1
TREFFPUNKT FORSCHUNG | 200 | © 2009 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.chiuz.de Chem. Unserer Zeit, 2009, 43, 198 – 201 Gesucht hatten die Arbeitsgruppe von Ivan Rodriguez an der Universi- tät Genf und ihre Kollaborationspart- ner an der Ruhr-Uni- versität Bochum ei- gentlich nach neuen Pheromon-Rezepto- ren. Diese Chemosen- soren sind bei der Maus und anderen Säugern in einem kleinen Organ tief im Innern der Nase ak- tiv, dem Jacobson- oder vomeronasalen Organ. Ob sie auch beim Menschen eine aktive Rolle spielen, ist noch umstritten. In Gewebepro- ben aus dem Jacob- son-Organ der Maus suchten die Forscher nach neuartigen Re- zeptorproteinen, in- dem sie die vorhan- denen Boten-RNAs durch reverse Tran- skription in DNA übersetzten, und aus dieser dann mittels der Polymerase-Ket- tenreaktion mit ge- eigneten Primern (al- so kurzen DNA- Schnipseln zum Start der DNA-Synthese) gezielt die Gene ver- vielfältigten, die de- nen von bekannten Rezeptoren ähnelten. Zu ihrer Überraschung fanden sie dabei unter anderem auch Gene von Rezeptoren für sogenannte Formyl- Peptide. Diese mit einem Ameisen- säurerest modifizierten kurzen Pro- teinschnipsel (z.B. N-Formyl-Me- thionyl-Leucyl-Phenylalanin = fMLF) werden von bestimmten (Gram-nega- tiven) Bakterien freigesetzt, und die zugehörigen Rezeptoren waren bis- her nur aus dem Immunsystem be- kannt, wo sie der Erkennung von In- fektionsherden dienen. Nachdem bei ihrem Screening gleich fünf solche Formyl-Peptid-Re- zeptoren (FPRs) ins Netz gegangen waren, untersuchten Rodriguez und seine Kollegen genauer,wo diese Krankheits-Sensoren im Jacobson-Or- gan angeordnet sind, und ob ebenso wie beim Geruchssinn und bei der Pheromon-Wahrnehmung, jeweils be- stimmte Zellen auf einen Rezeptor- typ spezialisiert sind. Bei diesen extrem aufwendigen Arbeiten untersuchten die Forscher zum Beispiel 2293 einzelne Zellen des Jacobson-Organs, von denen jede den FPR vom Typ RS3 aufwies, da- raufhin, ob sie gleichzeitig auch ande- re Pheromon- oder Peptid-Rezepto- ren besaßen. Es stellte sich heraus, dass der Gefahrenmelder in der Nase der Maus im Prinzip ebenso funktio- niert wie das Jacobson-Organ und der Geruchssinn, dass nämlich einzel- ne Zellen jeweils auf einzelne Mole- külrezeptoren spezialisiert sind. Mit Hilfe der Veränderung in der Calcium-Ionen-Konzentration, die sol- che Rezeptoren auslösen, wenn sie ihr Zielmolekül erkennen, konnten Rodriguez und Kollegen die Funktion der FPRs auch in intakten Zellen be- obachten und quantitativ messen. Sie fanden heraus, dass jeder der Rezep- toren auf mehrere Molekülarten an- spricht, die aber alle im weiteren Sin- ne mit Infektion oder beschädigten Zellen und Geweben zusammenhän- gen.Außer Formyl-Peptiden wie fMLF handelt sich dabei unter anderem um das antimikrobielle Peptid CRAMP,so- wie um Lipoxin A4 und das Serum- Amyloid A, das zu den Akute-Phase- Proteinen gehört, die an der unspezi- fischen Immunreaktion nach Verlet- zungen beteiligt sind. Die Rezeptoren reagieren auf verschiedene Signal- stoffe verschieden empfindlich, wo- bei jeder der fünf seine spezifischen Vorlieben hat (Abbildung). Aus Verhaltensstudien war bereits bekannt, dass Mäuse ein feines Näs- chen dafür haben, infizierte oder von Parasiten befallene Artgenossen zu meiden. Die Entdeckung der neuarti- gen Molekülrezeptoren macht es jetzt möglich, diese hochsensible Ge- fahrenwahrnehmung bis in die mole- kularen und neurophysiologischen Einzelheiten hinein zu untersuchen und ähnliche Mechanismen bei ande- ren Säugern und vielleicht sogar beim Menschen aufzuspüren. Darü- ber hinaus sollten diese überraschen- den Entdeckungen uns auch als Mah- nung dienen, dass wir uns an die ei- gene Nase fassen und uns daran erin- nern, wie unvollständig unser Ver- ständnis dieses wichtigen Körperteils noch ist. Michael Groß www.michaelgross.co.uk [1] S. Rivière et al., Nature 2009, 459, 574. Wie Mäuse Gefahr wittern Säugetiere haben in ihren Nasen mindestens zwei Arten von Molekülsensoren. Die einen dienen dem Geruchssinn, und da- mit vor allem der Nahrungssuche, die anderen der Erkennung von Pheromonen von Artgenossen, und damit vor allem der sozialen und sexuellen Interaktion. Nun haben Forscher jedoch bei der Maus eine „dritte Nase“ entdeckt, welche es den Nagern ermöglicht, Gefah- renquellen wie Krankheitserreger und kranke Artgenossen zu wittern. MOLEKÜLSENSOREN | fMLF fMLF fMLF fMLF LXA4 LXA4 LXA4 LXA4 uPAR uPAR uPAR uPAR uPAR CRAMP CRAMP CRAMP CRAMP CRAMP CRAMP fMLF CRAMP fMLF CRAMP CRAMP uPAR uPAR LXA4 LXA4 LXA4 LXA4 fMLF fMLF uPAR uPAR CRAMP Abb. Die neue entdeckten Rezepto- ren im Jacobson-Organ der Maus- nase haben sieben membranüber- spannende Domänen. Sie können Verbindungen detektieren, die mit Krankheitszeichen wie Infektionen oder Zellschäden einhergehen [1], insbesondere Formyl-Peptide wie fMLF, das Peptid CRAMP, Lipoxin A4 und das Serum-Amyloid A. [Bild Maus: G. Shuklin]

