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1 2016 aus der St. Gallus-Hilfe wir wichtig. informativ. regional. > Schwerpunkt: Auf dem Weg zur Teilhabe durch Empowerment

wir 1/2016

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> Schwerpunkt:Auf dem Weg zur Teilhabe durch Empowerment

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editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,

Inklusion ist überall und findet ständig statt. Eigentlich. Jeder ist daran beteiligt. Mehr oder weniger. Bei genauer Betrachtung dieser vier kurzen Sätze wird aber auch klar: Inklusion passiert nicht von alleine.Doch was braucht Inklusion von Menschen mit Behinderung oder von Men-schen mit komplexem Hilfebedarf? In der wir 2-2015 haben wir uns damit auseinandergesetzt, wo und in welcher Form Menschen mit Behinderung an der Gesellschaft teilhaben. In der aktuellen Ausgabe stellen wir uns der Frage: Was braucht Inklusion? Was brauchen Menschen, um Teilhabe zu erfahren?Inklusion als Prozess gesehen, bedarf einer zielgerichteten Begleitung möglichst vieler. Doch wie? Der Fachausdruck dafür kommt aus dem Englischen und heißt Empowerment, auf Deutsch auch Befähigung genannt. Menschen werden dabei unterstützt, stark zu werden, sich etwas zuzutrauen und vielleicht sogar zuzumuten. Es stellen sich unterschiedliche Fragen: Welche Methoden und Strategien kön-nen Menschen lernen, ihre gesellschaftliche Teilhabe selbst mehr einzufordern? Wer hilft ihnen dabei? Welche Möglichkeiten haben Fachkräfte, um Teilhabe im Lebensraum zu fördern? Wo stößt man an Grenzen der Teilhabe und wie kann damit umgegangen werden?Im aktuellen Heft stellen wir Ihnen Weiterbildungen für Fachkräfte vor, die Inklusion im Sozialraum begleiten. Außerdem erhalten Sie Einblick in Kurse und deren Hintergrund, die regelmäßig für Menschen mit Behinderung angeboten werden. Im Zentrum von Inklusion stehen Informationen. Wissen ist die Grund-lage für Veränderungen, für persönliche und gesellschaftliche. Wer weiß, welche Möglichkeiten es gibt, kann eigenverantwortlich entscheiden. Daher informiert die St. Gallus-Hilfe die Gremien der Werkstatträte und der Heimbeiräte. Die Vertreter geben ihr Wissen wiederum an die Menschen weiter, die sie gewählt haben. Was uns besonders wichtig ist: Jeder soll weitest möglich an Kommuni-kation teilhaben können. Unsere neu eingerichtete Beratungsstelle Unterstützte Kommunikation hilft dabei. Gerne möchte ich das Motto des Werkstattrats „Keine Besprechung über uns ohne uns“ aufgreifen. Wir wollen Menschen mit Unterstützungsbedarf ermuti-gen, aktiv mitzuwirken in Sachen Inklusion und Teilhabe.

Jörg Munk

inhalt

3 Leitartikel

3 Termine

4 CBP-Angehörigen-Beirat

4 Namensgeber:HeiligerGebhard

Förderverein der St. Gallus-Hilfe

5 Klettern:MitMutnachoben

Schwerpunkt:

Inklusion und Teilhabe

6 SchonkleineGestenführenzumZiel

8 EinsatzfüreigeneAnliegen

9 Selbstetwasbewegen

10 Siehabenesnichtbereut

12 BildungkenntkeineBehinderung

14 Wer„sprechen“kann,

kannteilhaben

15 DieFürsprecherinnen

16 FachkräfteunterwegsimSozialraum

18 Hin-undhergerissenzwischen

Selbst-undFremdbestimmung

Fachlich – menschlich – gut

20 FachtagderSt.Gallus-Hilfe

22 20JahreKindergarten-Kooperation

23 SogelingenerfüllteTage

24 Lebensraum-Campus:ganzinklusiv

26 Sterne-EssenzergehtaufderZunge

27 Nachrufe

28 St.Gallus-HilfeimÜberblick

28 Impressum

Titelfoto:

Schüler der Don-Bosco-Schule wollen

hoch hinaus. Foto: Conny Gerson

Jörg MunkGeschäftsführer

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Manchmal geschehen Dinge, die besonders ans Herz gehen. Kürzlich haben

zwei Schüler den Preis für Jugend forscht erhalten. Nun denkt man gleich an

blasse Kellerkids, die sich verschanzen, in ihrer eigenen Welt etwas austüf-

teln und an nichts anderes ihre Gedanken vergeuden. Doch bei den beiden

14- und 15-jährigen Jugendlichen zumindest ist es anders: Sie haben einen

Rollstuhl gebaut, der sich computergesteuert über Augenbefehl lenken lässt.

Und der Rollstuhl Marke Eigenbau ist auch noch bezahlbar.

Das eigentlich Erstaunliche dabei ist: Wie kommen zwei blutjunge offen-

kundig kerngesunde Menschen darauf, einen Rollstuhl mit augengesteuerter

Lenkung zu bauen? Die gelieferte Begründung ist zwar einfach, aber nicht

unbedingt naheliegend. Der Ausgangsgedanke des sportbegeisterteren

Mädchens aus dem Team war: Wie fühlt sich ein Mensch, der sich nicht

bewegen kann? Sie kam zu dem Schluss, dass es schrecklich sein muss.

Dieses Einfühlungsvermögen setzte in ihr so viel Energie frei, dass sie

gemeinsam mit ihrem Schulkameraden unter Kopfzerbrechen, Scheitern,

wieder Aufstehen und Durchhalten zum Ziel gelangte: Bewegungsunfähigen

zu Mobilität zu verhelfen. Die menschliche Gesellschaft braucht diese

Empathie. Ohne sie ist das soziale Zusammenleben nicht denkbar.

Sie ist die Grundlage, dass wir anderen helfen, ihnen beistehen, für sie da

sind, sie aber auch stärken und ermutigen. Vor allem eben dass die vermeint-

lich Stärkeren den Schwächeren helfen. Die nicht behinderten Bürger sich

für die behinderten einsetzen, die Gesunden für die Kranken. Empathie ist

auch keine Einbahnstraße des Gebens. Meist kommt viel zurück, in Form

von Dank, Freude, Wertschätzung und Zuneigung.

Eine Gesellschaft ist dann lebens- und liebenswert, wenn tatsächlich alle

ihren Platz bekommen. Empathie ist Teil des Fundaments dafür.

Anne Oschwald

Redakteurin

Leitartikel

Empathie gefragt

31. Januar 2016MariaLichtmeßmitBlasiussegenRosenharz

2. Februar 2016FasnetinLiebenau

3. Februar 2016RosenharzerFasnet

5. Februar 2016SeniorenfasnetRosenharz

9. Februar 2016KehrausLiebenau,Rosenharz

10. Februar 2016AschermittwochsgottesdienstLiebenau,Rosenharz

13. Februar 2016Funken;Liebenau,Rosenharz

20. März 201610.00Uhr;MessfeiermitPalmweiheund-prozession,Rosenharz

22. März 201618.30Uhr;EvangelischerGottesdienstRosenharz

26. März 2016Osternachtfeier,Liebenau

27. März 201610.00Uhr;Festgottesdienst,Rosenharz

13. April 2016FachtagUnterstützteKommunikation

30. April 2016Maibaumstellen,Liebenau

5. Mai 2016ChristiHimmelfahrtmitÖschprozession,Liebenau,Rosenharz

26. Mai 201610.30Uhr;Fronleichnam,GottesdienstmitFrühschoppen,Liebenau

12. Juni 2016SommerfestSt.Hedwig,BadWurzach

26. Juni 2016SommerfestSt.Katharina,Leutkirch

24. Juni 2016Sommerfest,BadWaldsee

termine

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Förderverein der St. Gallus-Hilfe unterstützt Klettern

Wahrnehmungwirdgestärkt

WennjemandinHegenbergdieKapellebetrittunddortdenNamendieserKapellesucht,dannwirderodersienichtsoschnellfündig.VorderKapelleHegenbergbefindet

sichzurlinkenSeitejedocheingroßesTonreliefmitdem

BilddesHeiligenGebhardsvonKonstanz.Gebhardwurde949inBregenzgeboren.SeineMutterverstarbbeiderGeburt.GebhardwuchsdaherinKonstanzauf,bekamdortseineAusbildungundwurdeauchinKonstanzzumPriesterundspäterzumBischofgeweiht.DerHeiligeGebhardwareinbedeutenderpolitischerBeraterundhatdasMönchs-

Namensgeber für unsere Häuser:

DerHeiligeGebhardvonKonstanz

wesenseinerZeitreformiert.1259wurdeGeb-hardheiliggesprochen.EinweitererGebhardhatvieleBilderseinesNamenspatronsgemalt.Geb-hardFugel,derMalerausOberzellbeiRavens-burg,hatunteranderemauchdieSchlosskapelleinLiebenauausgemalt.EinegroßeFreudebereiteteesschonmehrmalsunseremderzeitigenBischofDr.GebhardFürstindieKapelleHegenbergzugehenundzuseinemNamenspatronzubeten.VielleichtfindenauchSieZeitumeinmaldieKapelleSt.GebhardinHegenbergzubesuchen?DortkönnenSieauchdieherrlichenGlasfensterbetrachten.

WolfgangIlg

WennjemandinHegenbergdie

eingroßesTonreliefmitdemBilddesHeiligenGebhardsvon

Der Beirat der Angehörigen im Bundesverband Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP) e. V. vertritt Angehörige in rund 1000 Mitgliedseinrichtungen des CBP. Er bringt die Vorstellungen und Wünsche der Menschen mit Behinderung und der Angehörigen in die verbandliche Arbeit auf Bundesebene ein. Vertreten werden insbesonde-re die Interessen von schwerstmehrfach behinderten und psychisch erkrankten Menschen. Das Gremium wirkt daran mit, die sozialpolitischen Ent-wicklungen für die gesellschaftliche Unterstützung von Menschen mit Behinderung und die dafür notwendigen finanziellen Hilfen positiv zu gestalten sowie die Prozesse bei der Umsetzung zu begleiten.

Beirat der Angehörigen im CBP

BeiratderAngehörigenimCBP

Neben diesen Aufgaben versteht sich der Beirat als Schnitt-stelle zwischen dem CBP sowie seinen Mitgliedseinrich-tungen und den betroffenen Menschen und ihren Angehö-rigen. Angehörigenvertretungen in den Einrichtungen vor Ort sollen über aktuelle Entwicklungen informiert werden. Ihre Kompetenz und die Wirksamkeit ihrer Arbeit werden gestärkt.

NähereszumCBP-Angehörigenbeirat,Anre-gungenundHilfestellungenzuFragenundProblemen,PositionspapieresowieeineAnmel-dungzumE-Mail-VerteilerfindenSieunter:www.cbp.caritas.de/91342.asp

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RAVENSBURG – Sechs Bewohner der St. Gallus-Hilfe in Rosenharz machen sich mit zwei Betreuern ein bis zwei Mal im Monat auf den Weg in die Kletterhalle des Berufsbildungswerks Adolf Aich in Ravensburg. Dabei entwickeln sie Teamgeist, Körperwahrnehmung und Koordination.

In der Halle angekommen heißt es zunächst, sich zu dehnen. Danach werden die Routen festgelegt und die Sicherungsseile gezogen. Für zwei Stunden ist dann hohe Konzentration angesagt. Geklettert wird vertikal und hori-zontal. Jürgen Wetzel-Koch ist Mitarbeiter der St. Gallus-Hilfe und besitzt den Kletterschein. Er kann die sechs Kletterer gut betreuen und gut beraten. „Am Anfang sind wir ‚Haribo‘ geklettert“, schildert er. Das heißt nicht nach farblich markierten Routen, sondern so wie die bunten Griffe kommen und sich gerade anbieten. Nach zwei Jahren Erfahrungen kommen längst auch schwerere Routen unter die Sohlen, zum Beispiel wenn es heißt: „Heute klettern wir nur rot.“ Fürs Klettern braucht es Kraft und Technik, wie Wetzel-Koch erklärt. Die fünf Männer sind draufgänge-rischer als ihre einzige Kletterkollegin, die überlegter und zurückhaltender vorgeht. „Aber die Jungs kommen auch an ihre Grenzen.“ Damit spricht Wetzel-Koch einen wichtigen Punkt beim Klettern an: eigene Grenzerfahrungen zu ma-chen. Der Ehrgeiz wird bei allen gefördert. Auch begünstigt der Sport im wahrsten Wortsinn „Seilschaften“ und in der Gruppe hat sich eine enge Gemeinschaft gebildet. Klettern fördert das Körpergefühl und die Koordination.Zwei Mitarbeiter mit Kletterschein begleiten die Gruppe. Wenn jemand an der Wand nicht mehr weiter weiß oder müde wird, dann wird er von unten motiviert, weiterzu-machen. Er kann sich zuerst einmal im gestrafften Seil ausruhen. Dann wird derjenige aufgefordert zu überlegen, wie der nächste Schritt aussehen könnte. Andreas Riemer gehört zur Klettergruppe. Eigentlich hat er Höhenangst. Trotzdem hat er sich durchgerungen, mitzu-machen. Wie er die Angst besiegt? „Man muss nicht in die Höhe klettern“, meint Wetzel-Koch. Andreas Riemer klet-tert horizontal – circa einen halben bis einen Meter über dem Hallenboden. Zu seinen persönlichen Erfahrungen sagt er: „Mir macht es Spaß. Ich habe ein besseres Gleichge-wicht und eine bessere Orientierung.“ Angst empfindet er beim Klettern nicht.

