komponist, Dirigent und Musik-kritiker Edmund Nick stammte aus dem böhmischen Reichenberg und leb-te zeitweise in Breslau, wo er als musika-lischer Leiter beim Schlesischen Rund-funk beschäftigt war. Hier kreuzten sich auch erstmals die Wege von Nick und Kästner im Herbst 1929.Es sind turbulente Zeiten: die Weltwirt-schaft kollabiert, Millionen verlieren ihr Erspartes und bald auch die Arbeit.

Nick, der Musiker, unterlegt Kästners Gedichte mit stilsicheren Vertonungen. Für den Rundfunk, das neue Medium der Zeit, kreieren sie das Radiospiel »Leben in dieser Zeit« (1929) – Split-

ter der damaligen sozialen und gesellschaftlichen Realität, mit untrüglichem, aber doch auch empathischem Blick für die Probleme des Einzelnen, seinen Alltag und seine Lebensbedin-gungen. Das Programm »Leben

in dieser Zeit« findet beim Publikum sehr großen Anklang und wird an fast allen größeren deutschen Büh-nen aufgeführt. 1933 verbieten die Nationalso-zialisten aller-dings die Aufführungen. Kästner und Nick erhalten Berufsverbot. Erst nach dem Krieg nehmen sie die gemeinsame Arbeit wieder auf und schreiben Lie-der für das Münchener Kabarett »Die Schaubude«. Ihre Chansons sind teils charmant, teils bissig oder witzig, auf

jeden Fall stets am Puls der Zeit und da-bei prallbunt wie die Wirklichkeit.Die Sopranistin Iris Marie Kotzian und der Pianist Christoph Weber haben aus dem gemeinsamen Repertoire von Erich Kästner und Edmund Nick ein Programm voll Humor und Witz zu-sammengestellt. Gemeinsam mit Frank Schablewski (Sprecher) folgen sie den beiden durch fast ein Jahrhundert deutscher Geschichte. Dabei zeigt sich diese Zeit in einer turbulenten Folge von Bildern vom Kindesalter über das Erwachsenwerden durch Flucht und

Ve r t r e i b u n g bis in die Wirt-s c h a f t s w u n -derjahre. Iris Marie Kotzian schlüpft mal in

die Rolle eines quengelnden Babys, mal ist sie die frisch Verliebte, mal die laszi-ve Bardame, dann wieder eine desillusi-onierte frühe Witwe. Und nicht selten sieht man so manche Parallele zum Jetzt und Heute, die schmunzeln und stau-nen lässt. margaretepolok

Mi, 20.03. 19.00 uhr

einegemeinsameVeranstal-tungmitdersudetendeut-scHenlandsmannscHaFt,landesVerbandnrWe.V.

Frank Schablewski (Sprecher)Frank Schablewski studierte Bildende Kunst und Literatur an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Düsseldorf sowie Tanz an verschie-denen Instituten in Deutschland, der Schweiz und Frankreich. Er ist Verfasser von Gedichten und Essays zur Kunst. Daneben arbeitet er als Choreograph. Seine Bücher erscheinen im Rimbaud Verlag.

Iris Marie Kotzian (Sopran)Die Sopranistin studierte Gesang an der Hochschule für Musik zu Würzburg. Sie war Preisträgerin bei zahlreichen Wettbewerben, darunter dem Inter-nationalen Gesangswettbewerb Fest-spielstadt Passau und dem Concours International de Chante Montserrat Caballé. Als freischaffende Künstlerin gastierte sie an zahlreichen nationalen und internationalen Opernhäusern und Theatern. Iris Marie Kotzian ist Lehrbe-auftragte für Gesang an der Universität Augsburg.

Christoph Weber (Klavier)Christoph Weber arbeitete als Kom-ponist und Pianist in Lied- und Schau-spielprogrammen zahlreicher deutsch-sprachiger Theater und war u.a. musikalischer Leiter am Thalia Theater Hamburg. Er ist Dozent für Liedgestal-tung an der Bayerischen Theaterakade-mie München.

17 lEsung

Page 18: West-Ost-Journal

18 vortrag

Mo, 04.03. 19.00 uhr

VortrAg Von proF. Dr. michAel gArleFF, bunDesinstitut Für geschichte unD kultur Der Deutschen im östlichen europA

Kinder Europas aus dessen geschichtsträchtigem Osten – Die Geschichte der baltischen Staaten vom Mittelalter bis 1939»So wird man die Menschen der balti-schen Völker, wenn sie nicht geschichts-müde geworden, […] nie verkennen können: als Kinder Europas aus dessen geschichtsträchtigem Osten, dem […] noch Kräfte des Herzens, des Gemütes, des Glaubens eigen sind, ohne die zu leben sich eigentlich nicht ziemt und nicht lohnt. […] Und alles, was ich am Ende dieser Betrachtung in einer ungewissen Gegenwart vor einer ungewissen Zukunft tun kann, ist, dass ich Sie für die drei Völker Estlands, Lettlands und Litauens bitte: Gedenken Sie ihrer als dreier Glieder am geistigen Leibe Europas!«Mit diesen nachdrücklichen Worten rief der Dichter Edzard Schaper im Mai 1964 dazu auf, die baltischen Länder und die dort lebenden Menschen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Er wandte sich insbesondere an die West-europäer, die diesseits des Eisernen Vorhangs leben und die Freiheit und Wohlstand der westlichen Demokra-tien genießen konnten. Die baltischen Völker indessen lebten schon fast genau ein Vierteljahrhundert im Zeichen des mörderischen Totalitarismus: Nach-dem sich NS-Deutschland und die Sowjetunion Ende August 1939 im »Hitler-Stalin-Pakt« auf die Aufteilung ihrer »Inter-essensphären« geeinigt hatten, gerieten die baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland, die erst 1918 aus dem zer-fallenden Staatsverband des Zarenrei-ches heraus ihre staatliche Unabhängig-keit erlangt hatten, in den Machtbereich des sowjetischen Imperialismus. Im Juni 1940 besetzten Truppen der Roten Armee die Staatsgebiete der drei balti-schen Staaten. Wie anderwärts auch begann unmittelbar danach die Verfol-gung und Ermordung zahlreicher Men-schen, die nach Lesart des sowjetischen Geheimdienstes als »Klassenfeinde« oder pauschal als »antisowjetisch« ein-geschätzt wurden. Betroffen war insbe-sondere die Bildungselite der baltischen Länder.Nahezu zeitgleich hatte der mit Hit-ler vereinbarte Exodus der Masse der Deutschbalten begonnen, die unter dem Motto »Heim ins Reich« vom stalinistischen Regen in die national-sozialistische Traufe geraten sollten. Die Phase der Besetzung der baltischen Staaten durch die Wehrmacht, die auf den Beginn des deutschen Angriffs auf

die Sowjetunion im Juni 1941 folg-te, stellte lediglich unter veränderten Vorzeichen eine Fortsetzung der 1940 begonnenen Phase extremer Gewalt-samkeit gegen große Teile der dort le-benden Bevölkerung dar.Als die Rote Armee, die längst geschla-gene Wehrmacht vor sich hertreibend,

im Herbst 1944 zurückkehrte, stand es für Stalin außer Frage, dass Estland, Lettland und Litauen wieder dem Sowjetreich einver-leibt wurden – seine westlichen Alliierten nahmen dies hin. Zwar

gab es gegen die neuerliche Unterdrü-ckung durch die stalinistischen Macht-haber noch bis in die frühen 1950er Jahre hinein örtlich sogar bewaffneten Widerstand, aber an der zwangswei-se erneuerten Zugehörigkeit zur So-wjetunion änderte dies nichts. Und erst recht an der Tatsache, dass in den kurzen Jahren seit 1939/40 eine jahr-hundertealte Symbiose zwischen Men-schen unterschiedlicher ethnischer Herkunft, zwischen Deutschbalten, Litauern, Esten, Letten, Polen, Finnen, Russen, Juden und anderen Gruppen zusammen mit der zugehörigen einzig-artigen Kultur unwiederbringlich zer-stört wurde, war nichts mehr zu ändern.Diese Situation hatte Edzard Schaper