Wie Mäuse Gefahr wittern

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Wie Mäuse Gefahr wittern

T R E F F P U N K T FO R SC H U N G |

200 | © 2009 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.chiuz.de Chem. Unserer Zeit, 2009, 43, 198 – 201

Gesucht hatten die Arbeitsgruppevon Ivan Rodriguez an der Universi-

tät Genf und ihreKollaborationspart-ner an der Ruhr-Uni-versität Bochum ei-gentlich nach neuenPheromon-Rezepto-ren. Diese Chemosen-soren sind bei derMaus und anderenSäugern in einemkleinen Organ tief imInnern der Nase ak-tiv, dem Jacobson-oder vomeronasalenOrgan. Ob sie auchbeim Menschen eineaktive Rolle spielen,ist noch umstritten.

In Gewebepro-ben aus dem Jacob-son-Organ der Maussuchten die Forschernach neuartigen Re-zeptorproteinen, in-dem sie die vorhan-denen Boten-RNAsdurch reverse Tran-skription in DNAübersetzten, und ausdieser dann mittelsder Polymerase-Ket-tenreaktion mit ge-eigneten Primern (al-so kurzen DNA-Schnipseln zum Startder DNA-Synthese)gezielt die Gene ver-vielfältigten, die de-nen von bekanntenRezeptoren ähnelten.

Zu ihrer Überraschung fanden siedabei unter anderem auch Gene vonRezeptoren für sogenannte Formyl-Peptide. Diese mit einem Ameisen-säurerest modifizierten kurzen Pro-teinschnipsel (z.B. N-Formyl-Me-thionyl-Leucyl-Phenylalanin = fMLF)werden von bestimmten (Gram-nega-tiven) Bakterien freigesetzt, und diezugehörigen Rezeptoren waren bis-her nur aus dem Immunsystem be-kannt, wo sie der Erkennung von In-fektionsherden dienen.

Nachdem bei ihrem Screeninggleich fünf solche Formyl-Peptid-Re-zeptoren (FPRs) ins Netz gegangenwaren, untersuchten Rodriguez undseine Kollegen genauer, wo dieseKrankheits-Sensoren im Jacobson-Or-gan angeordnet sind, und ob ebensowie beim Geruchssinn und bei derPheromon-Wahrnehmung, jeweils be-stimmte Zellen auf einen Rezeptor-typ spezialisiert sind.

