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Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Mag. rer.soc.oec.
im Diplomstudium Wirtschaftspädagogik
an der Johannes Kepler Universität Linz
Wie moralisch ist COOL? Welchen Beitrag leistet COoperatives Offenes Lernen zur Entwick-
lung moralischer Urteilsfähigkeit? Ein Versuch zur Messung des
Status quo sozialer Kompetenz.
„Die Aufeinanderfolge der Generationen und die Notwendigkeit, die Kinder
moralische Gesinnungen (wenn auch noch so einfache) zu lehren, ist ein
Grundverhältnis des menschlichen Lebens.“ (John Rawls 1990, S. 503)
eingereicht von
Christoph Helm
Matr.-Nr. 0456128
am Institut für Pädagogik und Psychologie
Johannes Kepler Universität Linz
Begutachter:
o. Univ.-Prof. Dr. Herbert Altrichter
Linz, im Oktober 2009
I
Konstanzer Methode der Dilemma-Diskussion
Abbildung 1: KMDD-Seminar an der Universität Konstanz im Oktober 2008 (Photo: Lind)
Wie alles Begann… Im Sommersemester 2008 hatte ich die Gelegenheit an der Johannes
Kepler Universität Linz ein Seminar zu besuchen, bei dem es um die Konstruktion von
Lernaufgaben ging, die nicht nur den kognitiven, sondern auch den affektiven Bereich an-
sprechen. Dabei stieß ich auf die Konstanzer Methode der Dilemma-Diskussion (KMDD1).
Bereits bei der Erstellung der Arbeit für dieses Seminar unterstützte mich Prof. Lind
(Schöpfer der KMDD) mit diversen Unterlagen, verwies jedoch gleichzeitig auf die
KMDD-Lehrerausbildung, die er an der Universität Konstanz (Deutschland) anbietet. Im
Herbst darauf entschloss ich mich an dieser teilzunehmen. Im Zentrum der Lehrerfortbil-
dung stand die KMDD als Unterrichtsmaßnahme zur Förderung moralischer Urteilsfähig-
keit. Lind zeigte aber auch, dass ohne Einsatz der KMDD im Unterricht eine, die morali-
sche Urteilsfähigkeit fördernde Atmosphäre geschaffen werden kann. Nämlich dann, wenn
Unterricht u.a. schülerzentriert und offen gestaltet ist. Sofort kam mir die Idee, dass COOL
(COoperatives Offenes Lernen) an den österreichischen berufsbildenden höheren Schulen
genau diese Voraussetzung erfüllt und deren Schüler/innen daher davon in moralischer
Hinsicht profitieren müssten!? Damit war auch schon die Forschungsfrage der vorliegen-
den Arbeit geboren.
1 Für eine ausführliche Beschreibung siehe Kapitel 11.
II
Eidesstattliche Erklärung
Ich erkläre an Eides Statt, dass ich die Diplomarbeit mit dem Titel „Wie moralisch ist
COOL? Welchen Beitrag leistet COoperatives Offenes Lernen zur Entwicklung morali-
scher Urteilsfähigkeit? Ein Versuch zur Messung des Status quo sozialer Kompetenz.“
selbständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und
Hilfsmittel nicht benutzt und alle den benutzten Quellen wörtlich oder sinngemäß ent-
nommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.
..............................................
Linz, im Oktober 2009 Christoph Helm
III
Danksagung
Mein Dank gilt
... meiner Familie dafür, dass sie mir stets zur Seite steht und mich in schwierigen Zei-
ten unterstützt.
... insbesondere meinen Eltern, die mein Studium finanziert und somit erst ermöglicht
haben.
... Herrn o. Univ.-Prof. Dr. Herbert Altrichter für seine inhaltlich und methodisch her-
vorragende Unterstützung und Begleitung bei der Erstellung meiner Diplomarbeit.
... den drei Schulen, die sich zur Zusammenarbeit bereit erklärt und somit den empiri-
schen Teil meiner Arbeit ermöglicht haben sowie den Schüler/innen, die an vorlie-
gender Untersuchung mitgewirkt haben. Insbesondere danke ich Herrn Mag. Neu-
hauser, Frau Mag.a Birklbauer und Dir. Mag. Derflinger sowie Frau Mag.a Schöppl-
Zillner die mir an den jeweiligen Schulen als Kontaktpersonen zur Verfügung stan-
den.
... Herrn Mag. Neuhauser und Frau Mag.a Wittwer vom Impulszenturm für COoperati-
ves Offenes Lernen in Steyr sowie Frau Mag.a Wimmer (JKU) für die Gespräche und
die Unterstützung bei der Suche nach Partnerschulen.
... allen Lehrerinnen und Lehrern, die mir ihre Unterrichtseinheiten für die Durchfüh-
rung der Untersuchung zur Verfügung stellten.
... Herrn o. Univ-Prof. Dr. Georg Lind für die zur Verfügung Stellung des „Moralisches
Urteil-Test“ sowie für die Beantwortung vieler Fragen zum Thema meiner Diplom-
arbeit.
… der Firma SKF Österreich AG für ihre finanzielle Unterstützung.
... den wertvollen Korrekturleser/innen.
... all jenen Menschen, die zur Entstehung meiner Diplomarbeit beigetragen haben, hier
aber nicht namentlich erwähnt werden.
IV
Inhaltsverzeichnis
Konstanzer Methode der Dilemma-Diskussion ..................................................................... I Eidesstattliche Erklärung ...................................................................................................... II Danksagung..........................................................................................................................III Inhaltsverzeichnis................................................................................................................ IV Abbildungsverzeichnis........................................................................................................ VI Tabellenverzeichnis............................................................................................................ VII Abkürzungsverzeichnis .....................................................................................................VIII
1 Einleitung.....................................................................................................................1
1.1 Problemstellung und Leitfrage...............................................................................2
1.2 Forschungsstand und Quellenlage .........................................................................4
2 Moral ............................................................................................................................6
2.1 Etymologische Einleitung ......................................................................................6
2.2 Moralphilosophische Beiträge von Kant und Rawls..............................................7
2.3 Abstufungen der Moral nach Kant, Rawls und Kohlberg....................................10
2.4 Die Kohlbergstufen moralischen Urteilens – Ein Modell nach Piaget ................13
2.4.1 Welche Idee steckt hinter den Entwicklungsstufen nach Kohlberg? ...........13
2.4.2 Stufen der Entwicklung des moralischen Urteilens .....................................18
3 Moralische Urteilsfähigkeit ......................................................................................20
4 Moralerziehung in der Schule – Eine sokratisch-klassische Forderung?...........24
5 Demokratische Moral im Unterricht – Eine Forderung des Lehrplans? ...........29
6 Forschungsdesign – Methodologie einer quantitativen Untersuchung................35
6.1 Die Prüfung von Hypothesen als einleitende Problemstellung............................35
6.2 Forschungsfrage der Untersuchung......................................................................37
6.3 Die Auswirkungen der zeitlichen Begrenzung einer Diplomarbeit .....................38
6.4 Die quasi-experimentelle Untersuchung als einzig mögliches Design? ..............40
6.5 Die unabhängige Variable „COOL“ und die abhängige Variable „MUT“..........41
6.6 Spezifische Drittvariablen, die die „Bildungstheorie“ nahe legt .........................41
6.6.1 Wie entwickelt sich moralische Urteilsfähigkeit? – Mögliche Variablen ...42
6.6.2 Grafische Übersicht und Zusammenfassung der Variablen.........................49
6.7 Teilnehmer/innen der Untersuchung und ihre Durchführung..............................50
7 Die abhängige Variable „moralische Urteilsfähigkeit“ .........................................54
7.1 Validität 1: Wie misst der MUT moralische Urteilsfähigkeit? ............................55
7.1.1 Intentionen und Grundgedanken des MUT..................................................55
V
7.1.2 Der C-Wert basierend auf dem Dual-Aspekt-Modell ..................................58
7.2 Validität 2: Ist der MUT für die Untersuchungsgruppe geeignet?.......................61
8 Die unabhängige Variable „COOL“ .......................................................................67
8.1 Moralerziehung im Unterricht – Eine theoriegeleitete Diskussion......................67
8.1.1 Eine erste Gegenüberstellung: Just-community Ansatz und COOL............68
8.1.1.1 Der Just-community Ansatz.....................................................................68
8.1.1.2 Was ist COOL (COoperatives Offenes Lernen)?.....................................75
8.1.2 Eine zweite Gegenüberstellung: COOL und Entwicklungsdimensionen. ...79
8.2 Moralerziehung im Unterricht – Eine empiriegeleitete Diskussion.....................85
8.2.1 Evaluationsergebnisse zu COOL mit Fokus auf soziale Kompetenz...........86
8.2.2 Ergebnisse der Just-community und der KMDD.........................................91
8.2.3 Zu welchen Ergebnissen kommt die vorliegende Untersuchung? ...............93
8.2.3.1 Die Ausprägungsproblematik von COOL................................................96
8.2.3.2 Die Lösung der Ausprägungsproblematik von COOL ............................98
9 Intervenierende Variablen .....................................................................................102
9.1 Kognitive Fähigkeiten: IQ und Schulnote..........................................................102
9.2 Soziobiografische Dimensionen nach Lempert .................................................107
9.3 Soziale Schicht ...................................................................................................113
9.4 Alter und Schulstufe...........................................................................................117
9.5 Geschlecht: Die weibliche Stimme ....................................................................121
9.6 Religion..............................................................................................................126
9.7 Sonstige intervenierende Variablen ...................................................................128
9.8 Eine zusammenfassende Varianzanalyse...........................................................130
10 Moralische Urteils- und Handlungsfähigkeit .......................................................132
10.1 Theoretischer Ansatz von Kohlberg & Candee .................................................132
10.2 Das Unterschlagungsexperiment von Krebs & Rosenwald ...............................134
10.3 Ergebnisse des Experimentes der vorliegenden Untersuchung .........................137
11 Rückblick und Ausblick – eine kritische Reflexion .............................................138
Literaturverzeichnis.........................................................................................................148
Anhang ..............................................................................................................................158
VI
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: KMDD-Seminar an der Uni Konstanz im Oktober 2008 (Photo: Lind)..... I
Abbildung 2: Zusammenhänge untersuchter Variablen..................................................49
Abbildung 3: Präferenzhierarchie ...................................................................................62
Abbildung 4: Moralische Orientierung (MUT) in Abhängigkeit vom Alter. .................62
Abbildung 5: Quasi-Simplex-Struktur ............................................................................63
Abbildung 6: Kognitiver und affektiver Aspekt verlaufen parallel ................................64
Abbildung 7: Argumente-Äquivalenz .............................................................................65
Abbildung 8: Effektstärken von KMDD-Seminaren und offener Didaktik ....................92
Abbildung 9: Verteilung des C-Wertes in der Stichprobe nach Unterrichtstyp..............94
Abbildung 10: Verteilung des C-Wertes in der Studie von Hettinger (2009)...................95
Abbildung 11: C-Mittelwerte gegliedert nach Schulen und Jahrgängen ..........................95
Abbildung 12: Moralische Urteilsfähigkeit und Mathematik- sowie Deutschnoten.......104
Abbildung 13: Moralische Urteilsfähigkeit und Noten...................................................105
Abbildung 14: Selbsteinschätzung der Entwicklungsbedingungen ................................109
Abbildung 15: Rollenübernahme und soziale Schicht ....................................................116
Abbildung 16: Moralische Urteilsfähigkeit in Abhängigkeit von Alter und Schulart
bei Jugendlichen von 14 bis 21 Jahren....................................................118
Abbildung 17: MUT/s-Werte und Alter sowie Schulstufe..............................................119
Abbildung 18: Präferenzordnung der Kohlbergstufen nach dem Geschlecht.................124
VII
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Abstufungen der Moral ...................................................................................13
Tabelle 2: Zusammenfassende Beschreibung der Stufen des moralischen Urteilens ......19
Tabelle 3: Design einer Interventionsevaluation..............................................................40
Tabelle 4: Stichprobe .......................................................................................................51
Tabelle 5: Gegenüberstellung: Just-community und COOL............................................78
Tabelle 6: Soziale Bedingungen der Entwicklung moralischer Urteilsfähigkeit –
Versuch einer Systematisierung......................................................................80
Tabelle 7: Effektstärken von Interventionen zur Förderung von moralischer
Urteilsfähigkeit................................................................................................92
Tabelle 8: Elemente des COOL-Konzepts .......................................................................97
Tabelle 9: Faktorenanalyse der 20 COOL-Fragen ...........................................................99
Tabelle 10: Korrelationen zwischen MUT/s und den erhobenen Schulnoten..................105
Tabelle 11: T-Test des MUT/s-Mittelwerts bei den beiden Probandengruppen
“mit und ohne Vereinsmitgliedschaft“..........................................................112
Tabelle 12: Schichtzuweisung..........................................................................................114
Tabelle 13: Soziale Schicht der Eltern und der WAS ......................................................115
Tabelle 14: Durchschnittliche C-Werte je sozialer Schicht .............................................115
Tabelle 15: T-Test der C-Mittelwerte der Geschlechter ..................................................125
Tabelle 16: Zusammenfassende Varianzanalyse..............................................................130
Tabelle 17: Ergebnisdarstellung des Unterschlagungsexperiments von
Krebs & Rosenwald ......................................................................................136
Tabelle 18: T-Test der MUT/s-Mittelwertunterschiede der Unterschlagungs- und
Kooperationsgruppe ......................................................................................137
VIII
Abkürzungsverzeichnis
a.a.O. am angegebenen Ort
AHS allgemeinbildende höhere Schule
Änd. d. Verf. Änderung des Verfassers
Anm. d. Verf. Anmerkung des Verfassers
Bd. Band
BHS berufsbildende höhere Schule
bspw. beispielsweise
bzgl. bezüglich
bzw. beziehungsweise
COOL COoperatives Offenes Lernen
C-Wert/C-Score Wert des Moralisches Urteil-Tests bzw. des MUT/s
d. Verf. durch Verfasser
d.h. das heißt
DES Demokratie und Erziehung in der Schule
ebd. ebenda
etc. et cetera
f. folgend
ff. fortfolgend
HAK Handelsakademie
Herv. d. Verf. Hervorhebung(en) durch Verfasser
Herv. i. Orig. Hervorhebung(en) im Original
HLW Höhere Lehranstalt für wirtschaftliche Berufe
HS Hauptschule
i.e. id est, mit anderen Worten
IQ Intelligenz Quotient
JC Just-community
Kap. Kapitel
KMDD Konstanzer Methode der Dilemma-Diskussion
Life Lernen in Freiheit und Eigenverantwortung
lt. laut, gemäß
m.E. meines Ermessens
Mag.(a) Magister/Magistra
MUT Moralisches Urteil-Test
IX
MUT/s adaptierte Schülerversion des Moralisches Urteil-Test
NonCOOL Kontrollgruppe, Klassen in denen kein COOL-Unterricht stattfindet
o.a. oder anderes
o.J. ohne Jahr
o.S. ohne Seite
OLE Offenes Lernen
ORIGIN/s Opportunities for role-taking and guided reflection in school
Prof. Professor
S. Seite
sic! Fehler im Original
soz. sozial(e)
Tab. Tabelle
u. und
u.a. und andere(s)/unter anderem
u.ä. und ähnliches
u.U. unter Umständen
unver. unveröffentlicht
usw. und so weiter
vgl. vergleiche
z.B. zum Beispiel
zit. nach zitiert nach
Einleitung
1
1 Einleitung
Moral und Demokratie im Unterricht! – Eine zweifellos wünschenswerte Forderung. Aber
auch eine, in der Praxis oft unreflektierte, beiseite geschobene. Einleitend soll dieses Pos-
tulat auf seine Bedeutung in der Erziehung reflektiert werden. Darauf aufbauend wird die
Fragestellung dieser Arbeit skizziert.
„Demokratische Gesellschaften leben vom Engagement mündiger, politisch urteils- und
handlungsfähiger Bürgerinnen und Bürger. Eine der wichtigsten Aufgaben von Schule,
wenn nicht die wichtigste überhaupt ist es deshalb, Kinder und Jugendliche auf das Leben
in einem demokratisch verfassten Gemeinwesen vorzubereiten.“ (Steffens & Bargel 1993,
Einbandrücken) So heißt schon die in Platons Politeia (544d) oft zitierte Frage: „Oder
glaubst du, eine Verfassung entspringe aus einer Eiche oder einem Felsen, [e] nicht aber
aus den Charakteren im Staat, die wie das Gewicht auf der Waage alles nach sich herzie-
hen?“ Ein weiteres Postulat für moralisch-demokratische Erziehung findet sich bei Kant:
„so ist der e w i g e F r i e d e (…) keine leere Idee, sondern eine Aufgabe“ (Kant
1987/1781, S. 56, Herv. i. Orig.), worauf Klafki (1993, S. 28 f.) hinzufügt: „zweifellos
auch eine Aufgabe kognitiver moralischer Bildung“. Die Liste dieser Forderungen nach
einer Erziehung des Menschen zu einem mündigen (im Sinne der Aufklärung), moralisch-
demokratisch denkenden ließe sich beliebig fortsetzen. Vor allem die deutsche Klassik
(Lessing, Herder, Schiller, Humboldt, Goethe, Pestalozzi, Kant, Herbart u.a. um nur einige
zu nennen) spielt nach Klafki (1993, S. 15ff.) eine fundamentale Rolle.
So alt diese Forderung ist – sie ist so alt wie die Philosophie selbst: Ob Moral lehrbar ist,
wird schon in Platon`s Dialog zwischen Menon und Sokrates gefragt (rund 350 vor Chris-
tus) – so brand aktuell ist sie meiner Meinung, nach wie vor! Beispielsweise kritisiert der
deutsche Bundespräsident Horst Köhler am 13. Oktober 2008 in einer Stellungnahme zur
weltweiten Finanzkrise, als Antwort auf die Frage, ob zu viele „Nieten“ unter den Bankern
seien? „Wichtiger ist die Erkenntnis: Der Markt braucht auch Moral. Da war eine Menge
Unaufmerksamkeit, Selbstzufriedenheit, Zynismus. (…) Viele von den Finanzakrobaten,
die jetzt alt aussehen, haben trotzdem ausgesorgt. Aber die Menschen, die in der Folge der
Konjunktureintrübung vielleicht sogar ihren Arbeitsplatz verlieren, die sind doch viel här-
ter getroffen. Dafür brauchen wir klares Verantwortungsbewusstsein. Es kann nicht sein,
dass wir einfach sagen: Keiner kümmert sich mehr um den anderen, jeder ist sich nur noch
selbst am nächsten. Wir müssen uns weiter als Gemeinschaft begreifen.“ (Köhler im Inter-
Einleitung
2
view mit dem Spiegel 2008) Auch der Wiener Sozialethiker Klaus Gabriel stößt in dieselbe
Richtung, wenn er im Ö1-Mittagsjornal zur Finanzkrise meint: „Es ist eine neoliberale
Sichtweise, dass der Markt moralisch nicht relevant ist. Ökonomie war immer eingebettet
in gesamtgesellschaftliche Fragestellungen. Das Herauslösen der Ökonomie ist aber nicht
gerechtfertigt. Es gibt keinen Grund, warum man sagen sollte, die Ökonomie darf außer-
halb aller moralischen Regeln agieren.“ (Gabriel im Interview mit Ö1) Es sei an dieser
Stelle nochmals auf das oben erwähnte Zitat von Platon verwiesen, das sicherlich auch auf
den Finanzmarkt analog anzuwenden ist. Denn auch dieser erwächst nicht aus der Eiche
oder aus dem Felsen, sondern ist getragen von menschlichen Entscheidungen und Hand-
lungen. Mit anderen Worten: Auch der Finanzmarkt ist ein Werk des Menschen, jener
Menschen, die es u.a. auch durch pädagogisches Handeln zum moralisch urteilsfähigen
Menschen zu erziehen gilt. Es ließe sich eine Vielzahl weiterer aktueller Beispiele (etwa
verschiedenste Umwelt- und Energiethemen, Probleme der dritten Welt, Kriege, Terroris-
mus etc.) finden, die verdeutlichen warum moralische Erziehung nach wie vor ein zentrales
Thema unterrichtlicher Handlungen sein sollte. Auch sei auf das Zitat von John Rawls am
Deckblatt dieser Arbeit verwiesen, das die Moralerziehung als eine zu lösende Aufgabe
ansieht, die jeder Generationenwechsel hervorruft.
1.1 Problemstellung und Leitfrage
Diese Diplomarbeit geht aber nicht derartigen epochaltypischen Schlüsselproblemen wie
Klafki sie benennt (1993, S. 43ff.) nach, sondern widmet sich dem Status quo unterrichtli-
cher Handlungen bzw. der Unterrichtspraxis und deren Beitrag zur Förderung der Moralität
unter den jungen Erwachsenen. Nach herrschender wissenschaftlich-literarischer Meinung
– etwa nach Kohlberg (bspw. 1974), Dewey (bspw. 1964), Lind (bspw. 2000), Oser & Alt-
hof (1997), aber auch Klafki (1993) etc. – gibt es Didaktiken, welche die moralisch-
demokratische Fähigkeit der Lernenden stärker fördert als der herkömmlich, tradierte und
leider fast immer noch ausschließlich praktizierte Unterricht.2 Eine Form dieser Didaktiken
2 Bereits 1954 (S. 460f.) forderte Piaget eine Wende in der Didaktik: „Es ist vergeblich (Änd. d. Verf.),
das Denken des Kindes von außen her verwandeln zu wollen, während sein aktiver Forschungsdrang und sein Bedürfnis nach Zusammenarbeit ausreichend sind, um eine normale geistige Entwicklung zu gewährleisten. Der Erwachsene muss daher ein Mitarbeiter und kein Lehrmeister sein, und zwar von diesem doppelten moralischen und intellektuellen Gesichtspunkt aus.“ John Dewey (1993/1964, S. 457 u. 460) plädiert ebenfalls für ein Schulleben, das „selbst ein Gemeinschaftsleben im vollen Sin-ne dieses Wortes“ ist. „Soziale Auffassungen und Interessen können nur in einer echten sozialen Um-welt entwickelt werden, in einer Umwelt, wo eine gemeinsame Erfahrung im wechselseitigen Geben und Nehmen aufgebaut wird. (…) Ein System der Erziehung, in dem das Lernen hervorgeht aus einer
Einleitung
3
stellt das COoperative Offene Lernen – COOL an einigen österreichischen Handelsakade-
mien und Höheren Lehranstalten für wirtschaftliche Berufe dar. Dieser nunmehr bereits
über 13 Jahre junger Schulversuch (und die Schule generell, wie eine Lehrplananalyse zei-
gen wird) erhebt den Anspruch die Schüler/innen in ihren sozialen Fähigkeiten und damit
auch in ihren moralisch-demokratischen Fähigkeiten zu fördern bzw. demokratischen Un-
terricht zu verwirklichen (vgl. Neuhauser 2002, S. 177). Im Rahmen dieser Arbeit soll der
Fragestellung nachgegangen werden, ob dieser Anspruch auch eingelöst wird (Status quo)?
Oder anders formuliert, welchen Beitrag COOL zur Förderung der moralischen Urteilsfä-
higkeit derzeit leistet und welchen es leisten könnte. Darauf sollen zwei Untersuchungen
Antworten geben:
1. Wie wird Demokratie oder besser demokratische Moral in der COOL-Unterrichts-
praxis umgesetzt? Welche Elemente, Methoden, Unterrichtsformen u.a. zur Verwirk-
lichung von Demokratie bzw. demokratischer Moral sind in der Schulpraxis anzutref-
fen?3 Dabei werde ich mich im Besonderen der Analyse widmen, inwieweit COOL
mit dem Just-community Ansatz vergleichbar ist. Jenem Ansatz, dem in der moral-
psychologischen Literatur – neben der Blatt-Kohlberg-Methode und der KMDD –
wohl der höchste Stellenwert zugewiesen wird, wenn es um Demokratie und Moral-
erziehung im Unterricht geht (vgl. Oser & Althof 1997, S. 341). Das Konzept von
COOL – auch wenn die konkrete Umsetzung vielerorts variieren mag – beinhaltet
meiner Meinung nach viele Elemente, Ansätze und Chancen, die soziale Kompetenz
der Schüler/innen im Allgemeinen und die moralische Urteilsfähigkeit im Besonde-
ren zu schulen bzw. zu fördern. Diese Elemente und Chancen gilt es in einer ersten
theoretischen Analyse herauszuarbeiten.
2. Sind COOL-Schüler/innen moralischer, demokratischer als Schüler/innen die „her-
kömmlichen“ Unterricht genießen? Wovon hängt diese moralische Fähigkeit ab?
Durch welche Variablen wird sie beeinflusst? Ist es – wie die „Bildungstheorie“ (vgl.
Kap. 6.6.1) „prophezeien“ würde – die Unterrichtsweise bzw. das COOL-Konzept?
zusammenhängenden Tätigkeit oder Beschäftigung, die auf ein soziales Ziel gerichtet ist und den Stoff typisch sozialer Situationen verwertet. Denn unter solchen Umständen wird die Schule selbst zu einer Form des sozialen Lebens, eine Gesellschaft im kleinen (sic!), und zwar eine solche in enger Wech-selwirkung mit der Gemeinschaft jenseits der Schulwände.“
3 Mangels Einsatz qualitativer Methoden kann in der vorliegenden Studie die tatsächliche Schulpraxis nur bedingt untersucht werden. Hier muss zum einen auf eine Sekundaranalyse bestehender qualitati-ver Untersuchungen zum COOL-Unterricht zurückgegriffen werden (vgl. Kap. 8.2.1), und zum ande-ren mit spezifischen Fragen im Erhebungsinstrument das Auslangen gefunden werden (vgl. Kap. 8.2.3.2 und 9.2))
Einleitung
4
Oder sind es doch andere intervenierende Variablen (z.B.: Noten, soziale Schicht, Al-
ter, Zuwendung und Anerkennung in Familie und Freundeskreis, offener Umgang
mit Konflikten und sozialen Problemen, Teilnahme an Diskussionen und Entschei-
dungen, Übernahme von Verantwortung in den verschiedensten Bereichen etc.) die in
der Literatur angeführt werden? Eine empirisch-quantitative Untersuchung soll zu
diesen und ähnlichen Fragen Antworten liefern (vgl. ab Kap. 6).
1.2 Forschungsstand und Quellenlage
Die Forschung im Bereich der Demokratie im Unterricht ist noch eine relativ junge. Erst
als Lawrence Kohlberg in den 60er Jahren seine Dissertation veröffentlichte, die erstmals
die sechs Entwicklungsstufen der moralischen Urteilsfähigkeit (vgl. Tabelle 2) enthielt,
und Jahre danach Aufsätze über die Förderung der Demokratie und moralischen Urteilsfä-
higkeit der Schüler/innen im Unterricht publizierte, war eine Diskussion um dieses Thema
entfacht. Kohlberg bezieht sich in seinen Arbeiten stark auf Moralphilosophen wie bspw.
Immanuel Kant oder John Rawls (Kohlberg zit. nach Oser & Althof 1997, S. 263f.), vor
allem wenn es um den Begriff „Moral“ und ihre Entwicklungsstufen geht. Letzteres, das
Stufenmodell der Moralentwicklung, basiert auf Jean Piagets Stufen der Kognitionstheorie.
Hingegen spielt im Bereich der Demokratie im Unterricht John Dewey eine wichtige Rolle
für Kohlberg (vgl. Oser & Althof 1997, S. 83ff.). So wichtig Kohlbergs Beitrag zur Moral-
entwicklung auch ist, so darf nicht auf die vielen Moralpsychologen vergessen werden, die
im deutschsprachigen Raum ihren Beitrag zu dieser Diskussion leist(et)en. Allen voran die
Gruppe um Oser, Althof und Lind. Sie stehen im Mittelpunkt meiner Arbeit, wenn es um
die Gerechte Schulgemeinschaft (die deutsche Version der amerikanischen Just-
community nach Kohlberg), die Konstanzer Methode der Dilemma-Diskussion und um die
Evaluation moralfördernder Maßnahmen in der Schule geht. Hier sind die Werke „Morali-
sche Selbstbestimmung“ von Oser & Althof (1997) und „Ist Moral lehrbar?“ von Lind
(2000a) hervorzuheben. Vor allem im Rahmen der Evaluation von Unterrichtsmaßnahmen
bzw. der Messung moralischer Urteilsfähigkeit nimmt Georg Lind eine wichtige Stellung
ein. Durch die Entwicklung des Moralisches Urteil-Test (MUT) erscheint es möglich Un-
terrichtsmaßnahmen möglichst effizient zu überprüfen (vgl. Lind 2000a, S. 85ff.). Zudem
stellt der MUT das Kernelement meines Forschungsinstrumentes dar. Einen weiteren sehr
wichtigen Beitrag zur Förderung der moralischen Urteilsfähigkeit hat Wolfgang Lempert
geliefert. Mit der Erforschung der sozialen Bedingungen der Entwicklung moralischer Ur-
Einleitung
5
teilsfähigkeit hat er wohl die fünf4 wichtigsten Dimensionen zur Förderung dieser Fähig-
keit übersichtlich dargestellt (vgl. Lempert 1988, S. 28ff.; vgl. Kap. 8.1.2). Auch wird auf
Gilligan und ihren geschlechterspezifischen Ansatz moralischer Entwicklung hinzuweisen
sein. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, soll in dieser Arbeit auf die genann-
ten Personen und ihre zentralen – für meine Arbeit wichtig erscheinenden – Aussagen Be-
zug genommen werden.
Vor dem Hintergrund des umfangreichen Forschungsstandes darf nicht vergessen werden,
dass COOL und seine Konzeption in dieser Arbeit die zentrale Rolle einnehmen. So ist es
in einem ersten Teil dieser Arbeit nötig, den Begriff „Moral“ genauer unter die Lupe zu
nehmen, um sich dann im Empirieteil, im Rahmen der Beantwortung der Forschungsfrage
vor allem auf das COOL-Konzept konzentrieren zu können.
Bleibt noch darauf hinzuweisen, dass neben der vorliegenden quantitativen Untersuchung
natürlich auch eine qualitative – wie sie Oser & Althof empfehlen (1997, S. 443) – in Form
von Leitfadeninterviews mit Lehrer/innen und Schüler/innen, Unterrichtsbeobachtungen,
Beobachtungen von Klassenratssitzungen u.a. nötig wäre. Jedoch ist dies leider im zeitli-
chen Rahmen dieser Diplomarbeit nicht mehr möglich. Es wäre wohl Stoff genug für eine
eigene Arbeit. Hier ist auch schon ein Punkt angeschnitten, der den Ausblick meiner Arbeit
verdeutlicht, nämlich die Grenzen und offenen Punkte der vorliegenden Untersuchung so-
wie eine methodische Kritik.
4 Die Anzahl der Entwicklungsbedingung divergiert in der Literatur je nach Unterteilung der Dimensio-
nen. So unterteilt bspw. Bienengräber (2000, S. 5) die Entwicklungsbedingungen in sechs Dimensio-nen.
Moral
6
2 Moral
Im Rahmen der Untersuchung habe ich Schüler/innen gefragt, was sie mit dem Begriff
„Moral“ verbinden? Hier ein paar zufällig ausgewählte Antworten:
„Wertvorstellungen, Glaube, Recht, Gesetz“; „nach seinen eigenen Grundsätzen handeln,
selbst abwägen was in seinen Augen das Richtige ist, jeder sollte ein bisschen Moral besit-
zen, was leider nicht so ist.“; „wenn man aus etwas Nichts gelernt hat, straft einen die
Moral.“; „richtiges Handeln?“; „mehr lernen, etwas daraus lernen“; „Religion, Wissen,
Eigenverantwortung, Gefühl“; „???“; „soziale Pflichten, man weiß, dass sich etwas ge-
hört. Eventuell auch Anstand, z.B. auch Grüßen gehört für mich dazu“
Die sehr unterschiedlichen Antworten zeigen, dass Menschen Unterschiedliches mit dem
Begriff „Moral“ verbinden. Daher ist es wichtig, zu klären was darunter wissenschaftlich
überhaupt zu verstehen ist, bevor in dieser Arbeit von moralisch-demokratischem Unter-
richt und dessen Auswirkungen auf derartige Fähigkeiten gesprochen werden kann. Aber
auch aus einem zweiten Grund ist ein einheitliches Moralverständnis wichtig. Genauer
gesagt eine konkrete Vorstellung davon, was unter moralischer Urteilsfähigkeit zu verste-
hen ist, denn nur ein objektivierter Begriff kann auch gemessen werden. Dazu aber mehr in
Kapitel 7. So unterschiedliche die oben dargestellten Schülerantworten auch sind, im Fol-
genden wird zu sehen sein, dass einige dieser Vermutungen den wissenschaftlichen Defini-
tionen relativ nahe kommen bzw. Bestandteile derer sind.
2.1 Etymologische Einleitung
Traditioneller Weise möchte ich zu Beginn eine Begriffsbestimmung auf etymologischem
Wege herbeiführen und gleichzeitig die Abgrenzung des Begriffs „Moral“ zum übergeord-
neten Begriff „Ethik“ skizzieren. Die geschichtliche (etymologische) Herkunft des Begriffs
„Moral“ lässt sich nach Herzig (1998, S. 29) nur über den Begriff „Ethik“ herleiten. Dieser
stammt aus dem Griechischen und beschreibt „die Lehre vom sittlichen Wollen u. Handeln
des Menschen in verschiedenen Lebenssituationen“. (Duden 2004, S. 230, Herv. d. Verf.)
Eine ethische Grundhaltung ist demnach gekennzeichnet durch Handeln, das sich an dem
orientiert, was gesellschaftlich gilt und anerkannt ist (z.B. Sitten und Normen). Gleichzei-
tig beschreibt der Begriff „Ethik“ aber auch eine eher innerliche, selbstbestimmte Grund-
Moral
7
haltung, einen Charakter der nach dem „Guten“ strebt (vgl. Herzig 1998, S. 29). Während
Herzig in Übereinstimmung mit Krämer (1992, 1994) unter Moral „Urteile, Regeln, Wei-
sungen, Anleitungen sowie Denkweisen und Einstellungen (…), die dem Einzelnen als
Orientierung in Fragen dienen, wie Mensch sich in bestimmten Situationen verhalten, ent-
scheiden oder – allgemeiner – handeln sollen“ (Herzig 1998, S. 29, Herv. i. Orig.) zusam-
menfasst, hat Ethik nicht nur die Moral selbst zum Gegenstand. Die Ethik beschäftigt sich
mit Prinzipien und Begründungen von Moral, aber auch mit Fragen, die die außermorali-
sche Lebensführung betreffen. Letzteres soll hier nicht näher erläutert werden. Jedoch ist
mit Herzig darauf hinzuweisen, dass Moral im Gegensatz zur außermoralischen, individu-
ellen Lebensführung eine allgemeine Geltung beansprucht: „Dieser normative Orientie-
rungsrahmen (welcher der Moral unterliegt, Anm. d. Verf.) menschlichen Zusammenle-
bens ist nicht der Beliebigkeit und Willkür des Einzelnen anheimgestellt (sic!), sondern
beansprucht allgemeine Geltung.“ (Herzig 1998, S. 29)
Nach Lempert wird der Begriff umgangssprachlich so facettenreich verwendet wie kaum
ein anderer. Aber auch in der Moralpsychologie und –philosophie konnte man sich bisher
nicht auf eine Definition einigen (vgl. Lempert 1988, S. 12). Deshalb wird in der Wissen-
schaft auch meist von moralischer Urteilsfähigkeit gesprochen. Dieser Begriff ist klarer
umschrieben (vgl. die Definition von Kohlberg Kap. 3). Jedoch lassen sich beide Begriffe
nicht sauber trennen, wie zu sehen sein wird. Dennoch soll im Folgenden versucht werden,
zuerst den Begriff „Moral“ im Allgemeinen und dann „moralische Urteilsfähigkeit“ im
Besonderen herauszuarbeiten.
2.2 Moralphilosophische Beiträge von Kant und Rawls
Wenn man nach Definitionen des Moralbegriffs sucht, kommt man in der Literatur um
zwei Philosophen nicht herum. Es hat kaum jemand den Moralbegriff so stark geprägt wie
Immanuel Kant und John Rawls.
Der kategorische Imperativ von Kant gilt als das moralische Gesetz schlecht hin: „Der o-
berste Grundsatz der Sittenlehre ist also: handle nach einer Maxime, die zugleich als all-
gemeines Gesetz gelten kann. – Jede Maxime, die sich hierzu nicht qualificirt, ist der Mo-
ral zuwider.“ (Kant 1870, S. 26) Nicht zuletzt ist er in der höchsten Moralstufe nach Kohl-
berg angesiedelt – wie noch zu sehen sein wird – und somit auch das Ziel einer jeden Mo-
Moral
8
ralerziehung. Höffe bezeichnet ihn ebenfalls als „höchstes Beurteilungskriterium für die
Moralität“. (Höffe 1983, S. 181) Oser & Althof (1997, S. 426ff.) nennen in der Diskussion
bzgl. der Frage welche obersten Werte Lehrer/innen im Unterricht vermitteln sollen bzw.
an welchen sie sich orientieren sollen, den kategorischen Imperativ. Er stellt ein universel-
les Prinzip dar, ähnlich dem christlichen Grundprinzip der Nächstenliebe, das in einer
Schule (hier vor allem in einer Gerechten Schulgemeinschaft) immer wieder mit den Schü-
ler/innen besprochen und in Problem- und Konfliktsituationen reflektiert werden sollte.
Aber was meint der kategorische Imperativ eigentlich? Dies wird leichter verständlich,
wenn die beiden Wörter „kategorisch“ und „Imperativ“ hinsichtlich ihrer kantischen Auf-
fassung genauer betrachtet werden. „Kategorisch“ meint, soviel wie „ohne wenn und a-
ber“. Kant fordert auf, „in einer bestimmten Weise zu handeln; (…) die ohne jede Ein-
schränkung gültig ist.“ (Höffe 1983, S. 182) Diese bestimmte Weise kommt nach Kant im
„Sittlichen“ zum Ausdruck. Sittlichkeit meint etwas, das ohne einschränkende Bedingun-
gen gut ist (vgl. Höffe 1983, S. 176). Sittlich gut ist aber nur ein guter Wille, ein Wille der
nach Kant nicht aus der Natur entspringt (irrational), sondern sich aus der Vernunft des
Menschen (rational) ergibt. Dies ist es, was ein Vernunftswesen wie den Menschen von
den Tieren unterscheidet (vgl. Höffe 1983, S. 174). Da aber auch der Mensch von beiden,
der irrationalen und rationalen Form des Willens bestimmt ist, ist eine Aufforderung bzw.
der Imperativ notwendig. Der Mensch soll eben dem vernunftgeleitetem Willen Vorrang
geben. Höffe (1983, S. 182) verkürzt Kants kategorischen Imperativ auf die Formel
„Handle sittlich!“ Allein in diesen beiden Worten kommt das Wichtigste zum Ausdruck.
Eine moralische Pflicht muss nach Kant bedingungslos erfüllt werden, d.h. nur dann, wenn
die Pflicht „aus keinem anderen Grund ausgeführt wird, als weil es sittlich richtig ist“ und
weil „die Pflicht selbst gewollt ist und als solche erfüllt wird“ (Höffe 1983, S. 179), dann
kann man von Moralität im Sinne von Kant sprechen. Ein Geschäftsmann, der aus Angst
seine Kunden zu verlieren auch unerfahrene Käufer ehrlich bedient, oder jemand der
pflichtgemäß einem notleidenden Freund aus Sympathie hilft, handelt nicht bedingungslos.
Seine Handlungen sind immer an Bedingungen geknüpft (z.B. den Kunden nicht verlieren,
oder einem guten Freund helfen) (vgl. Höffe 1983, S. 179).
Bei diesen Ausführungen von Kant zum kategorischen Imperativ – der uns zeigt, was gutes
Handeln im kantischen Sinne darstellt – wollen wir es belassen und uns John Rawls und
seiner Theorie der Gerechtigkeit zuwenden.
Moral
9
Nach Oser & Althof (1997, S. 263f.) setzt Rawls mit seiner Gerechtigkeitstheorie die kan-
tische bzw. kognitivistische Tradition der Moralphilosophie fort. Die Gerechtigkeitstheorie
versucht, die ethischen Grundprinzipien der Gerechtigkeit und Gleichheit auf der einen und
der Achtung der Würde des Anderen auf der anderen Seite zu vereinen. Gemäß dem Utili-
tarismus wäre dem Grundsatz des „größten Wohls/Glücks für die größte Zahl“ zu folgen.
Beispielsweise wäre dadurch Folter gerechtfertigt und gefordert, wenn sie „Informationen,
die als im nationalen oder Menschheitsinteresse unverzichtbar erscheinen“ (Oser & Althof
1997, S. 428) erbringt. Rawls ist jedoch anderer Auffassung: „Die Unverletzlichkeit von
Grund- und Menschenrechten kann den Kollektivinteressen nicht geopfert werden.“ (Oser
& Althof 1997, S. 428 in Anlehnung an Rawls 1990) Weiters sind nach Rawls in einer
moralischen Gesellschaft soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten nur dann gerechtfer-
tigt, wenn sich aus ihnen auch Vorteile für die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft
ergeben (vgl. Rawls 1990, S. 31f.). Eine gerechte, moralische Gesellschaft kann nach
Rawls nur „hinter dem Schleier des Nichtwissens“ ihren Ursprung haben. Damit bezeich-
net Rawls den Urzustand, den er als Fundament jeder moralischen Gemeinschaft ansieht.
Dieser „gewährleistet, dass dabei niemand durch die Zufälligkeiten der Natur oder der ge-
sellschaftlichen Umstände bevorzugt oder benachteiligt wird.“ (a.a.O., S. 29) Das Nicht-
wissen um diese Zufälligkeiten und Umstände bzw. in welche Welt man hineingeboren
wird ist Voraussetzung, dass jeder unbelastet über die Grundsätze einer Gerechtigkeitsvor-
stellung mitentscheiden kann. „Die Gerechtigkeit als Fairness beginnt (...) mit der allge-
meinsten Entscheidung, die Menschen überhaupt zusammen treffen können, nämlich mit
der Wahl der ersten Grundsätze einer Gerechtigkeitsvorstellung, die für alle spätere Kritik
und Veränderung von Institutionen maßgebend sein soll.“ (a.a.O., S. 29f.) Diese ersten
Grundsätze sind m.E. nach eben so unantastbar wie das „sittlich Gute“ bei Kant. Genau
deshalb ist es so wichtig bzw. dieser Schleier des Nichtwissens nötig, damit jeder Mensch
gleichwürdig bei ihrer Wahl mitentscheiden kann.
Die Parallelen von Kant und Rawls werden im Folgenden ersichtlich, wenn wir uns über
die Formen der Moral – die diese beiden Philosophen prägen – an die Kohlbergstufen her-
antasten.
Moral
10
2.3 Abstufungen der Moral nach Kant, Rawls und Kohlberg
Beim kategorischer Imperativ von Kant handelt es sich, wie bereits erwähnt, um ein Ideal,
quasi um eine sehr hohe, wenn nicht die höchste Stufe der Moral, die vom Menschen zu-
mindest theoretisch erreicht werden könnte (vgl. Diskussionen um die 6. Kohlbergstufe,
Oser & Althof 1997, S. 62ff.). Dass es aber auch „niedere“, oder weniger wertend ausge-
drückt: andere Formen der Moral gibt, wird vor allem bei Betrachtung des Stufenmodells
von Kohlberg ersichtlich (vgl. Kap. 2.4.2). Auch Rawls beschreibt ähnliche Stufen der
Moral. Kant kennt zwar auch diese Formen, bezeichnet sie aber nicht als Moralität, son-
dern mit dem Wort „Legalität“ (vgl. Höffe 1983, S. 178).
Nach Kant kann der gute Wille auf drei verschiedene Weisen das Handeln bestimmen.
„Erstens kann man die Pflicht befolgen und doch letztlich vom Selbstinteresse bestimmt
sein (siehe Beispiel ‚Kaufmann’, Anm. d. Verf.) (…) Zweitens kann man pflichtgemäß und
zugleich mit einer unmittelbaren Neigung zur Pflicht handeln (siehe Beispiel ‚Notleiden-
den aus Sympathie helfen’, Anm. d. Verf.).“ (Höffe 1983, S. 178) Diese beiden Formen
der Moral sind, wie oben erwähnt, nicht bedingungslos weshalb Kant sie auch nicht als
Moralität bezeichnet, sondern als Legalität. Ich nenne sie in der Tabelle 1 weiter unten
„Legalität I und II“. Schließlich gibt es noch die dritte Alternative und nach Kant die einzig
sittliche (absolut gute). Sie wurde weiter oben schon unter der bedingungslosen Handlung
beschrieben und nur sie kann nach Kant als Moralität bezeichnet werden (vgl. Höffe 1983,
S. 179).
Auch Rawls beschreibt drei ähnlich verschiedene Ausprägungen, jedoch bezeichnet er sie
alle als Moralität (vgl. Rawls 1990, S. 503ff.). Die primitivste Form der Moralität, die au-
toritätsorientierte Moralität, ist Rawls (a.a.O., S. 504) zufolge die des Kindes. Sie ist eine
Sammlung von Vorschriften, die das Kind nicht in der Lage ist zu legitimieren/verstehen,
da ihm umfassende Systeme von Rechte und Gerechtigkeiten meist uneinsichtig bleiben.
Anstelle dieser tritt eine Autoritätsperson, die vom Kind geliebt wird bzw. der das Kind
vertraut und die es anerkennt, z.B. Mutter oder Vater. Umgekehrt ist aber Voraussetzung,
dass das Kind zuerst Liebe von der Autoritätsperson erfährt, nur so kann die Kindesliebe
zu den Eltern wachsen und gleichzeitig auch der Wille des Kindes nach deren Anweisun-
gen zu handeln. Dieser letztgenannte Wille entspringt dem Wunsch zu zeigen, dass das
Kind zu Gehorsam bereit ist, wenn es geliebt wird (Rousseaus zit. nach Rawls 1990,
S. 504). Dies nennt Rawls das erste psychologische Gesetz. Während es somit für das Kind
Moral
11
eine Pflicht darstellt, den Anweisungen dieser Autoritätsperson zu folgen, braucht es sich
über die Konsequenzen des Handelns keine Gedanken zu machen. „Man soll tun, was ver-
langt wird, ohne zu fragen“. (Rawls 1990, S. 507)
Aus der autoritätsorientierten Moralität entwickelt sich die gruppenorientierte Moralität
(a.a.O., S. 508). Bereits die Familie stellt für das Kind eine Kleingruppe dar, in der es die
moralischen Regeln der Gruppe erfährt. In diesem Stadium wird dem Kind eingeschärft,
was einen guten Jungen, ein gutes Mädchen, einen gute/n Schüler/in, Kameraden usw. –
oder im späteren Leben, einen guten Ehemann, eine gute Ehefrau usw. – ausmacht. Ideale
werden vermittelt und eingeschärft, die jeweils auf eine bestimmte Rolle zugeschnitten
sind. Deshalb wird auch vom Development of Role-Taking gesprochen (vgl. Rawls 1990,
S. 509). Zentral ist in dieser Phase der moralischen Entwicklung des Kindes, dass es erst-
mals lernt, sich in andere Personen hineinzuversetzen und Dinge von deren Standpunkt aus
zu betrachten, deren Bedürfnisse und Ziele zu verstehen. „Wenn man diese maßgeblichen
Elemente (Bedürfnisse und Ziele, Anm. d. Verf.) nicht ausmachen kann, kann man sich
auch nicht in einen anderen hineinversetzen und herausfinden, was man an seiner Stelle tun
würde.“ (Rawls 1990, S. 510) Rawls weist bereits hier darauf hin, dass diese hoch intellek-
tuelle Fähigkeit „sich in andere hineinzuversetzen“ zwar nötig ist, aber nicht hinreichend.
So ist auch das Verhalten danach abzustimmen (vgl. Rawls 1990, S. 510), denn selbst
wenn das Kind verstanden hat sich in andere hineinzuversetzen und zudem über seine
Gruppe hinaus, die Komplexität der gesellschaftlichen Zusammenarbeit zu verstehen, so ist
dies noch keine Garantie für moralische, gute Handlungen. „Auch wer rein manipulative
Absichten hat und die anderen lediglich zu seinem Vorteil ausnützen möchte, muss diese
Fähigkeiten haben.“ (Rawls 1990, S. 511) Um diese manipulativen Absichten in einer Per-
son erst gar nicht zustande kommen zu lassen, ist nach Rawls eine Gemeinschaftsbindung
nötig. Diese entsteht ähnlich dem ersten psychologischen Gesetz. Positive Gefühle und
Einstellungen, wie Vertrauen und Freundschaft entstehen durch die Zugehörigkeit zu einer
Gemeinschaft. Jedoch beruhen sie ebenfalls auf Gegenseitigkeit, was eine Vorbildwirkung
einiger anderer Mitglieder voraussetzt. Nur dann werden alle bemüht sein ihren Pflichten
nachzukommen, um Gruppenschuldgefühle und Tadel und Strafe zu vermeiden (vgl.
Rawls 1990, S. 511f.). Dies ist das zweite psychologische Gesetz. Die folgende Zusammen-
fassung dieser gruppenorientierten Moralität ist auch für die späteren Ausführungen über
die Just-community (JC) von großer Bedeutung, den sie beschreibt viele der Grundintenti-
onen des JC-Ansatzes (vgl. dazu Oser & Althof 1997, S. 345ff.). „Wir können also von
einer Gruppenmoralität ausgehen, der gemäß die Mitglieder der Gesellschaft einander als
Moral
12
Gleiche, Freunde und Genossen betrachten, die miteinander in einem System der Zusam-
menarbeit verbunden sind, das bekanntermaßen dem Vorteil aller dient und von einer ge-
meinsamen Gerechtigkeitsvorstellung beherrscht wird. Der Inhalt dieser Moralität ist durch
die Tugenden der Zusammenarbeit gekennzeichnet: Gerechtigkeit und Fairness, Treu und
Glauben, Integrität und Unparteilichkeit.“ (Rawls 1990, S. 513)
Während sich das Ziel der gruppenorientierten Moralität im Ideal des gleichen Bürgers
ausdrückt, verfolgt die grundsatzorientierte Moralität – wie der Name schon sagt – die
Bindung an höchste Grundsätze selbst. Dem dritten psychologischen Gesetz zufolge er-
wächst aus den ersten beiden psychologischen Gesetzen (die auf gegenseitige Liebe, Ver-
trauen und Freundschaft etc. beruhen) die Erkenntnis und das Bedürfnis, jene Gerechtig-
keitsgrundsätze anzuwenden, die das eigene Wohl wie auch jenes der Mitmenschen för-
dert. Dieser Gerechtigkeitssinn wird in zwei Weisen ersichtlich, nämlich in der Anerken-
nung von den – von allen im Urzustand geschaffenen – Regeln und Institutionen sowie
durch die Bereitschaft an der Errichtung und Veränderung dieser mitzuwirken (vgl. Rawls
1990, S. 515). Zusammenfassend kann hier festgehalten werden, dass die moralischen Hal-
tungen des Kindes nun nichts mehr mit den Forderungen der Autoritätspersonen oder der
Anerkennung/Freundschaft von Gruppenmitgliedern zu tun haben, sondern von solchen
Zufälligkeiten unabhängig sind. Hier werden die Parallelen zu Kants Bedingungslosigkeit
ersichtlich: „Die moralischen Empfindungen erheben sich über diese zufälligen Verhältnis-
se der eigenen Umwelt, und zwar im Sinne der Beschreibung des Urzustandes und seiner
Kantischen Deutung.“ (Rawls 1990, S. 516)
Es wird bereits aus den Ausführungen zu Kant und Rawls deutlich, dass Moral, je höher, je
universeller sie ist, „keine Moral der konkreten Werte mehr sein“ kann, sondern dass „un-
terschiedliche Werte auf verschiedenem sozialen und kulturellen Hintergrund gleicherma-
ßen berechtigt sein können.“ (Oser & Althof 1997, S. 60) Somit gibt es hier nicht nur die
eine Wahrheit, denn diese ist von Gemeinschaft und Gemeinschaft, von Kultur zu Kultur
verschieden.
In der folgenden Tabelle 1 wird versucht, die verschiedenen Abstufungen der Moral unter
Bezugnahme auf die Autoren nochmals zusammenzufassen.
Moral
13
Tabelle 1: Abstufungen der Moral
Kant Rawls Kohlberg
Legalität I autoritätsorientierte Moralität vorkonventionelle Ebene, egozentrisches Niveau
Legalität II gruppenorientierte Moralität konventionelle Ebene, soziozentrisches Niveau
Moralität grundsatzorientierte Moralität postkonventionelle Ebene, äquilibrierte Ebene
Auf die Abstufungen von Kohlberg wurde bisher aus gutem Grund noch nicht eingegan-
gen. Kohlbergs Stufenmodell wird im Folgenden ausführlicher erläutert. Mit Eingehen auf
das Stufenmodell verlassen wir den übergeordneten Bereich der „allgemeinen“ Moral und
treten ein in die Bestimmung des Begriffs „moralische Urteilsfähigkeit“, die in Kap. 3 fort-
geführt wird.
2.4 Die Kohlbergstufen moralischen Urteilens – Ein Modell nach Piaget.
Die wohl bekannteste Abstufung oder weniger wertend formuliert Gliederung der Morali-
tät stammt von Lawrence Kohlberg. Er lehnt sich dabei inhaltlich stark an (die bereits er-
wähnten) Ausführungen von Kant und Rawls u.a., untergliedert diese jedoch stärker. Aus
diesem Grund wird auf die Stufen der moralischen Entwicklung inhaltlich nicht in dem
Umfang eingegangen, der eigentlich nötig wäre, um der Bedeutung, die diese Stufen in der
Moralpsychologie einnehmen, gerecht zu werden. Im Vordergrund der folgenden Betrach-
tung sollen die kognitiven Strukturen liegen, die Kohlberg in Anlehnung an Piagets Kogni-
tionstheorie den Stufen zugrund legt.
2.4.1 Welche Idee steckt hinter den Entwicklungsstufen nach Kohlberg?
Die Idee, die hinter der moralischen Entwicklungstheorie von Kohlberg steht, baut auf je-
ner von Jean Piaget auf, der bereits bei der Untersuchung der Entwicklung von Mustern
der Organisation von Denk- und Erkenntnisprozessen auf ein Stufensystem der kognitiven
Entwicklung stieß (vgl. Oser & Althof 1997, S. 41). „Die gesamte kognitive Entwicklung
von Menschen ist ein kontinuierlicher Versuch, die Welt zu verstehen, sie für sich zu ord-
nen, aus ihr (...) Sinn zu machen, um sie zu handhaben, sich in ihr bewegen zu können.“
Moral
14
(Oser & Althof 1997, S. 41, Herv. i. Orig.) Kohlberg legt diese Idee der rein kognitiven
Entwicklung um auf die mehr affektive, moralische Entwicklung. „Kinder bauen sich ein
eigenes Bild ihrer räumlichen-physikalischen und ihrer sozialen Welt auf; sie versuchen
aus dem, was sie erfahren und wahrnehmen, selbst einen Sinn zu machen.“ (Oser & Althof
1997, S. 40, Herv. i. Orig.) Für Kinder ist deshalb beispielsweise der moralische Grund-
satz: „Jedem das Gleiche! Wie du mir, so ich dir!“ Resultat langer Erfahrungen und vielen
Nachdenkens. Dabei darf dieser Prozess nicht falsch verstanden werden als eine Ansamm-
lung von Wissensbeständen. Man würde auch falsch argumentieren, wenn man sagt, Kin-
der seien zu dumm, einen Konflikt – den sie mit obiger Regel lösen – richtig einzuschät-
zen. „Sie verstehen die Situation vielmehr auf ihre Weise und sie haben ihren eigenen mo-
ralischen Standpunkt.“ (Oser & Althof 1997, S. 40) Somit sollte verständlich geworden
sein, was Maria Montessori mit Folgendem meint: „Das Besondere an Kindern ist nicht,
dass sie ›weniger‹ als die Großen sind (weniger schlau, weniger erfahren, weniger infor-
miert und weniger kompetent) – Kinder sind in erster Linie anders.“ (Montessori zit. nach
Oser & Althof 1997, S. 39, Herv. i. Orig.)
Bereits sehr früh hat Piaget (vgl. bspw. Piaget 1954) seine Annahmen über die Moralent-
wicklung beim Kind anhand der bekannten Beobachtungen der Kinder beim Murmelspiel
dargelegt. Demzufolge „bewegt sich das Kind zuerst von einer amoralischen Stufe zur (…)
Stufe des Respekts gegenüber »heilig« (unverletzlich) erscheinenden Regeln.“ (Piaget zit.
nach Kohlberg 1995, S. 21, Herv. i. Orig.). Aufgrund der Unfähigkeit des Kindes, „zwi-
schen subjektiven und objektiven Aspekten seiner Erfahrung zu unterscheiden“ und der
Unfähigkeit, „seine eigene Sicht der Ereignisse von der anderer zu unterscheiden“ – so
Piaget – sehe das Kind Regeln als unveränderlich an (Piaget zit. nach Kohlberg 1995,
S. 22). Erst „mit dem intellektuellen Wachstum und der Erfahrung der Rollenübernahme in
der Gruppe der Gleichaltrigen ergebe sich in natürlicher Weise eine Transformation in der
Wahrnehmung der Quelle von Regeln: Diese verändern sich von durch äußere Instanzen
auferlegten autoritären Befehlen hin zu internalen Prinzipien.“ (Piaget zit. nach Kohlberg
1995, S. 22)
Für Kohlberg spielen kognitive Theorien im Allgemeinen eine sehr bedeutende Rolle,
wenn es um die Entwicklung der Moral geht. Da jedoch nach Baldwin (1897) kognitive
Theorien sehr umfangreich sind, d.h. alle Theorien umfassen, die mit kognitiven Phäno-
menen zu tun haben, stützt Kohlberg seine Theorie der Moralentwicklung auf die wohl
bekannteste kognitive Entwicklungstheorie, nämlich jene nach Jean Piaget. Somit nimmt
Moral
15
Kohlberg Abstand von den assoziationistischen Theorien des kognitiven Lernens und
räumt der Theorie der kognitiven Strukturen nach Piaget fundamentale Bedeutung für die
Entwicklung der Moral ein (vgl. Kohlberg 1974, S. 8). Dies ist wichtig, wenn man Kohl-
bergs Auffassung von kognitiver Entwicklung bzw. vom Lernen verstehen will. Wie auch
Piaget ist er davon überzeugt, dass Lernen nicht durch assoziatives Lernen, wie beispiels-
weise im Sinne der Klassischen Konditionierung erfolgt, sondern durch die Transformation
organisatorischer Ganzheiten oder Systeme interner Relationen, die als kognitive Struktu-
ren/Stufen bezeichnet werden können (vgl. Kohlberg 1974, S. 8f.).
Worum handelt es sich bei diesen kognitiven Strukturen? Dazu werfen wir einen kurzen
Blick auf die Entwicklungstheorie der Erkenntnis nach Jean Piaget und versuchen die zent-
ralen Punkte herauszuarbeiten:
1. Die Konstruktion des Wirklichen
Die Theorie über die kognitiven Stufen wird auch als Interaktionstheorie bzw. Konstrukti-
vismus bezeichnet, weil das Individuum/der Organismus/das Kind sich seine (Um)welt,
seine Wirklichkeit selbst aufbaut; und zwar durch ständige Interaktion mit dieser (vgl.