Förderverein der St. Gallus-Hilfe unterstützt Klettern

Wahrnehmungwirdgestärkt

Für mehr LebensqualitätUnterstützt wird das Klettern der Rosenharzer Be-wohner vom Förderverein der St. Gallus-Hilfe. Der Verein möchte Menschen mit Behinderung durch sein Engagement eine hohe Lebensqualität bieten. Häufig tragen die Spenden dazu bei, ganzheitliche Entwicklung, selbstbestimmte Lebensführung und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermögli-chen. Mitglied können alle werden, die mithelfen wollen, die Ziele des Fördervereins der St. Gallus-Hilfe voranzubringen. Aber auch Kommunen, Pfarr-gemeinden, Firmen, Vereine und Gruppen sind als Mitglied willkommen. Die Mitglieder setzen ihren Jahresbeitrag selbst fest. Der Mindestbeitrag beträgt 36 Euro.Die gesammelten Mittel werden ausschließlich für gemeinnützige Zwecke verwendet. Die Gemeinnüt-zigkeit des Vereins ist vom Finanzamt Friedrichsha-fen anerkannt. Mitgliedsbeiträge und Spenden sind steuerlich abzugsfähig.

Nähere Informationen:Susanne [email protected] 07542 10-2101www.st.gallus-hilfe.de/wir-ueber-uns

Spendenkonto Förderverein der St. Gallus-Hilfe:Volksbank FriedrichshafenBIC: GENODES1VFNIBAN: DE29 6519 0110 0023 3860 02

Förderverein der St. Gallus-Hilfe

Nur Mut: Jürgen Wetzel-Koch unterstützt auf dem Weg nach oben. Foto: privat

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7Kapitel 76 Schwerpunkt: Teilhabe durch Empowerment

Gesellschaft muss durch Strukturen Inklusion ermöglichen

SchonkleineGestenführenzumZiel

Von Teilhabe wird viel geredet seit es die International Classification of Functioning, Disability and Health – kurz ICF gibt. In der ICF wird erklärt, was es eigentlich bedeutet, behindert zu sein. Oder besser: behindert zu werden. Nach der ICF hat eine Behinderung zunächst etwas damit zu tun, wie gut unser Körper funktioniert. Ob es im Körper Beeinträchtigungen gibt. Und welche Fähigkeiten Menschen haben. Ob sie zum Beispiel viel Hilfe benötigen. Entscheidend für eine Behinderung ist aber, wie gut der Mensch teilhaben kann oder dabei ein-geschränkt ist. Behindert ist ein Mensch vor allem dann, wenn seine Teilhabe behindert wird: nicht nur durch seine eigenen Beeinträchtigungen, sondern dadurch, dass die Bedingungen nicht so sind um Teilhabe zu ermöglichen.

Teilhabe ist eine zentrale Voraussetzung für das Mensch-sein, für das Menschwerden. Menschen müssen teilhaben können, um sich als Menschen entwickeln, die in ihnen liegenden Möglichkeiten ausbilden und gut leben zu können. Teilhabe beginnt früh schon beim Zusammenleben in der Familie, hier gehören Menschen mit Behinderung selbstverständlich dazu. Nur in verlässlichen Beziehungen können Menschen zum Beispiel Bindungskompetenz aus-bilden, die Welt erfahren und entdecken und sich elemen-tare Kommunikationserfahrungen und Alltagskompetenzen aneignen. Teilhabe im Bereich der Bildung ermöglicht es, sich das zu eigen zu machen, was es in Kindertagesstätte und Schule zu lernen gibt. Diese erworbenen Kompeten-zen sind wichtig, um in weiteren Lebensbereichen teilha-ben zu können.

Zugehörigkeit spürenWer etwa am Arbeitsleben teilhat, erfährt, dass jeder pro-duktiv sein kann. Er erlebt, dass jeder fähig ist, Dinge her-zustellen, die für ihn selbst und andere wichtig sind. Der einzelne lernt, dass jeder beim praktischen Tun Fähigkeiten entwickeln und diese meist gemeinsam mit anderen an-wenden kann. Teilhabe im Bereich der Freizeit ist wichtig, um die eigene Zeit zu füllen, den Wechsel von Erholung und Anstrengung zu erleben, Interessen zu entwickeln und Langeweile zu vermeiden. Beim Wohnen bedeutet sie wie-derum, zu lernen, wie man mit anderen zusammenleben kann, wie man sich in seiner Wohnung selbst versorgen

und sich dort wohlfühlen kann. Zum Wohnen gehört auch, dass man in der Nachbarschaft dazu gehört. Dass man mit den Nachbarn reden kann, sich gegenseitig aushilft und miteinander auskommt.

Inklusion ermöglicht TeilhabeDie Inklusion ist für die Behindertenrechtskonvention (BRK) weniger ein eigenes Ziel als vielmehr ein Mittel: Damit Menschen mit Behinderungen in allen für sie rele-vanten Lebensbereichen selbstbestimmt teilhaben können, braucht es Inklusion. Zum Beispiel beim Recht auf Bildung: Um es einlösen zu können, wird der Zugang zu einem inklusiven Bildungswesen zugesichert, in dem alle individu-ell notwendigen Angebote und Kompetenzen vorgehalten werden. Inklusion soll unbehinderte Teilhabe sicherstellen. Die Inklusion lenkt damit den Blick zunächst auf den einzelnen Menschen, seine Würde und seine Rechte auf Teilhabe, dann aber vor allem auf die sozialen Systeme, also auf die Familie, die Kitas, die Schulen, die Betriebe, die Nachbarschaften, die Freizeitanbieter, das Gesundheitswe-sen. Es sind diese sozialen Systeme, die Teilhabe ermög-lichen oder behindern, indem sie Inklusion zulassen oder verhindern. Das heißt: Dass alle sich aktiv beteiligen und eine wichtige Rolle spielen können.Dabei ist zu beachten, dass Inklusion nicht vorrangig die formale Zugehörigkeit meint. Die BRK spricht in der Präam-bel vom Zugehörigkeitsgefühl. Man muss spüren können, dass man dazu gehört, dass man für das System relevant

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7Kapitel 77

Informationen:DieICFisteineKlassifikationderWeltgesund-heitsorganisation(WHO).Siedientfach-undländerübergreifendalseinheitlicheundstandar-disierteSprachezurBeschreibungdesfunktio-nalenGesundheitszustandes,derBehinderung,dersozialenBeeinträchtigungundderrele-vantenUmgebungsfaktoreneinesMenschen.

Prof. Dr. Theo Klauß istTheologe und Dipl. Psy-chologeundinPädagogikpromoviert von 1996 bis2014ProfessurimFörder-schwerpunktgeistigeEnt-wicklung an der Pädago-gischen Hochschule Hei-delberg; Vorsitzender der

LebenshilfeHeidelbergundMitgliedimBundes-vorstand; außerdem stellv. Vorsitzender derDeutschen Gesellschaft für seelische Gesund-heit von Menschen mit geistiger Behinderung(DGSGB).

ist, so wie es die Systemtheorie ausdrückt. Dass man eine wichtige Rolle spielt. Dass man in Interaktion und Kommu-nikation eingebunden ist. Das bedeutet im Konkreten: Nur wenn ich merke, dass ich für die anderen Menschen in der Familie oder in der Schule wichtig bin, ist das Inklusi-on. Nur wenn ich mit den anderen auch etwas gemeinsam tue und mit ihnen reden oder anders kommunizieren kann, kann man von Inklusion sprechen. Wer in einer „normalen“ Schule oder Kita, im Restaurant oder in einer Wohnung nur in der Ecke hockt, der ist äußerlich dabei, aber in der äußerlichen Inklusion ist er tat-sächlich exkludiert. Umgekehrt kann ein Mensch in der äu-ßerlichen Inklusion, also in einer Sondereinrichtung, mehr Inklusion erleben als „draußen“, wenn er hier wirklich verstanden wird, sich aktiv beteiligen kann und wichtig ist. Inklusion ermöglicht also Teilhabe. Sie ist lebenswichtig für jeden Menschen.

Entscheidend: echtes DazugehörenMenschen mit Behinderung sind gefährdet, exkludiert zu werden. Je schwerer und komplexer die Behinderung, des-to größer ist diese Gefahr. Das ist das Wesentliche ihrer Be-hinderung und begrenzt ihre Chancen auf Teilhabe in allen Lebensbereichen grundlegend. Es bedarf einer Entwicklung der sozialen Systeme, diese Teilhabe zu ermöglichen. Dabei sind wir uns bewusst, dass „äußerliches Dabeisein“ wichtig und wünschenswert ist. Entscheidend ist jedoch das tatsächliche Dazugehören. Man muss analysieren, wie

das Verhältnis von Inklusion und Exklusion jeweils ist – in einem Wohnblock ohne Kontakt zum Nachbarn oder in der „inklusiven Sondereinrichtung“. Dazu gehören beispiels-weise inklusive Wohngemeinschaften, Mehrgenerationen-häuser, also Einrichtungen, die inklusiv angelegt sind. Zu klären ist auch, wie das konkrete Teilhaben, das Mitma-chen, das Dazugehören, das Willkommen sein tatsächlich stattfindet und – bei Bedarf – unterstützt werden kann. Menschen mit Behinderung haben ein Recht auf Teilhabe. Die Hürden, sie zu erreichen, sind mehr oder weniger hoch – für sie selbst und für diejenigen, die das ermöglichen wol-len. Aber sie sind zu bewältigen. Wobei wir im Blick haben sollten, dass Inklusion und Teilhabe keine zu erreichenden Zustände sind, sondern Wege zum Ziel, die wir immer weiter gehen müssen.

Prof. Dr. Theo Klauß

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LEUTKIRCH – In Leutkirch ist Teilhabe von Menschen mit Behinderung keine Floskel: Hier hat sich ein Behindertenbeirat etabliert. Das Gremium arbeitet systematisch, selbstbewusst und in engem Austausch mit der Stadt. Der Leutkircher Berndt Berger ist einer der Beiräte.

