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'Wir sind wie Vogel mit einem gebrochenen Die Abschiedsworte, die Hauptling Plenty Coups 1901 am Little Bighorn an sein Volk richtete, durchdringen das Buch, das RENE OTII den un- tergegangenen Kulturen Nord- und Siidamerikas widmet. In "AUF DEN SPUREN DER INDIA- NER. Geschichte und Kultur der Ureinwohner Amerikas" (Ensslin-Laiblin Verlag, Reutlingen 1988) bricht der Autor mit dem herkiimmlichen Indianerbild und beschreibt ausfiihrlich und en- gagiert die Lebensweisen der nordamerikani- schen Stâmme, aber auch die Kulturen Mittel- und Siidamerikas. Er fiihrt auf eindringliche Art und Weise die Ausrottung dieser jahrtausendeal- ten Kulturen vor Augen, die der Hab- und Macht- gier der Weissen, aber auch einem falsch verstandenen Missionierungsbestreben zum Opfer fielen. Fast ist es so unabanderlich wie ein klassisches Koch- rezept: man nehme eine rote Haut, bunte Federn, einen perlenbestick ten Anzug aus Fensterleder, einen Tomahawk, gegebenenfalls eine Friedenspfei- fe, stecke die einen auf den Kopf, ziehe den anderen Ober die Haut, befestige den Tomahawk am Giirtel, stecke die Pfeife (wenn nOtig) in den Mund und wiirze das Ganze mit einer Prise Mut und viel Ver- schlagenheit. Fertig ist das klassische Indianerbild, das uns die Bucher eines Karl May oder James Fen- nirnore Cooper sowie zahlreiche Wild westfilme ver- mitteln. Die tiefe Verbundenheit des Indianers mit der Natur, seine zum Teil hochentwickelten sozialen und politischen Strukturen und die systematische Ausrottung seiner Volker durch den weissen Mann kommen nur selten zur Sprache, denn Fume wie "Little Big Man" halten uns einen Spiegel vor Augen, der uns mit einer Kollektivschuld konfrontiert, die wir nicht wahrhaben wollen. Wenn man in dem Zu- sammenhang die so bequeme Gnade der spaten Geburt herbeizitieren will, bleibt immer noch unsere Teilnahmslosigkeit an dem Schicksal der heutigen Indianer Nord- und Siidamerikas. Um so wichtiger ist es daher, wenn ein Buch auf den Markt kommt, das mit den althergebrachten, beruhigenden Klische- es aufraumt, und das uns die Lebensweise und Schicksale der Ureinwohner des arnerikanischen Kontinentes in ihrem richtigen historischen und eth- nologischen Kontext zeigt. Rene Oth hat mit "Auf den Spuren der Indianer, Geschichte und Kulturen der Ureinwohner Amerikas", erschienen im Oktober 1988 im Ensslin und Laiblin Verlag, Reutlingen, ein Werk geschaffen, das sowohl vom Text als auch von der Illustration her eine groBe Lucke schlieSt. Schon die Aufteilung seines Buches macht deutlich, auf welcher Seite der Autor steht. Den Lebensraum der nordamerikanischen Indianer halt er fur "ein ver- lorenes Paradies", und er widmet ihrer vielfaltigen und interessanten Kultur mehr als siebzig Seiten. Die "VOlker der Sonne" in Mittel- und Siidamerika lebten in "versunkenen Konigreichen" und in den "Hoch- kulturen der Anden". Wenn 1992 fur Europa ein Stichdatum werden soil, so jahrt sich 1992 auch zum fiintdundertsten Mal die Landung Christoph Columbus' auf GLanahani in den heutigen Bahamas. DaB die Indianer dieses Tages nicht mit Freude gerienken, dUrfe wahrscheinlich sein. Aber auch unter den Nachfolgern der europaischen Kolonisatoren scheint ein Streit auszubrcchen: die Iroamerikaner behaupten sich auf eine Niederlassung irlandischer MOnche in der Neuen Welt gegen 600 n. Chr, wahrend die Skandinavier die Uberfahrt des Wi- kingers Leif Eriksons urn das Jahr 1000 feiern wollen. Alle gehen also davon aus, daB die Ankunft des weiBen Mannes in der Neuen Welt ein Ereignis war, das sich zu feiern lohnt. "Nach Ankunft der WeiBen wurde einer Jahrtausende wdhrenden eigen- standigen Kulturentwicklung ein jdhes Ende bereitet. Die Spanier, die sich als Botschafter des Christen- turns verstanden, zogen im Goldrausch pliindernd durch Mittel- und Sudamerika; je weiter die Englan- der und Franzosen im nOrdlichen Teil des Kontinents nach Westen vorriickten, desto mehr schrumpfte das von Indianers besiedelte Land zusammen. In ihren Raufereien urn die Vorherrschaft in der Neuen Welt scherien sich die Europder keinen Deut um die Belange der arnerikanischen Ureinwohner. Mit kOr- perlichem Totschlag (Genozid) und kulturellem ma z 1989 51

Wir sind wie Vogel mit einem gebrochenen - forum.lu€¦ · Wenn man in dem Zu-sammenhang die so bequeme Gnade der ... dem Meer, andere mit dem Eis, wie die Eskimos, ... Der Pfeifenkopf

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'Wir sind wie Vogel miteinem gebrochenen

Die Abschiedsworte, die Hauptling Plenty Coups1901 am Little Bighorn an sein Volk richtete,durchdringen das Buch, das RENE OTII den un-tergegangenen Kulturen Nord- und Siidamerikaswidmet. In "AUF DEN SPUREN DER INDIA-NER. Geschichte und Kultur der UreinwohnerAmerikas" (Ensslin-Laiblin Verlag, Reutlingen1988) bricht der Autor mit dem herkiimmlichenIndianerbild und beschreibt ausfiihrlich und en-gagiert die Lebensweisen der nordamerikani-schen Stâmme, aber auch die Kulturen Mittel-und Siidamerikas. Er fiihrt auf eindringliche Artund Weise die Ausrottung dieser jahrtausendeal-ten Kulturen vor Augen, die der Hab- und Macht-gier der Weissen, aber auch einem falschverstandenen Missionierungsbestreben zumOpfer fielen.