Kohlberg 1974, S. 9). Das Kind verfügt nach Piaget bereits bevor es sprechen kann über
eine so genannte sensu-motorische Intelligenz, die „mangels einer symbolischen Funktion,
noch kein Denken und keine Affektivität zeigt, die mit Vorstellungen verbunden wären,
durch die es Personen oder Gegenstände in ihrer Abwesenheit bezeichnen könnte.“ (Piaget
1996, S. 15) Sie aber ist es, die es bereits in diesen frühen Monaten dem Kind ermöglicht
das Wirkliche aufzubauen, „indem sie ein komplexes System von Assimilationsschemata
(Begriffserklärung folgt unten, Anm. d. Verf.) konstruiert, und die Wirklichkeit gemäß
einem System von raum-zeitlichen und kausalen Strukturen“ organisiert (Piaget 1996,
S. 15). Diese Phase des frühen Lebens ist nach Piaget besonders wichtig, da hier bereits
kognitive Substrukturen aufgebaut werden, die Ausgangspunkt für spätere intellektuelle
Konstruktionen sind (vgl. Piaget 1996, S. 15).
2. Das majorierende Äquilibrium als die bessere kognitive Struktur
Die Erkenntnis von der Wirklichkeit oder allgemein bezeichnet das Lernen bedingt also
einen Interaktionsprozess, den Piaget auch als Äquilibrationsvorgang bezeichnet. Piaget
meint mit dem Wort „Äquilibrium“ einen kognitiven Gleichgewichtszustand, der sich aus
den beiden Prozessen Assimilation und Akkomodation ergibt.
Moral
16
Unter Assimilation wird „der Einbezug eines äußeren Elements (Gegenstand, Ereignis
usw.) in ein sensomotorisches oder begriffliches Schema des Subjekts“ (Piaget 1976,
S. 13) verstanden. Oder etwas vereinfachter in den Worten von Stangl: „Assimilation
meint im wesentlichen (sic!) ein aktives Interpretieren, Einordnen oder Deuten von Objek-
ten und Ereignissen der Außenwelt in Begriffen der eigenen, gerade verfügbaren und be-
vorzugten Art, über diese Dinge zu denken.“ (Stangl o.J.) So nennt Stangl ein Beispiel, bei
dem ein schwimmendes Holzstück für das Kind zu einem Schiff wird, weil es das Holz-
stück an sein kognitives Konzept „Schiff“ assimiliert (vgl. Stangl o.J.). Piaget verweist auf
zwei weitere Formen der Assimilation. Einerseits auf jene der reziproken Assimilation,
d.h. wenn zwei Denksysteme, Schmata auf einen Gegenstand gleichzeitig, koordiniert an-
gewandt werden, wie bspw. das Sehen und das Greifen, und andererseits auf die Verbin-
dung von übergelagerten Denksystemen mit ihren darunter liegenden Subsystemen (vgl.
Piaget 1976, S. 13f.).
Unter Akkomodation hingegen versteht Piaget die Berücksichtigung der Besonderheiten
der zu assimilierenden Elemente, d.h. der Elemente der Umwelt. „Das Schema des Grei-
fens lässt sich nicht in gleicher Weise auf ganz kleine und auf große Gegenstände anwen-
den.“ (Piaget 1976, S. 14) Und auch hier gibt es wieder die beiden anderen Formen der
Akkomodation, wie sie auch im Zuge der Assimilation auftreten. Dies ist deshalb so, weil
Assimilation und Akkomodation zusammenhängen und immer gleichzeitig auftreten, d.h.
dass das eine ohne dem anderem nicht geschehen kann (vgl. Piaget 1976, S. 14f.).
Durch die Asymmetrie zwischen Affirmationen (bekannte Elemente der Umwelt, die sich
in bereits bestehende Schemata einordnen lassen) und Negationen (unbekannte Elemente
der Umwelt, die sich nicht in bestehende Schemata einordnen lassen) kommt das Äqui-
librium aus dem Gleichgewicht und das Subjekt/Individuum wird durch Assimilation und
Akkomodation versuchen, dieses wieder herzustellen. „Daraus ergibt sich, dass die fort-
schreitende Äquilibration ein für die Entwicklung unentbehrlicher Prozess ist.“ (Piaget
1976, S. 24). Mit dem Adjektiv majorierende sollte bereits in der Überschrift zum Aus-
druck gebracht werden, dass es dabei nicht bloß um die Erlangung eines Gleichgewichts-
zustandes geht, sondern immer auch um einen besseren, ja qualitativ höheren. Denn sie
beinhalten die neu gebildeten sowie die alten Schemata (vgl. Piaget 1976, S. 37). Diese
qualitativ unterschiedlichen Schemata bilden zugleich die Stufen/Strukturen der kognitiven
Entwicklung, auf die an dieser Stelle inhaltlich nicht näher eingegangen wird. Für diese
Arbeit genügt das bisher, über die dem Lernen zugrunde liegenden Auffassungen, Gesagte.
Moral
17
Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass für Piaget und auch Kohlberg Ler-
nen nicht – oder besser nicht nur – im Sinne des Assoziationalismus geschieht, sondern
ihnen „schwebt vielmehr der Prozess einer »majorierenden« Äquilibration (§ 6) vor, der
von Zuständen der Unausgewogenheit unterbrochen wird, sodass der Übergang von die-
sem Ungleichgewicht oder von unvollkommenen Gleichgewichtsformen zu »besseren«
Formen in jeder Etappe die Mitwirkung neuer Konstruktionen voraussetzt“. (Piaget 1976,
S. 81, Herv. i. Orig.) Beziehungsweise stellt das Lernen einen Vorgang dar, „der von be-
stimmten erreichten Gleichgewichtszuständen über eine Vielfalt von Unausgewogenheiten
und Wiedereinstellungen des Gleichgewichts zum andern, qualitativ verschiedenen
Gleichgewichtszuständen führt.“ (Piaget 1976, S. 11) Die Entwicklung läuft somit in Stu-
fen ab, „die qualitativ unterschiedliche Etappen in der Entwicklung des Denkens“ (Oser &
Althof 1997, S. 43, Herv. i. Orig.) darstellen. Mit Kohlbergs Worten: „Stufen spiegeln we-
der direkt Reifungsprozesse, noch Lernprozesse im Sinne von Konfrontation mit speziellen
Umweltreizen, Verstärkungen etc. wider. Sie repräsentieren vielmehr im Gleichgewicht
befindliche Interaktionsmuster zwischen Organismus und Umwelt.“ (Kohlberg 1995,
S. 87)
Für kognitiv-entwicklungspsychologische Stufenkonzepte, wie sie die Stufen des logischen
Denkens nach Piaget oder die des moralischen Urteilens nach Kohlberg darstellen, sind
folgende Merkmale beschreibend (Piaget zit. nach Kohlberg 1995, S. 85):
1. Die Stufen erfassen qualitative Unterschiede in Denkweisen (in den Strukturen).
2. Diese Denkweisen folgen in der individuellen Entwicklung in einer bestimmten Se-
quenz aufeinander.
3. „Alle diese unterschiedlichen und aufeinanderfolgenden (sic!) Formen des Denkens
bilden, jede für sich, strukturierte Ganze. Die Lösung einer Aufgabe auf einer be-
stimmten Stufe stellt nicht einfach eine Antwort dar, die durch besondere Kenntnis
und Vertrautheit mit dieser oder ähnlichen Aufgaben determiniert ist, sondern sie
repräsentiert eine zugrunde liegende Denkorganisation.“ (Kohlberg 1995, S. 85)
4. Höhere Stufen reintegrieren Strukturen niedrigerer Stufen.
Moral
18
2.4.2 Stufen der Entwicklung des moralischen Urteilens
Worum handelt es sich nun bei diesen viel diskutierten Stufen der Moralität genau? Jede
Stufe stellt dar, „was das Hauptmerkmal des Denkens auf einer Stufe (die ›moralische Phi-
losophie‹ dieser Stufe) ist“ und „inwiefern die neue Stufe einen Fortschritt gegenüber dem
bisherigen Denken bedeutet“. (Oser & Althof 1997, S. 53, Herv. i. Orig.)
Hier werden die Parallelen zu Piagets kognitiver Entwicklungstheorie deutlich. Die Stufen
nach Kohlberg verkörpern ebenso – wie bei Piaget – Denkschemata, die auf einer qualita-
tiv höheren Ebene angesiedelt sind als vorhergehende Stufen. Hier handelt es sich aber um
Denkschemata, die sich auf den moral-kognitiven Bereich beschränken. Die Stufen dürfen
aber nicht missverstanden werden in dem Sinne, dass man sagen könnte, jemand auf einer
niedrigen Stufe wäre unmoralisch(er). Das wäre eine Fehlinterpretation des Modells von
Kohlberg, „denn die Stufen sind keine Kategorien des Charakters oder des Verhaltens son-
dern des Urteilens über eine gegebenen Situation.“ (Oser & Althof 1997, 49f.) Es gibt also
durchaus auf jeder Stufe so etwas wie ein Gerechtigkeitsverständnis – wie schon bei Rawls
gezeigt wurde. Die verschiedenen Formen dieses „Gerechtigkeitsverständnisses“ sollen
nun genauer betrachtet werden. Folgende Tabelle 2 zeigt, woran sich Personen einer jewei-
ligen Stufe bei der Findung ihrer Urteilsentscheidung orientieren:
Moral
19
Tabelle 2: Zusammenfassende Beschreibung der Stufen des moralischen Urteilens (Kohlberg 1974, S. 60f. mit Ergänzungen aus Oser & Althof 1997, S. 54, Herv. i. Orig.)
Klassifikation der moralischen Urteile nach Entwicklungsebenen und -stufen 1. Stufe: Orientierung an Bestrafung und Gehorsam. Egozentrischer Respekt vor überlegener Macht oder Prestigestellung bzw. Vermeidung von Schwierigkeiten. Oder anders: Das Individuum urteilt nach Gesichtspunkten von Lohn und Strafe und unter dem Aspekt physischer Konsequenzen.
Vorkonventionelle Ebene Moralische Wertung beruht auf äußeren, quasi-physischen Geschehnissen, schlechten Handlun-gen oder auf quasi-physischen Bedürf-nissen statt auf Per-sonen und Normen
2. Stufe: Naive egoistische Orientierung. Richtiges Handeln ist jenes, das die Bedürfnisse des Ich und gelegentlich die der anderen instrumen-tell befriedigt. Bewusstsein für die Relativität des Wertes der Bedürf-nisse und der Perspektive aller Beteiligten. Naiver Egalitarismus und Orientierung an Austausch und Reziprozität. Oder anders: Das Individuum urteilt nach dem Schema „Jedem das Seine“, „Wie du mir, so ich dir“. Es ist eine Austauschansicht, in der Verdienste eine Rolle für Gerechtigkeit spielen.
3. Stufe: Orientierung am Ideal des »Guten Jungen«. Bemüht, Beifall zu erhalten und anderen zu gefallen und ihnen zu helfen. Konformität mit stereotypischen Vorstellungen vom natürlichen oder Mehrheits-Verhalten, Beurteilung aufgrund von Intentionen. Oder anders: Das Individuum urteilt nach dem Prinzip der Goldenen Regel: „Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg’ auch keinem an-deren zu!“ Rücksicht auf die Gruppe und die Gruppenmehrheit.
Konventionelle Ebene Moralische Wertung beruht auf der Über-nahme guter und richtiger Rollen, der Einhaltung der kon-ventionellen Ord-nung und den Erwar-tungen anderer.
4. Stufe: Orientierung an Aufrechterhaltung von Autorität und sozialer Ordnung. Bestrebt, »seine Pflicht zu tun«, Respekt vor der Autorität zu zeigen und die soziale Ordnung um ihrer selbst willen einzuhalten. Rücksicht auf die Erwartungen anderer. Oder anders: Das Individuum urteilt nach für alle in gleicher Weise gültigen gesellschaftlichen Rechten und Pflichten. Gesetze werden wichtig, weil sie garantieren, dass jeder vor dem Gesetz gleich ist.
Postkonventionelle Ebene Moralische Wertung beruht auf Konformi-tät des ich mit ge-meinsamen (oder potentiell gemeinsa-men) Normen, Rech-ten oder Pflichten.
5. Stufe: Legalistische Vertrags-Orientierung. Anerkennung einer will-kürlichen Komponente oder Basis von Regeln und Erwartungen als Ausgangspunkt der Übereinstimmung. Pflicht definiert als Vertrag, all-gemein Vermeidung der Verletzung von Absichten oder Rechten ande-rer sowie Wille und Wohl der Mehrheit. 6. Stufe: Orientierung an Gewissen oder Prinzipien. Orientierung nicht nur an zugewiesen sozialen Rollen, sondern auch an Prinzipien der Ent-scheidung, die an logische Universalität und Konsistenz appellieren. Orientierung am Gewissen als leitendes Agens und an gegenseitigem Respekt und Vertrauen. Oder anders: Das Individuum urteilt auf der Stufe des Sozialvertrags, des sozialen Nutzens und der individuellen Rechte („Gerechtigkeit be-deutet, dass Menschen ihre fundamentalen Rechte wahrnehmen kön-nen“); Stufe der universalen ethischen Prinzipien; der Gesellschaft vor-geordnete Perspektive bzw. Perspektive eines moralischen Standpunkts, von dem sich gesellschaftliche Ordnungen herleiten.
Moralische Urteilsfähigkeit
20
3 Moralische Urteilsfähigkeit
Im Wesentlichen bezieht sich die moralische Urteilsfähigkeit auf die sechs Kohlbergstu-
fen, die wiederum – wie oben zu sehen war – u.a. auf den Ausführungen von Kant, Rawls
und Piaget zur Moralität beruhen. Daher ist auch eine saubere Trennung nur schwer mög-
lich. Vieles von dem was Kohlberg unter moralischer Urteilsfähigkeit versteht kommt be-
reits durch das Stufenmodell zum Ausdruck. Bevor aber auf die konkrete Definition von
Kohlberg eingegangen wird, wollen wir den Begriff in die übergeordneten Kategorien „so-
ziale Kompetenz“ und „Orientierungs- sowie Urteilsfähigkeit“ einbinden.
Die moralische Urteilsfähigkeit ist eine – wenn nicht die bedeutendste – Komponente sozi-
aler Kompetenzen. Zu diesem Schluss kommen einige wissenschaftliche Artikel des Lehr-
stuhls für Wirtschaftspädagogik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (vgl. bspw.
Wuttke & Surać 2003; Heinrichs 1997) Wuttke & Surać (2003) beispielsweise beschäfti-
gen sich mit dem Problem der Messung sozialer Kompetenz in der kaufmännischen Erst-
ausbildung. Da der Begriff „soziale Kompetenz“ auch in der Wissenschaft nur vage be-
stimmt ist, konzentrieren sie sich „auf einen inhaltlich hinreichend konkreten Aspekt von
Sozialkompetenz, für den ein bewährtes diagnostisches Instrumentarium vorliegt, nämlich
die moralische Urteilsfähigkeit.“ (Wuttke & Surać 2003, S. 2) In gewisser Weise wird in
ihrer Untersuchung soziale Kompetenz durch moralische Urteilsfähigkeit ersetzt bzw. als
eine bedeutende Komponente dieser angesehen. Auch Heinrichs verweist in ihrem Artikel
„Die ,Schlüsselqualifikation’ moralische Urteilsfähigkeit – Ihre Entwicklung und Ausprä-
gung bei kaufmännischen Auszubildenden“ darauf, dass „sich von der moralischen Urteils-
fähigkeit verschiedene Verbindungen zu Aspekten herstellen lassen, die im Zusammen-
hang mit Schlüsselqualifikationen, insbesondere mit Sozialkompetenzen, diskutiert wer-
den.“ (Heinrichs 1997, S. 1) Zudem werden in der Schlüsselqualifikationsdebatte meist
Begriffe wie „,ethisch begründetes Wertebewusstsein’, die Fähigkeit und Bereitschaft, ‚sei-
nem Gewissen zu folgen und nach ethischen Grundsätzen zu handeln’ oder ,moralische
Reife’“ (Didi zit. nach Heinrichs 1997, S. 2, Herv. i. Orig.) verwendet.
Eine klare Abgrenzung zwischen sozialer Kompetenz und moralischer Urteilsfähigkeit ist
jedoch mangels einer konkreten Definition bzw. einem einheitlichen Verständnis des Beg-
riffs „soziale Kompetenz“, beinahe unmöglich (vgl. bspw. Wuttke & Surać 2003, S. 1f.).
Wenden wir uns daher den Überbegriffen „Orientierungs- und Urteilsfähigkeit“ zu.
Moralische Urteilsfähigkeit
21
Herzig (1998, S. 32) versucht, zu nächst etwas allgemeiner den Begriff der ethischen Ur-
teils- und Orientierungsfähigkeit zu definieren. Dieser darf nicht mit dem Begriff der mo-
ralischen Urteilsfähigkeit gleichgesetzt werden, denn er meint mehr, eben nicht nur morali-
sche oder unmoralische Aspekte, sondern auch außermoralische Aspekte der individuellen
Lebensführung. Die Orientierungsfähigkeit beschreibt dabei die Fähigkeit einer Person zu
erkennen, welchen eigenen Standpunkt sie in einem (moralischen) Konflikt vertritt bzw.
auf welchem sie sich befindet. Weiters fällt die Fähigkeit Standpunkte, Meinungen oder
Argumente anderer Personen von den eigenen unterscheiden zu können unter diesen Beg-
riff. Dagegen meint die Urteilsfähigkeit die Bewertung von diesen verschiedenen Stand-
punkten und Alternativen, die sodann in eine Rangreihenfolge gebracht werden können,
um zu begründeten Entscheidungen zu finden. Somit ist auch erkennbar, dass beide Fähig-
keiten in einer sequenziellen Weise miteinander verbunden und für eine Problemlösung
unabdingbar sind (vgl. Herzig 1998, S. 32). Zusammenfassend ist unter ethischer Urteils-
und Orientierungsfähigkeit zu verstehen:
„Handlungsentscheidungen in wertbezogenen Konfliktfällen mit Bezug auf individu-
elle und gesellschaftliche Wertorientierungen zu reflektieren und zu begründen sowie
die eigene Lebensgestaltung auf der Grundlage individueller und gesellschaftlicher
Wertorientierungen und Grundhaltungen reflektiert und begründet zu planen und
durchzuführen.“ (Herzig 1998, S. 33)
Wobei der zweite Punkt – wie erwähnt – der außermoralischen Sphäre zuzuordnen ist und
in dieser Arbeit nur insofern eine Rolle spielt, als auch das Handeln in dieser Sphäre Aus-
wirkungen auf die Mitmenschen hat und somit jedermann die Konsequenzen des eigenen
Handelns einer Reflexion unterziehen sollte, will man von Handeln im moralischem Sinne
sprechen.
Jetzt wo der Begriff der ethischen Urteilsfähigkeit geklärt ist, ist auch die Frage nach der
moralischen Urteilsfähigkeit leicht zu beantworten. Kohlberg (1964, S. 425) bezeichnet die
moralische Urteilsfähigkeit als "the capacity to make decisions and judgments which are
moral (i.e., based on internal principles) and to act in accordance with such judgments".
Frei übersetzt: Moralische Urteilsfähigkeit ist „das Vermögen, moralische Entscheidungen
und Urteile zu treffen, die moralisch sind (also auf moralischen Prinzipien gründen), und
in Übereinstimmung mit diesen Urteilen zu handeln.“ (Lind 2000a, S. 23, Herv. i. Orig.)
Moralische Urteilsfähigkeit
22
Es wäre jedoch noch der Frage nachzugehen, ob Kohlberg auch so etwas wie die morali-
sche Orientierungsfähigkeit einführt bzw. ob diese in der Urteilsfähigkeit bereits enthalten
ist. Da die Orientierungsfähigkeit Voraussetzung für die Urteilsfähigkeit ist, wie oben ge-
zeigt wurde, ist anzunehmen, dass diese in der angeführten Definition von Kohlberg mit-
gedacht ist.
Aber wie kommen solche moralischen Urteile zustande bzw. was zeichnet sie aus? Lem-
pert versucht, hierauf eine Antwort zu geben. Ihm zufolge spiegeln sie die Fähigkeit wider,
„die Bereitschaft und das Vermögen, sich in andere Menschen hineinzuversetzen und
sich deren Bedürfnisse, Gefühle (...) und Absichten klarzumachen, einerseits, und
(…) die Fähigkeit und der Mut zur deutlichen Artikulation der eigenen Bestrebungen
andererseits, weiterhin
das Verständnis für moralische Regeln, Normen, Werte und Prinzipien sowie
(…) die Sorge um das Wohlergehen anderer und Gerechtigkeitssinn, und
kritische und konstruktive Fähigkeiten wie das Vermögen, nüchtern zu analysieren,
logisch zu denken, aber auch wertend zu entscheiden und schöpferisch Auswege aus
scheinbar ausweglosen Situationen zu finden.“ (Lempert 1988, S. 19, Herv. i. Orig.)
Auch in dieser Definition von moralischer Urteilsfähigkeit werden bereits vertraute Ele-
mente deutlich: der Gerechtigkeitssinn, die Orientierungsfähigkeit über und die Artikulati-
on des eigenen Standpunktes, moralische Regeln, Gesetze, Prinzipien (im Sinne von Kant),
die Fähigkeit zur Rollenübernahme u.a. Lempert hebt aber noch einen weiteren Aspekt
hervor, der beim Zitat von Kohlberg nicht so deutlich zum Ausdruck kommt: Demnach
„stellt moralische Urteilsfähigkeit das Vermögen dar, für soziale Konflikte Lösungen zu
finden, auf die sich alle Beteiligten und Betroffenen einigen können.“ (Lempert 1988,
S. 12, Herv. i. Orig.) Lempert hebt hier das Kollektive am Zustandekommen der Konflikt-
lösung hervor. Lösungen, bei denen a) ALLE am Lösungsprozess beteiligt sind und diese
somit von ALLEN mitgetragen werden und b) bei denen ALLE die Konsequenzen des
Handelns bewusst in Kauf nehmen, sind wohl auch im Sinne von Kohlberg moralisch,
auch wenn dies weiter oben noch nicht ganz zum Ausdruck gekommen ist. Dieses Kollek-
tiv, das Lempert hier hervorhebt, wird aber spätestens dann deutlich, wenn es um den Just-
community Ansatz geht (vgl. Kap. 8.1.1.1).
Moralische Urteilsfähigkeit
23
Linds 2-Aspekte-Modell der moralischen Urteilsfähigkeit
Im Rahmen des empirischen Teils steht die moralische Urteilsfähigkeit im Sinne von Lind
– welche stark auf jener von Kohlberg basiert – im Zentrum, daher sollte an dieser Stelle
ebenfalls auf sie eingegangen werden. Dies wird jedoch erst in Kapitel 7 nachgeholt, wo es
um die Beschreibung der abhängigen Variable „MUT“ geht. Die Leserin und der Leser
seien auf diese Stelle verwiesen.
Moralerziehung in der Schule – Eine sokratisch-klassische Forderung?
24
4 Moralerziehung in der Schule –
Eine sokratisch-klassische Forderung?
Nicht nur gesetzliche Normen – wie etwa der Lehrplan, wie zu sehen sein wird – schreiben
uns vor, Moralerziehung in der Schule umzusetzen, sondern auch der Bildungsbegriff an
sich tut das bereits. Warum das so ist, soll im Folgenden mit Klafki (1993) in Rückbezug
auf Kant erörtert werden.
Wolfgang Klafki verweist in seinem Werk „Neue Studien zur Bildungstheorie und Didak-
tik. Zeitgemäße Allgemeinbildung und kritisch-konstruktive Didaktik“ darauf, dass die
Erörterung theoriegeschichtlicher Zusammenhänge für die Auslegung des Bildungsbegriffs
nötig ist, um nicht bereits einmal gewonnene Erkenntnisse zu unterschreiten (vgl. Klafki
1993, S. 16).
Eigentlich müsste in der Geschichte bis auf Sokrates zurückgegangen werden um die theo-
riegeschichtlichen Zusammenhänge adäquat aufzuarbeiten. Klafki verzichtet jedoch darauf
und beschränkt sich auf die deutsche Klassik, mit dem Hinweis, dass diese die Sachverhal-
te der Antike gut verarbeitet hat (vgl. Klafki 1993, S. 16f.). Folgende vier Dimensionen
sind nach Klafki konstitutiv für den Bildungsbegriff:
1. Bildung als Befähigung zu vernünftiger Selbstbestimmung
Diesen zentralen Gedanken (der ganz offensichtlich der Aufklärung entspringt) umschreibt
Klafki mit den Worten Befähigung zur Selbstbestimmung, Freiheit, Emanzipation, Auto-
nomie, Mündigkeit, Vernunft, Selbständigkeit (vgl. Klafki 1993, S. 19). Erinnert sei an
dieser Stelle an Kant: „A u f k l ä r u n g ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstver-
schuldeten Unmündigkeit. Unmüdigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne
Leitung eines andern zu bedienen.“ (Kant 1969/1784, S. 1, Herv. i. Orig.) Gleichzeitig ist
Bildung im Sinne Kants auch „Sich selbst besser machen, sich selbst kultivieren und …
Moralität bei sich hervorbringen, das soll der Mensch“. (Kant zit. nach Klafki 1993, S. 20)
2. Bildung als Subjektentwicklung im Medium objektiv-allgemeiner Inhaltlichkeit
Quasi als Gegengewicht zur relativ subjektivistisch erscheinenden ersten Dimension wird
hier Bildung nicht nur in Bezug zum Individuum definiert, sondern in Bezug auf die ge-
samte Gesellschaft. Denn „Vernünftigkeit, Selbstbestimmungsfähigkeit, Freiheit des Den-
Moralerziehung in der Schule – Eine sokratisch-klassische Forderung?
25
kens und Handelns gewinnt das Subjekt nur in Aneignungs- und Auseinandersetzungspro-
zessen mit einer Inhaltlichkeit, die zunächst nicht ihm selbst entstammt, sondern Objekti-
vation bisheriger menschlicher Kulturtätigkeit im weitesten Sinne des Wortes ist“. (Klafki
1993, S. 21, Herv. i. Orig.) Bildung muss daher Bildung für alle sein. Ziel und Aufgabe
dieser Allgemeinbildung ist nach Kant u.a. humanitärer Fortschritt: „Kinder sollen nicht
dem gegenwärtigen, sondern dem zukünftig möglich besseren Zustand des menschlichen
Geschlechts, das ist: der Idee der Menschheit, und deren ganzer Bestimmung angemessen,
erzogen werden“. (Kant zit. nach Klafki 1993, S. 25)
3. Individualität und Gemeinschaftlichkeit im klassischen Bildungsbegriff
Aufbauend auf die eben genannte Beziehung zwischen Selbstbestimmungsfähigkeit und
objektiv-allgemeiner Inhaltlichkeit wird deutlich, dass Individualität und Gemeinschaft
zentrale Merkmale des Bildungsbegriffs sind (vgl. Klafki 1993, S. 26). Klafki spinnt dieses
Gebot der dialektischen Beziehung zwischen Individualität und Gemeinschaftlichkeit wei-
ter und weitet es auf die Ebene der Völker und Nationen aus. „Die (…) utopische Leitvor-
stellung der klassischen Bildungstheoretiker war ein friedliches, von Beherrschungsabsich-
ten freies Zusammenleben von Völkern, Nationen, Kulturen in wechselseitiger Anerken-
nung und in wechselseitigem Austausch ‚zur Beförderung der Humanität’“. (Klafki 1993,
S. 28, Herv. i. Orig.)
4. Die moralische, kognitive, ästhetische und praktische Dimension im klassischen
Bildungsbegriff
Mit den ersten drei Beiträgen zur Definition des Bildungsbegriffs sollte deutlich geworden
sein, worin die klassischen Bildungstheoretiker (wie bspw. Kant) die moralische Dimensi-
on des Bildungsbegriffs sehen. Zusammengefasst kann gesagt werden: „Dass Bildung im
Denken der bildungstheoretischen Klassiker zentral Erweckung der selbstbestimmten mo-
ralischen Verantwortlichkeit, der moralischen Handlungsbereitschaft und Handlungsfä-
higkeit meinte“. (Klafki 1993, S. 30f., Herv. i. Orig.)
Die kognitive Dimension bzw. die des Erkennens und Denkens wurzelt in dem aufkläreri-
schen Postulat: „Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes (und deiner Ei-
genen Vernunft, Ergänzung d. Verf.) zu bedienen!“ (Kant 1969/1784, S. 1, Herv. i. Orig.)
Während der Begriff „Verstand“ im Sinne von Kant die instrumentelle Rationalität meint,
durch die „Wissen und Erkenntnis produziert wird“ (vgl. ebd.), ist unter „Vernunft“ der
Moralerziehung in der Schule – Eine sokratisch-klassische Forderung?
26
reflexive Modus zu verstehen, bei dem „nach begründbaren Zielen der Verwendung von
Wissen und Erkenntnis gefragt wird.“ (vgl. ebd.) Besonders wichtig ist in diesem Zusam-
menhang, dass die bildungstheoretischen Klassiker davor warnen, kognitive Bildung auf
ihre instrumentelle Rationalität zu reduzieren. Sie fordern dagegen immer eine Rückbin-
dung auf die Vernunft. „Wir werden die Probleme unserer Gegenwart und der in ihr sich
abzeichnenden Zukunft gewiss nicht ohne instrumentelle Rationalität und auf ihre beru-
hende Technik bewältigen können. Aber wir werden nur das Arsenal von Mitteln, die neue
Abhängigkeiten, neue Parzellierungen, neue Konfliktpotentiale, neue naturzerstörende
Folgewirkungen, nicht zuletzt: kumulierte Möglichkeiten der Vernichtung der gesamten
Menschheit vergrößern, wenn es nicht gelingt, die Entfaltung der instrumentellen Rationa-
lität unter die Kontrolle reflexiver Vernunft zu bringen“. (Klafki 1993, S. 32) Auf die äs-
thetische und praktische Dimension wird an dieser Stelle nicht eingegangen, da sie keinen
wesentlichen Beitrag für die hier interessierende Fragestellung leisten.
Was bedeuten diese Ausführungen der bildungstheoretischen Klassiker nun für eine demo-
kratische Schule? Was können sie zur Definition des Demokratie- und Moralbegriffs im
Kontext der Schule beitragen? Es soll Antwort auf diese Fragen gegeben werden, indem
kurz auf zwei Postulate verwiesen wird, die Klafki u.a. aus den oben angeführten Bestim-
mungen der bildungstheoretischen Klassiker für den Bildungsbegriff ableitet.
Erstens: Bildungsfragen sind Gesellschaftsfragen und umgekehrt! „Bildungstheorie und
Bildungspraxis, so scheint es, haben sich an den Grundstrukturen und den Anforderungen
zu orientieren, die der faktische Entwicklungsprozess der Gesellschaft vorgibt.“ (Klafki
1993, S. 50) Andererseits kommt der Bildungstheorie und Bildungspraxis die Aufgabe zu
gesellschaftliche Verhältnisse zu steuern; und zwar „unter dem Gesichtspunkt der pädago-
gischen Verantwortung für gegenwärtige und zukünftige Lebens- und Entwicklungsmög-
lichkeiten jedes jungen Menschen“. (Klafki 1993, S 50f.) Schule muss die Schüler/innen
also zur Mitbestimmung befähigen und ihm/ihr dafür Möglichkeiten zur Erlangung dieser
Befähigung bieten. Denn, wie eingangs schon erwähnt: Nicht aus dem Felsen oder der Ei-
che entspringen Verfassungen, sondern aus dem Menschen.
Zweitens: Derartige Möglichkeiten, an denen der/die Schüler/in sich erproben kann, sollen
in Form von epochaltypischen Schlüsselproblemen – wie sie Klafki nennt – dargeboten
werden. Der Ausdruck „epochaltypische Schlüsselprobleme“ meint dabei zentrale gesamt-
gesellschaftliche, globale Probleme der Gegenwart und Zukunft, an denen der/die Schü-
Moralerziehung in der Schule – Eine sokratisch-klassische Forderung?
27
ler/in Problembewusstsein, Mitverantwortlichkeit für deren Entstehung und Bereitschaft
zur Bewältigung erlangt. Als Beispiele nennt Klafki Friedens- und Umweltfragen (vgl.
Klafki 1993, S. 56). Der Unterricht muss dabei nicht zwingend Problemlösungen erarbei-
ten, sondern soll die Chance zur eigenen Urteilsbildung und Reflexion von Entscheidungen
und Handlungen ermöglichen. Die Vielschichtigkeit des Problems soll von mehreren Sei-
ten her betrachtet werden. „Verbindlich daran ist die Anforderung, problemsichtig zu wer-
den, ein differenziertes Problembewusstsein zu gewinnen; hingegen kann es nicht um die
Festlegung auf eine einzige Sichtweise und einen bestimmten der in der Diskussion befind-
lichen Problemlösungsvorschlag gehen – das wäre mit dem Anspruch auf Entwicklung der
Selbstbestimmungsfähigkeit (sowie mit jenem der moralischen Urteilsfähigkeit, Ergänzung
d. Verf.) unvereinbar.“ (Klafki 1993, S. 62, Herv. i. Orig.) Viel mehr sind unterschiedliche
Lösungen und ihre dahinter stehenden Interessen zu verdeutlichen, um infolge „sich selbst
und anderen die argumentative Begründung eigener Positionen und Entscheidungen abzu-
verlangen.“ (Klafki 1993, S. 62) Zusammengefasst setzt dies voraus, dass Unterricht die
Schüler/innen zur Kritikbereitschaft und –fähigkeit, Argumentationsbereitschaft und -
fähigkeit, zur Fähigkeit sich in die Sicht eines anderen zu versetzen, zu vernetztem Denken
bzw. Zusammenhangsdenken usw. erzieht (vgl. Klafki 1993, S. 63).
Es zeichnet sich aus diesen Forderungen bereits ab, dass die Konzeption des Unterrichts
eine andere sein muss, als die herkömmliche, tradierte. Klafki verweist darauf, dass der 45-
Minuten-Unterricht diesen gestellten Forderungen wohl kaum gerecht werden kann und
fordert daher die Einführung von mindestens 2-Stunden-Epochalunterrichtsphasen. Er ver-
weist auf Schulen, wie die Waldorfschulen, die Peter Petersens Jena-Plan-Schulen etc., die
diese Forderung bereits mit Erfolg umgesetzt haben (vgl. Klafki 1993, S. 66). Auch der
COOL-Ansatz würde wohl von Klafki in diese Liste aufgenommen werden.
Um die Grundprinzipien einer kritisch-konstruktiven Didaktik – Prinzip der Selbst- und
Mitbestimmung sowie das Solidaritätsprinzip – im Unterricht zu verwirklichen, fordert
Klafki, dass die Schüler/innen in die Mitplanung des Unterrichts im Sinne eines Unter-
richts über Unterricht, miteinbezogen werden (vgl. Klafki 1993, S. 129). Er verweist in
diesem Zusammenhang auf den offenen, schülerzentrierten Unterricht, was an dieser Stelle
besonders interessant erscheint, da COOL behauptet, diese beiden Merkmale zu verwirkli-
chen. Für die Unterrichtspraxis bedeutet dies, Klafki zufolge, dass „an der Entwicklung
eines flexiblen Modells für einen offenen, problem- und schülerorientierten Unterricht“
(Klafki 1993, S. 137, Herv. i. Orig.) gearbeitet werden muss.
Moralerziehung in der Schule – Eine sokratisch-klassische Forderung?
28
Mit dem eben gezeigten Verweis von Klafki, dass offener, problem- und schülerorientier-
ter Unterricht die demokratische Schule in einem qualitativ neuen Sinn besser zu verwirk-
lichen mag als der herkömmliche, meist lehrerzentrierte Unterricht, soll hier ein resümie-
render Abschluss zu Klafkis Vorstellungen von Demokratie im Unterricht gezogen wer-
den. Natürlich muss bedacht werden, dass es sich in diesem Kapitel nur um eine verkürzte
und leider auch unvollständige Darstellung seiner Idee zu einer kritisch-konstruktiven Di-
daktik handelt. Beispielsweise wäre noch auf seine Ausführungen zur Differenzierung und
Individualisierung des Unterrichts, zum Leistungsbegriff, zum exemplarischen Lernen, zur
Unterrichtsanalyse und –planung etc. genauer einzugehen. Eine gründliche Darstellung
wäre zudem auch hilfreich, um die Gedankengänge Klafkis noch besser nachvollziehen zu
können. Die Kernelemente seines Verständnisses von demokratischer Schule sollten je-
doch deutlich geworden sein.
Auch COOL verfügt – wie zu sehen sein wird – über derartige Kernelemente, wie sie
Klafki beschreibt. Damit schafft COOL günstige Voraussetzungen um Klafkis Bildungs-
begriff zu verwirklichen. Jedoch, dies zu analysieren, ist gar nicht Anliegen dieser Arbeit,
es reicht, dass gesagt werden kann: Der Weg für Moralerziehung in den berufsbildenden
höheren Schulen ist geebnet! Nicht nur – wie eben ausführlich erörtert – aus bildungstheo-
retischer sondern auch aus rechtlicher Sicht, wie folgende kurze Lehrplananalyse zeigt.
Demokratische Moral im Unterricht – Eine Forderung des Lehrplans?
29
5 Demokratische Moral im Unterricht –
Eine Forderung des Lehrplans?
„Moralische Erziehung – gute oder schlechte findet statt, wenn Schüler einzeln oder unter-
einander, Schüler und Lehrer, Kind und Eltern, Lehrling und Werkmeister etc. vor ein
Problem gestellt werden, das mit Gerechtigkeit, mit Wahrhaftigkeit, mit zwischenmensch-
licher Fürsorge oder mit anderen moralischen Werten zu tun hat und das in einer besseren
oder schlechteren Weise gelöst werden kann. Sofern Personen in solchen Problemsituation
ihre »praktische Vernunft« gebrauchen, aber auch ihre Lösungsvorschläge und ihre morali-
sche Sensibilität zur Geltung bringen, verändern sie sich, lernen sie.“ (Oser & Althof 1997,
S. 23, Herv. i. Orig., kursiv d. Verf.). In diesem langen Zitat kommt ganz allgemein zum
Ausdruck, was in der vorliegenden Arbeit unter moralischer Erziehung zu verstehen ist.
Gleichzeitig zeigt es uns, dass Moral in der Schule sehr auf (Meta)werten wie Gerechtig-
keit, Fairness, Konsens etc. beruht. Der/die Leser/in sei an die Gerechtigkeitstheorie und
den Schleier des Nichtwissens von John Rawls erinnert. Umgelegt auf die Schule heißt das,
dass das Schulleben und die Lösung von Problemen, Konflikten etc. auf gemeinsam kon-
stituierten Regeln beruht, zumindest im Optimalfall, wie es der JC-Ansatz beispielhaft vor-
führt. Moral(erziehung) in der Schule ist m.E. nach also weniger eine Moral der höchsten
Prinzipien (wie etwa nach Kant), sondern eher eine gruppenorientierte Moral (eher nach
Rawls). In der Literatur wird sie daher auch als demokratische Moral bezeichnet, da sie
von demokratischen Werten und Prinzipien gespeist wird. Im Folgenden wird die Frage
nach der Legitimation von Demokratie, als verpflichtendem Teil des Unterrichts, beleuch-
tet. Nämlich aus dem Blickwinkel der Schulorganisation, d.h. dem Lehrplan und seinen
Forderungen. Fordert und fördert der Lehrplan der HAK – Demokratie im Unterricht/in der
Schule? Auf den Lehrplan der HLW wird nicht eingegangen, da davon ausgegangen wird,
dass sich dieser – in den für diese Analyse relevanten Punkten – kaum von jenem der HAK
unterscheidet.
Es ist erstaunlich, wie sehr der Lehrplan der Handelsakademien vom Demokratie-Ziel (Be-
fähigung zur Demokratie) geprägt ist. Bereits die Leitziele, die zu vermittelnden Kompe-
tenzen und die allgemeinen didaktischen Grundsätze beinhalten viele Passagen, die Demo-
kratie im Unterricht fordern. Ein paar ausgewählte Textstellen sollen hier zum Beleg und
zur Veranschaulichung kurz kommentiert werden:
Demokratische Moral im Unterricht – Eine Forderung des Lehrplans?
30
„Die Absolventinnen und Absolventen einer Handelsakademie sollen grundlegend dazu
befähigt sein,
… für Frieden und Gerechtigkeit einzutreten und sich für die Bewahrung einer menschen-
gerechten Umwelt und Zukunft für alle einzusetzen.“ (BMUKK 2004, o.S., kursiv d. Verf.)
Wie kann man die Schüler/innen konkret zu dieser Forderung befähigen? Eine Möglichkeit
besteht darin, Demokratie zu lehren. Spinnt man den Gedanken der Demokratie zu Ende,
so wird deutlich, dass Demokratie viel mehr ist als die tradierte, monolithische Vorstellung
vom Wahlrecht. Ziel einer Demokratie ist immer auch die Wahrung des Friedens und der
Gerechtigkeit. So sieht schon Kant (1781) in der Demokratie ein wichtiges Mittel zur Wah-
rung des Friedens. In seinem Werk „Zum ewigen Frieden“ fordert er unter anderem, dass
die bürgerliche Verfassung in einem jeden Staat republikanisch sein sollte. Damit meint er
Freiheit und Gleichheit aller Gesellschaftsmitglieder sowie eine einzelne gemeinsame Ge-
setzgebung und die Gewaltentrennung im Staat (vgl. Kant 1987/1781, S. 10).
Um diese Ziele zu erreichen, ist es sicherlich auch wichtig, die rechts-politische Definition,
die Rechte und Pflichten in einer Demokratie zu lehren, aber vor allem ist es wichtig, die
Schüler/innen Demokratie leben und fühlen zu lassen. Letzteres kann zwangsläufig nur
durch neue Formen des Lernens geschehen (siehe Kap. 8.1.1.1).
… „im Sinne einer interkulturellen Bildung Verständnis und Achtung für andere und deren
Arbeit und Standpunkte aufzubringen und in Konfliktsituationen nach konstruktiven Lö-
sungen zu suchen.“ (BMUKK 2004, o.S., kursiv d. Verf.)
Die Achtung des Anderen und die Anerkennung dessen Standpunkte, Meinung oder Ar-
gumente ist eine wichtige Teilfähigkeit der moral-demokratischen Kompetenz. Umgekehrt
ist eine hohe moralische Urteilsfähigkeit nötig, um Meinungen, die der eigenen widerspre-
chen, zu akzeptieren und anzuerkennen (vgl. Lind 2000a, S. 90; sowie Kap. 7.1.1). Gerade
um konstruktive Lösungen in Konfliktsituationen zu finden, braucht es eine Konsensfähig-
keit, die es den Streitparteien erlaubt von der eigenen, verfahrenen Meinung zurück zu
„steigen“ um Freiraum für eine produktive Lösung zu bieten. Auch diese Konfliktlösefä-
higkeit lässt sich durch das Leben von Demokratie erlernen (vgl. dazu die Grundprinzipien
der Just-community, Kap. 8.1.1.1 sowie zur Messbarkeit von Konfliktlösefähigkeit Lind
2000a, S. 145).
Demokratische Moral im Unterricht – Eine Forderung des Lehrplans?
31
… „die Gesellschaft und den Staat mit zu gestalten und für Freiheit und demokratische
Prinzipien einzutreten.“ (BMUKK 2004, o.S., kursiv d. Verf.)
Um „den Staat“ zu gestalten und um für demokratische Prinzipien eintreten zu können, ist
es nötig zu wissen, wie beide „funktionieren“. Der Politische-Bildung-Unterricht vermag
dazu die fachliche Kenntnis zu vermitteln. Es ist jedoch der gelebten Demokratie im Unter-
richt vorbehalten auch die Kompetenzen – nämlich die Befähigung zum Tun und Handeln
– dafür zu vermitteln. Wie bspw. das Parlament funktioniert ist schnell erklärt, wie man bei
bestimmten Problemen, die die ganz Schulklasse betreffen, zu einer von allen getragenen
Lösung kommt, lässt sich jedoch bspw. mit dem demokratischen Instrument des Klassenra-
tes vermitteln bzw. durchleben.
… „als verantwortungsbewusste Menschen die Folgen ihres eigenen Verhaltens und des
Verhaltens anderer für die Gesellschaft zu überblicken und sich ein selbstständiges Urteil
bilden zu können.“ (BMUKK 2004, o.S., kursiv d. Verf.)
Um die Schüler/innen nach dem Motto: „Zuerst denken, dann sprechen/handeln!“ zu einer
Fähigkeit zu erziehen, die es ihnen erlaubt über eigenes Handeln und Verhalten zu reflek-
tieren, sind Unterrichtssituationen nötig, die Diskussionen über die Folgen von bestimmten
Verhaltensweisen zulassen, sodass sich ein jeder sein differenziertes Urteil darüber bilden
kann. Dobbelstein-Osthoff nennt in diesem Zusammenhang Fairnessdiskussionen, „die
Konflikte und Probleme aufgreifen, bei denen aus der Sicht der Betroffenen Handlungs-
und Regelungsbedarf bestehen. Die Grundidee ist, Lösungen bzw. Regelungen zu finden,
die den unterschiedlichen Interessen aller möglichst gerecht werden.“ (Dobbelstein-
Osthoff 1993, S. 66)
Schüler/innen sollen …
… „Schlüsselqualifikationen entwickeln und zum logischen, kreativen und vernetzten Den-
ken fähig sein.“ (BMUKK 2004, o.S., kursiv d. Verf.)
In Kapitel 3 wurde bereits mit Karin Heinrichs darauf verwiesen, dass die moralische Ur-
teilsfähigkeit mit der Schlüsselqualifikation „soziale Kompetenz“ vieles verbindet und dass
sie wichtiger Bestandteil dieser ist (vgl. Heinrichs 1997, S. 1). Wird daher Demokratie in
der Schule verwirklicht, so wird also nicht nur bloß irgendeine Urteilsfähigkeit gefördert,
sondern eine Fähigkeit, die womöglich Grundlage für viele weitere soziale Kompetenzen
Demokratische Moral im Unterricht – Eine Forderung des Lehrplans?
32
ist oder aber zumindest fördernd auf diese einwirkt. So ist wenig verwunderlich, dass Lind
(2007a) hervor hebt, dass moralische Urteilsfähigkeit bspw. für kooperatives Verhalten
von hoher Relevanz ist.
… „zur Zusammenarbeit bereit und fähig sein, d.h. Kommunikationsfähigkeit und soziale
Kompetenzen erwerben und anwenden.“ (BMUKK 2004, o.S., kursiv d. Verf.)
Schirp sieht in der Öffnung der Schule bzw. des Unterrichts – der sich u.a. dadurch aus-
zeichnet, dass die erfahrbare Lebenswelt der Schüler/innen in den Unterricht mit hinein
genommen wird – als eine Chance soziales Lernen zu verwirklichen und die Kooperations-
fähigkeit vieler Schüler/innen zu verbessern. Der Ansatz „Demokratie und Erziehung in
der Schule. Förderung der Urteilsfähigkeit“ beschreibt eine mögliche und viel verspre-
chende Variante der Öffnung von Schule (vgl. Schirp 1993, S. 54 u. 56).
Unter den allgemeinen didaktischen Grundsätzen findet sich explizit der Hinweis auf neue
Lernformen, die verstärkt auf Kooperation unter den Schüler/innen setzen:
… „Neue Lernformen befähigen die Schülerinnen und Schüler zur Lösung von Problemen.
Auf Kooperation der Schülerinnen und Schüler miteinander und rechtzeitige Aufgabener-
füllung ist zu achten.“ (BMUKK 2004, o.S., kursiv d. Verf.)
Der Rahmenlehrplan schlägt hier vor kooperatives, offenes Lernen einzusetzen, welches
die Schüler/innen vermehrt zu eigenständiger und selbstverantwortlicher Arbeitsweise er-
zieht, sie zur Teamarbeit befähigt und zu sozialem, solidarischem Handeln und Lernen
motiviert. Wie bereits erwähnt beinhalten die Ansätze Demokratie in der Schule im All-
gemeinen oder der Just-community Ansatz nach Lawrence Kohlberg im Konkreten, viele
Elemente, die es ermöglichen kooperatives, offenes Lernen praktisch umzusetzen.
Zwar wird an keiner Stelle des Lehrplans explizit erwähnt, dass die Demokratie im Unter-
richt gelehrt/gelebt werden soll, jedoch lässt sich dies alleine aus dem Hinweis, dass der
Lehrplan ein Rahmenlehrplan sei und die Lehrperson den gegebenen Raum nützen soll um
die didaktischen Grundsätze zu verwirklichen, ableiten.
Ohne die konkreten Bestimmungen für einzelne Unterrichtsfächer zu durchleuchten, wurde
bereits ersichtlich, dass alleine die allgemeinen Leitziele, Kompetenzen und didaktischen
Grundsätze des Rahmenlehrplans der Handelsakademie eine Vielzahl von Forderungen
Demokratische Moral im Unterricht – Eine Forderung des Lehrplans?
33
nach Demokratie in der Schule beinhalten. Dieser kurze Exkurs in den Lehrplan zeigt, dass
Demokratie in der Schule gesetzlich legitimiert ist. Es werden aber auch die vielfältigen
Anforderungen an die Lehrkräfte ersichtlich. Bleibt die Frage offen, ob die Lehrkräfte im
Stande sind diesen Forderungen nachzukommen, oder für sie aufgrund der Komplexität
und Abstraktheit dieser Ansprüche, die Forderung nach Demokratie in der Schule nur eine
leere Floskel bleibt? Der Just-community Ansatz würde eine mögliche Form darstellen,
diesen Ansprüchen gerecht zu werden.
Grob zusammengefasst kann gesagt werden, dass unter Demokratie in der Schule (im Sin-
ne des Lehrplans) Folgendes zu verstehen ist: Unterricht soll so gestaltet sein, dass die
Schüler/innen dazu befähigt werden,
sich für Frieden, Gerechtigkeit, Gleichheit und andere demokratische Prinzipien ein-
zusetzen,
die Gesellschaft, den Staat mitzugestalten,
kooperativ, sozial und solidarisch zusammen zu wirken,
andere Meinungen, Kulturen und Gesellschaften anzuerkennen,
in Konfliktsituationen zur Konsensbildung zu finden,
über eigenes Verhalten und dessen Konsequenzen zu reflektieren um verantwor-
tungsbewusste Entscheidungen treffen zu können,
sich mit ethischen und moralischen Werten und Fragen auseinanderzusetzen,
ihre eigene Persönlichkeit weiter zu entwickeln,
Humanität und Toleranz zu leben…
Insofern kann Demokratie in der Schule nur bedeuten, dass den Schüler/innen genügend
Gelegenheiten geboten werden, die es ermöglichen oben stehende Kompetenzen zu trainie-
ren und zu erwerben. Wie derartige Situationen aussehen können wird weiter unten aufge-
zeigt. Weiters können wir aus diesen Ergebnissen schließen, dass Demokratie im Unter-
richt im Sinne des Lehrplans mehr meint als nur die Vermittlung einer rechts-politischen
Begriffsdefinition.
Interessant ist auch, dass Demokratie in der Schule in allen Ausbildungszweigen der Han-
delsakademien gefordert wird. Die Forderung also keine Besonderheit von COOL darstellt,
wie man vielleicht eingangs vermutet hätte. Aufgrund der Konzeption von COOL und der
hohen Marketinganstrengungen, die immer wieder auch den offenen, demokratischen As-
Demokratische Moral im Unterricht – Eine Forderung des Lehrplans?
34
pekt hervorheben, könnte man dazu verleitet werden, zu denken COOL hätte eine Art Mo-
nopol auf Demokratie in der Schule bzw. nur dieser Zweig würde eine adäquate Umset-
zung erlauben. Wie der Lehrplan zeigt wird diese Vermutung widerlegt. Demokratie in der
Schule im obigen Sinne wird gefordert, unabhängig vom Ausbildungszweig.
Abschließend soll noch die Frage aufgeworfen werden, ob es in einer Gesellschaft, die sich
als demokratisch bezeichnet, überhaupt nötig sein muss, demokratische Prinzipien in den
Lehrplänen explizit zu verankern. Sollte Demokratie in der Schule nicht vielmehr Selbst-
verständnis des Schulsystems sein? Da das Schulsystem ein funktionales Subsystem unse-
rer demokratischen Gesellschaft bildet, wäre nicht ohnedies Demokratie in der Schule nö-
tig um einer „vollkommen“ demokratischen Gesellschaft möglichst nahe zu kommen? Mit
den Ausführungen von Klafki im vorangehenden Kapitel sind beide Fragen mit Ja zu be-
antworten. Auch mit Fend (1980) und Dewey (1993/1964) können wir ebenso bejahend
antworten: Eine Funktion der Schule ist die Reproduktions- bzw. Enkulturationsfunktion.
Sie soll die Aufrechterhaltung (des Wissens, der Basisfähigkeiten) der Gesellschaft ge-
währleisten. Zu diesen Basisfähigkeiten einer Kultur, wie der unseren, gehören eben nicht
nur Schreiben und Lesen, sondern auch moralisch-demokratische Kompetenzen. „Jedes der
Mitglieder, aus denen eine soziale Gruppe, eine moderne Stadt ebenso wie ein wilder
Volksstamm, besteht, wird unreif, hilflos, ohne Sprache, Glauben, Ideen und soziale Nor-
men geboren. (…) Die unerklärbaren Urfaktoren von Geburt und Tod jedes Mitgliedes
einer sozialen Gruppe machen Erziehung notwendig.“ (Dewey 1993/1964, S. 17)
Forschungsdesign – Methodologie einer quantitativen Untersuchung
35
6 Forschungsdesign – Methodologie einer quantitativen Untersuchung
Es soll hier vorerst ein Überblick über das methodische Design meiner quantitativen Un-
tersuchung gegeben werden. Auf qualitative Methoden wird hier nicht eingegangen, aber
es soll darauf hingewiesen werden, dass diese auch für meine Forschungsfrage relevant
sind bzw. einen mindestens genauso wertvollen Beitrag zur Beantwortung der Forschungs-
frage leisten (vgl. dazu Kap. 11).
6.1 Die Prüfung von Hypothesen als einleitende Problemstellung
Lind (1993a, S. 74) betont, dass der Erfolg pädagogischer Interventionen in der Regel von
vielen Ursachen und Faktoren abhängt. Das Problem ist: Um diesen Ursachen auf die Spur
zu kommen, genügen wenige Erprobungen meist nicht. „Will man diese anderen Möglich-
keiten der Erklärung eines ,Erfolgs’ ausschließen und damit belegen, dass überwiegend der
pädagogische Ansatz für die Wirksamkeit verantwortlich gemacht werden kann, muss eine
systematische Überprüfung erfolgen, das heißt, der Ansatz muss mehrmals unter verschie-
denen Bedingungen wiederholt werden, und zwar so, dass vermutete andere Ursachen für
die festgestellte Wirkung ausgeschlossen werden können.“ (Lind 1993a, S. 74, Herv. i.
Orig.) Um diese anderen Ursachen im Rahmen einer empirischen Untersuchung pädagogi-
scher Interventionen auszuschließen, schlägt Lind (vgl. 1993a, S. 74), bezugnehmend auf
Campbell & Stanley (1966), folgende Maßnahmen vor (vgl. ebenfalls Schnell, Hill & Es-
ser 1992, S. 223ff.):
a. Vorher- und Nachher-Messungen
b. Experimentalgruppen und Kontrollgruppen (d.h. Personen, die am Programm teil-
nehmen und jene, die nicht daran teilnehmen)
c. zufällige Auswahl der Versuchspersonen
d. zufällige Aufteilung auf Experimental- und Kontrollgruppen
e. repräsentative Auswahl der Umgebungsbedingungen (Zeit, Gesellschaft, Region u.a.)
Eine Ausschaltung bzw. Berücksichtigung aller denkbaren Alternativerklärungen ist je-
doch unmöglich (vgl. Lind 1993a, S. 74; Schnell, Hill & Esser 1992, S. 251f.). Dies ergibt
sich alleine schon daraus, dass „der Katalog möglicher Alternativursachen und daher auch
die Liste der experimentellen Maßnahmen, die man zur Kontrolle oder Ausschaltung dieser
Forschungsdesign – Methodologie einer quantitativen Untersuchung
36
Ursachen zu beachten hätte, immer unvollständig ist, wie umfangreich man sie auch
macht.“ (Lind 1993a, S. 74) Dies führt unweigerlich dazu, dass es dem Forscher überlassen
bleibt, welche Bedingungen einer Intervention systematisch variiert werden bzw. welche
Alternativvariablen damit ausgeschaltet werden (vgl. Lind 1993a, S. 74). Schnell, Hill &
Esser (1992, S. 251f.) sehen dasselbe Problem, wenn sie meinen, die Anzahl möglicher
Drittvariablen sei theoretisch kaum begrenzbar, aus forschungsökonomischen Gründen
diese aber begrenzt werden müssen. Als Lösung dieses Problems schlagen sie vor: „Die
einzig Erfolg versprechende Strategie liegt aber in der systematischen und konsequenten
Überprüfung einer theoretischen Argumentation, die bewusst eben nicht ,alle denkbaren’
Drittvariablen berücksichtigt, sondern ,nur’ jene, die einer stringenten Argumentation ent-
springen. (…) In diesem Kontext wird die unabhängige Variable zu einer integrierten Va-
riable innerhalb eines Theoriegebildes, welches zugleich eine Reihe spezifischer Drittvari-
ablen nahe legt.“ (Schnell, Hill & Esser 1992, S. 251f., Herv. i. Orig.)
Lind (1993a, S. 74) zeigt weiters anhand des Kriteriums „zufällige Aufteilung der Pro-
band/innen“, dass die rein methodologische Experimentalistik ihren eigenen Ansprüchen
nicht genügen kann. Denn, die zufällige Aufteilung der Proband/innen würde bedeuten,
soziale Strukturen aufzulösen, die für ein sozialpsychologisches Experiment von großer
Bedeutung sind: „Da die Förderung des moralischen Urteils in intakten Klassengruppen
stattfinden soll, würde die zufällige Aufteilung der Schüler auf die Klassen die Validität
der Interventionsstudie vermindern.“ (Lind 1993a, S. 74)
Aus diesen Gründen fordert Lind (1993a, S. 74), dass die Beweislast für und gegen eine zu
prüfende Hypothese zwischen Proponenten und Opponenten geteilt werden muss. „Es
kann nicht verlangt werden, dass die Proponenten jeden nur denkbaren Einwand antizipie-
ren und durch experimentelle Prüfung auszuschalten versuchen. Wurde ein Ansatz in die-
sem Sinn validiert, dann ist es an den Kritikern, ihre Einwände zu formulieren und eben-
falls der Gefahr des Scheiterns an der Wirklichkeit auszusetzen.“ (Lind 1993a, S. 75)
Diese Forderung von Lind als einen Freischein für eine Forschungsweise, die sich um Al-
ternativevariablen keine Gedanken macht, anzusehen, wäre jedoch eine völlig falsche In-
terpretation. Vielmehr versucht Lind hier die Grenzen bzw. Bedingungen aufzuzeigen,
deren sich ein/e Forscher/in pädagogischer Interventionen bewusst sein muss. Gerade auf-
grund dieser Grenzen, denen Evaluationen im Bereich der Untersuchung pädagogischer
Interventionen stärker ausgesetzt sind als in manch anderen Forschungsfeldern, meine ich,
Forschungsdesign – Methodologie einer quantitativen Untersuchung
37
gewinnt die überlegte Er- und Darstellung des verwendeten Forschungsdesigns noch mehr
an Bedeutung. Daher versuche ich im Folgenden das Design, welches ich meiner empiri-
schen Untersuchung zugrunde gelegt habe, möglichst plausibel darzustellen:
6.2 Forschungsfrage der Untersuchung
Um eine Hypothese zu überprüfen ist nach Schnell, Hill & Esser (1992, S. 223) ein For-
schungsdesign nötig, das Auskunft darüber gibt, wann, wo, wie und wie oft die empiri-
schen Indikatoren an welchen Objekten erfasst werden. Schnell, Hill & Esser stellen ver-
schiedene Forschungsdesigns vor, wobei Experimenten mit Vorher-Nachher-Messung mit
Kontrollgruppe (siehe auch Lind, Kap. 6.1) im Vergleich zu Experimenten mit einmaliger
Messung, eine höhere Aussagefähigkeit zugesprochen wird. Dies vor allem deshalb, weil
beim Experiment mit Pre- und Posttest bei Experimentalgruppen und Kontrollgruppen ein
direkter Vergleich der Differenzen der Testungen bei den beiden Gruppen möglich ist:
„Wenn in der Experimentalgruppe eine klare Messwerterhöhung vorliegt, kann (zunächst)
mit großer Sicherheit auf eine Wirkung von X geschlossen werden.“ (Schnell, Hill & Esser
1992, S. 227)
Die Forschungsfrage der vorliegenden Untersuchung ähnelt jener der Just-community
Schulen, die besagt, dass der JC-Ansatz eine stärkere Veränderung der moralischen Ur-
teilsstufen der Schüler/innen ermöglicht als andere Schultypen (vgl. Oser & Althof 1997,
S. 448):
Hypothese: Der Ausbildungszweig ‚COOL’ (COoperatives Offenes Lernen) an den öster-
reichischen berufsbildenden höheren Schulen fördert die moralische Urteilsfähigkeit (ge-
messen nach Lind) stärker als die anderen „herkömmlich-strukturierten“ Zweige.