1964 vor Augen: Die Deutschbalten, welche die Kriegszeit überdauert hat-ten, lebten inzwischen überwiegend in der Bundesrepublik Deutschland, rund eine Million Litauer, Letten und Esten, die vor der Sowjetherrschaft ge-flohen waren, lebten als Emigranten in Westeuropa oder den USA. Die große Mehrheit der Menschen im baltischen Raum aber war durch den Eisernen Vorhang den Blicken der freien Welt weitestgehend entzogen – und drohte aufgrund der simplen und im Grunde vollkommen falschen Gleichsetzung Sowjetunion = Russland, die im west-lichen Sprachgebrauch bis 1990/91 allzu gängig blieb, in ihrer sprachlichen und kulturellen Eigenart aus dem ge-meinsamen europäischen Gedächtnis zu verschwinden.Schaper indes kannte den baltischen Raum sehr gut: Zwar wurde er 1908 in Ostrowo in der damaligen preu-ßischen Provinz Posen geboren, hat jedoch einen wichtigen Teil seines Le-bens im baltischen Raum verbracht. Seine schriftstellerische Begabung trat früh hervor, freilich dauerte es auch für Schaper lange, bis er sich eine Existenz als professionell Schreibender aufbauen konnte. Er arbeitete zwischenzeitlich an verschiedenen Theatern, war Gärtner

kArte Des bAltikums Aus Dem JAhr 1573

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19 vortrag

und Matrose auf einem Fischfangschiff. Erst nachdem er seine Ehefrau Alice kennengelernt hatte, wurde Schapers Leben stetiger: Nicht zuletzt aufgrund der Herkunft seiner Frau, die aus einer deutschbaltischen Familie stammte, ließ sich Schaper 1931 im estnischen Reval (heute Talinn) nieder. Damit wurde eine der traditionsreichsten, historisch bedeutendsten baltischen Städte sein ständiges Lebensumfeld. Das Baltikum spielte fortan an auch in Schapers lite-rarischem Schaffen eine wichtige Rolle; während er als Autor nunmehr beim renommierten deutschen Insel-Verlag in Leipzig erfolgreich war, arbeitete er nebenbei als Korrespondent der US-amerikanischen Nachrichtenagentur UPI für den baltischen Raum. Seine un-verkennbare Einstellung als christlicher Autor, der den totalitären Ideologien des 20. Jahrhunderts ablehnend gegen-überstand, führte jedoch schnell dazu, dass die NS-Machthaber in Deutsch-land ihn als Gegner ausmachten.1939/40 wurde Schaper selbst unmit-telbar Zeuge des Untergangs der alten baltischen Welt. Nur knapp konnte er durch Flucht dem Zugriff der sowjeti-schen Verfolgungsorgane entgehen – ein kurzer Aufenthalt in Deutschland zeigte ihm jedoch, dass auch dort an ein dauerhaftes Bleiben für ihn nicht zu denken war. Schaper lebte seither in Finnland, blieb also der Liebe zum nordosteuropäischen Raum treu.Kurz vor dem Ende des Zweiten Welt-krieges wurde gegen Schaper ein Ver-fahren vor dem berüchtigten »Volksge-richtshof« eröffnet, da er sich angeblich der Wehrpflicht entzogen hatte. Für Hitler freilich mochte er nicht kämpfen. Das gegen ihn verhängte Todesurteil blieb in Anbetracht seines Aufenthalts in Finnland und des Zusammenbruchs des NS-Regimes folgenlos. 1947 übersiedelte Ed-zard Schaper in die Schweiz, wo er bis zu seinem Tod 1984 blieb. »Der Spiegel« schrieb aus diesem Anlaß, Schapers literarisches Schaffen mit seiner »Besinnung auf die abendländische Tradition und die Werte christlicher Kultur« hätten eine Zeitlang in der frühen Nachkriegs-zeit Konjunktur gehabt, danach aber »wurden sie hoffnungslos unmodern und mit ihnen der Autor.« Nun könn-te man gewiss trefflich darüber streiten, ob Werte, die zum Kern des kulturellen Selbstverständnisses Europas gehören, überhaupt »unmodern« werden kön-nen – und ob nicht vielmehr lediglich die ihnen entgegengebrachte Aufmerk-samkeit schwindet, ohne dass damit etwas über die Relevanz dieser Werte für Gegenwart und Zukunft ausgesagt wird. Europa tut jedenfalls gut daran, heute wieder verstärkt das Verbinden-

de seiner Kultur und seiner Geschichte in den Blick zu nehmen, zumal ja allzu offenkundig ist, dass eine derzeit in der Krise steckende gemeinsame Währung zur Gewähr des inneren Zusammen-hangs der europäischen Staaten zu we-nig ist – und recht besehen schon im-mer zu wenig war. Vielleicht sollte der Eine oder Andere auch einmal darüber nachdenken, warum denn Autoren wie Edzard Schaper, Werner Bergengruen, Paul Claudel, Bruce Marshall oder auch C. S. Lewis mit dem sie ver-bindenden Rekurs auf das christliche Abend-land gerade zu der Zeit »modern« und populär waren, als das gemein-same Europa nach der Katastrophe zweier Weltkriege auf seinen überlieferten Funda-menten politisch neu begründet wurde?Den inneren Zusam-menhang Europas in den Blick zu nehmen ist mithin dringlicher denn je, mag manch eine publizierte Meinung das auch für »unmodern« halten – »hoffnungslos« ist es indessen gewiß nicht, im Gegenteil: Hoffnung vermittelnd.Der innere europäische Zusammen-hang mit den baltischen Staaten, für dessen Lebendigerhaltung sich Edzard Schaper so nachdrücklich eingesetzt hat, ist seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1990/91, der daraus her-vorgehenden, endlich wieder errunge-nen staatlichen Eigenständigkeit und schließlich dem Beitritt Litauens, Lett-lands und Estlands zur Europäischen Union im Jahre 2004 wieder ungleich

stärker als lange Zeit zuvor ins Blickfeld getreten. Damit ge-winnen auch die weit zurückreichen-

den historischen Verbindungslinien zwischen Deutschland und dem balti-schen Raum wieder herausragende Be-deutung – von den Gründungsstaaten des gemeinsamen Europa nach dem Zweiten Weltkrieg ist kein anderer so eng in Geschichte und Kultur mit dem Baltikum verwoben wie Deutschland. Deutsche Kaufleute, der Schwertbrü-der- und der Deutsche Orden und die Hanse trugen vom hohen Mittelalter an die materielle, politische und kultu-relle Verbindung zwischen deutschem und baltischem Raum. Auch nach dem Ende der Präsenz des Deutschen Ordens blieben die Kultur- und Han-delsbeziehungen trotz einer größeren politischen Distanz erhalten; etwa die Reformation hielt durch die Vermitt-lung deutscher Geistlicher vor allem im

nördlichen Teil des baltischen Raumes frühzeitig Einzug. So war Andreas Knop-kens (um 1468-1539) der Mann, der in Riga schon seit 1522 im Sinne Martin Luthers predigte. Knopkens stammte aus einer ursprünglich pommernschen Familie und war mit Johannes Bugen-hagen (1485-1558) verbunden, dem berühmten, aus Wollin stammenden »Doctor Pomeranus«, der einer der engsten Mitstreiter Luthers überhaupt

war und dessen Bedeu-tung für die ganze refor-matorische Bewegung im Norden und Nord-osten Europas kaum zu überschätzen ist.Auch während der Zeit, in der der baltische Raum politisch eng mit Polen und dann seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert mit dem russischen Zarenreich verknüpft war, rissen der Handels- und Kultur-austausch mit Deutsch-land nicht ab. Vor allem die damalige preußische