Fast ist es so unabanderlich wie ein klassisches Koch-rezept: man nehme eine rote Haut, bunte Federn,einen perlenbestick ten Anzug aus Fensterleder,einen Tomahawk, gegebenenfalls eine Friedenspfei-fe, stecke die einen auf den Kopf, ziehe den anderenOber die Haut, befestige den Tomahawk am Giirtel,stecke die Pfeife (wenn nOtig) in den Mund undwiirze das Ganze mit einer Prise Mut und viel Ver-schlagenheit. Fertig ist das klassische Indianerbild,das uns die Bucher eines Karl May oder James Fen-nirnore Cooper sowie zahlreiche Wild westfilme ver-mitteln. Die tiefe Verbundenheit des Indianers mitder Natur, seine zum Teil hochentwickelten sozialenund politischen Strukturen und die systematischeAusrottung seiner Volker durch den weissen Mannkommen nur selten zur Sprache, denn Fume wie"Little Big Man" halten uns einen Spiegel vor Augen,der uns mit einer Kollektivschuld konfrontiert, diewir nicht wahrhaben wollen. Wenn man in dem Zu-sammenhang die so bequeme Gnade der spatenGeburt herbeizitieren will, bleibt immer noch unsereTeilnahmslosigkeit an dem Schicksal der heutigenIndianer Nord- und Siidamerikas. Um so wichtigerist es daher, wenn ein Buch auf den Markt kommt,das mit den althergebrachten, beruhigenden Klische-es aufraumt, und das uns die Lebensweise undSchicksale der Ureinwohner des arnerikanischenKontinentes in ihrem richtigen historischen und eth-nologischen Kontext zeigt. Rene Oth hat mit "Aufden Spuren der Indianer, Geschichte und Kulturen

der Ureinwohner Amerikas", erschienen im Oktober1988 im Ensslin und Laiblin Verlag, Reutlingen, einWerk geschaffen, das sowohl vom Text als auch vonder Illustration her eine groBe Lucke schlieSt.

Schon die Aufteilung seines Buches macht deutlich,auf welcher Seite der Autor steht. Den Lebensraumder nordamerikanischen Indianer halt er fur "ein ver-lorenes Paradies", und er widmet ihrer vielfaltigenund interessanten Kultur mehr als siebzig Seiten. Die"VOlker der Sonne" in Mittel- und Siidamerika lebtenin "versunkenen Konigreichen" und in den "Hoch-kulturen der Anden".

Wenn 1992 fur Europa einStichdatum werden soil, so jahrt

sich 1992 auch zumfiintdundertsten Mal die Landung

Christoph Columbus' aufGLanahani in den heutigen

Bahamas. DaB die Indianer diesesTages nicht mit Freude gerienken,

dUrfe wahrscheinlich sein.

Aber auch unter den Nachfolgern der europaischenKolonisatoren scheint ein Streit auszubrcchen: dieIroamerikaner behaupten sich auf eine Niederlassungirlandischer MOnche in der Neuen Welt gegen 600 n.Chr, wahrend die Skandinavier die Uberfahrt des Wi-kingers Leif Eriksons urn das Jahr 1000 feiernwollen. Alle gehen also davon aus, daB die Ankunftdes weiBen Mannes in der Neuen Welt ein Ereigniswar, das sich zu feiern lohnt. "Nach Ankunft derWeiBen wurde einer Jahrtausende wdhrenden eigen-standigen Kulturentwicklung ein jdhes Ende bereitet.Die Spanier, die sich als Botschafter des Christen-turns verstanden, zogen im Goldrausch pliindernddurch Mittel- und Sudamerika; je weiter die Englan-der und Franzosen im nOrdlichen Teil des Kontinentsnach Westen vorriickten, desto mehr schrumpfte dasvon Indianers besiedelte Land zusammen. In ihrenRaufereien urn die Vorherrschaft in der Neuen Weltscherien sich die Europder keinen Deut um dieBelange der arnerikanischen Ureinwohner. Mit kOr-perlichem Totschlag (Genozid) und kulturellem

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Geister oben Unterwassergeister Schnee Feuer

Mord (Ethnozid) vergingen sich die fremden Erobe-rer an den Indianern..." (S.10).

Das verlorene Paradies dernordamerikanischen indianerEs ist nicht mOglich, ein einheitliches Bud der Kulturder Ureinwohner des nordamerikanischen Kontinen-tes zu zeichnen, denn die Nachkommen der Bewoh-ner der sibirischen Steppen, die gegen 36 000 v. Chr.Ober die zugefrorene BeringstraBe in Amerika einwanderten, haben vielfaltige Lebens- und Kulturfor-men entwickelt. Die Waldlandschaften des Nord-ostens pragten das Leben der dort lebenden %name,wahrend die Siedler des Sadostens seBhafte Acker-bauern waren. Die klimatischen Verhaltnisse dersiidwestlichen Wiistengebiete (Neu Mexiko,Arizona) beinfluBten die Wohn- und Lebensweisender Apachen, Navahos und Pueblos, die in klug kon-zipierten Stadten wohnten, wahrend die Prarieindia-ner (Comanchen, Sioux, Cheyennes, Pawnees u.a.)ihren Alltag den Erfordernissen eines Nomadenlebenbeugen muBten. Manche VOlker teilten ihr Leben mitdem Meer, andere mit dem Eis, wie die Eskimos, z.B.Aber nicht nur ihre geographische Umwelt war ver-schieden, sondem auch ihre Gesellschaftsformen,ihre politischen Infrastrukturen, ihre religiOsen Vor-stellungen und ihre Sprachen.