Die vorliegende Untersuchung lehnt sich also stark an jene von Lind (2000a, S. 161ff.) an,
der in seinem Werk „Ist Moral lehrbar?“ (2000a) zu prüfen versucht, „ob und in welchem
Ausmaß eine Kombination aus gezielten didaktischen Methoden (wie der Dilemma-
Diskussions-Methode) und einem Just community-Programm zur Verbesserung des mora-
lisch-demokratischen Klimas der Schule und zur Steigerung der moralischen Urteilsfähig-
keit beiträgt.“ (Lind 2000a, S. 161, Herv. i. Orig.) Da meines Wissens nach die Dilemma-
Diskussions-Methode im COOL-Ausbildungszweig leider noch nicht angewandt wird –
Forschungsdesign – Methodologie einer quantitativen Untersuchung
38
und mein Diplomarbeitsumfang einen derartigen Interventionsversuch nicht erlaubt – wird
dieser Aspekt in der vorliegenden Untersuchung, zugunsten des Fokus auf die Konzeption
von COOL, ausgeklammert. Die konkreten Annahmen und Fragestellungen beim DES-
Projekt lauteten:
„Die Initiatoren des DES-Projekts sind von der Annahme ausgegangen, dass Jugendliche
moralisch-demokratische Einstellungen und Fähigkeiten in der Schule nur lernen können,
wenn das Schulleben demokratisch gestaltet ist und den Heranwachsenden Gelegenheit
bietet, solche Fähigkeiten zu üben. (…) Es bestand die Überzeugung, dass demokratisches
Lernen nur angeregt und gefördert wird, wenn Konflikte und Probleme im Unterricht und
im Leben der Schule selbst durch gewaltfreien Meinungsstreit, auf der Basis allgemein
geteilter moralischer Prinzipien bearbeitet werden.“ (Lind 2000a, S. 167)
Diese Annahmen und Fragestellungen lassen sich auf die vorliegende Untersuchung beina-
he 1:1 übertragen. Im Folgenden wird auf erste konkretere Überlegungen zum Forschungs-
design eingegangen. Das vorliegende Forschungsdesign soll u.a. gewährleisten, dass die
Ergebnisse meiner Studie möglichst aussagekräftig sind bzw. die Testung den Anforderun-
gen der Validität und Reliabilität möglichst nahe kommt.
6.3 Die Auswirkungen der zeitlichen Begrenzung einer Diplomarbeit
Die Überprüfung der im vorhergehenden Kapitel angeführten Hypothese würde nach
Schnell, Hill & Esser (1992, S. 227) und Lind (vgl. Kap. 6.1) eine Vorher-Nachher-
Testung erfordern; beziehungsweise wäre, um eine möglichst valide Messung durchzufüh-
ren eine Längsschnittstudie nötig. Mit anderen Worten: Es müsste die Entwicklung der
moralischen Urteilsfähigkeit der Schüler/innen über die (fünf) Schuljahre hinweg beobach-
tet werden, um daraus auch Schlüsse ziehen zu können. Da eine Diplomarbeit, aufgrund
der zeitlichen Befristung, dieser Anforderung nicht genügen kann und eine Vorher-
Nachher-Testung innerhalb von sechs Monaten, wenn überhaupt wohl nur eine sehr be-
grenzte und äußerst zweifelhafte Überprüfung der Hypothese ermöglichen würde, muss ich
es – auch mangels methodischer Alternativen – bei einer Einmaltestung belassen. Jedoch
mit folgenden Hinweisen:
Forschungsdesign – Methodologie einer quantitativen Untersuchung
39
Erstens: Die Ergebnisse der Einmaltestung sollen eine Basiserhebung für eine mögliche
Längsschnittstudie, deren weitere Durchführung (von bspw. Diplomand/innen) in den
nächsten Jahren vorstellbar wäre, darstellen.
Zweitens: Schnell, Hill & Esser (1992, S. 226) verweisen bei Einmalmessungen darauf,
dass die Ergebnisse im Prinzip mit unbekannten Vorherwerten verglichen werden müssten.
Als mögliche Quelle dieser Vorherwerte nennt er beispielsweise andere Untersuchungen.
Liegt der gemessene Wert dann signifikant über dem Vergleichswert, so könnte daraus der
Schluss gezogen werden, dass das Treatment wirkungsverursachend ist.
Welche Quellen eignen sich für die vorliegende Untersuchung? Da bisher keine COOL-
Untersuchungen im Zusammenhang mit der moralischen Urteilsfähigkeit vorliegen, kön-
nen nur drei – mit Vorsicht zu genießende – Verfahren gewählt werden: Erstens, ein
durchschnittlicher moralischer Urteilsfähigkeits-Wert (C-Wert) aller Schüler/innen der
1. Klasse wird erhoben und mit dem Durchschnittswert der 3. bzw. 5. Klassen der Experi-
mentalgruppe und Kontrollgruppe in Beziehung gesetzt. Zweitens, C-Werte gleichaltriger
Jugendlicher anderer MUT-Studien werden herangezogen. Drittens, Lind berichtet von C-
Wert-Zuwächsen, die offene Unterrichtsformen erreichen sollten (vgl. Kap 8.2.2). Schlüsse
aus diesen Differenzen sind, wie gesagt, mit äußerster Vorsicht anzustellen.
Drittens: Auch Schillinger (2006) hat im Rahmen ihrer Dissertation „Learning environ-
ment and moral development: How university education fosters moral judgment compe-
tence in Brazil and two German-speaking countries” mit dem Problem zu kämpfen, dass
eine Längsschnittstudie innerhalb der Vorgaben einer Dissertation nicht möglich ist. Daher
wählte sie das Design einer Cross-Sectional-Study mit dem Hinweis: „The present re-
searcher is aware of the limitations and disadvantages of a cross-sectional study when
compared to a longitudinal one. However, a longitudinal study would not be feasible in a
context of a dissertation research. (…) Results of this study should, then, be interpreted
within the limitative dimension of this context.” (Schillinger 2006, S. 70)
Lind hat mir empfohlen für ein Querschnittsdesign folgende Vergleichsgruppen (vgl. Ta-
belle 3) zu verwenden:
Forschungsdesign – Methodologie einer quantitativen Untersuchung
40
Tabelle 3: Design einer Interventionsevaluation5
Experimentalgruppe Vergleichsgruppe 1 Vergleichsgruppe 2
COOL (andere Ausbildungszweige)
Konstanzer Methode der Dilem-ma-Diskussion (vorh. Studie)
Klasse im Jahr X N > 30 N > 30 (alle verfügbaren Daten)
Klasse im Jahr x + 1 N > 30 N > 30 (alle verfügbaren Daten)
Zwar kann mit dieser Vorgehensweise die Hypothese wohl kaum so überprüft werden,
dass die Aussagekraft der Ergebnisse einer Längsschnittsstudie annähernd gleich kommen.
Jedoch können aus einer derartigen Basiserhebung erste Eindrücke – die sicherlich einer
kritischen Reflexion bedürfen – gewonnen werden.
6.4 Die quasi-experimentelle Untersuchung als einzig mögliches Design?
Die oben beschriebene Vorgehensweise bzw. Einmaltestung ist dem Prinzip nach den qua-
si-experimentellen Untersuchungsdesigns zuzuordnen. „Darunter versteht man Anordnun-
gen, die mit einem Experiment bis auf die Stimuli-Kontrolle durch den Forscher vergleich-
bar sind.“ (Campbell & Stanley zit. nach Schnell, Hill & Esser 1992, S. 242)
„Diese Anordnung (quasi-experimentelle Anordnung mit nicht gleichartiger Kontrollgrup-
pe, Anm. d. Verf.) ist in der Unterrichtsforschung weit verbreitet, weil die Schulklassen
häufig vorgegebene Einheiten sind und eine Stichprobengleichheit durch Randomisierung
oder Parallelisierung (Matching) nicht hergestellt werden kann.“ (Herzig 1998, S. 273) Mit
dieser Aussage von Herzig im Rahmen seiner Evaluation eines demokratischen Unter-
richtskonzeptes wird deutlich, dass die in Kap. 6.1 von Lind geforderten Punkte c – d auf-
grund der Natur der Untersuchung (bzw. der Natur des Feldexperiments) nicht erfüllt wer-
den können.
Auch Bonk-Luetkens wendet zur Untersuchung der praktischen Fragestellung eines Versu-
ches an einer Peter Petersen Schule das dynamische Feldexperiment als Quasi-
experimentelles Verfahren an. Unter anderem mit der Begründung, dass es sich hierbei um
5 Eine Teilnehmerquote von über 80 % muss angestrebt werden, da eine positive Korrelation zwischen
freiwilliger Teilnahme und MUT-Wert die Interpretation ansonsten zusätzlich erschwert. (vgl. Lind 2008d) Wie Tab. 4 zeigt, nahmen über 80 % der Schüler/-innen der untersuchten Klassen teil.
Forschungsdesign – Methodologie einer quantitativen Untersuchung
41
eine natürliche Situation handle, in welcher der experimentelle Stimulus (in diesem Fall
das Lehrerverhalten) nicht direkt manipuliert werden kann (vgl. Bonk-Luetkens 1978,
S. 58f.). „Der Forscher hat nur eine unvollständige Kontrolle über die experimentellen Be-
dingungen: Es fehlt eine zufällige Zuweisung der Teilnehmer auf die einzelnen Bedingun-
gen, oder es besteht Unsicherheit über den Zeitpunkt der Erstmessung vor Einführung ei-
nes experimentellen Stimulus …“ (Friedrichs zit. nach Bonk-Luetkens 1978, S. 59) Jedoch
weist sie auch darauf hin, dass diese Art der Untersuchung wegen ihrer hohen Realitätsnä-
he von besonderer Bedeutung für die Sozialforschung sowie Evaluationsforschung ist (vgl.
Bonk-Luetkens 1978, S. 59; Schnell, Hill & Esser 1992, S. 242).
Aufgrund der bisherigen Ergebnisse meiner Literaturrecherche ist also festzuhalten, dass
das quasi-experimentelle Forschungsdesign – ob in Form einer Querschnittsstudie
und/oder als Basiserhebung für eine Längsschnittstudie –, die einzige Möglichkeit für eine
adäquate Prüfung meiner Hypothese darstellt. Auf jeden Fall wird – wie ersichtlich wurde
– das quasi-experimentelle Forschungsdesign in vielen, der vorliegenden Untersuchung
ähnlichen, Forschungsprojekten angewandt. Demzufolge muss vorerst von einer Überprü-
fung der angeführten Hypothese abgegangen werden. Sie wird ersetzt durch die Suche
nach möglichen Zusammenhängen zwischen COOL und moralischer Urteilsfähigkeit bzw.
durch die Offenlegung von Indizien, die solche Zusammenhänge untermauern.
6.5 Die unabhängige Variable „COOL“ und die abhängige Variable „MUT“
Da im Rahmen der Beantwortung der ersten, der beiden Forschungsfragen (Ist das COOL-
Konzept besser geeignet moralische Urteilsfähigkeit zu fördern als herkömmlicher Unter-
richt?) ohnehin eine genauere Beschreibung von COOL und dem MUT nötig ist, wird
der/die Leser/in auf Kapitel 7 und 8 verwiesen.
6.6 Spezifische Drittvariablen, die die „Bildungstheorie“ nahe legt6
„Inhaltlich sind auch sie als alternative oder konkurrierende Erklärungen zur Ausgangs-
hypothese zu sehen.“ (Schnell, Hill & Esser 1992, S. 234) Schnell, Hill & Esser schlagen
6 Bezüglich der Ausführungen über Techniken der Kontrolle von Störvariablen seien die Leserin und
der Leser auf Anhang 20 verwiesen.
Forschungsdesign – Methodologie einer quantitativen Untersuchung
42
zur Kontrolle von Drittvariablen die Randomisierung bzw. Zufallszuteilung vor (Schnell,
Hill & Esser 1992, S. 234). Wie in Anhang 19 und 20 gezeigt wird, können diese Kontroll-
techniken und auch andere Kriterien für eine experimentelle Untersuchung nicht erfüllt
werden. Weiters kann nur ein quasi-experimentelles Design zum Zuge kommen, welches
aber trotzdem versuchen muss, den in den vorhergehenden Kapiteln dargestellten und ge-
forderten Kriterien möglichst nahe zu kommen. Gerade wenn Kontrolltechniken nicht an-
gewandt werden können, so ist es meiner Meinung nach umso wichtiger, mögliche Drittva-
riablen im Rahmen eines Theoriegebildes aufzuzeigen und deren möglichen Einfluss zu
verdeutlichen. Es stellen sich also folgende Fragen:
1. Welche Drittvariablen – zusätzlich zur unabhängigen Variable COOL – beeinflussen
die Überprüfung der oben genannte Hypothese?
2. Wenn diese Variablen durch Kontrolltechniken nicht zu eliminieren sind, wie lassen
sie sich messen, damit sie statistisch berücksichtigt werden können?
Weiter oben wurde bereits darauf hingewiesen, dass nicht alle beliebigen Drittvariablen
berücksichtigt werden können. Deren Anzahl wäre theoretisch kaum zu begrenzen. Zudem
bleibt deren Aussagekraft nur dann erhalten, wenn sie in ein theoretisches Gebilde einge-
bettet sind (vgl. Schnell, Hill & Esser 1992, S. 251). Welche Theorie/n lassen sich für die
vorliegende Untersuchung heranziehen?
6.6.1 Wie entwickelt sich moralische Urteilsfähigkeit? – Mögliche Variablen
Wenn es um die Frage der Entwicklung der moralischen Urteilsfähigkeit geht, so stößt man
in der Literatur auf verschiedene Theorien, die diese Entwicklung zu erklären versuchen.
Die in Kap. 2.4.2 angeführten Stufenkonzepte weisen bereits darauf hin, dass es so etwas
wie eine Entwicklung in der moralischen Urteilsfähigkeit geben muss. Seit Piaget und
Kohlberg hat sich herauskristallisiert, dass nicht nur die vorhandenen kognitiven Struktu-
ren eines Individuums für die Entwicklung der moralischen Urteilsfähigkeit entscheidend
sind, sondern auch die Gelegenheiten zur Rollenübernahme: „Von größerer Bedeutung als
die Faktoren, die die reinkognitive Entwicklung fördern, sind die von uns Rollenübernah-
me-Gelegenheiten genannten Faktoren der generellen sozialen Erfahrung und Anregung.“
(Kohlberg 1995, S. 165, Herv. i. Orig.)
Forschungsdesign – Methodologie einer quantitativen Untersuchung
43
Kohlberg, Lind und Oser gehen sogar noch einen Schritt weiter: Sie vertreten die Auffas-
sung, dass eine effiziente Förderung/Entwicklung der moralischen Urteilsfähigkeit nur
durch Bildung, und hier vor allem durch angemessene Bildungserfahrungen in der Schule,
möglich ist. Diese Bildungstheorie wird auch diskurs-pädagogischer Ansatz genannt, weil
eben angenommen wird, dass vor allem durch Diskussion und Kommunikation im Unter-
richt – Dilemmadiskussion, Just-community mit seinen kommunikativen Elementen – eine
Entwicklung stattfindet (vgl. Kap. 8.1.1 und 8.2.2). Er steht dem entwicklungstheoreti-
schen, reifungsorientierten Ansatz und dem Sozialisationsansatz gegenüber. Diese (früher)
vertretenen Auffassungen, dass Moral sich einerseits alleine aus der Reifung des Indivi-
duums entwickelt – ohne jegliches Zutun von außen – oder aber andererseits letztlich Er-
gebnis eines sozialen Drucks der Gesellschaft ist, d.h. durch Übernahme von Werten und
Normen geschieht (vgl. Lind 2000a, S. 15ff.), versucht Lind (a.a.O., S. 161) in seinem
Werk „Ist Moral Lehrbar?“ zu widerlegen: „Aus den beiden Tatsachen, dass sich eine hö-
here moralische Urteilsfähigkeit nicht beliebig, durch bloße Instruktion erreichen lässt, und
der Tatsache, dass sich scheinbar kulturbedingte Unterschiede in der moralischen Urteils-
fähigkeit weitgehend auf Bildungsunterschiede zurückführen lassen, haben wir gefolgert,
dass die Sozialisationstheorie keine adäquate Erklärung der Moralentwicklung bietet. Aus
der Tatsache, dass sich die moralische Urteilsfähigkeit zurückentwickeln kann, wenn Bil-
dungsprozesse längere Zeit wegfallen, haben wir den Schluss gezogen, dass auch eine Rei-
fungstheorie der Moralentwicklung nicht haltbar ist.“ (Lind 2000a, S. 161, Herv. i. Orig.)
Zugleich zeigt er anhand des Interventionsexperimentes „Just-community“ bzw. „Gerechte
Schulgemeinschaft“ auf, dass der Bildungsthese Vorzug zu geben ist, wenn die Frage nach
der effizientesten Förderung moralischer Urteilsfähigkeit beantwortet werden soll (vgl.
Lind 2000a, S. 161ff.).
Kurz: „Die Entwicklung der moralischen Urteilsfähigkeit wird in einem ganz entscheiden-
den Ausmaß von Bildungserfahrungen gefördert“. (Lind 1993b, S. 9) Lind fordert daher:
„Es müssen a) Kenntnisse (,moralisches Wissen’) vermittelt und b) Möglichkeiten für die
Erprobung dieser Kenntnisse an praktischen Aufgaben geschaffen werden. Wirksame Mo-
ralerziehung erfordert eine spezielle Didaktik, gut ausgebildete Pädagogen und entspre-
chende Lehrpläne.“ (Lind 1993b, S. 13, Herv. i. Orig.) Weiters verweist er auf Befunde,
die zum einen zeigen, dass kognitive Interventionen, die Denken und Diskussionen über
moralische Konflikte zum Inhalt haben, sich förderlich auswirken. Zum anderen zeigen sie,
dass Bildungsinstitutionen, nicht aber die berufliche Umwelt, einen fördernden Einfluss
auf die Moralentwicklung haben (vgl. die EMNID-Studie bei Lind 2000a, S. 116ff.). Der-
Forschungsdesign – Methodologie einer quantitativen Untersuchung
44
artige für die Moralentwicklung notwendige, ja vorausgesetzte Bildungserfahrungen bieten
nach Lind vor allem die allgemein bildenden Schulen und Hochschulen. Gleichzeitig darf
aber auch nicht darauf vergessen werden: „Entwicklungsfördernde, moralische Diskurse
können prinzipiell überall stattfinden, also auch in der Familie, im Freundeskreis, am Ar-
beitsplatz“. (Lind 1993b, S. 14) Wobei, so fügt Lind hinzu, Bildungserfahrungen die güns-
tigsten Voraussetzungen eben in allgemein bildenden Schulen finden.
Welche Drittvariablen (bezogen auf unsere Fragestellung und Hypothese) entspringen nun
dieser „Bildungstheorie“? Im Folgenden werden die – der „Bildungstheorie“ nach – wich-
tigsten Störvariablen dargestellt.
1. Kognitive Strukturen
Wenn nun die moralische Urteilsfähigkeit u.a. von einem kognitiven Fähigkeitsaspekt be-
stimmt ist, so liegt die Frage nahe: Verfügen intelligentere, (gebildetere) Menschen über
eine höhere Urteilsfähigkeit bzw. lässt sich diese bei jenen „leichter“ bzw. „stärker“ för-
dern? So weist Lind (2000a, S. 245ff.) beispielsweise darauf hin, dass Bildungsniveau (im
Sinne des Umfangs von Bildungsprozessen) und moralische Urteilsfähigkeit stark mitein-
ander korrelieren (vgl. auch die Ergebnisse zu den Untersuchungen bei Abiturient/innen im
Vergleich zu wissenschaftlichen Mitarbeiter/innen bei Lind 2000a, S. 250ff.).
Da, wie bereits erwähnt, mein Feldexperiment keine Randomisierung zulässt – und somit
diese Drittvariable nicht ausgeschalten werden kann –, muss sie mit erhoben werden, um
auf ihre Effekte schließen zu können. Eine Möglichkeit zur Erhebung des IQs wäre der
CFT 3 von Cattell & Weiß (1971), der Grundintelligenzen misst. Jedoch war der Einsatz
eines derartigen Intelligenztests aus folgenden Gründen in der vorliegenden Untersuchung
nicht möglich:
a. Das größte Hindernis war wohl die Dauer meiner Befragung. Wie im Anhang 23
ersichtlich, ist der eingesetzte Fragebogen ohnehin schon relativ umfangreich (ob-
wohl bisher nur die zentralsten und meiner Meinung nach unverzichtbarsten Themen
enthalten sind). Probetestungen bei Schüler (15 und 18 Jahre, Gymnasium und HAK)
haben ergeben, dass die Testung ungefähr 35 - 40 Minuten in Anspruch nimmt. Da
ich nur eine Unterrichtseinheit je Klasse zur Verfügung hatte, war somit bereits das
zeitliche Limit voll ausgeschöpft.
Forschungsdesign – Methodologie einer quantitativen Untersuchung
45
b. Prof. Lind (2009a) verweist darauf, dass bei einem umfangreichen Fragebogen der
MUT immer am Anfang gegeben sein sollte, da der MUT wie alle Leistungstests sehr
durch äußere Bedingungen (wie Testmüdigkeit und Testeinstellung) gestört werden
kann. „Wenn ein IQ- oder Leistungstests mit Zeitbegrenzung und der Aufforderung,
,richtige’ Antworten zu geben, davor kommt, sinkt der MUT-Wert vermutlich deut-
lich. (...) Interessanter erscheinen zudem Schulnoten, da sie eine höhere prognosti-
sche Validität haben.“ (ebd.) Hier scheint ein Zusammenhang zu bestehen. Lind ver-
mutet, dass moralische Urteilsfähigkeit eine wichtige Bedingung für gute Schulleis-
tungen ist. Einer der möglichen Gründe: „Wer seine persönlich-moralischen Konflik-
te nicht gut lösen kann, hat kaum Kapazitäten frei für die Beschäftigung mit weniger
ich-nahen Schulaufgaben.“ (Lind 2009a)
c. Weiters haben meine Recherchen leider zu keinen Ergebnissen bzgl. Leistungsfähig-
keitstests geführt, die in kurzer Zeit durchgeführt werden können und trotzdem für
die Probandengruppe geeignet sind.
Aus diesen Gründen werden die Schüler/innen im Fragebogen aufgefordert, Angaben über
die letzte Jahresnote in den Fächern (D, E, M, RW, BWL) zu machen. Bei den Erstkläss-
lern musste auf die letzte Schularbeitsnote zurückgegriffen werden. Auch wenn berechtigte
Zweifel über die Aussagefähigkeit bzw. Validität und Vergleichbarkeit der Noten bestehen
(vgl. bspw. Ingenkamp 1975), so haben sie doch Indizcharakter. Zumal eine IQ-Testung
der Proband/innen aus ökonomischen Gründen nicht möglich ist, erscheint mir diese Vor-
gehensweise als die sinnvollste.
2. Die soziobiografischen Entwicklungsbedingungen moralischer Urteilsfähigkeit
„’Die Entwicklung moralischer Individuen’, so Power, ‚kann ohne die Entwicklung einer
moralischen Gesellschaft niemals vollständig realisiert werden’“ (Power zit. nach Lind &
Link 1988, o.S., Herv. i. Orig.). Zudem ist Moralität auch ein Merkmal von Schule. „Sie
wird durch Inhalt und Form des in dieser Institution bestehenden sozialen Interaktionsge-
füges bestimmt.“ (Lind & Link 1998, o.S.)
Forschungsdesign – Methodologie einer quantitativen Untersuchung
46
Die moralische Atmosphäre7 der Schule/des Unterrichts beeinflusst somit sehr wohl die
moralische Urteilsfähigkeit der Schüler/innen bzw. ist sie etwa nach Power, Lind & Link
(siehe vorhergehenden Absatz) und Kohlberg (wie noch zu sehen sein wird) eine notwen-
dige Voraussetzung für die Förderung moralischer Urteilsfähigkeit. Mit Fragen aus dem
ORIGIN/s (Opportunities for Role-takIng and Guided reflection IN school) und den Ent-
wicklungsbedingungen nach Lempert wird versucht, moralische Atmosphäre nicht nur in
der Schule (u.a. Unterrichtsstil) sondern auch in Familie und im Freundeskreis zu erheben:
Erziehungsstil/familiäre Situation/soziale Schicht
Die moralische Urteilsfähigkeit lässt sich – wie oben gezeigt – am effektivsten durch
kognitive Interventionen, die Denken und Diskussionen über moralische Konflikte
zum Inhalt haben, fördern. Jetzt hat die Institution Schule keineswegs ein Monopol
auf derartige Interventionen, sodass es durchaus sein kann – und auch so sein wird –,
dass die Art der elterlichen Erziehung – auch wenn diese nicht gezielt mit derartigen
Interventionen arbeitet – durch ihre demokratische Art und Weise auf die Entwick-
lung der moralischen Urteilsfähigkeit der Schüler/innen förderlich oder hemmend
einwirkt. Aufgrund der fehlenden Randomisierung stellt sich nun wieder die Frage,
wie man diese Drittvariable am besten erhebt? Mit den von Klaus Beck (Johannes
Gutenberg-Universität Mainz) entwickelten Fragen zur Erhebung der Ausprägung
der lempertschen Entwicklungsbedingungen der moralischen Urteilsfähigkeit wird
eine Möglichkeit gezeigt, die „moralische Atmosphäre“ am Schauplatz „Schule“ und
„Familie“ zu erheben. Weiters wurde erhoben: die Anzahl der Geschwister, die sozia-
le Schicht u.ä. Hierfür wurden den Proband/innen spezifische Fragen8 vorgelegt.
Peergroup & Freizeit
Nicht nur der elterliche Erziehungsstil kann Einfluss auf die moralische Urteilsfähig-
keit der Schüler/innen nehmen, sonder auch – und besonders im Jugendalter von Be-
deutung – die Umgangsform im Freundeskreis, in der Peergroup des/der Jugendli-
chen. Diese Drittvariable darf daher auf keinen Fall unterschätzt werden. Auch wenn
die Randomisierung fehlt, so schätze ich den Unterschied in der Ausprägung dieses
Merkmals zur Kontrollgruppe eher gering ein. Wie für die Variable „Familie“ bieten
7 In der vorliegenden Arbeit wird das Verständnis von und die Messung des Begriffs „moralische At-
mosphäre“ mit jenen der Entwicklungsbedingungen nach Lempert (vgl. Tab. 6, Kap. 8.1.2) und den Gelegenheiten zur Verantwortungs- bzw. Rollenübernahme im Sinne des ORIGIN/s (vgl. Kap. 9.2) gleichgesetzt.
8 Die Fragen wurden in Anlehnung an das Forschungsprojekt „Linzer Elternbefragung 2007-2008“ des Instituts für Soziologie (Bachler) in Kooperation mit dem Institut für Pädagogik und Psychologie (Alt-richter) erstellt.
Forschungsdesign – Methodologie einer quantitativen Untersuchung
47
auch hier die Fragen zu den lempertschen Entwicklungsbedingungen ein adäquates
Erhebungsinstrument.
Unterrichtsstil (autokratisch, laissez-faire, demokratisch)
Meiner Meinung nach ist wohl der Unterrichtsstil der Lehrperson einer der wichtigs-
ten Faktoren in der Verwirklichung von COOL bzw. jedes anderen demokratischen
Ansatzes. Dieses Merkmal muss daher unbedingt mit erhoben werden. Die soziobi-
ographischen Dimensionen nach Lempert enthalten Fragen in diese Richtung (siehe
Fragebogenteil „Deine sozialen Beziehungen in der Schule“ im Anhang 23). Auf-
grund der zeitlichen Begrenzung der Befragung und der Vielzahl anderer Scheinvari-
ablen, werde ich mich auf diese Fragen beschränken.
An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass eine saubere Trennung zwischen der mora-
lischen Atmosphäre/Gelegenheiten zur Rollenübernahme in der Schule als intervenierende
Variable und als unabhängige Variable, d.h. als Bestandteil von COOL, sehr schwierig ist.
Daher muss im Rahmen der Auswertung der Frage nachgegangen werden, inwiefern sich
die moralische Atmosphäre in COOL-Klassen von herkömmlichen Klassen unterscheidet
und welchen Einfluss diese auf den MUT-Score hat (vgl. Kap. 9.2).
3. Bisherige Bildungserfahrungen
Möglichen Einfluss können, der „Bildungstheorie“ nach, die bisherigen Bildungserfahrun-
gen, sprich Gelegenheiten zu moralischen Diskursen, in der vorangehenden Schule haben.
Schüler/innen der Handelsakademien können zuvor die Hauptschule, das (Bundes) Real-
gymnasium oder (was eher selten zutrifft) eine andere Schulform besucht haben. Da es
möglich wäre, dass in diesen Schultypen unterschiedliche Bildungserfahrungen im oben
angeführten Sinne gemacht werden können, ist es nötig auch den Schultyp zu erheben.
Interessant ist auch, vor allem bei den Hauptschulen, die Differenzierung nach städtischer
oder ländlicher Hauptschule.
4. Wahlmotive
Da die Schüler/innen beim Wechsel von Sekundarstufe I in die Sekundarstufe II selbst
entscheiden können welchen Ausbildungszweig sie wählen – bzw. ihnen diese Entschei-
dung oft von den Eltern abgenommen wird – ist eine Zufallszuweisung (Randomisierung)
bei meinem Feldexperiment nicht möglich. Weiters muss auf die Ausgangssituation der
ersten COOL-Klassen Rücksicht genommen werden. Prinzipiell können die Schüler/innen
Forschungsdesign – Methodologie einer quantitativen Untersuchung
48
meist selbst wählen, ob sie einen Zweig dieser Form besuchen oder nicht. Jedoch trat der
Fall auf, dass Klassen zusammengelegt wurden. So saßen in einer untersuchten ersten
COOL-Klasse mehr als 50 % Schüler/innen, die ursprünglich einen anderen Zweig gewählt
hatten, also nicht von sich aus COOL bevorzugten. Daher wurde erhoben, aus welchen
Motiven der Ausbildungszweig gewählt wurde.
5. Biologischer Reifungsprozesse, Alter, Geschlecht
Der Reifungsprozess, dem vor allem im Jugendalter große Bedeutung zukommt, spielt hier
als Drittvariabel eine untergeordnete Rolle, da er erstens durch die Kontrollgruppe elimi-
niert werden kann und zweitens, aufgrund des Primats der „Bildungstheorie“ gegenüber
der Reifungstheorie, der Effekt des Reifungsprozesses als eher gering eingeschätzt werden
kann. Klarerweise wurde trotzdem das Alter und das Geschlecht erhoben.
6. Kulturelle Herkunft, Gesellschaft, Religion etc.
Lind hat versucht, die Sozialisationstheorie zu widerlegen (siehe Ausführungen zur „Bil-
dungstheorie“) und gezeigt, dass sich scheinbar kulturbedingte Unterschiede in der morali-
schen Urteilsfähigkeit weitgehend auf Bildungsunterschiede zurückführen lassen (vgl.
Lind 1993b, S. 153). Daher dürfte die kulturelle Herkunft kaum einen Einfluss auf die ab-
hängige Variable „moralische Urteilsfähigkeit“ haben. Dennoch sind Fragen nach dem
Glaubensbekenntnis und zur Religiosität allgemein (siehe Religiositätsskalen nach Lind &
Kietzig 2004; im Anhang 22) sowie der Staatsbürgerschaft und dem Kulturkreis sinnvoll,
da der Anteil nicht österreichischer Schüler/innen gerade in den städtischen berufsbilden-
den höheren Schulen hoch ausfällt.
Da meine Evaluation lediglich drei COOL-Schulen aus dem COOL-Netzwerk von insge-
samt acht österreichischen COOL-Netzwerkpartner und 25 Impulsschulen betrifft, sind
generalisierende Aussagen über die Wirkung der hier beschriebenen (Kontext)variablen
über die Stichprobe hinaus nicht möglich. Auch Lind verweist im Rahmen der Evaluation
der Gerechten Schulgemeinschaft darauf: „Aufgrund der Tatsache, dass an diesem Inter-
ventionsexperiment nur drei Schulen beteiligt waren, verbietet es sich, Aussagen über die
Wirkung von Kontextvariablen wie geographische Region, Geschlechterverteilung, Aus-
länderanteil, sozi-ökonomischer Hintergrund etc. zu treffen.“ (Lind 1993b, S. 186)
Forschungsdesign – Methodologie einer quantitativen Untersuchung
49
6.6.2 Grafische Übersicht und Zusammenfassung der Variablen
Die folgende Abbildung 2 zeigt zusammenfassend nochmals die abhängige, die unabhängige sowie die intervenierenden Variablen, die dem Theo-
riegebilde der „Bildungstheorie“ entspringen und folglich dieser Untersuchung zugrunde liegen. In der unteren Leiste sind die „Erhebungsinstru-
mente“ dargestellt.
Abbildung 2: Zusammenhänge untersuchter Variablen
bisherige Schule
soziale Schicht
IQ
ReligionWahlmotiv
Freundeskreis
Moralische Atmosphäre im:
Unterricht
Familie …
Erziehungsstil
fam. Situation
Lehrerstil MUCOOL
MUT Lemp.-Dimensionen & ORIGIN/s-Fragen Religiositätsskalen Noten FB soz. Schicht Fragen
Forschungsdesign – Methodologie einer quantitativen Untersuchung
50
6.7 Teilnehmer/innen der Untersuchung und ihre Durchführung
Die Proband/innen der Untersuchung sind Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe II
und somit im Alter von ca. 14 – 20 Jahren. Auch im DES-Projekt9 nahmen an der Vorstu-
die Schüler/innen dieser Altersgruppe teil, nämlich aus den Schulstufen 8 – 12 (vgl. Lind
2000a, S. 169). Wie bei den DES-Schüler/innen handelt es sich auch bei den COOL-
Schüler/innen weder um besonders gute, noch um besonders erziehungsbedürftige Jugend-
liche, jedoch um solche mit Affinität zur wirtschaftlichen Ausbildung.
Hinsichtlich der Pädagog/innen ist festzustellen, dass beide – jene des DES- und jene des
COOL-„Projekts“ – über eine Ausbildung hinsichtlich ihres Projektschwerpunktes verfü-
gen10, jedoch liegt dieser bei COOL nicht (nur) in der Förderung der moralisch-
demokratischen Atmosphäre der Schule oder der moralischen Urteilsfähigkeit der Schü-
ler/innen.
Im Dezember 2008 wurde Kontakt mit Mag. Neuhauser vom COOL-Impulszentrum auf-
genommen und ihm das Vorhaben geschildert. Mag. Neuhauser erklärte sich sofort bereit,
mich bei meiner Untersuchung zu unterstützen. Gemeinsam mit den beiden COOL-
Initiatoren Herrn Mag. Neuhauser und Frau Mag.a Wittwer sowie mit Frau Mag.a Wimmer
(wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Pädagogik und Pädagogische Psychologie
an der JKU Linz) – alle drei unterrichten selbst COOL-Klassen – wurden geeignete Schu-
len für die Untersuchung ausgewählt. Da die drei Lehrpersonen den Status quo der COOL-
Umsetzung in den österreichischen Handelsakademien am besten kennen, wurden Schulen
ausgewählt, die das COOL-Konzept bereits in allen fünf Jahrgängen der höheren Schule
umsetzen und von denen bekannt ist, dass das COOL-Konzept bereits „gut läuft“. Sechs
berufsbildende höhere Schulen bzw. deren Direktoren/innen wurden kontaktiert und meine
Forschungsfrage sowie das methodische Design wurden näher erläutert. Erfreulicherweise
erklärten sich alle Schulleiter/innen bereit, an der Untersuchung teilzunehmen. Aus Res-
sourcengründen konnten jedoch leider nur drei ausgewählt werden. Auch gab es in zwei
Schulen entweder keine Kontrollklassen oder COOL wurde erst in der 1. Klasse umgesetzt.
So setzt sich die Stichprobe aus den Handelsakademien Steyr (COOL, COoperatives Offe-
9 Beim DES-Projekt handelt es sich um eine Interventionsstudie zum Thema „Demokratie in der Schu-
le“ aus den 90er Jahren. Für nähere Informationen seien die Leserin und der Leser auf bspw. Lind 2000a verwiesen.
10 So gaben in einer Online-Befragung 50 % der COOL-Lehrpersonen an, bereits an einem COOL-Akademielehrgang teilgenommen zu haben (vgl. Altrichter und Maderthaner 2007, S. 519f.).
Forschungsdesign – Methodologie einer quantitativen Untersuchung
51
nes Lernen) und Neumarkt am Wallersee (LIFE, Lernen In Freiheit und Eigenverantwor-
tung) sowie der Höheren Lehranstalt für wirtschaftliche Berufe Steyr (OLE, Offenes LEr-
nen) zusammen. Als Koordinationshilfe vor Ort standen mir dankenswerterweise Herr
Mag. Neuhauser, Frau Mag.a Birklbauer/Herr Dir. Mag. Derflinger und Frau Mag.a
Schöppl-Zillner beiseite. So gelang es Ende Jänner und Anfang Februar 2009 – jeweils in
der letzten Schulwoche vor Semesterferienbeginn – Stunden mit den Klassenlehrer/innen
auszuhandeln, in denen ich meine Untersuchung durchführen konnte. Bevor es jedoch zur
Befragung/Testung kam, wurde eine Vorlauftestung durchgeführt, dazu stellte mir Herr
Mag. Neuhauser „seine“ Handelsschulklassen zur Verfügung. Die Vorlauftestung und die
Rücksprache mit Ass.-Prof. Stangl zeigten, dass noch einige Modifikationen am Erhe-
bungsinstrument nötig waren. Zum einen war der Fragebogen noch etwas zu umfangreich
und zum anderen sprachlich zu schwer verständlich. Gemeinsam mit Frau Mag.a Birklbau-
er (HLW Steyr) und Frau Mag.a Hagmüller (HAK Steyr) sowie drei Schüler/innen der
1. Klasse der HAK Steyr wurde versucht, das sprachliche Niveau des „Moralisches Urteil-
Test“ auf ein für Schüler/innen gerechtes zu senken (siehe Anhang 21). Nachdem weiters
das Erhebungsinstrument um entbehrlich erscheinende Items gekürzt wurde und es ein
letztes Mal von Prof. Altrichter begutachtet wurde, wurde mit der Erhebung begonnen.
Wie die nachstehende Tab. 4 zeigt, wurden insgesamt 454 Schüler/innen befragt/getestet:
Tabelle 4: Stichprobe
COOL-Klassen NonCOOL-Klassen HLW Steyr teilgenommen abwesend teilgenommen abwesend1. Jahrgang 19 2 27 4 2. Jahrgang 22 0 22 2 3. Jahrgang 24 2 31 1 HAK Neumarkt/Wallersee 1. Jahrgang 22 4 28 4 2. Jahrgang 24 5 22 4 3. Jahrgang 21 4 16 0 5. Jahrgang11 17 3 19 1 HAK Steyr 1. Jahrgang 24 10 31 3 2. Jahrgang 28 7 17 6 3. Jahrgang 20 5 20 3 gesamt 221 (84 %) 42 233 (89 %) 28
11 In der HAK Neumarkt/Wallersee wurden auch die 5. Klassen mitgetestet. Deren Ergebnisse sind vor
allem dann interessant, wenn es um die Betrachtung der Variable „Alter“ (Kap. 9.4) geht.
Forschungsdesign – Methodologie einer quantitativen Untersuchung
52
In allen drei Schulen wurde der 1., 2. und 3. Jahrgang untersucht, damit in Jahresabständen
eine Posttestung im Rahmen einer eventuellen Längsschnittstudie stattfinden kann. Es war
Ziel der Untersuchung möglichst viele Proband/innen mit einzubeziehen, zumal sie auch
als Basiserhebung für eine mögliche Längsschnittstudie dienen soll. Lind verweist auf der
Homepage der Arbeitsgruppe Moral12 zudem darauf, dass für eine Cross-sectional Valida-
tion Study mindestens 160 Proband/innen nötig sind. Die Schulstufen sollten jeweils zwei
Jahre auseinander liegen. Nur unter diesen Bedingungen kann die maximale Größe in der
„wahren Varianz“ im C-Wert gewährleistet werden.
Nachdem diese Kriterien von Lind erfüllt waren, wurden die Schüler/innen aufgefordert
den Fragebogen (siehe Anhang 23) während des Unterrichts in den Klassen auszufüllen.
Die Termine der Testungen wurden so angelegt, dass sie nicht vor oder nach Schularbei-
ten, Tests etc. durchgeführt wurden, da dies eventuell die Ergebnisse verfälscht hätte. Wei-
ters war darauf Rücksicht zu nehmen, dass die Schüler/innen keinem zeitlichen Druck aus-
gesetzt wurden. Die Schüler/innen hatten, wie erwähnt, etwa 35 – 40 Minuten Zeit, da am
Anfang der Einheit etwas Zeit dazu verwendet wurde, um möglichst genaue Instruktionen
zu geben (über die Untersuchung an sich waren die Schüler/innen ja bereits mindestens
eine Woche zuvor durch eine Lehrperson, den Direktor oder durch mich informiert wor-
den). Insgesamt gab es nur sehr wenige Schüler-/innen, die nicht innerhalb der 40 Minuten
fertig wurden und keine, die über die Unterrichtseinheit hinaus arbeiten mussten. Während
der Bearbeitung des Fragebogens befand sich meist eine Lehrperson zusätzlich im Raum.
Folgende Abschnitte „mussten“ von den Probanden/innen bearbeitet werden13:
1. Moralisches Urteil-Test (Schülerversion): Bearbeitung zweier Dilemmata
2. Fragen zu sozialen Beziehungen in der Familie, im Freundeskreis und der Schule
3. Fragen zum Thema „Religion“
4. Fragen zur „sozialen Schicht“ (Bildungshintergrund und Beruf der Eltern)
5. Fragen zum Thema „COoperatives Offenes Lernen“
6. Biografische Fragen und Fragen zur schulischen Laufbahn
7. Unterschlagungsexperiment (Details dazu siehe Kap. 10.2)
Die Atmosphäre während der Bearbeitung war mit Ausnahme von einer Klasse sehr för-
derlich für die Untersuchung. So arbeiteten die Schüler/innen sehr konzentriert und stellten
12 http://www.uni-konstanz.de/ag-moral/mut/mjt-certification.htm 13 Bezüglich des Fragebogens siehe Anhang 23.
Forschungsdesign – Methodologie einer quantitativen Untersuchung
53
– wie aufgefordert – bei Unklarheiten Fragen. Nachdem die Schüler/innen die Untersu-
chungsbögen fertig bearbeitet hatten erfolgte – sofern es gewünscht wurde – eine genauere
Darstellung der Untersuchung bzw. des Forschungsdesigns. Ein Indiz für eine erfolgreiche
Durchführung der Untersuchung bzw. dafür, dass die Schüler/innen mit Engagement dabei
waren, ist nicht nur die bereits erwähnte, gute Atmosphäre, sondern auch der Applaus, den
ich in vielen Klassen am Stundenende erhielt.
Die abhängige Variable „moralische Urteilsfähigkeit“
54
7 Die abhängige Variable „moralische Urteilsfähigkeit“
Es folgt nun der empirische Teil dieser Arbeit. Wie versprochen werden in einem ersten
Schritt die abhängige Variable „MUT-Score“ und die unabhängige Variable
„COOL(-Konzept)“ dargestellt. Bei ersterem werden wir eine, wenn auch nicht neue, so
doch etwas andere Idee von dem was wir unter Moral bisher verstanden haben, kennen
lernen; gleichzeitig soll den Leser/innen gezeigt werden, wie man moralische Urteilsfähig-
keit messen kann, oder besser gesagt, welche Idee hinter der Messung moralischer Urteils-
fähigkeit steckt. Bei Betrachtung der zweiten Variable COOL soll der Leserin und dem
Leser auch deutlich werden, wie die moralische Urteilsfähigkeit durch die Institution Schu-
le konkret gefördert werden kann; gleichzeitig wird die Frage nach der besonderen Eig-
nung des COOL-Konzepts zur Förderung moralischer Urteilsfähigkeit im Rahmen einer
theoretischen Analyse beantwortet. Die Darstellung beider Variablen kann aber auch über-
haupt als Voraussetzung für die Überprüfung der diese Untersuchung leitende Forschungs-
frage angesehen werden. So wäre eine Überprüfung der Hypothese unmöglich, würde man
einerseits die moralische Urteilsfähigkeit nicht messen können bzw. sinnlos, wäre das
COOL-Konzept nicht im Besonderen dafür geeignet die moralische Urteilsfähigkeit zu
fördern.
Voraussetzung 1: Die Moralische Urteilsfähigkeit ist messbar.
In den bisherigen Ausführungen wurde zwar zu erläutern versucht, was unter dem Begriff
„Moral“ oder genauer unter dem Begriff „moralische Urteilsfähigkeit“ in der Wissenschaft
verstanden wird, jedoch die Frage „Wie kann man moralische Urteilsfähigkeit messen?“,
wurde bisher vernachlässigt. Die Beantwortung dieser Frage ist aber Voraussetzung, um
wiederum Antworten auf die Forschungsfrage dieser Arbeit finden zu können. In diesem
Abschnitt soll daher der Messbarkeitsaspekt dieser Fähigkeit behandelt werden. Da dies
eine sehr anspruchsvolle und umfangreiche, teils sehr tief in die Psychologie dringende
Aufgabe darstellt, kann hier nur versucht werden, die für diese Arbeit relevanten Kern-
punkte herauszuarbeiten. Der/die interessierte Leser/in sei daher für weiterführende Aussa-
gen zur Konstruktion des MUT auf „The Meaning and Measurement of Moral Judgment
Competence: A Dual-Aspect Model“ (Lind, 2004) verwiesen. Vorweg sei weiters noch
darauf hingewiesen, dass sich natürlich viele verschiedene Möglichkeiten der Messung der
moralischen Urteilsfähigkeit im Speziellen und der Moralität im Allgemeinen aus der Wis-
senschaft heraus entwickelt haben (vgl. Anhang 17). Im Anhang 18 wird zudem darge-
Die abhängige Variable „moralische Urteilsfähigkeit“
55
stellt, weshalb die Wahl auf den Moralisches Urteil-Test von Lind fiel. Wenden wir uns
nun dem Messbarkeitsaspekt zu.
Mit der häufig strapazierten Frage: „Misst der Test auch das, was er vorgibt zu messen?“
(Messick 1994 frei übersetzt nach Lind 2004, S. 28) wird nach der Validität (Gültigkeit)
eines Messinstrumentes gefragt. Hierzu kann der MUT mit einigen Forschungsergebnissen
aufwarten (siehe u.a. dazu Lind 2000b). Wichtiger als diese technischen Daten erscheint
für uns aber die Frage: Wie misst man die moralische Urteilsfähigkeit bei Jugendlichen?
Um diese Frage zu beantworten, unterteile ich sie in zwei Unterfragen – in die Frage nach
der Validität 1 Ordnung: Kann man mit dem MUT moralische Urteilsfähigkeit messen?
Wenn ja, wie bzw. welches Konzept steckt dahinter? Und nach der Validität 2 Ordnung:
Ist der MUT für die Untersuchungsgruppe – Schüler/innen der HLW und HAK – geeignet?
7.1 Validität 1: Wie misst der MUT moralische Urteilsfähigkeit?
7.1.1 Intentionen und Grundgedanken des MUT
Nach Lind ist eine Person unter anderem dann moralisch, wenn sie es versteht, Konflikte
nicht gewaltsam durch Kampf zu lösen, sondern durch Kopf. Daher reserviert Lind die
moralische Urteilsfähigkeit für Personen, die „offenbar eine Fähigkeit besitzen, die andere
nicht besitzen, nämlich die Fähigkeit, ihr Verhalten durch Vernunft und Überlegung leiten
zu lassen, statt bloß von Intuition und Gewohnheit. Diese Fähigkeit schätzen wir vor allem
deshalb, weil bei Meinungskonflikten nur durch sie eine vernünftige, diskursive, gewalt-
freie Einigung ermöglicht wird.“ (Lind 2000a, S. 90)
Einen sehr ähnlichen Zugang zur „Definition“ moralsicher Menschen lässt sich bei Kant
(Die Kritik der praktischen Vernunft 1787; siehe bspw. Höffe 1983, S. 173f.), Neuweg
(1997) und Lempert (1988, S. 19) finden.14 Es braucht an dieser Stelle wohl nicht weiter
ausgeführt werden, worin diese Wissenschafter ihre Legitimation für eine derartige Defini-
tion von Moral finden. Es sei mit Neuweg nur beispielhaft angeführt, wozu kopfloser
Glaube oder auch kopflose Moralität in der Geschichte geführt hat: „Es ist (Änd. d. Verf.)
14 Bei allen, vor allem aber bei Neuweg, steht die Erziehung zum kritischen Rationalisten im Sinne eines
Menschen, der „persönliche Weltanschauung im Prozess der Wertentscheidung erst dort greifen [lässt], wo Empirie und Logik mit ihren Mitteln tatsächlich am Ende sind“ (Neuweg 1997, S. 202) im Vordergrund.
Die abhängige Variable „moralische Urteilsfähigkeit“
56
ins Bewusstsein zu rufen, dass mittelalterliche Hexenverfolgung und die französische Re-
volution, die kommunistische Bewegung und der Nationalsozialismus, (Fußnote d. Verf.
entfernt) der Terror von links und von rechts allesamt von Wertebewusstsein und Idealis-
mus getragen waren und sind.“ (Neuweg 1997, S. 209)
Wie versucht nun Lind zu messen, ob eine Person sich in Konfliktsituationen seines Köpf-
chens bedient, sich durch seinen Verstandes und seine Vernunft (Kant, 178415) leiten lässt
bzw. sich an Brückenprinzipien (Neuweg 1997, S. 202) orientiert, oder ob doch die „un-
moralische Macht“ von Gewohnheit und Intuition Oberhand über die Person gewinnt? Um
diese Frage zu beantworten, muss ein genauerer Blick hinter die Konstruktion bzw. das
Konzept des MUT geworfen werden.
Der MUT besteht aus zwei Dilemma-Geschichten, dem Arbeiter-Dilemma und dem Arzt-
dilemma, in denen der Protagonist eine Entscheidung fällt und nach dieser handelt (siehe
dazu den Dilemma-Teil des Fragebogens im Anhang 23). Nachdem die Testperson das
jeweilige Dilemma gelesen hat, wird es aufgefordert das Verhalten des Protagonisten als
richtig oder falsch einzustufen. Danach wird der/die Proband/in mit je sechs Argumenten
für und gegen die Handlung des Protagonisten konfrontiert und aufgefordert auf einer Li-
kert-Skala jedes Argument zu beurteilen. Insgesamt sind also 24 Argumente zu bewerten.
Den sechs Argumenten liegen jeweils die sechs in Kap. 2.4.2 erläuterten Kohlbergstufen
zugrunde. Durch Ausfüllen des MUT bzw. Setzen der Kreuze wird ersichtlich, welche
Kohlbergstufen die Probandin oder der Proband bevorzugt. Eine Bevorzugung hoher und
somit wünschenswerterer Kohlbergstufen gibt jedoch noch nicht Aufschluss über die Höhe
der moralische Urteilsfähigkeit einer Person (auch wenn sie positiv mit ihr korreliert, vgl.
Lind 2004, S. 29). Denn die Bevorzugung bestimmter moralischer Prinzipien – wie sie die
Kohlbergstufen verkörpern –, ist nach Lind noch keine Fähigkeit, die als moralische Ur-
teilsfähigkeit bezeichnet werden könnte (vgl. Zitat auf der Folgeseite). Als Beispiel führt
Lind (2004, S. 18) den Mordanschlag eines militanten Abtreibungsgegner auf den ameri-
kanischen Abtreibungsarzt George Tiller an. Womöglich präferierte der Mörder das Prin-
zip „Recht auf Leben“ (der Ungeborenen), missachtete dieses aber zugleich in jenem Zeit-
15 Kant ist der Auffassung, dass die Natur dem Menschen (im Unterschied zum Tier) die Vernunft mit
auf dem Weg gegeben hat. Diese vernünftige Naturanlage ist dazu bestimmt, „sich einmal vollständig und zweckmäßig auszuwickeln.“ (Kant 1964/1784, S. 6) „Die Vernunft in einem Geschöpfe ist ein Vermögen, die Regeln und Absichten des Gebrauchs aller seiner Kräfte weit über den Naturinstinkt zu erweitern, und kennt keine Grenzen ihrer Entwürfe. Sie wirkt aber selbst nicht instinktmäßig, sondern bedarf Versuche, Übung und Unterricht, um von einer Stufe der Einsicht zur andern allmählich fortzu-schreiten.“ (Kant 1964/1784, S. 7)
Die abhängige Variable „moralische Urteilsfähigkeit“
57
punkt in dem er den Arzt erschoss.16 Das Beispiel soll zeigen, weshalb die Präferenz be-
stimmter moralischer Prinzipien alleine nicht reicht, um das Prädikat „moralisch urteilsfä-
hig“ zugesprochen zu bekommen. Diesen Aspekt der Bevorzugung nennt Lind auch den
affektiven Aspekt, weil dieser unsere Ideale, Einstellungen und Motive ausdrückt (vgl. Lind
2000a, S. 15), also etwas, dass ohne Köpfchen, ja aus dem Bauch, durch Intuition und Ge-
wohnheit präferiert/beurteilt werden kann. Hingegen: „Für den kognitiven Aspekt allein
reservieren wir den Begriff der moralischen Urteilsfähigkeit, da es wohl ohne Anstrengung
oder Erfahrung möglich ist, hohe Stufen des moralischen Urteilens zu präferieren oder zu
benutzen (weshalb der affektive Aspekt keine Fähigkeit darstellt), aber wohl nicht, sich
konsistent an moralischen Prinzipien zu orientieren.“ (Lind 2000a, S. 90, Herv. i. Orig.)
Hier ist bereits ein erster Hinweis, was Lind unter dem Einsatz von „Köpfchen“ in Kon-
fliktsituationen meint: Eine moralisch urteilsfähige, eine von Vernunft und nicht von Intui-
tion geleitete Person orientiert sich eben auch konsistent, d.h. widerspruchsfrei an den von
ihr präferierten moralischen Prinzipien. Unser Abtreibungsgegner hat genau gegen diese
Konsistenz verstoßen, weshalb seine moralische Urteilsfähigkeit alleine schon aus diesem
Grund als niedrig bewertet werden würde.
Beim MUT „wird die oder der Befragte mit mehreren (im Standard-MUT mit zwei) Di-
lemmas konfrontiert. Hierdurch kann festgestellt werden, ob eine Person moralisch konsi-
stent urteilt, das heißt immer wieder die Argumente einer bestimmten Stufe gebraucht oder
akzeptiert, um ihre Meinung zu begründen bzw. abzustützen.“ (Lind 2000a, S. 90)
Lind räumt jedoch ein, dass diese Konsistenz auch Ausdruck von „Gewohnheit, Habitus,
Rigidität oder ähnlichem“ sein kann (vgl. Lind 2000a, S. 91). Deshalb muss nach Lind
noch eine zweite Bedingung erfüllt sein, damit von einer kognitiven Fähigkeit und somit
von einer moralisch urteilsfähigen Person gesprochen werden kann, die Konfliktsituationen
mit Köpfchen und nicht mit Kampf zu bewältigen vermag:
„Damit sich beim Bearbeiten des MUT auch die Fähigkeit zum moralischen Urteilen er-
weisen kann, wird bei diesem Messverfahren die befragte Person mit Argumenten konfron-
tiert, die zu ihrer eigenen Meinung konträr sind, d.h. die ihrer Meinung widersprechen.
16 Nach dem Grundgedanken des Utilitarismus – „größtes Glück für die größte Zahl“ – wäre dies immer
noch moralisch, da „Opfer im Interesse des Ganzen ,legitim’ sind“ (vgl. Oser & Althof 1997, S. 428). Nicht so aber nach Lind, bei dem Gerechtigkeit, Gleichheit und menschliche Würde des Einzelnen im Vordergrund stehen.
Die abhängige Variable „moralische Urteilsfähigkeit“
58
Wenn eine Person eine moralische Position akzeptiert oder übernimmt, die ihrer eigenen
vorgefassten Meinung widerspricht, und diese Meinung im Lichte dieser Position neu be-
wertet und möglicherweise sogar revidiert, so hat sie zumeist unsere persönliche Hoch-
schätzung.“ (Lind 2000a, S. 90f.) Die Begründ dafür liefert der Philosoph Wellmer (1986),
der meinte, dass die Art, in der eine Person zu Gegenargumenten steht, ein Zeichen dafür
ist, inwiefern sich diese Person von Vernunft leiten lässt (vgl. Lind 2000a, S. 91) Zudem:
„Es entspricht offenbar unserer allgemeinen Erfahrung, dass Menschen gewöhnlich dazu
tendieren, an ihrer vorgefassten Meinung festzuhalten und möglichst viele Gründe dafür
suchen, ein solches Beharren zu rechtfertigen, dass sie nur selten fähig sind, sich mit Ein-
wänden auseinanderzusetzen, die ihre Meinung in Frage stellen, und noch weniger in der
Lage sind, sich von einer Gegenmeinung überzeugen zu lassen.“ (Lind 2000a, S. 91)
Beim erwähnten Abtreibungsgegner hätte das geheißen, dass er zum einen – wie erwähnt –
sich konsistent, ohne Widerspruch, am Prinzip „Recht auf Leben“ orientiert und sich somit
auch der Erhaltung des Lebens des Abtreibungsarztes verpflichtet fühlt, und zum anderen
er fähig wäre, die Gegenposition des Arztes zu akzeptieren und gegebenenfalls aufzuneh-
men und gegen seine Meinung auszutauschen, sofern sich die Argumente des Arztes als
die besseren, qualitativ hochwertigeren (etwa im Sinne der Kohlbergstufen) erweisen. Dies
würde jedoch die Fähigkeit und Bereitschaft zur Diskursaufnahme voraussetzen.17
Es kann immerhin zusammengefasst werden, dass der MUT zu messen versucht, inwiefern
eine Person
1. ihre Meinung konsistent an moralischen Prinzipien orientiert und
2. fähig ist, Gegenargumente, die der eigenen Meinung widersprechen, zu akzeptieren
und aufzunehmen.
