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Energiewende : DIE ZEIT Die Abgeklemmten Jedes Jahr wird Hunderttausenden Menschen hierzulande der Strom abgestellt. Das liegt ausgerechnet an der Energiewende. Von Laura Cwiertnia 19. April 2017DIE ZEIT Nr. 17/2017, 20. April 2017 Die Menschen, denen Heinz Galle in den Hausfluren begegnet, nennen ihn niemals Herrn Galle. Einige von ihnen nennen ihn "Drecksau", andere "Schwein" oder "Arschloch". Sie brüllen ihn an, wenn er vor ihrer Tür auftaucht, und sie beleidigen ihn, wenn er nach dem Besuch die Treppe hinuntereilt. Das Leben dieser Menschen ist ein anderes, nachdem Heinz Galle sie besucht hat. Er bestimmt darüber, ob sie kochen können, wann sie schlafen, ob sie warm duschen können und ihr Kühlschrank noch funktioniert. Heinz Galle, 57, ist Elektriker, und er würde nie von sich behaupten, er sei ein mächtiger Mann. Seine kurzen Haare sind grau meliert, nichts an ihm ist besonders auffällig. Fünf Tage pro Woche fährt er in seinem weißen Hyundai, den er "Reiskocher" nennt, durch die Ruhrgebietsstädte Gelsenkirchen, Bottrop und Gladbeck. Als einer von acht sogenannten Sperrkassierern klemmt er im Auftrag eines Energieversorgers Menschen den Strom ab. Er greift in fremde Leben ein, Tausende hat er schon vom Stromnetz genommen. Das ist sein Job. Würde Heinz Galle die Geschichte der sozialen Ungleichheit in Deutschland erzählen, wäre es eine über Licht und Finsternis. Menschen, die sich elektrisches Licht leicht leisten können, kämen in dieser Geschichte vor – und solche, die im Dunkeln leben.

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Energiewende:

DIE ZEIT Die Abgeklemmten

Jedes Jahr wird Hunderttausenden Menschen hierzulande der Strom abgestellt. Das liegt ausgerechnet an der Energiewende.Von Laura Cwiertnia19. April 2017DIE ZEIT Nr. 17/2017, 20. April 2017

Die Menschen, denen Heinz Galle in den Hausfluren begegnet, nennen ihn niemals Herrn Galle. Einige von ihnen nennen ihn "Drecksau", andere "Schwein" oder "Arschloch". Sie brüllen ihn an, wenn er vor ihrer Tür auftaucht, und sie beleidigen ihn, wenn er nach dem Besuch die Treppe hinuntereilt. Das Leben dieser Menschen ist ein anderes, nachdem Heinz Galle sie besucht hat. Er bestimmt darüber, ob sie kochen können, wann sie schlafen, ob sie warm duschen können und ihr Kühlschrank noch funktioniert.

Heinz Galle, 57, ist Elektriker, und er würde nie von sich behaupten, er sei ein mächtiger Mann. Seine kurzen Haare sind grau meliert, nichts an ihm ist besonders auffällig. Fünf Tage pro Woche fährt er in seinem weißen Hyundai, den er "Reiskocher" nennt, durch die Ruhrgebietsstädte Gelsenkirchen, Bottrop und Gladbeck. Als einer von acht sogenannten Sperrkassierern klemmt er im Auftrag eines Energieversorgers Menschen den Strom ab. Er greift in fremde Leben ein, Tausende hat er schon vom Stromnetz   genommen. Das ist sein Job.

Würde Heinz Galle die Geschichte der sozialen Ungleichheit in Deutschland erzählen, wäre es eine über Licht und Finsternis. Menschen, die sich elektrisches Licht leicht leisten können, kämen in dieser Geschichte vor – und solche, die im Dunkeln leben.

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Dieser Artikel stammt aus der ZEIT Nr. 17/2017. Hier können Sie die gesamte Ausgabe lesen.Sechs Millionen Menschen bekommen hierzulande im Jahr einen Brief mit der Ankündigung, dass ihnen der Strom abgestellt wird. Rund 330.000 Anschlüsse werden danach tatsächlich gesperrt, ein Drittel davon in Galles Bundesland Nordrhein-Westfalen.

In Galles Geschichte kämen säumige Mieter vor, aber keine Politiker. Dabei wäre es wichtig zu erkennen, dass es eine Verbindung gibt zwischen Heinz Galle, den Abgeklemmten und der Politik. Forscher haben dieser Verbindung einen Namen gegeben: Energiearmut. Je nachdem, mit welchen Zahlen sie rechnen, sind zehn bis zwanzig Prozent der Deutschen davon betroffen. Dass ihr Anteil in den vergangenen Jahren so stark gestiegen ist, liegt vor allem an einer Reform, auf die die Politiker stolz sind: der Energiewende.