Die FriedenspfeifeDer Pfeifenkopf aus rotem Stein stellte die

Erde dar. Das aus Holz gemachte PfeifenrohrverkOrperte alles, was hienieden wuchs. DieTabakkrumen symbolisierten alle Wesen des

Weltalls. Die am Pfeifenstiel befestigten Adler-federn versinnbildlichten alle geflOgelten Tierein der Luft. Der blauen und grOnen Pfeifenbe-malung wurde auch eine symbolische Bedeu-tung zugemessen: Die beiden Farben spiegel-

ten die kosmische Gegensatzlichkeit widervon Himmel und Erde, Tag und Nacht, Kriegund Frieden, SUden und Norden, Sonne undMond. Damit stellte die heilige Pfeife eine ge-

heimnisvolle Einheit zwischen Mensch undWeltall her. Alle VOlker und Dinge des

Kosmos gesellten sich zu dem, der dasCalumet rauchte und dadurch zugleich fOr alleund mit allem Manitu (Das GroBe Geheimnis)betend anrief, urn sich Ober Wohl und Wehe

seines Stammes zu erkundigen. (S. 118)

Hauptlinge und Sachems leiteten das Geschick ihrerStamme und ihnen oblag die Entscheidung, ob dasVolk Widerstand gegen die WeiBen leisten, sichihnen unterwerfen oder sich mit ihnen verbandensollte. Vor der Ankunft des weiBen Mannes glich ihreKriegsfahrung eher den europaischen Turnierspielendes Mittelalters. Sic legten weniger Wert auf men-schenmordende Schlachten, als auf Zweikampfe, dieihnen persOnlichen Ruhm und Ehre einbrachten. Die(Un)Sitte des Skalpierens, die im alten Mexiko ver-breitet war (zu Ehren des Gottes Xipe Totec wurdendie erschlagenen Opfer gehautet), setzte sich inNordamerika erst durch, als die Franzosen und dieEnglander Skalppramien in Aussicht stellten. AuBer-dem lieferten sic den Indiancrn mit dem Messer dasgeeignete Instrument dazu. Marterpfahl und Torturwaren besonders bei den Indianern der OstlichenWaldgebiete verbreitet, und wenn auch nichts diesenMethoden ihre Grausamkeit und ihre Menschenver-achtung nimmt, sollten sic doch relativiert werden."Jene franzOsischen und spanischen Schreiber, dievoller Entsetzen die Folter der Ind iancr beschrieben,entstammten Gesellschaften, die Frauen und KinderInquisitionen untcrzogen, wie sie sich ein amerikani-scher Ureinwohner nicht hatte vorstellen kOnnen"(T.R. Fehrenbach, zit. S. 113).

Wenn die Clanmiitter auch cinen gewissen politi-schen EinfluB hattcn, war die einfache Squaw"Eheweib, Mutter, Schwerstarbeiterin undrin zug\oich^ (S. 117). Sie muBte ihrem Mann jedenWunsch von den Augen ablesen, seine Kinder auf einLeben in schwieriger Umwelt erziehen, ihnen S tam-messitten und religiose Riten beibringen. Sie erledig-te die Feldarbeit, sorgte far die Nahrung und sammel-te Heizmaterial fiir die Familie. Sic fertigte die Klei-dung an und beherrschte die Kunst derKorbflechterei so perfekt, daB die KOrbe bei denStammen, die Keramik nicht kannten, zum Aufbe-wahren von Flassigkeiten verwendet werdcnkonnten. Der Wert einer jungfraulichen Braut warungleich haler als der eines "beriihrten" Madchens.Die EheschlieBungen waren so unkompliziert wie dieScheidungen, die sich meist wegen Ehebruchs, aberauch wegen Faulheit des Mannes oder der bOsenZunge der Frau ergaben. Obschon eine "Frau einfachdie Ehe auflOsen (konnte) indem sic die Habseligkei-ten des Mannes aus dem Tipi warf, das ihr persOnli-ches Eigentum war" (S. 121), hatte ihr Mann dennochdas Recht, wenn er sie bei Ehebruch ertappte, ihrNase und Zapfe abzuschneiden. Da zahlreicheManner im Krieg oder auf der Jagd umkamen, kames bei manchen Stam men zur Polygam ie. Die India-

GroB

Berge

aus: H.J.Stammel, In-dianer, Leben, Kampf,

untergang ;Schlecht Krieg Baume, Wald . Verehrung Skalps Ge hen Sehen

hk tograph Indianische Symbolspruche ( einige Beispiele )

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oru 109

Frau Krankheit GroBer Geist LandMann Geist Inseln

A A

ner brachten ihren Kindern sehr viel Liebe entgegen,was sie aber nicht daran hinderte, sie bei Zeiten aufeine rauhe Umwelt vorzubereiten.

Die Behausungen der Indianer waren so vielfaltigwie ihre Stamme. Wohnten die nomadischen Prarie-indianer in zerlegbaren Tipis aus Btiffelhaut, bautendie Seminolen in den FluBgegenden Floridas Pfahl-bauten mit Giebeldach, die Apachen kuppelfOrmigeFlatten aus Asten und Gestrapp und die Pueblo-In-dianer terrassenfOrmige Hauser aus Lehmziegeln,deren einzelne Stockwerke nur fiber Leitern zu errei-chen waren. Die Algonkin, die Halbnomaden waren,bauten sich runde Hiitten mit Rauchabzug, die abernicht zerlegbar wie die Tipis waren. Aus dem Algon-kin-Wort far diese Behausung entstand der bei unsgebrauchliche Begriff WIGWAM.