7.1.2 Der C-Wert basierend auf dem Dual-Aspekt-Modell
„Im Unterschied zu gewöhnlichen Leistungstests, bei denen die Richtigkeit der Lösung
zumeist aufgrund objektiver Merkmale von außen festgelegt werden kann, haben wir es bei
moralischen Dilemmas mit Aufgaben zu tun, für die es keine ,objektive’, von außen fest-
17 Hier stellt sich zumindest für mich die Frage, ob der MUT ein geeignetes Messinstrument darstellt, um
eine derartige Bereitschaft zu messen (vgl. auch Kap. 10).
Die abhängige Variable „moralische Urteilsfähigkeit“
59
legbare Lösung gibt.“ (Pittel & Mendelsohn zit. nach Lind 2000a, S. 86, Herv. i. Orig.)
Dieser Tatsache zufolge hat Kohlberg (1971) klargestellt, dass die moralische Urteilsfä-
higkeit nicht an einer gewählten Entscheidung für oder gegen eine Handlung in einem Di-
lemma gemessen werden kann, sondern nur an der Qualität der gegebenen Argumente (vgl.
Lind 2000a, S. 86).
1. Das 2-Aspekte-Modell
Auch der MUT entspricht mit der Messung des affektiven und kognitiven Aspekts Kohl-
bergs Forderung. Das 2-Aspekte-Modell versucht, diese beiden Komponenten zu vereinen,
es geht davon aus, dass Affekt und Kognition zwei, zwar unterscheidbare, aber nicht trenn-
bare Aspekte des Verhaltens sind (vgl. Lind 2000a, S. 38).
Zusammenfassend können wir also festhalten: Während der affektive Aspekt durch die
individuellen, inneren moralischen Einstellungen, Prinzipien an denen der einzelne sein
Urteilsverhalten ausrichtet zum Ausdruck kommt, ist der kognitive Aspekt durch die Kon-
sistenz des Verhaltens in Bezug auf diese Prinzipien determiniert (vgl. Lind 2000a, S. 89).
„Wenn sich eine Person bei der Beurteilung von Argumenten konsistent an der morali-
schen Qualität dieser Argumente orientiert, dann sagen wir, sie zeigt eine hohe moralische
Urteilsfähigkeit. Wenn sie sich stattdessen bei der Bewertung von vorgetragenen Argu-
menten konsistent an der Übereinstimmung dieser Argumente mit ihrer eigenen (vorge-
fassten) Meinung orientiert, dann erricht sie nur einen niedrigen Urteilsfähigkeitwert im
MUT.“ (Lind 2000a, S. 90, Herv. i. Orig.)
2. Ein 3-faktorielles Design
Der MUT ist als Fragebogen so konstruiert, dass er drei Faktorenkombinationen – an de-
nen sich einzelne Personen bei Dilemma-Entscheidungen orientieren – im Rahmen einer
multivariaten Varianzanalyse, „misst“:
1. „An der moralischen Qualität der vorgegebenen Argumente, die verschiedenen mo-
ralischen Orientierung oder Stufen im Sinne Kohlbergs repräsentierten (…),
2. An der Übereinstimmung oder Nicht-Übereinstimmung der vorgegebenen Argumente
mit der Meinung des Probanden (…)
3. An dem situativen Kontext der Argumentation“. (Lind 2000a, S. 95, Herv. i. Orig.)
Die abhängige Variable „moralische Urteilsfähigkeit“
60
Diese drei unabhängigen Variablen stellen im MUT ein 3-faktorielles (6 x 2 x 2) Design
dar. Der erste Faktor hat sechs Ausprägungen, nämlich die sechs Kohlbergstufen. Der
Zweite zwei (Pro- und Contra-Argumente) und der Dritte ebenfalls zwei (Diebstahl- und
Sterbehilfe-Dilemma) (vgl. Lind 2000a, S. 95). Die abhängige Variable bildet die „subjek-
tive Beurteilung der Akzeptabilität der vorgegebenen Argumente auf einer Bewertungs-
Skala, die gewöhnlich von - 4 bis + 4 reicht.“(Lind 2000a, S. 95)
3. Das Urteilsmuster
Das gesamte Urteilsmuster einer Person gibt sodann Auskunft über den affektiven und
kognitiven Aspekt moralischer Urteilsfähigkeit. Der affektive Aspekt, d.h. die innere Ein-
stellung der Person wird „in klassischer Weise durch Summierung der Einzelurteile der
befragten Person“ (Lind 2000a, S. 96) gemessen. Der kognitive Aspekt hingegen kann
durch mehrere eng miteinander verbundene Maße gebildet werden. Lind verweist jedoch
darauf, dass das am häufigsten verwendete Maß „der Grad der Determination des Urteils-
verhaltens einer Person durch moralische Überlegungen (…) ist. Der C-Wert ist definiert
als der Anteil der Varianz des Faktors Stufe an der Varianz des gesamten individuellen
Urteilsmusters (multipliziert mit 100). Der so ermittelte Messwert (C-Wert) hat ein Mini-
mum von 0 (dieser Wert bedeutet, dass die befragte Person sich beim Beurteilen von Ar-
gumenten überhaupt nicht an den moralischen Prinzipien orientierte) und ein Maximum
von 100 (dieser Wert bedeutet, dass die oder der Befragte sich ausschließlich an morali-
schen Gesichtspunkten orientiert).“ (Lind 2000a, S. 96, Herv. i. Orig.) Mit Hilfe der Quad-
ratsummenzerlegung wird berücksichtigt, dass eine Person dann über eine höhere morali-
sche Urteilsfähigkeit verfügt, wenn das Urteil unabhängig vom Dilemmatypen ist.18
Soweit die Theorie. Wenden wir uns nun der Frage zu, ob dieser international standardi-
sierte Test (vgl. Lind 2004) auch für die getestete Zielgruppe geeignet ist.
18 Statistisch gesehen misst der MUT diese Fähigkeit, indem er eine multivariate Varianzkomponenten-
zerlegung (VKZ) durchführt (vgl. Lind 2000c, 1985, S. 82ff.). Aus Platzgründen wird in dieser Arbeit nicht auf die Berechnung des MUT-Scores bzw. C-Wertes eingegangen.
Die abhängige Variable „moralische Urteilsfähigkeit“
61
7.2 Validität 2: Ist der MUT für die Untersuchungsgruppe geeignet?
Lind schreibt, dass der MUT für Jugendliche ab dem 10. Lebensjahr eingesetzt werden
kann (vgl. Lind 2009d). Die Originalversion des MUT aus dem Jahr 1977 führte jedoch in
der Vorlauftestung bei Schüler/innen der Handelsschule, wie auch der Handelsakademie zu
einigen Verständnisschwierigkeiten; auch Hettinger (2009, S. 50) verweist darauf, dass die
Standardversion für den Einsatz bei Schüler/innen etwas schwer verständlich ist. Sowohl
die Dilemmata als auch die Pro- und Contra-Argumente enthielten teilweise Fremdwörter
sowie für die Schüler/innen unverständliche Textpassagen. Gemeinsam mit drei Schü-
ler/innen und zwei Lehrerinnen der Schulen wurde versucht, derartige verstehensschwieri-
ge Stellen zu identifizieren und in eine für die Schüler/innen gebräuchlichere Sprache zu
transformieren. Dabei wurde jedoch darauf geachtet, dass der Sinn bzw. die Kohlbergstufe
nicht verändert wurde. Im Anhang 21 sind die Änderungen tabellarisch dargestellt. Im Fol-
genden wird daher nicht mehr vom MUT die Rede sein, sonder vom MUT/s, wobei das s
für „Schülerversion“ steht.
Um zu überprüfen, ob diese Veränderungen die Testergebnisse auch nicht verfälschen,
wurde eine Validitätsprüfung nach Lind (2004, S. 28ff.) durchgeführt. Hierzu wurden die
Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung auf folgende fünf empirische Kriterien unter-
sucht, die in mehreren von Lind durchgeführten Studien zum MUT empirisch vorgefunden
wurden (vgl. Lind 2004, S. 29f.):
1. Präferenzhierarchie: “Moral reasoning on high Kohlbergian stages is preferred over
reasoning on lower stages.” (Lind 2004, S. 29) Die Abbildung 3 zeigt deutlich, dass in der
untersuchten Stichprobe (N=454) die höheren Kohlbergstufen im Durchschnitt (gemessen
an den Mittelwerten) deutlich präferiert wurden. Ein Vergleich mit den Ergebnissen von
Lind (2000a, S. 119; Abbildung 4) zeigt sogar eine Übereinstimmung hinsichtlich der Be-
vorzugung der eher egozentrischen19 Argumente der präkonventionellen, konventionellen
und postkonventionellen Ebene.
19 Mit „egozentrisch“ sind hier die Stufen 1, 3 und 5 gemeint, in denen eine Person bei ihrer Argumenta-
tion in moralischen Konflikten (noch) nicht fähig ist, „in eine vollständige Sozialperspektive einzutau-chen“ (vgl. Kohlberg 1995, S. 139ff.). So würde eine Person, die auf Stufe 2 argumentiert, eine „voll-ständige“ Sozialperspektive der präkonventionellen Ebene einnehmen, da sie sich nicht nur egoistisch an Strafe und Belohnung orientiert, sondern gemäß dem Motto „eine Hand wäscht die andere“ auch die Perspektive einer zweiten Person in die Argumentation aufnimmt.
Die abhängige Variable „moralische Urteilsfähigkeit“
62
Validitätskriterium 1: Beurteilung der Argumente gereiht nach den Kohlbergstufen (Mittelwerte)
0,24
-0,15
0,54 0,54
1,170,85
-1,0
-0,5
0,0
0,5
1,0
1,5
2,0
1 2 3 4 5 6
Kohlbergstufen
Like
rt-Sk
ala
Abbildung 3: Präferenzhierarchie
Abbildung 4: Moralische Orientierung (MUT) in Abhängigkeit vom Alter. Repräsentativerhebung (alte Bundesländer) von EMNID 1990; N = 780 (aus Lind 2000a, S. 119)
2. Quasi-Simplex-Struktur: “The correlation between the preferences of neighboring stages
(like four and five) should be higher than the correlation between more distant stages like
four and six.” (Kohlberg, 1958, S. 82-84 zit. nach Lind 2004, S. 29) Abbildung 5 soll dies
auch für meine Stichprobe veranschaulichen: Die dunkle Linie spiegelt die Korrelation
zwischen der durchschnittlichen Präferenz (Mittelwerte) für die Kohlbergstufe 1 (A) und
der durchschnittlichen Präferenz für die jeweils anderen Stufen (B). Die Kurve zeigt nach
unten, d.h. je weiter sich die Stufe B (2 - 6) von der Kohlbergstufe 1 (A) entfernt, desto
Die abhängige Variable „moralische Urteilsfähigkeit“
63
schwächer ist die Korrelation. Dasselbe „Spiel“ zeigt die helle Linie. Hier werden die Kor-
relationen der durchschnittlichen Präferenzen für die Stufen 1 – 5 (B) zur durchschnittli-
chen Präferenz der Kohlbergstufe 6 (A) dargestellt. Dasselbe Korrelationsmuster findest
sich auch bei Lind (2000c, S. 91): „Die Korrelationen zwischen benachbarten Stufen sind
durchweg die höchsten.“
Validitätskriterium 2: Korrelationen zwischen präferierten Kohlbergstufen
0
0,1
0,2
0,3
0,4
0,5
1 2 3 4 5 6
Kohlbergstufen
Kor
rela
tion Korrelation der
Kohlbergstufe 1mit den anderenStufenKorrelation derKohlbergstufe 6mit den anderenStufen
Abbildung 5: Quasi-Simplex-Struktur
3. Kognitiver und affektiver Aspekt verlaufen parallel: “The higher a participant’s moral
judgment competence is, the more clearly does he or she accept higher stage arguments
and rejects lower stage arguments. (…) We expect high negative correlations between the
C-score on the one hand, and attitudes scores for stages 1 and 2, on the other, and moderate
correlations between C and attitudes to stages 3 und 4, and substantial positive correlations
between C and attitudes to stages 5 and 6.” (Lind 2004, S. 29f.)
Die abhängige Variable „moralische Urteilsfähigkeit“
64
Validitätskriterium 3: Korrelationen zwischen der Höhe des C-Werts (MUT) und
den Präferenzen für die Kohlbergstufen
-0,40-0,30-0,20-0,100,000,100,200,300,40
1 2 3 4 5 6
Kohlbergstufen
Kor
rela
tion
Abbildung 6: Kognitiver und affektiver Aspekt verlaufen parallel
Zu sehr ähnlichen Korrelationen kommt Lind (2008c) bei der Validitätsstudie für die ru-
mänische Version des MUT. So liegen die Korrelationen der Stufen 5 und 6 ebenfalls um
0,3 und die der Stufen 1 und 2 ebenfalls bei etwa -0,3. Auch die Differenzierung zwischen
präkonventioneller, konventioneller und postkonventioneller Ebene wird hier sehr gut
sichtbar; beide Stufen liegen jeweils sehr nahe beieinander. Im Klartext heißt das, dass
über alle Proband/innen hinweg, ein hoher C-Wert (kognitiver Aspekt) mit einer niedrigen
Präferenz für niedrige Stufen und einer hohen Präferenz für hohe Stufen einhergeht.
4. Argumente-Äquivalenz: “Pro and con arguments are equivalent: Indeed, the profile of
preferences for pro arguments by the pro subjects was almost identical with the preferences
of con arguments by con subjects.” (Lind 2004, S. 30, Herv. i. Orig.) Dieses Validitätskri-
terium konnte in der Stichprobe nur bedingt wieder gefunden werden. Betrachtet man die
Präferenzen der Pro- und Con-Argumente über die beiden Dilemmata hinweg, so weichen
nur die Stufen 2 und 4 ab, die anderen Mittelwerte sind annähernd identisch. Bei Betrach-
tung der einzelnen Dilemmata separat sind die Abweichungen jedoch noch stärker, wes-
halb hier dieses Validitätskriterium nicht erfüllt ist.
Die abhängige Variable „moralische Urteilsfähigkeit“
65
Validitätskriterium 4: Pro- und Con-Profile sind ähnlich
0
0,5
1
1,5
2
2,5
1 2 3 4 5 6
Kohlbergstufen
Like
rt-S
kala durchschnittliche
Präferenz der "Pro-Probanden" bei denPro-ArgumentendurchschnittlichePräferenz der "Con-Probanden" bei denCon-Argumenten
Abbildung 7: Argumente-Äquivalenz
5. Das Primat der Messung von Kompetenz: “The MJT is a difficult moral task and, hence,
the C-index is an index of moral competencies (rather than of moral attitudes).” (Lind
2004, S. 30, Herv. i. Orig.) Um dieses Validitätskriterium nachzuweisen, wäre eine eigene
Untersuchung, wie sie Emler, Renwick & Malone (1983) gemacht haben nötig. Die Unter-
suchung von Emler, Renwick & Malone bestätigte, dass der MUT bzw. der C-Index eine
Kompetenz und keine Einstellung misst. Eine Einstellung, wie sie der DIT (Rest 1979)
misst, wäre nach oben simulierbar, ein Kompetenztest ist es nicht. Emler, Renwick & Ma-
lone fanden mit ihrer Experimentalstudie heraus, dass auch der C-Wert nicht nach oben
simulierbar ist. Dieses Validitätskriterium können wir daher auch für unsere Stichprobe als
gültig ansehen.
Dieser kleine „Validitäts-Check“ mit Verweis auf sehr ähnliche Befunde, die Lind mit dem
MUT machte, sollte Antwort auf die zweite, der eingangs gestellten Fragen geben. Auch
wenn Validitätskriterium 4 nur bedingt in der Stichprobe zum Vorschein kommt – in der
aktuellen Liste von Lind (2007b) scheint es ohnehin nicht mehr als Kriterium auf –, so
können wir die Ergebnisse unserer Studie dennoch als valide bezeichnen.
Nun, da wir wissen, was und wie der MUT misst und, dass er bzw. die angelehnte Testver-
sion MUT/s auch auf die untersuchte Gruppe anwendbar ist, können wir die 1. Vorausset-
zung „die moralische Urteilsfähigkeit ist messbar“ für die Beantwortung der Forschungs-
frage als erfüllt ansehen. Zudem sollte all jene etwas Skepsis genommen worden sein, die
berechtigter Weise daran zweifeln, dass so etwas wie Moral mit einem Papier-Beilstift-
Die abhängige Variable „moralische Urteilsfähigkeit“
66
Test gemessen werden kann. Aber dazu: Kap. 11 „Rückblick und Ausblick – eine kritische
Reflexion“.
Die unabhängige Variable „COOL“
67
8 Die unabhängige Variable „COOL“
Voraussetzung 2: COOL ist geeignet um die moralische Urteilsfähigkeit zu fördern.
Halten wir uns die Forschungsfrage dieser Arbeit vor Augen: „Welchen Beitrag kann
COOL zur Förderung der moralischen Urteilsfähigkeit leisten?“ Bzw. in weiterer Folge:
„Welchen Beitrag leistet COOL tatsächlich?“ Wer eine derartige Forschungsfrage stellt
muss einen zweiten Aspekt berücksichtigen: COoperatives Offenes Lernen (COOL, Life,
OLE u.ä.) bzw. das Konzept, das dahinter steckt, muss zur Förderung der moralische Ur-
teilsfähigkeit „besonders geeignet“ sein. Dieser zweite Aspekt wird im Folgenden näher
beleuchtet, nämlich dann, wenn es darum geht, COOL als Einflussvariable auf die morali-
sche Urteilsfähigkeit darzustellen.
8.1 Moralerziehung im Unterricht – Eine theoriegeleitete Diskussion
Viele Wissenschafter angeführt von Lawrence Kohlberg im angloamerikanischen Sprach-
raum sowie dessen Schüler Georg Lind und Fritz Oser im deutschsprachigen Raum, vertre-
ten die Auffassung, dass die moralische Urteilsfähigkeit besonders durch demokratischen
Unterricht gefördert werden kann (vgl. Leming 1986, S. 245ff.; Oser & Althof 1997,
S. 448). Auch Lind stütz sich, wie in Kapitel 6.6.1 gezeigt wurde, auf die Bildungstheorie
bzw. den diskurspädagogischen Ansatz zur Werterziehung, die den eben erwähnten Zu-
sammenhang nahe legt.
Die Frage nach der besonderen Eignung von COOL zur Förderung moralischer Urteilsfä-
higkeit wird nun in zwei „Varianten“ zu beantworten versucht:
1. Durch eine Gegenüberstellung des COOL-Konzeptes zum JC-Ansatz und
2. durch eine Gegenüberstellung der COOL-Prinzipien (vgl. Dalton-Prinzipien) zu den
soziobiografischen Dimensionen nach Lempert, die der moralischen Urteilsfähigkeit
besonders förderlich sein sollen.
Die unabhängige Variable „COOL“
68
Begonnen wird damit, den Just-community Ansatz darzustellen. Es wird auf dessen Ent-
stehungsgeschichte eingegangen, um dann die Prinzipien und Bestandteile von denen die-
ser Ansatz getragen wird, zu erläutern. Der Leserin und dem Leser werden, bei späterer
Gegenüberstellung mit COOL, einige Parallelen deutlich. Steigen wir also ein mit der Fra-
ge: Wie sieht eine demokratische Schule im Sinne des Just-community Ansatzes nach
Kohlberg und der Gerechten Schulgemeinschaft nach Oser & Althof und Lind aus?
8.1.1 Eine erste Gegenüberstellung: Just-community Ansatz und COOL
8.1.1.1 Der Just-community Ansatz
„Von der Dilemmadiskussion zur JC“ oder „vom Individual- zum Kollektivansatz“
1966, einige Jahre nach der Veröffentlichung seiner Dissertation, forderte Kohlberg in sei-
nem Artikel „Moral education in the schools: A develompental view“ erstmals, dass Schü-
ler/innen im Unterricht moralischen Konflikten und Problemen ausgesetzt werden sollten
(vgl. Leming 1986, S. 246). Wichtig für Kohlberg war damals auch, dass die Schüler/innen
mit moralisch-kognitiven Elementen konfrontiert werden, die sich auf genau einer höheren
Stufe befanden, also die Schülerin oder der Schüler selbst. Nur so könnte eine optimale
kognitive Entwicklung bzw. Stimulierung der Lernenden geschehen. Hinter dieser An-
nahme steckt – wie in Kap. 2.4.1 gezeigt wurde – nichts anderes als eine kognitive Ent-
wicklungstheorie. Diese „geht von der Annahme aus, dass die Interaktion mit der Umwelt
– verstanden als ‚a dialogue between the child’s cognitive structures and the structures of
environments’(1981b, S. 57) – zur Ausbildung kognitiver Stufen führt.“ (Herzig 1998,
S. 54, Herv. i. Orig.; bzw. Kohlberg 1974, S. 9 sowie grundlegend Piaget bspw. 1976) Mit
diesem Stufenmodell ist hier ein Entwicklungsniveau gemeint, das sich qualitativ von ei-
nem früheren Niveau und einem nachfolgendem, anzustrebenden Niveau unterscheidet.
Wird nun ein Individuum mit einer nächsthöheren Stufe konfrontiert, so entsteht eine kog-
nitive Dissonanz, welche das Individuum zu überwinden versucht, um das Äquilibrirum zu
erreichen (vgl. Kohlberg 1974, S. 9). Diese, aus der rein kognitiven Entwicklung stam-
mende Erkenntnisse von Piaget übernimmt Kohlberg für die Moralentwicklung.
„Moralische Situationen sind dadurch gekennzeichnet, dass in ihnen konfligierende An-
sprüche und Interessen verschiedener Individuen aufeinander treffen (…) Solche Situatio-
nen bzw. die mit ihnen verbundenen Konflikte können durch verschiedene Formen der
Die unabhängige Variable „COOL“
69
Rollenübernahme gelöst werden. Jede Lösung repräsentiert bestimmte Strukturen der mo-
ralischen Entscheidung und Beurteilung, die die Stufen der moralischen Entwicklung defi-
nieren.“ (Kohlberg zit. nach Herzig 1998, S. 70)
Demnach müssen Situationen geschaffen werden, in denen derartige Interessenskonflikte
sichtbar sind, die (nur) durch Rollenübernahme auf einer Stufe/Struktur, die eine über der
eigenen liegt, gelöst werden können. Nur so kann kognitive Dissonanz erfahren werden. In
anderen Worten: „Die hierarchische Struktur der Stufen und das Muster ihrer aktuellen
Verwendung lassen den für die Entwicklung notwendigen kognitiven Konflikt nur dann zu,
wenn das Individuum mit Denkstrukturen auf der nächsthöheren Stufe konfrontiert wird.“
(Herzig 1998, S. 71)
1969 wurde von Moshe Blatt Kohlbergs Hypothese, wonach – wie bereits erläutert – durch
Diskussionen über hypothetische moralische Konflikte/Probleme die Entwicklung der Mo-
ral gefördert würde, bestätigt. Der Blatt Effekt war geboren. In den Folgejahren bestätigte
eine Vielzahl von Studien diesen Effekt (vgl. Leming 1986, S. 247). Leming führt folgende
drei Voraussetzungen der Moraldiskussion an, damit Individuen die nächst höhere Kohl-
bergstufe erreich können: „(1) exposure to situations posing problems and contributions for
child’s current moral structure; (2) exposure to next highest stage; and (3) an atmosphere
of openness and exchange.” (Leming 1986, S. 247)
Sofern diese Voraussetzungen gewährleistet sind und Schüler/innen wöchentlich (über ein
halbes Jahr hinweg) mit einem Dilemma konfrontiert werden, so wird gemäß empirischer
Forschung erwartet, dass sich eine Veränderung/Erhöhung in der Kohlbergstufe der Schü-
ler/innen einstellt, während dies in der Kontrollgruppe nicht der Fall sein sollte (vgl. Le-
ming 1986, S. 247).
Lind ist wohl einer der renommiertesten Wissenschafter, die sich nach wie vor mit der Di-
lemmadiskussion beschäftigen. Auch er versucht, wie Kohlberg, durch Dilemmadiskussio-
nen die moralische Urteilsfähigkeit der Schüler/innen zu fördern. Jedoch mit einigen klei-
nen Unterschieden. So weicht er einerseits von der Plus-Eins-Theorie ab, da der Psycholo-
ge Lawrence Walker zeigen konnte, „dass die Auseinandersetzung mit Gegenargumenten
ebenso wirksam sein kann wie die Konfrontation mit Argumenten auf einer Stufe über der
eigenen (die so genannte ,plus-1-Konvention’)“ (Lind 2009e, Herv. i. Orig.) und anderer-
seits berichtet Lind bereits bei einmaliger KMDD-Sitzung über signifikante Zuwächse des
Die unabhängige Variable „COOL“
70
C-Wertes bei den Diskussionsteilnehmer/innen (vgl. ebd.). Auf die Konstanzer Methode
der Dilemma-Diskussion von Lind soll im Abschlusskapitel 11 genauer eingegangen wer-
den. Für diesen Abschnitte reicht es, darauf zu verweisen, dass die Dilemmadiskussion
nach wie vor in der Wissenschaft einen hohen Stellenwert hat, auch wenn, wie wir im Fol-
genden sehen werden, der JC-Ansatz eine wohl noch bedeutendere Rolle in der Moraler-
ziehung spielt bzw. zumindest das Monopol der Dilemmadiskussion verdrängt hat.
Da die Dilemmadiskussion nicht immer den erwünschten Erfolg brachte, wandte sich
Kohlberg vom Dilemmadiskussions-Ansatz zum Just-community Ansatz (Power & Hig-
gins zit. nach Herzig 1998, S. 72; Leming 1986, S. 247). Wobei nicht wirklich von einer
Wendung gesprochen werden kann, da die Dilemmadiskussion auch zentraler Bestandteil
des JC-Ansatzes ist und somit zentrales Element der Moralentwicklung geblieben ist. Dies
spiegeln auch die JC- Ziel wider:
1. „The Primary goal of public school moral education programmes should be princi-
pled moral reasoning.
2. The primary method of moral education is the stimulation of cognitive conflict
through the discussion of moral dilemmas.
3. The proper role of the moral educator (teacher) is that of a Socratic facilitator not an
advocate.
4. The proper content of moral education is hypothetical moral dilemmas.” (Leming
1986, S. 247f., Herv. i. Orig.)
Jedoch kann von einer Wendung von der „rein formalen Erfahrung kognitiver Konflikte
hin zur realen Erfahrung in einer Gemeinschaft“ gesprochen werden. Während in den Di-
lemmadiskussionen vorwiegend auf das moralische Urteil abgestellt wurde und darin
hauptsächlich die individuellen moralischen Entscheidungen zum Ausdruck kamen, wird
nun im JC-Ansatz versucht, auch der Komponente „moralisches Handeln“ Rechnung zu
tragen. In einer Gerechten Gemeinschaft, für die kollektive Normen konstitutiv sind, ist
moralisches Handeln unter anderem bei der Einhaltung und Ausführung dieser Normen
nötig (vgl. Herzig 1998, S. 72f.) „Wir glauben, dass die Schüler nicht lernen: ‚Ich muss der
Gruppe zustimmen’, sondern dem Kantischen Begriff der Autonomie: ‚Wir stellen Normen
auf, und wenn wir alle Gesetzgeber dieser Normen sind, müssen wir alle nach ihnen han-
deln’“ (Kohlberg zit. nach Herzig 1998, S. 73, Herv. i. Orig.) Auch Leming verdeutlicht
diese Wende hin vom Individuum zur Gemeinschaft wenn er sagt: „The focus of moral
Die unabhängige Variable „COOL“
71
education now becomes group, rather than individual development, and the major area of
study and concern becomes group norms and expectations“. (Leming 1986, S. 249)
Inspiriert zur Wendung vom individualistischen Ansatz der Dilemmadiskussion hin zum
kollektiveren Ansatz der JC wurde Kohlberg vom israelischen Kibbuz. Der Kibbuz ist eine
Form der Kollektiv-Erziehung, die die Realisierung der sozialistischen Lebensgestaltung
mit allen Konsequenzen und die Übertragung der Idee kooperativer Gesellschaftsformen
auf die Erziehung zum Ziel hat. Auch wenn – wie Oser & Althof verweisen – der Kibbuz
nicht mit dem JC-Ansatz vergleichbar ist, so wäre das Klima im Kibbuz für die Entwick-
lung des moralischen Urteils ein sehr gutes. Vor allem das kooperative Ideal, das den Kib-
buz auszeichnet, war für Kohlberg faszinierend (vgl. Oser & Althof 1997, S. 391).
Wie das angesprochene moralische Urteilen und Handeln in einer Gerechten Gemeinschaft
konkrete aussehen könnte, wird offensichtlich, wenn es nun um die Prinzipien und Ele-
mente des JC-Ansatzes bzw. der Gerechten Schulgemeinschaft nach Kohlberg geht.
Grundprinzipien und –elemente einer Gerechten Schulgemeinschaft (JC)
Oser & Althof analysieren in ihrem Buch „Moralische Selbstbestimmung“ verschiedene
Alltagssituation Gerechter Schulgemeinschaften und arbeiten folgende Grundprinzipien
des Lernens heraus, die für diesen Ansatz konstitutiv sind:
1. „Das Prinzip der positiven pädagogischen ›Zumutung‹, d.h. der Unterstellung, dass
der Schüler partizipieren, Vernunft anwenden, Verantwortung übernehmen kann.“
(Oser & Althof 1997, S. 353, Herv. i. Orig.) Dieses erste Prinzip nennen Oser & Alt-
hof auch ethische Präsupposition, was eben nichts anderes heißt, als dass Leh-
rer/innen so tun, als ob „die ideale Form des methodisch-moralischen Lösungspro-
zesses im Sinn des Gebrauchs von Prinzipien (beim Kind, Anm. d. Verf.) schon vor-
handen sei.“ (Oser & Althof 1997, S. 119) Wie zentral die Bedeutung dieser „Dis-
kurs-Haltung“ ist, wird in folgendem Zitat deutlich: „Dieses Zumuten von Verant-
wortlichkeit, von Wahrhaftigkeit und von gegenseitiger Fürsorge ist die wichtigste
Bedingung der Möglichkeit einer Just Community überhaupt.“ (Oser & Althof 1997,
S. 346)
2. Schule muss von allen Beteiligten als ein Ort, ein System verstanden werden, das nur
funktionieren kann, wenn erkannt wird, dass Probleme jeden angehen und jeden
Die unabhängige Variable „COOL“
72
betreffen. Die Einsicht, dass diese Probleme nur kooperativ, durch die Verantwortung
jedes einzelnen gegenüber der Gemeinschaft gelöst werden können, muss sich breit
machen. Lernen wird nicht länger als linearer, einseitiger Prozess verstanden, bei
dem sich Schüler/innen wie in einem Supermarkt bedienen können, ohne selber zu
investieren. Lernen wird hier vielmehr als ein alle Mitglieder betreffender Prozess
verstanden. Ein Prozess der durch die eigene Erfahrung und Konfrontation mit Prob-
lemen, die aus der Gemeinschaft Schule resultieren, geschieht (vgl. Oser & Althof
1997, S. 347).
3. „Schüler und Lehrer lernen zu argumentieren, Ansprüche zu legitimieren und ge-
meinsam zu entscheiden.“ (Oser & Althof 1997, S. 347) Dieses Lernen, so könnte
man meinen, unterscheidet sich kaum vom herkömmlichen Unterricht. Jedoch ist
wichtig zu verstehen, dass dahinter die Intention steht, den Lerner zum „besseren Ar-
gument“ hinzuführen bzw. ihn auf eine höhere Moralstufe der entwicklungspsycho-
logischen Stufentheorie nach Kohlberg zu verhelfen. Demzufolge müssen Schü-
ler/innen und Lehrer/innen lernen, auf das qualitativ hochwertigere Argument zu hö-
ren, aber vor allem es zu erkennen und zu verstehen. Das Prinzip der Entwicklung als
Ziel der Erziehung steht hier im Vordergrund (vgl. ebd.).
4. Die Just-community bildet sozusagen eine Welt in der Lebenswelt, in der die Schü-
ler/innen lernen, wie Demokratie funktioniert, was demokratisches Verhalten ist und
bedeutet. Die Konsequenzen von Gruppenbildungen, Mehr- und Minderheiten, Ab-
stimmung, Gültigkeit von Beschlüssen etc. wird hautnah erlebt. Schüler/innen lernen
so auch mit den Problemen einer Demokratie umzugehen, bspw. „wie kann man die
Probleme einzelner Schüler vor die Versammlung bringen, ohne ihre Würde und In-
tegrität zu verletzen“. (Oser & Althof 1997, S. 347) Aber auch Fragen danach, ob
man sich an Beschlüsse halten müsse, wenn man als Schüler/in bei der Abstimmung
dagegen war, wie diese Einhaltung kontrolliert werde, welche Dinge der Öffentlich-
keit zugänglich gemacht werden und welche nicht, müssen gelöst werden (vgl. ebd.).
5. „Ein fünftes Lernelement ist das Übernehmen von Positionen und Rollen und das
Sichhineinversetzen in Blickwinkel und Standpunkte anderer. Die Fähigkeit, jeman-
des Position aufzugreifen und zu transformieren, darauf angemessen zu reagieren,
ohne den eigenen Standpunkt aufzugeben, schließlich zu verstehen, was des anderen
Anliegen ist“. (Oser & Althof 1997, S. 348, Herv. d. Verf.) Die Gerechte Schulge-
meinschaft liefert Gelegenheiten, wie Verhandlungsvorgänge, Auseinadersetzungen
Die unabhängige Variable „COOL“
73
in Versammlungen, Gruppenzusammenschlüsse, Cliquen u.a., in denen diese Per-
spektivenübernahme ermöglicht, trainiert und gelernt wird (vgl. a.a.O., S. 347)
6. Ein weiters wichtiges Grundprinzip ist jenes des moralischen Handelns. In der Just-
community bzw. der Gerechten Schulgemeinschaft soll nicht nur das moralische Ur-
teilen der Schülerin oder des Schülers gefördert werden, sondern auch das moralische
(verantwortungsbewusste) Handeln. In der Gemeinschaft erhält sie/er dazu zum einen
überhaupt einmal die Gelegenheit sich in verschiedensten Situationen der Verantwor-
tung stellen zu können/müssen. Beispielsweise dann, wenn Schüler/innen gemeinsam
mit Lehrkräften Gemeinschaftssitzungen vorbereiten. Aber auch bei der Durchfüh-
rung und Einhaltung von Beschlüssen der Gemeinschaftssitzungen werden die Schü-
ler/innen für Dinge verpflichtet, die sie sonst möglicherweise nicht betreffen. Zum
anderen wird gerade bei solchen Beschlüssen und deren Einhaltung den Schü-
ler/innen ersichtlich, dass derartige kollektive Normen und ihre Einhaltung nur dann
funktionieren, wenn u.a. gegenseitiges Vertrauen, die Einsicht des Sichbeteiligens,
der Fürsorge und der gegenseitigen Integration besteht (vgl. Oser & Althof 1997,
S. 348).
7. Aus dem 6. Grundprinzip lässt sich ableiten, dass durch (intensive) Teilnahme an der
Gerechten Gemeinschaft eine Identifikation mit den aufgestellten Regeln passiert, die
bei bloßer Vermittlung und Überzeugungsarbeit nie möglich wäre. Oser & Althof
weisen auch darauf hin, dass dadurch das Schulklima besonders positiv beeinflusst
wird bzw. ein Grundstein für ein solches gelegt wird (vgl. Oser & Althof 1997,
S. 349).
Um das Konzept der Just-community zu verstehen, ist es wichtig, dass man sich immer
wieder auf diese Grundprinzipien zurückbesinnt. Auch wird hier viel von dem deutlich und
verständlich, was unter moralischer Urteilsfähigkeit und moralischem Handeln gemeint ist
(vgl. Kap. 7.1.1). Aufbauend auf diese Prinzipien wurden u.a. Elemente entwickelt, die die
Realisierung dieser Prinzipien unterstützen bzw. gewährleisten sollen.
Oser & Althof beschreiben verschiedene Formen/Modelle des JC-Ansatzes bzw. der Ge-
rechten Schulgemeinschaft, die vom „Kursprogramm mit Selbstverwaltungseinrichtungen
innerhalb der sonst unveränderten Schule“ über „Schule in der Schule“ bis hin zur „Um-
gestaltung der gesamten Schule“ reichen (vgl. Oser & Althof 1997, S. 369ff.). Gleichzeitig
verweisen sie darauf, dass für jede Schule die Struktur der Just-community anders aussieht,
Die unabhängige Variable „COOL“
74
aber folgende Minimalbedingungen (a.a.O., S. 362ff.) nötig sind, um eine Gerechte Schul-
gemeinschaft etablieren zu können:
1. Die Gemeinschaftssitzungen, in denen Entscheidungen getroffen werden, die die gan-
ze Schule betreffen, sind ein zentrales Kernelement. Sie sollten regelmäßig (wöchent-
lich, monatlich) oder zumindest nach Bedarf stattfinden. Für die Schüler/innen stellen
sie eine Gelegenheit dar, in der sie sich „zwingend“ mit dem behandelten (morali-
schem) Problem auseinandersetzen müssen – sofern es zuvor noch nicht geschehen
ist – und sich ein moralisches Urteil über das Dilemma/Problem oder den Konflikt
bilden können/müssen. Gleichzeitig bilden die Gemeinschaftssitzungen die erste Ge-
legenheit moralisches Handeln an den Tag zu legen. Die Schüler/innen haben einer-
seits durch die Art der Diskussionsführung und andererseits durch ihre Stimmabgabe
die Möglichkeit sich in verantwortungsbewusstem Handeln zu üben. Durch Diskus-
sion werden ihnen Konsequenzen ihres Handelns aufgezeigt und gleichzeitig wird
ihnen durch die Abstimmung/Mitbestimmung die Verantwortung für dieses zugewie-
sen.
2. Die Vorbereitungsgruppe, bestehend aus Vertretern der Klassen und des Lehrkörpers,
trägt die Verantwortung für die Planung der Gemeinschaftssitzungen. Sie bestimmt
die Tagesordnungspunkte und legt fest welche Schüler/innen und Lehrer/innen die
Sitzung leiten. Auch dieses Element bietet – wenn auch nur einem Teil der Schü-
ler/innen – Gelegenheit zur Verantwortungsübernahme über Dinge, die sie sonst
womöglich nicht betreffen würden.
3. Der Vermittlungsausschuss oder das Fairnesskomitee, wie es in der amerikanischen
Just-community auch genannt wird, ist für die Ausführung und Einhaltung der Be-
schlüsse der Gemeinschaftssitzungen verantwortlich. Weiters soll dieses, für längere
Zeit zusammengesetzte Gremium bei Regelüberschreitungen die Schüler/innen unter-
stützen und beraten.
4. Die Dilemmadiskussionen bilden den curricularen Bestandteil der JC bzw. Gerechten
Schulgemeinschaft und stellen neben der Gemeinschaftssitzung das zweite essentielle
Kernelement dieser Ansätze dar. Nach Oser & Althof (1997, S. 363) sollten wöchent-
lich ein bis zwei Dilemmadiskussionen zu a) allgemeinen und hypothetischen morali-
schen Dilemmata sowie zu b) moralischen Konflikten in der Klasse, die die Schü-
ler/innen konkret betreffen und zu c) fächerspezifischen moralischen Dilemmata
(zum Beispiel ökologische Dilemmata im Bereich der Naturwissenschaften) durchge-
Die unabhängige Variable „COOL“
75
führt werden. Bezüglich der Häufigkeit und Art der Dilemmadiskussionen vertritt
Lind eine etwas andere Auffassung. Ihm Zufolge genügt die Durchführung von Di-
lemmadiskussionen auch in Monatsabständen, wobei er ausschließlich hypothetische
Dilemmata empfiehlt (vgl. Lind 2009e).
5. Regelmäßige Lehrerzusammenkünfte sollen eine Reflexion über theoretische und
praktische Ausgestaltung dieses Ansatzes gewährleisten.
6. Die Elterneinbindung, die ein weiteres Element dieses Ansatzes ist, soll nicht nur zur
Mitarbeit anregen, sondern den Eltern dieses Konzept nahe bringen und zur positiven
Einstellung dieser gegenüber der JC beitragen. Die Elterneinbindung kann bspw.
durch eine/n Elternvertreter/in in den Gemeinschaftssitzungen geschehen.
7. Ähnlich wie in Punkt 5 soll eine dauernde Evaluation (kollegial und durch wissen-
schaftliche Unterstützung) der Prozesse eine Weiterentwicklung des Ansatzes ge-
währleisten.
Diese Grundelemente sind unverzichtbare Bestandteile um Gerechte Schulgemeinschaft
etablieren zu können, die Ausprägung/Realisierung jener ist jedoch in verschiedener Inten-
sität möglich. Sehr ähnlich ist dies beim COOL-Konzept. Wenn dieses im Folgenden vor-
gestellt wird, so ist die Leserin und der Leser aufgefordert sich die eben erwähnten Grund-
prinzipien und Minimalbedingungen des Just-community Ansatzes vor Augen zu halten,
um die Gemeinsamkeiten (auch ohne nachfolgender Gegenüberstellung) entdecken zu kön-
nen.
8.1.1.2 Was ist COOL (COoperatives Offenes Lernen)?
COOL startete im Jahre 1996 an der Handelsschule Steyr als Schulversuch. Ziel war es,
der unbefriedigenden Situation an dieser Schule Herr zu werden (vgl. Hölblinger, Wittwer
& Neuhauser 2008, S. 4ff.). „Die extreme Heterogenität der Schüler in den ersten Klassen
im Hinblick auf Alter, Entwicklung, Motivation, Leistungsfähigkeit und Lerngeschwindig-
keit machte die herkömmliche, rein lehrerzentrierte Unterrichtsarbeit nahezu unmöglich.“
(Hölblinger, Wittwer & Neuhauser 2008, S. 6) Was von den Initiatoren Witwer und Neu-
hauser ursprünglich als „Selbsthilfe“ gedacht war, entwickelte sich innerhalb der letzten 13
Jahre zu einer, mittlerweile auf ganz Österreich ausgedehnten Innovation im Bildungssys-
tem (vgl. bspw. Altrichter & Maderthaner 2007). Seit Einführung dieses (reform)pädago-
Die unabhängige Variable „COOL“
76
gischen Ansatzes gleich geblieben sind jedoch seine wesentliche Merkmale und Grund-
prinzipien (siehe weiter unten). Einleitend heißt es in der Broschüre zum Film COOL:
„COOL ist ein pädagogischer Ansatz für mehr Selbständigkeit, Eigenverantwortung und
Kooperation in der Sekundarstufe I und II.“ (Hölblinger, Wittwer & Neuhauser 2008, S. 4)
Aus dieser allgemeinen Beschreibung von COOL geht noch nicht explizit hervor, dass die
Förderung der sozialen Kompetenz eine gewichtige Rolle in diesem Ansatz spielt. Anders
bei Wittwer u.a. 2004 (zit. nach Altrichter & Maderthaner 2007, S. 518, Herv. i. Orig.,
kursiv d. Verf.): „Mit dem Begriff ,kooperatives, offenes Lernen’ werden zusammenfas-
send ,neue’ Lehr- und Lernformen bezeichnet, die auf verschiedenen reformpädagogischen
Konzepten basieren und die Förderung sozialer Kompetenz und der Eigenverantwortlich-
keit und Selbständigkeit der Lernenden zum Ziel haben.“ Hier steht die Förderung sozialer
Kompetenzen als Ziel im Mittelpunkt. Auch auf der Homepage des COOL-
Impulszentrums – welches als Implementierungsstütze gegründet wurde (vgl. Altrichter &
Maderthaner 2007, S. 525) – wird dieses Ziel hervorgehoben:
„Sozial kompetente, selbständige, eigenverantwortliche SchülerInnen
Größtmögliches Maß an Freiheit für das Individuum bei größtmöglicher Verantwor-
tung für die Gemeinschaft
Förderung der Ressourcen und Potentiale des Einzelnen – kein Elitedenken, sondern
Differenzierung“ (Impulszentrum für Cooperatives Offenes Lernen o.J.a )
Dennoch: Versucht man herauszufinden, was im COOL-Konzept genau unter einem/r „so-
zial kompetenten Schüler/in“ verstanden wird, so merkt man sehr schnell, dass unter sozia-
ler Kompetenz, die von der Wirtschaft geforderten Soft Skills wie „Selbständigkeit, Eigen-
verantwortlichkeit, Flexibilität, Kreativität, Problemlösungskompetenz, Kritikfähigkeit,
Kommunikationsbereitschaft, Integrationsfähigkeit, Konflikt- und Teamfähigkeit“
(Hölblinger, Wittwer & Neuhauser 2008, S. 25) verstanden werden. „Das Wesen des Coo-
perativen Offenen Lernens ist es, den Erwerb fachlicher, methodischer, persönlicher und
sozialer Kompetenzen gleichwertig zu fördern.“ (ebd.) Von der Förderung moralischer
(Urteils)Fähigkeiten (auch wenn sie mit obigen Soft Skills eng zusammen hängt, wie zu
zeigen sein wird, vgl. Kap. 3 und Kap. 8.1.2) ist nirgends explizit die Rede. Dies verwun-
dert auch wenig, da COOL im Gegensatz zum Just-community Ansatz ja nicht aus den
Beweggründen der Moralentwicklung der Schülerinnen und Schüler konzipiert wurde,
sondern aus integrativen Aspekten. Umso erfreulicher – aus Perspektive der gestellten For-
schungsfrage dieser Arbeit – ist es, dass Demokratie im Klassenzimmer sowie der Klassen-
Die unabhängige Variable „COOL“
77
rat (siehe COOL-Konzept unten) zentrale Bestandteile des COOL-Konzepts sind (vgl.
Hölblinger, Wittwer & Neuhauser 2008, S. 26). Die Tatsache, dass aus der Entstehungsge-
schichte bzw. den vorrangigen Zielen von COOL noch nicht explizit herauszulesen ist,
dass dieses Konzept „besonders geeignet“ zur Förderung der moralischen Urteilsfähigkeit
ist, soll nicht weiter beunruhigen oder gar die Forschungsfrage verwerfen lassen. Ein ge-
nauerer Blick auf die wesentlichen Merkmale von COOL im Vergleich zur JC wird zeigen,
welches Potential COOL birgt, um soziale Kompetenz im Sinne von moralischer Urteilsfä-
higkeit zu fördern.
Wie sieht nun das Konzept von COOL konkret aus?
Wesentliche Merkmale dieses Ansatzes finden sich auf der Homepage des COOL-Impuls-
zentrums (Impulszentrum für Cooperatives Offenes Lernen, o.J.a, Herv. i. Orig.):
„Die LehrerInnen kooperieren in Klassenlehrerteams. (…) Das heißt regelmäßige
Teamsitzungen, Einstiegsklausuren zu Beginn des Schuljahres und sogenannte ,Cool-
zilien’, Zusammenkünfte von Delegierten der Klassenlehrerteams, zwecks Reflexion
und Weiterentwicklung des COOL-Projektes.
Die SchülerInnen arbeiten mit schriftlichen, oft auch fächerübergreifenden As-
signments (Arbeitsaufträgen). In bis zu einem Drittel der Unterrichtszeit hat der
Schüler/die Schülerin die Wahlfreiheit, wann, wo und wie er die gestellten Aufgaben
(aus 6-8 Fächern) bis zu den vorgegebenen Terminen bewältigen will.
Der Lehrer/die Lehrerin wird zur Moderatorin, zum Coach, zur Begleiterin des Lern-
prozesses und kann so auf jeden einzelnen Schüler/in eingehen und ihn/sie gezielt
fördern.
Durch sogenannte ,Feedbackbögen’ zum Arbeits- und Sozialverhalten werden Schü-
lerInnen zur kritischen Selbstreflexion angeregt.
In der wöchentlich bzw. vierzehntägig stattfindenden Klassenratssitzung besprechen
die SchülerInnen ihre Anliegen, trainieren Gesprächsregeln und Protokollführung
und erlernen Moderationstechniken.
In mehrmals pro Semester stattfindenden Lehrer-Schüler-Foren (je ein/e gewählte/r
Lehrer- und Schülervertreter/in pro Klasse) werden gemeinsame Regeln des Zusam-
menlebens und Zusammenarbeitens im COOL-Bereich erarbeitet und in ,Verträge’
gegossen.
Die unabhängige Variable „COOL“
78
Die Eltern werden in die schulische Unterrichts- und Erziehungsarbeit eingebunden.
In regelmäßigen Elternabenden (mindestens 3x im Jahr) werden Anregungen, Wün-
sche und Befürchtungen zum Thema gemacht.“
Exkurs Klassenrat
Der konstruktivistischen Didaktik entsprechend soll der Klassenrat den Schüler/innen die
Gelegenheit bieten, Demokratie nicht nur gelehrt zu bekommen, sondern auch zu leben.
„Der Klassenrat hat hier die politische Aufgabe, ein hohes Maß an Selbstbestimmung zu
ermöglichen.“ (Impulszentrum für Cooperatives Offenes Lernen o.J.b, o.S.) Damit sollen
die Schüler/innen am Unterrichtsprozess beteiligt und die Macht der Lehrperson „umver-
teilt“ werden. Dazu „ist es notwendig Regeln, Bestimmungen und Rahmenbedingungen zu
begründen, und diese durch konstruktiven Diskurs für alle Beteiligten transparent und ein-
sichtig zu machen.“ (ebd.) Somit ist es Ziel dieser Institution Mit- und Selbstbestimmung,
Verantwortungsbewusstsein und soziales Verhalten zu fördern (vgl. ebd.)
Tabelle 5: Gegenüberstellung: Just-community und COOL
Just-community Ansatz COoperatives Offenes Lernen
1. regelmäßige, klassenübergreifende Sit-zungen
2. Vorbereitungsgruppen (Schüler und Lehrer aller Klassen)
3. Fairnesskomitee 4. (Konstanzer) Methode der Dilemma-
Diskussion 5. Lehrersitzungen 6. Elternmitarbeit 7. Kontinuierliche Evaluation der Prozes-
se
1. kooperierende Klassenlehrerteams 2. 1/3 Drittel der Unterrichtszeit besteht
Wahlfreiheit = wann, wo und wie die gestellten Aufgaben bewältigt werden
3. Lehrer = Moderator/Coach/Begleiter d. Lernprozesses
4. Feedbackbögen 5. Klassenratssitzung 6. Lehrer-Schüler-Foren 7. Eltern in schulische Unterrichts- und
Erziehungsarbeit eingebunden
Eine erste Analyse (vgl. zusammenfassend Tabelle 5) zeigt, dass COOL als integrativer
pädagogischer Ansatz einiges mit dem moralentwicklungsorientierten JC-Ansatz gemein-
sam hat. Aber sind gemeinsame Elemente in einem Konzept schon hinreichend um von
einer Eignung zur Förderung der moralischen Urteilsfähigkeit sprechen zu können? Ich
denke nicht, denn Namen alleine bewirken noch nichts. Erst, wenn diese Namen „Pro-
gramm“ sind, dann können wir, so denke ich – ungeachtet des immer vorhandenen Prob-
lems, dass jeder Unterricht in jeder Klasse und unter jedem/r Lehrer/in anders aussieht –
guter Hoffnung sein, dass COOL auch die entsprechende, in dieser Untersuchung erforsch-
Die unabhängige Variable „COOL“
79
te Wirkung zeigt. Aber ab wann ist etwas „Programm“? Beim JC-Ansatz wurde gezeigt,
dass es wichtig ist, die Grundprinzipien des Ansatzes zu kennen, um auch zu verstehen,
welche Funktionen die einzelnen Konzept-Elemente erfüllen sollen. So ist beispielsweise
der Klassenrat nicht nur dazu da um Probleme im Sinne aller Beteiligten lösen zu können,
sondern vor allem um den Schüler/innen Erfahrungen im Umgang mit Demokratie zu er-
möglichen, um Gelegenheiten zu bieten, in denen sie eigene Meinungen artikulieren und
vertreten können, aber auch um Gegenmeinungen zu hören und aufnehmen zu lernen, e-
benso wie sich in Kritikfähigkeit zu üben (vgl. Impulszentrum für Cooperatives Offenes
Lernen o.J.b). Werfen wir also im nächsten Kapitel einen Blick auf die Grundprinzipien,
auf denen die oben geschilderten COOL-Elemente/Merkmale aufbauen.
8.1.2 Eine zweite Gegenüberstellung: COOL und die Entwicklungsdimensionen
Inwieweit soziale Kompetenz – was immer man bzw. COOL unter diesem vielfärbig schil-
lernden Begriff verstehen mag – mit jenem der moralischen Urteilsfähigkeit übereinstimmt
wurde bereits in Kap. 3 anzudiskutiert versucht und soll hier mit den Bedingungen für die
Entwicklung der moralischen Urteilsfähigkeit nach Lempert nochmals aufgezeigt werden.
Nach dessen Befunden (vgl. Lempert 1988, S. 54ff.), soll „das Tempo und der jeweilige
Stand der Entwicklung des moralischen Denkens“ (Lempert 1988, S. 37, Herv. i. Orig.)
bzw. die moralische Urteilsfähigkeit u.a. von folgenden fünf Dimensionen bzw. deren
Ausprägungen abhängen:
Die unabhängige Variable „COOL“
80
Tabelle 6: Soziale Bedingungen der Entwicklung moralischer Urteilsfähigkeit – Versuch einer Systematisierung (Lempert 1988, S. 31)
Bedingung Spezifikation für den Übergang Vorrangig beeinflusste
Prozesse zwischen Person und Umwelt
Zur Konventionalität
(= „Soziozentrierung“) Zur Postkonventionalität
(= “Äquilibrierung“)
stabile emotionale Zuwen-dung und soziale Anerken-nung durch Autoritätsperso-nen und peers
Wertschätzung als Mitglied/Rolleninhaber der soz. Einheit, der sowohl der Sozialisator als auch der Sozialisand angehört, vor allem durch Eltern u. andere Autoritätspersonen, u.U. auch durch peers
Wertschätzung als Mensch und als einzigartige Person vor allem durch peers (beider Geschlech-ter)
Wahrnehmung/ Perspekti-venübernahme
emotionale Verarbeitung/ Auseinandersetzung mit normativen Ansprüchen
offene Konfrontation mit sozialen Problemen und Konflikten
Konfrontation vor allem mit Widersprüchen zwischen individuellen Interessen/Intentionen einerseits und sozialen Regeln/Normen ande-rerseits
Konfrontation vor allem mit Widerprüchen (sic!) zwischen verschiedenen sozialen Regeln/Normen oder zwischen verschiedenen kulturellen Werten oder zwischen Orientierungen beider Arten
Wahrnehmung kognitive Verarbeitung/ rationale Koordination der konkurrierenden Orientie-rungen
emotionale Verarbeitung
Chance zur Teilnahme an (relativ symmetrischen) Kommunikationsprozessen
Kommunikation als Verständigung über die Anwendung von problemlos anerkannten so-zialen Regeln/Normen unter Berücksichti-gung individueller Interessen/Intentionen
Kommunikation als Diskurs über die Legitmität (sic!) problematisierter Geltungsansprüche von sozialen Regeln/Normen, individuellen Rechten und kulturellen Werten, auf der Grundlage aner-kannter rationaler Prinzipien
Wahrnehmung kognitive Verarbeitung
Möglichkeit der Mitwirkung an kooperativen Entschei-dungen
Kooperation als Reproduktion interpersonaler Beziehungen, sozialer Institutionen und ge-sellschaftlicher (Sub-)Systeme in ihrer gege-benen Form
Kooperation als Reproduktion und Transformati-on sozialer Strukturen unter besonderer Berück-sichtigung individueller Rechte aller Beteiligten und Betroffenen
emotionale Verarbeitung Handeln
Chance zur Übernahme von Verantwortung für die Ges-taltung des eigenen Lebens und für andere Personen
Verantwortung als Quelle von Informationen über mögliche soziale Folgen eigenen Verhal-tens und Handelns
Verantwortung als Aufforderung zur individuel-len und situationsspezifischen Anwendung uni-verseller und allgemeiner Moralprinzipien
Wahrnehmung kognitive Verarbeitung emotionale Verarbeitung Handeln
Die unabhängige Variable „COOL“
81
Tabelle 6 soll der Leserin/dem Leser einen Überblick über die nach Lempert relevanten
Einflussfaktoren auf die moralische Urteilsfähigkeit geben. Genauer wollen wir uns an
dieser Stelle damit nicht beschäftigen; für eine vergleichende Analyse reicht diese Darstel-
lung. Jedoch werden wir auf diese Dimensionen zurückkommen, wenn es um die Darstel-
lung der empirischen Ergebnisse zu den intervenierenden Variablen geht (vgl. Kapitel 9).
Zu beachten ist weiters, dass die Dimensionen förderlich oder hinderlich wirken, je nach
ihren Ausprägungen. In diesem Sinne wird im Folgenden wohl immer von einer optimalen
Ausprägung der angesprochenen Dimension ausgegangen werden müssen.
Was haben diese Dimensionen nun mit COOL zu tun? Es ist wohl kein Zufall, dass genau
diese Dimensionen mit den Grundprinzipien von COOL übereinstimmen und daher im
Zentrum dieses Ansatzes stehen. Da sich COOL auf den Daltonplan zurück bezieht, sind
hier die Grundprinzipien der Daltonplan-Pädagogik dargestellt und versucht, in Einklang
mit den Dimensionen nach Lempert (1988) zu bringen:
Die Grundprinzipien von COOL (nach dem Daltonplan von Helen Parkhurst)20
Freedom Wahlfreiheit und Eigenverantwortung für den Lernfortschritt
Co-operation Zusammenarbeit und Teamfähigkeit
Budgeting time selbständiges Planen und Organisieren
Freiheit und Verantwortung
„Helen Parkhurst meint mit dem Begriff Freedom jene Freiheit, die die persönliche Wahl,
die persönliche Entscheidung erlaubt und sogar fordert. Diese Art von Freiheit schließt
auch die Verantwortung des Menschen für andere ein, wenn er sich für etwas entschieden
hat.“ (Eichelberger 2002, S. 19, Herv. i. Orig.) Freiheit ist also immer mit Verantwortung
verbunden. Damit die Schülerin oder der Schüler diese Art von Freiheit erlernen kann,
kommen ihr/ihm verschiedene Wahlfreiheiten zu. Beispielsweise kann entschieden wer-
den, ob die Aufgaben alleine oder mit einem/r Partner/in bewältigt werden, wo man dies
macht, mit welchen Hilfsmitteln, wie die Zeiteinteilung vorgenommen wird und vieles
mehr.
20 Im Kap. 8.2.3.1 wird auf die unterschiedliche Realisierung von COOL eingegangen. Hier ist bereits
darauf hinzuweisen, dass in der HLW Steyr eine „Mischform“ von COOL eingesetzt wird, der aber ebenfalls diese drei Grundprinzipien zugrunde liegen.