Berndt Berger spricht von seinen zwei Leben. Eines, das er bis 17 hatte und das, das er seither lebt. Er habe viel Sport getrieben, war bekannt in Leutkirch. Der schwere Unfall teilt sein Leben. Das Schädel-Hirn-Trauma mit dreimona-tigem Koma verlangte eine lange Reha-Phase. Sechs Jahre dauerte es, bis er fit war für sein zweites Leben. Aber auch heute ist er aktiv im Behindertensport, engagiert beim VdK. Er ist Leutkircher durch und durch und kennt hier nahezu jeden. Und der Sunny-Boy von früher steckt immer noch in ihm: Er ist zugewandt, freundlich und charmant.Seit 2012 ist der 52-Jährige in Frührente, nachdem er fast 25 Jahre als Bürogehilfe gearbeitet hat. Heute arbeitet er ehrenamtlich im Kleiderladen, einem Gemeinschaftsprojekt der St. Gallus-Hilfe und des DRK-Kreisverbandes Wan-gen. Hier können finanziell benachteiligte Bürger günstig gut erhaltene Kleidung kaufen. Berger arbeitet aber auch ehrenamtlich im Behindertenbeirat in Leutkirch, den es seit Oktober 2013 gibt. „Mir ist die Barrierefreiheit in meiner Heimat wichtig“, begründet er das Engagement. Im Blick hat das sechsköpfige Gremium sowohl Menschen mit geistiger Behinderung, als auch körperlich Behinderte oder Blinde. Das Gremium hat eine Geschäftsordnung, eine Satzung und einen geregelten Ablauf bei den Sitzungen. Die Schnittstelle zur Stadt ist Manuela Wacker-Günther,

Stärkung für die Verwirklichung der eigenen Anliegen

BehindertenbeiratsetztsichfüreigeneAnliegenein

zuständig für Soziales. Sie ist bei Bedarf bei den Sitzungen dabei. Wie angesehen das Gremium in der Stadt heute ist, verdeutlicht Berger: „Der Behindertenbeirat wird in den Gemeinderatssitzungen begrüßt.“ Für ihn ein Zeichen, dass Teilhabe von Menschen mit Behinderung in der Stadt ange-kommen ist. Der Behindertenbeirat ist Teil des Inklusions-projektes, für das sich die Stadt Leutkirch per Gemeinde-

ratsbeschluss im Jahr 2011 entschied. Das Projekt wird von Aktion Mensch gefördert. Daniel Ohmayer von der St. Gallus-Hilfe war als fachlicher Ansprechpartner gefragt. Er half das Gremium zu installieren. „Daniel unterstützt mich bei verwalterischen Aufgaben. Hier tue ich mich schwer“, so Berger. Ohmayer macht aber deutlich: „Heute profitiere eher ich, zum Beispiel von Berndts Kontakten.“ Ihre regelmäßigen Treffen sind inzwischen Austausch darüber was im Projekt und in Leutkirch läuft und wo man genauer hinschauen könnte. Es ist ein Zusammenspiel auf Augenhöhe, für das Berger ein Beispiel parat hat: „Wenn wir für den Tag der Menschen mit Behinderung im Mai das Fest organisieren, bringt Daniel den Bauwagen und ich weiß, wo wir ihn hinstellen können.“An dem Thema bauliche Barrieren arbeiten Berndt Berger und sein Beiratsteam laufend. Einem fußballbegeisterten gehbehinderten Mann wurde so der Zugang ins Stadion durch die Anbringung von Haltestangen besser ermöglicht. Berger schildert auch, dass Leutkircher mit Behinderung Parkplätze in der Stadt unkompliziert nutzen können. Der Parkwächter ist informiert. „Durch den Beirat haben Men-schen mit Behinderung eine andere Lobby bekommen“, so Ohmayer.

Anne Oschwald

Der Behindertenbeirat der Stadt Leutkirch (v.l.): Maria Lanza, Kerstin Rupp, Roland Krug, Willi Lechermeier und Berndt Berger. Nicht auf dem Foto: Nadja Zorn. Foto: Ohmayer

Berndt Berger (rechts) setzt sich für die Rechte von Menschen mit Behinderung ein. Der regelmäßige monatliche Austausch mit Daniel Ohmayer von der St. Gallus-Hilfe liefert neue Ideen. Foto: Oschwald

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LIEBENAU – In allen Werkstätten der Stiftung Lie-benau gibt es Werkstatträte, wie es die Werkstätten-Mitwirkungsverordnung (WMVO) verlangt. Von ihren Kollegen gewählt, sollen sie darüber wachen, dass geltende Gesetze und Vereinbarungen zugunsten der Beschäftigten eingehalten werden (§ 4, WMVO). Das heißt, die Werkstatträte müssen die relevanten Gesetze und Vereinbarungen kennen und besonders da aktiv werden, wo diese nicht oder nicht ausreichend berück-sichtigt scheinen. Zu ihrer Unterstützung wählen sie eine Vertrauensperson aus den Reihen der in der WfbM tätigen Mitarbeiter.

Wer jemals nur Schülersprecher war oder gar in einen Betriebsrat oder eine Mitarbeitervertretung gewählt wurde, weiß, was das erfordert: Wissen, einen kritischen Blick, Widerspruchsgeist und Rückgrat. An Menschen mit Behin-derung stellt das besondere Herausforderungen. Gerade wer im Lauf seines Lebens oft die Erfahrung gemacht hat, dass andere vermeintlich klüger sind, schneller denken und besser reden können, braucht Mut, wenn zum Beispiel die Beschwerde eines Kollegen gegenüber einem Vorgesetzten zu unterstützen ist. Es braucht Standvermögen, um sich nicht schnell durch Gegenargumente verunsichern zu

Die Arbeit im Werkstattrat

Wirkönnenselbstetwasbewegen

lassen. Ähnliches gilt für das Fordern von Informationen, Mitsprache und Beteiligung.

Vertrauensperson gefragtReiner Manghard, Vertrauensperson der Werkstatträte der Liebenauer Arbeitswelten, blickt auf eine langjährige Ent-wicklung zurück. Seine Einschätzung: „Der Werkstattrat hat über die Jahre manches erreicht und ist viel präsenter als früher. Ein großer Schritt ist die Anwesenheit der Räte bei allen Dienstbesprechungen und Leitungskonferenzen. Sie wurde nach dem Motto ‚Keine Besprechung über uns ohne uns‘ vereinbart.“ Manghard räumt allerdings ein: „Der Aufwand, die Anwesenheit an allen Standorten der WfbM zu organisieren, ist groß. Zum Teil werden Themen verhandelt, die schwer verständlich sind und nicht immer gibt es die eigentlich notwendigen Erklärungen. Viele Sitzungen sind lang.“Ist dann eigentlich alles nur eine Farce? Können Menschen mit Behinderung die in der WMVO definierten Aufgaben überhaupt wahrnehmen? „Ohne Unterstützung geht das meistens nicht“, so Manghard. „Das ist meine Aufgabe als Vertrauensperson.“ Sicher richtig und wichtig. Entschei-dend ist aber auch die Grundhaltung aller in der WfbM. Werden die Menschen dort und damit auch die Werkstat-träte mit ihren Anliegen ernst genommen? Werden sie zu

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Drei Heimbeiräte berichten über ihre Erfahrungen

Siehabenesnichtbereut

BAD WALDSEE/LIEBENAU/WANGEN – Rainer Thanner, Nicole Weiß und Julia Walzik würden es wieder tun: Sie hatten sich als Heimbeiräte wählen lassen. Sie informieren sich, schauen sich bei ihren Kollegen und Mitbewohnern um: eine wichtige Basis für ihre Arbeit in den Gremien.

„Es war gut, eine Wohnung von innen anschauen zu können“, berichtet Heimbeirat Rainer Thanner nach einer Exkursion. Das ist nicht selbstverständlich, denn das neue Haus in der Unterurbacher Straße in Bad Waldsee ist be-reits bewohnt. 24 Menschen mit Behinderung werden dort in vier Wohnungen und vier Appartements von Mitarbei-tern der St. Gallus-Hilfe begleitet. Die Appartements sind für Menschen gedacht, die gerne für sich alleine sind, de-ren Unterstützungsbedarf jedoch so hoch ist, dass eine am-bulante Wohnform nicht oder noch nicht in Frage kommt. Heimbeirätin Nicole Weiß ist begeistert: „Ich möchte gerne so wohnen.“ Heimbeirätin Julia Walzik sagt: „Ich möchte in einer Stadt wohnen.“In Bad Waldsee bietet das Bildungs-, Begegnungs- und Förderzentrum (BBF) 24 Menschen mit hohem Unterstüt-

ihren Aufgaben ermutigt, motiviert und befähigt? Dazu gehört nicht zuletzt, so etwas wie Aufmüpfigkeit zu wollen und zu fördern. Noch ist die Ansicht verbreitet, dass Vorge-setzte grundsätzlich besser wissen, was für einen selbst gut ist. Diese zu „erschüttern“, ist auch eine Form der Unter-stützung.Zudem werden regelmäßig Schulungen für Werkstatträte besucht, sie vermitteln die erforderlichen Kenntnisse. Und der Austausch mit den Räten anderer Werkstätten in der Region schafft ein Gefühl von Solidarität und stärkt den Rücken. Das ist wichtig, denn Menschen mit Behinderung sollen ihre Rechte erkennen und wahrnehmen. Sie sollen sich in allen Bereichen selbst vertreten und sich zu Wort melden, auch am Arbeitsplatz. Sei es der Sprudelautomat, der auf Initiative des Werkstatt-rates inzwischen an einigen Standorten bereitsteht oder

die Beteiligung bei der Personaleinstellung, an der noch gearbeitet wird: Es gab und gibt zahlreiche Projekte, für die es sich einzusetzen lohnt. Die Erfahrung, dass Enga-gement nicht immer, aber doch immer wieder zum Erfolg führt, ist entscheidend. Sie fördert das Empfinden von Selbstwirksamkeit, das für jeden immens wichtig ist. Wie sonst sollten wir uns zu Menschen entwickeln, die eigene Standpunkte vertreten, ihr Leben aktiv gestalten oder den Mund aufmachen, wenn sich etwas falsch anfühlt? Die Arbeit des Werkstattrats zu gewährleisten ist gesetzliche Pflicht einer jeden Werkstatt. Sie tatkräftig zu unterstützen entspricht ihrem Bildungsauftrag, der auch das Ziel beinhal-tet, (UN-Behindertenrechtskonvention, Artikel 24, c) „(…) Menschen mit Behinderungen zur wirklichen Teilhabe an einer freien Gesellschaft zu befähigen.“

Ruth Hofmann

zungsbedarf eine Tagesstruktur. Das BBF ist eine Einrich-tung der St. Gallus-Hilfe und der IWO – Integrationswerk-stätten Oberschwaben. Heimbeirat Rainer Thanner findet die Kooperation gut: „Zum Beispiel können die Menschen in der St. Gallus-Hilfe wohnen und in der IWO arbeiten.“ Die beiden Heimbeirätinnen loben die hellen Räume und die großen Arbeitsplatzbereiche.

Nicole Weiß (links) und Julia Walzik vertreten als Heimbeiräte die Interessen der Liebenauer Mitbewohner und informieren sie über die neuen, vom Gesetzgeber geforderten Wohnformen für Menschen mit Behinderung.

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Für eine bessere MobilitätJulia Walzik arbeitet bei der Liebenauer Service GmbH der Liebenauer Arbeitswelten. „Mir gefällt es bei der LiSe sehr gut. Ich möchte dort bleiben“, sagt sie. Sie will in Liebenau arbeiten und würde gerne in einer Stadt wohnen. So geht es auch einigen ihrer Kollegen. Deshalb setzt sie sich für verbesserte Busverbindungen ein. „Haben die Menschen, die in Bad Waldsee leben, einen guten Anschluss an den Nahverkehr?“, ist eine der Fragen, die sie bewegen.Der 66-jährige Rainer Thanner hat sich für ein Haus der St. Gallus-Hilfe in der Bregenzer Straße in Wangen ent-schieden. Der Umzug vor neun Jahren ist ihm leicht gefallen. Heute will er die anderen Heimbewohner bei ihrer Entscheidungsfindung für eine neue Wohnform unterstüt-zen: „Man muss es ihnen zeigen.“ Deshalb liegen ihm die Informationsveranstaltungen, die die St. Gallus-Hilfe regelmäßig anbietet, am Herzen. „Es gibt viele Menschen, die nicht lesen können“, berich-tet Julia Walzik. Sie fordert mehr Hinweise in Form von Piktogrammen oder Gebärdensprache. „Wir haben ja ein Mitspracherecht“, sagt Nicole Weiß, die im Rahmen ihrer Beschäftigung als qualifizierte Prüferin auch Texte in Leich-ter Sprache prüft.

Der 66-jährige Heimbeirat Rainer Thanner bietet regelmäßig Sprech-stunden für seine Mitbewohner in der Bregenzer Straße in Wangen an. Fotos: Scheidel

Rainer Thanner bietet als Heimbeirat regelmäßig Sprech-stunden an und kann als Rentner viel Zeit in sein Amt investieren. Für die beiden berufstätigen Frauen ist es oft nicht leicht, Arbeit und Ehrenamt miteinander zu vereinba-ren. Dennoch haben sie ihre Entscheidung, im Heimbeirat mitzuarbeiten, nicht bereut.

Lioba Scheidel

Mobilität und Öffentlicher Per-sonentransport sind wichtige Themen für Menschen mit Behinderung. Die Werkstatt- und Heimbeiräte setzen sich für ihre Verbesse-rung ein. Foto: fotolia

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Seminare in Leutkirch stärken Persönlichkeit

BildungkenntkeineBehinderung

LEUTKIRCH – Miteinander lernen – sich refl ektieren – anderen begegnen: Mit diesen Stichworten lässt sich eine Form der Erwachsenenbildung charakterisieren, die die St. Gallus-Hilfe seit 2001 Menschen mit Behinde-rungen anbietet. In der Regel handelt es sich um zweitä-gige Seminare mit Übernachtung im Tagungshaus Regina Pacis in Leutkirch.