Der &MelAuf dem uralten Weideplatz fOr unendliche

BOffelherden lebten kaum mehr als einhundert-zwanzigtausend lndianer, die der zahlreiche

"Buffalo" mit alien lebensnotwendigen Artikelnversorgte: "Fleisch zum Kochen und Braten,getrocknet und als Pemmican; schwere Klei-

dung und dicke Haute fiir den Winter, FeIle fOrdie Lager, gegerbtes Leder als Decken oderfOr Schuhwerk und Sommerkleidung; geOlte

BOffelkalbhaute Mr die leichten, luftigen,warmen und bequemen Tipis; schlieBlich dasberOhmte "Bullboat" aus einem runden Astge-flecht und einer darOber gespannten Bullen-haut oder auch aus der geschrumpften Hals-haut des Buffets, die jeder Lanze standhielt.Kasten, Taschen, Lederriemen und tausendandere Dinge waren aus BOffelhaut, Hackenund Beile aus dem Schulterblatt, Werkzeuge

aus den BOffetrippen, Leim aus dem Huf,weiche Decken aus dem Haar, Sehnen zumNahen, Nadeln aus Knochen, LOffel aus denHOrnern, Farben aus Blut und Erde." (H.-J.

Stammel) (S. 137)

Der Baffel war fiir die Prarieindianer, die keinenAckerbau betreiben konnten, die Existenzgrundlageschlechthin. Anfangs erlegten sie die Tiere mit dergleichen Methode, mit der die Steinzeitjager Europasdie Mamrnuts getOtet haben. Sic trieben sic in Ab-griinde und tOteten sic dort. Sobald sic iiber Pferdeverfagten, erlegten sie sie mit Pfeil und Bogen, aberniemals, wenn sic kein Fleisch odcr kcinc Fellebrauchten. Erst der weiBe Mann tlitete die Baffel sy-stematisch, teils aus Sport (Buffalo Bill), teils, urn die

Dem Gottglauben der Indianer wohnte keine Iran-szendentale Vorstellung inne, sondern "Manitu, das`GroBe Geheimnis', war Ursprung und Quelle jederKraft und 'beseelte' alle GeschOpfe und Gegenstan-de, lebende wie tote. Diese alle KOrper und Naturer-scheinungen befltigelnde unpersOnliche, anonymeMacht, die an sich weder gut noch bOse war, sahen,sparten und rochen die Indianer auf Schritt und Tritt.Sic glaubten, die Welt sei geheimnisvoll in Manitueingebettet, so daB die Gottheit in alien Dingenwirke, ohne aber selbst 'in der Welt' zu sein"(145).Aus dieser Auffassung heraus schonten sie auch dieNatur und bauten nur die Stoffe ab, die sie unbedingt

Indianer auszuhungern. Die Tatsache, daB Nordame-rika etappenweise von den Indianern besie,delt wurdeund daB die meisten Starnme Nomaden waren, trugzu einer Vielfalt von Sprachen und Dialekten bei.Rene Oth beziffert allein 550 Sprachen, und er hebtderen "groBen Wortschatz and auBerordentlich kom-plizierte Grammatik" (139) hervor. Ein Beweisdafar: "Im letzten Weltkrieg setzte der amerikanischeNachrichtendienst in Frontnahe hauptsachlichNavaho-Funker ein, deren Stammessprache selbstdie gerissensten japanischen Codeexperten nicht zuergriinden vermochten."(141) Urn sich untereinanderzu verstandigen, gebrauchten verschiedensprachigeIndianer eine ausgekltigelte Zeichensprache, die sokomplex war, daB sie eine Rede im Reprasentanten-haus wiederzugeben vermochten. Aber auch durchSignale, wie prazise Reitfiguren oder Rauchsignalekonnten sie miteinander kommunizieren. Ihre Schri f-ten waren Bilderschriften, "gemalte Reden", die sieauf Birkenrinden oder Biiffelhaute auftrugen.

Die SignalspracheUrn sich Ober weite Strecken Nachrichten zu Obermitteln, griffen die Rothaute

auf eine nicht minder perfektionierte Signalsprache zurOck. Sie gaben sichZeichen, die am Tage und auch nachts auf grate Entfernungen sichtbar waren.

Durch die Art und Weise, wie ein Reiter mit seinem Pferd groBe Kreise be-schrieb, vor- und zurOckgaloppierte oder einen Hugel hinauf- und hinabtrabte,

konnte er einem aufmerksamen Beobachter in der Ferne eine genaue Mitteilungmachen. Mit hin und her geschwenkten Decken lieBen sich ebenfalls Neuigkei-ten weiterreichen. Die indianische Signalsprache funktionierte ahnlich wie das

Morsealphabet: Sie fuBte auf der Kombination kurzer und anger Zeichen. Spie-gelsignale, denen durch langeres oder kOrzeres Aufblitzen-Lassen der Sonnen-strahlen eine ganz bestimmte Bedeutung zukam, waren weithin entzifferbar. Ein

auf einer AnhOhe loderndes Feuer konnte nachts als Telegraf gebrauchtwerden, indem man es in gewissen Abstanden verdeckte. Wenn man am TagGras oder noch grOne Zweige in dasselbe Feuer warf, machte sich eine starkeRauchentwicklung bemerkbar, die man durch eine Decke zeitweise unterbinden

und dann wieder aufkommen lessen konnte. Auch Staubwolkenzeichen, diedurch das Aufwirbeln von trockenem Schmutz entstanden, dienten zur Nachrich-

tenObermittlung. gezeichnete Informationsquelle fOr nachstoBende Indianer-trupps. (S. 141-142

Bbser Geist, Wassergott schlechte unterirdischeQuelle

Fisch Reh, Elch Wasservogel

mdrz 1989

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111711011.141011SVONMS

zum Leben brauchten. Nach dem Tode standen alienMenschen - auger den SelbstmOrdern, die nicht mutiggenug waren, das Leben zu meistem, - die Gliickli-chen Jagdgrunde offen. Einem alles durchdringen-den GottesbewuI3tsein stand eine naturverbundeneMedizin zur Seite, die vom Medizinmann verkorpertwurde, der aber auch Zauberer und Psychologe war.