Die unabhängige Variable „COOL“
82
Verantwortung meint zusätzlich zur Verantwortungsübernahme – die aus der Entscheidung
im Rahmen der Wahlfreiheiten resultiert –, dass „der Schüler selbst verantwortlich für sei-
ne Arbeit und seinen Fortschritt ist.“ (Eichelberger 2002, S. 20) Es soll ihr/ihm bewusst
werden, dass nicht die Lehrerin oder der Lehrer sondern die Schülerin bzw. der Schüler für
das Lernen verantwortlich ist. Dies erfordert von der Lehrkraft jedoch, dass sie ihrem/r
Schüler/in auch etwas zutraut und sie/ihn somit wertschätzt (vgl. Eichelberger 2002, S. 21).
Vergleicht man diese Ausführungen zum Prinzip Freiheit und Verantwortung mit den Di-
mensionen nach Lempert, so finden sich wohl die Dimensionen „Verantwortungszuwei-
sung“, „Handlungschancen“ und „Wertschätzung“ unter diesem Prinzip wieder. Vor allem
die ersten beiden Dimensionen kommen gut zum Ausdruck, wenn Schüler/innen in der
Dalton-Schule oder in COOL die Möglichkeit zur Wahlfreiheit bzw. zur eigenen Entschei-
dung bekommen, diese wahrnehmen müssen und Verantwortung für das eigene Handeln
tragen. Auch die Dimension „Wertschätzung“ wird in diesen Ausführungen widergespie-
gelt, nämlich wenn es um die Lehrer-Schüler-Beziehung geht. Der/die Dalton- bzw.
COOL-Lehrer/in muss sensibel sein und den Schüler/innen großes Vertrauen und Wert-
schätzung entgegenbringen, um deren Bewusstsein zu stärken und um zu zeigen, dass ihre
Arbeit und ihr Ziel würdevoll ist (vgl. Eichelberger 2002, S. 20f.). Es muss wohl nicht an-
gemerkt werden, dass nicht nur im COOL-Unterricht Schüler/innen als Personen selbst und
in der Rolle als Schüler/in geschätzt und respektiert werden sollten.
Interessant ist in diesem Zusammenhang besonders, dass Helen Parkhurst darauf verweist,
dass die Verantwortung für das Arbeits- bzw. Lernergebnis nicht nur Intelligenzfähigkei-
ten, sondern auch das Urteilsvermögen und den Charakter der Schüler/innen stärkt (vgl.
Eichelberger 2002, S. 21). Interessant deshalb, weil Lind diese Aussage sicherlich un-
terstreichen und den Aspekt der Urteilsfähigkeit um jenen der moralischen Urteilsfähigkeit
präzisieren würde. In diesem Zusammenhang sei nochmals darauf verwiesen, dass „ein
Mangel an Gelegenheiten für Verantwortungsübernahme im Studium zu ein (sic!) Rück-
bildung der moralischen Urteilsfähigkeit fhrt (sic!).“ (Schillinger 2006 zit. nach Lind
2009f., Herv. i. Orig.; siehe auch EMNID-Studie von Lind 2000a, S. 117ff.)
Zusammenarbeit und Selbständigkeit
Zusammenarbeit meint „die Beseitigung kooperationshemmender Strukturen im Schulle-
ben.“ (Eichelberger 2002, S. 21) Soziales Lernen geschieht nach Parkhurst ganz von allei-
ne, wenn nur dem Konkurrenzdenken im Frontalunterricht ein Ende gemacht werden wür-
Die unabhängige Variable „COOL“
83
de und die Möglichkeiten zur Zusammenarbeit in und über die Klassen hinweg gegeben
sind (vgl. Eichelberger 2002, S. 21; zur Revision des Leistungs- und Konkurrenzdenkens
in der Schule siehe auch Klafki 1993, S. 233ff.). Beim Lernen in und für die Gruppe kann
die Schülerin und der Schüler – so Parkhurst – lernen, „den anderen zu respektieren und zu
verstehen, seine/ihre (Änd. d. Verf.) eigene Meinung zu formulieren und in der Diskussion
zu vertreten; es (das Kind, Anm. d. Verf.) entwickelt eine gewisse ,Kultur des Gesprächs’
und die Fähigkeit zu demokratischem Zusammenleben.“ (Eichelberger 2002, S. 22, Herv.
i. Orig.) Genau diese Fähigkeiten, diese Gesprächskultur versucht auch Lind mit dem In-
strument der Konstanzer Methode der Dilemma-Diskussion zu erreichen; und nicht zufäl-
lig misst auch der Moralisches Urteil-Test genau diese Kompetenz (vgl. Kap. 7.1.1).
Das Prinzip der Selbständigkeit wurde von Helen Parkhurst nicht angeführt, im Zuge der
europäischen Integration dieser Pädagogik jedoch eingearbeitet. Dieses Prinzip weist dar-
auf hin, dass Schüler/innen mit Problemstellungen konfrontiert werden, zu denen sie allei-
ne oder in Kooperation mit anderen, im Dialog/Diskurs Lösungen suchen sollen (vgl. Ei-
chelberger 2002, S. 22). Schon alleine in diesem Prinzip und noch viel mehr in jenem der
Zusammenarbeit wird ersichtlich, dass die drei restlichen Dimensionen von Lempert, näm-
lich „Kooperation“, „Verantwortung“ und „Konfrontation mit (sozialen) Problemen“ eben-
falls wichtiger Bestandteil der Daltonplan-Pädagogik bzw. des COOL-Unterrichts sind.
Zusammenfassend bleibt zum Daltonplan wie zum COOL-Konzept zu sagen:
Der Daltonplan ist „keine Methode, kein System, sondern ein Einfluss, ,a Way of
Life’“ (Parkhurst zit. nach Eichelberger 2002, S. 22, Herv. i. Orig.)
Ebenso ist COOL keine Unterrichtsmethode, sondern eine Unterrichtsphilosophie!
Ein Gelingensfaktor von COOL sind die Lehrer/innen, sie dürfen COOL nicht als
Methode ansehen, sondern müssen COOL leben, sonst ist das Scheitern vorpro-
grammiert (vgl. Neuhauser 2009).
Wie diese Analyse zeigt, scheinen die COOL/Dalton-Prinzipien und die Lempert-
Dimensionen ähnliche Ziele zu verfolgen und Wirkungen hervorzurufen bzw. Fähigkeiten
zu fördern. Lempert (1988, S. 35) sagt: „Wenn die genannten fünf Bedingungen bzw. ihre
jeweils wirksamen Ausprägungen allesamt vorliegen und wenn weiterhin auch alle inneren
Voraussetzungen für den betreffenden Fortschritt des moralischen Denkens gegeben sind,
dann ist am ehesten damit zu rechnen, dass der Entwicklungsschritt, den sie begünstigen,
tatsächlich vollzogen wird.“ Wenn dies stimmt, dann sollte das auch für COOL bzw. seine
Die unabhängige Variable „COOL“
84
Prinzipien gelten. Es stellt sich sodann die Frage, ob Wittwer u.a. (2004) nicht auch die
moralische Urteilsfähigkeit meinen, wenn sie von Förderung sozialer Kompetenz sprechen.
Am Ende müssen wir mit Wuttke & Surać (2003) zu dem Ergebnis kommen, dass morali-
sche Urteilsfähigkeit und soziale Kompetenz zwei sehr nahe Begriffe sind. Ob nun die
Schlüsselqualifikation „soziale Kompetenz“ dasselbe meint wie moralische Urteilsfähig-
keit oder umgekehrt, kann letztlich – mangels einer wissenschaftlichen Definition und der
Vieldeutigkeit des ersten Begriffs – nicht genau gesagt werden. Die obigen Ausführungen
(vgl. auch Kap. 3) lassen jedoch zumindest darauf schließen, dass die beiden Begriffe sehr
nahe beisammen liegen. Betrachtet man nun die soziale Kompetenz (oder moralische Ur-
teilsfähigkeit) als Ziel und die COOL-Prinzipien (oder Dimensionen nach Lempert) als
eine wichtige Voraussetzung zur Erreichung dieser, so kann die Frage, ob die strategischen
COOL-Ziele (u.a. Förderung der sozialen Kompetenz) durch die Förderung der morali-
schen Urteilsfähigkeit erreicht werden können, durchaus bejaht werden. Mit anderen Wor-
ten: Die Förderung der moralischen Urteilsfähigkeit trägt zur Förderung der sozialen Kom-
petenzen bei bzw. deckt einen großen Bereich dieser ab.
Jetzt wo geklärt ist, dass ein oder vielleicht sogar das Ziel von COOL darin besteht die
moralische Urteilsfähigkeit zu fördern, können wir den Bogen zur Konzeption von COOL
zurück spannen und wir gelangen zur Eingangsfrage, ob die COOL-Konzeption dafür ge-
eignet ist? Die obige Analyse der Minimalbedingungen des Just-community Ansatzes im
Vergleich zum COOL-Konzept (Kap. 8.1.1) ergab eine positive Antwort. Bleibt nur noch
darauf hinzuweisen, dass COOL eine zentrale Bedingung leider nicht erfüllt. Nämlich die
Forderung nach einem expliziten Curriculum für die Moralerziehung. Umso interessanter
stellt sich die Überprüfung der Hypothese(n) dar: Fördert COOL auch ohne Dilemmadis-
kussionen die moralische Urteilsfähigkeit (stärker als andere Ausbildungszweige)?
Zusammenfassend: Auch wenn in der kurzen, überblicksmäßigen Darstellung auf der Ho-
mepage des COOL-Impulszentrums keine expliziten Hinweise dafür zu finden sind, dass
COOL die moralische Urteilsfähigkeit der Schüler/innen fördert, so legen dies jedoch eini-
ge der genannten Merkmale, Prinzipien und Ziele nahe. Vor allem die Merkmale Feed-
backbögen, Klassenratssitzungen, Lehrer-Schüler-Foren zur Gestaltung von Regeln für das
Zusammenleben und die Elterneinbeziehung sowie das Grundprinzip der Kooperation und
Öffnung beinhalten Elemente, die die moralische Urteilsfähigkeit fördern (können). Be-
trachtet man die moralische Urteilsfähigkeit jedoch nicht als Output sondern eher als Input
für soziale Kompetenz (wie es Lind 2007a andenkt), so könnte man argumentieren, dass
Die unabhängige Variable „COOL“
85
die Entwicklung und Förderung moralischer Urteilsfähigkeit eine Voraussetzung für die
Erreichung der strategischen Ziele ist. Wenn COOL das Ziel verfolgt, sozial kompetente,
selbständige und eigenverantwortliche Schüler/innen ohne Elitedenken auszubilden, wäre
es dann nicht denkbar, dass dieses Ziel am ehesten durch die Förderung der moralischen
Urteilsfähigkeit erreicht werden kann? Im Endeffekt kommen wir immer zum selben Er-
gebnis: Ob wir nun die soziale Kompetenz oder die moralische Urteilsfähigkeit von Schü-
ler/innen fördern wollen, um die Schulung moralischer Fähigkeiten kommen wir nicht
herum. Wenn wir nun im Folgenden bestehende Untersuchungen zu COOL analysieren,
bleiben wir aber bei der Betrachtungsweise, die moralische Urteilsfähigkeit als eine Out-
put-Variable anzusehen.
8.2 Moralerziehung im Unterricht – Eine empiriegeleitete Diskussion
Welche Forschungsbefunde gibt es über die Wirkung von COOL auf die soziale Kompe-
tenz moralische Urteilsfähigkeit?
Im Gegensatz zum JC-Ansatz, zur Gerechten Schulgemeinschaft oder zur Konstanzer Me-
thode der Dilemma-Diskussion, wo Kohlberg, Oser und Lind auf verschiedene Studien
über die Wirkung „ihrer“ pädagogischen Ansätze auf die soziale Kompetenz der Schü-
ler/innen – im Speziellen auf die moralische Urteilsfähigkeit – verweisen können, gibt es
im Bereich COOL nur sehr wenige Evaluationsstudien, die sich mit der Wirkung auf die
soziale Kompetenz beschäftigen und es ist mir keine Studie bekannt, die die moralische
Urteilsfähigkeit der Schüler/innen zum Thema hat. In diesem Sinne stellt die vorliegende
Arbeit bzw. Untersuchung eine Pilotstudie dar. Auch im Hinblick auf die Messung der
sozialen Kompetenz bei COOL-Schüler/innen stellt sie ein Novum dar. Alle bisherigen
Studien zu COOL basieren auf Einschätzungen der Schüler/innen (oder Lehrer/innen) über
ihre sozialen Fähigkeiten.21 Durch den Einsatz des MUT/s wird erstmals versucht, soziale
Kompetenz tatsächlich zu messen. Da COOL in diesem Bereich noch relativ unerforscht
ist, sollen im Folgenden zum einen Ergebnisse von COOL-Untersuchungen dargestellt
werden, die im Zusammenhang mit sozialer Kompetenz generell stehen; und zum anderen
soll auf Ergebnisse von Untersuchungen über Just-community/Gerechte Schulgemein-
schaft sowie der KMDD im Zusammenhang mit moralischer Urteilsfähigkeit eingegangen
21 Eine Ausnahme bildet jedoch die Untersuchung von Raabe. Sie erfasste Kooperationsfähigkeit von
COOL-Schüler/-innen und NonCOOL-Schüler/-innen durch die Methodik der Beobachtung (vgl. Raa-be 2008, S. 36).
Die unabhängige Variable „COOL“
86
werden. Beide, aber vor allem der letzte Punkt, sollen Aufschluss darüber geben, welche
Steigerung der sozialen Kompetenz generell bzw. der moralischen Urteilsfähigkeit speziell
auch in dieser Untersuchung zu erwarten ist.
8.2.1 Evaluationsergebnisse zu COOL mit Fokus auf soziale Kompetenz
Altrichter & Maderthaner erheben 2007 (S. 526) die subjektiv wahrgenommene Wirkung
von COOL durch eine Befragung von 100 COOL-Lehrkräften. Darunter u.a. auch zwei
wahrgenomme Wirkungen, die in den Bereich „soziale Kompetenz“ fallen und im Zusam-
menhang mit der moralischen Urteilsfähigkeit hier besonders interessieren: die „Ge-
sprächskultur“ der Schüler/innen und die „Konfliktlösefähigkeit“ (vgl. a.a.O., S. 527). Auf
einer Skala von 1 = „trifft überhaupt nicht zu“ bis 5 „trifft voll und ganz zu“ konnten die
Lehrkräfte die wahrgenommene Wirkung von COOL beurteilen. Dabei erhielten die bei-
den genannten Fähigkeiten einen Mittelwert von 3,7 (Gesprächskultur) und 3,6 (Konflikt-
lösefähigkeit). Altrichter & Maderthaner interpretieren das Ergebnis der Wahrnehmung
von Effekten wie folgt: „Die RespondentInnen schreiben ihrer Unterrichtsinnovation hohe
bis moderate Effekte auf soziale und motivationale Merkmale der SchülerInnen zu.“
(a.a.O., S. 526, Herv. i. Orig.) Geht es nach den Lehrer/innen, so scheint also zumindest
ein gewisser COOL-Effekt auf die Gesprächskultur und Konfliktlösefähigkeit der Schü-
ler/innen – zwei wie in Kap. 7.1.1 und 7.1.2 gezeigt wurde, für den MUT(/s)-Wert sehr
wichtige Fähigkeiten – vorhanden zu sein.
Eine hoch aktuelle qualitative Studie (Engler, Füreder & Niedermayr) vom 25. Juni 2009
mit dem Titel: „Welche Bedeutung hat die Erfahrung des ‚Cooperativen Offenen Lernens’
für meine derzeitige Ausbildungs- bzw. Berufssituation? (AbsolventInnenbefragung)“ bes-
tätigt ebenfalls einen positiven Einfluss von COOL auf die soziale Kompetenz. Engler,
Füreder & Niedermayr führten 16 Telefoninterviews mit berufstätigen und studierenden
COOL-Absolvent/innen durch. Im Rahmen der Einschätzung der sozialen Kompetenz
wurde vor allem nach den drei strategischen Zielen von COOL: Teamfähigkeit, Konfliktfä-
higkeit und Kommunikationsfähigkeit gefragt und folgende Ergebnisse und Absolventen-
aussagen ausgewertet:
Die unabhängige Variable „COOL“
87
„Der Großteil der Befragten sieht einen extrem hohen Einfluss von COOL auf ihre
Teamfähigkeit. Dieser Punkt wurde von allen Beteiligten am höchsten bewertet.
Auch bei der Konfliktfähigkeit wurde ein sehr großer bis großer Einfluss von COOL
festgestellt. Die Kommunikationsfähigkeit wurde ebenfalls relativ hoch bewertet.“
(Engler, Füreder & Niedermayr 2009, S. 10)
„Man arbeitet nicht immer mit Freunden, sondern man muss auch mit Mitschü-
ler/innen, die man nicht so mag, zusammenarbeiten.“
„Konflikte gibt es in allen Klassen, bei COOL wird dafür Platz geschaffen, es werden
alle einbezogen und man lernt Rücksicht auf andere zu nehmen.“
„Netzwerken, man geht leichter auf Menschen zu, weniger Berührungsängste.“
„Man ist ständig auf andere angewiesen, man wird gezwungen, auf die anderen ein-
zugehen und zu kommunizieren.“ (Engler, Füreder & Niedermayr 2009, S. 10, kursiv
d. Verf.)
„Der Einfluss von COOL auf die soziale Kompetenz wurde von allen Beteiligten als
überdurchschnittlich hoch bewertet. Dies zeigt, dass COOL vor allem die soziale
Kompetenz fördert (im Vergleich zu den anderen Kompetenzen). Die Anstrengungen
sollten in keinem Fall reduziert, sondern weiterhin so engagiert umgesetzt werden. Es
sollte außerdem darauf geachtet werden, dass die Gruppen möglichst heterogen zu-
sammengesetzt werden (nicht nur Freunde) und dass Klassenräte vor allem bei Prob-
lemen abgehalten werden.“ (Engler, Füreder & Niedermayr 2009, S. 10)
Ein weiteres interessantes Ergebnis dieser Studie ist die Rangreihung der COOL-Elemente
durch die Befragten, demnach landet der Klassenrat auf dem 4. und letzten Platz und erhält
damit eine klar unterdurchschnittliche Bedeutung/Bewertung. Die Zitate aus den geführten
Interviews belegen das:
„Stunden nur abgesessen“
„zu ausführlich“
„man wurde psychologisch durchleuchtet“
„war ein Scherz“
„jede Woche mit Muss, besser je nach Bedarf abhalten“
„nur sinnvoll, wenn konkretes Problem“
(Engler, Füreder & Niedermayr 2009, S. 12, kursiv d. Verf.)
Die unabhängige Variable „COOL“
88
Demnach ist vor allem der Einsatz des Klassenrats stark verbesserungswürdig (vgl. in die-
sem Zusammenhang Kap. 11). Entgegen diesem Befund betont Julia Schießer in der
COOL-Broschüre die Wichtigkeit des Klassenrats für ihre berufliche Laufbahn: „Im Klas-
senrat hatte jeder die Möglichkeit, seine Anliegen vorzubringen oder als Moderator das
Gespräch zu leiten, um Streitgespräche immer wieder auf eine sachliche Ebene zu bringen
oder beratend einzugreifen. (…) Durch den Klassenrat habe ich als Jugendliche gelernt,
wie Besprechungen zu moderieren sind. (…) Auch im privaten Bereich profitiere ich von
COOL, da ich gelernt habe, Konflikte nicht zu umgehen, sondern sie anzusprechen und
sachlich zu diskutieren. Für mich war diese Unterrichtsform die beste Wahl, da hierbei
meine soziale Kompetenz bestmöglich gefördert wurde.“ (Hölbling, Wittwer & Neuhauser
2008, S. 33f.) Auffallend in diesem Zitat ist, dass der Klassenrat vor allem auch als In-
strument zur Erlangung methodischer Kompetenzen gesehen wird.
Die Bedeutung des Klassenrats hebt auch Greimel-Fuhrmann (2007) im Rahmen eines
Artikels in der Zeitschrift wissenschaftplus hervor, in welchem sie sich mit der Frage:
„Was ist und was kann Cooperatives Offenes Lernen (COOL)?“ beschäftigt. Dabei ver-
sucht sie einen Überblick über vorliegende empirische Befunde zu geben. Der Befund zum
Klassenrat lautet: „neben der Weiterentwicklung der fachübergreifenden Fähigkeiten (wie
des selbständigen Arbeitens und der Kooperationsfähigkeit) (…) wurden vor allem Ver-
besserungen bei der sozialen Integration der Schüler in den Klassenverband deutlich. Hier
wird vor allem die Institution des Klassenrates als förderliches Element genannt, das Schü-
ler ermutigt, frei zu sprechen, ihre Meinung zu äußern, ihre Probleme und Sorgen zu arti-
kulieren und auf andere Rücksicht zu nehmen.“ (Greimel-Fuhrmann 2007, S. IIIf.) Der
Rest der Befunde bezieht sich auf Wirkungen von COOL (Senkung der Fehlstunden, Repe-
tentenanzahl, leicht besserer Notendurchschnitt, bessere Motivation der Lehrkräfte, Akzep-
tanz von COOL bei Schüler/innen und Lehrer/innen u.a.), die wenig oder wenn überhaupt
nur indirekt mit sozialer Kompetenz oder der moralischen Urteilsfähigkeit zu tun haben,
weshalb auf sie an dieser Stelle auch nicht näher eingegangen wird.
Eine für unsere Forschungsfrage sehr interessante Diplomarbeit arbeitete Iris Raabe 2008
an der Universität Karlsruhe aus. Sie versuchte, der Frage nachzugehen, inwiefern sich
COoperatives Offenes Lernen (COOL) positiv auf die soziale Kompetenz „Kooperations-
fähigkeit“ der Schüler/innen auswirkt? Diese Untersuchung ist aus mehreren Gründen her-
vorzuheben. Zum einen wird versucht, soziale Kompetenz nicht nur mittels Fremd- und
Selbsteinschätzung zu erheben, sondern die Kooperationsfähigkeit am konkreten Verhalten
Die unabhängige Variable „COOL“
89
festzumachen. Dazu wurden die Schüler/innen bei der Lösung kooperativer Arbeiten beo-
bachtet und deren verbale Äußerungen auf Tonband aufgezeichnet und sodann ausgewertet
(vgl. Raabe 2008, S. 35ff.). Die Ergebnisse können somit als Korrektiv zur vorliegenden
Arbeit verwendet werden, da ja der MUT sowie der MUT/s konkretes Verhalten nur inso-
fern indirekt messen kann, als MUT(/s)-Wert und soziales Handeln miteinander korrelieren
(vgl. Kap. 10). Kooperationsfähigkeit als untersuchte Variable ist weiters nicht nur auf-
grund ihrer Zugehörigkeit zu den sozialen Kompetenzen allgemein (Schuler & Barthelme
1995) interessant, sondern auch wegen ihrer zugrunde liegenden Konzeption. Johnson &
Johnson (1987) beschreiben Kooperationsfähigkeit als Überbegriff für folgende vier Fä-
higkeiten:
1. Fähigkeit zur Kommunikation
2. Fähigkeit Vertrauen aufzubauen und zu erhalten
3. Fähigkeit zu führen, zu organisieren und zu entscheiden
4. Fähigkeit zur Konfliktbearbeitung und –lösung und demokratisches Verhalten
Der Leserin bzw. dem Leser ist sicherlich die Nähe dieser vier Fähigkeiten zu den lempert-
schen Dimensionen deutlich geworden. Vor allem auch die vierte Fähigkeit, die Konflikt-
fähigkeit steht in engem Zusammenhang mit dem, was der MUT(/s) zu messen versucht.
Somit liegt nahe, dass – nach dieser Definition von Kooperationsfähigkeit – kooperativere
Schüler/innen auch moralisch urteilsfähiger sind bzw. höhere MUT(/s)-Werte erreichen
sollten.
Zu welchen Ergebnissen kommt nun Raabe? Analog zu der, in dieser Arbeit untersuchten
Forschungsfrage, erwartet Raabe (2008, S. 52) aufgrund der theoretischen Konzeption von
COOL, dass COOL-Gruppen mehr kooperative und weniger unkooperative Verhaltens-
weisen zeigen. „Die Untersuchung mit dem T-Test ergibt allerdings keine Bestätigung die-
ser Annahme: Die NonCOOL-Gruppen zeigen sowohl mehr kooperative als auch unkoope-
rative Verhaltensweisen. (…) Auch im Vergleich der einzelnen Beobachtungsunterpunkte
können keine signifikanten Unterschiede aufgedeckt werden.“ (Raabe 2008, S. 52) Einzig
im Bereich der Organisationsfähigkeit scheinen COOL-Schüler/innen leichter in Freiar-
beitsphasen lernen zu können (vgl. a.a.O., S. 53). Weiters kommt Raabe mittels Selbstein-
schätzungsbögen zu dem Ergebnis, dass sich COOL-Schüler/innen in manchen Bereichen
besser einschätzen. So schreiben sich COOLer/innen eine bessere Teamfähigkeit zu und
haben weniger Hemmungen ihre Meinung in Gruppen frei zu äußern (vgl. a.a.O., S. 59).
Die unabhängige Variable „COOL“
90
Zusammenfassend lässt sich jedoch mit den Ergebnissen von Raabe festhalten, dass „sich
die Schüler zwar unterschiedlich einschätzen, obwohl ihr Verhalten nicht unterschiedlich
ist.“ (a.a.O., S. 64)
Die hier dargestellten Befunde verschiedener (meist qualitativer) Untersuchungen zeigen,
dass COOL im Hinblick auf seine Auswirkungen auf die soziale Kompetenz noch sehr
wenig erforscht ist. Dies mag zum einen daran liegen, dass ein solches Vorhaben mit sehr
vielen Schwierigkeiten, etwa die Messung sozialer Kompetenz oder die variierende Unter-
richtspraxis in den einzelnen Klassen etc. verbunden ist (vgl. Oser & Althof 1997, S. 443),
und zum anderen daran, dass mit Einschätzungen der Lehrer/innen über ihre Schüler/innen
(und durch Selbsteinschätzungen der Schüler/innen) ohnehin ein – wenn nicht 100 % vali-
des, aber doch hinreichend verlässliches Ergebnis zustande kommt. Wer wenn nicht die
Lehrer/innen (abgesehen vielleicht von den Eltern) können am besten beurteilen, wie sich
das (soziale) Verhalten der Schüler/innen ändert (vgl. dazu die Befunde von Schlosser
2006, S. 138)? Und möglicherweise ist es auch gar nicht so wichtig Kompetenzen immer
auf Skalen exakt messen zu können. So zählt meiner Meinung auch in der Wirtschaft im
Regelfall weniger, welchen IQ-Wert eine Person bei einem Intelligenztest erlangt, sondern
vielmehr die Fähigkeit in verschiedenen komplexen Praxissituationen adäquat handeln zu
können bzw. ganz generell die Arbeitsbereitschaft und der Leistungswille. Und ob diese
Fähigkeit mit dem IQ zusammenhängt ist nach Dörner (1984, S. 10, Herv. i. Orig.) inso-
fern umstritten, als „für die Bewältigung von Problemsituationen neben der ,Intelligenz’ in
dem Sinne, wie sie implizit durch die Konstrukteure und Anwender von Intelligenztests
angenommen wird, noch viele andere Faktoren eine wichtige Rolle spielen.“ So ist auch
bei der moralischen Urteilsfähigkeit weniger der isoliert betrachtete C-Wert einer Person
an sich interessant, als vielmehr dieser in Kombination mit anderen Faktoren, die gemein-
sam Voraussetzung für die soziale Handlung einer Person sind. Aber dazu mehr in Kapitel
10. Dennoch, wie zu sehen war, ist lt. Kohlberg die moralische Urteilsfähigkeit Vorausset-
zung um moralisch Handeln zu können – genauso wie Intelligenz im Sinne des IQs eine
Determinante für die Problemlösefähigkeit ist (vgl. Dörner 1984, S. 18). Aus diesem
Grund geben wir uns auch nicht mit den hier dargestellten Ergebnissen zufrieden, sondern
fragen nun nach der Wirkung COOL-ähnlicher Schulinterventionen.
Die unabhängige Variable „COOL“
91
8.2.2 Ergebnisse der Just-community und der KMDD
Oser & Althof (1997) verweisen auf vier Untersuchungen von Power, Higgins & Kohlberg
1989, Power 1979, Kohlberg 1986 und Korte 1987, die den erhöhten Einfluss des Just-
community Ansatzes auf das moralische Urteilen zeigen. In einer dieser Untersuchungen
werden zwei so genannte Cluster Schools (JC) „normalen“ High Schools im Zeitvergleich
gegenübergestellt. „Die Hypothese lautete, dass die Just Community-Schule eine stärkere
Veränderung der moralischen Urteilsstufen (nicht des MUT-Wertes, Anm. d. Verf.) der
Schüler ermöglicht als alle anderen Schultypen.“ (Oser & Althof 1997, S. 448) Pre- und
Posttestung zeigen, dass diese Hypothese nicht widerlegt werden konnte, es jedoch nur in
einer JC-Schule zur signifikant stärkeren Zunahme von Moral Maturity-Punkten während
eines Schuljahres kam (vgl. ebd.). Auch die beiden anderen Untersuchungen sprechen da-
für, dass mit dem JC-Ansatz intendierte Wirkungen eingetreten sind: „Solche Resultate
sind überzeugend. Sie weisen darauf hin, dass die gesteckten Ziele (…) tatsächlich erreich-
bar sind“ resümieren Oser & Althof (1997, S. 450).
In den Jahren von 1987 bis 1990 wurde in Nordrein-Westfallen an drei Schulen das päda-
gogische Konzept „Demokratie und Erziehung in der Schule“ (DES) erprobt. Die wissen-
schaftliche Begleitung unterlag dabei u.a. Lind und Oser (vgl. Steffens, Bargel & Lind
1994, S. 2). Dabei kamen die Wissenschaftler u.a. zu folgenden Ergebnissen:
Der mittlere DES-Effekt – also jener der Intervention – beträgt 6,51 C-Punkte an Zuwachs
pro Schuljahr (Effektstärke von r = 0,26). Der C-Wert wurde hier mit dem VUT, einem
„Vorgängermodell“ des MUT gemessen. Dieser jährliche Zuwachs ist um 2,93 Punkte
höher als der geschätzte Zuwachs von 3,58 bei Normalunterricht. „Demnach wäre der Ef-
fekt des DES-Projekts fast doppelt so hoch wie der normale Schuleffekt.“ (Lind 1993b,
S. 182) Dem nicht genug, Lind berichtet über absolute Effektstärken, die über die 6,51
Punkte weit hinausgehen. Mit der von Lind selbst entwickelten Konstanzer Methode der
Dilemma-Diskussion erzielt er bis zu 15 Punkte Zuwachs bei Psychologiestudent/innen
während eines Semesters (vgl. Lind 2002). Besonders interessant für unsere Untersuchung
an diesem Befund ist, dass er die Ergebnisse in Verhältnis zu einer Lehrveranstaltung setzt,
die sich offener Didaktik bedient:
Die unabhängige Variable „COOL“
92
Abbildung 8: Effektstärken von KMDD-Seminaren und offener Didaktik (Lind 2002)
Lind relativiert jedoch diese hohen Ergebnisse und spricht bei „normalem“ Unterricht von,
den in Tabelle 7 dargestellten, realistischen absoluten Effektstärken:
Tabelle 7: Effektstärken von Interventionen z. Förderung von moralischer Urteilsfähigkeit (vgl. Lind 2008b)
„normale“ Schulen ohne Programme
zur Förderung von Moral und Demo-
kratiefähigkeit
Schulen mit Dilem-madiskussionen und
Just-community
gut ausgebildete KMDD-
Lehrer/innen
absolute Ef-fektstärke pro Jahr
3 – 4 Punkte 6 – 8 Punkte bis zu 15 Punkte
Daraus kann mit Lind abgeleitet werden: „Wenn der Zuwachs des C-Wertes bei COOL-
Schulen deutlich darüber (über den jährlichen Zuwächsen bei normalen Schulen, Anm. d.
Verf.) liegt (5 Punkte und mehr), kann man von einem Erfolg dieses Ansatzes sprechen.“
(Lind 2008b) Generell meint Lind, dass die Beurteilung des Zuwachses von der Frage ab-
hängt, „wie stark der C-Wert in verschiedenen Gruppen üblicherweise voneinander ab-
weicht. Da er für Gruppen von Personen je nach Entwicklungsstand zwischen 10 und 40
liegt, bedeutet ein Effekt von durchschnittlich 3,6 C-Punkten, dass er ungefähr 10 % der
Die unabhängige Variable „COOL“
93
üblichen Spannbreite der Moralentwicklung bedeutet, was wir als ziemlich viel empfin-
den.“ (Lind 2008a, S. 18) Mit dieser Interpretation von Effektstärken versucht Lind die
Schwäche der statistischen Signifikanz, die durch eine Vergrößerung der Stichprobenzahl
verbessert werden kann, zu beheben (vgl. Lind 2008a, S. 4).
Zusammenfassend: Verbindet man die, hier in den beiden Unterkapiteln, überblicksmäßig
dargestellten Befunde: Nämlich einerseits die Wahrnehmung von u.a. Lehrkräften, dass
COOL soziale Kompetenzen allgemein fördert und andererseits, dass der COOL-ähnliche
JC-Ansatz tatsächlich verstärkt die moralische Urteilsfähigkeit der Schüler/innen steigert,
so ist die Hoffnung groß, dass auch die vorliegende Untersuchung ähnliche Ergebnisse
hervorbringt.
8.2.3 Zu welchen Ergebnissen kommt die vorliegende Untersuchung?
Da der Einfluss von COOL auf die moralische Urteilsfähigkeit in einer Querschnittstudie
nicht gemessen werden kann, müssen wir uns hier mit einer Pseudo-Längsschnittstudie
begnügen, die Indizien für einen möglichen Einfluss von COOL offen legen kann. Die
Hypothese, die im Folgenden überprüft werden soll, lautet daher: „Der Unterschied in den
Mittelwerten der moralischen Urteilsfähigkeit je Schulstufe (gemessen durch eine Zeit-
punkterhebung) steigt bei den COOL-Klassen schneller an als bei den Kontrollklassen!“
Bevor diese Hypothese überprüft wird, zeigt Abbildung 9 die Verteilung des C-Wertes in
der gesamten Stichprobe (N=454), wobei sich der C-Wert wie folgt interpretieren lässt:
„The C-score ranges from 1 to 100. A score 1-9 is considered to be low, 10-29 medium,
30-49 high and above 50 very high. Those categories are based on Cohen’s proposal
(1988).” (Schillinger 2006, S. 77) Diese Kategorien beschreiben also, wie moralisch ur-
teilsfähig eine Person ist. Zur Erinnerung: „With the MJT, moral judgment competence is
operationally defined as the ability of a subject to accept or reject arguments on a particu-
lar moral issue consistently in regard to their moral quality even though they oppose the
subject’s stance on that issue.” (Lind 2004, S. 24, Herv. i. Orig.)
Die unabhängige Variable „COOL“
94
Verteilung des C-Wertes in der Stichprobe gegliedert nach Unterrichtstyp in %
1
3
11
20
37
27
3
3
12
17
34
31
0 5 10 15 20 25 30 35 40
extraordinary high
very high
high
medium
low
very low
Prozentanteile der Schüler/-innen
ohne COOLmit COOL
Abbildung 9: Verteilung des C-Wertes in der Stichprobe gegliedert nach Unterrichtstyp
Obwohl – wie in Kapitel 7.2 aufgezeigt wurde – die meisten Schüler/innen in moralischen
Dilemmasituationen auf den wünschenswerteren höheren Kohlbergstufen urteilen, ist der
erreichte C-Wert der Stichprobe (zumindest von zwei Dritteln) mit „very low“ bis „low“
erschreckend niedrig. Dies ist so, weil “Most, if not all, persons prefer principled stages (5
and 6) most” (Lind 2004, S. 28) und dies daher – wie in Kap. 7.1.1 gezeigt wurde – keine
Fähigkeit ist, zumindest keine, die der MUT bzw. MUT/s misst.
Soll dieses „schwache“ Ergebnis beunruhigen? Die Antwort lautet: Nein. Auch Hettinger
(2009) findet ähnlich niedrige Werte in ihrer Stichprobe unter 155 Jugendlichen zwischen
14 und 18 im Rahmen der Untersuchung, inwiefern sich Intelligenz auf die moralische
Urteilsfähigkeit auswirkt:22
22 Zur Diskussion um Intelligenz und ihre Auswirkungen auf die moralische Urteilsfähigkeit seien die
Leserin und der Leser auf Kap. 9.1 verwiesen.
Die unabhängige Variable „COOL“
95
Abbildung 10: Verteilung des C-Wertes in der Studie von Hettinger (2009, S. 60).
Zwar sind die Proband/innen in der Hettinger-Studie etwas jünger als die hier untersuchten
Schüler/innen, jedoch verweist Hettinger auf Lerkiatbundit (2004; 14 - 19 jährige Pro-
band/innen) und Colesante & Biggs (2001, College-Student/innen), die ähnliche Werte
erzielen (vgl. Hettinger 2009, S. 83f.).
Folgende Pseudo-Längsschnittstudie, also der Vergleich durchschnittlicher C-Wert-
Zuwächse über die Schulstufen je Schule, legt vorerst keine Indizien offen, die eine positi-
ve Wirkung von COOL auf die moralische Urteilsfähigkeit untermauern würden.
Schule A - Mittelwerte
0,00
5,00
10,00
15,00
20,00
25,00
1 2 3
Jahrgang
MUT
-Sco
re
OLEKontrollklasse
Schule B - Mittelwerte
0,00
5,00
10,00
15,00
20,00
25,00
1 2 3 4
Jahrgang
MUT
-Sco
re
LIFEKontrollklasse
5 Klasse
Schule C - Mittelw erte
0,00
5,00
10,00
15,00
20,00
25,00
1 2 3
Jahrgang
MU
T-Sc
ore
COOL
Kontrollklasse
Abbildung 11: C-Mittelwerte gegliedert nach Schulen und Jahrgängen
Betrachtet man Schule A, so haben zwar die COOL-Klassen im Durchschnitt generell hö-
here C-Werte, jedoch steigt der durchschnittliche C-Wert nur im zweiten Jahrgang an, um
dann wieder zu sinken. Während die durchschnittlichen C-Werte der Kontrollklassen etwa
auf einem konstanten Niveau stagnieren. In Schule B und C (mit Ausnahme des ersten
Jahrganges) verfügen hingegen die Kontrollklassen über höhere Durchschnittswerte. Auch
hier sind die Anstiege nicht linear und auch ein schnellerer Anstieg des C-Wertes in den
Die unabhängige Variable „COOL“
96
COOL-Klassen erfolgt nicht. Diese Ergebnisse würden der „Bildungstheorie“ von Lind
widersprechen, die ja besagt, dass mit Fortlauf der Bildungsmöglichkeiten die moralische
Urteilsfähigkeit ebenfalls zunimmt. Auch wenn die gesamte Stichprobe betrachtet wird, so
schwankt der C-Wert nur zwischen einem Intervall von etwa 17 und 19 Punkten. Womög-
lich ist aber der Zeitraum von zwei Jahren etwas zu kurz, als dass sich signifikante Zu-
wächse abbilden lassen. Zieht man die Durchschnitte der fünften Klasse der Schule B her-
an, so zeigt sich, dass diese Klassen deutlich höhere Werte bis über 23 Punkte erreichen.
Von einer Widerlegung der „Bildungstheorie“ – auch nur bezogen auf diese Stichprobe –
kann daher keine Rede sein.
Wie sieht der Mittelwertvergleich aus, wenn man die Schulstufen unberücksichtigt lässt?
Ein T-Test unabhängiger Stichproben (siehe Anhang 16) zeigte, dass es zum einen eben-
falls keine signifikanten (.548) Unterschiede hinsichtlich der C-Wert-Mittelwerte zwischen
COOL-Schüler/innen (17,83) und NonCOOL-Schüler/innen (18,51) gibt, und zum anderen
der Mittelwert von NonCOOL-Schüler/innen höher ist. Auch die Effektstärke bzw. prakti-
sche Signifikanz liegt weit unter 10 % der Spannweite.23 Das die COOL-Schüler/innen im
Schnitt schlechter abschneiden ist also zufallsbedingt. Außerdem würde ein Vergleich von
COOL- und NonCOOL- Proband/innen ohnehin so einfach nicht der Komplexität der Un-
terrichtsrealität gerecht werden. Das Problem, dass COOL zum einen in jeder Schule etwas
anders ausgeprägt ist und auch in NonCOOL-Klassen die moralische Urteilsfähigkeit för-
dernde Elemente (etwa vermehrter Einsatz von Sozialformen im Unterricht) vorkommen
können und sollen, wird im nächsten Kapitel behandelt.
8.2.3.1 Die Ausprägungsproblematik von COOL
Wann immer man versucht, Unterricht oder Schule zu evaluieren, steht man vor dem Prob-
lem, dass nicht jeder Unterricht gleich abläuft. Wie Unterricht abläuft hängt sehr stark von
den Einstellungen, Intentionen und den daraus resultierenden Handlungen einer Lehrper-
son ab. „Ohne Zweifel können Lehrpersonen ihre Aufgaben mehr oder weniger gut erfül-
len, bzw. sie auf je eigene Weise gestalten.“ (Fend 2008, S. 280)24. Dies gilt – so meine ich
–für schülerorientierten Unterricht, wie es COOL darstellt, noch viel stärker als für her-
23 Berechnung: (18,51 - 17,83) / (40 - 10) = 0,0227 > 2,27 % 24 Die Rolle des „Heimlichen Lehrplans“/“Hidden Curriculum“ wird bei Kohlberg ebenfalls thematisiert
(vgl. bspw. Gordon 1986). In dieser Arbeit muss aber aus Platz- und Messbarkeitsgründen darauf ver-zichtet werden.
Die unabhängige Variable „COOL“
97
kömmlichen lehrerzentrierten Unterricht. Als Grund dafür lässt sich bspw. die Notwendig-
keit der Lehrerkooperation für COOL nennen. So berichtet Schlosser in seiner qualitativen
Untersuchung: „Die Beteiligung an innerschulischer Kooperation scheint dort höher zu
sein, wo zum einen die Intensivierung von Teamarbeit ein ausdrückliches Anliegen der
Schulleitung war bzw. an der Schule schon kooperativere Traditionen aufgrund anderer
Schulentwicklungstätigkeiten bestanden haben.“ (Schlosser 2006, S. 137) Aber auch der
erhöhte Arbeitsaufwand, die Mehrarbeit, von denen COOL-Lehrkräfte berichten ist, ein
Indiz dafür, dass die Lehrerrolle – trotz des Verschwindens ihrer Monopolstellung im ei-
gentlichen Unterricht – wichtiger denn je für die Umsetzung von COOL-Unterricht gewor-
den ist. Zudem ist COOL, wie erwähnt, nicht eine Unterrichtsmethode, sondern ein „Way
of Life“, eine Unterrichtsphilosophie, die dem/der COOL-Lehrer/in inne sein muss (vgl.
Neuhauser 2009). Diese Indizien verweisen darauf, dass COOL nicht gleich COOL ist. Die
Unterschiede in der Umsetzung von COOL nennt Schlosser auch als Grund für die unter-
schiedliche Wahrnehmung von sozialen Schülerkompetenzen bei Lehrer/innen: „Die un-
gleiche Einschätzung der Entwicklung der Sozial-, Selbst- und Methodenkompetenzen der
Schüler/innen dürfte unter anderem auch damit zusammenhängen, dass sich der Umfang
wie auch die Art und Weise der Umsetzung des COOL-Unterrichts von Lehrer zu Lehrer
als auch von Schule zu Schule – trotz Einhaltung der Qualitätskriterien für ‚COOL’ (…) –
unterscheiden.“ (Schlosser 2006, S. 138, Herv. i. Orig.) Auch Altrichter & Maderthaner
(2007, S. 521) zeigen Unterschiede in der Umsetzung des COOL-Konzepts:
Tabelle 8: Elemente des COOL-Konzepts (Altrichter & Maderthaner 2007, S. 521)
in x Schulen in % Organisationale Strukturen von COOL: COOL-Richtlinien/Regeln für jede Klasse 35 89,7 Regelmäßiger Klassenrat 30 76,9 Regelmäßige Treffen des gesamten COOL-Lehrkörpers 28 71,8 Regelmäßige Treffen der Klassenlehrer-Teams 25 64,1 Wiederholte Evaluierung von COOL durch Schüler/innen oder Lehrer/innen 25 64,1
Schüler-Lehrer-Forum/COOL-Parlament 6 15,4 Unterrichtsbezogene Elemente von COOL: Schriftlich formulierte Arbeitsaufträge (Assignments) 38 97,4 Einsatz offener Unterrichtsmethoden 36 92,3 Freie Arbeitsphasen, die im Stundenplan verankert sind 31 79,5 Die Lehrer/innen geben den Schüler/innen regelmäßig Feed-back zu ihrem Arbeits- und Sozialverhalten. 28 71,8
Die Arbeitsaufträge sind fächerübergreifend. 26 66,7 Die Schüler/innen führen regelmäßig eine Selbstbeurteilung ihres Arbeits- und Sozialverhaltens durch. 13 33,3
Die unabhängige Variable „COOL“
98
8.2.3.2 Die Lösung der Ausprägungsproblematik von COOL
Mit Greimel-Fuhrmann (2007, S. III) kann also zusammenfassend festgehalten werden:
„COOL läuft nicht an allen Schulen in gleicher Weise ab“. Um dieser Tatsache auch in der
vorliegenden Untersuchung gerecht zu werden, wurden zwei Maßnahmen gesetzt:
1. In Zusammenarbeit mit Frau Mag.a Wittwer und Herrn Mag. Neuhauser (Leitung des
COOL-Impulszentrums an der HAK Steyr) sowie mit Frau Mag.a Wimmer (Mitar-
beiterin des Impulszentrums) wurden jene COOL-Schulen ausgewählt, die über eine
COOL-Zertifizierung verfügten und bei denen davon ausgegangen werden konnte,
dass COOL in etwa am selben Stand der Entwicklung ist.
2. Im Erhebungsbogen wurden 20 Fragen eingefügt, die die Wahrnehmung einiger für
diese Untersuchung relevanter COOL-Zertifizierungskriterien (Teamarbeit der Lehr-
kräfte, Struktur der offenen Arbeitsphasen, schriftliche Arbeitsaufträge als Grundlage
des eigenverantwortlichen Lernens, Förderung von Kooperation und Teamfähigkeit,
Feedback und Leistungsbeurteilung) durch die Schüler/innen erheben sollten. Damit
sollte gewährleistet werden, dass die moralische Urteilsfähigkeit auch in Zusammen-
hang mit der je Schüler/in erlebten Ausprägung von COOL gebracht werden kann.
Auch dem Problem, dass in einer untersuchten Schule die COOL-Klasse des zweiten
Jahrganges mit einer nicht-COOLen Parallelklasse zusammengelegt wurde, konnte so
Rechnung getragen werden.
Die folgende Tabelle 9 ist Ergebnis einer Faktorenanalyse, die deutlich zeigt, dass sich die
20 COOL-Fragen – aufgrund ihrer jeweiligen Faktorladung – sehr gut auf fünf Faktoren
reduzieren lassen:
Die unabhängige Variable „COOL“
99
Tabelle 9: Faktorenanalyse der 20 COOL-Fragen
Komponente 1 2 3 4 5
1. Das selbständige Arbeiten macht mir viel Spaß. ,814 2. Die Phasen selbständigen Lernens sollten ausgedehnt werden. ,753 3. Mit der Verantwortung für mein Lernen komme ich gut zurecht. ,691 4. Freie Zeiteinteilung im Unterricht ist für mich EIN PROBLEM. -,636
5. Es ist mir wichtig, dass die schulischen Lernsituationen eine Heraus-forderung darstellen. ,542
6. Sie regen durch ihren Unterricht zum Mitdenken, Mitdiskutieren und Mitentscheiden an. ,748
7. Ihre sozialen Fähigkeiten (z.B. respektvoller Umgang mit den Schü-lern) werden im Unterricht deutlich. ,743
8. Sie muten uns Schülern zu, dass wir bei wichtigen Themen ernsthaft mitreden können. ,732
9. Ich merke, dass sie engagiert und bemüht sind. ,591
10. Die Noten setzen sich NICHT nur aus Schularbeiten und Tests zu-sammen. Es gibt oft auch eine alternative Leistungsbeurteilung, z.B. durch Portfolios, Referaten, Selbsteinschätzung etc.
11. Sie sprechen sich untereinander gut ab. ,794 12. Sie arbeiten (gut) zusammen. ,727 13. Sie machen fächerübergreifenden Unterricht. ,622
14. Im Unterricht lernen wir, uns in andere Personen hinzuversetzen und deren Argumente zu verstehen. ,773
15. Im Unterricht diskutieren wir öfters über allgemeine und persönliche Probleme die uns beschäftigen. ,587
16. Im Unterricht lernen wir zu argumentieren bzw. eigene Meinungen zu vertreten. ,578
17. Im Unterricht lernen wir gemeinsam zu entscheiden. ,418
18. Unterrichtsphasen, in denen ich selbst entscheiden kann, wann ich etwas mache und wie ich es mache, kommen oft vor. ,822
19. Im Unterricht habe ich oft die Gelegenheit zwischen verschiedenen (Lern-)aufgaben zu wählen. ,779
20. Gestellte Aufgaben und meine Arbeitsergebnisse im Unterricht wer-den oft mit Lehrern oder Klassenkollegen reflektiert (überdacht, dar-über diskutiert).
,412
Extraktionsmethode: Hauptkomponentenanalyse. Rotationsmethode: Varimax mit Kaiser-Normalisierung. a Die Rotation ist in 5 Iterationen konvergiert.
Die fünf Faktoren lassen sich aufgrund der ihnen zugrunde liegenden Fragen in „Selbst-
ständiges Arbeiten“ (Faktor 1), „Schülerumgang der Lehrer/innen“ (Faktor 2), „Lehrerko-
operation“ (Faktor 3), „Diskutieren im Unterricht“ (Faktor 4) und „Mitentscheidung im
Unterricht“ (Faktor 5) umbenennen. Diese fünf neuen Variablen bzw. ihre Faktorwerte
(Spannweite: -3 bis +3) lassen sich wie folgt interpretieren: Die Person mit dem Test-Code
„an0108“ erlangt am Faktor „Selbständiges Arbeiten“ einen Faktorwert von -2,492. Das
bedeutet sie hat die COOL-Fragen 1 bis 5 eher im negativen Bereich der Likertskala von -2
bis +2 angekreuzt (-2,-2,0,2,-1, man beachte die negative Korrelation in der Faktorladung).
In Worten heißt das, dass sie die Aussagen zum „Selbständigen Arbeiten“ eher ablehnt.
Oder – bezogen auf diese Person – anders formuliert: Sie kommt mit dem selbstständigen
Die unabhängige Variable „COOL“
100
Arbeiten, der Verantwortungsübernahme für ihr Lernen, mit der selbstständigen Zeiteintei-
lung nicht gut zu recht und es ist ihr weniger wichtig, dass Lernsituationen eine Herausor-
derung darstellen. Ebenso steht sie einer Ausweitung der Phasen des selbständigen Lernens
neutral gegenüber. Die Person „cn0312“ erreicht einen Faktorwert von 1,953, d.h. sie hat
die Fragen zum „Selbstständigen Arbeiten“ eher im positiven Bereich angekreuzt
(2,2,2,-2,2, man beachte wieder die negative Korrelation in der Faktorladung). Die Inter-
pretation des Faktorwertes erfolgt daher vice versa.
Interessant erscheint nun die Frage, wie die Wahrnehmung dieser COOL-Fragen bzw.
COOL-Qualitätskriterien zwischen COOL-Schüler/innen und NonCOOL-Schüler/innen
divergiert. Ein Mittelwertsvergleich durch einen T-Test zweier unabhängiger Stichproben
ergab, dass signifikante Unterschiede bei den Faktoren „Selbständiges Arbeiten“ (,000)
und „Mitentscheiden im Unterricht“ (,000) zwischen den beiden Schülergruppen bestehen,
und zwar solche, die zeigen, dass die Mittelwerte der COOL-Schüler/innen im positiven
Bereich liegen, während die der NonCOOLer/innen im negativen Bereich liegen (siehe
Anhang 1). Dass die COOL-Schüler/innen den Bereichen „Selbständiges Arbeiten, Ver-
antwortungsübernahme für das Lernen, freie Zeiteinteilung, Lernsituationen als Herausfor-
derung etc.“ positiver gegenüber eingestellt sind bzw. damit besser zu Recht kommen, und
dass sie Mitentscheidungsmöglichkeiten im Unterricht deutlicher wahrnehmen als ihre
Kolleg/innen, verwundert wenig. Schließlich sind sie gemäß dem COOL-Konzept täglich
damit konfrontiert. Überraschender sind da schon die Resultate zu den anderen Faktoren.
So gibt es keinen signifikanten Unterschied wenn es um die Schülerwahrnehmung bezüg-
lich des Umgangs der Lehrer/innen mit den Schüler/innen geht und auch nicht bei der
Wahrnehmung der Lehrerkooperation. Beide sind jedoch wichtige Gelingensvoraussetzung
für COOL.
Eine Interpretation dieser Ergebnisse kann/soll hier nicht stattfinden, womöglich fehlt den
Schüler/innen zum einen die Einsicht in die Arbeit ihrer Lehrer/innen, um etwa beurteilen
zu können, inwiefern sie miteinander kooperieren. Zum anderen gelingt es möglicherweise
den Lehrer/innen nicht, ihren Mehraufwand (zum Mehraufwand von dem COOL-
Lehrer/innen berichten vgl. bspw. Schlosser 2006, S. 136) nach außen zu transportieren.
Möglicherweise sind aber auch die gestellten Fragen nicht valide genug. Für unsere Unter-
suchung jedoch interessant und bedeutend ist die Tatsache, dass der Faktor „Diskutieren
im Unterricht“ – welcher wichtige Voraussetzung zur Förderung moralischer Urteilsfähig-
keit wäre – von beiden Probandengruppen gleich wahrgenommen wird, bzw. kein statis-
Die unabhängige Variable „COOL“
101
tisch und praktisch signifikanter Unterschied beobachtbar ist. Gerade im Hinblick auf die
Förderung sozialer Kompetenzen allgemein sollte sich hier bei COOL-Schüler/innen eine
wesentlich höhere Wahrnehmung einstellen, da sie über Elemente wie den Klassenrat ver-
fügen.
Widerlegung der Hypothese
Mit Hilfe der Schülerwahrnehmung bezüglich der COOL-Qualitätskriterien (sie spiegeln
sich in den Faktorwerten) haben wir nun ein Maß, das wir in Verbindung mit der morali-
schen Urteilsfähigkeit bzw. dem C-Wert der einzelnen Schüler/innen bringen können. In
einem ersten Schritt lassen wir die fünf Faktoren mit dem MUT/s-Wert korrelieren. Erge-
ben sich hier Zusammenhänge? In einem zweiten Schritt soll eine univariate Varianzanaly-
se durchgeführt werden, deren abhängige Variable der MUT/s-Wert bildet und die unab-
hängigen Kovariaten die fünf Faktoren bilden.
Bezüglich der Korrelationen scheint es keinen Zusammenhang zwischen den COOL-
Faktoren und den C-Werten zu geben (vgl. Anhang 2). Lediglich Faktor 1 „Selbständiges
Arbeiten“ korreliert mit .103 schwach aber auf einem Niveau von 0,05 signifikant. Zum
gleichen Ergebnis kommt die Varianzanalyse (betrachtet man die fünf COOL-Faktoren als
einzige Einflussvariablen, vgl. Anhang 3). Auch sie bestätigt einen signifikanten Einfluss
des Faktors „Selbständiges Arbeiten“ (.033). Diese Ergebnisse dürfen aber nicht überbe-
wertet werden, wie eine Berücksichtigung aller untersuchten Variablen (Kap. 9.8) zeigt.
Die Hypothese, dass die Ausprägung von COOL mit der moralischen Urteilsfähigkeit posi-
tiv korreliert, muss also eindeutig widerlegt werden. Auch Indizien für einen (empirisch)
positiven Einfluss von COOL auf die moralische Urteilsfähigkeit ließen sich nach Lösung
des Ausprägungsproblems von COOL nicht finden.
Intervenierende Variablen
102
9 Intervenierende Variablen
Bisher stand nur die Einflussvariable COOL im Mittelpunkt. Gemäß Kapitel 6.6.1 ist es
aber durchaus denkbar, dass auch andere Variablen Einfluss auf die moralische Urteilsfä-
higkeit ausüben. Dieser Tatsache soll im Folgenden nachgegangen werden. Einzelne
Hypothesen zu möglichen intervenierenden Variablen werden im Diskussionsablauf darge-
stellt.
9.1 Kognitive Fähigkeiten: IQ25 und Schulnote
Wie in Kap. 2.4.1 gezeigt wurde, handelt es sich bei Kohlbergs Moralentwicklung um eine
kognitive Entwicklungstheorie. Mit Jean Piaget, James Mark Baldwin, John Dewey und
George Herbert Mead definiert Kohlberg Stufen „allein unter Rekurs auf kognitive Struk-
turen, also Denk- und Urteilsweisen.“ (Kohlberg 1995, S. 179)
Bereits Piaget hat angedeutet, dass bei Kindern intellektuelles Wachstum nötig ist, um hö-
herwertigere, qualitativere moralische Urteile fällen zu können (vgl. Kohlberg 1995,
S. 22). Auch „Kohlberg hat darauf hingewiesen, dass die Intelligenzentwicklung sensus
Piaget eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung für die moralische Ur-
teilsfähigkeit ist. So setzt bereits das Erreichen der Stufe 3 einfache formale Operationen
voraus (…), höhere Stufen des moralischen Urteils erfordern anspruchsvollere formale
Operationen.“ (Kohlberg 1973 zit. nach Weyers 2004, S. 176)
Die Empirie spricht ebenso für einen positiven Zusammenhang von Intelligenz und morali-
scher Urteilsfähigkeit: So berichtet Kohlberg, dass die moralische Fähigkeit der Rollen-
übernahme eine ausgeprägte kognitive Seite hat, deren Entwicklung mit dem kognitiven
Fortschritt (bei Intelligenztests oder Piagetaufgaben) korreliert (vgl. Kohlberg 1995, S. 33).
Daraus zieht er folgenden Schluss: „Intelligenz kann als eine notwendige, aber noch nicht
als hinreichende Ursache des moralischen Fortschritts angesehen werden. Alle moralisch
fortgeschrittenen Kinder sind gescheit, aber nicht alle gescheiten Kinder sind moralisch
fortgeschritten.“ (Kohlberg 1995, S. 33)
25 Interessierte seien für genauere Informationen auf bspw. Kohlberg 1974, S. 55ff. verwiesen.
Intervenierende Variablen
103
Die hier dargestellten theoretischen und empirischen Befunde verleiten all zu sehr, den
Einfluss des Intellekts als zu hoch zu bewerten, denn: „»Rein kognitive« Anregung ist ein
notwendiger Hintergrund der Moralentwicklung, bringt diese jedoch nicht unmittelbar her-
vor.“ (Kohlberg 1995, S. 164, Herv. i. Orig.; vgl. auch Kap. 6.6.1) Wichtiger sind die so
genannten Rollenübernahme-Gelegenheiten, die soziale Erfahrung und Anregung ermögli-
chen. Die Faktoren der „Rollenübernahme-Gelegenheiten“ sollten in dieser Untersuchung
durch die Variablen „Entwicklungsbedingungen nach Lempert“ und „COOL-Fragen“ be-
rücksichtigt worden sein. So können wir uns hier ganz dem rein kognitiven Aspekt wid-
men.