Neben den inhaltlichen Themen, genießen es die Teil-nehmer, in einem Tagungshaus Gast zu sein und in einem schönen Ambiente zu lernen und neue Erfahrungen zu sammeln. Organisatorisch und inhaltlich sind der pädagogi-sche Fachdienst und Fachkräfte der St. Gallus-Hilfe verant-wortlich. Zweimal jährlich erscheint ein Flyer, der inner-halb der Dienste und der Einrichtungen der St. Gallus-Hilfe verteilt wird. Außerdem fließen Kurse in das Programm der Offenen Hilfen ein. Menschen aus unterschiedlichen Le-benszusammenhängen kommen in die Seminare und setzen sich mit einem bestimmten Thema auseinander. Die Seminarinhalte orientieren sich an aktuellen Themen der Behindertenhilfe (Umgang mit Gewalt, Sexueller Miss-brauch, Selbstbestimmung und Teilhabe, Kommunikation,

Die Seminare in Leutkirch haben unterschiedliche Themen. Rollenspiele und Gespräche wechseln sich ab. Foto: WalkaFoto: Walka

Schön mit anderen

Martina Weiß wohnt in Rosenharz und

hat verschiedene Seminare in Leutkirch

besucht. Gerlinde Walka vom Fach-

dienst hat sie einige Fragen beant-

wortet:Warum gehst du zu den Semi-

naren?MartinaWeiß:Weilichdasschönfindemitande-

ren zusammen. Was gefällt dir da besonders? Martina

Weiß:WennmaneinenFilmanschautunddiePausenmit

BrezelnundKaffee.Welches Seminar hat dir am besten

gefallen?MartinaWeiß:DasPaar-Seminar.Lernen, Konflikte zu lösenRoland Leibach lebt in Hegen-berg und ist Heimberat. Erhat schon an mehreren Semi-naren in Leutkirch teilgenom-men. Einmal besuchte er einenKurs zusammenmit seiner Freundin. Er nennt es„Ehe-Seminar“. Hier hat er gelernt, was in einerFreundschaftwichtigist:miteinanderreden,sagenwaseinemgefälltundwasnicht.Ganzwichtigfürihn: Wie können Konflikte gelöst werden? Auchfür seine zehnjährige Tätigkeit imHeimbeirat hater an mehreren Schulungen teilgenommen. Hierwaren für ihn das gegenseitige Kennenlernen,der Austausch, neue Themen und die Rollen-spiele wichtig. Abends kam ein Fußballspiel, dasgemeinsam angeschaut wurde. Es hat ihm vielSpaß gemacht. Das Personal findet er nett unddasEssenistgut.DieSeminaresindeinewillkom-meneAbwechslungzumArbeitsalltag.

Zukunftsperspektiven) und den Wünschen der Seminarteil-nehmer. Das Angebot und die Inhalte sind breit gefächert. Es geht zum einen um Persönlichkeitsbildung („Was tun, wenn man mir weh tut?“) und um Wissensvermittlung („Liebe, Sex und solche Sachen“, Heimbeiratsschulungen). Die Seminare sind methodisch und didaktisch auf die Teilnehmer abgestimmt. Diese setzen sich aktiv mit den Themenstellungen auseinander, werden ermutigt andere und neue Verhaltensweisen auszuprobieren, sich abzugren-zen, auch mal „Nein“ zu sagen. Der geschützte Rahmen, die vertraute Gruppe und die enge Begleitung durch die Seminarleitung erleichtert die Auseinandersetzung. Für Menschen die in Abhängigkeit stehen und über wenig Selbstbewusstsein verfügen, ist Abgrenzung und Positio-nierung ein oft schwieriges Thema. Für die eigene Teilhabe und Inklusion, ist die Selbstbefähigung (Empowerment)

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Spannend, was im Leben passiert ClaudiaJakobhatschonvieleSeminarebesucht.SiekönneNeuesdazulernenundgleichzeitigseiesspannendzusehen,wasinihremLebenallespassiertist.EinwichtigesErgebnisistfürsie,dass„alleMenschendiegleichenRechtehaben,auchMenschenmitBehinderung“.ClaudiaJakobgefallennichtalleMethoden:„Ballspielemagichnichtsogerne“,erklärtsie.Siebetontausdrücklich:„Ichmacheaberallesmit.“DieGesprächefindetsiesehrwichtig.Hilfreichfindetsieauch,dassesoftdieMöglich-

keitgibt,DingeaufzuschreibenunddasssieErgebnisseinderHandhat,diesiesichzuhausenochmalanschauenkann.DerAufenthaltimTagungshauswirdvonihrpositiverlebt.„IchhabedameistenseinEinzelzimmer.“DasEssenschmecktihrmeistensgut,auchdieTagungsräumefindetsiesehrschön.KontakteentsteheneherinnerhalbderSeminargruppe.DieMitarbeiterdesTagungshausesseien„richtignett“.IhrgroßerWunschwäreabereineReiseansToteMeerundsieregtan,obeseinSeminargebenkönnte,dassihrhilftdieseReisemöglichzumachen.

Inklusionverändert!DieGesellschaft,dieInstituti-onenunddenEinzelnen.WieVeränderungkonkretaussehenkann,wassiefürMenschenbedeutet,darüberinformiertderneueInklusionsnewsletterderStiftungLiebenau„Liebe-nauinklusiv“.InkompakterFormerhaltenInteressentenEinblickeindas,wasTeil-habefürEinzelnebedeutenkann.PorträtsvonMen-schenwerdendurchNeu-igkeitenausderStiftungLiebenau,einenRatgebersowieTerminerundumsThemaInklusionergänzt.DerNewslettererscheintvierMalimJahr.

Gemeinsam – mitten in der Gesellschaft! Denn: Inklusion verändert! Interessiert? Abonnieren Sie den Newsletter „Liebenau inklusiv“! www.stiftung-liebenau.de/inklusion

grundlegende Voraussetzung. Bei den Seminaren können die eigenen Lebensumstände, die Rolle als Mann oder Frau, die Behinderung und die eigene Lebensperspektive betrach-tet und reflektiert werden. Diese Prozesse sind manchmal schmerzhaft und verlangen sowohl von den Teilnehmern als auch von den Begleitern ein hohes Maß an Vertrauen, Empathie und Kompetenz. Die große Nachfrage und die hohe Auslastung der Seminare sprechen für diese Form des Lernens in der Erwachsenenbildung. Die Teilnehmer der Seminare kommen aus unterschiedli-chen Lebenszusammenhängen. Sie leben in Einrichtungen, in der Familie oder wohnen selbstständig. Im Tagungshaus begegnen sich die Tagungsgäste bei den Mahlzeiten im Speisesaal und außerhalb der Lerneinheiten. Kontakte und Kommunikation ergeben sich selbstverständlich. Begegnun-gen von Menschen aus unterschiedlichsten gesellschaftli-

chen Gruppierungen ergeben sich „einfach so“. Im Kontakt gibt es viele gute Erfahrungen, gelegentlich werden Be-rührungsängste sichtbar, ein Spiegel der gesellschaftlichen Realität. Erwachsenenbildung ist mehr als das Vermitteln von Wissen oder praktisch umsetzbaren Fähigkeiten. Sie kann einen Beitrag leisten, Menschen mit Behinderung bei ihrer Lebensbewältigung zu unterstützen. Sie kann dabei helfen Vergangenes zu bearbeiten, weiterführende Perspek-tiven zu erkennen und nach Möglichkeiten der Umsetzung zu suchen. Und letztlich ist das Ziel aller Angebote, „ (…) die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine mög-lichst selbstständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern.“ (SGB IX, §4)

Gerlinde Walka

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Kapitel 15

Unterstützte Kommunikation: überregionale Beratungsstelle am Start

Wer„sprechen“kann,kannteilhaben

HEGENBERG – Menschen mit geistiger und körperlicher Behinderung sind häufig auch in ihrer Kommunikation eingeschränkt. Die Folge ist, dass sie nicht am gemein-schaftlichen Leben teilhaben können. Die St. Gallus-Hilfe bietet in ihrer neu eingerichteten Beratungsstelle Hilfe in Sachen Unterstützte Kommunikation (UK). Die ausgebildete Fachberaterin UK berät Mitarbeiter der St. Gallus-Hilfe, aber auch externe Einrichtungen, und das überregional.

Steffi Sommer (Name geändert) spricht nur sehr einge-schränkt und lediglich einzelne Wörter. Bei der Vorstellung der Beratungsstelle für Unterstützte Kommunikation blät-tert sie in ihrem Ich-Buch und zeigt auf Bilder und Inhalte, die ihr gefallen, aber auch auf Dinge, die sie nicht mag. Mit ihrem Ich-Buch kann sie mit der Umwelt in Kontakt treten.Bevor Steffi Sommer wieder zurück zur Arbeit geht, be-kommt sie den gelben Bigpoint mit. Darauf hat Elke Schätz-le gesprochen, dass sie heute ein Interview gegeben hat und viele Fotos von ihr gemacht wurden. Mit dieser Hilfe kann sie anderen vom Erlebten „berichten“. Die Freude von Steffi Sommer ist offensichtlich.Elke Schätzle ist die UK-Fachberaterin und erste Ansprech-partnerin der Beratungsstelle. Sie kann auf eine Vielzahl von Hilfsmitteln zurückgreifen, die zum Einsatz kommen können. Diese teilen sich auf in nichtelektroni-sche wie Karten, Piktogramme, Bilder, Kommunikationsta-

feln und Leichte Sprache, für die die St. Gallus-Hilfe Über-setzer und Prüfer ausgebildet hat. „Auf der anderen Seite stehen elektronische Hilfsmittel wie Bigpoint, Anybook-Reader – wie sie bei Kinderbüchern Verwendung finden –, Talker und sogar iPads“, erklärt sie. Um zu wissen, welche Hilfsmittel sich für wen gut eignen, muss die Fachfrau den künftigen UK-Nutzer intensiver kennenlernen. Dann berät sie, probiert aus und schult sowohl den Anwender als auch Mitarbeiter oder Angehörige. Manche Hilfsmittel kann sie selbst mit den Anwendern erstellen, wie das Ich-Buch von Steffi Sommer, oder einen Kalender, der von unten nach oben verläuft und bei dem der jeweils vergangene Tag un-ten abgeschnitten wird. Dieses Hilfsmittel eignet sich zum Beispiel gut für Menschen mit Autismus. Auch Interessierte von extern können sich an die Beratungsstelle wenden, etwa Eltern und Angehörige, Fachärzte, Schulen oder gar Einrichtungen der Altenhilfe. Denn auch fortschreitende Demenz ist oft mit Kommunikationsproblemen verbunden.

Anne Oschwald

Steffi Sommer (rechts) kommuniziert mit UK-Fachberaterin Elke Schätzle über ihr Ich-Buch. Foto: Oschwald

Neues erfahren mit dem „Cabito“In den öffentlichen Bereichen von Rosenharz, Liebenau und Hegenberg stehen neue Geräte, so genannte Cabitos. UK-Fachberaterin Elke Schätzle pflegt die neuesten Informationen ein und unter-stützt die Bewohner bei der Anwendung. Über diesen barrierefreien Zugang ist unter anderem der aktuelle Speiseplan, das Kinoprogramm von Hegen-berg und auch die Ergebnisse und Termine wichti-ger Bundesliga-Spiele zu erfahren. Bekanntgegeben werden auch Termine, die vor Ort stattfinden, wie etwa Feuerwehrübungen. Zwei Cabitos wurden von Aktion Mensch gefördert, das andere vom Förder-verein der St. Gallus-Hilfe

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Beratungsstelle Unterstützte KommunikationElke Schätzle, UK-Fachberaterin, nach ISAACTelefon: 07542 [email protected]

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Kapitel 1515

Ich wünsche mir

...dassdieFürsprecherinhilft,wennesÄrgergibt.Dass

sieauchmalDampfmachtundsichdahinterklemmt.

DiePersonsollverstehen,umwasesmirgeht,warum

ichdenÄrgerhabe.SiesollZeitfürsGesprächhaben.

Siemusserreichbarsein,wennmanvonderArbeit

kommt,mindestensamTelefon,aberbesserpersönlich.

SiesollhintermirstehenundnichthinterdenMitarbei-

tern.

IngrunMatthauer

Die Für-Sprecher der St. Gallus-HilfeManchmal will man sein Anliegen nicht den Mitarbeitern erzählen.Auch nicht der Fach-Kraft in der Werkstatt.Oder dem Werkstatt- und Heimbeirat.Und auch nicht den Vertrauens-Personen.Dann kann man zu den Für-Sprechern gehen.Sie setzen sich für Anliegen der Bewohner oderder Beschäftigen der St. Gallus-Hilfe ein.Die Für-Sprecher sind un-parteiisch.Das heißt, sie sind unabhängig.Anliegen, Wünsche und Beschwerden sagen sie nicht jedem weiter.Das ist wichtig.Jeder kann sich deshalb trauen, mit einem Für-Sprecher zu reden.