Da Rene 0th in der ersten Halfte seines Buches durchsein ausgezeichnetes Text- und Bildmaterial, aberauch durch seine engagierten persOnlichen Stellung-nahmen das klassische Indianerbild revidiert, ist esurn so schockierender, daB die "Indianer heute dortleben miissen, wo ein weiBer Mann verhungernwiirde" (159). Die 235 Reservate bieten den zeitge-nOssischen Indianern einen Lebensrahmen, in demArbeitslosigkeit, Unterbeschaftigung, Minimall6h-ne, Bildungsnot, Sauglingssterblichkeit, niedrige Le-benserwartung, hohe Selbstmordrate bei den Jugend-lichen und extreme Krankheitsanfalligkeit infolgeschlechter Ernahrung" (160) den Ailtag pragen. Erst1968 hatte sich die Verzweiflung der Indianer so zu-gespitzt, daB sie sie artikulieren konnten. Das "Ame-rican Indian Movement", das fur "Red Power" undgegen Entindianisierung kiirnpft, tragt zu einer "Wie-dergeburt der indianischen Will-de" (163) bei.

Die Volkerder Sonne

Die Kultur der Ureinwohner Mittel- und Sudameri-kas ist uns besser bekannt, weil diese Volker seBhaftwaren und uns Uberreste groBten Urnfangs ihrer zumTeil sehr weitentwickelten Hochkulturen hinterlas-sen haben.

In Mesoamerika (Mexiko, S iidstaaten der USA, Gua-temala, Belize) lebten in vorkolumbianischer Zeit dieOlmeken, Tolteken, Chichimeken, Azteken undMayas. Alle diese "VOlker der Sonne" fielen internenMachtkampfen und der Goldgier der Spanier zumOpfer. Wenn die Olmeken, die von 1500 bis 100 v.Chr. im Osten Mexikos lebten, auch keine Bauwer-ke aus Stein hinterlassen haben, so. zeugen doch ihreErdhilgel und die archaologischen Uberreste wie mo-saikartige Pilaster, Stelen oder riesige skulptierteBasaltblOcke von einer hochentwickelten Kultur, inder die Religion eine groBe Rolle spielte. "DieOlmeken kannten eine Hieroglyphenschrift, die manfur die alteste bekannte Schrift der amerikanischen

Indianer halt. Auch rechneten sie bereits mit Ziffernund lOsten mathematische Probleme. Daten, die aufin Tres Zapotes gefundenen Stelen eingemeiBeltsind, deuten darauf hin, daB die Olmeken auBerdemdie Erfindung des mittelamerikanischen Kalendersfür sich beanspruchen ktinnen" (175). Kfinstliche Be-wasserungssysteme, ausgedehnte Handelsverbin-dungen, hochwertige Keramik und Klingen aus Ob-sidian beweisen ihr technisches KOnnen. Ihre Dar-stellungen von Menschen weisen negroide Ziige auf,so daB ihre Herkunft noch nicht geklart ist, da mannicht davon ausgehen kann, daB eine vorzeitlicheWanderung zwischen Afrika und Amerika stattge-funden hat. Ein anderes Volk, das unsere Bewunde-rung verdient, waren die Erbauer der groBartigenStadt Teotihuacan, "einst eine von Leben erfiillte in-temationale Metropole, in deren Tempeln Andachti-ge aus ganz Mittelamerika zu ihren GOttem beteten"(176). Die Sonnenpyramide, die an der 2 km langenund 40 m breiten "StraBe der Toten" liegt, besteht aus5 Terrassen und hat ein Volumen von 1 Million Ku-bikmetern. Dieses imposante Bauwerk war neben derMondpyramide Zentrum einer enormen Kultstatte,die 42 km nordOstlich des heutigen Mexico City lag.Gegen 600 n. Chr. sollen dont his zu 200 000 Men-schen gelebt haben, als eine Feuersbrunst die StadtzerstOrte. Nach dem Niedergang Teotihuacans be-machtigten sich die Tolteken der Macht in Zentral-amerika. Dieses Volk wurde sowohl von denAzteken als auch von den Spaniern wegen seinerKunstfertigkeit und seines ausgezeichneten Ge-schmacks bewundert. Es betrieb ertragreichen Ak-kerbau, und konnte es sich leisten, "die kleinen Mais-kolben zum Beheizen der Bader" zu verwenden.Reiche Hauser, gefiillte Scheunen, klug konstruierteStadte, Lebenslust, gebildetes Priestertum, praziseKenntnisse in Astronomic pragten die Kultur der Tol-

teken, die gegen 850 n. Chr. ihre legendare Haupt-stadt Tollan grundeten. Als ihr Schutzgott Quetzal-coat!, die "gefiederte Schlange", sie verlieB, kann eszum Untergang dieses Volkes, das von Darren undHungersnoten heimgesucht wurde. Skulpturen, Ge-genstande aus Gold, das sie "Kot der GOtter" nannten,weil sie glaubten, es fiele vom Himmel, prachtvolleTextilarbeiten und Handel mit Baumwolle, Fedemund Kakao, der auch als Wahrung diente, zeugenvom hohen Stand der Tolteken-Kultur, der die krie-gerischen Chichimeken gegen Ende des 11. Jahrhun-derts den TodesstoB versetzten. S ie pragten die Ober-

Aztekischer Erdgott

Abbildungen dieserDoppelseite aus L'artancien de I'Amerique

du Sud

54 Torum nr 109

marz 1989

Bergwaldern und Sumpfen reichlich ausgestattetwar, sowie ein Bauwerk mit einer eigenartigenSammlung von menschlichen MiBgeburten,Zwergen und anderen unglucklichen Geschopfen,die durch absonderliches Aussehen auffielen.)