Diesen Ausführungen entsprechend wird folgende Hypothese aufgestellt: Es besteht ein
positiver Zusammenhang zwischen kognitiven Fähigkeiten (IQ/Schulnote) und der morali-
schen Urteilsfähigkeit! Mit Bezug auf die obige Theorie kann hier sogar von einem kausa-
len Einfluss der Intelligenz bzw. des Intellekts einer Person auf ihre moralische Urteilsfä-
higkeit gesprochen werden. Zu beachten ist allerdings, dass sich die obigen Ausführungen
von Piaget und Kohlberg vor allem auf Kinder beziehen und dass die Erhebung der morali-
schen Urteilsfähigkeit dort eine andere ist als hier. Hier wird der MUT/s verwendet; und
für Intelligenz im Zusammenhang mit dem MUT liegen weit weniger Befunde vor. Den-
noch halten wir an der Hypothese fest, da die moralische Urteilsfähigkeit nach Lind – wie
gezeigt wurde – stark auf einem kognitiven Aspekt beruht (vgl. Kapitel 7.1.1 und 7.1.2).
Empirische Befunde
Hettinger hat in einer sehr aktuellen Studie (2009) versucht, den Einfluss von Intelligenz
auf die moralische Urteilsfähigkeit, gemessen mit dem MUT, zu erheben. Allerdings muss-
te die Hypothese, dass sich überdurchschnittlich/hoch Begabte durch eine höher morali-
sche Urteilskompetenz auszeichnen als durchschnittlich Begabte, verworfen werden. „Ver-
gleicht man den erzielten C-Wert beider Begabungsgruppen, so gibt es keine signifikanten
Mittelwertsunterschiede“. (Hettinger 2009, S. 60)
Aus methodischen Gründen konnte in der vorliegenden Untersuchung, keine IQ-Testung
durchgeführt werden (vgl. Kap. 6.6.1). Es wurde daher versucht, die „Intelligenz“ anhand
von Schulnoten (sechs Noten verschiedener Fächer, die über 50 % der Wochenstunden
beanspruchen) zu erheben. Zwar verweist bereits bspw. Ingenkamp (1975) mit mehreren
Intervenierende Variablen
104
Untersuchungen26 darauf, dass Ziffernnoten ihre Ansprüche an Objektivität, Reliablität und
Validität nicht einlösen können. Jedoch empfiehlt Lind (2009a) dennoch Schulnoten zu
erheben, da für sie eine höhere prognostische Validität als bei Intelligenztests spricht. Wie
in Kap. 6.6.1 erwähnt vermutet Lind (2009a), dass moralische Urteilsfähigkeit eine wichti-
ge Bedingung für gute Schulleistungen ist. Als Grund führt er an, dass Schüler/innen, die
persönlich-moralische Konflikte nicht gut lösen können, auch kaum Kapazitäten für die
Beschäftigung mit weniger „ich-nahen“ Schulaufgaben frei haben. Diese Vermutung über
den Zusammenhang zwischen Schulnote und MUT wird in der Untersuchung von Lenz
(2006)27 bestätigt. Auch Heidbrink (1985, S. 269) hatte experimentell eine Korrelation r =
.22 zwischen MUT (C-Wert) und Ergebnissen in einem lernzielorientierten Test nachge-
wiesen.
Abbildung 12: Moralische Urteilsfähigkeit und Mathematik- sowie Deutschnoten (aus Lenz 2006, Datenanalyse Georg Lind)
26 Die Leserin und der Leser seien bspw. auf die Untersuchungen zur Aufsatzbeurteilung verwiesen, die
immer wieder nachwiesen, „dass verschiedene Beurteiler den gleichen Aufsatz so unterschiedlich be-urteilen, dass fast immer die ganze Notenskala besetzt ist“ (Ingenkamp 1975, S. 22). Das diese For-schungsergebnisse auch für die Schultypen der vorliegenden Untersuchung gelten, zeigt Grill 2005 in seiner Studie, die oberösterreichische berufsbildende Schulen als Stichprobe heranzieht (vgl. Grill 2005, S. 81).
27 Die Ergebnisse, die in Abbildung 12 sichtbar sind, sind so in der Arbeit von Lenz (2006) nicht darge-stellt; sie entstammen einer weiteren Analyse dieser Daten von Lind.
Intervenierende Variablen
105
Zu welchen Ergebnissen kommt die vorliegende Untersuchung?
Die Abbildung 13 zeigt deutlich, dass der C-Wert – also die moralische Urteilsfähigkeit –
beinahe linear mit dem (besseren) Notengrad ansteigt bzw. einhergeht.
Moralische Urteilsfähigkeit und Noten
10,00
12,00
14,00
16,00
18,00
20,00
22,00
1 2 3 4 5
Noten
C-W
ert
Deutsch
Englisch
LebendeFremdspracheMathematik
BWL
Rechnungswesen
Abbildung 13: Moralische Urteilsfähigkeit und Noten
Auch die SPSS-Korrelationstabelle 10 zeigt, dass wenn auch nur schwache, so doch hoch
signifikante Zusammenhänge zwischen der Schulnote und dem C-Wert des MUT/s beste-
hen. Die niedrigere Probandenanzahl bei der Mathematiknote erklärt sich dadurch, dass in
den ersten Klassen der untersuchten Schulen noch kein Mathematikunterricht stattfindet.
Tabelle 10: Korrelationen zwischen MUT/s und den erhobenen Schulnoten
D E FS M BWL RW Schnitt MUT/s Korrelation nach Pearson -,156(**) -,147(**) -,094(*) -,166(**) -,138(**) -,092 -,171(**) Signifikanz (2-seitig) ,001 ,002 ,049 ,010 ,005 ,055 ,000 N 443 443 435 241 421 438 440
** Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,01 (2-seitig) signifikant. * Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,05 (2-seitig) signifikant.
Auch eine Varianzanalyse zeigt – wie später in Kap. 9.8 noch zu sehen sein wird –, dass
von der Schulnote ein signifikanter Einfluss ausgeht (0,027). Die praktische Signifikanz
wird zudem auch deutlich, wenn man sich die Spannbreite der MUT/s-Werte in der obigen
Abbildung verdeutlicht. Sie reicht vom niedrigsten Wert um etwa 12 Punkte bei Note 5 bis
etwa 21 Punkte bei Note 1. Etwas verschärft formuliert, hat die Schulnote auf etwa ein
Drittel der üblicherweise beanspruchten MUT(/s)-Skala Einfluss.
Intervenierende Variablen
106
Bestätigung der Hypothese
Die oben angeführte Hypothese kann nur insofern bestätigt werden, als sich in einigen Stu-
dien – so auch in der vorliegenden – zeigt, dass ein Zusammenhang zwischen Noten und
moralischer Urteilsfähigkeit besteht bzw. gute Noten mit höheren C-Werten einhergehen.
Ob jetzt gute Noten bzw. die Leistungsfähigkeit eines Schülers/einer Schülerin gemessen
an der Note, Auslöser für höhere C-Werte sind/ist oder umgekehrt – wie Lind es oben ver-
mutet – muss mangels weiterer Untersuchungen offen bleiben. Ebenso konnte der Einfluss
des IQs auf die moralische Urteilsfähigkeit nicht überprüft werden bzw. musste er mit Het-
tingers Ergebnissen verneint werden.
Zusammenfassend ist mit Lind zu sagen: „Der MUT misst, wenn Sie wollen, moralische
Intelligenz. (…) Wie Intelligenz ist moralische Urteilsfähigkeit sehr stark von der Länge
und der Qualität der Beschulung abhängig, die ein Kind erfährt.“ (Lind 2009a)28
28 Zur Frage inwiefern Schule den IQ fördert sei auf Ceci (1991) verwiesen, der zu folgendem Schluss
kommt: „Even though many factors are responsible for individual and group differentes in the intellec-tual development of children, schooling emerges as an extremely important source of variance”. (Ceci 1991, S. 40)
Intervenierende Variablen
107
9.2 Soziobiografische Dimensionen nach Lempert
Welche Befunde gibt es aus der Forschung?
Im Kapitel 8.1.2 ist bereits auf die soziobiografischen Dimensionen nach Lempert einge-
gangen worden.29 Während sie dort als Hilfsmittel für die Analyse einer theoretischen Eig-
nung von COOL herangezogen wurden, stehen sie jetzt in ihrer eigentlichen Funktion –
nämlich zur Klärung beeinflussender Entwicklungsbedingungen auf die Moral – im Mit-
telpunkt. Bevor empirische Befunde dargestellt werden, ist noch wichtig darauf hinzuwei-
sen, dass in manchen Untersuchungen (bspw. Bienengräber 2000, S. 5) die in Tab. 6
(Kap. 8.1.2) geschilderten fünf sozialen Bedingungen der Entwicklung moralischer Urteils-
fähigkeit noch eine weitere Kategorie hinzugefügt bzw. die letzte Dimension „Verantwor-
tung“ in „Verantwortung“ und „Handlungschancen“ unterteilt wird. Dies ist deshalb wich-
tig, weil Beck (Johannes Gutenberg-Universität Mainz) für die Untersuchung der „Lem-
pert-Dimensionen“ ein Instrumentarium – welches er mir dankenswerterweise zur Verfü-
gung gestellt hat – konstruierte, das diese „Erweiterung“ ebenfalls beinhaltet. Welche For-
schungsergebnisse erzielen Beck u.a. nun mit ihren Versuchen, die Wirkung moralischer
Entwicklungsbedingungen zu erfassen? Viele Studien beziehen sich lediglich auf die
Wahrnehmung der Entwicklungsbedingungen und ihre Veränderung. Dennoch konnten
zwei Studien ausfindig gemacht werden, die versuchen, den Zusammenhang zwischen mo-
ralischer Urteilsfähigkeit (gemessen am Weighted Average Score nach Kohlberg 1987)
und Entwicklungsbedingungen darzustellen:
1. „Zur Frage der Bereichsspezifität in der Wirkung moralischer Entwicklungsbedingun-
gen“ (Bienengräber 2000, Herv. i. Orig.): Bienengräber untersucht die Homogenitätshypo-
these Kohlbergs – wonach „ein Mensch bei der Lösung sozialer Problemstellungen immer
von der höchsten ihm zur Verfügung stehenden Urteilstufe Gebrauch macht, unabhängig
von dem sozialen Umfeld, in dem er sich gerade befindet“. (Kohlberg zit. nach Bienengrä-
ber 2000, S. 2, Herv. i. Orig.) Entgegen dieser Homogenitätshypothese liegt seiner Unter-
suchung die Annahme zugrunde, dass das „Niveau der moralischen Urteilsbildung mit der
Umgebung verknüpft ist, für die und innerhalb der sie erfolgt“. (a.a.O., S. 3) Um diese zu
bestätigen befragte er 174 Auszubildende der Versicherungsbranche jeweils im Jahresab-
stand hinsichtlich der Ausprägung der lempertschen Entwicklungsbedingungen in den Le-
29 Angeführte Stelle beinhaltet ebenfalls eine theoretische Diskussion darüber, weshalb und warum die
lempertschen Dimensionen auf die Entwicklung der moralischen Urteilsfähigkeit Einfluss nehmen. Somit kann auf jene Ausführungen an dieser Stelle verzichtet werden.
Intervenierende Variablen
108
bensbereichen „Berufsschule“, „Betrieb“, „Lebensgemeinschaft“, „Freundskreis“ und
„Herkunftsfamilie“. Das allgemeine Ergebnis: „Bei Betrachtung der einzelnen Bedingun-
gen zeigt sich, dass es unabhängig von Domänespezifizität oder bereichsübergreifender
Wirkung die Kommunikationsdimension ist, die in der überwiegenden Zahl der Fälle den
höchsten Beitrag zur Varianzaufklärung leistet.“ (a.a.O., S. 18, Herv. i. Orig.)
2. „Der Zusammenhang von betrieblichen Interaktionsbedingungen und Facetten sozialer
Kompetenz – Möglichkeiten der Diagnose.“ (Wuttke & Surać 2003, Herv. i. Orig.): Über
die Forschungsfrage von Bienengräber hinaus, wird in ihrer empirischen Analyse der Fo-
kus verstärkt auf den Zusammenhang zwischen Entwicklungsbedingungen und moralischer
Urteilskompetenz gelegt. Wie auch Bienengräber kommen Wuttke & Surać (2003, S. 10)
zu dem Ergebnis, dass „Veränderungen in der moralischen Urteilskompetenz (…) insbe-
sondere mit den wahrgenommenen Kommunikations- und Kooperationsmöglichkeiten in
Zusammenhang stehen.“
Trotz dieser Ergebnisse verweisen beide Autoren darauf, dass keine signifikanten Effekte
der Entwicklungsdingungen entdeckt werden konnten. „Zweifellos finden wir irgendeinen
Einfluss der Entwicklungsbedingungen auf die Veränderung der moralischen Urteilsfähig-
keit. Ein spezifisches Muster ist allerdings mit unseren Daten bislang nicht zu ermitteln“.
(Wuttke & Surać 2003, S. 12, Herv. i. Orig.)
Weshalb habe ich nun diese Dimensionen trotz der „negativen“ Ergebnisse in die Untersu-
chung aufgenommen? Wuttke & Surać (2003, S. 12) führen als einen möglichen Grund für
diese Ergebnisse die niedrige Stichprobe an. Meine Stichprobe ist beinahe dreimal so groß.
Außerdem bietet das Erhebungsinstrument eine, hinsichtlich der Untersuchungsökonomie,
günstige Möglichkeit, all jene für die moralische Urteilsfähigkeit relevanten Bereiche (fa-
miliäre Situation, Schule, Peers) abzudecken (siehe dazu Kap. 6.6.1). Es wird also auch für
diese Untersuchung die Hypothese aufgestellt, dass zwischen der Wahrnehmung der Ent-
wicklungsbedingungen und dem C-Wert ein positiver Zusammenhang besteht.
Zu welchen Ergebnissen kommt die vorliegende Untersuchung?
Um die folgenden Daten auch angemessen interpretieren zu können, ist es notwendig zu
wissen, wie der Einfluss der Entwicklungsbedingungen gemessen wurde. Erhoben wurde
die Selbsteinschätzung der Schüler/innen. Mit Lüdecke-Plümer (1997, S. 4f.) und Wuttke
& Surać (2003, S. 6f.) wurde dazu folgende Vorgehensweise gewählt: Die Proband/innen
Intervenierende Variablen
109
wurden aufgefordert, die Ausprägung einer soziobiographischen Bedingung auf einer Ska-
la (1) von - 2 bis + 2 (bspw. „selten“ bis „oft“ oder „völlig“ bis „gar nicht“) zu beurteilen.
Die subjektive Bedeutsamkeit der Bedingung aus Sicht der Auszubildenden wurde sodann
mit einem Gewichtungsfaktor ebenfalls auf einer Skala (2) von - 2 bis + 2 („nicht wichtig“
bis „sehr wichtig“) erhoben. Skala 2 wurde in eine Skala von 0 bis 2 transformiert, damit
eine Multiplikation mit Skala 1 möglich war. Durch diese Multiplikation ergaben sich ge-
wichtet Daten zwischen – 4 und + 4, wobei der negative Bereich als „hinderlich“ und der
positive als „förderlich“ klassifiziert werden kann (vgl. Wuttke & Surać 2003, S. 6).
Folgende Abbildung 14 zeigt die Mittelwerte der Einfluss-Faktoren der Entwicklungsbe-
dingungen gegliedert nach den Domänen „Familie“, „Peers“ und „Schule“. Wichtig ist,
dass es sich hier um Selbsteinschätzungen handelt! Eine Unterscheidung in COOL und
nicht-COOL erscheint nicht relevant, da die Entwicklungsbedingungen ja unabhängig vom
Unterrichtstyp sind (mit Ausnahme von Kooperation, Verantwortung und Handlungschan-
cen in der Schule, welche zum Teil schon in den COOL-Fragen berücksichtigt wurden).
Selbsteinschätzung der Entwicklungsbedingungen nach Lempert in den 3 Domänen durch die Schüler/-innen
-1,00-0,500,000,501,001,502,002,503,00
Wertsc
hätzu
ng
Konflik
te
Kommun
ikatio
n
Koope
ration
Verantw
ortun
g
Handlu
ngsc
hanc
en
Entwicklungsbedingungen nach Lempert
Mitt
elw
erte
der
Impa
cts
(Ska
la -4
bis
+4)
FamiliePeersSchule
Abbildung 14: Selbsteinschätzung der Entwicklungsbedingungen30
30 Wertschätzung und Kommunikation wurden im Bereich der Schule für Mitschüler/-innen und Leh-
rer/-innen getrennt erhoben, weshalb in diesen Dimensionen eine vierte Säule erscheint. Die dritte Säule von links bedeutet also Wertschätzung/Kommunikation unter/mit den Mitschüler/-innen und vierte bedeutet Wertschätzung/Kommunikation von/mit den Lehrer/-innen.
Intervenierende Variablen
110
Auffallend sind vor allem zwei Aspekte dieses Diagramms; beide wenig verwunderlich:
1. Die Domäne „Peers“ wird von den Schüler/innen über alle Entwicklungsbedingungen
hinweg (mit Ausnahme der Bedingung „Handlungschancen“) als die am ausgepräg-
testen und wichtigsten beurteilt; gefolgt von der Domäne „Familie“.
2. Die Entwicklungsbedingung „Kooperation“ in der Domäne Schule, ist die einzige
Bedingung, die – der Einschätzung der Schüler/innen nach – als „hinderlich“ für die
moralische Entwicklung klassifiziert werden kann. Werfen wir einen genaueren Blick
auf dieses Ergebnis. Gefragt wurde danach, ob die Schüler/innen in den Fächern
Deutsch, Englisch, zweite lebende Fremdsprache, Mathematik, Betriebswirtschaft
und Rechnungswesen in Entscheidungen zur Unterrichtsgestaltung einbezogen wer-
den. Die Antworten „selten“ und „nie“ dominieren dabei, weshalb sich dieses Ergeb-
nis erklären lässt. Hier ist eine Unterscheidung in COOL und nicht COOL notwen-
dig, da davon ausgegangen werden kann, dass COOL-Schüler/innen stärker in die
Unterrichtsgestaltung einbezogen werden, aufgrund der diversen Wahlmöglichkeiten.
Jedoch zeigt ein T-Test zweier unabhängiger Stichproben, dass der Mittelwertunter-
schied nicht signifikant ist (vgl. Anhang 5).
Soweit das Bild der Selbsteinschätzung von Schüler/innen. Haben die Entwicklungsbedin-
gungen bzw. ihre errechneten Einflussfaktoren nun tatsächlich Auswirkungen auf die mo-
ralische Urteilsfähigkeit? Diese Frage soll im Folgenden durch eine Faktorenanalyse und
eine darauf aufbauende Varianzanalyse beantwortet werden.
Faktorenanalyse und Varianzanalyse
Eine Faktorenanalyse (Anhang 4) zeigt, dass sich die 19 Einflussfaktoren der Entwick-
lungsdimensionen – die sich aus der oben geschilderten Berechnung ergeben – auf vier
Faktoren verdichten lassen: „Peers“, „Familie“, „Mitschüler/innen“ und „Lehrer/innen“
genannt. Betrachtet man diese vier Faktoren als alleinige Variablen, die Einfluss auf die
moralische Urteilsfähigkeit haben, so kommt eine Varianzanalyse (Anhang 6) zu dem Er-
gebnis, dass der Faktor „Lehrer/innen“ signifikanten Einfluss nimmt (Korrelation: 0,107
jedoch signifikant bei 0,05; vgl. Anhang 7). Das bedeutet, dass eine höhere Ausprägung
dieses Faktors mit einem höheren C-Wert einhergeht. Betrachtet man die Fragestellungen,
die diesem Faktor zugrunde liegen, so erscheint dies nur plausibel:
Intervenierende Variablen
111
1. Fühlst du dich von deinen Lehrern als „eigenständige Persönlichkeit“ geachtet?
2. Kannst du deine Argumente immer offen äußern und werden diese ernst genommen
in Diskussionen mit deinem Lehrer?
3. Wirst du vom Lehrer in Entscheidungen zur Unterrichtsgestaltung einbezogen? (vgl.
auch den Fragebogen, Abschnitt „Fragen zum Bereich Schule“ 3., 8., 10.)
Widerlegung der Hypothese
Die Hypothese, dass zwischen den Entwicklungsbedingungen und dem MUT/s-Wert ein
positiver Zusammenhang besteht, kann nur für den Faktor „Lehrer“, der sich aus den Di-
mensionen „Wertschätzung von Lehrer/innen“, „Kommunikation mit Lehrer/innen“ sowie
„Kooperation (oder besser Mitgestaltungsrechte) in der Schule“ zusammensetzt, bestätigt
werden. Die Korrelation ist jedoch schwach, aber signifikant auf einem Niveau von 0,05.
Die anderen Faktoren bzw. Entwicklungsbedingungen scheinen weder mit dem MUT/s-
Wert zu korrelieren noch signifikanten Einfluss auf diesen zu haben, wie die Varianzanaly-
se zeigt. Auch eine spätere, umfassendere Varianzanalyse zeigt, dass der Einfluss des Fak-
tors „Lehrer“ verschwindet, werden andere Variablen hinzugezogen (vgl. Kap. 9.8).
Gelegenheit zur Rollenübernahme
Es wurde bereits öfters die Bedeutung der Gelegenheiten zur Rollenübernahme für die Ent-
wicklung der moralischen Urteilsfähigkeit hervorgehoben: „Moralentwicklung hängt von
Stimulierung ab, die man kognitiv-strukturell aufschlüsseln kann, die aber auch eine sozia-
le Stimulierung sein muss, wie sie durch soziale Interaktion, moralische Entscheidungen,
moralischen Dialog und moralisches Miteinander zustande kommt.“ (Kohlberg 1995,
S. 164, Herv. d. Verf.) Die Gelegenheiten zur Rollenübernahme sind vor allem deshalb so
wichtig, weil sie der Person die Möglichkeit bieten, die Haltung anderer nachzuvollziehen,
sich ihre Gedanken und Gefühle zu vergegenwärtigen und sich in ihre Lage zu versetzen
(vgl. Kohlberg 1995, S. 165).
Es soll nun diese Behauptung über den Einfluss der Gelegenheiten zur Rollenübernahme in
der vorliegenden Untersuchung überprüft werden. Zwar ist dies schon zum Teil mit den
lempertschen Dimensionen geschehen, jedoch floss dort die subjektive Bedeutung derarti-
ger Gelegenheiten für die Proband/innen mit ein. Eine Ausschaltung dieser sowie die Hin-
zunahme einiger weiterer Items aus dem ORIGIN/s (bspw. die Frage nach einer Vereins-
zugehörigkeit, siehe unten) führten jedoch ebenfalls zu keinem erkennbaren Zusammen-
Intervenierende Variablen
112
hang mit der moralischen Urteilsfähigkeit. Lediglich die Vereinstätigkeit für sich betrach-
tet macht einen Unterschied, wie der folgenden T-Test (Tabelle 11) zeigt.
Tabelle 11: T-Test des MUT/s-Mittelwerts bei den beiden Probandengruppen
“mit und ohne Vereinsmitgliedschaft“
Gruppenstatistiken
Verein N Mittelwert Standardab-
weichung
Standardfeh-ler des Mit-telwertes
kein Vereins-mitglied 151 16,4353 11,56206 ,94091 MUT/s
Vereinsmit-glied 296 19,0754 12,08870 ,70264
Test bei unabhängigen Stichproben
T-Test für die Mittelwertgleichheit
T df Sig. (2-seitig) Mittlere
Differenz Standardfehler der Differenz
95% Konfidenzintervall der Differenz
Untere Obere MUT/s -2,216 445 ,027 -2,64012 1,19143 -4,98165 -,29859
-2,248 314,255 ,025 -2,64012 1,17431 -4,95063 -,32961
Intervenierende Variablen
113
9.3 Soziale Schicht
„In drei untersuchten unterschiedlichen Kulturen wurde festgestellt, dass die moralische
Urteilsfähigkeit von Mittelschichtkindern weiter fortgeschritten war, als die der entspre-
chenden Unterschichtkinder.“ (Kohlberg 1995, S. 34) Nach Kohlberg durchlaufen Mittel-
schichtkinder die moralische Entwicklung schneller als Arbeiterkinder und kommen dabei
auch weiter voran (vgl. ebd.). Im Gegensatz dazu führt Lind Unterschiede in der morali-
schen Urteilsfähigkeit einzig und alleine auf geeignete Bildungserfahrungen zurück (siehe
Kap. 6.6.1).
Trotzdem wird in dieser Arbeit – gemeinsam mit Weyers (2004, S. 174) – ein positiver,
jedoch nicht linearer Zusammenhang zwischen moralischer Urteilsfähigkeit und sozialer
Schicht unterstellt. Mit anderen Worten: Es wird erwartet, dass Proband/innen aus der ge-
hobenen Schicht signifikant höhere C-Werte erreichen als ihre Kolleg/innen der Unter-
schicht.
Konzeptualisierung und Erhebung der Schichtvariable
Lippe zeigt bereits 1972 in seinem Buch „Statistische Methoden zur Messung der sozialen
Schichtung“ verschiedenste Möglichkeiten zur Erhebung der hier behandelten unabhängi-
gen Variable „soziale Schicht“ auf. Unter anderem wird auch auf die hier verwendete Me-
thode des Statusindexes sowie auf ihre Vor- und Nachteile eingegangen (siehe Lippe 1972,
S. 62ff.). In diesem Abschnitt soll es aber bei einer Darstellung der Zusammensetzung des
Indexes bleiben, für weitere Ausführungen zu diesem Instrument seien die Leserin und der
Leser auf bspw. Lippe 1972 verwiesen.
Wenn von Indizes zur Messung sozialer Schicht die Rede ist, wird fast immer darauf ver-
wiesen (bspw. Oevermann 1972, S. 111), dass in der Literatur viele Beispiele und Varian-
ten für einen Gesamtindex des sozi-ökonomischen Status bestehen. „Üblicherweise werden
dabei die Faktoren Beruf, Einkommen und Ausbildungsniveau des Haushaltesvorstandes
erfasst, gewichtet und zu einem Gesamtindex kombiniert.“ (Oevermann 1972, S. 111)
Der Strategie des Österreichischen Instituts für Bildungsforschung (Schlögl & Lachmayr,
2004, S. 27) folgend, wird die soziale Schicht über Beruf und Bildung der Eltern erhoben.
Das Einkommen der Eltern bleibt aus methodischen Gründen – die Schüler/innen können
darüber meist kaum Auskunft geben – unberücksichtigt. So wurden die Schüler/innen ei-
Intervenierende Variablen
114
nerseits aufgefordert unter vorgegebenen Bildungsabschlüssen, jenen der Mutter und jenen
des Vaters anzukreuzen und andererseits in einer Freiantwort, den Beruf der beiden Eltern-
teile möglichst genau zu beschreiben. Letztere Antwort wurde im Rahmen der Auswertung
umkodiert in die Kategorien nach Oevermann (1972, S. 454 und 456). Anschließend wur-
den ähnliche dieser 20 Berufskategorien zu insgesamt sieben Überkategorien zusammen-
gefasst. Auch die neun Bildungskategorien wurden zu vier Überkategorien zusammenge-
fasst, die je ähnliche Bildungsabschlüsse beinhalten. Im nächsten Schritt wurden diese bei-
den Kategorien addiert, wobei die Bildungskategorie mit 1,5facher Gewichtung einfloss,
da sie für die vorliegende Untersuchung wichtiger erscheint und so dem bildungsnahen
Haushalt Rechnung getragen werden kann. In einem letzten Schritt wurde dann der Wert
der Mutter zu jenem des Vaters (sofern jeweils vorhanden) hinzuaddiert, wobei wiederum
eine Gewichtung vorgenommen wurde (2/5 Mutter und 3/5 Vater). So entstanden Index-
werte von 0 bis 12, die in Tabelle 12 jeweils einer Schicht zugewiesen wurden:
Tabelle 12: Schichtzuweisung
kein Schul-abschluss BMS Meister-
prüfung Kolleg,
Akademie
HS/AHS Un-terstufe
Berufs-schule AHS/BHS Hochschul-
ausbildung
1 2 3 4 angelernte Arbeiter 1 ungelernte Arbeiter 1 2,5 4 5,5 7 Land- und Forstarbeiter 1 einfache Angestellte 2 einfache Beamte 2 3,5 5 6,5 8 2 Landwirte 3 mittlere Angestellte/Beamte 3 4,5 6 7,5 9 Facharbeiter (Handwerk) 3 kleine Selbständige 4 gehobene Angestellte 4 5,5 7 8,5 10 gehobene Beamte 4 mittlere Selbständige 5 leitende Angestellte 5 6,5 8 9,5 11 höhere Beamte 5 akademisch freie Berufe 6 sonstige frei Berufe 6 7,5 9 10,5 12 große Selbständige 6
Hohe Schicht: 10-12 Gehobene Schicht: 7-10 Mittlere Schicht: 4-7 Niedrige Schicht: 0-4
Intervenierende Variablen
115
Die Korrelationen zwischen der Schicht und den Variablen „Ausbildung des Vaters“
(0.72), „Beruf des Vaters“ (0.70) und „Ausbildung der Mutter“ (0.56) sowie „Beruf der
Mutter“ (0.52) sind hoch. Die Variablen sind also nicht voneinander unabhängig.
Befund von Weyers 2004
Weyers (2004, S. 185) kommt in seiner Untersuchung der moralischen Entwicklung und
Sozialisation 30 straffälliger Jugendlicher zu folgenden Resultaten:
Tabelle 13: Soziale Schicht der Eltern und der WAS (Weyers 2004, S. 185)
Soziale Schicht der Eltern N = WAS
I untere Unterschicht 8 298
II obere Unterschicht 13 309
III Mittelschicht 9 331
Aus Tabelle 13 geht hervor, dass in Weyers Untersuchung nicht der MUT zum Einsatz
kam, sonder das Weighted Average Score-Verfahren von Kohlberg. Dieses Verfahren be-
dient sich anders als der MUT der Auswertung qualitativer Interviews, auf deren Basis
durch ein aufwändiges Verfahren der WAS-Wert berechnet wird (vgl. Kohlberg 1995,
S. 202). Die in Tabelle 13 angeführten WAS-Werte sind lt. Weyers statistisch zwar nicht
signifikant, jedoch zeigen die, hier nicht abgebildeten Stufenwerte, dass die soziale Schicht
der Eltern durchaus aussagekräftig ist (vgl. Weyers 2004, S. 186).
Zu welchen Ergebnissen kommt die vorliegende Untersuchung?
Die untenstehende Tabelle 14 zeigt, dass 3 % der Proband/innen der hohen, 33 % der ge-
hobenen, 55 % der mittleren und 8,5 % der niedrigen Schicht angehören. Die durchschnitt-
lich erreichten C-Werte steigen mit der Schicht an.
Tabelle 14: Durchschnittliche C-Werte je sozialer Schicht
soziale Schicht Mittelwert MUT/s N % Standardab-
weichung
hohe Schicht 18,0854 15 3,33 16,55015 gehobene Schicht 20,6830 149 33,11 12,90898 mittlere Schicht 17,3523 248 55,11 11,33774 niedrige Schicht 14,5370 38 8,44 8,40303 Insgesamt 18,2418 450 100,00 11,98243
Intervenierende Variablen
116
Eine einfaktorielle ANOVA (Anhang 8) zeigt, dass sich der Mittelwert der gehobenen
Schicht (20,68) signifikant auf einem Niveau von 0,015 vom Mittelwert der niedrigen
Schicht (14,53) unterscheidet. Alle anderen Mittelwertunterschiede sind statistisch nicht
signifikant. Jedoch liegen die Mittelwerte jeweils drei Punkte auseinander. In Kap. 8.2.2
wurde gezeigt, dass für Lind drei Punkte Unterschied im C-Wert bereits praktisch signifi-
kant sind, da sie etwa 10 % der normalerweise beanspruchten MUT(/s)-Skala ausmachen.
Weiters ist die Korrelation nach Pearson mit 0,134 zwar schwach aber hoch signifikant
(0,005). Auch in der abschließenden Varianzanalyse nimmt die Variable „soziale Schicht“
einen statistischen signifikanten Einfluss (0,033) ein (vgl. Kap. 9.8). Mit Hettinger (2009,
S. 50) muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass der MUT(/s) viel Konzentration ver-
langt und so Schüler/innen bildungsschwacher Schichten benachteiligen könnte.
Bestätigung der Hypothese
Die oben angeführte Hypothese, dass Proband/innen höherer Schichten im Durchschnitt
über höhere moralische Urteilskompetenz verfügen als Proband/innen niedrigerer Schich-
ten, kann somit bestätigt werden. Als Grund dafür könnten eventuell die zunehmenden
Gelegenheiten zur Rollenübernahme mit steigender sozialer Schicht angesehen werden.
Folgende Abbildung 15 zeigt, dass die Proband/innen der höheren und gehobenen sozialen
Schicht die Gelegenheiten zur Rollenübernahme stärker – wenn auch nicht statistisch sig-
nifikant – wahrnehmen als Proband/innen der unteren Stufen.
hohe Schicht gehobene Schicht mittlere Schicht niedrige Schicht
soziale Schicht
0,28
0,30
0,32
0,34
0,36
Mittel
wert v
on Ro
llenüb
ernah
me
Abbildung 15: Rollenübernahme und soziale Schicht
Intervenierende Variablen
117
9.4 Alter und Schulstufe
„Nach Piaget taucht die höchste Stufe, formale Operationen, (unter günstigen Entwick-
lungsbedingungen, Anm. d. Verf.) in der frühen Adoleszenz, im Alter zwischen 12 und 15
Jahren auf.“ (Kohlberg 1995, S. 89) Auch empirische Untersuchungen (bspw. Kohlberg
und Haan 1977) bestätigen einen Alterstrend in der Entwicklung des formal-operatorischen
Denkens.
Für die Entwicklung der moralischen Urteilsfähigkeit konstatiert Kohlberg aufbauend auf
Piaget folgenden Einfluss des Alters: „Die Entwicklung von Stufen moralischen Urteilens
erfolgt zum größten Teil in der Kindheit und in der Adoleszenz und erfordert nicht die um-
fassende persönliche Erfahrung moralischer Entscheidungsmöglichkeiten und Verantwor-
tungen, wie man sie im Leben des Erwachsenen findet.“ (Kohlberg 1995, S. 102) Aller-
dings sieht Kohlberg nicht das Alter alleine verantwortlich für einen Stufenwechsel:
„Vermutlich bilden chronologisches Alter und Erbkomponente des IQ einen Reife-Index,
mit dem Piagets Stufen korrelieren. Bevor der Reifungsprozess – vermutlich in der Ado-
leszenz – nicht endgültig abgeschlossen ist, scheint es also unmöglich zu sein, den jeweili-
gen Einfluss von Reifung und Erfahrung bei der Erzeugung von Stufen und Stufenwech-
seln zu isolieren.“ (Kohlberg 1995, S. 88)
Da in der vorliegenden Untersuchung sich die meisten Proband/innen „mitten“ in der Ado-
leszenz befinden, scheinen diese Annahmen von Piaget und Kohlberg hohe Relevanz zu
haben. Nicht jedoch so bei Lind bzw. genauer hinsichtlich seiner Auffassung von morali-
scher Urteilsfähigkeit – gemessen mit dem MUT. „Es gibt keine Entwicklungslogik, nach
der sich die Fähigkeit zum differenzierten und konsistenten Urteilen als Funktion des Al-
ters entfaltet.“ (Lind 2000a, S. 120, Herv. i. Orig.) Demnach stellt das Alter keine einfluss-
nehmende Variable (auf den C-Wert) dar. Viel wichtiger erscheinen angemessene Bil-
dungserfahrungen (siehe Kapitel 6.6.1). „In fast allen Studien wird Wert auf die Feststel-
lung gelegt, dass die Stufe des moralischen Urteils mit wachsendem Alter zunimmt, aber
von wenigen Ausnahmen abgesehen hat es kaum ein Autor für wichtig erachtet mitzutei-
len, dass in derselben Zeit ebenfalls die Bildungserfahrungen der Befragten zunehmen.“
(Lind 2000a, S. 114) In Bezugnahme auf Linds Worte/These wird auch für diese Studie
angenommen, dass das Alter eine eher untergeordnete Rolle spielt und seine Wirkung auf
die moralische Urteilsfähigkeit vernachlässigt werden kann. Dennoch, werfen wir einen
Intervenierende Variablen
118
Blick auf die Befunde, mit denen Lind seine Behauptung untermauert, um sie danach mit
den Werten der vorliegenden Studie vergleichen zu können.
Empiriegeleitete Diskussion
Für die Prüfung der bildungstheoretischen These verweist Lind u.a. auf eine repräsentative
Erhebung (1990) mit dem MUT bei Jugendlichen aus Deutschland. Die Stichprobe dieser
Erhebung bestand ebenso wie in der vorliegenden Studie aus jungen Erwachsenen im Alter
zwischen 14 und 21 Jahren. Jedoch hatten sie bereits das allgemein bildende Schulsystem
verlassen und besuchten Berufsschulen oder berufsvorbereitende Vollzeitschulen (vgl.
Lind 2000a, S. 116).
Abbildung 16: Moralische Urteilsfähigkeit (MUT/C-Wert) in Abhängigkeit von Alter und Schulart bei 14 bis 21 jährigen Jugendlichen (Lind 2000a, S. 118)
„Diese Befunde (verglichen mit anderen Studien, Anm. d. Verf.) zeigen, dass sich während
des Hochschulstudiums keine Regression der moralischen Urteilsfähigkeit ereignet, dass
eine solche Regression aber zu beobachten ist, wenn man Jugendliche und junge Erwach-
sene studiert, die in diesem Lebensabschnitt eine berufliche Ausbildung oder eine Arbeit
aufnehmen.“ (Lind 2000a, S. 120, Herv. i. Orig.) Mit diesen Ergebnissen sieht Lind „seine
Bildungstheorie“ bestätigt. Wie aus der Abbildung 16 ersichtlich ist, nimmt der C-Wert mit
Zunahme des Alters ab. Würde die Reifungsthese Gültigkeit beanspruchen, so müssten die
C-Werte mit dem Alter steigen. Die Abnahme der C-Werte führt Lind auf fehlende Bil-
Intervenierende Variablen
119
dungsprozesse zurück, die die Entwicklung stimulieren könnten (vgl. ebd.). Offenbar sind
diese nach dem Verlassen des allgemein bildenden Schulsystems nicht mehr gegeben:
„Unter Lebens- und Arbeitsbedingungen, die keine solche Stimulation bieten oder den
Menschen gar die Möglichkeit der moralischen Reflexion und des ethischen Diskurses
entziehen, müssen wir mit einem schleichenden Verlust der moralischen Urteilsfähigkeit
rechnen.“ (Lind 2000a, S. 120)
Diesen Befunden zufolge wird die Hypothese aufgestellt, dass zum einen das Alter keinen
statistisch signifikanten Einfluss auf die moralische Urteilsfähigkeit hat und zum anderen
in der Stichprobe keine Abnahme der moralischen Urteilsfähigkeit mit Zunahme des Alters
einhergeht, da angenommen wird, dass die berufsbildenden höheren Schulen Bildungspro-
zesse ermöglichen, die die Entwicklung der moralischen Urteilsfähigkeit stimulieren.
Zu welchen Ergebnissen kommt die vorliegende Untersuchung?
Wie die Abbildung 17 (bzgl. der ONEWAY ANOVA siehe Anhang 12 und 13) zeigt, kann
von einem Abfall der C-Werte mit Zunahme des Alters bzw. der Schulstufe keine Rede
sein. Es scheint, als würden die berufsbildenden höheren Schulen tatsächlich Bildungspro-
zesse ermöglichen, die die Entwicklung der moralischen Urteilsfähigkeit stimulieren –
anders als in der EMNID-Studie – jedoch auch nicht erheblich fördern, da sich der C-Wert-
Anstieg in Grenzen hält.
MUT-Werte und Alter
15,516
16,517
17,518
18,519
19,520
14 15 16 17 18 19 20
Alter in Jahren
C-W
ert-D
urch
schn
itt
MUT und Schulstufe
17,518
18,519
19,520
20,521
21,522
1 2 3 5
Schulstufe
C-W
ert-D
urch
schn
itt
Abbildung 17: MUT/s-Werte und Alter sowie Schulstufe
Hat das Alter nun Einfluss auf den C-Wert?
Betrachtet man das rechte Diagramm mit den Schulstufen, so scheint das Alter tatsächlich
Einfluss zu haben, ist doch der Abstand zwischen 21,5 (5. Klassen) und 17,5 (1. Klassen)
mit vier Punkten zumindest praktisch signifikant. Diese hohe Differenz ergibt sich aber nur
aufgrund einiger Ausreißer nach oben in den 5. Klassen. Im linken „Alters-Diagramm“
Intervenierende Variablen
120
wurden diese herausgefiltert. Betrachtet man daher nur das linke Diagramm mit dem Alter
in Jahren, so sieht man, dass der Unterschiede nicht mehr so groß ist (rund 2,5 Punkte) und
der durchschnittliche C-Wert weiters relativ stark schwankt. Die einfaktorielle ANOVA
ergibt zudem hinsichtlich beider Unterteilungen „Alter“ und „Schulstufe“ keine signifikan-
ten C-Wert-Unterschiede (Signifikanzniveau: Alter 0,798; Schulstufe 0,424).
Bestätigung der Hypothesen
Die beiden aufgestellten Hypothesen können also bestätigt werden, da zum einen kein
„Leistungsabfall“ im C-Wert über das Alter hinweg ersichtlich ist und zum anderen der
Einfluss des Alters ebenfalls weder statistisch noch praktisch signifikant erscheint. Näheres
dazu aber noch in der abschließenden Varianzanalyse (Kap. 9.8).
Intervenierende Variablen
121
9.5 Geschlecht: Die weibliche Stimme
1982 veröffentlichte Carol Gilligan das Buch „In a different Voice: Psychological Theory
and Women’s Development“, in welchem sie darzulegen versucht, dass Frauen eine „eige-
ne“ Moral haben. Die Kohlberg-Schülerin kritisiert, dass die moralische Entwicklungsthe-
orie nach Kohlberg einem „männlichen Vorurteil folge und die Entwicklung von Jungen
und Männern als die Normalentwicklung darstelle.“ (Gilligan 1988, S. 90, Änderung d.
Verf.) Frauen haben jedoch eine andere Stimme, eine andere moralische Sprache, die es
notwendig mache, moralische Entwicklung neu zu definieren (vgl. Gilligan 1988, S. 9ff.)
Ohne an dieser Stelle genauer darauf eingehen zu wollen, würden Gilligan zufolge Männer
in Moralfragen (oder genauer in Moralkonflikten wie dem Heinz-Dilemma) verstärkt ge-
rechtigkeits- und prinzipiengeleitet urteilen (Gerechtigkeitsmoral), während Frauen eher
fürsorge- und verantwortungsgeleitet urteilen (Fürsorgemoral) (vgl. Gilligan 1988, S. 124).
Genauer gesagt beruht „ihr Verhalten (jenes der Frauen, Anm. d. Verf.) nicht auf ‚abstrak-
ten’ Prinzipien wie Recht und Gerechtigkeit, sondern auf einer anderen Moral, nämlich der
Moral der Konformität mit den Normen der Primärgruppe, die im wesentlichen (sic!) der
Erhaltung der Beziehungen zu anderen Menschen dient.“ (Lind, Grocholewska & Langer
1986, S. 2, Herv. i. Orig.) Den Grund dafür sieht Gilligan vor allem in unterschiedlichen
Sozialisationsprozessen, die Mädchen und Jungen durchlaufen (vgl. Oser & Althof 1997,
S. 298f.). So entwickeln Frauen eine eigene Sprache der Moral: „Es ist dies die Sprache
des Egoismus und der Verantwortung, die das moralische Problem als Verpflichtung defi-
niert, Rücksichtnahme zu üben und Verletzungen zu vermeiden. Das Zufügen von Verlet-
zungen wird als egoistisch und unmoralisch angesehen, da es von Gleichgültigkeit zeugt,
während der Ausdruck von Rücksichtnahme als Erfüllung der moralischen Verantwortung
betrachtet wird.“ (Gilligan 1988, S. 94)
Aufgrund dieser Fürsorgeperspektive befürchtet Gilligan, dass Frauen im Vergleich zu
Männern auf niedrigeren moralischen Stufen nach Kohlberg „gefangen“ seien, wodurch sie
im kohlbergschen Auswertungssystem auch schlechter abschneiden würden (vgl. Oser &
Althof 1997, S. 308). Folglich würden Frauen in der Regel auf Stufe 3 (der Kohlberg-
Skala) landen, während es die männlichen Kollegen zumindest auf die Stufe 4 schaffen.
Da in meiner Stichprobe rund zwei Drittel Frauen enthalten sind (vgl. Kreuztabelle im An-
hang 10), ist diese Hypothese von Gilligan durchaus relevant für die Interpretation der Da-
Intervenierende Variablen
122
ten – sofern sie denn haltbar ist. Genau das soll im Folgenden mit theoretischen und empi-
rischen Hinweisen überprüft werden. Auf den Ansatz von Gilligan wird an dieser Stelle
aus Platzgründen nicht weiter eingegangen.
Empiriegeleitete Diskussion
Nach Oser & Althof (1997, S. 296) sind Gilligans Ideen „vor allem deshalb beachtenswert,
weil sie zwar von den das Forschungsgebiet beherrschenden Theorien ausgehen, sich aber
zugleich gegen einige Grundannahmen, die dort erhoben oder stillschweigend mitgeführt
wurden bzw. werden, kritisch aussprechen.“ Die oben angeführte Behauptung jedoch, dass
Frauen schlechter abschneiden, halten sie für einen Mythos, der immer wieder in Lehrbü-
chern und Einleitungen zu wissenschaftlichen Untersuchungen auftaucht (vgl. Oser & Alt-
hof 1997, S. 308f.). Als empirischen Befund gegen diese Behauptung führen sie die Meta-
analyse von Walker (1984, 1986) an, welche sich auf 152 Stichproben mit über 10.000
Proband/innen stützt. „In 130 dieser Stichproben (85,5 %) ergab sich keine signifikante
Differenz.“ (Oser & Althof 1997, S. 309, Herv. i. Orig.) Soweit zu den Befunden, die das
Auswertungsverfahren von Kohlberg verwendeten. Wie sieht es nun bei der Ermittlung der
moralischen Urteilsfähigkeit mit dem MUT aus? Drei Verweise sollen Antwort geben:
1. theoretischer Verweis
Bezogen auf Untersuchungen mit dem MUT versuchen Lind, Grocholewska & Langer im
Artikel „Haben Frauen eine andere Moral?“ (1986) bereits in theoretischer Hinsicht aufzu-
zeigen, dass die moralische Urteilsfähigkeit geschlechterunabhängig ist. Gemäß der kogni-
tiven Entwicklungstheorie und „Kants Definition der Moralität als jenen Bereich menschli-
chen Handelns (…), der nicht durch äußere Zwänge, sondern durch den freien, autonomen
Willen bestimmt ist (…) kann die Gültigkeit universeller moralischer Prinzipien nicht als
durch das biologische Geschlecht oder bestimmte soziale Funktionen begrenzt angesehen
werden.“ (Lind, Grocholewska & Langer 1986, S. 3) Außerdem umfassen kognitiv-
moralische Fähigkeiten mehr als „nur“ die Kenntnis der sozialen Konsequenzen des eige-
nen Handelns: Bspw. „die Fähigkeit, soziale Normen auf ihre Universalisierbarkeit hin zu
überprüfen und sie konsistent und differenziert im konkreten Handeln anzuwenden.“ (Pia-
get 1973; Kohlberg 1984 zit. nach Lind, Grocholewska & Langer 1986, S. 3) Daher mei-
nen die Autoren, kann man annehmen, dass Frauen und Männer die gleiche moralische
Urteilsfähigkeit besitzen, „sofern sie durch gleiche Schulbildung und gleichen Zugang zu
Intervenierende Variablen
123
verantwortungsvollen Positionen im Beruf und im öffentlichen Leben dieselben Anregun-
gen zur moralischen Reflexion erhalten.“ (ebd.)
2. empirischer Verweis
Und auch empirisch zeigen Lind, Grocholewska & Langer (1986) anhand einer 3.000 Stu-
denten/innen umfassende Untersuchung (FORM-Projekt 1984), dass sich keine bedeuten-
den Unterschiede in der moralischen Urteilsfähigkeit zwischen Frauen und Männer erhe-
ben ließen: „Während nationale Unterschiede einen hohen Prozentsatz der Urteilsunter-
schiede erklären, klärt das Geschlecht – wie übrigens auch das (Studien)Fach (Anm. d.
Verf.) – fast keine Unterschiede auf“. (Lind, Grocholewska & Langer 1986, S. 7) Treten in
Untersuchungen dennoch geschlechterspezifische Unterschiede auf, so lassen sie sich
meist durch den unterschiedlichen Bildungsstatus erklären (vgl. Lind 2009b).
3. messtechnischer Verweis
Dass, die von Gilligan angeführte „Moral der Frauen“ – sollte sie trotz den angeführten
Einwänden von Oser & Althof und Lind u.a. nach wie vor Gültigkeit besitzen – für die
vorliegende Untersuchung eher eine geringere Rolle spielt, kann weiters mit folgendem
Argument begründet werden: Der MUT (Moralisches Urteil-Test wie auch der MUT/s) ist
so konzipiert, dass die Wahl der Stufen nach Kohlberg keinen Einfluss auf den C-Wert,
d.h. auf die moralische Urteilsfähigkeit ausübt. Zwar erhebt er – wie in Kap. 7.1.2 gezeigt
wurde – die Argumentationsstufe mit (bspw. ob jemand Argumente auf der ersten oder der
sechsten Stufe nach Kohlberg bevorzugt), d.h. er berücksichtigt den affektiven Aspekt,
jedoch stellt der errechnete C-Wert ausschließlich die kognitive Fähigkeit dar. Folglich
würde es keine Auswirkungen auf den C-Wert haben, wenn von den weiblichen Proban-
dinnen (wie Gilligan annimmt) niedrigere Stufen gewählt werden würden, denn, wie be-
reits des Öfteren darauf hingewiesen wurde, kommt es ausschließlich auf die Fähigkeit
„konsistent urteilen und Gegenargumente zulassen zu können“ an. Folgende Ergebnisse
der vorliegenden Untersuchung sollen diese Ausführungen untermauern.
Zuvor wird aber die Hypothese aufgestellt, dass die weiblichen Probandinnen meiner
Stichprobe, gemäße Gilligan die Kohlbergstufen 3 und 4 stärker in ihrer Urteilsbildung
präferieren als die männlichen Probanden. Gleichzeitig jedoch wirkt sich dies nicht auf den
C-Wert aus, weshalb keine signifikanten Unterschiede im durchschnittlichen C-Wert der
beiden Personengruppen zu erwarten sind.
Intervenierende Variablen
124
Zu welchen Ergebnissen kommt die vorliegende Untersuchung?
Wenn nach Herzig (1998, S. 351) bei Frauen tendenziell stärker verantwortungs- und für-
sorgeethische Aspekte in ihre Urteilsbegründung bei Freiantworten einfließen, so ist inte-
ressant nachzuforschen, ob sich dies auch in der Präferenz der Kohlbergstufen der weibli-
chen Probanden in vorliegender Untersuchung widerspiegelt. Tatsächlich ist ersichtlich,
dass die Präferenzrangordnung zwar der der männlich Probanden entspricht, aber die
Kohlbergstufen 3 und 4 im Vergleich zu den Jungen höher beurteilt wurden, wobei der
Mittelwertunterschied auf Kohlbergstufe 4 mit 0,018 statistisch signifikant ist, während der
Präferenzunterschied auf Kohlbergstufe 3 mit 0,248 zufällig zustande kam (siehe Anhang
11). Ein Beleg, der zumindest teilweise für die These von Gilligan spricht, sich jedoch –
wie oben geschildert – nicht auf die moralische Urteilsfähigkeit auswirkt:
Kohlbergstufen_Geschlecht
-0,40-0,200,000,200,400,600,801,001,201,40
1 2 3 4 5 6
Stufen
Bew
ertu
ng BurschenMädels
Abbildung 18: Präferenzordnung der Kohlbergstufen nach dem Geschlecht
Der folgende T-Test (vgl. Tabelle 15) unabhängiger Stichproben liefert auch hinsichtlich
des Mittelwerts der C-Werte der beiden Personengruppen keinen statistisch signifikanten
Unterschied (0,435); auch nach praktischer Signifikanz nicht: Auf der C-Wert-Spannweite
von 10 – 40/50 Punkten liegen die beiden Gruppen mit 17,8 (weiblich) und 18,8 (männ-
lich) lediglich einen Punkt auseinander.
Intervenierende Variablen
125
Tabelle 15: T-Test der C-Mittelwerte der Geschlechter
Gruppenstatistiken
Geschlecht N Mittelwert Standardab-
weichung
Standardfeh-ler des
Mittelwertes MUT/s männlich 148 18,8171 12,52274 1,02936 weiblich 295 17,8734 11,72453 ,68263
Test bei unabhängigen Stichproben
Widerlegung der Hypothese
Auch die vorliegende Untersuchung widerlegt die allgemeine Vermutung, dass die morali-
sche Urteilsfähigkeit geschlechterabhängig ist. Zwar bestätigt sie die Vorhersage von Gil-
ligan, dass Frauen die Kohlbergstufen 3 und 4 bevorzugen, jedoch wirkt sich dies nicht auf
den C-Wert aus. Die Hypothese, dass keine signifikanten Unterschiede in den C-Werten
der beiden Probandengruppen „weiblich“ und „männlich“ vorliegen, wurde somit bestätigt.
Levene-Test der Varianz-
gleichheit T-Test für die Mittelwertgleichheit
95% Konfidenzintervall
der Differenz
F
Signi-fikanz
T
df
Sig. (2-seitig)
Mittlere Differenz
Standardf. Differenz
Untere Obere
MUT/s ,142 ,706 ,781 441 ,435 ,94363 1,20841 -1,43133 3,31859
,764 277,855 ,446 ,94363 1,23514 -1,48779 3,37505
Intervenierende Variablen
126
9.6 Religion
Empiriegeleitete Diskussion
Lind (2003) hat festgestellt, dass Studenten/innen in den Ländern Mexico, Kolumbien und
Brasilien, in denen die Institution Kirche einen starken Einfluss ausübt, niedrigere morali-
sche Urteilskompetenzen besitzen als westeuropäische Student/innen, deren Länder „säku-
larer orientiert“ sind. Dies spiegelt sich nach Lind (2003, S. 1) auch darin wieder, dass la-
teinamerikanische Studenten/innen bei Dilemmadiskussionen auf niedrigeren Stufen (et-
wa 4) urteilen, während ihre westeuropäischen Kollegen/innen die höchste Kohlbergstufe
(5,6) vorziehen.
In dieser Studie kommt Lind (2003) zu dem Ergebnis, dass die persönliche Religiosität
gering, aber positiv mit der moralischen Urteilsfähigkeit korreliert. Zudem hat sich, seinen
Angaben zufolge, die dogmatische Religiosität in mehreren Studien als Hemmnis für die
Entwicklung moralischer Urteilsfähigkeit gezeigt. Ebenso konnte Lupu (2009) im Rahmen
ihrer Dissertation bei 477 Studenten/innen verschiedener rumänischer Universitäten fol-
gendes nachweisen:
“Dogmatic religiosity had a negative effect on moral judgment competence. (r = .24)
Personal religiosity had a positive, moderate effect on moral judgment competence.
(r = .08)”
Es kann also auch für die vorliegende Untersuchung die Hypothese aufgestellt werden,
dass dogmatische Religiosität mit niedrigeren MUT/s-Werten der Proband/innen einher-
geht, als eine weniger „religionszentrierte“ Einstellung.
Zu welchen Ergebnissen kommt die Untersuchung? Bestätigung der Hypothese.
Die im Untersuchungsinstrument aufgenommenen Skalen zur Religiosität lassen sich in die
drei Subskalen „allgemeine Religiosität“, „dialogische Formen der Religiosität“ sowie
„Kirchenbindung“ unterteilen. Nach Lind (2009c) sollten die Skalen für alle Konfessionen
anwendbar sein und nicht-religiösen Proband/innen die Möglichkeit geben, ihre Positionen
auszudrücken, ohne immer NEIN sagen zu müssen. Um die Befragung nicht zu überladen,
wurden in diesem Bereich Kürzungen vorgenommen. So wurden von den 15 Items fünf
redundant erscheinende entfernt (siehe Anhang 22).
Intervenierende Variablen
127
Zur Überprüfung der oben angeführten Hypothese, wurde für jede der drei Subskalen der
Mittelwert berechnet. Sodann erfolgte eine Einteilung der Proband/innen in „dogmatisch“
(arithmetischer Subskalenwert der Person liegt unter dem Stichprobenmittelwert der Sub-
skala) und „persönlich“ (arithmetischer Subskalenwert der Person liegt über dem Stichpro-
benmittelwert der Subskala). T-Tests unabhängiger Stichproben zeigen, dass lediglich hin-
sichtlich der Subskala „Kirchenbindung“ ein statistisch wie praktisch signifikanter Mittel-
wertunterschied im MUT/s-Wert beobachtbar ist. So verfügen Personen, die die Fragen
„Die Bibel (der Koran) ist das Wort Gottes, deren Aussagen wortwörtlich zu verstehen
sind.“ und „Abtreibung ist für mich Sünde.“ im Stichprobendurchschnitt stärker ablehnen
über einen C-Wert von rund 19,14, während ihre „Gegengruppe“ lediglich einen Wert von
rund 16,61 erreicht. Bei den beiden anderen Subskalen konnten keine signifikanten Mit-
telwertunterschiede entdeckt werden. Insofern kann die Hypothese nur bedingt – den eben
dargestellten Ausführungen folgend – bestätigt werden. Allgemeine Aussagen, wie die,
dass eine Ablehnung aller Religions-Items (siehe Fragebogen im Anhang 23) mit der mo-
ralischen Urteilsfähigkeit korrelieren würde, können nicht bestätigt werden.
Intervenierende Variablen
128
9.7 Sonstige intervenierende Variablen
Die meiner Meinung nach wichtigsten Einflussfaktoren standen bereits ausführlich im Fo-
kus der Analyse. An dieser Stelle soll nun auf ein paar weiters interessant erscheinende
Variablen verwiesen werden. Mangels theoretischem und praktischem Einfluss wird aber
nur kurz auf diese eingegangen:
Wohnort der Schüler/innen, „broken home“ und Familiengröße
Ein geringer Anteil der Schüler/innen wohnt nicht mehr bei den Eltern (4,5 %). Ihr C-Wert
liegt durchschnittlich zwei Punkte unter dem ihrer Kolleg/innen. Aufgrund der geringen
Zahl dieser Personen kann das Ergebnis aber nicht interpretiert werden. 71 (15,6 %) der
454 befragten Schüler/innen stammen aus so genannten „broken homes“, d.h. ein Elternteil
lebt nicht im selben Haushalt wie der/die Schüler/in. Ein T-Test führte jedoch zu keinen
signifikanten Unterschieden bzgl. der moralischen Urteilsfähigkeit. Auch die Familiengrö-
ße korreliert nicht mit der moralischen Urteilsfähigkeit, was etwas verwundert, liegt doch
die Annahme nahe, dass in größeren Familien die Gelegenheiten zu Rollen- und Verant-
wortungsübernahmen steigen. Auch sollte man meinen, dass zum Beispiel die Fähigkeit
Rücksicht zu nehmen und sich in andere hineinversetzen zu können bei mehreren Ge-
schwistern/Familienmitgliedern in ihrer Bedeutung steigt.