Provinz Ostpreußen befand sich ja mit ihrer Metropole Königsberg nach wie vor in der nahen geographischen Nach-barschaft. Nicht zufällig verdankten die baltischen Staaten auch ihre nach dem Ersten Weltkrieg errungene staat-liche Unabhängigkeit besonders auch der deutschen Unterstützung – so wie Hitler sie dann 1939 Stalin preisgab und die Deutschbalten aus ihrer histo-rischen Heimat herausriß.Prof. Dr. Michael Garleff zeichnet in sei-nem Vortrag die Linien der baltischen Geschichte vom Mittelalter bis zum großen Einschnitt von 1939 nach. Prof. Garleff ist einer der führenden Exper-ten für die Geschichte des baltischen Raumes. Als Osteuropahistoriker wur-de er 1969 an der Christian-Albrechts-Universität Kiel promoviert. Kiel ist zugleich seine Heimatstadt – der Bezug zum Ostseeraum wurde ihm also gewis-sermaßen in die Wiege gelegt. Er war im Schuldienst und als Wissenschaftlicher Assistent ebenfalls an der Universität Kiel tätig; 1990 wurde Michael Garleff Leiter des Wissenschaftsbereichs Ge-schichte am Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im öst-lichen Europa in Oldenburg. Dessen Leitung übernahm er 1997 zunächst kommissarisch, seit 2000 bis 2004 wirkte er dann förmlich als dessen Di-rektor. Darüber hinaus lehrt er seit 2002 als außerplanmäßiger Professor an der Carl-von-Ossietzky-Universität Olden-burg. Neben zahlreichen anderen Ver-öffentlichungen legte Prof. Garleff 2001 den Band »Die baltischen Länder: Est-land, Lettland, Litauen vom Mittelalter bis zur Gegenwart« vor. WinFridHalder

edzardscHaper1908-1984

reiHedasbaltikum:kulturundgescHicHte

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20 tagung

kultur unD geschichteDer Deutschen im östlichen europA

»Aussöhnung als Aufgabe« Kongress der CDU/CSU-Bundestagsfraktion»Wie Jona in des Fisches Bauch komme ich mir vor und kann es mit dankerfüll-tem Herzen erwarten, wo er mich wie-der an Land spucken wird. Das zweite Leben hat begonnen... mein Gebet geht um nichts anderes mehr als um ein Fünkchen Humor und um ein of-fenes Auge für alles, was noch kommen mag.«So zitierte Staatsminister Bernd Neumann den Schriftsteller Hans Graf von Lehn-dorff und versinnbildlichte damit treffend die Intention des Kongresses »Aussöhnung als Aufgabe. Deutsch-lands Arbeit an den Kriegsfolgen seit 1945«, der am 15. Oktober 2012 im Reichstagsgebäude stattfand. Treffend in zweierlei Hinsicht. Zum einen war der Blick nach vorn, auf das, »was noch

kommen mag«, zentraler Bestandteil der Tagung, zu der die Gruppe der Ver-triebenen, Aussiedler und deutschen Minderheiten der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag unter Vor-sitz von MdB Klaus Brähmig geladen hatte. So sollte besonders die aktuelle Bedeutung und Zukunftsträchtigkeit der Thematik »Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa« hervorgehoben werden. Zum anderen war der Kongress von einer ähnlichen Stimmung geprägt, wie sie Graf von Lehndorff in seinem »Ostpreußischen Tagebuch« zum Ausdruck bringt. Eine Mischung aus noch anhaltender und wiederaufkommender schmerzlicher Erinnerung, tief verankerter Hoffnung und nimmermüdem Tatendrang.Mit der Organisation der Veranstal-tung zeigte die CDU/CSU Fraktion, welchen Stellenwert das Thema »Die

deutsche Geschichte in Osteuropa« innerhalb ihrer politischen Arbeit ein-nimmt. Deutlich unterstrichen wurde dies durch ihr Redneraufgebot. Bundes-kanzlerin Dr. Angela Merkel, Fraktions-vorsitzender Volker Kauder, Staatsminis-ter Neumann und der Parlamentarische Staatssekretär und Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten Christoph Bergner nahmen sich die Zeit, um zu den Kongressteilnehmern zu sprechen. Klaus Brähmig stellte die Grundin-tention der Veranstaltung mit ihrem zukunftsgewandten Charakter vor. Fraktionsvorsitzender Kauder formu-lierte die Grundlinien der CDU/CSU. Er bezeichnete die »furchtbare Aggres-sionspolitik des Dritten Reichs« als

»das größte Drama und Ausgangspunkt der heutigen The-matik« und betonte, dass »Aussöhnung, Verständnis und Ver-gebung für die Partei untrennbar zusam-mengehören.« Am Beispiel der Chris-tenvertreibungen der heutigen Zeit im Na-hen Osten demonst-rierte er den aktuellen Gehalt des Themas »Vertreibung«. Im Anschluss referierte der Aussiedlerbe-auftragte Christoph Bergner über die Be-

deutung des Kriegsfolgenschicksals der Deutschen in Osteuropa für die Aus-siedler- und Minderheitenpolitik der Bundesregierung. Als wichtiges Arbeits-feld bezeichnete er hierbei die Kriegs-folgenbewältigung im Zusammenhang mit kultureller Integration. Dies sei ein maßgeblicher, friedensstiftender Ansatz in der Europäischen Union. Besonderes Gehör fand in seiner Rede die Gruppe der Russlanddeutschen. Ein wichti-ges Anliegen sei es, dieser Minderheit eine, im angemessenen Verhältnis zu ihrer Leidensgeschichte stehende Un-terstützung und Förderung zu gewähr-leisten. Staatsminister Bernd Neumann würdigte besonders die Mithilfe der Flüchtlinge und Vertriebenen beim Wiederaufbau Deutschlands und de-ren Engagement in der Verständigung mit den einzelnen Partnerländern. Die

Wahrung ihrer Traditionen sei »ein Vermächtnis der Vergangenheit und ein Unterpfand der Zukunft!« Anschlie-ßend machte er noch auf die Vielschich-tigkeit der Arbeit der Bundesregierung im Bereich der Geschichte und Kultur der Deutschen im östlichen Europa auf-merksam. Als aktuelles Beispiel nannte er das, von seinem Haus und dem Bun-desinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa ins Leben gerufene, akademische Förder-programm. Dieses wird mit 800.000 Euro jährlich unterstützt und initiierte unter Anderem bereits die Schaffung von Juniorprofessuren. Weiterhin hob er die erfolgreiche grenzüberscheiten-de Vermittlungsarbeit der vom Bund geförderten Kulturreferentinnen und Kulturreferenten hervor.Die Bundeskanzlerin formulierte die politischen Rahmenbedingungen für eine gelungene Aussöhnung der deut-schen Vertriebenen. Sie betonte, dass es hier in keiner Weise um Vergleiche, um ein Gegenüberstellen gehe. »Auch die-ses Leid und Unrecht muss anerkannt werden, ist Teil unserer deutschen Geschichte, ohne anderes Unrecht im Mindesten zu relativieren oder zu ver-gleichen. Nur wenn wir allen Opfern eine Stimme geben, kann Aussöhnung vollendet werden.« Bemerkenswer-terweise bedienten sich sowohl die Bundeskanzlerin als auch der promi-nente Kongressteilnehmer und Litera-turkritiker Professor Hellmuth Karasek desselben Vergleichs. Beide sahen im Wiederaufbau der zerstörten Dresde-ner Frauenkirche - Merkel spezifisch im durch britische Spenden finanzierten Kuppelkreuz - ein Zeichen der Verge-bung, Versöhnung und des Neuanfangs.Drei Diskussionsrunden, ergänzt durch die oben erwähnten Reden, ergaben ein wirklich facettenreiches Programm. Durch unterschiedliche zentrale Aspek-te in den Gesprächsrunden und eine Auswahl an Experten mit vielfältigen Professionen und Hintergründen ge-lang es, die Thematik »Aussöhnung als Aufgabe« aus verschiedenen Perspekti-ven zu durchleuchten.Die erste Diskussionsrunde hatte den Blickwinkel der »Enkelgeneration«. Sie widmete sich einer Kernfrage des Kongresses, nämlich wie die jüngeren Generationen heute und in Zukunft mit der Vertriebenenhistorie ihrer Vorfah-ren umgehen können. Junge Vertreter