Obschon der Hirst der Azteken, Monctezuma, einsehr gebildeter und kultivierter Mensch war, war erden Spaniern nicht gewachsen. Waren sie auch ent-setzt fiber die Menschenopfer, die die Azteken ihrenGOttern darbrachten, zOgerten sie nicht, Monctezu-ma gefangenzunehmen und alle Goldgegenstande,deren sie habhaft werden konnten, einzuschmelzen.Wahrend eines Aufstandes der Bewohner von Te-nochtitlan wurde Monctezuma von Steinen getroffenund starb kurz danach unter mysteriosen Umstanden.1521 machten die Spanier Tenochtitlan, "die gewal-tigste Stadt der damaligen Welt, die im 16. Jh.fanfmal groBer war als London" (S. 205) dem Erd-boden gleich. Zahlreiche Conquistadores ertrankenin dem See, auf dem die Stadt gebaut war, weil dieGoldschatze, mit denen sie beladen waren, sie in dieTiefe zogen.

Rene 0th widmet weitere aufschluBreiche Kapitelunbekannteren mesoamerikansichen Kulturen, wieder der Tarasken, die tapfere Krieger und tuchtigeMetallschmiede waren, die Huaxteken, die zu Ehrenihres Gottes Xipe Totec die erschlagenen Opfer hau-teten oder die Totonaken, die sich mit Cones gegendie Azteken verbiindeten. Die Mixteken, Meister derGoldschmiedekunst und der Architektur, lOsten dieZapoteken ab, deren Klugheit und strategischesTalent es ihnen erlaubte, sich gegen Azteken undSpanier zur Wehr zu setzen. Sic bestatteten ihreToten in kunstvoll dekorierten Nekropolen undraumten ihren Priestern groBe politische Rechte ein.

Unerklarlich ist der Niedergang der Mayakultur, dadie Mayas gegen 900 n. Chr. "schlagartig ihre Mo-numentalbauten, die sie mitten in einem von Flassendurchzogenen, mit Seen und Sampfen abersatenGebiet tropischer Urwalder miihselig errichtethatten" (S. 225), verlieBen. Mit ihnen verschwandihre Schrift, ihr perfektes Kalendersystem und ihreRiten. Ihr Exodus scheint nicht auf eine militarischeNiederlage zuriickzufahren zu sein, sondern auf eineRevolte der lang unterdriickten Bauern gegen die

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gangszeit bis zur Ankunft der 500 Spanier, die unterder Fuhrung von Hernando Cortes nach 1519 die an-dertlialb Millionen Azteken besiegten. DaB ein bunt-gemischter SOldnerhaufen die grot3te MilitarrnachtAmerikas besiegen und versklaven konnte, ist zumTeil durch die den Indios unbekannten Feuerwaffenund Tiere (Pferde) zu erklaren. Als die Azteken sichdaran gewohnt hatten, brachten sie noch immer nichtden notwendigen Mut auf, urn den Conquistadoreszu widerstehen. Auf Grund einer althergebrachtenSage hielten die Azteken den weiBen und bartigenCortes namlich fur den zuriickgekehrten Quetzalco-atl, dessen Ankunft durch eine Reihe von unheilvol-len Zeichen (Vulkanausbruch, Schneefalle) voraus-gesagt worden war, Mit Hilfe der IndianerprinzessinLa Malinche oder Dona Marina, die den Spaniern alsUbersetzerin und Ortskundige unschatzbare Diensteleistete, erreichte Cortes Tenochtitlan, eine Stadt, diedie Mexika mitten in einem See errichtet hatten, unddie ein kulturelles und wirtschaftliches Zentrum un-geahnten AusmaBes war, das die Spanier mit Kon-stantinopel verglichen.

TENOCHTITLANDie Spanier staunten Ober die Weltstadt von

hoher Kultur und Zivilisation, die sich mitten inder vermeintlichen Wildnis vor ihnen ausbreite-

te. "ich weiB nicht, wie ich von dem Anblicksolcher, niemals vorher geschauter, ja nichteinmal getraumter Dinge und Bauten bench-

ten soil!" schrieb Bernal Diaz, der von der zeit-losen SchOnheit der aztekischen Reichshaupt-

stadt fasziniert war. Das dichtbesiedelte Te-nochtitlan, dessen Lage in der Mitte eines

blauen Sees in einer von hohen Bergen umge-benen Hochebenen bezaubernd wirkte, er-

weckte mit seinen zahireichen Kanalen,BrOcken, Deichen und Dammen den Eindruck

einer Marchenstadt, der durch die groBen,strahlend weil3 getOnchten, aus Adobeziegelnerrichteten Hauser mit prachtigen InnenhOfenund durch die ausgedehnten Inselgarten mitden herrlichsten Zierblumen und Fruchten

noch verstarkt wurde. Ein Netz von kilometer-langen Tonthren versorgte die Metropole mitTrinkwasser vom Land, da die salzigen Flutendes Texcoco-Sees ungeniel3bar waren. Kanusbrachten die Abfalle zum Festland, wo sie zur

Dungung der Felder Verwendung fanden.Sogar Offentliche BedOrfnisanstalten gab es inForm von kleinen Booten, die entlang vielbe-nutzter FuBwege ankerten und mit Schilfmat-

ten vor neugierigen Blicken Schutz gewahrten.