Wie finde ich einen Für-Sprecher?Es gibt derzeit drei Für-Sprecherinnen.Wer ein Anliegen hat, kann bei einer Für-Sprecherin anrufen.Kerstin Rupp Telefon 01 72 14 37 26 2Irmgard Sailer Telefon 01 72 14 35 16 1Gisela Vetter Telefon 01 72 14 35 80 5Man kann eine Für-Sprecherin auch treffen.Dann macht man vorher am Telefon einen Termin aus.Man kann auch eine E-Mail schreiben.Die Adresse lautet: [email protected] drei haben die gleiche E-Mail-Adresse.

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Weiterbildungen für die Förderung und Unterstützung sozialer Arbeit

Mitdem„Handwerkskoffer“unterwegsimSozialraum

LIEBENAU – Weiterbildungen, die eine sozialräumliche Ausrichtung der sozialen Arbeit fördern und unterstüt-zen, bietet die Abteilung fortbilden & entwickeln (f & e) der Stiftung Liebenau. Seit 2009 richten sich die Kurse an bürgerschaftlich Engagierte, Fachkräfte, Gemein-wesenarbeiterinnen und Führungskräfte der Hilfen für Menschen mit Behinderung, der Altenhilfe, der Jugend-hilfe und der Kommunen. Willi Hafner-Laux (Leiter der Abteilung f & e) erläutert den Hintergrund der Fortbil-dungen unter dem Motto „Sozialräumlich unterwegs zur Inklusion“.

Herr Hafner-Laux, Sie überblicken einen langen Zeitraum in der Entwicklung der Stiftung Liebenau und ihrer Gesellschaften. Woher kamen die Anstöße, gemeinsam mit weiteren Fachleuten solche Weiterbil-dungen zu entwickeln?Die Anstöße für die Entwicklung sozialräumlicher Bildungs-angebote kamen aus den Gesellschaften. Die Altenhilfe Deutschland der Stiftung Liebenau ist mit ihrem Konzept der Lebensräume seit mehr als 20 Jahren stark der Selbst- und Nachbarschaftshilfe verpflichtet. Die St. Gallus-Hilfe richtet ihre Strategie seit Jahren neben der Profilierung an den Stammorten an der Entwicklung inklusiver Wohn- und Arbeitsangebote aus. Das Berufsbildungswerk Adolf Aich kooperiert mit Betrieben, um Jugendliche möglichst für den ersten Arbeitsmarkt auszubilden. Wir haben diese Anliegen aufgegriffen, sie in Bildungskonzepten verdichtet, durch die fachlichen Impulse von externen und internen Dozenten angereichert und die Teilnehmer in ihren Kompetenzen und ihrem Willen bestärkt.

Was können die Teilnehmer lernen?Handlungsleitende Zielsetzung für die sozialraumorientier-ten Weiterbildungen ist die personen- und kontextorien-tierte Arbeit mit den Adressaten. Einerseits kennzeichnet die professionelle Arbeit den konsequenten Bezug an den Interessen, Bedürfnissen, Stärken und dem Willen der Menschen. Die Grundfragen lauten: Was will der Mensch? Welche Ressourcen hat er, um sein Leben zu gestalten? Andererseits wird der Mensch als Teil und Mitgestalter sei-nes Sozialraums wahrgenommen. Zu klären gilt: Wie lässt sich die Lebenswelt einrichten, um darin einigermaßen gut

zu Recht zu kommen. An dieser Intension überprüfen die Teilnehmer ihre Haltung und Wertevorstellungen, erarbei-ten sich einen „Handwerkskoffer“ mit vielfältigen Metho-den und thematisieren die Möglichkeiten und Grenzen im eigenen lokalen Kontext.

Wie beurteilen Sie den Nutzen für die Teilnehmer und deren Institutionen, speziell der St. Gallus-Hilfe?Aus Auswertungen habe ich die Bestärkung der Teilneh-mer in ihrer Wertehaltung durch das Konzept der Sozial-raumorientierung wahrgenommen. Am Herausforderndsten scheint, wie die sozialraumorientierten Handlungsimpulse mit den Klienten in den aktuellen institutionellen Rahmen-bedingungen umzusetzen sind. Ermutigend ist, wie in vie-len kleinen Schritten gelungene Ansätze entstanden sind. Aus einer Umfrage aus fünf Weiterbildungen der St. Gallus-Hilfe zur Weiterentwicklung der Sozialraumorientierung lässt sich folgern, dass die Seminare wichtiger Teil sind, es aber gleichzeitig Orientierung von Seiten der Institution braucht. Genannt wurden zeitliche, beziehungsweise finan-zielle Ressourcen, die gezielt eingeplant werden, ein klarer Auftrag der Institution und die Unterstützung und Beglei-tung durch das Team, den Vorgesetzen, durch Workshops und Fortbildungen, um miteinander zu lernen.

Welche Entwicklungsschritte sehen Sie für die Zu-kunft?Ausgehend von der Tatsache, dass Wertschöpfung für alle Beteiligten vor Ort in den Quartieren, Sozialräumen und Gemeinden entsteht, kann f & e durch Bildungs- und Begleitungsangebote die Partizipation und Vernetzung

Willi Hafner-Laux leitet die Abteilung fortbilden & entwi-ckeln der Stiftung Liebenau. Gemeinsam mit anderen Fachleuten entwickelt er Weiterbildungen, unter ande-rem in Sachen Inklusion im Sozialraum. Foto: Kästle

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Aktuelle Weiterbildungen:SozialraumorientierteAssistenz–NeueKompe-tenzenerlernen:Persönlicheundsozialräum-licheRessourcenaktivierenundNetzwerkegestalten,Dezember2015bisOktober2016SozialräumlichunterwegszurInklusion:QualifikationfürDienstleistungs-undNetz-werkmanagement,Oktober2016bisMärz2018www.fortbilden-entwickeln.de

der lokalen Akteure im Sinne der Inklusion begleiten und unterstützen. Das würde bedeuten, noch stärker als bisher, zielgruppenübergreifende Angebote mit den Mitarbeitern vor Ort zu entwickeln.

Die Fragen stellte Ruth Hofmann

DieWeiterbildungbereichert,strukturiertundverbessertmeineArbeit

in allen bei den Modulen bearbeiteten Bereichen: Projektmanage-

ment,Sozialraumorientierung,Netzwerkarbeit,….Wasmirbesonders

gutgefälltistderAustauschmitdenanderenTeilnehmern:Manbe-

kommteinenerweitertenBlick, kannsichvernetzen. Ichhabe zum

Beispiel schonguteVerbindungenzurSt.Gallus-Hilfe inRosenharz

knüpfenkönnen.AlsGemeinwesenarbeiterininBodneggbinichauchfürSenioren„zu-

ständig“,unddabereichertmichderAustauschmitTeilnehmernausdiesemBereich

ungemein.UndinsgesamtisteseinfacheinetolleTruppe!

ChristaGnann,BürgerkontaktbüroBodneggDasModulzur„SystemischenNetzwerkarbeit“hatmir inVer-bindungmitdemModul„GestaltungdeslokalenWelfare-Mix“schonmanchenAnsatzfürdenArbeitsalltaggeliefert.Mirwurdeauchnocheinmaldeutlich,dasssichfürerfolgreicheNetzwerk-arbeitheutzutagenichtnurdieInstitutionenmehrundmehrausSichtderanderenSeiteaufeinandereingehensollten,sondern

dassauchmirbeimeinenunterschiedlichenArbeitsverhältnissendieseSichtweisesehrhilfreichist,umletztendlichalleszueinem„rundenGanzen“zusammenfüh-renzukönnen.EineHerzenssacheistesfürmich,beiallenThemeneinemöglichsthoheBeteiligungderVertreterstillerGruppen,alsoGruppenohnestarkeLobby,zu ermöglichen.HierfürwardiepraktischeSozialraumerkundung imModulmitProfessorKleveGoldwert.

JohannaBenz-Spies,Gemeinwesenarbeiterin Die einzelnen Module der Fortbildung sind sehr stim-mig und ergeben in der Verbindung zueinander einegute Grundlage für das Arbeiten im Sozialraum. ManlerntkonkreteHandlungsabläufe,etwaimModul„Sozi-alraumorientierung als Handlungsansatz“, Grundver-ständnis für den Sozialraum geschärft wird, oder die

praktische Sozialraumanalyse. In der Systemischen Netzwerkarbeit wur-dendieChancenundMöglichkeiteneinesNetzwerkserarbeitet,wiesieaufgebautsindundgepflegtwerdenkönnen.BeidemModul„GestaltungeinesWelfare-Mix“wurdedeutlichwiedieunterschiedlichenFelderzuei-nander stehenundwie sichdie jeweiligenFunktionslogiken zueinanderverhalten.EineWeiterbildung, diemir das Verstehen und Arbeiten im Sozialraumerleichtertundmichermutigt,michaktiveinzubringen.

Hans-Peter Schlecker, Bildungs-, Begegnungs- und Förderzentrum (BBF)BadWaldsee

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HEGENBERG – Kinder und Jugendliche sollen ihren Platz in der Gesellschaft finden. Das gilt auch für Kinder und Jugendliche, die in Institutionen betreut werden. Ein Widerspruch? Da doch der Erziehungsauftrag im Vordergrund steht? Eine Reflexion von Stephan Becker, Heilpädagogischer Fachdienst.

Im Zuge der Mitbestimmungs- und Demokratieentwick-lung die Zeiten verändert. Jede Institution muss auch eine schlüssige und transparente Idee davon haben, wie sie Beteiligung ermöglicht. Das Recht auf ihre Beteiligung ist jungen Menschen wichtig. Unlängst brachten die gewähl-ten Heimbeiräte im Rahmen einer Gruppenleiter-Konferenz ihre Anliegen vor. Die Vertreterinnen wünschten sich mehr Transparenz im Hinblick auf die Verwendung ihres Barbe-trages. Dabei entstand eine angeregte Diskussion, warum Mitarbeiter einen Teil des Taschengeldes für die Kinder und Jugendlichen ansparen und den anderen Teil zur freien Verfügung auszahlen. Auch zur Frage der Beteiligung an der Planung von Freizeitaktivitäten oder dem Zugang zum Internet entwickelten sich lebendige Gespräche und die Beteiligten waren sich einig, dass die Privatsphäre zu schützen ist. Doch dann wurde eine Frage aufgeworfen, bei der sich Widerstand regte: Die Jugendlichen fragten, warum sie ihren Bezugserzieher beziehungsweise -betreuer nicht selbst wählen oder wechseln dürfen. Es seien ja schließlich nicht die leiblichen Eltern, mit denen man ein Leben lang verbunden bleibe. Auch Mitarbeiterinnen im allgemeinen sozialen Dienst würden immer mal wieder die Zuständig-keit ändern. Betroffene dürften auch die gesetzliche Betreu-ung auf ihre Passung hin überprüfen lassen. Hier rührt eine Frage plötzlich an unserem gewachsenen und etablierten Bezugserziehersystem. Was, wenn nicht mehr die Macht der Institution, sondern die Frage nach einer gelingenden Beziehung in den Vordergrund rückt. Kann sich ein Jugendlicher durch jemanden wirklich vertreten fühlen, der ihm – nach nicht nachvollziehbaren Gründen – zugeteilt wurde? Was, wenn plötzlich mehrere Jugendliche zu ein und derselben Person wollen? Ist ein Mitarbeiter dann plötzlich beliebt, der sich schwertut mit Begrenzungen und konflikthaften Auseinandersetzungen und stattdessen viele Wünsche erfüllt? Wird hierbei nicht

einem Kind oder Jugendlichen zu viel an Entscheidungs-macht überlassen?Erwachsene sollten ihre Motive transparent machen, warum auch Mitbestimmung Grenzen haben muss, und Regelungen und Entscheidungen nötig sind. Mitbestim-mung tut mitunter auch weh. Nur so kommt wirkliche Veränderung in Gang. Regelungen in sozialen Systemen entwickeln ein hohes Maß an Eigendynamik und werden nicht regelmäßig auf ihre Gültigkeit und Notwendigkeit

Selbst- und Mitbestimmungsrecht für Kinder und Jugendliche

Hin-undhergerissenzwischenSelbst-undFremdbestimmung

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hin überprüft. Sie berufen sich häufig auf Gewohnheiten und Traditionen und lassen sich nicht ohne Anstrengung und wirklicher Auseinandersetzung verändern. Mitarbeite-rinnen und Mitarbeiter müssen sich bewusst machen, was an dieser Tradition wichtig und richtig ist. Und dann den ihnen anvertrauten Jugendlichen eine Antwort geben. Eine Antwort, die beide Seiten in den Blick nimmt: den Wunsch nach Mitbestimmung und Beziehung sowie die Erzie-hungsverantwortung der Mitarbeiter für eine gelingende

Organisation des Zusammenlebens. Eine Antwort, die allen wieder neu bewusst macht, dass Machtverhältnisse ständig neu ausgelotet werden müssen und Begründungen für das eigene Handeln nicht unendlich Gültigkeit haben. Wenn Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen diesen Fragen Raum geben, unterstützen sie Kinder und Jugendliche dabei, zu starken und sich einmischenden Persönlichkeiten zu wer-den, die ihren Platz in der Gesellschaft finden.