Auch in Gelsenkirchen kann man den Wandel der Energiewirtschaft spüren. "Als ich klein war, war die Luft hier noch schwarz", sagt Heinz Galle. Vor mehr als zwanzig Jahren von der rot-grünen Regierung verabschiedet, dann kurz revidiert und seit 2011 von der CDU nach dem Atomunglück im japanischen Fukushima noch beschleunigt, entwickelte sich die Abkehr von der Kohle- und Atomenergie zu einem der größten wirtschaftspolitischen Reformprojekte in der Geschichte der Bundesrepublik. Überall im Land sieht man die Resultate: Windräder auf Feldern, Solarpanels auf Hausdächern. Heute stammen rund 30 Prozent des Stroms aus grünen Energiequellen, und Politiker lassen sich dafür feiern.

Die Geschichte hat aber noch eine Kehrseite, die dazu führt, dass Elektriker wie Heinz Galle so viel zu tun haben: So wie die Energiewende heute finanziert wird, werden ärmere Menschen stärker belastet als Besserverdiener.

Um Windräder und Solaranlagen fördern zu können, wurde die sogenannte EEG-Umlage erfunden. Sie wird auf den Strompreis aufgeschlagen und macht heute beinahe 25 Prozent der Stromkosten aus. Ein Durchschnittshaushalt bezahlt heute mit rund 85 Euro im Monat mehr als doppelt so viel für Strom wie noch 2000, als die Umlage eingeführt wurde. So konnte zwar die Energiewende rasant umgesetzt werden. Doch laut einer neuen Studie von Ökonomen des RWI – Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung bringt das untere Einkommensdrittel heute rund 30 Prozent der Kosten für die Umlage auf, während das obere Drittel rund 35 Prozent dazu beiträgt. Und das, obwohl dort ein Vielfaches verdient wird.

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Quelle: BDEW, Stand: Februar 2017

"Manche Leute leihen sich sogar Kinder aus, um Mitleid zu erregen"Die ersten drei Mieter auf Galles Liste sind nicht zu Hause, als er im Flur ihre Leitungen kappt. Um in die Mehrfamilienhäuser zu kommen, klingelt er sowieso lieber bei den Nachbarn, damit er es nicht mit den Kunden zu tun bekommt. Aber im vierten Treppenhaus wartet oben schon ein Teenager mit Undercut auf ihn. Als Galle den Stromzähler berührt, fängt der an zu diskutieren. "Wir haben keine Rechnung bekommen", sagt er, dann: "Wir haben gestern überwiesen", und schließlich: "Wir haben doch schon keine Heizung mehr."

Heinz Galle kennt die Ausflüchte, er hört sie jeden Tag. "Manche Leute leihen sich sogar Kinder aus, um Mitleid zu erregen", sagt er später. Im Treppenhaus kommt bald ein zweiter Mann dazu, dann noch ein dritter. Galle beginnt zu schrauben, einer brüllt: "Hör auf damit." Und kommt Galles Händen am Stromzähler gefährlich nah. Galle blickt nicht auf. Als er fertig ist, läuft er die Treppe runter, den Schraubenzieher noch in der Hand. "Du Schwein!", ruft einer der Männer hinter ihm her. Galle rennt die Stufen runter. Draußen atmet er aus.

Seit 37 Jahren macht Heinz Galle diesen Job, immer in demselben Gebiet. Viele Namen auf den Klingelschildern kennt er seit einer Ewigkeit. Vor zwei Jahren hat ihn ein Mieter, dem er den Strom abstellen wollte, im Treppenhaus zusammengeschlagen. Er musste ins Krankenhaus, mit Schürfwunden, Blutergüssen, Prellungen. Vier Wochen blieb er danach zu Hause. Seitdem fürchtet er sich davor, zur Arbeit zu gehen. "Am Anfang war das für mich ein Traumjob", sagt er, "wegen der frischen Luft und dem Kundenkontakt." Damals hätten die meisten Leute ihre Rechnung noch am selben Tag begleichen können.

Wissenschaftler, Sozialverbände und Verbraucherzentralen weisen auf die Geldnöte der Menschen hin, die Heinz Galle in Hausfluren trifft. Doch in der Bundespolitik kümmert sich außer der Linken kaum eine der etablierten Parteien groß darum. Die SPD hat zwar einen Spitzenkandidaten, der Gerechtigkeit zum Thema seines Bundestagswahlkampfs macht. Martin Schulz fordert höhere Löhne, höheres Bafög, kostenlose Kita-Plätze. Von den hohen Strompreisen spricht er nicht. Er sagt nichts über die Kosten, die gerechter verteilt werden könnten, um die Abgeklemmten zu entlasten.