Herkunft und Religionszugehörigkeit
Kohlberg hat zu empirischen Befunden bezüglich kultureller Einflüsse gemeint: „Das be-
deutet, dass die moralische Entwicklung keine Angelegenheit puren Lernens verbal vermit-
telter Werte oder Regeln der jeweiligen Kultur ist, sondern dass sich in der Entwicklung
etwas Universelleres spiegelt, etwas, das Bestandteil jeder Kultur ist.“ (Kohlberg 1995,
S. 31) Für diese Behauptung sprechen auch die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung.
Vergleicht man die Schüler/innen nach Herkunft ihrer Familie, so zeigt sich, dass Schü-
ler/innen, deren Eltern nicht aus Österreich stammen, einen durchschnittlich geringeren,
nicht aber signifikant geringeren (0,074, vgl. Anhang 15), C-Wert aufweisen (nicht Öster-
reich: 15,23/Österreich: 18,53). Jedoch ist dieses Ergebnis vorsichtig zu interpretieren, da
der Anteil nicht-österreichischer Familien nur rund 10 % der Stichprobe ausmacht. Auch
müsste der Mittelwertunterschied dahingehend untersucht werden, inwiefern die soziale
Intervenierende Variablen
129
Schicht und die Noten eigentliche Verursacher sind.31 Ebenfalls aufgrund des geringen
Anteils der verschiedenen Religionen in der Stichprobe können keine Schlüsse aus den
gewonnen Daten gezogen werden, die den Einfluss der Religionszugehörigkeit belegen
würden.
Schultyp, Klassengröße, vorhergehende Schule sowie Wahlmotiv
145 Schüler/innen entstammen einer Höhern Lehranstalt für wirtschaftliche Berufe (HLW)
und 309 einer Handelsakademie (HAK). Unterschiede in der moralischen Urteilsfähigkeit
lassen sich erwartungsgemäß keine feststellen, trennt man die Schüler/innen nach ihrem
Schultyp. Auch die Klassengröße scheint keinen Einfluss auf die untersuchte Fähigkeit zu
haben, so korreliert sie lediglich mit -0,084 schwach und nicht signifikant. Bezüglich der
zuvor besuchten Schule konnten ebenfalls keine Unterschiede gefunden werden. So errei-
chen Schüler/innen, kommend aus Gymnasien, ebenso einen C-Wert um 18 wie ihre Kol-
leg/innen aus den städtischen und ländlichen Hauptschulen. Auch bei Gliederung nach
Schulstufe ergeben sich kaum Änderungen. Die Frage, ob das Motiv für die Wahl eines
bestimmten Ausbildungszweiges an der Schule Einfluss auf die moralische Urteilsfähigkeit
ausübt, kann nur insofern verneint werden, als das Wahlmotiv bei beiden Probandengrup-
pen (COOL und NonCOOL) annähernd gleich ausgeprägt ist. So landet die Antwort „weil
mir die Stoffinhalte/angebotenen Unterrichtsfächer zugesagt haben“ mit 74 % bei COOL-
Schüler/innen und 85 % bei NonCOOL-Schüler/innen jeweils auf dem ersten Platz. Weit
abgeschlagen auf Platz 2 folgt „weil Freunde diesen Zweig ebenfalls gewählt haben“
(19 % COOL und 14 % NonCOOL). Es kann also davon ausgegangen werden, dass diese
Ausprägung bei der Experimental- wie bei der Kontrollgruppe gleich ausgeprägt ist.
31 Eine Varianzanalyse (im Anhang 14) zeigt, dass vor allem die Note Einfluss nimmt. Die Herkunft der
Eltern hat keinen statistischen Einfluss mehr.
Intervenierende Variablen
130
9.8 Eine zusammenfassende Varianzanalyse
Abschließend soll eine Varianzanalyse (Tabelle 16) – quasi als Spiegelbild der bisherigen
Ergebnisse – nochmals zusammenfassend die Bedeutung der verschiedenen intervenieren-
den Variablen zeigen. Gemäß der hier dargestellten univariaten Varianzanalyse nehmen
die intervenierenden Variablen „Notendurchschnitt“ (0,027) und „soziale Schicht“ (0,033)
signifikanten Einfluss auf die abhängige Variable „moralische Urteilsfähigkeit“/„MUT/s“.
Anzumerken ist, dass die Verteilung des Notenschnittes und der sozialen Schicht sich nicht
signifikant zwischen COOL- und NonCOOL-Schüler/innen unterscheidet.
Tabelle 16: Zusammenfassende Varianzanalyse
Abhängige Variable: MUT/s
Quelle Quadratsumme vom Typ III df Mittel der
Quadrate F Signifikanz
Korrigiertes Modell 14557,133(a) 92 158,230 1,094 ,283
Konstanter Term 11001,897 1 11001,897 76,070 ,000
Religion 10,899 1 10,899 ,075 ,784
Notendurchschnitt 709,497 1 709,497 4,906 ,027
Selbständiges Arbeiten 110,823 1 110,823 ,766 ,382
Schülerumgang 15,405 1 15,405 ,107 ,744
Lehrerkooperation 181,926 1 181,926 1,258 ,263
Diskutieren lernen 533,363 1 533,363 3,688 ,056
Mitentscheiden im
Unterricht 96,486 1 96,486 ,667 ,415
Peers 42,681 1 42,681 ,295 ,587
Familie ,196 1 ,196 ,001 ,971
Schüler 17,942 1 17,942 ,124 ,725
Lehrer 181,544 1 181,544 1,255 ,263
Soziale Schicht 1275,012 3 425,004 2,939 ,033
Geschlecht 5,593 1 5,593 ,039 ,844
Alter 995,996 9 110,666 ,765 ,649
Unterrichtstyp 79,652 1 79,652 ,551 ,459
…
Fehler 47727,534 330 144,629
Gesamt 206462,181 423
Korrigierte Gesamtvariation 62284,667 422
a R-Quadrat = ,234 (korrigiertes R-Quadrat = ,020)
Intervenierende Variablen
131
Die Frage, weshalb soziale Schicht und Note32 Einfluss auf die moralische Urteilsfähigkeit
ausüben, führt zur Vermutung, dass mit „Verbesserung“ dieser beiden Variablen auch die
Gelegenheiten zur Rollenübernahme – die nach Kohlberg und Lind ja wichtiger Entwick-
lungsfaktor sind – steigen bzw. zumindest was deren Wahrnehmung durch die Pro-
band/innen angeht. Ein direkter Zusammenhang zwischen Gelegenheiten zur Rollenüber-
nahme, den Entwicklungsbedingungen nach Lempert33, COOL-Fragen und moralischer
Urteilsfähigkeit/C-Wert konnte jedoch nicht gefunden werden. Betrachtet man die COOL-
Items, so übt einzig der Faktor „Diskutieren lernen in der Schule“ ebenfalls – auf einem
Signifikanzniveau von 0,056 – Einfluss aus. Jedoch dürfte dieser Faktor in COOL wie
auch im normalen Unterricht gleich ausgeprägt sein. Darauf deuten zumindest die statis-
tisch nicht signifikant unterscheidbaren Wahrnehmungen der Schüler/innen beider Unter-
suchungsgruppen hin.
32 Auch die Variable „Note“ korreliert schwach negative, aber hoch signifikant mit der Variable „Gele-
genheiten zur Rollenübernahme“. 33 Die, den Variablen „Entwicklungsbedingungen“ und „Gelegenheiten zur Rollenübernahme“ zugrunde
liegenden Fragen bzw. Items überschneiden sich teilweise.
Moralische Urteils- und Handlungsfähigkeit
132
10 Moralische Urteils- und Handlungsfähigkeit
Bedeutet eine höhere moralische Urteilskompetenz gleichzeitig höhere moralische Hand-
lungsfähigkeit? Oder anders: Ist das Verhalten moralisch urteilsfähigerer Personen tatsäch-
lich moralischer?
Im Rahmen meiner Vorarbeiten zur Untersuchung wurde ich von einer Lehrkraft gefragt,
inwiefern die Ergebnisse zu interpretieren seien, und mit folgender Sorge konfrontiert: „Ich
möchte damit nur auf eine gewisse Grenze von solchen Befragungen hinweisen. Nämlich,
dass diese Befragung wenig aussagt über das konkrete moralische Handeln der Schü-
ler/innen. Ein/e Schüler/in kann bei der Befragung schlecht abschneiden, weil er/sie sich
nicht so gut ausdrücken kann und kann trotzdem aufgrund seines/ihres Verhaltens im Klas-
senverband als moralisch hochstehende Person anerkannt sein.“ (Birklbauer 2008, Herv. d.
Verf.) Diese durchaus berechtigte Sorge sowie die oben dargestellten Fragen sollen in die-
sem Abschnitt vor allem im Rahmen eines Experiments unter die Lupe genommen wer-
den.34 Eine Auseinandersetzung mit dieser Thematik ist auch vor dem Hintergrund der
Definition moralischer Urteilsfähigkeit von Kohlberg wichtig, beinhaltet doch diese, auch
nach moralischen Urteilen zu handeln (vgl. Kohlberg, Kap. 3). In den bisherigen Ausfüh-
rungen wurden nur kognitive (und affektive) Strukturen gemessen bzw. von solchen ge-
sprochen. Welchen Sinn würde aber bspw. eine MUT(/s)-Testung machen, wenn man von
ihren Ergebnissen ohnehin nicht auf die Handlungen von Personen schließen könnte? Wäre
es dann nicht ein nutzloses Artefakt?
10.1 Theoretischer Ansatz von Kohlberg & Candee
Kohlberg & Candee (1984) versuchten den Zusammenhang zwischen moralischem Urteil
und moralischer Handlung mit vier Phasen der Urteils-Handlungs-Beziehung zu beschrei-
ben. In der ersten Phase wird die Situation vom Individuum interpretiert. In der zweiten
Phase bildet sich die Person ein deontisches Urteil: Was ist moralisch richtig? Darauf fol-
gend wird in der dritten Phase ein Verantwortlichkeitsurteil gebildet: Bin ich verantwort-
lich dafür, mich im Handeln nach dem zu richten, was ich als moralisch richtig erachte?
34 Für eine ausführliche theoretische sowie empirische Diskussion dieser Problematik seien die Leserin
und der Leser auf die Ausführungen etwa bei Kohlberg (1995, S. 373-495) oder bei Oser & Althof (1997, S. 224-256) verwiesen. Sie kann hier aus Platzgründen nicht vorgenommen werden.
Moralische Urteils- und Handlungsfähigkeit
133
Und schließlich spielen in der vierten Phase noch außermoralische Fähigkeiten wie der IQ
einer Person, die Aufmerksamkeit, Belohnungsaufschubfähigkeit etc. eine Rolle (vgl.
Kohlberg 1995, S. 488f.; Oser & Althof 1997, S. 232ff.)
Kohlberg & Candee (bspw. 1984) sowie Blasi (1980/1983) konnten in Metaanalysen ver-
schiedenster Experimente zeigen, dass die moralische Urteilsfähigkeit (u.a. gemessen nach
dem WAS-Kohlbergverfahren) mit der moralischen Handlung korreliert bzw. zusammen-
hängt. Ein paar Befunde dazu (vgl. Oser & Althof 1997, S. 234f.):
Die „Free speach Movement“-Untersuchung
Bei den 1986er Sit-Ins an der Universität Berkeley, Kalifornien, handelt es sich um eine
Demonstration von Student/innen, die nach dem Verbot, politische Literatur am Campus
zu verteilen und politisch aktiv zu werden, das Verwaltungsgebäude besetzten. Woraufhin
129 Demonstrant/innen festgenommen wurden. Diese und zufällig ausgewählte Stu-
dent/innen wurden später auf ihre moralische Urteilsfähigkeit getestet; mit dem Ergebnis,
je höher die Stufe, desto geschlossener war die Teilnahme und desto wahrscheinlicher die
Beteiligung an den Sit-Ins (vgl. Oser & Althof 1997, S. 234).
Das Milgram-Experiment
„In diesem sehr bekannten Experiment geht es darum, dass eine Person, der die Rolle des
›Schülers‹ zugeteilt wurde, mit zunehmend starkem Elektroschock ›bestraft‹ werden soll,
wenn sie Gedächtnisaufgaben falsch löst. Das vermeintliche Opfer war jeweils ein Mitar-
beiter des Versuchsleiters, der die Schmerzen des Schocks bis hin zum tödlichen Schwei-
gen ›spielte‹.“ (a.a.O., S. 235, Herv. i. Orig.) Auch hier konnte Kohlberg nachweisen, dass
Personen höherer Stufe eher fähig waren, aus dem Experiment früher auszusteigen oder die
schreckliche Sache zu verweigern.
Betrugsstudien
In diesen Studien wurde bspw. untersucht, ob die moralische Urteilsfähigkeit mit dem Ein-
halten von Vereinbarungen oder Verträgen korreliert. Eines der dafür durchgeführten Ex-
perimente stellt das Unterschlagungsexperiment von Krebs & Rosenwald (1977) – welches
im Folgekapitel erläutert wird – dar. Wiederum konnte den Proband/innen, die sich an die
Vereinbarung hielten, eine höhere moralische Urteilsfähigkeit attestiert werden (vgl. dazu
die dargestellten Ergebnisse im Kap. 10.2).
Moralische Urteils- und Handlungsfähigkeit
134
Auch Lind (2007a, o.S.) konnte derartige Zusammenhänge für den MUT nachweisen. So
belegt eine Studie, die 175 Personen – die Juden während des 2. Weltkrieges das Leben
retteten – postalisch nach der moralische Urteilsfähigkeit befragte, dass die Lebensretter
eine höhere moralische Urteilsfähigkeit besaßen als die Vergleichsgruppe. Weiters zeigt
eine Untersuchung von Lenz, dass der C-Wert scheinbar negativ mit Drogenkonsum (Ni-
kotin-, Alkohol- und Cannabis-Konsum) korreliert (vgl. die Ergebnisse dazu in Lenz
2006).
Wie sieht es mit dem Urteils-Handlungs-Zusammenhang in der vorliegenden Stichprobe
aus? Um das zu untersuchen, habe ich versucht, das Experiment von Krebs & Rosenwald –
etwas verändert – nachzustellen. Dazu habe ich einen eigenen Abschnitt in den Fragebogen
integriert. Die Ergebnisse sollten zumindest als Indizien für den Zusammenhang von mora-
lischer Urteilsfähigkeit und moralischem Handeln herangezogen werden können. Als
Hypothese wird die Erwartung formuliert, dass der durchschnittliche C-Wert jener, die im
Experiment nicht unterschlagen, höher ist, als jener, die unterschlagen. Zuerst aber zur
Darstellung des Unterschlagungsexperiments in seiner ursprünglichen Form.
10.2 Das Unterschlagungsexperiment von Krebs & Rosenwald35
An diesem Experiment nahmen 31 Personen teil, die durch eine Anzeige: „Good pay for
little work – Subjects wanted for psychological experiments“ dazu aufgefordert wurden.
Als Entgelt für die Teilnahme an den Tests erhielt jede Person drei US-Dollar (vgl. Krebs
& Rosenwald 1994, S. 112). Das Alter der Versuchspersonen erstreckte sich von 17 bis 54
(Durchschnitt: 23). Geschlecht sowie sozialer Hintergrund variierten (vgl. a.a.O., S. 113).
Die Versuchspersonen trafen sich für das Experiment gemeinsam in einem Hörsaal. Die
Versuchsleiterin, eine 24jährige Studentin, teilte den Teilnehmer/innen mit, dass es sich
hierbei um ein Experiment handelte, welches die Redundanzen von Persönlichkeitsskalen
erforschen sollte, um festzustellen, ob sie in einem Test verbunden werden könnten. Wei-
ters teilte sie mit, dass diese Studie Teil eines Forschungsprojektes und eines Kursprojektes
sei (vgl. ebd.).
35 Die hier dargestellte Beschreibung des Unterschlagungsexperiments findet sich in englischer Fassung
in „Moral Reasoning and Moral Behavior in Conventional Adults“ (Krebs & Rosenwald, 1994) wider.
Moralische Urteils- und Handlungsfähigkeit
135
Außerdem verwies sie darauf, dass – aus organisatorischen Gründen – der Hörsaal nicht
wie geplant für eineinhalb Stunden, sondern nur für eine Stunde zur Verfügung stehen
würde. Aus diesem Grund bat sie die Teilnehmer/innen zuerst den schwieriger auszuwer-
tenden Test durchzuführen und den zweiten Teil zuhause auszufüllen. Für letzteren Teil
erhielten die Proband/innen einen adressierten und frankierten Briefumschlag. Die drei
Dollar erhielten sie aber trotzdem sofort, quasi als Vertrauensvorschuss. Schließlich teilte
sie ihnen mit, dass das Kursprojekt innerhalb der nächsten 1,5 Wochen beendet werden
müsse, und es für sie daher sehr wichtig sei, dass jede Person den übrigen Teil vollständig
ausgefüllt bis zum Tag X (eine Woche nach dem Experiment) an sie zurücksende! Sie
verwies nochmals auf den Vertrauensvorschuss, den sie ihnen mit den drei Dollar gegeben
hatte und erklärte, dass durch ein „Nicht-Zurücksenden“ ihre Chancen, den Kurs positiv zu
bestehen, gefährdet würden (vgl. ebd.).
Nach diesen Instruktionen bekamen die Versuchspersonen zwei Fragebögen, einen zu bio-
grafischen Daten und einen, der Kohlbergs Test moralischer Entwicklung enthielt. Nach-
dem die Versuchspersonen den Kohlberg Test durchgeführt hatten, erhielten sie den Brief-
umschlag mit der Bitte, den biografischen Fragebogen zuhause auszufüllen. Beim Verlas-
sen des Hörsaals wurden die Teilnehmer/innen nochmals darauf hingewiesen, dass sie mit
der Entgegennahme der drei Dollar einen Vertrag abgeschlossen hätten, den sie zeitgerecht
einzuhalten verpflichtet seien (vgl. ebd.).
Resultate: Zwölf (39 %) Versuchspersonen sandten den Fragebogen nicht zeitgerecht zu-
rück. Davon sieben (23 %) gar nicht oder unausgefüllt, fünf (16 %) zu spät. Keine der Ver-
suchspersonen wurde mit dem Kohlberg-Test auf Stufe 1 oder 6 getestet, d.h. alle befanden
sich innerhalb der Stufen 2 bis 5. Bis auf eine Ausnahme haben alle Versuchspersonen der
Stufen 4 und 5 den Fragebogen ordnungsgemäß retour gesandt. Alle Versuchspersonen,
die den Fragebogen verspätet eingesandt hatten, waren auf Stufe 3; und zwei der drei Ver-
suchspersonen auf der Kohlbergstufe 2 reichten den Briefumschlag samt Fragebogen nicht
ein (vgl. a.a.O., S. 114).
Die Auswertung dieser Studie (siehe Tabelle 17) zeigte, dass das Pearson r zwischen mora-
lischer Entwicklung und moralischem Verhalten (ordnungsgemäße Erfüllung des Vertrages
bzw. Rücksendung des 2. Fragebogens) 0.49 betrug. Bei einer Signifikanz von p < 0.01.
Moralische Urteils- und Handlungsfähigkeit
136
Tabelle 17: Ergebnisdarstellung des Unterschlagungsexperiments von Krebs & Rosenwald (1977)
Stufe Probanden Unterschlagung % Anzahl 1 0 0 - 2 10 3 2 U. 3 5 verspätet, 5 U. 4
83 26
5 7 2 1 U.
6 0 0 -
Soweit ein kurzer Aufriss dieses Experiments. Nun zum Experiment, das ich mit den Pro-
band/innen der vorliegenden Untersuchung (N=454) durchgeführt habe. Aus u.a. Ressour-
cengründen musste das Experiment in einer abgewandelten Form durchgeführt werden:
Anstatt des Moral Judgment Interviews von Kohlberg wurde der MUT/s in Anleh-
nung an den MUT von Lind zur Messung der moralischen Urteilsfähigkeit eingesetzt.
Aufgrund finanzieller Bedingungen wurde anstatt des frankierten Briefumschlags
eine E-Mail verwendet. Den Proband/innen wurde auf einem gesonderten Blatt Pa-
pier ein Internet-Link mitgeteilt, auf dem sie allgemeine Fragen zum Thema Moral
beantworten sollten.
Um die oben geschilderte Vertragssituation auch in diesem Experiment herzustellen,
wäre eine finanzielle Vergütung nötig gewesen. Auf diese musste jedoch aus finan-
ziellen Gründen verzichtet werden. Daher wurde am Anfang und am Ende der Unter-
suchung mehrmals auf die Wichtigkeit der Onlinefragen für diese Untersuchung hin-
gewiesen und verstärkt um das spätere Ausfüllen dieser Fragen gebeten.
Die Ausschreibung bzw. der „Freiwilligkeitscharakter“ fällt bei diesem Experiment
weg, da eine ausgewogene Untersuchung zwischen COOL- und NonCOOL-
Schüler/innen ebenso wie eine genügend hohe Rücklaufquote garantiert werden soll-
te.
Auch wenn die Vertragssituation – wie sie im Originalexperiment dargestellt wurde – in
der vorliegenden Untersuchung nicht 1:1 rekonstruiert werden konnte, so kann m.E. min-
destens durch die Ergebnisse darauf geschlossen werden, inwiefern moralische Urteilsfä-
higkeit mit Freiwilligkeit korreliert.
Moralische Urteils- und Handlungsfähigkeit
137
10.3 Ergebnisse des Experimentes der vorliegenden Untersuchung
Tabelle 18: T-Test der MUT/s-Mittelwertunterschiede der Unterschlagungs- und Kooperationsgruppe
Unterschlagung N36 Mittelwert Standardab-
weichung
Standardfeh-ler des
Mittelwertes MUT/s fristgerechte Antwort 129 19,9005 12,29895 1,08286 Antwort unterschlagen 318 17,4870 11,77645 ,66039
Test bei unabhängigen Stichproben
Levene-Test der Varianz-
gleichheit T-Test für die Mittelwertgleichheit
F Signifi-kanz T df
Sig. (2-seitig)
Mittlere Differenz
Standard-fehler der Differenz 95% KI der Differenz
Untere Obere MUT/s ,295 ,587 1,938 445 ,053 2,41348 1,24524 -,03380 4,86076
1,903 228,174 ,058 2,41348 1,26835 -,08569 4,91265
Die Rücklaufquote des Experiments betrug 28,4 % (129 von 454). Der durchgeführte T-
Test (Tabelle 18) zweier unabhängiger Stichproben zeigt einen beinahe statistisch sowie
praktisch signifikanten Unterschied (0,053 zweiseitig; 2,4 Punkte) im durchschnittlichen
C-Wert jener Personen, die der Aufforderung, fristgerecht zu antworten, nachgekommen
sind, und jener Personen, die dieser Aufforderung nicht nachgekommen sind. Die weiter
oben aufgestellte Hypothese, dass jene Schüler/innen, die nicht kooperieren, durchschnitt-
lich einen niedrigeren C-Wert aufweisen als ihre kooperativen Mitschüler/innen, kann so-
mit – auch wenn statistisch nicht signifikant – bestätigt werden.
36 N=447 weicht von N gesamt (454) um sieben Proband/-innen ab. Für diese konnte kein MUT-Wert
errechnet werden, da ein oder mehrere Argumente vom/n der Proband/-in nicht beurteilt wurden.
Rückblick und Ausblick – eine kritische Reflexion
138
11 Rückblick und Ausblick – eine kritische Reflexion
Rückblick
Es sollen nun – quasi in einem kurzen Zeitraffer – nochmals die wichtigsten Ergebnisse, zu
denen die vorliegende Arbeit gekommen ist, zusammenfassend für die Leserin und den
Leser dargestellt werden. Einleitend wurde auf die aktuelle Bedeutung der Moralerziehung
im Allgemeinen hinzuweisen versucht. Es stellte sich heraus, dass die Erziehung zur Mora-
lität eine zeitlose und von vielen Seiten oft gestellte Forderung ist. Im Kapitel 4 wurde zu-
dem versucht, die Bedeutung der Moralerziehung im Zusammenhang mit dem Bildungs-
begriff zu erörtern. Mit Klafki konnte darauf hingewiesen werden, dass die Erziehung zum
moralischen Menschen in der Tradition einer kritisch-konstruktiven Didaktik steht und
somit seit jeher Selbstverständnis der Pädagogik war und ist; dies spiegelt sich im Bil-
dungsbegriff wider. Bevor jedoch über Moral im Zusammenhang mit Bildung gesprochen
werden konnte, musste in Kapitel 2 der Moralbegriff definiert bzw. ausgelegt werden. Kei-
ne leichte Aufgabe, wie sich herausstellte, liefer(te)n doch verschiedenste Moralphiloso-
phen und –psychologen je unterschiedliche Beiträge zu dieser Diskussion. Mit Kant und
Rawls wurde jedoch eine Begriffsbestimmung darzulegen versucht, die als Stütze für die
weiteren Ausführungen dieser Arbeit dienen konnte. Im Zentrum dieser Begriffsauslegung
standen schließlich der kategorische Imperativ (Kant) und die Gerechtigkeitstheorie
(Rawls) sowie die Abstufungen der Moral der beiden Philosophen. Aufbauend auf diesen
beiden Abstufungen sowie der Kognitionstheorie von Piaget wurde das viel zitierte und
bekannte Stufenmodell von Kohlberg erarbeitet. Dieses sechsstufige Modell zeigt, an wel-
chen Argumenten sich eine Person bei der Bildung von Urteilen in Dilemmasituationen
orientiert. Gleichzeitig wurde durch den Qualitätsanstieg in den Stufen deutlich, dass es
sich bei der moralischen Urteilsfähigkeit um eine kognitiv orientierte Fähigkeit handelt.
Diese moralische Urteilsfähigkeit, die sich schon im Stufenmodell widerspiegelt, wurde
sodann in Kapitel 3 näher betrachtet. Mit Kohlberg kamen wir zum Schluss, dass die mora-
lische Urteilsfähigkeit das Vermögen ist, moralische Entscheidungen zu treffen, die auf
ebenso moralischen Prinzipien – wie sie etwa die Kohlbergstufen repräsentieren – beruhen,
und in Einklang mit diesen zu handeln. Bevor ab Kap. 6 mit der Darstellung des empiri-
schen Teils dieser Arbeit begonnen wurde, sollte in einer kurzen Lehrplananalyse gezeigt
werden, dass Moralerziehung im Unterricht auch gesetzlich verankert ist.
Rückblick und Ausblick – eine kritische Reflexion
139
Während in Kap. 6 die (methodische) Vorgehensweise bei der Durchführung der empiri-
schen Untersuchung umfangreich dargestellt wurde, beschäftigten sich die darauf folgen-
den Kapitel mit deren Resultaten. Die vorliegende Querschnittstudie unter 454 Schü-
ler/innen der 1. bis 3./5. Klasse dreier berufsbildenden höheren Schulen kam u.a. zu fol-
genden Ergebnissen:
1. Im Kapitel 7 wurde nach einer ausführlichen Beschreibung des MUT – anhand einer
umfangreichen Validitätsprüfung – gezeigt, dass der Einsatz dieses Messinstruments
in der untersuchten Stichprobe zu validen Ergebnissen führte.
2. Eine Analyse der Theoriekonzepte der Just-community und der moralfördernden Ent-
wicklungsbedingungen nach Lempert im Vergleich zum COOL-Konzept kam zu dem
Ergebnis, dass COOL bzw. seine Konzeption sehr gut zur Förderung/Entwicklung
der moralischen Urteilsfähigkeit geeignet ist.
3. Eine Sekundaranalyse bestehender Untersuchungen zu COOL (und zur Just-
community) skizzierte zudem ein äußerst positives Bild: In vielen qualitativen Unter-
suchungen wurde auf die hinsichtlich sozialer Kompetenzen förderliche Wirkung von
COOL hingewiesen.
4. Einige wenige Untersuchungsergebnisse sowie auch die vorliegenden weisen jedoch
in eine andere Richtung. Ihnen zufolge scheinen COOL-Schüler/innen hinsichtlich
der moralischen Urteilsfähigkeit nicht mehr von COOL zu profitieren als ihre Kol-
leg/innen der Kontrollgruppe vom tradierten Unterricht. Jedoch sind diese Ergebnisse
nur vorläufige. Eine Längsschnittstudie ist abzuwarten.
5. Zusammenhänge zwischen COOL und moralischer Urteilsfähigkeit konnten in einer
explorativen Analyse also nicht gefunden werden. Hingegen zeigte sich, dass die Va-
riablen „soziale Schicht“ und „Schulnoten“ (statistisch und praktisch) signifikanten
positiven Einfluss auf den MUT/s-Wert ausüben.
Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit sind also durchwegs ernüchternd, geht man von
den Erwartungen aus, die in dieser Arbeit mit COOL verbunden wurden. Deshalb sollen
im Folgenden verschiedene Gründe dargestellt werden, die möglicherweise Ursache für
diese Ergebnisse sind. Zuvor seien die Leserin und der Leser aber nochmals explizit darauf
hingewiesen, dass es sich bei den Ergebnisse dieser Arbeit „nur“ um eine Querschnittsstu-
die handelt und daher die Wirkung von COOL ohnehin nur bedingt festgestellt werden
konnte (vgl. dazu die Diskussion in Kap. 6.3).
Rückblick und Ausblick – eine kritische Reflexion
140
Ausprägungsproblematik von COOL
In Kap. 8.2.3.1 „Ausprägungsproblematik von COOL“ wurde bereits versucht, die Tatsa-
che, dass Unterricht aller Orts anders „aussieht“, zu berücksichtigen. Inwiefern dies gelun-
gen ist, muss wohl mangels qualitativer Untersuchung offen bleiben bzw. eine Beurteilung
darüber der Leserin/dem Leser überlassen sein.
Ungenutztes Potential des Klassenrats sowie die fehlenden Dilemmadiskussionen
Die zentrale Bedeutung des Klassenrats für die Förderung moralischer Urteilskompetenzen
wurde in der vorliegenden Arbeit an mehreren Stellen hervorgehoben (bspw. Kap. 8.1.1.2).
Gleichzeitig aber wurde auch bereits angedeutet, dass möglicherweise die Umsetzung die-
ses Elementes nicht immer jener gleicht, die für eine entsprechende Moralentwicklung
förderlich wäre. Während Neuhauser & Wittwer 2002 noch von einem gewichtigen Stel-
lenwert des Klassenrats berichten – „Die Akzeptanz dieser Einrichtung seitens der Schüler
ist sehr groß. (…) Schüler und Lehrer sind sich einig, dass der Klassenrat eine ganz we-
sentliche Hilfe ist, wenn es darum geht, Konflikte zu erkennen und zu lösen, zum freien
Reden anzuregen, Rücksichtnahme aufeinander und damit die Klassengemeinschaft zu
fördern. Fortschritte im Umgang mit dieser Einrichtung von der ersten auf die zweite Klas-
se sind eindeutig erkennbar.“ (Neuhauser & Wittwer 2002, S. 177) –, werfen aktuellere
Befunde ein etwas trüberes Licht auf dieses COOL-Element. Es sei an jenes Zitat einer
COOL-Absolventin erinnert, die hervorhebt, v.a. Moderationstechniken im Klassenrat er-
lernt zu haben; oder an das Ergebnis der qualitativen Untersuchung von Engler, Füreder &
Niedermayr (2009). Letzteren zufolge wird dem Klassenrat-Element von Seiten der Schü-
ler/innen ein denkbar schlechtes Zeugnis ausgestellt. So werden Klassenratsstunden
scheinbar nur abgesessen oder die Schülerin bzw. der Schüler kommt sich dabei „psycho-
logisch durchleuchtet“ vor. Auch Doppler (2008, S. 86) kommentiert in ihrer Arbeit den
Klassenrat eher ernüchternd: „Die Qualität des Klassenrats kann stark variieren und ist
mitunter abhängig vom Thema. Als sehr hilfreich wurde dieses Instrument beispielsweise
empfunden, als eine Schülerin aufgrund von Problemen die Schule verlassen hat. (…) Hin-
gegen wird ein Klassenrat als langweilig empfunden, wenn es aktuell keine wichtigen zu
besprechenden Themen gibt.“ Auch in der vorliegenden Untersuchung wurde im Rahmen
der 20 COOL-Fragen indirekt nach dem Klassenrat gefragt. Die in Tabelle 9 (Kap. 8.2.3.2)
enthaltenen Fragen 14 bis 17 versuchen Kompetenzen zu erheben, die m.E. nach durch den
Klassenrat geschult werden sollten. Jedoch zeigten sich im Rahmen der Auswertung keine
Unterschiede in der Wahrnehmung dieser Elemente zwischen COOL und NonCOOL-
Rückblick und Ausblick – eine kritische Reflexion
141
Schüler/innen. Ganz entgegen all diesen Befunden berichtet Greimel-Fuhrmann (2007) von
einem positiveren Bild bzgl. des Einsatzes und der Wirkung des Klassenrats, wie in Kap.
8.2.1 zu sehen war.
Wir wollen und können – mangels fehlender Untersuchungen – an dieser Stelle nicht näher
auf die tatsächliche Umsetzung des Klassenrats in der Schulpraxis eingehen. Um letztend-
lich beurteilen zu können, ob der Klassenrat in einer Weise abgehalten wird, die schluss-
endlich auch für die moralische Urteilsfähigkeit fördernd und fordernd ist, wären wohl
konkrete Unterrichtsbeobachtungen in umfangreichem Ausmaß nötig. Aber auch hier wäre
wiederum anzumerken, dass von einigen Beobachtungen keine generellen Aussagen ge-
macht werden können. Genauso steht es auch mit den oben angeführten Befunden zum
Klassenrat. Die Leserin und der Leser mögen wohl allzu schnell ein negatives Bild des
Klassenrats bekommen, jedoch sei darauf hingewiesen, dass es sich hier nicht um repräsen-
tative Untersuchungen handelt. Klassenratssitzungen in anderen Schulen, in anderen Klas-
sen, bei anderen Lehrer/innen sehen mit ziemlicher Sicherheit anders aus. Aber der An-
spruch in diesem Abschnitt besteht auch lediglich darin, mögliche Gründe, also Indizien
für die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung zu liefern. Für diesen Zweck scheinen
die Ausführungen sehr brauchbar, verweisen sie immerhin zumindest darauf, dass zwi-
schen dem intendierten und – wie die Analysen aus Kap. 8.1 gezeigt haben – für die Mo-
ralerziehung so geeignetem COOL-Konzept und seiner tatsächlichen Umsetzung Unter-
schiede bestehen können.
Auch sei darauf hingewiesen, dass bei COOL ein weiteres, für die Moralerziehung so
wichtiges Element, nämlich die Dilemmadiskussion, gänzlich fehlt. Weiters stellt sich die
Frage, inwiefern es gelang und gelingt, COOL als einen „Way of Life“ zu betrachten und
nicht nur als eine Unterrichtsmethode. Womöglich ist COOL eben noch nicht „Programm“
genug. Im Zusammenhang damit sei auch auf die Bedeutung des geheimen Lehrplans
(hidden curricula) verwiesen, dessen Einfluss noch zu untersuchen ist. Anzudenken ist
auch, inwiefern die Anzahl der COOL-Stunden ausreichend ist, um entsprechende Wir-
kungen hervorzurufen. Diese Desiderate – die „Konzept- und Implementationslücke“, eine
möglicherweise „uneffektive“ Nutzung des Klassenrats sowie das Fehlen des Elements der
Dilemmadiskussion – gilt es aufzuheben, will man mit COOL einen höheren Beitrag zur
Entwicklung sozialer Kompetenz beitragen (auch sensus moralischer Urteilsfähigkeit) als
bisher.
Rückblick und Ausblick – eine kritische Reflexion
142
Laufen COOL und MUT(/s) aneinander vorbei?
Misst der MUT(/s) vielleicht doch etwas anderes, als bei COOL im Zentrum steht? Diese
Arbeit hat bereits versucht Antwort auf diese Frage zu geben. Betrachtet man das COOL-
Konzept und seine offiziellen Ziele, so würden diese durchaus mit dem harmonieren, was
der MUT(/s) misst, nämlich die soziale Kompetenz „moralische Urteilsfähigkeit“, die sich
zum Beispiel in Diskursfähigkeit, Kooperationsfähigkeit und Teamfähigkeit widerspiegelt.
Das Problem liegt jedoch darin, dass die genannten Kompetenzen relativ schwammige
Begriffe sind, in die viel hineininterpretiert werden kann, wenn man will. So ist die morali-
sche Urteilsfähigkeit sicherlich Bestandteil und Voraussetzung all dieser Kompetenzen,
jedoch hat es den Anschein, als könnte man auch von sozialer Kompetenz sprechen, ohne
dabei auf die moralischen Elemente Rücksicht zu nehmen. Zumindest scheint es so, wenn
man die erreichten Ziele von COOL betrachtet. Denn wenn man danach fragt, was denn
COOL bewirkt, steht nicht selten im Zentrum der Antwort die Selbständigkeit/das selb-
ständige Arbeiten. Wann immer von so genannten Soft Skills die Rede ist, die bei COOL-
Schüler/innen besser gefördert werden als bei ihren Kolleg/innen, dann muss hinterfragt
werden, ob hier mehr als „Selbständigkeit“ gemeint ist oder nicht. Dies soll nicht als Kritik
an COOL oder dessen Promotoren/innen missverstanden werden. Ganz im Gegenteil, mit
der Frage, was man mit COOL eigentlich will, soll der Leserin und dem Leser nochmals
vor Augen gehalten werden, dass die COOL-Initiative aus einer unbefriedigenden Schulsi-
tuation heraus entstanden ist, und nicht aus dem Anspruch, die moralische Urteilsfähigkeit
der Schüler/innen zu fördern. Dennoch, wie gezeigt wurde, legt COOL viel, und sicherlich
mehr als herkömmlicher Unterricht, Wert auf die Ausbildung sozialer Kompetenzen; zu-
mindest wird damit auch geworben. Vor diesem Hintergrund und jenem, der besagt, dass
Schule an sich zur Moralerziehung verpflichtet ist (vgl. Kap. 4 und 5), ist es nur gerecht
und interessant danach zu fragen, ob dem auch so ist. Insofern misst der MUT wieder doch
das, was COOL im Speziellen und Schule im Allgemeinen letztendlich u.a. anstrebt.
Probleme einer Evaluation dieser Art generell
„Da die unabhängigen Variablen weitgehend durch die sich beteiligenden Klassen festge-
legt sind, da quasi-experimentell gearbeitet werden muss bzw. die Klassen nicht nach dem
Zufallsprinzip ausgewählt werden können, und da kaum Kontrollgruppen möglich sind
(…), muss die Erfahrungsbildung vom quantitativen Standpunkt her mit vielen Unbere-
chenbarkeiten fertig werden.“ (Oser & Althof 1997, S. 443, Herv. i. Orig.) Dieses Zitat
drückt sehr gut aus, dass eine Unterrichtsevaluation wie die vorliegende mit vielen Prob-
Rückblick und Ausblick – eine kritische Reflexion
143
lemen und Grenzen zu kämpfen hat, derer man sich beim Interpretieren der Untersu-
chungsergebnisse bewusst sein muss. Zwar kann zum einen aufgrund des hohen Stichpro-
benumfangs von annähernd repräsentativen Ergebnissen gesprochen werden und zum an-
deren wurde versucht, die Ergebnisse mit theoretischen Konzepten sowie weiteren Studien
zu untermauern, jedoch sind bzgl. COOL noch weitere Forschungsergebnisse abzuwarten.
Derzeit muss in diesem Bereich also noch ein Forschungsdesiderat konstatiert werden, in
quantitativer wie qualitativer Hinsicht. Dies bringt uns zum nächsten Punkt dieser kriti-
schen Rückschau.
Methodische Kritik
Qualitative Forschung
Oser & Althof (1997, S. 443) verweisen im Rahmen der Evaluation des Modells der „Ge-
rechten Gemeinschaft“ in Schulen auf das oben zitierte Problem, dass quantitative Unter-
suchungen für Unterrichtsevaluationen nur bedingt geeignet sind. „Dies ist aber kein
Grund, die Erfahrungssicherung bzw. Evaluation grundsätzlich in Zweifel zu ziehen, denn
es gibt viele andere qualitative Möglichkeiten, so die Beschreibung und Analyse von Un-
terrichtsstunden, die Beschreibung der Gerechten-Gemeinschaftssitzungen, Interviews mit
Lehrern, die Verarbeitung der Gespräche im Vorbereitungsausschuss, die Analyse der Phä-
nomenologie des Schullebens u.a.“ (Oser & Althof 1997, S. 443, Herv. i. Orig.) Im Zu-
sammenhang mit der Realisierung von COOL wurde bereits weiter oben darauf hingewie-
sen, dass in dieser Untersuchung natürlich qualitative Elemente wie Interviews oder eben
Unterrichtsbeobachtungen fehlen, die zumindest für die untersuchten Schulen valide wi-
derspiegeln würden, inwiefern die Grundprinzipien von COOL tatsächlich umgesetzt wer-
den und folglich Antwort auf die eigentliche Frage geben: Was bedeutet dies für die Mo-
ralerziehung? Damit ist eine Forschungsfrage skizziert, deren Beantwortung Aufgabe einer
eigenen Forschungsarbeit wäre.
Qualitative Untersuchungen haben zwar den Nachteil der Generalisierung, jedoch begeg-
nen Oser & Althof (1997, S. 452) diesem Einwand mit folgender offenen Antwort: „Wir
meinen aber grundsätzlich, dass Schulverbesserungen stets eine Sache von Einsichten und
Engagement sind, und ob sich diese beiden Qualitäten generalisieren lassen, bleibe dahin-
gestellt.“
Rückblick und Ausblick – eine kritische Reflexion
144
Kritik am Moralisches Urteil-Test
Um auf die Kritik, die dem MUT vorgeworfen wird, eingehen zu können, wäre ein Eintau-
chen in die Psychometrie (Theorie und Methode des psychologischen Messens) nötig. Aus
Platz- und Komplexitätsgründen kann dies hier leider nicht geschehen und ist m.E. auch
nicht nötig, da Lind ohnehin die meisten Einwände widerlegen konnte (vgl. Lind 2000c,
93ff.). Die Leserin und der Leser seien auf diese Stelle verwiesen. Zudem wurde in Kap. 7
ausführlich versucht den MUT zu beschreiben, wodurch den Leser/innen die Möglichkeit
gegeben werden sollte, selbst zu entscheiden, inwiefern der MUT dazu geeignet ist die
moralische Urteilsfähigkeit bzw. Moral zu messen. In Kap. 10 wurde zudem gezeigt, dass
neben der moralischen Urteilsfähigkeit noch viele weitere Variablen Einfluss auf die tat-
sächliche Handlung einer Person nehmen. In der Untersuchung dieser und ihren Zusam-
menhang untereinander besteht wohl derzeit eines der wichtigsten Forschungsdesiderate.
Ausblick – Worin liegt das Potenzial der KMDD?
Die ernüchternden Ergebnisse dieser ersten Querschnittsuntersuchung zeigen, dass sowohl
im herkömmlichen Unterricht als auch im COOL-Unterricht im Allgemeinen soziale
Kompetenz noch stärker gefördert werden muss, und im Speziellen Bedarf an Unterrichts-
methoden oder –elementen besteht, die sich förderlich auf die Entwicklung der morali-
schen Urteilsfähigkeit auswirken. Das Element des Klassenrats wurde bereits kritisch unter
die Lupe genommen, jedoch wurden noch keine Verbesserungsvorschläge gegeben. Dies
soll hier nachgeholt werden, in dem ein neues Just-community-Element angedacht wird,
nämlich die Dilemmadiskussion. Ich beziehe mich dabei auf die Konstanzer Methode der
Dilemma-Diskussion; aus zwei Gründen: Zum einen durfte ich sie – wie eingangs erwähnt
– im Rahmen eines einwöchigen Seminars genauer kennen lernen und zum anderen wurde
sie von Lind speziell zur Förderung der moralischen Urteilsfähigkeit im Sinne des MUT
konzipiert.
Wenn es also stimmt, wie einige Schüler/innen in Interviews berichten, dass Klassenratsit-
zungen nur dann interessant sind, wenn aktuelle Problemthemen anliegen oder sowieso nur
abgesessen werden, dann könnte doch – so meine Überlegung – die Zeit sinnvoll genutzt
werden, indem man mit Schüler/innen hypothetische Dilemmadiskussionen durchführt.
Aber die KMDD ist kein Selbstzweck, im Gegenteil, Lind „verspricht“ höhere Zuwachsra-
ten in der moralischen Urteilskompetenz als mit anderen Methoden. Wie sieht nun die
Rückblick und Ausblick – eine kritische Reflexion
145
KMDD konkret aus? Eine ausführliche Darstellung findet sich bspw. auf http://www.uni-
konstanz.de/ag-moral/moral/dildisk-d.htm, hier soll nur auf die Grundprinzipien und Pha-
sen der KMDD eingegangen werden, damit die Leserin/der Leser ein ungefähres Bild da-
von bekommt, wie so etwas abläuft. Für die Realisierung einer KMDD im Unterricht ist
ohnehin das erwähnte Lehrerbildungsseminar nötig, eine Investition, die sich auf alle Fälle
lohnt, wie ich selbst erleben durfte.
Grundprinzipien
Das Prinzip der Gleichwürdigkeit37. Unter Gleichwürdigkeit versteht Lind (2009e), dass
alle am (demokratischen) Lernprozess Beteiligten gleich behandelt werden, sozusagen
gleiche Rechte und Pflichten besitzen, aber auch der Umgang miteinander in einer würde-
vollen, ja menschenwürdigen Atmosphäre geschieht. Damit verbunden ist gleichzeitig die
Forderung, dass alle – in der Schule alle Schüler/innen – am Lernprozess beteiligt sind,
denn: „Die Demokratie ist mehr als eine Regierungsform; sie ist in erster Linie eine Form
des Zusammenlebens, der gemeinsamen und miteinander geteilten Erfahrung.“ (Dewey
1993/1964, S. 121) Demzufolge gibt es kein stellvertretendes Lernen für Demokratie, „sie
muss von jedem Individuum direkt erfahren und aktiv gelernt werden.“ (Lind 2009e)
Das konstruktivistische Prinzip. Lind und Mitarbeiter sehen das Lernen von Demokratie als
einen konstruktivistischen Prozess an: „Das bedeutet, dass wir das, was die Umwelt uns
zum Lernen anbietet, immer auf der Grundlage der eigenen Interessen auswählen und im-
mer nur auf der Grundlage des bisher Gelernten verstehen können. Dies gilt auch und ge-
rade für moralisches Lernen.“ (Lind 2009e) Gleichzeitig verweist das Wort „konstruktiv“
darauf, dass es keine Moral und Demokratie unabhängig vom Menschen – quasi in der
Natur existierend – gibt. Sie ist immer ein Machwerk des bzw. der Menschen (vgl. Lind
2009e).
Das Prinzip der Affektregulation. In der KMDD wechseln sich Phasen der Herausforderung
mit Phasen der Unterstützung ab. Damit, so Lind (2009e), gelinge es, „das Erregungsni-
veau der Teilnehmer auf einem mittleren, für Lernprozesse besonders günstigen Niveau“
zu halten. Die Steuerung der Länge der einzelnen Phase spielt dabei eine besondere Rolle
bei der Regulierung der Affekte und Emotionen der Teilnehmer/innen. Um diese zu be-
herrschen bedarf es aber einer guten KMDD-Ausbildung (vgl. Lind 2009e). 37 Der Begriff „Gleichwürdigkeit“ wurde von Jesper Juul (2005) im Buch Erziehung wird Beziehung.
Authentische Eltern – kompetente Kinder geprägt. Für weitere Ausführungen siehe dort.
Rückblick und Ausblick – eine kritische Reflexion
146
Phasen der KMDD38
1. Einführung in das Dilemma
In der Einführungsphase versucht die Lehrperson zum einen die volle Aufmerksamkeit der
Schüler/innen zu erhalten, indem er/sie zur Dilemmageschichte führt. Zum anderen wird
versucht zu erreichen, dass sich die Lernenden mit dem/der Protagonisten/in der Dilemma-
geschichte identifizieren.
2. Erste Abstimmung
Nach der Dilemma-Präsentation (etwa dem Heinz-Dilemma) erfolgt eine Phase des stillen
Nachdenkens, in der die Lerner/innen die Gelegenheit bekommen, die gehörte Geschichte
zu „verdauen“, sich der eigenen Gefühle und der eigenen Position zur Geschichte bewusst
zu werden. Sodann erfolgt die Phase der Dilemma-Klärung, in der sich die Lernenden un-
tereinander über die Geschichte austauschen. Darauf folgt eine erste Abstimmung, in der
sich die Lernenden dafür entscheiden müssen, ob der/die Protagonist/in richtig gehandelt
hat.
3. Unterstützende Argumente in der Kleingruppe sammeln
In Kleingruppen werden Argumente gesammelt für und gegen die Handlung des Hauptak-
teurs der Dilemmageschichte, die sodann in der Gesamtgruppe kurz andiskutiert werden.
4. Diskussion
Die eigentliche Diskussion der Argumente erfolgt jedoch in dieser Diskussionsrunde, in
der die Teilnehmer/innen freiwillig in Pro- und Contra-Gruppen geteilt werden. Diese bei-
den Gruppen sitzen sich nun gegenüber und „verhandeln“ ihre Argumente. Im Zuge dieser
„Verhandlung“ sind vor allem zwei Regeln einzuhalten. Die eine, bereits bekannte Regel
ist die der Gleichwürdigkeit. D.h. die Diskussion muss so geführt werden, dass die Person
gegenüber mit Würde und Achtung behandelt wird. Die zweite Regel ist die so genannte
Pingpong-Regel. Sie besagt, dass eine Gruppe ein Argument vorbringt und dann der „Ball“
zur Gegengruppe wandert und diese mit einem Argument „kontert“, ehe wieder die andere
Gruppe am Zug ist.
38 Die folgenden Ausführungen sind dem KMDD-Ausbildungsprogramm entnommen. Dieses ist ver-
schlüsselt im Internet: http://www.uni-konstanz.de/ag-moral/moral/dildisk-d.htm#kmdd zugänglich. Bezüglich des Zugangs werden die Leserin und der Leser gebeten Kontakt mit Prof. Lind (Uni Kon-stanz) aufzunehmen.
Rückblick und Ausblick – eine kritische Reflexion
147
5. Abschätzung gegensätzlicher Argumente
In dieser 5. Phase werden alle vorgebrachten Argumente – die während der Diskussion an
einer Tafel festgehalten wurden – nochmals vorgelesen. Die Teilnehmer/innen müssen sich
nun für ein Argument der Gegenseite entscheiden, das sie für am besten halten. Dies soll
dazu dienen, die beiden Gruppen wieder „auszusöhnen“. Darauf aufbauend erfolgt dann
eine zweite Abstimmung über die Richtigkeit der Protagonistenhandlung.
6. Reflexion der Übung
In einer abschließenden Phase wird sodann nochmals gemeinsam über den Diskussionsver-
lauf reflektiert. Hier hat jede/r die Möglichkeit seine Erfahrungen, Gefühle und Emotionen
einzubringen.
Dieser kurze Ausflug in die KMDD sollte eine Möglichkeit aufzeigen, wie Moral- und
Demokratieerziehung im Unterricht geschehen und funktionieren kann. Vielleicht ist er
Anstoß für die eine oder andere Lehrperson, selbst einmal eine KMDD im Unterricht ein-
zubauen. Vor allem vor dem Hintergrund einer Folgeuntersuchung im Rahmen einer
Längsschnittstudie, die auf die Ergebnisse dieser Arbeit aufbaut, wäre der (vermehrte) Ein-
satz der KMDD interessant. Ich möchte diese Arbeit mit Aussagen von Grundschü-
ler/innen der Gebhartschule Konstanz, die an einer KMDD in ihrer Klasse (4. Jahrgang)
teilgenommen haben, beschließen. Sie zeigen m.E. nach sehr gut, was u.a. Ziel der KMDD
ist, und dass dies bereits von 10jährigen Kindern wahrgenommen wird und reflektiert wer-
den kann.
„Hat es dir den Etwas gebracht, geholfen die Argumente der Gegenseite zu hören?
Ja, weil … also dann hab ich über meine Argumente nochmals überlegt, ob die wirk-
lich richtig sind. Ja es hat schon was gebracht.
Es nutzt halt was, weil man dann wieder neue Gedanken dazubekommt, neue Ideen
hat. Auch mal wieder eine andere Meinung bekommt, das ist schon ganz nützlich.“
(Lind 2007c)
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Anhang
158
Anhang
Anhang 1 COOL-Faktoren: T-Test bei unabhängigen Stichproben zwischen COOL-
und NonCOOL-Schüler/innen ......................................................................159
Anhang 2 COOL-Faktoren: Korrelationen zwischen COOL-Faktoren und
MUT/s-Werten ..............................................................................................159
Anhang 3 COOL-Faktoren: Varianzanalyse..................................................................160
Anhang 4 Entwicklungsbedingungen nach Lempert: Faktorenanalyse.........................161
Anhang 5 Kooperation (Unterrichtsgestaltung): T-Test zwischen COOL-
und NonCOOL-Schüler/innen ......................................................................162
Anhang 6 Entwicklungsbedingungen: Varianzanalyse .................................................162
Anhang 7 Entwicklungsfaktor „Lehrer“: Korrelationen zwischen
Faktor „Lehrer“ und „MUT/s“ ......................................................................163
Anhang 8 Soziale Schicht: ONEWAY ANOVA - Mittelwertunterschiede
in den Schichten ............................................................................................163
Anhang 9 Soziale Schicht: Korrelationen zwischen „sozialer Sicht“ und „MUT/s“ ....164
Anhang 10 Geschlecht: Kreuztabelle mit „Unterrichtstyp“ und „Geschlecht“ ...............164
Anhang 11 Kohlbergstufen 3 und 4: T-Test zwischen „männlich“ und „weiblich“ .......165
Anhang 12 Alter: ONEWAY ANOVA ...........................................................................166
Anhang 13 Schulstufe: ONEWAY ANOVA ..................................................................167
Anhang 14 Herkunft der Eltern: Varianzanalyse.............................................................168
Anhang 15 Herkunft der Eltern: T-Test zwischen „Österreich“ u. „nicht Österreich“ ...168
Anhang 16 MUT/s: T-Test zwischen COOL- und NonCOOL-Schüler/innen ................169
Anhang 17 Mögliche Testverfahren zur Messung der moralischen Urteilsfähigkeit......170
Anhang 18 Auswahlkriterien zur Bestimmung der Testinstrumente...............................171
Anhang 19 Prüfung möglicher, allgemeiner Störvariablen, die sich auf die abhängige
Variable „moralische Urteilsfähigkeit“ auswirken können...........................173
Anhang 20 Techniken der Kontrolle von Störvariablen..................................................176
Anhang 21 Modifikationen des MUT zum MUT/s .........................................................177
Anhang 22 Kürzungen in den Religiositätsskalen...........................................................178
Anhang 23 Fragebogen....................................................................................................179
Anhang
159
Anhang 1 COOL-Faktoren: T-Test bei unabhängigen Stichproben zwischen COOL- und NonCOOL-Schüler/innen
Levene-Test der Varianzgleichheit T-Test für die Mittelwertgleichheit
F Signifikanz T df Sig.
(2-seitig) Mittlere
Differenz Standardfehler der Differenz
95% Konfidenzintervall der Differenz
Untere Obere
Selbständiges Arbeiten 1,274 ,260 3,616 440 ,000 ,33959829 ,09391558 ,15501942 ,52417716
3,622 439,653 ,000 ,33959829 ,09376423 ,15531647 ,52388010
Schülerumgang der Lehrer/innen 1,584 ,209 -,852 440 ,394 -,08116833 ,09522221 -,26831521 ,10597856
-,855 439,924 ,393 -,08116833 ,09492707 -,26773525 ,10539859
Lehrerkooperation 2,630 ,106 -1,215 440 ,225 -,11560317 ,09514131 -,30259107 ,07138472
-1,212 431,388 ,226 -,11560317 ,09537943 -,30306938 ,07186303
Diskutieren im Unterricht ,019 ,891 ,333 440 ,739 ,03172560 ,09528880 -,15555215 ,21900336
,332 432,884 ,740 ,03172560 ,09548173 -,15593984 ,21939104
Mitentscheiden im Unterricht 2,940 ,087 13,323 440 ,000 1,07176290 ,08044635 ,91365604 1,22986976
13,274 427,111 ,000 1,07176290 ,08074327 ,91305928 1,23046652 Anhang 2 COOL-Faktoren: Korrelationen zwischen COOL-Faktoren und MUT/s-Werten
MUT/s Selbständiges
Arbeiten Schülerumgang der
Lehrer/innen Lehrer-
kooperation Diskutieren
im Unterricht Mitentscheiden im
Unterricht MUT/s Korrelation nach Pearson 1 ,103(*) ,022 -,031 -,063 -,022 Signifikanz (2-seitig) ,031 ,648 ,520 ,188 ,651 N 447 435 435 435 435 435
* Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,05 (2-seitig) signifikant.
Anhang
160
Anhang 3 COOL-Faktoren: Varianzanalyse - Tests der Zwischensubjekteffekte Abhängige Variable: MUT/s
Quelle Quadratsumme
vom Typ III df Mittel der Quadrate F Signifikanz
Korrigiertes Modell 1039,214(a) 5 207,843 1,440 ,209
Konstanter Term 147014,621 1 147014,621 1018,707 ,000
Selbständig Arbeiten 663,745 1 663,745 4,599 ,033
Schülerumgang 33,819 1 33,819 ,234 ,629
Lehrerkooperation 56,549 1 56,549 ,392 ,532
Diskutieren Lernen 246,672 1 246,672 1,709 ,192
Mitentscheiden im Unterricht 32,232 1 32,232 ,223 ,637
Fehler 61911,122 429 144,315
Gesamt 209955,502 435
Korrigierte Gesamtvariation 62950,336 434 a R-Quadrat = ,017 (korrigiertes R-Quadrat = ,005)
Anhang
161
Anhang 4 Entwicklungsbedingungen nach Lempert: Faktorenanalyse - Rotierte Komponentenmatrix(a)
Komponente
Peers Familie Schule Lehrer …. ….
Kommunikation Peers ,712
Wertschätzung Peers ,669
Kooperation Peers ,653
Handlungschancen Peers ,611
Verantwortung Peers ,572
Kommunikation Familie ,734
Wertschätzung Familie ,723
Konflikt Familie ,684
Handlungschancen Familie ,546
Kooperation Familie ,543
Wertschätzung Schule Mitschüler ,708
Kommunikation Schule Schüler ,668
Handlungschancen Schule ,614
Konflikt Schule ,556
Kommunikation Schule Lehrer ,727
Wertschätzung Schule Lehrer ,688
Verantwortung Familie ,688
Kooperation Unterricht ,416 -,565
Konflikt Peers ,802 Extraktionsmethode: Hauptkomponentenanalyse. Rotationsmethode: Varimax mit Kaiser-Normalisierung. a Die Rotation ist in 6 Iterationen konvergiert.