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Fachtag widmet sich Menschen mit komplexem Unterstützungsbedarf

„InklusionbeginntimHerzen“

Aber was ist zu tun? „Die Behindertenrechtskonvention ist sozusagen ein Auftragsbuch“, so Klauß. Demnach müsse die Chance auf Teilhabe überall geschaffen werden – an-gefangen von der Familie über Bildung, Wohnen, Freizeit, Gesundheitswesen bis hin auch zur Arbeit. Das Erleben von Produktivität, das soziale Zusammensein, der Spaß an Aktivität durch eine geeignete Beschäftigung seien wichtig: „Es gibt gute Beispiele dafür, dass und wie Menschen mit hohem Hilfebedarf Tätigkeiten nachgehen können, die ihnen diese Erfahrungen ermöglichen“, so Klauß. Zudem müsse das Bewusstsein der gesamten Gesellschaft geschärft werden. Ein wichtiger Beitrag dazu seien vor allem Pra-xisbeispiele, die belegen: „Menschen können und wollen teilhaben.“

Gegen ein Schwarz-Weiß-Denken„Die Behindertenrechtskonvention ist ohne Zweifel ein großer Wurf, ein Ideal, ein Fixstern am Firmament der Menschen mit Behinderung und derer, die damit zu tun haben“, erklärte Jörg Munk, Geschäftsführer der St. Gallus-Hilfe. Zugleich forderte er dazu auf, sich mit einem reali-tätsnahen Blick die Thematik anzugehen – gerade aus Sicht eines Trägers, der um die konkrete Lebenssituation dieser Menschen und auch um die Herausforderungen an ihre Angehörigen wisse. Deshalb sei in der Inklusionsdebatte ein Schwarz-Weiß-Denken nicht hilfreich, kritisierte er die „Sehnsucht nach einfachen Lösungen und Antworten“. Es drohe dabei die Gefahr, „dass sich die Praxis der Behinder-tenhilfe in einer Ecke wiederfindet, die mir zumindest ein gewisses Ungemach bereitet“. Was es seiner Meinung nach braucht zur sozialen Teilhabe von Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf? Eine

LIEBENAU – Welche Chancen auf Teilhabe und Inklusi-on haben Menschen mit komplexem Unterstützungsbe-darf? Wie sieht die Lebenssituation solcher Personen mit herausforderndem Verhalten oder Mehrfachbehinderun-gen aus? Mit diesen Fragen beschäftigten sich Vorträge, Diskussionen und Workshops bei einem gut besuchten Fachtag der St. Gallus-Hilfe der Stiftung Liebenau.

„Teilhabe ist eine zentrale Voraussetzung für das Mensch-sein“, stellte Prof. Dr. Theo Klauß klar. Deshalb wurde Teilhabe in der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen zum Menschenrecht erklärt. Und damit auch Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen selbstbestimmt teilhaben können, braucht es Inklusion. Aber gilt das wirklich für alle? Auch für Menschen mit erheblichen und oft mehrfachen körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen, die auf regelmäßige Betreuung, medi-zinische Behandlung, womöglich sogar auf eine Ernährung per Sonde angewiesen sind, die sich selbst kaum oder gar nicht verbal ausdrücken können? Oder heißt es dann: „Mit euch doch nicht, oder?“, wie Prof. Dr. Theo Klauß seinen Vortrag provokant überschrieben hatte, zugleich aber be-tonte: „Inklusionsunfähige Menschen gibt es nicht.“ Klar sei aber: „Menschen mit schwerer und komplexer Behinderung sind besonders gefährdet, ausgegrenzt zu werden.“ Auch in Zeiten der Inklusion. Denn während „Fittere“ immer mehr in „normale“ Lebenszusammenhänge

einbezogen werden, bleiben sie meist in relativ isolierten Lebenssituationen. „Die große Mehrheit unserer Bevöl-kerung und die meisten Ärzte, Therapeuten, Lehrer und Politiker kennen diese Menschen nicht, weil sie in ihrem Alltag nicht vorkommen.“

fachlich - menschlich - gut20

Grenzen erkennen und überwin-den, Barrieren abbauen: Der Psy-chologische Psychotherapeut Dr. Jan Glasenapp zeigte Wege auf, Lösungen zu finden und Inklusion zu verwirklichen.

Prof. Dr. Theo Klauß, Professor für Pädagogik für Menschen mit geistiger Behinderung i. R., sprach über die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention bei Personen mit hohem und komplexem Hilfebedarf.

„Die Außergewöhnlichen“ zeigten mit „Knigge-Tipps“, wie Men-schen mit Behinderung häufig behandelt werden. Das Publikum zollte viel Beifall.

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Kapitel 212121

differenzierte Form von Assistenz, Begleitung und Aktivie-rung, begleitet von sozialstaatlichen Reformen – und eine Portion Mut. Jörg Munk: „Wir sollten wieder mehr Soziales unternehmen und mehr Teilhabe wagen!“

Über Grenzen und EntgrenzungÜber Grenzen und Entgrenzung bei der Arbeit mit Men-schen mit Behinderung sprach Dr. Jan Glasenapp, Psycho-logischer Psychotherapeut aus Schwäbisch Gmünd. Es entstünden Barrieren, an die sowohl Fachkräfte als auch ihre Klienten stoßen. Und leider gebe es hier kein „Navi für Pädagogik“. Bei Inklusion gehe es um das richtige Ausbalancieren verschiedener Spannungsfelder: zwischen Freiheit und Sicherheit, zwischen Beziehung und Struktur, zwischen Verstehen und Verändern. „Die gute Botschaft ist: Alle Grenzen können überwunden werden.“ Dazu brauche es Kreativität und auch eine gewis-se Freiheit, Verantwortung übernehmen zu dürfen: „Wir müssen Lösungen zulassen, die außerhalb dessen liegen, was wir uns bisher erarbeitet haben.“ Und auf die innere Haltung komme es an. Viele sagen: Inklusion beginnt im Kopf. Für Glasenapp steht jedoch fest: „Inklusion beginnt im Herzen.“ Auch sei sie kein erreichbarer Endzustand, kein Ziel, sondern etwas, was uns lebenslang begleite – als Prozess des Nachdenkens über die Sinnhaftigkeit von Gren-zen: „Inklusion ist für mich kein Ziel, sondern ein Wert.“

Workshops mit regem DiskursDie Workshops, geleitet von Mitarbeitern der St. Gallus-Hil-fe und externen Fachkräften, widmeten sich unter anderem der Situation von Menschen mit komplexem Hilfebedarf, der Arbeit und Beschäftigung, dem Bundesteilhabegesetz und dessen Umsetzung aus Sicht des Kostenträgers. Die Teilnehmer nutzten die kleinen Runden für angeregte Diskussionen. Die „Außergewöhnlichen“ der St. Gallus-Hilfe aus Rosenharz hielten dem Publikum einen Spiegel

vor mit ihrem Theaterstück „Inklusion leicht gemacht“. Die Theaterspieler gaben „Knigge-Tipps“ mit auf den Weg. Aus der Perspektive von Menschen mit Behinderung zeigten sie die Behandlung durch Menschen ohne Behinderung, etwa das Streicheln über die Wange, die Kommunikation per Ba-bysprache, das ignorierte „Nein“. Die Gruppe um Regisseur Holger Niegel erntete viel Applaus für ihr darstellendes Können. Den Schlussimpuls des Fachtags setzte Prälat Michael H. F. Brock (Vorstand Stiftung Liebenau). „Dein Reich komme, Dein Wille geschehe“ könne als fundamentales Gebet zu je-der Lebenslage einen Beitrag leisten, so Brock. Unterschied-lichkeit entspreche biblisch gesehen der Vielfalt an Bega-bungen. Solle der Begriff „Angemessenheit“ lebbar werden, seien Antworten darauf zu finden, was für die individuelle Begabung, für die eigenen Möglichkeiten und für das per-sönliche Handicap angemessen ist. Selbstbestimmung statt Fremdsteuerung sei Voraussetzung für die Entfaltung der einzelnen Charismen. Habe man diese erbeten, könne man sagen „Dein Wille geschehe“: Dann handele es sich bei der Unterschiedlichkeit nicht um irdischen Mangel, sondern um göttlichen Willen.

Ein Thema, das bewegt: Auf großes Interesse stießen die Vorträge und Work-shops beim Fachtag der St. Gallus-Hilfe.

Jörg Munk (Geschäftsführer der St. Gallus-Hilfe bedankte sich bei den Fachkräften der St. Gallus-Hilfe sowie externen Referenten, die beim Fachtag mitgewirkt haben. Fotos: Klaus (3), Oschwald

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Bewährtes Team betreut Senioren in Rosenharz

SogelingenerfüllteTage

20 Jahre Kooperation zwischen Kindergarten und St. Gallus-Hilfe

FrüherUmgangmitdem„Anderssein“

ROSENHARZ – Die Erfahrungen der ersten Lebensjahre prägen das eigene Leben. Berührungsängste sind meist noch nicht entwickelt. Das war der Ausgangspunkt der Kooperation des Kindergartens St. Elisabeth in Bodnegg und der St. Gallus-HIlfe. Heute besteht die Kooperation 20 Jahre. Die Ak-teure wissen: Das Engagement trägt Früchte.

„Andere Länder, andere Sitten“ stand als Thema der Erzieherinnen und Kinder im Jahr 1994/95 auf dem Plan. In Gesprächen, bei Aktionen und über Kinderliteratur erfuhren die Kinder, dass „Anderssein“ vielschich-

tig sein kann: eine andere Sprache und Kultur, unterschiedliches Essen, verschiedene Gewohnheiten und Traditionen. Sie erlebten Anderssein in noch einer Art: Ein hörgeschädigtes Kind im Kindergarten gab Anlass, sich Gedanken über Hilfsbedürftigkeit, Vertrauen und verschiedene Strategien zur Alltagsbewältigung zu machen. Im Zuge des Martinsfestes mit dem zentralen Thema „Teilen“ entstand die Idee im Kindergarten etwas im nahen Umfeld zu tun: Zeit teilen, Feste mit-einander teilen, Freundschaft teilen, An-teil-nehmen zum Beispiel mit den Bewohnerinnen und Bewohnern in Rosenharz.Der damalige Regionalleiter Hans-Martin Brüll unterstützte die Idee,

Seit 20 Jahren besteht die Kooperation zwischen der St. Gallus-Hilfe in Rosenharz und dem Bodnegger Kindergarten St. Elisabeth. Foto: privat

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ebenso Lydia Bauer von der Hauswirt-schaft. Im Mai 1995 kamen die Kinder das erste Mal nach Rosenharz, um Räumlichkeiten und Attraktionen wie Airtramp, Wasserklangbett, Töpferei und Schwimmbad kennenzulernen. Mittlerweile haben sich regelmäßi-ge Treffen etabliert. Gemeinsames Tanzen, Bewegen, Singen und Basteln stehen seither auf dem Programm. Ad-ventsfeiern oder Faschingsfeste finden mit wechselseitigen Einladungen statt.1999 gab es für die Kooperation den „Innovationspreis für vorbildliche Ak-tivitäten der Jugend“ des Landkreises Ravensburg und des Landes Baden-Württemberg. In der Auszeichnung heißt es wörtlich: „Das Projekt ist vorbildhaft, weil ein Kindergarten und eine Behinderteneinrichtung gemein-sam versuchen, die Isolation der Be-hinderten in ihrer Einrichtung und die soziale Distanz der Dorfbewohner zur Einrichtung „von unten her“ aufzubre-chen. Kinder lernen Behinderte schät-zen und gemeinschaftlich nehmen sie ihre Wohnumwelt in Besitz.“Beide Einrichtungen erleben die Kooperation bis heute positiv. Die Beteiligten erfahren, dass man trotz des Altersunterschieds und trotz unterschiedlicher Voraussetzungen Spaß miteinander haben, Freundschaf-ten entstehen und man voneinander lernen kann.

Angie Köhler, Elisabeth Weidmann,

Christine Beck

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BODNEGG/ROSENHARZ – Ohne Arbeit oder Beschäftigung kann ein Tag lang sein. Ulrike Gleich, Lollo Koch und Christoff Gerath bieten 73 Senioren, die von der St. Gallus-HIlfe Rosenharz begleitet werden eine breite Auswahl an tagesstruktu-rierenden Angeboten.