Manchmal versucht Heinz Galle den Mietern zu erklären, dass er nur seinen Job mache. Dass die Unternehmen ja auch an ihr Geld kommen müssen, dass er den Anschluss sofort wieder anstelle, wenn die Rechnung beglichen sei. Warum viele säumige Kunden dennoch nicht zahlen, erfährt er nicht. Er müsste dafür in die Leben blicken, die sich hinter den Wohnungstüren abspielen, zum Beispiel in das Leben der gelernten Friseurin Carina Will.

Sie ist 30 Jahre alt, arbeitslos und lebt von Hartz IV. Dort, wo sie wohnt, beginnt das Gelsenkirchener Problemviertel Bismarck, Heinz Galles Sperrgebiet. Als der Elektriker

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vier Wochen zuvor im Flur schraubte, öffnete sie die Tür nicht. Nun sitzt sie am Tisch in ihrem Wohnzimmer und zeigt auf den Fernseher. Sie erinnert sich noch genau daran, wie morgens der rote Knopf nicht mehr leuchtete und sie sofort wusste, warum.

Drei Monate lang hatte Carina Will ihre Stromrechnung nicht bezahlt, sie hatte das Geld nicht. Will erinnert sich auch noch, wie unangenehm es ihr war, als ihr Ex-Freund den dreijährigen Sohn zu sich holte. Aus dem Hahn im Bad kam kein warmes Wasser mehr, um den Jungen zu baden. Die Herdplatten blieben kalt, und ihr Handy ließ sich nicht mehr aufladen. Also hatte sie auch keinen Wecker mehr, aber der Kleine musste morgens pünktlich in den Kindergarten.

Es gibt Fälle, die Heinz Galle berühren. "Wenn eine Frau mit Säugling die Tür öffnet, gebe ich ihr ein paar Tage Zeit, das Geld aufzutreiben." Und in den vier Wochen vor Weihnachten klemmen er und seine Kollegen überhaupt keinen Strom ab. "Weihnachtsfrieden" nennt Galle das. Doch mit den meisten auf seiner Liste hat er kein Mitleid. "Die verbrauchen zu viel", sagt er. "Keiner muss in Deutschland ohne Strom leben."

Wäre es nur so einfach.

Politikwissenschaftler der Universität Siegen untersuchten im vergangenen Jahr, warum Menschen in Deutschland Probleme haben, ihren Strom zu bezahlen. Sie fanden keinen statistischen Beleg, dass einkommensschwache Haushalte sorglos mit Energie umgehen. Im Gegenteil, gerade ärmere Menschen würden oft Energie sparen, heißt es in ihrer Studie.

Trotzdem fördern das Bundeswirtschaftsministerium und die Landesregierungen bislang vor allem Projekte, die Menschen zu sparsamen Verbrauchern erziehen sollen, wie den "Stromsparcheck" der Caritas. Für die Betroffenen ist das oft eine erste Hilfe. An der strukturellen Ursache des Problems ändert es nichts. Denn das hängt nicht von einer Beratung ab, sondern von der Frage: wer zahlt.

Ärmere Menschen leben in Wohnungen, in denen sie mehr verbrauchen müssenSicher klemmt Heinz Galle auch Menschen den Strom ab, die nicht mit Geld umgehen können. Solchen, die Schulden haben, und vielleicht sogar solchen, die sich Zigaretten kaufen, statt jeden Cent für Strom zu sparen. Doch all das ändert nichts an dem Grundproblem: Stromsparen muss man sich leisten können.

Ärmere Menschen müssen oft in Wohnungen leben, in denen einfach mehr Strom verbraucht wird. Die Häuser, die der Elektriker Heinz Galle in seinem Sperrgebiet besucht, sind fast alle ähnlich gebaut: Wohnblöcke mit fünf bis sechs Stockwerken, klassischer Arbeiterbau. In vielen blättert die Tapete von den Wänden, in manchen riecht es nach Schimmel. Auch Carina Wills Wohnung befindet sich in einem solchen Haus: 75 Quadratmeter, drei Zimmer, Küche, Bad. Für sich und ihren Sohn zahlte sie jeden Monat 150 Euro Abschlag für den Strom an ihren Energieversorger, die Emscher Lippe Energie (ELE). Das ist mehr, als andere für ein großes Einfamilienhaus mit vier Personen ausgeben müssen. Carina Will heizt ihr Wasser mit Strom, über einen Boiler. Die Kosten dafür können doppelt so hoch sein wie in Wohnungen mit Durchlauferhitzern. Und sie hat einen alten Kühlschrank, der sogar dreimal so viel Energie schluckt wie ein moderner. Auch ihre Waschmaschine ist nicht mehr die neueste.