bundeskanzlerindr.angelamerkel

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21 tagung & studiEnFahrt

aus Medien und Politik, die sich aktu-ell mit dem Schicksal der Vertriebenen auseinandersetzen, zeigten Wege auf, ei-nen Zugang zu der Thematik zu finden. Der Ausspruch der Journalistin und Autorin Merle Hilbk: »Unsere Eltern haben die wirtschaftlichen Trümmer beiseite geschafft, wir müssen nun die seelischen Trümmer beseitigen«, fand große Zustimmung. In Wortbeiträgen seitens der Zuhörerschaft wie auch der Politiker wurde der Wunsch nach einer besseren Aufklärung über die deutsche Vertriebenenthematik im Schulunter-richt deutlich.Unter einem ganz anderen Aspekt wurde »Aussöhnung als Aufgabe« in der zweiten Expertenrunde diskutiert. Die Konzeption der geplanten Dau-erausstellung der Stiftung »Flucht, Vertreibung, Versöhnung« stand im Zentrum dieses Podiums. Stiftungs-direktor Professor Manfred Kittel, der amerikanische Professor Norman Nai-mark, Mitglied des Wissenschaftlichen Beraterkreises der Stiftung, und weitere mit dem Thema vertraute Historiker diskutierten zum Beispiel über die Fra-ge, wie eine angemessene Erinnerung für die Flüchtlinge und Vertriebenen im Rahmen der Dauerausstellung in Berlin aussehen soll. Aus diesem recht spe-zifischen Thema entwickelte sich die Diskussion im Laufe der Zeit zu einer fundierten Grundsatzdebatte. Die letzte Gesprächsrunde setzte sich mit der wohl schwierigsten Form von Aussöhnung auseinander, nämlich der mit sich selbst. Es ist naheliegend, dass im Rahmen dieser Perspektive die Teil-nahme der Zuhörer der Veranstaltung ihren Höhepunkt erreichte. Private, emotionale und aufgewühlte Schilde-rungen von persönlichen Schicksalen unterstrichen, was der Psychoanalyti-ker Professor Michael Ermann als Bot-schaft auf dem Kongress vermittelte: »Versöhnung mit dem Nachbarn ist nicht möglich, bevor ich mich nicht mit dem eigenen Schicksal auseinanderge-setzt habe.« Damit konnte zumindest ein Eindruck davon gewonnen wer-den, wie problemgeladen und prägend dieser schmale Grat zwischen Aussöh-nung, Verarbeitung und Verdrängung heute noch ist. Die CDU/CSU- Bundestagsfraktion kann sich über eine rundum gelunge-ne Tagung freuen. Mit einer stimmi-gen Konzeption, die sowohl fachliche als auch emotionale Diskussionen mit Tiefgang zuließ, konnte sie einen Akzent in einem Themenfeld setzen, dessen Mehrwert für die folgenden Ge-nerationen oftmals unterschätzt wird. Gerade für die Ausarbeitung, Formulie-rung und Förderung dieses Mehrwerts war der Kongress von besonderer Be-deutung. annaValeskastrugalla

AuF Den spuren Des Deutschen orDens unD Der hAnse

Eine kulturhistorische Studienreise22.4. - 29.4.20131. Tag: Montag, 22. April 2013Abfahrt des Busses am Morgen in Düs-seldorf nach Kiel von der Reisebushal-testelle Hauptbahnhof. Fährüberfahrt nach Memel/Klaipeda in Litauen.Übernachtung auf der Fähre.

2. Tag: Dienstag, 23. April 2013Ankunft in Memel/Klaipeda. Kleiner Stadtrundgang. Fahrt nach Riga. Unterwegs Station am Berg der Kreuze in Schaulen. Der Berg der Kreuze ist ein Zeichen von litauischer Frömmigkeit und Litauens Widerstandes gegen seine Unterdrücker. Weiterfahrt nach Riga. Übernachtung in Riga.

3. Tag: Mittwoch 24. April 2013Stadtbesichtigung von Riga, der letti-schen Hauptstadt, die gerne als eine der schönsten Städte des Baltikums be-zeichnet wird.Riga blickt auf eine reiche Vergangen-heit zurück, das spürt man auf Schritt und Tritt. Unübersehbar sind die ge-schichtlichen Wurzeln der Stadt. Mäch-tige Stadtkirchen, prunkvolle Patrizi-erhäuser, Kontore, das neuerrichtete Schwarzhäupterhaus, die Gilden und vieles mehr weisen in die Richtung des Ursprungs und der Tradition - nach Westen.

4. Tag: Donnerstag 25. April 2013Sie fahren morgens zunächst in das landschaftlich eindrucksvollste Gebiet Lettlands, in den Gauja-Nationalpark. Besuch der Bischofsburg Turaida. Wei-ter geht es dann entlang der Ostseeküs-te nach Pärnu. Kleiner Stadtrundgang.Abendlicher Rundgang durch die Altstadt von Tallinn. Übernachtung in Tallinn.

5. Tag: Freitag, 26. April 2013

Stadtbesichtigung Tallinn. Die wechsel-volle Geschichte der Stadt scheint greif-bar in den unverfälschten Straßen und Gassen der Altstadt, die Sie besichtigen und die wie ein lebendiges Museum wirkt. Tallin, früher eine bedeutende Hanse-stadt, teilt sich in die Oberstadt, von der man eine schöne Aussicht auf die Stadt und den Hafen hat, und die Unterstadt mit vielen historischen Bauten. Durch das »Lange« oder das »Kurze Bein«, zwei alte Sträßchen, gelangt man von der Oberstadt - Toompea, dem ehema-ligen Sitz der Adeligen, Geistlichen und Ritterschaften, in die Unterstadt.

6. Tag: Samstag, 27. April 2013Am Morgen setzen Sie mit der Fähre von Tallinn nach Helsinki über. Abfahrt um 8.00 Uhr, Ankunft 10.30 Uhr. Stadt-rundfahrt in der finnischen Hauptstadt. Am Nachmittag Weiterfahrt nach Tur-ku. Einschiffung auf die Nachtfähre nach Stockholm, Abfahrt um 21.00 Uhr. Übernachtung auf der Fähre.

7. Tag: Sonntag, 28. April 2013Ankunft der Fähre um 6.30 Uhr in Stockholm. Stadtrundfahrt Stockholm. Weiterfahrt nach Helsingborg. Vadste-na ist berühmt wegen des Brigittenklos-ters, des imposanten Schlosses und des ältesten Rathauses Schwedens.Übernachtung in Helsingborg.