(Im Zentrum der Stadt, wo der heilige Bezirk ange-siedelt war, erhoben sich bis zu sechzig Meter hoheTempelpyramiden, die als Kultstatten dienten. Hierdrangten sich auch die koniglichen Palaste, die ausDutzenden flacher Steingebaude bestanden, undriesige Lagerhallen, in denen Waffen, Kriegstrach-ten, Nahrungsmittel und Kleidungsstucke aufbe-wahrt wurden. Dancben gab es ein ungeheuer groBesVogelhaus, in dem scharlachrote Kardinalfinken,Goldfasane, Papageien und Kolibris umherschwirr-ten, eine Menagerie far wilde Tiere, die mit pracht-vollen exotischen Kreaturen aus den entferntesten

Mochica (Hinwegf Oh-rung eines Toten

INIMBRINYM

herrschende Schicht. Mit dieser Kaste allerdings ver-schwand all this politische und technisehe Wissen,das duo überleben der Mayas gewahrleistet hatte.Noch heute aber leben zwei Millionen ihrer Nach-kommen "als bodenstandiges Bauernvolk, im Hoch-land von Guatemala und auf der Ilalbinsel Yucatan,

den armsten Gebieten Mittelamerikas" (235), dieauch die gigantischen Stadte ihrer Vorfahren wie Pa-linque, Tihal, Copan oder Uxmal bcherbergten. Diephonetische Schrift der Maya, ihre ausgedehntenKenntnisse in Astronomie und ihre architektonischenMeisterwerke, die sie ohne Rad und nur mit Men-schenkraft errichteten, ihr Ackerbau, den sic ohneKenntnis des Kluges betrieben, beweisen, daB auchhier ein Volk lebte, das nicht in die Vorstellung desKolumbus paBte, der die Indianer "zahme Wilde"genannt hatte.

Das letzte groBe Kapitel seines Buches widmet RenéOth den Goldkulturen im Nordwesten Stidamerikas,wo die Spanier das "El Dorado" suchten und z.T.auch fanden. Unter El Dorado stellten sic sich einegoldene Stadt im Urwald, wenn nicht gleich einganzes KOnigreich aus Gold, vor. DaB sie so unrechtnicht hatte,n, beweisen die unermeBlichen Schatzedie heute noch im Goldmuseum von Bogota zu be-wundem sind.

Wenn auch die Kultur der Inka am besten bekannt ist,gab es schon urn 3000 v. Chr. Hochkulturen im heu-tigen Ecuador, "die als die altesten der Welt gelten"(254). So lebten die Valdivianer an der Pazifikkastein stadtischen Sie-dlungen und ernahrten sich haupt-sachlich vom Fischfang. Von ca. 1200 bis 300 v. Chr.besiedelten die Chavin-Menschen den Norden Perus,wo sic einem Raubtiergott in Gestalt eines Jaguar-menschen oder eines Kondors verehrten. Landwirt-schaft (Bohnen, Baumwolle, Mais) und Viehzucht(Hunde, Lamas) boten diescm Volk seine Existenz-grundlage, wahrend die Einwohner Tiahuacanos imBereich des Titicaca-Sees eine grandiose Stadt er-richteten. Deren Bauwerke waren so imposant, claBdie postkolumbianischen Indios sic fiir die Bauwer-ke von Riesen hielten, was sic aber nicht daran hin-

derte, die Oberreste der Ruinen als Baumatcrial zuverwenden.

Im Siiden Perus lebten von ca. 900 bis 200 v. Chr. dieParacas, in deren Totenstadt 1925 429 Mumien mitwertvollen Grabbeigaben ausgegraben wurden. Be-eindruckend sind die zahlreichen Spuren von gelun-genen Schadeloperationen, die an diesen Mumienfestgestellt werden konnten. "DaB die Me,dizin in denmittleren Anden sich bereits in der Vorinkazeit au-Berordentlich entfaltet haben muB, wird durch die un-glaubliche Tatsache belegt, dati die Patienten damalsihre Schadeloperationen iiberlebten. Die Kanten derKnocheneinschnitte waren Wimlich verheilt. Soschienen die 'Chirurgen von Paracas tiber medizini-sche Kenntnisse verfiigt zu haben, die es ihncn er-mOglichten, Knochenteile, die auf das Gehirn driick-ten und Lahmungen hervon-iefen, aus geöffnetenSchadeln herauszuoperieren. Als chirurgische Instrumente dienten ihnen Pinzettcn, Obsidianmesser,Nadeln, Skalpelle und sogar Aderpressen zur Ab-klemmung von BlutgeftiBen.... Bereits damals habenfast alle operierten Personcn eincn schwercn Eingriffam Schadel lebend iiberstanden, obgleich man vonaseptischer Behandlung nur recht unklare Vorstellungen hatte. Das war in der Neuzcit in Europa nichtso. In den Pariser Krankenh5usern beispielsweisestarben zwischen 1835 und 1836 laut Statistik nochalle Personen, denen die Arzte die SchLidel geOffnethatten." (S.266)

Ein groBes Ratsel wirft noch heute die Nazca-Kulturauf, die zwischen 300 v. Chr. und 700 n. Chr. bliihte.Nur aus der Luft zu erkennen sind die "zahlreichenungeheueren geometrischen Symbole sowie giganti-sche Bodenzeichnungen von merkwiirdigen VOgelnund VierftiBlern" (S. 266), die mit dem wissenschaft-lichen Begriff Petroglyphen bezeichnet werden unddie bis zu 200 Meter lang sein kOnnen. Wenn die Wis-senschaftler sich auch einig sind und die HypotheseErich von Dânikens, es handle sich urn LandepistenDir un/ikoA`suonouoon,uluBumbugob|un.snmiisxcndie Kiinstler, die dieses gigantische Werk geschaffenhaben, es dennoch aus der Luft her konzipiert haben.Man vermutet, daB sie dazu Leichtluftballons benutz-ten, deren Hiillen aus dichtgewebter Baum wolle bc-standen.

