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1 PISA IM FOKUS 2011/11 (Dezember) – © OECD 2011 PISA Wie passen sich die Schulsysteme an die steigende Zahl von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund an? Im OECD-Durchschnitt erhöhte sich der Prozentsatz der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund im Zeitraum 2000-2009 durchschnittlich um 2 Prozentpunkte. Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund machen in 13 OECD- und Partner- ländern, die an PISA 2009 teilgenommen haben, über 5% der Schülerpopulation aus. In den meisten Ländern ist bei den Schülern mit Migrationshintergrund ein Leistungs- rückstand gegenüber den einheimischen Schülern zu verzeichnen; in vielen Ländern ist der Abstand erheblich. Australien, Belgien, Deutschland, Kanada, Neuseeland und die Schweiz haben diesen Leistungsabstand jedoch verringern und in einigen Fällen sogar ganz beseitigen können. IM FOKUS 11 Bildungspolitik Bildungspolitik Bildungspolitik Bildungspolitik Bildungspolitik Bildungspolitik Bildungspolitik Bildungspolitik Ob der Grund nun die Flucht vor einem Konflikt, die Hoffnung auf ein besseres Leben oder das Ergreifen sozialer bzw. wirtschaftlicher Chancen ist: Menschen überqueren Grenzen, seitdem es solche Grenzen gibt. Moderne Verkehrs- und Kommunikationsmittel, die Globalisierung des Arbeitsmarkts sowie die Bevölkerungsalterung in den OECD-Ländern wird die Migration bis weit in die kommenden Jahrzehnte hinein beflügeln. Der Schlüssel zur Wahrung des sozialen Zusammenhalts während dieser Migrationsbewegungen liegt darin, die Zuwanderer und ihre Familien gut in die Gastländer zu integrieren – und Bildung kann ein starker Hebel sein, um dies zu erreichen. Einheimische Schülerinnen und Schüler sind diejenigen, die in dem Land geboren wurden, in dem sie im Rahmen von PISA geprüft wurden, oder die mindestens einen in diesem Land geborenen Elternteil haben. Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund können entweder Zuwanderer der ersten Generation (diejenigen, die im Ausland geboren wurden und deren Eltern ebenfalls im Ausland geboren wurden) oder der zweiten Generation sein (diejenigen, die im Erhebungsland geboren wurden, deren Eltern jedoch im Ausland geboren wurden).

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1PISA IM FOKUS 2011/11 (Dezember) – © OECD 2011

PISAWie passen sich die Schulsysteme an die steigende Zahl von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund an?• Im OECD-Durchschnitt erhöhte sich der Prozentsatz der Schülerinnen und Schüler mit

Migrationshintergrund im Zeitraum 2000-2009 durchschnittlich um 2 Prozentpunkte.

• Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund machen in 13 OECD- und Partner-ländern, die an PISA 2009 teilgenommen haben, über 5% der Schülerpopulation aus.

• In den meisten Ländern ist bei den Schülern mit Migrationshintergrund ein Leistungs-rückstand gegenüber den einheimischen Schülern zu verzeichnen; in vielen Ländern ist der Abstand erheblich. Australien, Belgien, Deutschland, Kanada, Neuseeland und die Schweiz haben diesen Leistungsabstand jedoch verringern und in einigen Fällen sogar ganz beseitigen können.

IM FOKUS 11B i l d u n g s p o l i t i k B i l d u n g s p o l i t i k B i l d u n g s p o l i t i k B i l d u n g s p o l i t i k B i l d u n g s p o l i t i k B i l d u n g s p o l i t i k B i l d u n g s p o l i t i k B i l d u n g s p o l i t i k

Ob der Grund nun die Flucht vor einem Konflikt, die Hoffnung auf ein besseres Leben oder das Ergreifen sozialer bzw. wirtschaftlicher Chancen ist: Menschen überqueren Grenzen, seitdem es solche Grenzen gibt. Moderne Verkehrs- und Kommunikationsmittel, die Globalisierung des Arbeitsmarkts sowie die Bevölkerungsalterung in den OECD-Ländern wird die Migration bis weit in die kommenden Jahrzehnte hinein beflügeln. Der Schlüssel zur Wahrung des sozialen Zusammenhalts während dieser Migrationsbewegungen liegt darin, die Zuwanderer und ihre Familien gut in die Gastländer zu integrieren – und Bildung kann ein starker Hebel sein, um dies zu erreichen.

EinheimischeSchülerinnenundSchüler sind diejenigen, die in dem Land geboren wurden, in dem sie im Rahmen von PISA geprüft wurden, oder die mindestens einen in diesem Land geborenen Elternteil haben.

SchülerinnenundSchülermitMigrationshintergrundkönnen entweder Zuwanderer der ersten Generation (diejenigen, die im Ausland geboren wurden und deren Eltern ebenfalls im Ausland geboren wurden) oder der zweiten Generation sein (diejenigen, die im Erhebungsland geboren wurden, deren Eltern jedoch im Ausland geboren wurden).