8. Tag: Montag, 29. April 2013Fahrt nach Kopenhagen. Stadtrund-fahrt Kopenhagen.

Der Preis für die Reise beträgt 1049,- € bei Unterbringung im Doppelzimmer mit Halbpension. Einzelzimmerzuschlag : 149,- €. Anmeldung un Information bei Mattias Lask unter Tel. 0211-1699118.

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22 ausstEllung

neue DAuerAusstellung im renommierten goethe-theAter

Gerhart Hauptmann und Bad Lauchstädt – Gabriel Schillings Flucht Im vergangenen Jahr wurde an Gerhart Hauptmann aus Anlass seines 150. Ge-burtstages in besonderem Maße erin-nert – nicht nur mit einer Sonderbrief-marke oder 10 € Gedenkmünze!Geboren am 15. November 1862 im nordschlesischen Obersalzbrunn wur-de er zum bedeutendsten deutschspra-chigen Dramatiker des 20. Jahrhun-derts und am 10. Dezember 1912 mit der Verleihung des Nobelpreises für Li-teratur »… vor allem als Anerkennung für sein fruchtbares und vielseitiges Wirken im Bereich der dramatischen Dichtung« geehrt. In seiner Dankesre-de sprach er sich recht eindeutig für das »Ideal des Weltfriedens« aus – einein-halb Jahre vor Beginn des Ersten Welt-krieges!Und es waren auch genau 100 Jahre seit der Uraufführung seines Dramas »Gabri-el Schillings Flucht« am 14. Juni 1912 im Goethe-Theater zu Bad Lauchstädt vergangen und mancher Leser wird sich fragen: »Wo liegt denn diese Stadt?«Der Bade-Medicus Daniel Gottfried Frenzel schreibt dazu in seiner 1768 erschienen Schrift »Die Natur und Würkung des mineralischen Wassers Lauchstädt« u. a. wie man den Ort auffindet: »Lauchstädt, ein klein Städt-gen, liegt im Stifte Merseburg, fast in dem Mittelpunkt von lauter berühm-ten Städten. Es hat gegen Morgen 1 ¼ Meile Merseburg, etwas gegen Mittag 2 Meilen Weißenfels, weiter gegen 3 Mei-len Naumburg, etwas gegen Abend 2 Meilen Freiburg…«. Das stimmt auch heute noch, nur wird der Besucher die direkte Abfahrt der BAB 38 benutzen!Bad Lauchstädt ist ein historischer Kurort mit großer Tradition, gerühmt als Luxus- und Modebad des 18. Jahr-hunderts! Die Heilquelle wurde durch Zufall entdeckt und bereits seit 1710 genutzt. Ab 1775 verlegte der Dresde-ner Kurfürstliche Hof seine Sommer-residenz mehrfach hierher, erfolgte durch den Merseburger Stiftsbaumeister Johann Wilhelm Chryselius eine groß-zügige Neugestaltung der Garten- und Parkanlagen. Anspruchsvoll und auf große Wirkung bedacht stehen im Zen-trum des stimmungsvollen, wunder-schönen Kurparks die Barockbauten des einstigen Kurbades: das elegante Kursaalgebäude mit seinen wertvollen Schinkelmalereien, flankiert von zwei Pavillonbauten, die Kolonnaden und etwas abseits ein Pavillon (eingerichtet

als Spielsalon).Fast 250 Jahre ist man hierher zur Kur gefahren – den Bemühungen Goethes ist es zu verdanken, »dass Bad Lauch-städt heute eher in der Welt des The-aters und der schönen Künste Glanz verbreitet und der gute Ruf des frühe-ren Heilbades und des berühmten Heil-brunnens« etwas zurückgetreten ist.Unter Goethes »Oberdirektion« gas-tierte am 13. Juni 1791 das Weimarer Hoftheater zum ersten Male in Bad Lauchstädt – in einem primitiven The-aterbau! Seit dieser Zeit befasste er sich mit einem Theaterneubau, entwickelte Grundgedanken für die Gestaltung des Hauses, der Bühne (aus »Sparsamkeits-gründen« geeignet für die Weimarer Kulissen!) und die Bühnentechnik, die in ihrer Ursprünglichkeit noch heute bei einer Führung besichtigt werden kann! Die Weimarer Schauspielgesell-schaft spielte hier in den Sommermona-ten regelmäßig bis 1814 – dann waren die großen Tage Bad Lauchstädts und seines Theaters vorüber. – Für Wei-mar wurde das Theater zur Last; das Dach hatte sich fast um 1 m gesenkt, die Leinwand-Bespannung der Decke hing in Fetzen herab, Stützpfeiler muss-ten dem Gebäude Halt geben! In den 1890er Jahren wurde es baupolizeilich geschlossen; man hatte seinen Abriss erwogen – die preußische Regierung ihn für 1904 beschlossen!Da bot der Hallenser Unternehmer Dr. h. c. Lehmann dem Landtag der Provinz

Sachsen die Übernahme der Kosten zur Wiederherstellung an und so konnte das vor dem Verfall bewahrte Goethe-Theater am 13. Juli 1908 mit »Iphige-nie« in alter Schönheit wieder eröffnet werden!Es wurde der »Lauchstädter Thea-terverein« gegründet, der die kleine Bühne alljährlich und »dauernd in den Dienst der dramatischen Kunst« stellen wollte. Die Uraufführung von Gerhart Hauptmanns Drama, »Gabriel Schillings Flucht« in Anwesenheit des Dichters am 14. Juni 1912 gestaltete sich dabei zu einem besonderen Höhe-punkt.Durch Dr. Paul Schlenther, der sich per-sönlich und umfassend um die Urauf-führung bemühte, wurde u. a. wie folgt geworben:Als sich Gerhart Hauptmann nach län-gerem Zögern entschloss, sein Drama »Gabriel Schillings Flucht« im Januar-heft 1912 der »Neuen Rundschau« zum ersten Male zu veröffentlichen, schickte er diese Bemerkung voran: »Das nachfolgende Drama wurde im Jahre 1906 geschrieben. Ich habe die Aufführung mehr gescheut als ge-wünscht, deshalb ist sie unterblieben. Heute würde ich das Werk nicht auf den Hasardtisch einer Premiere legen mögen. Es ist keine Angelegenheit für das große Publikum, sondern für die reine Passivität und Innerlichkeit eines kleinen Kreises. Einmalige Aufführung, vollkommenster Art, im intimsten

dasgoetHe-tHeaterinbadlaucHstädt

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23 ausstEllung & aussiEdlEr

Theaterraum, ist mein unerfüllbarer Wunsch«.Freunde der Kunst fanden sich zusam-men, um dennoch diesen Wunsch des Dichters zu erfüllen. Nur darin weichen sie ab, dass sie nicht eine einmalige, son-dern an aufeinanderfolgenden Tagen eine dreimalige Aufführung des Wer-kes bieten, und zwar mit Rücksicht auf den vom Dichter geforderten intimsten Theaterraum. Als erwünschter Schau-platz fand sich Goethes altberühmte kleine Sommerbühne in Lauchstädt bei Halle a. S.; an der Einstudierung wird Gerhart Hauptmann entscheidend teilnehmen. Die Dekorationen werden nach Entwürfen Max Liebermanns im Atelier der Hofmaler Georg Hartwig & Co., Charlottenburg angefertigt. Für alle drei Aufführungen werden seitens der Königlichen Eisenbahndirektion Sonderzüge mit Klasse II von Halle über Schlettau nach Lauchstädt und zu-rück eingesetzt.Man sieht, es wurde an alles gedacht – auch an die Zensur im Kaiserreich gegenüber Hauptmann! In einem per-sönlichen Brief von k. u. k. Hofrat Dr. Paul Schlenther an den Bürgermeister von Lauchstädt teilt er diesem mit, dass er in den nächsten Tagen vom S. Fischer Verlag ein Exemplar des Dramas »Gab-riel Schillings Flucht« von Gerhart Haupt-mann erhalten wird. Er schreibt weiter: »Ich halte mich jedoch für verpflichtet, Ihnen das Werk vorzulegen und bitte ganz ergebenst vom Standpunkt der polizeilichen Zensur den gesamten Wortlaut des Dramas ohne Streichun-gen genehmigen zu wollen…« Hand-schriftliche Notiz auf diesem Brief:»Zu erwidern: Ich habe das Werk gele-sen und trage keine besonderen Beden-