Von der Einzelbetreuung über Malen, Singen bis Gymnastik, alles können die Senioren besuchen. Doch immer beginnt der Tag mit der geliebten Zeitung. Wenn Ulrike Gleich vorliest, sind sie alle ganz Ohr. Die Bilder von der Oberschwabenschau werden be-sprochen. Anschließend wird im Atlas geblättert und Afrika entdeckt. Denn auch das Thema Flüchtlinge beschäf-

tigt die Senioren, weckt Erinnerun-gen an die eigene Flucht oder an das Getrenntsein von der Familie.Mit Lollo Koch übernehmen die Senioren kleinere Hilfsdienste in ihren Wohngruppen. Der eigene Beitrag zum Allgemeinwohl ist für viele Senioren wichtig. „Wir arbeiten sehr perso-nenorientiert“, informiert Fachdienst Christoff Gerath. Bei ihm widmen sich die Senioren gerne der kreativen Be-schäftigung, sind schaffende Künstler und Bastler, Gärtner und Naturliebha-ber zugleich, und davon erzählen ihre Bilder. Farbe, Sand, Kleister: Alles ist erlaubt. Jeder darf sich in den Räu-men der Fachdienste nach eigenem Gutdünken entfalten. Große Bühne erhielten sie für ihre Kunstwerke in Radolfzell: Ihre ausdruckstarken

Bewährtes Team betreut Senioren in Rosenharz

SogelingenerfüllteTage

Werke haben die fachkundige Jury des Bundesbehindertenkunstpreises auch im Mai dieses Jahres überzeugt.Für das gemeinsame Mittagessen stehen immer wieder außergewöhn-liche Wünsche auf dem Speiseplan. Wer kennt schon Kutteln oder kann Dampfnudeln backen? Für Lollo Koch kein Problem: „Das habe ich bei mei-ner Mutter gelernt.“ Dieses Wissen zu fördern und zu erhalten, liegt auch Ulrike Gleich am Herzen. Der Her-kunft von Eiern oder Getreide auf der Spur, lädt sie auf den Bauernhof ein. Im Rahmen der Erwachsenenbildung wird gebuttert oder gekäst und für das gemeinsame Frühstück werden Bee-ren eingekocht. Langeweile kommt so nicht auf.

Lioba Scheidel

In der Küche mit Lollo Koch (Heilerziehungspflegerin und Kinder-krankenschwester): Äpfel schneiden, Teig rühren oder ein Lied vorsingen.

Mit Ulrike Gleich (Heilerziehungspflegerin und Fachpädagogin Erwachsenenbildung), ist das morgendliche Lesen der Zeitung Heimat- und Erdkunde zugleich. Fotos: Scheidel

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Lebensraum-Campus: Quartiersprojekt in der Gemeinde Oberteuringen

Innovativundinklusiv

OBERTEURINGEN – Das direkte Lebensumfeld wird im-mer wichtiger. Aktives Zusammenleben wirkt positiv auf das Wohlbefi nden der Menschen und kann eine präven-tive Wirkung haben. Davon profi tieren auch Menschen mit Behinderung, die von der St. Gallus-Hilfe begleitet werden. Die Altenhilfe der Stiftung Liebenau hat um-fassende Erfahrungen bei der Moderation des Zusam-menlebens. Ein neues Projekt entsteht in der Gemeinde Oberteuringen: Es könnte künftig eine Vorreiterrolle in Sachen Inklusion spielen.

Rund 350 Neubürger sollen in Bälde in Oberteuringen Wohnraum finden. „Im Mittelpunkt des neuen Wohngebie-tes steht der Lebensraum-Campus“, beschreibt Bernhard Hösch (Stabsstelle Unternehmensentwicklung der St. Gallus-Hilfe) eine zentrale Besonderheit. „In dem Gebäude entstehen 20 barrierefreie Wohnungen nach dem Konzept der Lebensräume für Jung und Alt.“ Eine Wohnanlage nach diesem Konzept gibt es in der Gemeinde bereits. Außerdem beheimatet das Zentrum Räume für die Begegnung sowie eine Mediathek und Platz für ein Café. „In unmittelbarer Nähe wird ein kleines Haus der Pflege entstehen. Es wird nach dem Konzept der Wohn- und Pflegegemeinschaften betrieben. In drei Gemeinschaften mit jeweils 15 Bewohnern ist eine 24-Stunden-Betreuung möglich. Zusätzlich werden ambulante Pflegeleistungen für Oberteuringen angeboten“, erläutert Stefanie Locher, Geschäftsführerin der Altenhilfe der Stiftung Liebenau. Obwohl Oberteuringen eine junge Gemeinde ist, hat die Vorsorge für ältere Mitbürger eine hohe Priorität, wie Bür-germeister Karl-Heinz Beck schon immer betont.Damit auch Menschen mit Behinderung am Gemeinde-leben teilhaben können, entsteht ein weiteres Wohnhaus für 18 Menschen mit Behinderung sowie eine frei ver-mietbare Vierzimmerwohnung. Außerdem stehen in den Lebensräumen zwei weitere Einzimmerapartments für Menschen mit Einschränkungen bereit, die hier ambulant betreut werden können. Als weiteres Element bietet ein Bildungs-, Begegnungs- und Förderzentrum (BBF) der St. Gallus-Hilfe für zwölf Personen aus der Gemeinde und dem Umland eine Tagesstruktur. Das Gebäude steht in der Nachbarschaft zum künftigen Kinderhaus. Ganz nach dem Motto: Inklusion von Anfang an. Die lebendige Gemeinde verfügt über mittelständische Un-

ternehmen, landwirtschaftliche Betriebe sowie Handwerks-betriebe, die Arbeits- und Ausbildungsstellen bieten. Mit rund 30 Vereinen und Vereinigungen herrscht im Ort ein reges Miteinander. Die verkehrstechnische Anbindung ist vorzüglich. Für eine Gemeinde dieser Größe, könnte man dennoch sagen, handelt es sich um ein gewagtes Projekt. Aber der starke Zusammenhalt innerhalb der Gemeinde stellt es auf ein solides Fundament. Denn von Anfang an wurden die Bürger an dem Vorhaben beteiligt. Und was Hösch besonders betont: „Die Verantwortlichen der Gemeinde und der Gemeinderat stehen mit einer Stimme hinter diesem Projekt.“

Enge ZusammenarbeitDie Gemeinde Oberteuringen und die Stiftung Liebenau arbeiten seit Jahren partnerschaftlich zusammen. Das ge-lungene Zusammenleben in der Wohnanlage „Lebensräume für Jung und Alt“ gilt als Ursprung für das zukunftweisen-de und inklusive Oberteuringen, das für jeden passenden Wohn- und Lebensraum vorhalten will. Schließlich verlangt die Behindertenrechtskonvention, dass auch Menschen mit Behinderung in den Gemeinden leben können. Durch die Entstehung neuer Lebens-, Arbeits- und Wohnmöglich-keiten sollen sie so die Möglichkeit erhalten von ihrem Wunsch- und Wahlrecht Gebrauch zu machen. Damit das Projekt nicht nur baulich gelingen kann, sondern später auch das soziale Zusammenleben der Bürger, basiert die Arbeit auf dem Konzept der Lebensräume. Das Zusam-menleben wird durch eine Fachkraft der Gemeinwesenar-beit moderiert, die bei der Altenhilfe der Stiftung Liebenau angestellt ist.

Inklusion braucht Partner„Die Kommune ist sich ihrer Verpflichtung bewusst. Sie hat Vorbildcharakter“, ist Hösch überzeugt. Aufgefordert am lebendigen Gemeindeleben teilzunehmen, sind aber alle. Hösch erwähnt etwas Grundlegendes: Für ein Projekt solchen Ausmaßes braucht es kompromissfähige Partner und eine große Transparenz. In Oberteuringen war früh klar, dass die Gemeinde – aufgrund der guten Erfahrungen

Bildungs-, Begegnungs- und Förderzentrum (BBF)12 Plätze für Menschen mit hohem Förderbedarf;Tagesstruktur mit verschiedenen Angeboten

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Gerhard Schiele, ehemaliger Geschäftsfüh-rer der Altenhilfe der Stiftung Liebenau, war bereits bei den Lebensräumen wich-tiger Ansprechpartner für die Gemeinde. Von ihm stammt die Idee der Weiterent-wicklung des Konzepts für den gesamten Sozialraum:

„DieGemeindekamaufdieLiebenauerAltenhilfezu.ZunächstwegeneinerzweitenWohnanlage.BeidenanfänglichenÜberle-gungenbrachtenwirdasThemaHilfenfürMenschenmitBehinderunginsSpiel.AbdemMomentwarderGrundsteinfüreinganzheitliches,inklusivesOberteuringengelegt.ImZentrumdesgesamtenProjektesstehtderLebensraum-Campus.ErsollzueinemoffenenZentrumfürdieGemeindewerden.KindergartenundKinderhaussol-lenebensowiedasPflegehausundderBereichBildung,BetreuungundFörderungfürMenschenmitBehinderungselbstver-ständlicherTeildesGanzensein.Alten-undBehindertenhilfewerdenSynergieeffektenutzenkönnen.DieGemeinwesenarbeitbekommteineganzandereFunktionundeinevölligneueDimension.SiewirdQuar-tiersarbeitfürdengesamtenSozialraumunterderRegiederAltenhilfeleisten.“

Kinderhaus Kinderkrippe für 10 Kinder (bis 3 Jahre)Kindergarten mit 2 Gruppen à 28 Kinder (3 bis 6 Jahre)

Haus der Pflege (Altenhilfe)45 Plätze in drei WohngruppenRundum-Versorgung mit zusätzlichen ambulanten Diensten

Entree ins Quartier18 Wohnungen Lebensräume für Jung und Alt2 Wohnungen für Menschen mit Behinderung (ambulante Unterstützung)Mediathek, Familientreff, Marktplatz mit Café

Wohnhaus18 Plätze für Menschen mit Behinderung4-Zimmerwohnung (frei vermietbar)

Private Wohnhäuser

– mit der Stiftung Liebenau auf der gewohnt partnerschaft-lichen Basis weiterarbeiten möchte. Von Anfang an war die örtliche Bürgerstiftung ebenso mit im Boot, wie Prof. Dr. Sigrid Kallfass von den Steinbeis-Transferzentren Sozialplanung, Qualifizierung und Innova-

tion, die für das Projekt soziale Erhebungen und Erfahrun-gen liefert. Außerdem ist auch der Bodenseekreis von dem Projekt überzeugt. Der Bereich der Hilfen für Menschen mit Behinderung wird gefördert über „Impulse Inklusion“ des baden-württembergischen Sozialministeriums.

Der Lebensraum-Campus

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Smoothfood macht Nahrungsaufnahme zum Genuss

Sterne-Essen,dasaufderZungezergeht

LIEBENAU/ROSENHARZ – Ab in den Mixer: Alle schauen fasziniert zu wie Herbert Thill Essen zuberei-tet. Smoothfood – also Püriertes – für Menschen mit Kau- und Schluckbeschwerden entsteht hier. Bei einer Fortbildung erhielten Gruppenmitarbeiterinnen der St. Gallus-Hilfe Hilfestellung und Ideen fürs Frühstück oder Zwischenmahlzeiten.