In anderen günstigen Wohnungen stehen uralte Nachtspeicherheizungen – Stromfresser. Fast alles, was man zunächst billig bekommt, weil es alt ist, verbraucht eben viel Energie.

Ärmere Menschen werden also doppelt belastet: Sie zahlen einen höheren Anteil ihres Einkommens für ihren Stromverbrauch. Doch sie zahlen oft auch deshalb mehr, weil sie keine sanierte Wohnung bekommen und weil sie sich keine energiesparenden Geräte leisten können.

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Warum das so ist, sieht man in einem blauen Heft, das Carina Will sich angeschafft hat, ihrem Haushaltsbuch. Zieht sie die Kosten für Miete, Strom und Telefon ab, bleiben ihr und ihrem Sohn noch rund 300 Euro zum Leben. Man kann Carina Wills Problem als Frage der Ausgaben sehen – oder als Problem der Einnahmen.

Während die Strompreise stiegen und die Stromrechnung von Carina Will immer höher wurde, stiegen die Einkommen in Deutschland und später auch der Hartz-IV-Satz nicht im selben Maße. Um die Stromkosten zu decken, müsste laut den Forschern aus Siegen der Hartz-IV-Satz um 45 Euro angehoben werden.

Doch nicht nur Hartz-IV-Empfänger haben Probleme, die Rechnungen zu zahlen. Auch Rentnern und Geringverdienern wird der Strom abgestellt. Laut den Forschern aus Siegen sind knapp 15 Prozent der Menschen mit Erwerbseinkommen gefährdet, Besuch von Elektrikern wie Heinz Galle zu bekommen. Und während Hartz-IV-Empfänger beim Jobcenter ein Darlehen beantragen können, müssen sich Geringverdiener das Geld bei Banken leihen, Verwandte oder Freunde anpumpen. Oder sie zahlen ihre Rechnungen nicht. Diese Menschen fallen durchs Netz.

Dass sie dann oftmals auch noch besonders hart fallen, liegt wiederum an einer weiteren politischen Entscheidung, die mit der Energiewende erst einmal nichts zu tun hat.

Bevor das sogenannte Erneuerbare-Energien-Gesetz 2000 in Kraft trat, war zwei Jahre zuvor schon der Energiemarkt liberalisiert worden. Seitdem darf sich jeder Kunde seinen Stromanbieter selbst aussuchen. So kann man Geld sparen. Allerdings sind nur Grundversorger wie die lokalen Stadtwerke verpflichtet, jeden aufzunehmen. Wenn jemand Einträge bei der Schufa hat oder Privatinsolvenz angemeldet hat, bekommt er oft nur dort einen Vertrag. Und meist verlangen die Grundversorger mehr für Strom als die Konkurrenten.

Was die Menschen, die Heinz Galle im Hausflur trifft, ihrem Stromlieferanten schuldig sind, weiß keiner so gut wie Heinz Huyeng. Der 61-Jährige leitet das Forderungsmanagement der Gelsenkirchener Firma ELE, und das bedeutet: Er lässt Geld eintreiben. "Unter jeder Sperrankündigung steht meine Unterschrift", sagt Huyeng. Auch er macht seinen Job schon seit 40 Jahren. An seiner Wand im Büro hängen Karten von Gelsenkirchen. Die Stadt wird in Felder unterteilt, grüne, gelbe, rote. Je intensiver das Rot in einem Feld, desto mehr Schuldner leben dort. "Alle Problemfälle landen bei uns", sagt Huyeng.

Auch das treibt die Preise. Je mehr Problemfälle nicht zahlen, desto höher steigen die Kosten für alle anderen. Die Menschen, die sowieso schon finanzielle Schwierigkeiten haben, bekommen dann nur noch teurere Verträge.

Carina Will schuldet der ELE schon mehr als 500 Euro. Zu den Rechnungen kamen die Mahngebühren und die Kosten für den Elektriker. Es ist nicht geregelt, wie hoch die Strafgebühren sein dürfen, die Energieversorger verlangen. In NRW nehmen manche Anbieter 15 Euro dafür, dass ein Elektriker das Kabel zurück in den Stromzähler steckt, andere wollen 120. Die ELE hat gleich drei verschiedene Tarife: Soll ein Elektriker den Anschluss noch am selben Tag anstellen, kostet es vor 14 Uhr 89 Euro, nach 14 Uhr 155 Euro, am nächsten Tag rund 39. Manche Anbieter heuern Inkassofirmen an – dann wird es oft noch teurer.