Anhang
162
Anhang 5 Kooperation (Unterrichtsgestaltung): T-Test zwischen COOL- und NonCOOL-Schüler/innen Gruppenstatistiken
Unterrichtstyp N Unterricht-Mittelwert
Standardab-weichung
Standardfehler des Mittelwertes
Kooperation im Unterricht COOL 220 -,5774 1,14377 ,07711 Kontrollgruppe 234 -,6060 1,19040 ,07782
Test bei unabhängigen Stichproben
Levene-Test der Varianzgleichheit T-Test für die Mittelwertgleichheit
F Signifikanz T df Sig. (2-seitig) Mittlere
Differenz Standardfehler der Differenz
95% Konfidenzintervall der Differenz
Untere Obere
Kooperation im Unterricht ,696 ,405 ,260 452 ,795 ,02856 ,10969 -,18701 ,24412
,261 451,784 ,794 ,02856 ,10955 -,18674 ,24386 Anhang 6 Entwicklungsbedingungen: Varianzanalyse - Tests der Zwischensubjekteffekte Quelle Quadratsumme vom Typ III df Mittel der Quadrate F Signifikanz
Korrigiertes Modell 794,340(a) 4 198,585 1,392 ,236
Konstanter Term 147654,539 1 147654,539 1034,856 ,000
Peers 41,921 1 41,921 ,294 ,588
Familie 8,150 1 8,150 ,057 ,811
Schüler 14,649 1 14,649 ,103 ,749
Lehrer 729,135 1 729,135 5,110 ,024
Fehler 63065,121 442 142,681
Gesamt 211656,154 447
Korrigierte Gesamtvariation 63859,460 446 a R-Quadrat = ,012 (korrigiertes R-Quadrat = ,004) Abhängige Variable: MUT/s
Anhang
163
Anhang 7 Entwicklungsfaktor „Lehrer“: Korrelationen zwischen Faktor „Lehrer“ und „MUT/s“ MUT/s Lehrer
MUT/s Korrelation nach Pearson 1 ,107(*)
Signifikanz (2-seitig) ,024
N 447 447* Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,05 (2-seitig) signifikant. Anhang 8 Soziale Schicht: ONEWAY ANOVA - Mittelwertunterschiede in den Schichten MUT/s
Quadrat-summe df
Mittel der Quadrate F Signifikanz
Zwischen den Gruppen 1502,133 3 500,711 3,542 ,015
Innerhalb der Gruppen 62054,151 439 141,353
Gesamt 63556,285 442 MUT/s - Duncan
Untergruppe für Alpha = .05.
Soziale Schicht N 1 2
Niedrige Schicht 38 14,5370
Mittlere Schicht 246 17,4233 17,4233
Hohe Schicht 15 18,0854 18,0854
Gehobene Schicht 144 20,6214
Signifikanz ,220 ,269Die Mittelwerte für die in homogenen Untergruppen befindlichen Gruppen werden angezeigt. a Verwendet ein harmonisches Mittel für Stichprobengröße = 38,465. b Die Gruppengrößen sind nicht identisch. Es wird das harmonische Mittel der Gruppengrößen verwendet. Fehlerniveaus des Typs I sind nicht garantiert.
Anhang
164
Anhang 9 Soziale Schicht: Korrelationen zwischen „sozialer Sicht“ und „MUT/s“ MUT/s Soziale Schicht
Korrelation nach Pearson 1 -,134(**)
Signifikanz (2-seitig) ,005
MUT/s
N 447 443** Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,01 (2-seitig) signifikant. Anhang 10 Geschlecht: Kreuztabelle mit „Unterrichtstyp“ und „Geschlecht“ Geschlecht Gesamt
männlich weiblich
Unterrichtstyp COOL Anzahl 68 152 220
% von Unterrichtstyp 30,9% 69,1% 100,0%
% von Geschlecht 44,7% 51,0% 48,9%
% der Gesamtzahl 15,1% 33,8% 48,9%
Kontrollgruppe Anzahl 84 146 230
% von Unterrichtstyp 36,5% 63,5% 100,0%
% von Geschlecht 55,3% 49,0% 51,1%
% der Gesamtzahl 18,7% 32,4% 51,1%
Gesamt Anzahl 152 298 450
% von Unterrichtstyp 33,8% 66,2% 100,0%
% von Geschlecht 100,0% 100,0% 100,0%
% der Gesamtzahl 33,8% 66,2% 100,0%
Anhang
165
Anhang 11 Kohlbergstufen 3 und 4: T-Test zwischen „männlich“ und „weiblich“ Gruppenstatistiken
Geschlecht N „Skalen“-Mittelwert
Standardab-weichung
Standardfeh-ler des
Mittelwertes
männlich 152 ,3701 1,19912 ,09726Kohlberg4
weiblich 298 ,6250 1,01675 ,05890
männlich 152 ,4507 1,28028 ,10384Kohlberg3
weiblich 298 ,5839 1,08851 ,06306 Test bei unabhängigen Stichproben
Levene-Test der Varianzgleichheit T-Test für die Mittelwertgleichheit
F Signifikanz T df Sig. (2-seitig) Mittlere
Differenz Standardfehler der Differenz
95% Konfidenzintervall der Differenz
Untere Obere
Kohlbergstufe 4 Varianzen sind gleich 5,612 ,018 -2,365 448 ,018 -,25493 ,10781 -,46681 -,04305
Varianzen sind nicht gleich -2,242 264,004 ,026 -,25493 ,11371 -,47882 -,03105
Kohlbergstufe 3 Varianzen sind gleich 4,451 ,035 -1,156 448 ,248 -,13323 ,11529 -,35981 ,09335
Varianzen sind nicht gleich -1,097 264,591 ,274 -,13323 ,12149 -,37244 ,10597
Anhang
166
Anhang 12 Alter: ONEWAY ANOVA deskriptive Statistiken MUT/s
95%-Konfidenzintervall für den Mittelwert
Alter N MUT/s-
Mittelwert Standardab-
weichung Standard-
fehler Untergrenze Obergrenze Minimum Maximum
14 55 18,9791 12,01883 1,62062 15,7300 22,2283 1,10 57,03
15 122 17,1488 11,01068 ,99686 15,1752 19,1223 ,76 58,84
16 140 18,7807 12,94186 1,09379 16,6181 20,9433 1,97 60,21
17 74 17,4878 11,26294 1,30929 14,8784 20,0973 1,29 52,40
18 29 18,4524 11,52611 2,14034 14,0681 22,8367 1,82 50,93
19 14 19,4802 15,39863 4,11546 10,5893 28,3711 1,50 50,17
20 7 19,2899 12,77698 4,82924 7,4732 31,1066 4,04 35,80
21 1 24,6650 . . . . 24,67 24,67
Gesamt 444 18,1982 11,97936 ,56852 17,0809 19,3156 ,76 60,21 ONEWAY ANOVA MUT/s
Quadrat-summe df
Mittel der Quadrate F Signifikanz
Zwischen den Gruppen 779,313 9 86,590 ,598 ,798
Innerhalb der Gruppen 62793,417 434 144,685
Gesamt 63572,730 443
Anhang
167
Anhang 13 Schulstufe: ONEWAY ANOVA deskriptive Statistiken MUT/s
Jahrgang N MUT/s-
Mittelwert Standardab-
weichung Standard-
fehler 95%-Konfidenzintervall für
den Mittelwert Minimum Maximum
Untergrenze Obergrenze
1 147 17,6821 11,51412 ,94967 15,8052 19,5590 ,76 58,84
2 135 17,8981 11,48146 ,98817 15,9437 19,8525 1,10 58,37
3 130 18,1911 12,39680 1,08727 16,0399 20,3423 1,29 60,21
5 35 21,3627 13,94591 2,35729 16,5721 26,1533 1,50 50,93
Gesamt 447 18,1835 11,96590 ,56597 17,0713 19,2958 ,76 60,21 ONEWAY ANOVA MUT/s
Quadrat-summe df
Mittel der Quadrate F Signifikanz
Zwischen den Gruppen 401,713 3 133,904 ,935 ,424
Innerhalb der Gruppen 63457,747 443 143,245
Gesamt 63859,460 446
Anhang
168
Anhang 14 Herkunft der Eltern: Varianzanalyse Tests der Zwischensubjekteffekte Abhängige Variable: MUT/s
Quelle Quadratsumme
vom Typ III df Mittel der Quadrate F Signifikanz
Korrigiertes Modell 3407,148(a) 8 425,894 3,040 ,002
Konstanter Term 11773,169 1 11773,169 84,042 ,000
Durchschnittsnote 1297,441 1 1297,441 9,262 ,002
Rollenübernahme 9,835 1 9,835 ,070 ,791
Herkunft der Eltern 277,691 1 277,691 1,982 ,160
Soziale Schicht 318,387 3 106,129 ,758 ,518
Fehler 59817,333 427 140,087
Gesamt 208666,163 436
Korrigierte Gesamtvariation 63224,481 435 a R-Quadrat = ,054 (korrigiertes R-Quadrat = ,036) Anhang 15 Herkunft der Eltern: T-Test zwischen „Österreich“ und „nicht Österreich“ Gruppenstatistiken
Herkunft der Eltern N MUT/s-
Mittelwert Standardab-
weichung
Standardfeh-ler des
Mittelwertes
MUT/s aus Österreich 400 18,5305 12,14110 ,60706
nicht aus Österreich 47 15,2310 9,98523 1,45650
Anhang
169
Test bei unabhängigen Stichproben
Levene-Test der Vari-anzgleichheit T-Test für die Mittelwertgleichheit
F Signifikanz T df Sig. (2-seitig) Mittlere
Differenz Standardfehler der Differenz
95% Konfidenzintervall der Differenz
Untere Obere
MUT/s Varianzen sind gleich 2,771 ,097 1,793 445 ,074 3,29950 1,84054 -,31772 6,91673
Varianzen sind nicht gleich 2,091 63,150 ,041 3,29950 1,57794 ,14639 6,45262 Anhang 16 MUT/s: T-Test zwischen COOL- und NonCOOL-Schüler/innen Gruppenstatistiken Unterrichtstyp N Mittelwert Standardabweichung Standardfehler des Mittelwertes
MUT/s COOL 218 17,8348 11,43408 ,77441
Kontrollgruppe 229 18,5155 12,46707 ,82385 Test bei unabhängigen Stichproben
Levene-Test der Varianzgleichheit T-Test für die Mittelwertgleichheit
F Signifikanz T df Sig. (2-seitig) Mittlere
Differenz Standardfehler der Differenz
95% Konfidenzintervall der Differenz
Untere Obere
MUT/s Varianzen sind gleich ,927 ,336 -,601 445 ,548 -,68070 1,13309 -2,90758 1,54617
Varianzen sind nicht gleich -,602 444,389 ,547 -,68070 1,13068 -2,90285 1,54144
Anhang
170
Anhang 17 Mögliche Testverfahren zur Messung der moralischen Urteilsfähigkeit
1. Brandstiftungsszenario – Hommers
2. Defining Issue Test – Rest
3. Erweiteter Urteilskonsistenz-Test – Herzig
4. Fragebogen zum moralischen Urteil – Eckensberger & Reinshagen
5. Fragebogen zur Erfassung des moralischen Urteilens in soz. Konf. – Bonk-Luetkens
6. Fragebogen zur Erfassung ethischer Orientierungen – Sieloff u.a.
7. Interview zum Umweltdilemma – Nieder u.a.
8. Meinungen und Stellungnahmen zu sozialen Problemen – Schreiner
9. Moral Judgment Interview – Kohlberg
10. Moralischer-Urteils-Präferenztest – Briechle
11. Moralisches Urteil-Test – Lind
12. Moralisches-Urteil-Fragebogen – Krämer-Badoni & Wakenhut
13. Moral-Judgment-Scale – Maitland & Goldman
14. Piaget-Geschichten – Kemmler, Windheuser & Morgenstern
15. Sociomoral Reflection Measure-Short Form – Gibbs
16. Urteilskonsistenz-Test – Hinder
17. Diskussionsprotokolle – Oser
18. Ethnographisches Interview – Korte
Anhang
171
Anhang 18 Auswahlkriterien zur Bestimmung der Testinstrumente
Oser & Althof (1997) verweisen in ihrem Werk: Moralische Selbstbestimmung – Modelle
der Entwicklung und Erziehung im Wertebereiche im Rahmen der Evaluierung von Ver-
änderungen, die durch das Modell der Gerechten Gemeinschaft bewirkt werden, auf fol-
gende wichtige Erkenntnis: „Messfragen hängen stets von den Zielen und Absichten derje-
nigen ab, die ein solches Modell realisieren.“ (Oser & Althof, 1997, S. 443) Es muss also
zuerst die Frage nach den wichtigen Maßen geklärt sein, bevor man diese Variablen mit
einem adäquaten Testdesign untersuchen kann. Als Beispiele führen Oser & Althof in ihrer
Untersuchung die Höhe der Stufe des moralischen Urteils, das Ausmaß an moralischer
Sensibilität… an (vgl. Oser & Althof 1997, S. 443).
Da ich in meiner Diplomarbeit das Maß „moralische Urteilsfähigkeit“ der Schüler erheben
will, stellt sich die Frage welches Messinstrument diesem Anspruch am ehesten gerecht
wird. Zugegeben:
1. Die moralische Urteilsfähigkeit ist ein sehr abstraktes und komplexes Konstrukt,
zwar gibt es wissenschaftlich einen Konsens über die begriffliche Definition (vgl. je-
ne von Kohlberg), jedoch bezüglich der Theorie der Entwicklung moralischer Fähig-
keiten bestehen verschiedene wissenschaftliche Auffassungen (vgl. Lind 1993b,
S. 9ff. zur Reifungs-, Sozialisations- und „Bildungstheorie“), wodurch eine Messung
schier unmöglich erscheint und,
2. wie die Liste möglicher Testverfahren zeigt, gibt es viele verschiedene Tests, die den
Anspruch erheben eine derartige Fähigkeit zu messen.
Auf das zweite Auswahlproblem bzgl. der Testverfahren möchte ich hier etwas genauer
eingehen. Es wurden in Anhang 17 18 Testverfahren aufgelistet, die in den ersten Recher-
chen gefunden wurden. Grundlegend lassen sich diese Verfahren in halbstrukturierte Inter-
views (mit offenen Fragen) wie etwa dem Moral Judgment Interview (MJI von Kohlberg)
oder dem Sociomoral Reflection Measurement (von Gibbs) sowie in standardisierte Frage-
bögen (mit meist nur Ankreuzmöglichkeiten) wie etwa Defining Issue Test (von Rest) und
dem Moralisches Urteil-Test (von Lind) unterscheiden (vgl. Oser & Althof 1997, S. 444).
Im Folgenden geht es mir aber nicht um eine systematische Einteilung der möglichen
Testverfahren sondern um die Kriterien, die zur Auswahl der Messinstrumente geführt
Anhang
172
haben. Dabei stehen vor allem praktische Rahmenbedingungen, die die Auswahl ein-
schränken, im Vordergrund:
1. Testvorlagen müssen vorliegen und der Auswertungsalgorithmus muss bekannt sein
(d.h. Auswertungsmanuals bzw. Handanweisungen müssen vorliegen) bzw. in ange-
messener Zeit erlernbar sein.
2. Der Test soll den ökonomischen Möglichkeiten einer Diplomarbeit entsprechen. D.h.
der zeitliche Aufwand der Durchführung sowie der Auswertung darf den Rahmen
nicht sprengen.
3. Das Messinstrument soll gültig (Validität) und zuverlässig (Reliabilität) sein. D.h. der
Test soll auch messen, was er vorgibt zu messen und bei verschiedenen Versuchsper-
sonen dasselbe konstant und valide messen.
4. Es darf natürlich nicht auf die eingangs gestellte Frage vergessen werden: Ist der Test
überhaupt für die gestellten Ziele geeignet?
5. In Verbindung mit Punkt 2: Es soll eine größere Schülerpopulation gemessen werden
können. D.h. Individual-Tests sind eher weniger geeignet, wenn diese längere Aus-
wertungszeiten in Anspruch nehmen.
Eine zusammenfassende Reflexion der gewählten Instrumente
Die oben überblicksmäßig dargestellten Ergebnisse meiner Literaturrecherche zeigen, dass
es eine Vielfalt von möglichen Tests/Instrumenten gibt, die es erlauben Rückschlüsse auf
die moralische Urteilsfähigkeit oder ähnliche Konstrukte einer Person/einer Personengrup-
pe zu ziehen. Natürlich unterscheiden sie sich hinsichtlich ihrer Validität und Reliabilität.
Diese beiden Kriterien und noch weitere haben die Fülle von für die vorliegende Untersu-
chung infrage kommenden Instrumente auf acht Möglichkeiten eingeschränkt. Erst die
Literaturrecherchen zu den Überlegungen zum Forschungsdesign haben gezeigt, dass bei
der Evaluation pädagogischer Interventionen – und diese Untersuchung gleicht einer sol-
chen – das Testinstrument „MUT“ (zur Erhebung der abhängigen Variable „moralische
Urteilsfähigkeit“) von Lind bzw. die adaptierte Version „MUT/s“ am besten für „meine
Zwecke“ geeignet erscheint; auch in Bezug auf die oben erwähnten fünf Punkte.
Anhang
173
Anhang 19 Prüfung möglicher, allgemeiner Störvariablen, die sich auf die abhän-
gige Variable „moralische Urteilsfähigkeit“ auswirken können
Schnell, Hill & Esser (1992, S. 228ff.) weisen im Zusammenhang mit verschiedenen Un-
tersuchungsdesigns auf folgende Störfaktoren hin, die den meisten Designs immanent sind,
und „die neben dem Treatment ebenfalls für eine Veränderung der Ausprägungen in den
abhängigen Variablen verantwortlich sein können.“ (Schnell, Hill & Esser 1992, S. 228)
Theoretisch soll hier auf die Ausführungen von Schnell, Hill & Esser und praktisch auf
jenen von Herzig („Evaluation eines Unterrichtskonzeptes“) eingegangen werden:
Zeitliches Geschehen
Dabei handelt es sich um Ereignisse zwischen Pre- und Posttest, die neben der unabhängi-
gen Variable beeinflussend wirken können (vgl. Schnell, Hill & Esser 1992, S. 229). Her-
zig beispielsweise weist in seiner Evaluation des Unterrichtskonzepts darauf hin, dass die
Ergebnisse durch die zeitliche Lage der Unterrichtsstunden, durch Unterrichtsinhalte in
anderen Fächern, durch die Verteilung der Unterrichtseinheiten über den Untersuchungs-
zeitraum oder durch die Lehrerpersönlichkeit beeinflusst werden können. Durch die Anla-
ge eines entsprechenden Forschungsdesigns versuchte er diese Effekte auszuschalten. Bis
auf die Ausschaltung des Versuchsleitereffektes, d.h. der mögliche Einfluss der Lehrperson
gelang dies auch (vgl. Herzig 1998, S. 274). Bezogen auf eine eventuelle Längsschnittstu-
die zu der die vorliegende Untersuchung ausgebaut werden könnte, ist es aus organisatori-
schen Gründen nicht möglich, auf Effekt wie „Verteilung der Unterrichtseinheiten“ einzu-
gehen, da diese vom Lehrplan vorgegeben sind. Es wäre auch nicht sinnvoll, da ja der gan-
ze Ausbildungszweig Untersuchungsgegenstand ist und nicht wie im Falle von Herzig eine
konkrete Unterrichtsmethode. Die Lehrerpersönlichkeit wird auch in vorliegender Unter-
suchung Einfluss nehmen und es muss daher überlegt werden, wie diese berücksichtigt
wird (siehe Kap. 6.6.1).
Reifungsprozesse
Die biologisch-psychologische Reifung während den fünf Jahren der Untersuchung, d.h.
während der Wachstums- und Entwicklungsphase zwischen dem Übergang in die HAK
(etwa dem 14. Lebensjahr) und dem letzten Schuljahr (etwa 18. - 20. Lebensjahr), wird
möglicherweise Einfluss auf die Ergebnisse ausüben (vgl. Schnell, Hill & Esser 1992,
S. 229). Dieser Effekt lässt sich, wie auch Herzig (1998, S. 275) erwähnt, durch die Kon-
trollgruppe kontrollieren, da auch in dieser Reifungsprozesse zu erwarten sind. Daher müs-
Anhang
174
sen sie nicht im Einzelnen erfasst werden. In Kap. 6.6.1 wurde zudem gezeigt, dass der
Reifungstheorie gegenüber der „Bildungstheorie“ weniger Wirksamkeit zugemessen wird.
Messeffekte
Proband/innen können rein aus dem Messvorgang lernen, in dem sie über die gegebenen
Antworten nachdenken (vgl. Schnell, Hill & Esser 1992, S. 229). In der konkreten Unter-
suchung ist dieser Effekt meiner Meinung nach weniger wahrscheinlich, da der MUT(/s)
für Laien schwer zu durchschauen ist. Bzw. – so sagt die kognitive Entwicklungstheorie
voraus – ist die moralische Urteilsfähigkeit nicht simulierbar (vgl. Lind 2000a, S. 121ff.).
Hilfsmittel
„Durch Verwendung von unterschiedlichen Messinstrumenten, z.B. geänderte Tests, an-
ders formulierte Fragen, ungleiche Antwortvorgaben o.a., und variierende ,Hilfsmittel’,
etwa verschiedene Versuchsleiter, Beobachter, Interviewer usw., können Effekte auf die
abhängige Variable möglich werden“. (Schnell, Hill & Esser 1992, S. 230, Herv. i. Orig.)
In vorliegender Untersuchung wurde den Schüler/innen in der Basiserhebung die aktuelle
Version des MUT(/s) vorgelegt. Diese wäre dann auch in späteren Untersuchungen zu ver-
wenden, damit keine Verzerrungseffekte auftreten. Die Auswertung ist beim MUT(/s) stan-
dardisiert, so dass auch hier keine Verzerrungseffekte zum Greifen kommen können.
Verzerrte Auswahlen und Ausfälle
Verzerrte Auswahl bedeutet, dass sich die Experimentalgruppe und Kontrollgruppe nicht
nur hinsichtlich des Treatments unterscheiden, sondern auch im Hinblick auf andere
Merkmale, wie z.B. Geschlecht. Würden in der Experimentalgruppe beispielsweise vor-
wiegend Männer sein, so würde dies möglicherweise das Ergebnis beeinflussen. Weiters
sind Ausfälle beim Posttest von Versuchspersonen die am Pretest teilgenommen haben zu
berücksichtigen (vgl. Schnell, Hill & Esser 1992, S. 230). Soweit die Verzerrte Auswahl
betroffen ist, so wurde weiter im Kap. 6 schon darauf hingewiesen, dass dies aufgrund der
Natur der Untersuchung nicht im Einflussbereich des Forschers liegt. Auf die Ausfälle
wird in der Untersuchung jedoch Rücksicht zu nehmen sein. Auch Herzig (1998, S. 276)
verweist darauf, dass in seiner Untersuchung die Schüler/innen nicht auf einzelne Gruppen
zugeteilt werden konnten, da die Kurse festgelegt waren. Jedoch versucht er diesen Effekt
durch die Kovarianzanalyse zu berücksichtigen.
Anhang
175
Wechselwirkungen
„Die Ergebnisse einer Untersuchung können auch durch die Wechselwirkung einzelner
Faktoren (z.B.: Auswahl und Reifung, Anm. d. Verf.) beeinflusst werden.“ (Herzig 1998,
S. 277) Da es sich hier jedoch um ein quasi-experimentelles Design handelt, können solche
Wechselwirkungen nicht kontrolliert werden. Herzig (1998, S. 277) schätzt ihre Bedeutung
zudem gering ein.
Reaktivität des Messens
„Durch die Durchführung des Pretests kann die Empfänglichkeit der Versuchspersonen für
den Stimulus angeregt werden.“ (Schnell, Hill & Esser 1992, S. 231) Dieser Effekt ist vor
allem dann gegeben, wenn die Testaufgaben von den Unterrichtsaufgaben abweichen
(Campbell & Stanley zit. nach Herzig 1998, S. 277). Dies ist in vorliegender Untersuchung
sicherlich der Fall. Wenn jedoch auch die Kontrollgruppe am Pretest teilgenommen hat –
wie es hier ebenfalls der Fall ist, kann dieser Effekt vernachlässigt werden.
Auswahl-Effekt
„Ein Wechselwirkungseffekt zwischen der Auswahl der Stichprobe und der unabhängigen
Variable der Untersuchung kann dazu führen, dass die Ergebnisse nur für die einge-
schränkte Stichprobe gelten, der die Versuchs- und Kontrollgruppe entstammen.“ (Herzig
1998, S. 278) Dieser Effekt konnte auch bei Herzig nicht kontrolliert werden. Da die Wahl
des COOL-Zweiges freiwillig ist, ist anzunehmen, dass eher am kooperativen, offenen
Lernen interessierte Schüler/innen diesen Zweig wählen.
Reaktive Effekte der experimentellen Situation
Da es sich bei der konkreten Untersuchung um ein Feldexperiment in der Alltagssituation
handelt, d.h. es eigentlich gar keine experimentelle Situation gibt, ist dieser Effekt wohl
nicht gegeben (vgl. Schnell, Hill & Esser 1992, S. 232).
Anhang
176
Anhang 20 Techniken der Kontrolle von Störvariablen
Elimination: Die Ausschaltung denkbarer Störgrößen bei der Durchführung des Experi-
ments um eine maximale Kontrolle des Stimulus und seiner Variation zu erreichen (vgl.
Schnell, Hill & Esser 1992, S. 232). Da diese Technik hauptsächlich bei Laborexperimen-
ten sehr gut eingesetzt werden kann bzw. umgekehrt, die Realisation dieser Technik bei
Feldexperimenten kaum möglich ist – wie erwähnt hat der/die Forscher/in keinen Einfluss
auf den Stimulus bzw. das Treatment –, scheidet sie auch für die konkrete Untersuchung
dieser Arbeit aus.
Konstanthaltung: „Konstanthaltung bedeutet nur, solche (mit unter unvermeidliche) Ein-
flüsse in beiden Gruppen möglichst gleichartig wirken zu lassen, d.h. die Versuchsbedin-
gungen für beide Gruppen bis auf das Treatment maximal anzugleichen.“ (Schnell, Hill &
Esser 1992, S. 233) Was bedeutet dies für das konkrete Experiment? Auch hier ist wie o-
ben, das Argument zu bringen, dass es sich bei der Untersuchung nicht um ein Laborexpe-
riment handelt, sondern um eine reale Situation, die nicht im Einflussbereich der Forsche-
rin bzw. des Forschers liegt. Somit scheidet auch diese Kontrolltechnik aus.
Das Matching und die Randomisierung sollen gewährleisten, dass sich in den beiden
Gruppen – Kontroll- und Experimentalgruppe – Versuchspersonen mit gleichen Merk-
malsausprägungen befinden bzw. im Falle der Randomisierung zumindest deren Zuteilung
zufällig geschieht (vgl. Schnell, Hill & Esser 1992, S. 234f.). Weiter oben wurde aber be-
reits darauf hingewiesen, dass dies aufgrund der Zusammensetzung der Klassen nicht mög-
lich, ja nicht sinnvoll, wäre (vgl. Lind 1993a, S. 74 und Herzig 1998, S. 273).
Zusammenfassend kann zum beabsichtigten Forschungsdesign bzw. zu den bisherigen
Anmerkungen gesagt werden: „Wenn die Messungen über Zeit zugleich bei einer Kon-
trollgruppe vorgenommen werden, die in wesentlichen Aspekten der Experimentalgruppe
gleicht und wie diese den unkontrollierbaren historischen Einflüssen (Persönlichkeitsent-
wicklung, Effekte der Erstmessung etc.) ausgesetzt ist, lässt sich der experimentelle Effekt,
d.h. die Differenz zwischen den jeweiligen Messungsdifferenzen (M1-M2) und (M3-M4),
relativ gut kontrollieren; auch dann, wenn – wie in der vorliegenden Begleituntersuchung –
der experimentelle Stimulus weder exakt gemessen noch manipuliert werden kann.“
(Bonk-Luetkens 1978, S. 59f.)
Anhang
177
Anhang 21 Modifikationen des MUT zum MUT/s
MUT-Originalversion eingesetzte MUT-Schülerversion (MUT/s)
In einem Betrieb haben Arbeiter aufgrund einer Reihe scheinbar unbegründeter Entlassungen den Verdacht, dass die Firmenleitung mittels der Ge-gensprechanlage ihre Beschäftigten abhört und diese Informationen gegen sie verwendet. Die Firma dementiert diesen Vorwurf entschieden. Die Gewerkschaft möchte erst dann etwas gegen den Betrieb unternehmen, wenn sich Belege für den Verdacht erbringen lassen. Daraufhin brechen zwei Arbeiter in die Räume der Direktion ein und nehmen Tonbandabschriften mit, die ein Abhören beweisen.
In einem Unternehmen werden Mitarbeiter scheinbar ohne Grund entlassen. Die Arbeiter ha-ben den Verdacht, dass die Firmenleitung ihre Be-schäftigten mit Abhörgeräte belauscht. Angeblich verwendet die Firmenleitung diese Aufzeichnun-gen als Kündigungsgrund. Die Firmenleitung weist diese Vorwürfe jedoch entschieden zurück. Die Arbeitervertretung (Gewerkschaft) will erst dann etwas gegen die Firmenleitung unternehmen, wenn sie Beweise hat. Daraufhin brechen zwei Arbeiter in die Räume der Firmenleitung ein und nehmen Tonbandkopien mit, die ein Abhören be-weisen.
Argumente Gründe (Argumente)
… dass wegen der Missachtung des Gesetzes durch die Firma dieses Mittel erlaubt war, um wieder Recht und Ordnung herzustellen.
… dass wegen des gesetzeswidrigen Handelns der Firmenleitung der Einbruch erlaubt war, um wie-der Recht und Ordnung herzustellen
billigen gutheißen
Hausrecht der Firmenleitung … das Recht der Firmenleitung in ihrem Unter-nehmen zu bestimmen, was geschieht.
sich zuerst ins Unrecht gesetzt hat zuerst einen Fehler begangen hat
… dass es falsch ist, ein so grundlegendes Recht wie das Eigentum zu verletzen, solange es noch keine allgemeingültigen Maßstäbe dafür gibt, ihr Verhalten von Selbstjustiz zu unterscheiden.
… dass es falsch von ihnen sei, zu steh-len/einzubrechen. Und zwar deshalb, weil man im Allgemeinen hier nicht unterscheiden kann, ob die Arbeiter ein Verbrechen begangen haben, oder nur den betroffenen Mitarbeitern geholfen haben. Im Prinzip haben sie beides getan, man kann es nicht trennen. Und solange man das nicht tren-nen/unterscheiden kann, ist es falsch so zu han-deln.
… dass sie nicht hinreichend die rechtlichen Mit-tel ausgeschöpft und dadurch mit dem Einbruch voreilig eine erhebliche eigene Rechtsverletzung begangen haben.
… dass sie nicht alle oder zumindest nicht genü-gend rechtliche Schritte unternommen haben und dadurch mit dem Einbruch eine voreilige Rechts-verletzung begangen haben.
Abschriften Kopien
… Phase der relativen Besserung … in einer Phase, in der es ihr kurzfristig besser ging
gebot ihm zwang ihn
Konsequenzen Folgen
… Wenn diese sich gegen aktive Sterbehilfe aus-sprechen, dann sollte kein Arzt das tun.
… Wenn diese gegen Tod auf Verlangen (aktive Sterbehilfe, z.B. das Verabreichen einer Spritze, die zum Tot führt) sind, dann sollte ein Arzt das nicht tun.
… weil der Schutz des Lebens für jeden die höchste moralische Verpflichtung sein sollte. So lange wir keine klaren Kriterien haben, wie wir aktive Sterbehilfe von Mord unterscheiden kön-nen, darf das keiner tun.
… weil das Leben zu schützen für jedermann höchste (moralische) „Verpflichtung“ ist. So lange wir keine klaren Kriterien haben, wie wir Sterbe-HILFE (Hilfe zum Tod z.B. durch eine Spritze) von MORD unterscheiden können, darf das keiner tun.
Anhang
178
Anhang 22 Kürzungen in den Religiositätsskalen
1. Ich bin religiös.
2. Ich kann gut ohne Religion auskommen.
3. Man kann auch moralisch handeln, ohne an Gott zu glauben.
4. Ich glaube, dass es einen allmächtigen Gott gibt.
5. Ich glaube an ein Leben nach dem Tode.
6. Ich glaube an die Existenz des Teufels und der Engel.
7. Der Koran (die Bibel) ist das Wort Gottes, deren Aussagen wortwörtlich zu verstehen
sind.
8. Abtreibung ist für mich Sünde.
9. Menschen müssen für ihre Sünden in der Hölle büßen.
10. Der Glaube gibt mir ein Gefühl der Geborgenheit.
11. Rituale und Feiern meiner Glaubensgemeinschaft sind mir wichtig.
12. Der Glaube hilft mir, schwierige Lebenslagen zu meistern.
13. Ich bin überzeugt, dass die wachsende Kriminalität durch mehr Religiosität verringert
werden kann.
14. Religiöse Unterweisung sollte ein Pflichtfach in den Schulen sein.
15. Ich bete häufig.
Anhang
179
Institut für Pädagogik und Psychologie o.Univ.Prof. Dr. Herbert ALTRICHTER
Tel.: +43/732/2468-8221 Fax: +43/732/2468-9315 [email protected]
Diplomand: Christoph Helm [email protected]
Anhang 23 Fragebogen
A
Fragebogen-Code: Liebe Schülerin, Lieber Schüler, ich bitte dich, mein Forschungsprojekt zu unterstützen. Lies und beantworte bitte dazu, die folgenden Fragen sorgfältig. Die Fragebögen beziehen sich auf folgende Themen: 1. Bearbeitung zweier Dilemmata („Zwickmühlen“) 2. Fragen zum Thema „Religion“ und zu Deinen Eltern 3. Fragen zu sozialen Beziehungen in der Familie, im Freundeskreis und der Schule 4. Fragen zum Thema „kooperatives offenes Lernen“ 5. Fragen zu deiner Lebenssituation und Deiner schulischen Laufbahn Die folgende Befragung ist Teil einer Untersuchung, die ich im Rahmen meiner Diplomar-beit im Studium „Wirtschaftspädagogik“ an der Johannes Kepler Universität Linz durch-führe. Alle Daten werden anonym erhoben und streng vertraulich behandelt. Bitte fülle die Fragebögen in vorgegebener Reihenfolge mit Kugelschreiber leserlich
aus! Vielen Dank für Deine Mithilfe! Christoph Helm
Rückseite bitte nicht vergessen!
Anhang
180
Moralisches Urteil Du sollst zwei schwierige Situationen beurteilen: 1. Arbeiter Dilemma und 2. Arzt Dilem-ma. Lies zunächst die Geschichte sorgfältig durch und kreuze auf jeder Skala an, ob Du mit dem jeweiligen Argument übereinstimmst oder es ablehnst. (Skalen von: „ich lehne die Begründung völlig ab bzw. halte sie für falsch“ bis „ich halte die Begründung für sehr gut“) Es ist wichtig, dass Du in jeder Zeile ein Kreuz machst. Danke!
Arbeiter-Dilemma
In einem Unternehmen werden Mitarbeiter scheinbar ohne Grund entlassen. Die Arbeiter haben den Verdacht, dass die Firmenleitung ihre Beschäftigten mit Abhörgeräte belauscht. Angeblich verwendet die Firmenleitung diese Aufzeichnungen als Kündigungsgrund. Die Firmenleitung weist diese Vorwürfe jedoch entschieden zurück. Die Arbeitervertretung (Gewerkschaft) will erst dann etwas gegen die Firmenleitung unternehmen, wenn sie Be-weise hat. Daraufhin brechen zwei Arbeiter in die Räume der Firmenleitung ein und neh-men Tonbandkopien mit, die ein Abhören beweisen. 1. Hältst Du das Verhalten der Arbeiter für eher richtig oder falsch? Ich halte es für...
falsch -3 -2 -1 0 1 2 3 richtig Wie stehst Du zu den Gründen (Argumenten), die für das Verhalten der beiden Arbeiter vorgebracht wurden? Man hat für die Arbeiter vorgebracht…
2. dass sie der Firma keinen großen Schaden zugefügt haben. Ich lehne das völlig ab -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 Ich akzeptiere das völlig
3. dass wegen des gesetzeswidrigen Handelns der Firmenleitung der Einbruch erlaubt
war, um wieder Recht und Ordnung herzustellen. Ich lehne das völlig ab -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 Ich akzeptiere das völlig
4. dass die meisten (Mit)arbeiter ihre Tat gutheißen würden und viele sich darüber freu-
en. Ich lehne das völlig ab -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 Ich akzeptiere das völlig
5. dass das Vertrauen zwischen den Menschen und die Würde des Einzelnen mehr wie-
gen als das „Recht“ der Firmenleitung in ihrem Unternehmen zu bestimmen, was ge-schieht.
Ich lehne das völlig ab -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 Ich akzeptiere das völlig 6. dass die Firma zuerst einen Fehler begangen hat und die Arbeiter deshalb berechtigt
waren, dort einzubrechen. Ich lehne das völlig ab -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 Ich akzeptiere das völlig
7. dass die Arbeiter keine rechtliche Möglichkeit sahen, den Vertrauensbruch der Firma
aufzudecken und deshalb das - in ihren Augen - kleinere Übel wählten. Ich lehne das völlig ab -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 Ich akzeptiere das völlig
Anhang
181
Für wie gut hältst Du die Gründe (Argumente), die gegen das Verhalten der Arbeiter vor-gebracht wurden? Man hat gegen die Arbeiter vorgebracht, …
8. dass es Recht und Ordnung im Zusammenleben der Menschen gefährdet, also ein Chaos entstehen würde, wenn jeder wie die beiden Arbeiter handeln würde.
Ich lehne das völlig ab -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 Ich akzeptiere das völlig
9. dass es falsch von ihnen sei, zu stehlen/einzubrechen. Und zwar deshalb, weil man im Allgemeinen hier nicht unterscheiden kann, ob die Arbeiter ein Verbrechen be-gangen haben, oder nur den betroffenen Mitarbeitern geholfen haben. Im Prinzip ha-ben sie beides getan, man kann es nicht trennen. Und solange man das nicht tren-nen/unterscheiden kann, ist es falsch so zu handeln.
Ich lehne das völlig ab -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 Ich akzeptiere das völlig
10. dass es unüberlegt ist, wegen anderer den Hinauswurf aus der Firma zu riskieren. Ich lehne das völlig ab -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 Ich akzeptiere das völlig
11. dass sie nicht alle oder zumindest nicht genügend rechtliche Schritte unternommen
haben und dadurch mit dem Einbruch eine voreilige Rechtsverletzung begangen ha-ben.
Ich lehne das völlig ab -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 Ich akzeptiere das völlig
12. dass man nicht stiehlt und nicht einbricht, wenn man als anständiger und ehrlicher Mensch gelten will.
Ich lehne das völlig ab -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 Ich akzeptiere das völlig
13. dass sie von der Entlassung gar nicht betroffen waren und deshalb für sie kein Grund bestand, die Kopien zu stehlen.
Ich lehne das völlig ab -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 Ich akzeptiere das völlig
Rückseite bitte nicht vergessen!
Anhang
182
Arzt-Dilemma Eine Frau war krebskrank, und es gab keine Rettung mehr für sie. Sie hatte qualvolle Schmerzen und war schon so geschwächt, dass eine größere Dosis eines Schmerzmittels wie „Morphin“ ihr Sterben beschleunigt hätte. In einer Phase in der es ihr kurzfristig besser ging, bat sie den Arzt, ihr genügend Morphin zu verabreichen, um sie zu töten. Sie sagte, sie könne die Schmerzen nicht mehr ertragen und würde ja doch in wenigen Wochen ster-ben. Der Arzt gab der Frau die Überdosis Morphin, wie sie es wollte. 14. Haltest Du das Verhalten des Arztes für eher richtig oder falsch? Ich halte es für...
falsch -3 -2 -1 0 1 2 3 richtig Wie stehst Du zu den Gründen (Argumenten), die zugunsten des Verhaltens des Arztes vorgebracht wurden? Man sagt, der Arzt habe richtig gehandelt…
15. weil der Arzt nach seinem Gewissen handeln musste. Der Zustand der Frau rechtfer-tigt eine Ausnahme von der (moralischen) „Verpflichtung“, Leben zu erhalten.
Ich lehne das völlig ab -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 Ich akzeptiere das völlig 16. weil der Arzt der einzige war, der den Willen der Frau erfüllen konnte; die Achtung
vor dem Willen der Frau zwang ihn, so zu handeln, wie er es tat. Ich lehne das völlig ab -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 Ich akzeptiere das völlig
17. weil der Arzt nur getan hat, wozu die Frau ihn überredete. Er braucht sich deswegen
um unangenehme Folgen keine Sorgen zu machen. Ich lehne das völlig ab -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 Ich akzeptiere das völlig
18. weil die Frau ja ohnehin gestorben wäre, und es für den Arzt wenig Mühe bedeutet
hat, ihr eine größere Dosis des Schmerzmittels zu verabreichen. Ich lehne das völlig ab -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 Ich akzeptiere das völlig
19. weil der Arzt eigentlich kein Gesetz verletzt hat, da die Frau nicht mehr hätte gerettet
werden können, und er nur ihre Schmerzen verkürzen wollte. Ich lehne das völlig ab -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 Ich akzeptiere das völlig
20. weil vermutlich die meisten seiner Kollegen in einer ähnlichen Situation genauso
gehandelt hätten wie dieser Arzt. Ich lehne das völlig ab -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 Ich akzeptiere das völlig
Anhang
183
Für wie gut hältst Du die Gründe (Argumente), die gegen das Verhalten des Arztes vorge-bracht wurden? Man sagt, der Arzt habe falsch gehandelt, …
21. weil er damit gegen die Überzeugung seiner Kollegen verstoßen hat. Wenn diese ge-gen Tod auf Verlangen (aktive Sterbehilfe, z.B. das Verabreichen einer Spritze, die zum Tot führt) sind, dann sollte ein Arzt das nicht tun.
Ich lehne das völlig ab -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 Ich akzeptiere das völlig 22. weil man dem Arzt völlig vertrauen können muss, dass er sich voll für die Erhaltung
des Lebens einsetzt, auch wenn man wegen großer Schmerzen am liebsten sterben möchte.
Ich lehne das völlig ab -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 Ich akzeptiere das völlig
23. weil das Leben zu schützen für jedermann höchste (moralische) „Verpflichtung“ ist. So lange wir keine klaren Kriterien haben, wie wir SterbeHILFE (Hilfe zum Tod zB. durch eine Spritze) von MORD unterscheiden können, darf das keiner tun.
Ich lehne das völlig ab -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 Ich akzeptiere das völlig
24. weil der Arzt sich damit eine Menge Unannehmlichkeiten zuziehen kann. Andere sind dafür schon hart bestraft worden.
Ich lehne das völlig ab -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 Ich akzeptiere das völlig
25. weil er es wesentlich leichter haben können hätte, wenn er gewartet und nicht in das Sterben der Frau eingegriffen hätte.
Ich lehne das völlig ab -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 Ich akzeptiere das völlig
26. weil der Arzt gegen das Gesetz verstoßen hat. Wenn man Zweifel hat, ob Sterbehilfe gegen Gesetze verstößt oder nicht, dann darf man das auch nicht tun.
Ich lehne das völlig ab -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 Ich akzeptiere das völlig
Rückseite bitte nicht vergessen!
Anhang
184
Fragen zur Religion Kreuze jeweils an, ob Du der Aussage überhaupt nicht zustimmst (-2) oder ihr völlig
zustimmst (+2)! Nutze auch die Skalen dazwischen! 1. Ich würde von mir sagen, dass ich religiös bin. -2 -1 0 1 2
2. Man kann auch moralisch (gut) handeln, ohne an Gott zu glauben. -2 -1 0 1 2
3. Ich glaube, dass es einen allmächtigen Gott gibt. -2 -1 0 1 2
4. Ich glaube an ein Leben nach dem Tode. -2 -1 0 1 2
5. Die Bibel/der Koran ist das Wort Gottes, deren Aussagen wortwörtlich zu verstehen sind. -2 -1 0 1 2
6. Abtreibung ist für mich Sünde. -2 -1 0 1 2
7. Der Glaube gibt mir ein Gefühl der Geborgenheit. -2 -1 0 1 2
8. Messen u. Feiern meiner Glaubensgemeinschaft sind mir wichtig. -2 -1 0 1 2
9. Der Glaube hilft mir, schwierige Lebenslagen zu meistern. -2 -1 0 1 2
10. Meiner Einschätzung nach bete ich häufig. -2 -1 0 1 2 Fragen zur Familie und Deinen Eltern 1. Welche Personen wohnen in Eurem Haushalt? (Mehrfachnennungen möglich)
Mutter/Stiefmutter Vater/Stiefvater
Anzahl der Kinder unter 18 Jahren: _________________ 2. Was ist ihr höchster Schulabschluss? Mutter Vater kein Schulabschluss Hauptschule/AHS Unterstufe AHS/BHS Matura (AHS, HTL, HAK, HBLA) Fachschule, Handelsschule (BMS) Berufsschule, Lehre Meisterprüfung Hochschulausbildung (UNI, FH) Kolleg, Akademie (PädAK, SozAK, …) weiß ich nicht 3. Welchen Beruf üben Deine Eltern aus? (Mache möglichst genaue Angaben, z.B. NICHT „ÖBB-Bediensteter“, SONDERN „Lokführer“) Mutter: ________________ Vater: _______________ 4. Stammen deine Eltern aus Österreich?
Ja. Nein, aus ________________________
Anhang
185
Kreuze bei den folgenden Fragen die jeweils für Dich am ehesten zutreffende Antwort an.
Deine sozialen Beziehungen in der Familie bzw. Lebensgemeinschaft 1. Wo wohnst Du zurzeit? bei den Eltern in einer eigenen Wohnung in einer Wohngemeinschaft/bei meinem festen Freund/meiner festen Freundin anderes: ......................... 2. Hast Du den Eindruck, dass Du zu Hause auch rundum mit all Deinen Fehlern und
Vorzügen, die Du so hast, akzeptiert wirst? nein -2 -1 0 1 2 ja
3. Wie wichtig ist Dir diese Anerkennung?
nicht wichtig -2 -1 0 1 2 sehr wichtig 4. Wie oft gibt es Spannungen in Deinem häuslichen Umfeld?
sehr selten -2 -1 0 1 2 sehr oft 5. Wie wird dann mit solchen Problemen offen angesprochen?
sehr selten -2 -1 0 1 2 sehr oft 6. Wie stark beschäftigen Dich solche Spannungen?
weniger stark -2 -1 0 1 2 sehr stark 7. Wird in Gesprächen mit Deinen Familienangehörigen/Mitbewohnern Deine Mei-
nung angehört und ernst genommen? nein -2 -1 0 1 2 ja
8. Wie wichtig ist es Dir, dass alle an einem Gespräch Beteiligten gleichberechtigt
und offen ihre Meinung sagen können? nicht wichtig -2 -1 0 1 2 sehr wichtig
9. Wie oft bestimmt Ihr in Deiner Familie oder Lebensgemeinschaft gemeinsam, was
wie gemacht wird (z.B. Haushaltsarbeiten, gemeinsame Freizeit- und Urlaubsges-taltung)?
selten -2 -1 0 1 2 oft 10. Ist es Dir wichtig, mitentscheiden zu können?
nicht wichtig -2 -1 0 1 2 sehr wichtig 11. selten bis oftWie häufig bestimmst Du die Höhe Deines Taschengeldes mit? -2 -1 0 1 2 Bestimmst Du mit, wo Deine Familie Urlaub macht? -2 -1 0 1 2 Löst Ihr einen Streit unter Euch Geschwister gemeinsam? -2 -1 0 1 2 Entscheidest Du mit, was es zu Essen gibt? -2 -1 0 1 2
Rückseite bitte nicht vergessen!
Anhang
186
12. Trägst Du in Deiner Familie (Lebensgemeinschaft) für irgendjemanden oder ir-gendetwas Verantwortung? (z.B. jüngere Geschwister, Pflege von Haustieren, Haushalt u.ä.) Wie kommst du damit zurrecht?
ich fühle mich eher überfordert -2 -1 0 1 2 ich komme damit sehr gut zurecht 13. Ist bzw. wäre es für Dich wichtig, in Deiner Familie (Lebensgemeinschaft) ein
Stück Verantwortung zu tragen? nicht wichtig -2 -1 0 1 2 sehr wichtig
14. Wie beurteilst Du die Freiräume (z.B. hinsichtlich Freizeitgestaltung, Verwendung
des Einkommens, Berufsweg), die Du hast? ich fühle mich sehr eingeschränkt -2 -1 0 1 2 ich kann tun und lassen was ich will
15. Wie wichtig ist es Dir, Möglichkeiten zu haben, eigene Ideen zu verwirklichen und
Entscheidungen allein zu treffen? nicht wichtig -2 -1 0 1 2 sehr wichtig
Deine sozialen Beziehungen im Freundeskreis Bitte denke bei der Beantwortung der folgenden Fragen an die Freunde, die Dir am wich-tigsten sind! (Nicht gemeint ist hier Dein Partner!) 1. Wie eng sind Deine Freundschaftsbeziehungen?
lockere -2 -1 0 1 2 enge 2. Wie wichtig sind Dir enge Freundschaften?
nicht wichtig -2 -1 0 1 2 sehr wichtig 3. Auch zwischen Freunden bleiben Spannungen oder Meinungsverschiedenheiten
nicht aus. Wie oft kommt so etwas bei Dir vor? selten -2 -1 0 1 2 oft
4. Wie gehen Du und Deine Freunde mit Konflikten um?
werden nie ausgesprochen -2 -1 0 1 2 werden immer offen ausgesprochen 5. Wie stark beschäftigen Dich solche Spannungen?
weniger stark -2 -1 0 1 2 sehr stark 6. Wird in Gesprächen im Freundeskreis Deine Meinung angehört und ernst genom-men?
nein -2 -1 0 1 2 ja 7. Wie wichtig ist es Dir, dass alle an einem Gespräch Beteiligten gleichberechtigt
und offen ihre Meinung sagen können? nicht wichtig -2 -1 0 1 2 sehr wichtig
8. Wie stimmt Ihr euch untereinander ab, wenn Ihr etwas gemeinsam unternehmen
wollt? wir entscheiden nie gemeinsam -2 -1 0 1 2 wir entscheiden immer gemeinsam
Anhang
187
9. Ist es Dir wichtig, mitentscheiden zu können?
nicht wichtig -2 -1 0 1 2 sehr wichtig 10. Im Freundeskreis muss man manchmal Verantwortung übernehmen (dass etwas
klappt/sich um einen anderen kümmern). Wie empfindest Du diese Verantwortung? ich fühle mich eher überfordert -2 -1 0 1 2 ich komme damit sehr gut zurecht
11. Ist es für Dich wichtig, in Deinem Freundeskreis Verantwortung zu übernehmen?
nicht wichtig -2 -1 0 1 2 sehr wichtig 12. Wie stark bist Du an die Meinungen und Aktivitäten Deiner Freunde gebunden:
Kannst Du das, was gemacht wird, beeinflussen und mit den anderen (oder auch mal alleine) die eigenen Vorstellungen verwirklichen?
ich kann mich nie durchsetzen -2 -1 0 1 2 ich setze mich immer durch 13. Wie wichtig ist es Dir, in Deinem Freundeskreis eigene Vorstellungen verwirkli-
chen zu können? nicht wichtig -2 -1 0 1 2 sehr wichtig
14. Bist Du Mitglied in… einem Verein, z.B. Fußball, Ballett, … einer (kirchlichen) Jugendgruppe, z.B. Jugend, Jungschar, Pfadfinder… bei etwas anderem: ________________________
Fragen zum Bereich Schule
1. Fühlst Du Dich in Deiner Klassengemeinschaft gut integriert? eher nein -2 -1 0 1 2 eher ja
2. Wie wichtig ist für Dich die Anerkennung durch Deine Mitschüler in der Schule?
nicht wichtig -2 -1 0 1 2 sehr wichtig 3. Fühlst Du Dich von Deinen Lehrern als "eigenständige Persönlichkeit " geachtet? völlig eher ja eher nein gar nicht Deutsch Englisch 2. lebende Fremdsprache Mathematik Betriebswirtschaft Rechnungswesen 4. Wie wichtig ist für Dich diese Anerkennung?
nicht wichtig -2 -1 0 1 2 sehr wichtig 5. Wie oft erlebst Du Unstimmigkeiten oder Spannungen in der Schule?
sehr selten -2 -1 0 1 2 sehr oft 6. Wie wird in der Schule normalerweise mit solchen Konflikten umgegangen?
werden nie ausgesprochen -2 -1 0 1 2 werden immer offen ausgesprochen Rückseite bitte nicht vergessen!
Anhang
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7. Wie stark beschäftigen Dich solche Spannungen? weniger stark -2 -1 0 1 2 sehr stark
8. Wie laufen Diskussionen in der Schule ab: Kannst Du Deine Argumente immer
offen äußern und werden diese ernst genommen? in Diskussionen mit Mitschülern: immer eher ja eher nein nie in Diskussionen mit dem Lehrer: immer eher ja eher nein nie 9. Wie wichtig ist es für Dich persönlich, in der Schule frei und gleichberechtigt mit-
einander diskutieren zu können? nicht wichtig -2 -1 0 1 2 sehr wichtig
10. Wirst Du vom Lehrer in Entscheidungen zur Unterrichtsgestaltung (z.B. Stoffaus-
wahl, Themenreihenfolge oder Stundenablauf) einbezogen? ja, sehr oft manchmal selten nein, nie Deutsch Englisch 2. lebende Fremdsprache Mathematik Betriebswirtschaft Rechnungswesen 11. Wie wichtig ist es Dir, bei der Unterrichtsgestaltung mitwirken zu können?
nicht wichtig -2 -1 0 1 2 sehr wichtig 12. nie bis oftWie häufig bestimmst Du die Regeln an Deiner Schule mit? -2 -1 0 1 2 Bestimmst Du die Regeln in Deiner Klasse mit? -2 -1 0 1 2 Bringst Du Vorschläge oder Ideen zum Unterricht ein? -2 -1 0 1 2 Machst Du Vorschläge zu den Hausaufgaben? -2 -1 0 1 2 Entscheidest Du mit, wohin die Schulreise gehen soll? -2 -1 0 1 2 Stimmt Ihr in der Klasse ab, bevor eine Entscheidung getroffen wird? -2 -1 0 1 2 Wie häufig hältst Du Referate/Vorträge in der Klasse? -2 -1 0 1 2 Überlegt Ihr gemeinsam in der Klasse, wie Probleme gelöst werden? -2 -1 0 1 2 13. Wenn Du Probleme hast, an welche Person wendest Du Dich in erster Linie?
Eltern Freunde Lehrer andere: _____________
Anhang
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Fragen zum kooperativen offenen Lernen Die folgenden Fragen beziehen sich auf den Unterricht in Deiner Schule generell. Kreuze an: von (- 2) „die Aussage lehne ich völlig ab“ bis (+ 2) „der Aussage stimme ich völlig zu“ 1. Schätze folgende Aussagen zu Deinen „LehrerInnen“ ein: lehne ab stimme zu a) Sie sprechen sich untereinander gut ab. -2 -1 0 1 2 b) Sie machen fächerübergreifenden Unterricht. -2 -1 0 1 2 c) Sie arbeiten (gut) zusammen. -2 -1 0 1 2 d) Ich merke, dass sie engagiert und bemüht sind. -2 -1 0 1 2 e) Ihre sozialen Fähigkeiten (z.B. respektvoller Umgang mit den
Schülern) werden im Unterricht deutlich. -2 -1 0 1 2
f) Sie muten uns Schülern zu, dass wir bei wichtigen Themen ernst-haft mitreden können. -2 -1 0 1 2
g) Sie regen durch ihren Unterricht zum Mitdenken, Mitdiskutieren und Mitentscheiden an. -2 -1 0 1 2
2. Schätze folgende Aussagen zum Unterricht generell ein: selten oft a) Unterrichtsphasen, in denen ich selbst entscheiden kann, wann ich
etwas mache und wie ich es mache, kommen oft vor. -2 -1 0 1 2
b) Gestellte Aufgaben und meine Arbeitsergebnisse im Unterricht werden oft mit Lehrern oder Klassenkollegen reflektiert (über-dacht, darüber diskutiert).
-2 -1 0 1 2
c) Im Unterricht habe ich oft die Gelegenheit zwischen verschiede-nen (Lern-)aufgaben zu wählen. -2 -1 0 1 2
d) Die Noten setzen sich NICHT nur aus Schularbeiten und Tests zusammen. Es gibt oft auch eine alternative Leistungsbeurteilung, z.B. durch Portfolios, Referaten, Selbsteinschätzung…
-2 -1 0 1 2
lehne ab stimme zue) Das selbständige Arbeiten macht mir viel Spaß. -2 -1 0 1 2 f) Mit der Verantwortung für mein Lernen komme ich gut zurecht. -2 -1 0 1 2 g) Freie Zeiteinteilung im Unterricht ist für mich EIN PROBLEM. -2 -1 0 1 2 h) Die Phasen selbständigen Lernens sollten ausgedehnt werden. -2 -1 0 1 2 i) Es ist mir wichtig, dass die schulischen Lernsituationen eine Her-
ausforderung darstellen. -2 -1 0 1 2
j) Im Unterricht lernen wir zu argumentieren bzw. eigene Meinun-
gen zu vertreten. eher nein eher ja
k) Im Unterricht lernen wir gemeinsam zu entscheiden. eher nein eher ja l) Im Unterricht diskutieren wir öfters über allgemeine und persönli-
che Probleme die uns beschäftigen. eher nein eher ja
m) Im Unterricht lernen wir, uns in andere Personen hinzuversetzen und deren Argumente zu verstehen. eher nein eher ja
Rückseite bitte nicht vergessen!
Anhang
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Fragen zu Deiner Lebenssituation und Deiner schulischen Laufbahn
Kreuze bitte eine Antwort an bzw. trage die gefragten Daten ein! Danke! Geschlecht: männlich weiblich Alter: ___Jahre Staatsbürgerschaft: ______________ Religionsbekenntnis: ______________ Wahlmotiv: Aus welchen Gründen hast Du den derzeitigen Ausbildungszweig gewählt? (mehrere Antworten möglich)
Weil mir die Stoffinhalte/angebotenen Unterrichtsfächer zugesagt haben. Weil es meine Eltern so wollten. Weil Freunde diesen Zweig ebenfalls wählten. Unsere Klasse wurde mit einer anderen zusammengelegt. Weil in meinem „Wunschzweig“ kein Platz mehr war. Weil mein gewünschter Ausbildungszweig nicht zustande kam. andere:_____________________
Welche Schule hast Du zuvor (also ca. im Alter von 10-14) besucht?
eine (eher) städtische Hauptschule eine (eher) ländliche Hauptschule ein Gymnasium eine andere Schule/Institution:____________
Was strebst Du nach der HAK/HLW (bzw. nach abgeleisteten Präsenzdienst) an?
sofortigen Berufseinstieg ein Studium oder eine andere Weiterbildung (College) einen Auslandsaufenthalt (z.B. Au pair) bin noch unentschlossen etwas anderes:_____________
Gib bitte die letzte Jahresnote bzw. sofern Du 1.-Klässler bist die letzte Schularbeitsnoten in folgenden Fächern an (solltest Du ein Fach nicht belegen, mach bitte einen Strich): Deutsch ____ Englisch ____ 2. lebende Fremdsprache ____ Mathematik ____ Betriebswirtschaft ____ Rechnungswesen ____
Es folgt ein Abschnitt mit Onlinefragen, die du jedoch zuhause beantworten sollst. Hier endet der Fragebogen! Vielen Dank für Deine Mithilfe!