Fr, 08.03 18.00 uhr

Kultur- und BegegnungsabendDer Internationale Frauentag am 8. März hat in den Herkunftsländern der Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjet-union eine besondere Bedeutung. Der Tag galt als Feiertag, an dem zu Ehren der Frauen ein Fest gefei-ert wurde, bei dem das gesellige Beisammensein im Mittelpunkt stand. An diese Tradition an-knüpfend lädt das Gerhart Hauptmann Haus auch in die-sem Jahr Spätaussiedler und Einheimi-sche zu einem Begegnungsabend ein.Das Programm des Abends wird gestal-tet vom Integrations-Kulturzentrum e. V. im Kreis Mettmann. Die Organisati-on wurde am 08.10.2003 in Mettmann gegründet, mit dem Ziel die gesell-schaftliche, soziale und kulturelle Integ-ration von Migranten aus dem russisch-sprachigen Raum zu fördern.Zur Verwirklichung der Zielsetzung bietet das IKZ Angebote für Kinder, Jugendliche und Senioren an. Speziell für Kinder existieren zahlreiche Frei-

zeitangebote sowie spezielle Kurse, die besonders die kreative Entwicklung fördern. Dazu zählen spezielle Projekte im musikalischen Bereich, wie das Mär-

chentheater. Mit Musik, Gesang und Bewegung soll das kreative Potenzial von Schülern ganzheit-lich gefördert werden.Etwa 30 Kinder im schulpflichti-gen Alter, mit unterschiedlichem Migrationshindergrund sowie

hier Geborene, treffen sich regelmäßig im Kulturzentrum Mettmann. In Klein-gruppen proben sie ein Theaterstück, erlernen dabei musikalische Grund-kenntnisse, das Spielen von Instru-menten als auch Rhythmik und Tanz. Das Projekt »Märchentheater« wird vom Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert.Die Veranstaltung wird den anwesen-den Frauen am Internationalen Frauen-tag gewidmet.

mattiaslask

ken vom Standpunkt der polizeilichen Zensur den gesamten Wortlaut des Dramas ohne Streichung zu genehmi-gen. Ganz ergebenst!«Die Vorstellung wurde in der Presse eingehend und begeistert beschrieben. In der Zeitung »Die Welt am Sonntag« Berlin Jahrgang XVIII, Nr. 25 vom 17. Juni 1912 heißt es unter dem Titel The-ater und Musik – Hauptmann-Premiere in Lauchstädt:»Über Gerhart Hauptmanns neuestem Drama, das man jetzt in dem kleinen

Goethe-Theater zwischen Halle und Merseburg gespielt hat, liegt der Adel einer melancholischen Schönheit. Das in Ekel und Ratlosigkeit verklingende Schicksal dieses Gabriel Schilling er-scheint übersonnt und durchglüht von der intensiven Kraft eines inneren Er-lebens, von dem Zauber einer großen, inbrünstigen, bedingungslosen Auf-richtigkeit.«Das war 1912 – für die kommenden Jahre gilt die Einladung der Historische Kuranlagen und Goethe-Theater Bad Lauchstädt GmbH:»…Schauspieler des Deutschen The-ater, darunter die berühmte Tilla Duri-eux, der Maler Max Liebermann, der die Bühnenbilder entwarf, und andere Per-sönlichkeiten verwandelten Lauchstädt wie zur Goethezeit in einen Olymp der Geisteswelt.Das Museum unseres Hauses hat die-ses Ereignis – nach einer vielbesuchten Sonderausstellung 2012 im ‚Kleinen Kursaal‘ – jetzt als Dauerausstellung im Neuen Schillerhaus in die Gegenwart geholt.« Die historischen Kuranlagen, das Goethe-Theater und das Museum sind geöffnetDienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 UhrVon April bis Oktober gastieren im Goethe-Theater die besten deutschen Staats-, Landes- und Stadttheater mit ausgewählten Musik- und Schauspielinsze-nierungen.Informationen: Besucherzentrum Tel.: 034635 / 905472 / 905473

konradHütHer

VordemgoetHe-tHeater1912,VonrecHts:gerHartHauptmann,maxliebermann

Page 24: West-Ost-Journal

wurden die Bestände der Universitäts-bibliothek Leipzig, der Bibliothek des Hauses der Donauschwaben in Salz-burg sowie der Bibliothek des Instituts für Donauschwäbische Geschichte und Landeskunde in Tübingen herangezogen.

Anfang 2012 wurden in einem zwei-ten Arbeitsschritt die einzelnen Bände der Zeitschrift sowie das 1919 als Al-manach zu der Zeitschrift erschienene »Heidebuch. Orendi-Hommenaus‘s Kalender für deutsche Literatur und Kunst« in der Martin-Opitz-Bibliothek digitalisiert und bearbeitet. Die digitale Version der Zeitschrift kann nun in der Bibliothek der Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus als CD-ROM entliehen werden. Seit Juli 2012 ist das vollständige Di-gitalisat auch bei »DiFMOE Digitales Forum Mittel- und Osteuropa« unter www.difmoe.eu veröffentlicht und steht allen Interessierten weltweit kostenlos zur Verfügung.

margaretepolok

24 BiBliothEk

»Von der Heide. Illustrierte Monatsschrift für Kultur und Leben« als historische und literaturwissenschaftliche Quelle zugänglich

bAnAter kulturzeitschriFt erstmAlig DigitAlisiert

Allen, die am literarischen Leben der Banater Schwaben zu Beginn des 20. Jahrhunderts interessiert sind, ist die Zeitschrift »Von der Heide« ein Begriff. Die erste Ausgabe dieser »illustrierten Monatsschrift für Kultur und Leben« erschien im Februar 1909 in Temeswar. Ihr Initiator und Herausgeber war der Journalist, Übersetzer und Dichter Vik-tor Orendi-Hommenau (1870-1954). Mit großem persönlichen Engagement und viel Begeisterung für Literatur, aber auch unter großen wirtschaftlichen Nö-ten und Zwängen gab er die Zeitschrift mit einigen mehr oder weniger großen Unterbrechungen zwischen 1909 und 1937 heraus. Durch seine Kontakte zu Schriftstellern und Kulturschaffenden des Banats gelang es ihm, die Autoren Otto Alscher, Josef Gabriel, Stephan Hartenstein, Peter Jung, Franz Xaver Kappus, Adam Müller-Guttenbrunn und Nikolaus Schmidt als Mitarbeiter für die Zeitschrift zu gewinnen. Die Zeitschrift erschien monatlich, die Auf-

lage umfasste zunächst 200 Exemplare, stieg dann zeitweise auf 3000. »Von der Heide« war die einzige deutschsprachige, literarisch-kulturelle Monatsschrift im Banat im ersten Vier-tel des 20. Jahrhunderts. Zielgruppe waren die deutschen Minderheiten der östlichen und südöstlichen Regionen