Hochsommerliche Temperaturen herrschen in der Küche im Haus St. Johanna der St. Gallus-Hilfe in Rosenharz. Ein Fruchtsaft, den Herbert Thill mischt, ist da genau das Richtige. Die Frauen probieren den Saft aus Karotte, Apfel und Ananas, wenig später die gleichen Zutaten aus einer „Wihipperflasche“. Diese Geräte sind vergleichbar mit Sahnespendern und gehören zu Thills Ausrüstung. Tut der Saft bereits gut, kommt die zweite aufgeschäumte Variante noch intensiver, noch aromatischer und geschmeidiger daher. Thill entlockt den Frauen viele „Ohs“ und „Ahs“, während sie die Masse löffeln. In Staunen versetzt er die Teilnehmerinnen auch, als er das Frühstück zubereitet: Toast mit Schinken und Spiegelei. Für Bewohner mit Kau- oder Schluckproblemen undenkbar zu essen, was für sie mit dem Verlust an Geschmackserleb-nissen verbunden ist. Thill zeigt Abhilfe. Nach dem Rösten packt er Toast, Schinken und Spiegelei in einen leistungs-starken Mixer und zerkleinert alles intensiv. Mit Brühe aufgegossen, packt er die Masse in den Whipper. Fertig ist der Frühstücksschaum. „Schmeckt man das Spiegelei?“ fragt Thill die Frauen. Die meisten bejahen und schildern was sie schmecken. Organisiert hat die Fortbildung Verena Bucher, überregio-nale Leitung Hauswirtschaft der St. Gallus-Hilfe. Zwischen-durch erinnert sie den Smoothfood-Experten an das Erleb-nis mit den transparenten roten „Luftkugeln“. Die stellt Thill aus Rote-Beete-Saft mit Hilfe einer kleinen Pumpe her. Gelöffelt zerplatzen die Kugeln augenblicklich im Mund. Zurück bleibt der intensive Geschmack. Menschen, die mit einer Sonde ernährt werden, erleben mit dieser Form der basalen Stimulation geschmackliche Anregungen.Um Smoothfood von süß bis deftig und von Fleisch bis Gemüse zubereiten zu können, braucht es ein paar Ausstat-tungsgegenstände wie Mixer und Whipperflaschen sowie einige Zutaten, die den feinen Unterschied zu püriertem oder passiertem Essen ausmachen. 40 bis 50 Durchläufe

mit verschiedenen Testphasen braucht es für den Smooth-food-Koch, bis eines seiner neuen Rezepte endgültig steht. Eine Anstrengung, die sich für viele Menschen lohnen dürfte, die durch wiedergefundene Geschmackserlebnisse ein Stück Lebensqualität erfahren. Rund 40 Gruppenmit-arbeiter haben die in vier Blöcke aufgeteilte Fortbildung besucht. Neben Begeisterten und Smoothfood-Erfahrenen nahmen auch einige Skeptiker teil: Herbert Thill gelang es in kurzer Zeit, alle von der guten Sache zu überzeugen. Seine Fortbildung wurde im Rahmen eines Projektes der St. Gallus-Hilfe und der Liebenau Service GmbH (LiSe) angeboten, das zum Ziel hat, Kost für die Heimbewohner zu verbessern.

Anne Oschwald

Herbert Thill, Experte in Sachen Smoothfood, gibt den Fortbildungs-teilnehmern einige Rezepte und Kniffe mit unter anderem wie Toast mit Schinken und Spiegelei als Smoothfood hergestellt werden kann. Foto: Oschwald

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Anna Schmidt Juditha Hegedüs Elisabeth Klöpf

Anna Schmidt wurde

am 10.01.1925 in

Ungarn geboren. Ihre

Mutter starb, als sie

zwölf Jahre alt war.

Kurz danach wurde sie

mit ihrem Vater aus der Heimat vertrieben und

kam über viele Umwege nach Deutschland.

Die Flucht hat sie sehr mitgenommen: Anna

zog sich ein Lungenleiden zu und wurde in

Rosenharz behandelt. Dann führte sie der Weg

in den „alten Hegenberg“, wo sie als Hilfskraft

für die Klosterschwestern arbeitete. In den

letzten 13 Jahren ihres Lebens genoss sie die

Vorzüge eines Einzelapartments in Klara 01.

Sie arbeitete bis zu ihrem 70. Lebensjahr in der

Schneiderei, denn mit Nadel und Faden konnte

sie sehr gut umgehen. In ihrer Freizeit hat Anna

leidenschaftlich gerne Tischdecken und Läufer

gestickt. Viele davon hat sie großzügig an ihre

Freunde und Verwandten verschenkt. Spät hat

sie noch das Malen entdeckt. Ihr Apartment

war stets mit wechselnden Bildern dekoriert.

Anna Schmidt war eine mutige Frau. Das stellte

sie unter Beweis, als sie sich mit 84 Jahren

noch beide Kniegelenke operieren ließ, um der

fortschreitenden Arthrose entgegen zu wirken.

Innerhalb kurzer Zeit war sie wieder mobil

und konnte sich schmerzfrei mit dem Rollator

bewegen. Dabei hielt sie gerne ein „Schwätz-

chen“ und war immer gut über die neuesten

Vorkommnisse in ihrem Umfeld informiert.

Ende vergangenen Jahres fi eberte sie ihrem

90. Geburtstag entgegen, den sie im Gasthaus

ausgiebig mit vielen Freunden feierte. Danach

ging es ihr gesundheitlich nicht mehr so gut.

Ende April musste sie ins Krankenhaus eingelie-

fert werden. Als nach vier Wochen kurzfristig

die Entlassung anstand, wurde sie in Pirmin 01

in Liebenau mit offenen Armen aufgenommen

und mit viel Liebe und Fürsorge gepfl egt, bis sie

in der Nacht zum 17. Juni friedlich eingeschla-

fen ist. Anna Schmidt war eine sehr gläubige

Frau. Wir hoffen und wünschen ihr sehr, dass

sie nun dort ist, wo sie ihr Leben lang hingehen

wollte: in die ewige Heimat zum Sohn Gottes.

Bewohner und Mitarbeiter

der Apartments St. Klara und der

Wohngruppe Pirmin 01 Liebenau

Juditha Hegedüs wurde

am 15.10.1930 in

Budapest geboren.

Dort lebte sie mit

ihren Eltern und ihrem

älteren Bruder in einem

herrschaftlichen Haus mit Garten, Haushälterin

und Dienstmädchen. Frau Hegedüs genoss eine

sorgenfreie Kindheit und Jugend. Sie entwickel-

te vielfältige musische Interessen. Ihre große

Vorliebe und Leidenschaft für klassische Musik

blieb ihr bis zu ihrem Lebensende erhalten. Sie

besaß unzählige CDs, aus denen sie täglich pas-

sende Musik auswählte. Ihr fundiertes Fachwis-

sen zu den einzelnen Musikstücken erstaunte

so manchen Mitarbeiter. In den Jahren 1954 bis

1956 fl üchtete ihre Familie in den Westen. Frau

Hegedüs musste auch einige Zeit in einem Lager

für jüdische Flüchtlinge zubringen. Diese Zeit

hat sich sehr belastend auf ihr „feines Seelenwe-

sen“ ausgewirkt. 1959 kam Frau Hegedüs in die

Stiftung Liebenau. Unter den Ordensschwestern

konvertierte sie zum katholischen Glauben. In

ihrem Herzen jedoch blieb sie zeitlebens Jüdin.

Der wichtigste Mensch und engste Vertraute in

ihrem Leben war ihr Bruder. Da er in Barcelona

lebte, kam es nur einmal jährlich zu persön-

lichen Treffen. Jedoch standen sie in regel-

mäßigem Telefon- und Briefkontakt. Der Tod

des Bruders war ein großer Schicksalsschlag.

Wohltuend war, dass die Schwägerin den

Kontakt liebevoll weiterpfl egte. Wir lernten eine

lebhafte, wache und interessierte ältere Dame

kennen, die es uns leicht machte eine vertrau-

ensvolle, offene und herzliche Beziehung zu ihr

aufzubauen. Ihre aufgeweckte und freundliche

Art unterstrich sie oft durch Aussagen, die uns

so manches Mal schmunzeln ließen.

Aufgrund einer schweren Erkrankung war sie

die letzten sechs Lebensmonate bettlägerig. Sie

verbrachte sehr viel Zeit damit ihr Leben Revue

passieren zu lassen und wir kamen in den Ge-

nuss vieler persönlicher Erzählungen. Wir sind

dankbar über die gemeinsame Zeit und dass wir

sie auf diesem letzten Stück ihres Lebensweges

begleiten durften.

Bewohner und Mitarbeiter von

Gertrudis 01/02 Rosenharz

Man könnte

den Teil ihres

Lebens, den

Frau Klöpf bei

uns verbracht

hat, natürlich

mit ein paar

dürren Fakten

beschreiben:

Eingezogen in die Wohngruppe KAT 11/12 in

Leutkirch im September 2002, nach dem Tod

ihrer Mutter, bei der sie bis zu diesem Zeitpunkt

gelebt hatte. Beschäftigt zunächst in der OWB

Kisslegg, später lange Jahre im Förder- und

Betreuungsbereich im Haus St. Katharina. Und

schließlich am 30.05.2015 im Krankenhaus

in Wangen im Alter von knapp 63 Jahren

gestorben.

Man kann aber auch versuchen, die Erinne-

rungen an sie zu beschreiben, die uns bleiben

werden: Dass sie es oft nicht leicht hatte, seit

wir sie kannten, sie es sich aber auch nicht

leicht machte. Dass sie ein sehr sozialer Mensch

war und menschliche Kontakte brauchte und

genoss. Dass sie ihre Hilfsbereitschaft zeigte, so

oft und so lange sie es noch konnte: jeder lose

Knopf wurde angenäht, jeder Wäschestapel

eingeräumt, jede Vespergurke kleingeschnitten.

Dass sie lange Zeit noch sehr fi ngerfertig war

und akkurate Stickereien fabrizierte. Dass sie

ein, für den stationären Bereich so ungewöhn-

liches Hobby wie ihre umfangreiche Briefmar-

kensammlung pfl egte. Dass trotz aller Schwere

und allem, was sie in den letzten Jahren zu

ertragen hatte, trotz aller sich verabschiedenden

Erinnerungen und Fähigkeiten ihr verschmitz-

ter Humor und ihre Wärme immer wieder

durchblitzten.

Diese Erinnerungen werden uns erhalten blei-

ben, nicht nur die dürren Fakten.

Bewohner und Mitarbeiter von

KAT 11/12 Leutkirch

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Julia Wentzler Telefon: 07542 10-2023Esther Kiefer Telefon: 07542 10-2024Thomas Bürkle Telefon: 07542 10-2311

Eberhard Bleher Telefon: 07542 10-2440E-Mail: [email protected] Közle Telefon: 07542 10-2510E-Mail: [email protected]

LeitungMarkus WursthornE-Mail: [email protected] Telefon: 07542 10-2101Susanne Aggeler Telefax: 07542 10-2119E-Mail: [email protected]

LeitungChristine BeckE-Mail: [email protected] Telefon: 07520 929-2602Heide Grothe Telefax: 07520 929-2604E-Mail: [email protected]

LeitungStefan FrickerE-Mail: [email protected] WorschischekE-Mail: [email protected] Telefon: 07542 10-2117 Leonie Thoma Telefax: 07542 10-2305E-Mail: [email protected]

LeitungFranz WalterE-Mail: [email protected] Telefon: 07542 10-2022Ingrid Neuwirth Telefax: 07542 10-2020E-Mail: [email protected]

| Sozialdienst (Informationen, Anfragen und persönliche Beratung)

| Kinder, Jugendliche und Familie Hegenberg 88074 Meckenbeuren

| Stationäres Wohnen für Erwachsene Bodenseekreis/Sigmaringen Siggenweilerstraße 11 88074 Meckenbeuren

| Stationäres Wohnen für Erwachsene Landkreis Ravensburg Rosenharz 1 88285 Bodnegg

| Arbeit und Bildung Siggenweilerstraße 11 88074 Meckenbeuren

| Ambulante und offene Hilfen Siggenweilerstraße 11 88074 Meckenbeuren

Die St. Gallus-Hilfe im Überblick Angebote der St. Gallus-Hilfe

St. Gallus-Hilfe gGmbH Siggenweilerstraße 11 88074 Meckenbeuren [email protected] www.st.gallus-hilfe.de

Impressum

Spendenkonto: Stiftung Liebenau

Sparkasse BodenseeKto. 209 944 71, BLZ: 690 500 01IBAN: DE 35 6905 0001 0020 9944 71BIC: SOLADES1KNZ

Geschäftsführung Stabsstelle Unternehmensentwicklung

Jörg MunkE-Mail: [email protected] Telefon: 07542 10-2000Elisabeth Herz Telefax: 07542 10-2020E-Mail: [email protected]

Bernhard HöschE-Mail:[email protected]: 07542 10-2003Telefax: 07542 10-2020

Kinder und JugendlicheFrühförderungSchuleBerufs(aus)bildungKurzzeitwohnenAmbulant Betreutes JugendwohnenBetreutes Wohnen in FamilienWohnhäuser, Wohngemeinschaften, AppartementsSozialmedizinische Nachsorge Kinderhospizdienst

ErwachseneFreizeit- und Bildungsangebote Berufliche (Aus-)BildungsangeboteDifferenzierte Arbeit und BeschäftigungAmbulante ArbeitsassistenzangeboteWohnhäuser, Wohngemeinschaften, AppartementsKurzzeitwohnenAmbulant Betreutes WohnenBetreutes Wohnen in FamilienTrainingswohnenWohnhäuserPersönliches Budget

AngehörigeFamilienentlastende AngeboteFamilienfreizeiten

Kindergärten und SchulenFachdienst Teilhabe für Erzieher/-innen und Lehrer/-innen

Redaktion: Helga Raible (verantw.),Anne Oschwald, Susanne Droste-Gräff Auflage: 4000Ausgabe: 1/2016Erscheinungsweise: 2 Ausgaben pro Jahr