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PISAIM FOKUS

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Weshalb sind diese Zahlen für die Bildungspolitik von Belang? Weil die PISA-Ergebnisse der Jahre 2000 und 2009 zeigen, dass die einheimischen Schülerinnen und Schüler zwar im Durchschnitt um über 40 Punkte besser abschneiden als ihre Mitschüler mit Migrations-hintergrund, einige Länder jedoch in der Lage gewesen sind, diesen Abstand deutlich zu verringern. Zum Beispiel verringerte sich in Belgien und in der Schweiz der Leistungsabstand in diesem Zeitraum um nahezu 40 Punkte, auch wenn die einheimischen Schülerinnen und Schüler in Belgien immer noch durchschnittlich 68 Punkte und in der Schweiz 48 Punkte mehr erzielten. Und die Schweiz ist in der Lage gewesen, den Leistungsabstand zu verringern, obwohl sich der Prozentsatz der Schüler mit Migrationshintergrund während dieses Zeitraums erhöht hatte. In Deutschland, Neuseeland und im Partnerland Liechtenstein wurde ebenfalls eine Verringerung des Leistungsabstands zwischen diesen beiden Schülergruppen verzeichnet.

Einigen Schulsystemen gelingt es, die Leistungs-unterschiede zwischen den Schülern unabhängig von ihrem Migrationshintergrund gering zu halten. In Australien beispielsweise schneiden Schüler mit

Die Länder sind in absteigender Reihenfolge des Prozentsatzes der Schüler mit Migrationshintergrund im Jahr 2009 angeordnet.Quelle: OECD, PISA-2009-Datenbank.

Tabelle V.4.4 (1 2 http://dx.doi.org/10.1787/888932382235). Abbildung V.4.6 (1 2 http://dx.doi.org/10.1787/888932360005).

... in einigen Ländern schrumpft der Leistungsabstand jedoch.

Auf der Grundlage der Daten, die anhand der im Rahmen der PISA-Erhebungsrunde 2009 verteilten Fragebogen erhoben wurden, stieg der Anteil der 15-jährigen Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund in den OECD-Ländern mit vergleichbaren Daten im Zeitraum 2000-2009 im Durchschnitt um 2 Prozentpunkte. Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund machen in 13 OECD- und Partnerländern nunmehr über 5% der 15-jährigen Schülerpopulation aus. In Irland, Neuseeland, Spanien, den Vereinigten Staaten sowie den Partnerländern Liechtenstein und Russische Föderation erhöhte sich der Prozentsatz der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund in den vergangenen zehn Jahren um mindestens 5 Prozentpunkte, und diese Schülerinnen und Schüler stellen jetzt einen Anteil von 8-30% der Schülerpopulation dieser Länder. In Italien, Griechenland und Kanada stieg der Prozentsatz der Schüler mit Migrationshintergrund im selben Zeitraum um 3-5 Prozentpunkte. Nahezu 25% der Schülerpopulation Kanadas weisen einen Migrationshintergrund auf.

Prozentsatz der Schüler mit Migrationshintergrund

45

40

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30

25

20

15

10

5

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Veränderung des Prozentsatzes der Schüler mit Migrationshintergrund zwischen 2000 und 2009

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2009 höher als 2000 2009 niedriger als 2000 Kein statistisch signifikanter Unterschied

+ – o Konfidenzniveau von 95%

2000 2009

in den Jahren 2000 und 2009

Der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund nimmt weiter zu ...

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Anmerkung: Statistisch signifikante Unterschiede sind in dunkleren Farbtönen gekennzeichnet.Die Länder sind in absteigender Reihenfolge entsprechend der Punktzahldifferenz nach Berücksichtigung des wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Status der Schüler angeordnet.Quelle: OECD, PISA-2009-Datenbank.

Tabelle II.4.1 (1 2 http://dx.doi.org/10.1787/888932381418). Abbildung II.4.5 (1 2 http://dx.doi.org/10.1787/888932343608).

Der sozioökonomische Hintergrund erklärt nur einen Teil des Leistungsabstands.

Aus diesen Trends geht hervor, dass es Möglichkeiten gibt, Schülerinnen und Schülern mit Migrations-hintergrund durch staatliche bzw. schulische Maßnahmen bei der Überwindung einiger der mit diesem Hintergrund verbundenen Nachteile zu helfen. Oftmals sind Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund sozioökonomisch benachteiligt. Im OECD-Durchschnitt sind die Eltern dieser Schülerinnen und Schüler weniger gebildet und in Berufen mit niedrigerem Status als einheimische Eltern tätig. Darüber hinaus haben diese Schülerinnen und Schüler in der Tendenz zu Hause geringeren Zugang zu Bildungs- und materiellen Ressourcen als ihre einheimischen Mitschüler. Wird etwa der sozioökonomische Status der Schülerinnen und Schüler in Luxemburg berücksichtigt, so verringert sich dort der Leistungsabstand zwischen Schülerinnen und Schüler mit und ohne Migrationshintergrund von 52 Punkten auf 19 Punkte. Im OECD-Durchschnitt verringert er sich beim Vergleich von Schülerinnen und Schülern mit ähnlichem sozioökonomischen Status von 43 Punkten auf 27 Punkte, unabhängig davon, ob sie einen Migrationshintergrund haben oder in dem Land einheimisch sind, in dem sie an der PISA-Erhebung teilgenommen haben.