Österreich-Ungarns. Den inhaltlichen Schwerpunkt bildete das literarische Schaffen von deutschsprachigen Au-toren aus dem Banat, Siebenbürgen und der Bukowina. Daneben fanden sich auch Texte von rumänischen, ser-bischen und ungarischen Literaten in deutscher Übersetzung. Den Hauptteil der Zeitschrift nahmen in der Regel die belletristischen Texte ein (Erzählungen, Roman-Fragmente, Aufsätze und Ge-dichte, z.T. auch als Mundartliteratur), an die sich Beiträge zur Geschichte, Kulturgeschichte und Volkskunde der Banater Schwaben anschlossen. In ih-rer politischen Ausrichtung setzte sich »Von der Heide« für die Rechte der deutschen Bevölkerung im Banat und im gesamten Ungarn vor dem Friedens-schluss von Trianon (1919/1920) ein. Zeitweise erschien eine eigene Rubrik »Vom Deutschtum in Ungarn«, in der der Herausgeber sich für die Rechte der deutschen Bevölkerung und gegen die gewaltsame Magyarisierung aussprach. Nach dem Ersten Weltkrieg richtete sich die politische Zielsetzung verstärkt auf Rumänien. Auf den Quellenwert der Zeitschrift für Historiker und Literaturwissenschaftler hat die bisherige Forschung wiederholt hingewiesen. Die einzige monogra-phische Darstellung der Zeitschrift ist 1978 von Walter Engel unter dem Titel »Von der Heide. Anthologie einer Zeit-schrift« in Bukarest publiziert worden. In Deutschland befindet sich eine Reihe von Exemplaren der Zeitschrift verstreut in rund 10 Bibliotheken. Eine nutzbare, komplette Fassung ist in keiner Bibliothek verfügbar. Aus dieser Situation entstand die Idee, die Zeitschrift zu digitalisieren und für ein interessiertes Publikum online zur Verfügung zu stellen. Auf Anregung der Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus in Düsseldorf und der Stiftung Martin-Opitz-Bibliothek in Herne erfolgte Ende 2011 in einem ersten Arbeitsschritt die Zusammenstellung der verstreuten Zeitschriftenbestände zum Zweck der Digitalisierung. Hierzu

titelblatt der letzten ausgabe der

zeitscHriFt »Von der Heide« aus dem

JaHr1937

Viktor orendi-Hommenau, der Heraus-

geberder»Heide«um1930.

bild aus »Von der Heide. antHologie

einer zeitscHriFt« Von Walter engel,

bukarest,kriterion-Verlag,1978.

Page 25: West-Ost-Journal

25 BiBliothEk

Der bund der Vertriebenen und die ostdeutschen landsmannschaften zählten für die seD und die staatssicherheit zu den »politischen Feindorganisationen« in der bundes-republik. Diese interessenverbände galt es mit allen mitteln zu bekämpfen, da sie die staatliche existenz der DDr, die herrschaft der seD und die grenzen zu polen und zur sowjetunion nicht anerkannten. heike Amos deckt die subversiven methoden der staatssicherheit auf und zeigt, dass die seD aktiv auf die politik der Vertriebenenver-bände einfluss nahm. gezielte Desinformation, konfliktverschärfung und skandalisie-rung waren dabei an der tagesordnung. sahen jedoch seD und ihr geheimdienst in den Vertriebenenverbänden tatsächlich eine »revanchismusgefahr« oder dienten ihre verdeckten operationen anderen zielen, und wenn ja, welchen?

ostpreußen ist bis heute ein mythos. hermann pölking schildert die geschichte des einst östlichsten teils Deutschlands vor dem hintergrund der aktuellen historischen Forschung. Anekdoten, episoden sowie scheinbar beiläufig Aufgelesenes verdichten sich hier zu einem vielschichtigen bild, in dem Alltag und Weltgeschichte aufeinan-dertreffen. Der Autor zeichnet ein in stadt und land, region und religion, sprache und politischem milieu facettenreiches panorama ostpreußens. er beschreibt nicht nur die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Fakten, sondern berichtet anhand von unzähligen Augenzeugenberichten und erinnerungen auch von landschaft und Wetter, von den eigenheiten der bewohner und sogar vom abenteuerlichen zustand ostpreußischer straßen.

VertriebenenVerbänDe im FADenkreuz: AktiVitäten Der DDr-stAAtssicherheit 1949 bis 1989

ostpreussen - biogrAphie einer proVinz

Das brandenburger tor und der berühmte maler Adolph von menzel – typisch preu-ßisch, typisch berlin … oder doch nicht? »Jeder zweite berliner ist ein schlesier«, hieß es früher und roswitha schieb zeigt, wie viele spuren noch heute auf schlesische ursprünge verweisen, seien es das brandenburger tor oder der berliner Dom mit ihren erbauern carl gotthard langhans und Julius raschdorff. sogar die charakte-ristischen granitplatten auf den berliner Fußwegen stammen aus der region, die seit ihrer eroberung durch Friedrich ii. mitte des 18. Jahrhunderts bis 1945 das wichtigste hinterland für die spreemetropole war. im zuge der industrialisierung wurde schlesien einzugsgebiet für Arbeitskräfte, die in den neu entstehenden Arbeitervierteln um den schlesischen bahnhof und das schle-sische tor lebten. Die in diesem zusammenhang wachsende sensibilität für soziale Fragen zeigte sich mit den schlesischen Vätern der sozialdemokratie Ferdinand las-salle und paul löbe. Aus schlesien stammten auch zahlreiche persönlichkeiten der kulturellen Avantgarde der zwanziger Jahre in berlin, etwa Alfred kerr, max hermann-neiße oder ludwig meidner. Auf drei großen spaziergängen durch die architektoni-sche, künstlerische und literarische stadtlandschaft zeigt das reich bebilderte buch charakteristisch schlesische phänomene der industrie-, theater-, kunst- und gesell-schaftsgeschichte berlins. Die Autorin rückt den berlinern und den gästen der stadt die geografische nähe schlesiens ins bewusstsein, in der hoffnung, den Austausch zwischen der deutschen hauptstadt und ihrer heute zu polen gehörenden benachbar-ten kulturlandschaft wieder neu zu beleben.

JeDer zWeite berliner - schlesische spuren An Der spree

rosWitHa scHieb: Jeder zWeite berli-

ner.scHlesiscHespurenanderspree.

potsdam, kulturForum ÖstlicHes eu-

ropa,2012.

Heike amos: VertriebenenVerbände

im Fadenkreuz: aktiVitäten der ddr-

staatssicHerHeit1949bis1989.müncHen,

oldenbourg-Verlag,2011.

Hermann pÖlking: ostpreussen. bio-

grapHie einer proVinz. berlin, be.bra-

Verlag,2011.