Auf dem Schreibtisch in Heinz Huyengs Büro liegt ein Buch mit vielen Klebezetteln. Darin hat er die Gesetze markiert, die regeln, wie weit er bei seiner Arbeit gehen darf. Strom ist kein Luxusgut in Deutschland, es gehört zum Grundbedarf. Bevor Huyeng einen Anschluss sperren darf, muss daher einiges geschehen: Der Kunde muss über 100 Euro Schulden bei der ELE haben. Huyeng muss ihm eine Mahnung senden, mit einer Frist von vier Wochen. Schließlich muss er eine Sperrankündigung verschicken, per Einschreiben, und dem Kunden weitere drei Tage Zeit geben zu zahlen.

Doch es gibt auch Dinge, die sich mithilfe der Paragrafen nicht eindeutig regeln lassen. Was geschieht, wenn Kinder in der Wohnung leben? Zwar können Mieter eine Ausnahme für besondere Härtefälle beantragen, wenn sie zum Beispiel einen Säugling zu versorgen haben oder wenn ein Bewohner unter Diabetes leidet. Doch von diesen Ausnahmeregeln müssen die Menschen, die es betrifft, erst einmal wissen. Wenn der

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Energieversorger ihren Antrag ablehnt, müssen sie bei einem Amtsgericht klagen. Auch im Winter bei Minusgraden dürfen Energieversorger weiter den Strom abklemmen. Und das, obwohl manche Kunden nicht nur ihr Wasser über Strom wärmen, sondern auch damit heizen.

Als die Energiewende beschlossen wurde, klang die Finanzierung für die meisten erst einmal gerecht: Wer viel verbraucht, zahlt viel. Doch so gerecht ist es nicht.

Während Menschen wie Carina Will den vollen Strompreis zahlen, sind ausgerechnet diejenigen von der EEG-Umlage ausgenommen, die am meisten Strom verbrauchen: die Industriekonzerne. In den vergangenen Jahren wurden immer mehr von der Umlage befreit. Inzwischen sind es fast fünf Milliarden Euro jährlich, die Unternehmen erlassen werden, weil sie wettbewerbsfähig bleiben sollen. Weil von ihnen Jobs abhängen, die auch in Gelsenkirchen dringend gebraucht werden. Und weil sie eine Lobby haben.

Die Energiewende ist auch deshalb ungerecht, weil sie das Geld ungleich verteilt: Was durch die EEG-Umlage eingenommen wurde, kam Windparkbesitzern und Turbinenbauern zugute, aber auch vielen Eigenheimbesitzern, die in Solaranlagen investierten. Auch Heinz Galle half kürzlich seinem Sohn, Solarpanels auf das Dach zu schrauben. "Jetzt zahlt der gar nichts mehr", sagt er. Doch mit den Anlagen spart man nicht nur Geld, man kann auch welches verdienen. Der überschüssige Strom wird gekauft, gesetzlich garantiert, zwanzig Jahre lang. Davon profitieren Menschen, die Häuser besitzen, nicht die Mieter.

Wie lässt sich das Risiko verringern, dass Menschen ihre Stromrechnung nicht mehr bezahlen können? Die Ökonomen des RWI – Leibniz Instituts schlagen vor, die Energiewende statt über den Strompreis in Zukunft über Steuern zu finanzieren. Dann würden diejenigen deutlich mehr zahlen, die mehr verdienen. Forscher der Industrieländerorganisation OECD gehen davon aus, der Staat könnte eine höhere CO₂-Steuer einführen. Also von jenen mehr verlangen, die dem Klima schaden. Die Regierung blieb von solchen Vorschlägen bislang unbeeindruckt.

Auf dem Weg in den Feierabend fährt Heinz Galle durch eine belebte Hauptstraße. An den Laternenpfählen hängen Plakate mit bunten Glühbirnen. Darunter steht: "Denen geht kein Licht mehr auf. Energiewendehälse abwählen." Aufgehängt wurden die Plakate von der AfD.

Am 14. Mai wird in NRW ein neuer Landtag gewählt. Der AfD geht es zwar nicht um eine gerechte Energiewende – die Partei will den Klimaschutz beenden und den Atomstrom fördern. Sehr gelegen kommen ihr aber die Sorgen von Menschen, denen Heinz Galle den Strom abklemmt. Die AfD hat es leicht, diese Wähler zu erreichen. Auf den Plakaten der anderen Parteien spielen die Stromkosten kaum eine Rolle.