Bei diesen extrem aufwendigenArbeiten untersuchten die Forscherzum Beispiel 2293 einzelne Zellendes Jacobson-Organs, von denen jededen FPR vom Typ RS3 aufwies, da-raufhin, ob sie gleichzeitig auch ande-re Pheromon- oder Peptid-Rezepto-ren besaßen. Es stellte sich heraus,dass der Gefahrenmelder in der Naseder Maus im Prinzip ebenso funktio-niert wie das Jacobson-Organ undder Geruchssinn, dass nämlich einzel-ne Zellen jeweils auf einzelne Mole-külrezeptoren spezialisiert sind.

Mit Hilfe der Veränderung in derCalcium-Ionen-Konzentration, die sol-che Rezeptoren auslösen, wenn sieihr Zielmolekül erkennen, konnten

Rodriguez und Kollegen die Funktionder FPRs auch in intakten Zellen be-obachten und quantitativ messen. Siefanden heraus, dass jeder der Rezep-toren auf mehrere Molekülarten an-spricht, die aber alle im weiteren Sin-ne mit Infektion oder beschädigtenZellen und Geweben zusammenhän-gen.Außer Formyl-Peptiden wie fMLFhandelt sich dabei unter anderem umdas antimikrobielle Peptid CRAMP, so-wie um Lipoxin A4 und das Serum-Amyloid A, das zu den Akute-Phase-Proteinen gehört, die an der unspezi-fischen Immunreaktion nach Verlet-zungen beteiligt sind. Die Rezeptorenreagieren auf verschiedene Signal-stoffe verschieden empfindlich, wo-bei jeder der fünf seine spezifischenVorlieben hat (Abbildung).

Aus Verhaltensstudien war bereitsbekannt, dass Mäuse ein feines Näs-chen dafür haben, infizierte oder vonParasiten befallene Artgenossen zumeiden. Die Entdeckung der neuarti-gen Molekülrezeptoren macht esjetzt möglich, diese hochsensible Ge-fahrenwahrnehmung bis in die mole-kularen und neurophysiologischenEinzelheiten hinein zu untersuchenund ähnliche Mechanismen bei ande-ren Säugern und vielleicht sogarbeim Menschen aufzuspüren. Darü-ber hinaus sollten diese überraschen-den Entdeckungen uns auch als Mah-nung dienen, dass wir uns an die ei-gene Nase fassen und uns daran erin-nern, wie unvollständig unser Ver-ständnis dieses wichtigen Körperteilsnoch ist.

Michael Großwww.michaelgross.co.uk

[1] S. Rivière et al., Nature 22000099, 459, 574.

Wie Mäuse Gefahr witternSäugetiere haben in ihren Nasen mindestens zwei Arten vonMolekülsensoren. Die einen dienen dem Geruchssinn, und da-mit vor allem der Nahrungssuche, die anderen der Erkennung vonPheromonen von Artgenossen, und damit vor allem der sozialen und sexuellen Interaktion. Nun haben Forscher jedoch bei der Maus eine „dritte Nase“ entdeckt, welche es den Nagern ermöglicht, Gefah-renquellen wie Krankheitserreger und kranke Artgenossen zu wittern.

M O L E K Ü L S E N S O R E N |

fMLF

fMLF

fMLF

fMLF

LXA4

LXA4

LXA4

LXA4

uPAR

uPAR

uPAR

uPAR

uPAR

CRAMP

CRAMP

CRAMP

CRAMP

CRAMP

CRAMP

fMLF

CRAMPfMLF

CRAMP

CRAMPuPAR

uPAR

LXA4

LXA4

LXA4

LXA4

fMLF

fMLF

uPAR

uPAR

CRAMP

Abb. Die neue entdeckten Rezepto-ren im Jacobson-Organ der Maus-nase haben sieben membranüber-spannende Domänen. Sie könnenVerbindungen detektieren, die mitKrankheitszeichen wie Infektionenoder Zellschäden einhergehen [1],insbesondere Formyl-Peptide wiefMLF, das Peptid CRAMP, Lipoxin A4und das Serum-Amyloid A. [BildMaus: G. Shuklin]