Die Tatsache jedoch, dass selbst nach Berücksichti-gung des sozioökonomischen Status ein Leistungs-abstand fortbesteht, der deutlich über einem halben Schuljahr entspricht, lässt darauf schließen, dass andere Faktoren ebenfalls Auswirkungen auf die Schülerleistungen haben. In gewissem Maß stehen diese möglicherweise mit dem Geburtsort der Schülerinnen und Schüler im Zusammenhang – beispielsweise ob sie Migranten der ersten oder der zweiten Generation sind – oder ob sie zu Hause dieselbe Sprache sprechen, die in dem PISA-Test verwendet wurde. Da der Leistungsabstand jedoch selbst nach Berücksichtigung dieser

Prozentsatz der Schülerin PISA 2009 mit

Migrationshintergrund(erste oder zweite

Generation)

0-40-80-120 40 80 120

KatarDubai (VAE)

KirgisistanSerbien

IsraelMacau (China)

KasachstanAustralien

UngarnVer. Staaten

Hongkong (China)Jordanien

MontenegroAserbaidschan

KanadaTrinidad und Tobago

SingapurKroatienLettland

NeuseelandNiederlande

Ver. KönigreichArgentinien

Tschech. Rep.Liechtenstein

LuxemburgRuss. Föderation

LitauenSlowenien

PortugalOECD-Durchschnitt

DeutschlandSchweiz

FrankreichNorwegen

IrlandEstland

PanamaGriechenland

DänemarkÖsterreichSchweden

BelgienSpanien

ItalienFinnland

IslandKolumbien

MexikoBrasilien

Leseleistungen nach Migrationsstatus, vor und nach Berücksichtigung des sozioökonomischen Hintergrunds

Vor Berücksichtigung des sozioökon. HintergrundsNach Berücksichtigung des sozioökon. Hintergrunds

Schüler OHNE Migrations-hintergrund schneiden besser ab

Schüler MIT Migrations-hintergrund schneiden besser ab

Punktzahldifferenz

467129207012232193914732421411425121142304012285101824137884991512159632021

Migrationshintergrund besser ab als die einheimischen Schülerinnen und Schüler. In Kanada erzielten Schüler mit Migrationshintergrund 2009 ebenso gute Ergebnisse wie die einheimischen Schüler, und sie stellen einen großen und wachsenden Anteil der Schülerpopulation dar.

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PISAIM FOKUS

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Fazit: Schulsysteme können die vollständige soziale und wirtschaftliche Integration von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund in ihr Gastland fördern, indem sie die Hindernisse ermitteln, die Schülerinnen und

Schülern mit Migrationshintergrund bei der Erzielung hoher Leistungen im Wege stehen, und Programme entwickeln, die auf die Bedürfnisse dieser

Schülerinnen und Schüler zugeschnitten sind.

Migrationshintergrund und Leistungen im Bereich Lesekompetenz,

120

100

80

60

40

20

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Veränderung des Leistungsunterschieds zwischen Schülern mit und ohne Migrations-hintergrund zwischen 2000 und 2009

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2009 2000

Schüler OHNE Migrationshintergrund schneiden besser ab

Schüler MIT Migrationshintergrund schneiden besser ab

2009 höher als 2000 2009 niedriger als 2000 Kein statistisch signifikanter Unterschied

+ – o Konfidenzniveau von 95%

2000 und 2009

Weitere Informationen

Kontakt: Maciej Jakubowski ([email protected])

Siehe auch PISA 2009 Ergebnisse: Potenziale nutzen und Chancengerechtigkeit sichern (Band 2) und PISA 2009 Ergebnisse: Lernfortschritte im globalen Wettbewerb: Veränderungen bei den Schülerleistungen seit 2000 (Band 5)

In der nächsten Ausgabe:

WiegutistunsereJugendfürdasdigitaleZeitaltergerüstet?

Informationen im Internetwww.pisa.oecd.orgwww.oecd.org/pisa/infocus

Anmerkung: Statistisch signifikante Punktzahlveränderungen sind in dunkleren Farbtönen gekennzeichnet.Die Länder sind in aufsteigender Reihenfolge der Leistungsunterschiede zwischen Schülern mit und ohne Migrationshintergrund im Jahr 2009 angeordnet.Quelle: OECD, PISA-2009-Datenbank.

Tabelle V.4.4 (1 2 http://dx.doi.org/10.1787/888932382235). Abbildung V.4.7 (1 2 http://dx.doi.org/10.1787/888932360005).

anderen Merkmale zwischen den einzelnen Ländern so stark variiert und da sich der Leistungsabstand in einigen Ländern im Lauf der Zeit deutlich geändert hat, ist es klar, dass staatliche Politikmaßnahmen Einfluss auf die Ergebnisse nehmen können. So ist beispielsweise eine effektive sprachliche Bildung von entscheidender Bedeutung: Schülerinnen und Schüler, die ihre Lehrkräfte nicht verstehen können, werden nicht in der Lage sein, von diesen zu lernen.