Page 26: West-Ost-Journal

26 chronologiE

mi jeweils 18.00 bis 20.30 uhrprobe der Düsseldorfer chor-gemeinschaft ostpreußen-Westpreußen- sudetenlandleitung: radostina hristova

so 06.01. | 15.00 uhrneujahrskonzert in haus schlesien, königswinter-heis-terbacherrottela zagori, Violine gert kapo, klavier mit Werken von bach, mozart, beethoven, ravel, pi-azzola u. a. eintritt: 15 € (ermä-ßigt 10 €) (tel.: 0244 - 8860)

Di 08.01., 12.02.,12.03. | jeweils 15 uhrFrauengruppe der pommer-schen landsmannschaftraum 312

mi 09.01., 13.02., 06.03., | jeweils 15 uhrostdeutsche stickereimit helga lehmann und christel knackstädtraum 311

Fr 25.01.,22.02.,22.03. |jeweils 15 uhrmonatstreff der pommerschen landsmannschaft

Do 10.01., 21.02., 14.03. | jeweils 19.30 uhroffenes singenmit barbara schochraum 312

Fr 11.01. | 16.00 uhrAusstellungseröffnung»Angekommen. Die integration der Vertriebenen in Deutsch-land«, eichendorff-saal

bis 27.01.2013Ausstellung im haus schlesi-en, königswinter-heisterba-cherrott»Weihnachtliches brauchtum in schlesien«(tel.: 02244 / 8860)

Di 29.01. | 19.00 uhr»Demokratiefeindschaft von rechts und der untergang der Weimarer republik – in erin-nerung an den 90. todestag Walther rathenaus« Vortrag von prof. Dr. hans mommsenkonferenzraum

sa 02.02, | 15 uhrkarnevalsveranstaltung der schlesier, ostpreußen und pommerneichendorff-saal

mo 04.02.|19.00 uhr»Vor 70 Jahren – Die schlacht von stalingrad«Vortrag von Dr. bernd ulrichkonferenzraum

mi 06. 02. | 19 uhrpodiumsdiskussion»unser europa: Alle reden nur vom geld, wir reden vom Wert« Veranstaltungsort: haus der kirche, bastionstraße 6

mi 06.02.| 18.00 uhr»eine reizfigur – zum tsche-chischen politischen Diskurs über edvard beneš«Vortrag von miroslav kunštátkonferenzraum

Do 21.02. | 19.00 uhr»meine lieblingsnovelle von Werner bergengruen«lesung mit Dr. hajo buch und pD Dr. Winfrid halderkonferenzraum

Di 26.02. | 19.00 uhr»Angekommen in kudenow und anderswo«lesung mit Arno surminskikonferenzraum

Do 28.02 | 19.00 uhr»Auch ein schlesier - heinz kessler, stalingrad und das nationalkomitee Freies

Deutschland«Vortrag von Dr. Jörg morrèkonferenzraum

mo 04.03. |19.00 uhr»kinder europas aus dessen geschichtsträchtigem osten – Die geschichte der baltischen staaten vom mittelalter bis 1939«Vortrag von prof. Dr. michael garleffkonferenzraum

mi 06.03. | 19.00 uhr»Funktionäre mit Vergangen-heit. Das gründungspräsidium des bundesverbandes der Vertriebenen und das ,Dritte reich‘«buchvorstellung mit prof. Dr. michael schwartzkonferenzraum

Fr 08.03. | 18.00 uhrkultur- und begegnungsabend zum internationalen Frauentageichendorff saal

Do 14.03. | 19.00 uhr»Freiheit, die ich meinte«buchvorstellung mit prof. Dr. helga grebing, konferenzraum

mi 20.03. | 19.00 uhr»leben in dieser zeit« – eine musikalische reise mit liedern und chansons von eduard nick und erich kästnereichendorff-saal

zweites QuartalDo 11.04. | 19.30 uhr»Der bund der Vertriebenen im politischen system der frühen bundesrepublik Deutschland«Vortrag von prof. Dr. matthias sticklerkonferenzraum

Vom 22.04. bis 29.04.2013kulturhistorische studienreise»Auf den spuren des Deut-schen ordens und der hanse«

Page 27: West-Ost-Journal

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wir möchten sie hiermit freundlichst bit-ten, ihren Jahresbeitrag für das West-ost-Journal von 6,50 euro auf das konto der stiftung – stadtsparkasse Düsseldorf kto.-nr. 36 005 007, blz 300 501 10 - zu überweisen.

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Wohl kein anderer König von Preußen erfreut sich heutzutage eines ähnlichen Bekanntheitsgrades in der deutschen Öffentlichkeit, auch und gerade jenseits der fachwissenschaftlichen Kreise wie Friedrich II., dessen Geburtstag sich am 24. Januar 2012 zum dreihundertsten Mal jährt. Das Porträt des »Alten Fritz« hat hohen Wiedererkennungswert, er gilt wohl noch immer Vielen als die Ver-körperung Preußens schlechthin.

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03 VORTRAG

Als Wilhelm Matull im Jahre 1973 sein umfangreiches Werk »Ostdeutschlands Arbeiteiterbewegung. Abriß ihrer Ge-schichte, Leistung und Opfer« vorlegte, steuerte der amtierende Bundeskanzler Willy Brandt ein Geleitwort bei. Darin verlieh er der Hoffnung Ausdruck, das Buch möge dazu beitragen, »dass die ostdeutsche Arbeiterbewegung die ihr zukommende historische und politi-sche Würdigung findet.«

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09 VORTRAG

Die Dönhoffs, ursprünglich aus Westfalen stammend, stiegen im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts im Dienst der polnisch-litauischen Krone zu einer bedeutenden Mag-natenfamilie auf. Ein Zweig des Hau-ses ließ sich 1640 in Preußen nieder, wo sie sich zu einer der angesehens-ten Adelsfamilien entwickelten. De Bodt, schuf mit der Schlossanlage ein eindrucksvolles Zeugnis ... SEITE 11

11 AUSSTELLUNG

Zum 300. Geburtstag eines großen Königs mit neuer Veranstaltungsreihe

WEST-OST-JOURNAL 1 2012 JANUAR FEBRUARMÄRZ

WWW.GERHART-HAUPTMANN-HAUS.DE

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stiftung »gerhart-hauptmann-haus», postfach 10 48 61, 40039 Düsseldorf, postvertriebsstück, entgelt bezahlt, g 9353 F

kriegsnAchWirkungen…analYtiscHegespräcHsgruppeFürkriegs-undnacHkriegskinder

etwa 16 millionen kinder haben in Deutschland den krieg erlebt. bomben, Flucht, Vertreibung, Vaterlosigkeit, hunger und gewalt haben in ihren seelen tiefere spuren und Verletzungen hinterlassen, als man früher vermutete. meist blieben sie unaufgearbeitet und unausgesprochen. um weitermachen zu können, hatte man früh gelernt, die eigenen gefühle und bedürfnisse zurückzustellen, sich das Weinen abzugewöhnen und die Angst zu vergraben. Der Dialog zwischen den generationen war schwierig und versagte oft. heute weiß man, dass die unverarbeiteten, teilweise traumatischen kriegs- und gewalterlebnisse weiterwirken, auch noch in die nachfolgenden generationen hinein. sie prägen lebens- und beziehungsmuster. im Alter, wenn die Verpflichtungen aufhören, der körper gebrechlicher und der »sichere lebensrahmen» brüchiger wird, kommen oft die alten erinnerungen wieder stärker hoch.Die gruppe ist ein Angebot für betroffene aus diesen generationen, die ihre gedanken, erfahrungen und gefühle mit anderen teilen und austauschen wollen. sie können die gruppe nutzen, um ihre biographie näher anzuschauen und besser zu verstehen. es können aber auch aktuelle Fragen und probleme angesprochen werden, die vielleicht noch eine nachwirkung ihrer besonderen erlebnisse sind. regelmäßig, einmal in der Woche, immer zur selben zeit, können sie im vertraulichen und geschützten rahmen frei und offen über alles sprechen, was sie zu diesem thema beschäftigt und bewegt.Für rückfragen stehe gerne zur Verfügung. eine teilnahme ist nur mit Anmeldung möglich. in diesem Fall werde ich mich wegen eines Vorgesprächs mit ihnen in Verbindung setzen.Jeden Mittwoch, 10.30 – 12 uhr - (nur mit Anmeldung !)gerhart-hauptmann-haus, raum 311 kosten: 10 euro pro gruppentreffen, leitung: Doris taschnerAnmeldungen können sie per mail, Fax, Fon oder post tätigen unter: bitte dabei name, Adresse, kontaktdaten und das geburtsjahr (!) angeben. [email protected], Fon/Fax: 0211 – 68 61 22