Keramische Bilderbiicher, sehr oft mit fiir unsere Be-griffe gewagten erotischen Darstellungen, haben dieMochica im Norden Perus zwischen dem 1. und 8.Jahrhundert auf Vasen und Tonplastiken hergcstellt,Uber dieses Volk herrschte ein GottkOnig mit Hilfeeiner schlagkrdftigen Armee und einem schr strengenBestrafungskanon, der von Verstiimmelung bis zurHautung und Steinigung reichte.

Die Chimu, "Verehrer des blcichen Mondes", geltenals die Erbauer der Chimu-Mauer, die sich Ober 80km von den Anden bis zum Meer erstreckte und diewie die Chinesische Mauer ein Schutzbollwerk war.Ihr Reich wurde in der Vorinkazeit von der GroBstadtChan-Chan aus geleitet, in der Offentliche Parks undWasserleitungen alien Bewohnern zur Verfiigungstanden. Die Chimu verehrten den Mond, da sic alsKiistenbewohner semen EinfluB auf Ebbe und Fluterkannt hatten.

Jaguar mit Schlangen-

zunge

561-..903.11119-

orum nr 109

DIE JUSTIZ DER CHIMUIn ihrem Strafrecht waren die KOstenbewoh-

ner sehr streng. Fahrlassige Arzte, derenSchlamperei einem Patienten das Leben geko-

stet hatte, wurden grausam bestraft. Miteinem Sell wurde der Heilkundige auf dem

Verstorbenen festgebunden, den man bestat-tete, wahrend der Korper des Arztes Ober demGrab verblieb, damit die Raubvogel ihn bei le-

bendigem Leib zerfleischen konnten. Diebewurden lebend so lange aufgehangt, bis sie er-

stickt waren. Dasselbe Schicksal erwarteteauch die Bruder und sogar den Vater des De-linquenten, weil dieser einen so miBratenen

Sohn in die Welt gesetzt hatte. In der Tatwaren drakonische StrafmaBnahmen vonnö-

ten, well die fenster- und tOrlosen Hauserallen Spitzbuben ungeschutzt offenstanden.Die Chimu erzwangen also Respekt vor demBesitzrecht, indem sie nach dem primitivenGrundsatz verfuhren: "Auge urn Auge, Zahn

um Zahn." S. 280

Die Verehrer des Mondes muBten sich schlieBlichden Sohnen der Sonne beugen, die auch andere urn-liegende VOlker unter die Herrschaft der Inka brach-ten. In zahlreichen und aufwendigen Feldzfigenzogen die Armeen der Inka-Ffirsten fiber die schnee-bedeckten Anden oder durch die WustengebieteNordchiles. "Als Tupac Inky Yupanqui 1493 dasZeitliche segnete, konnte sein Sohn, Inka HuaynaCapac (Wanderer zwischen den Welten), Ober ein insUnermeBliche gewachsene GroBreich gebieten, dassich auf einer Million Quadratkilometer ausdehnteund sich etwa 5 000 Kilometer von Norden nachSiiden erstreckte" (288). Alle Burger dieses gewalti-gen Reiches muBten dem Herrscher Tribute zahlen,die aus Produkten der Landwirtschaft oder aus Fron-diensten bestanden, bei einem armen Stamm sogaraus einem jahrlichen Sack mit FlOhen, seinem einzi-gen Reichtum.

Dieses mit einem perfekten StraBennetz verseheneReich, durch das Boten im Stafettenlauf Befehle undGesetze in Windeseile bis in die letzten Winkel ver-breiteten, fiel mit einem Streich den goldgierigenSpaniern zum Opfer. Ihr Anfuhrer Pizarro lieB denInka Atahualpa trotz eines riesigen Goldschatzes,gegen den sie ihm die Freiheit versprochen hatten,umbringen, und 1533 plunderten die Spanier die

Goldstadt Cuzco. Wie aus Mexiko das Vizekonig-reich Neuspanien geworden war, wurde aus demReich der Inka das Vizekonigreich Neukastilien, undmit den Spaniern verbreitete sich auch dort Unter-druckung, Versklavung, Zwangschristianisierungund die europaischen Lebensformen, die der eigen-standigen Kultur der unterworfenen Volker absolutkeine Rechnung trugen.

Ein groBer Verdienst des Buches von Rene 0th ist es,die Lebensformen und Kulturen der UreinwohnerNord- und Siidamerikas darzustellen, ehe sie mit demweiBen Mann in Kontakt kamen. Es ist ihm gelun-gen, dem Leser die vielfaltigen Aspekte des Lebensund Wesens dieser Menschen darzustellen, die inHarmonic mit der Natur lebten und die nicht verstan-den, wie man das Land, das alien Menschen gehort,verkaufen kann. Kurz vor seinem Tode hatte Guaco-moc, der Nachfolger Monctezumas zu CortCs gesagt:"Was sucht ihr nach Gold, wo in unserem Land soschOne Blumen bliihen?" Diese Frage birgt die Kluftzwischen den zwei Welten, die aufeinanderstieBen.Die siegreiche der beiden hinterlieB in Reservatenzusammengepferchte Indianer und schuf die Basisfur das Elend in Rid- und Mittelamerika. Sic zerstOr-te tausendjahrige Kulturen, totete Millionen Men-schen im Namen der Macht und des Kreuzes und ver-gewaltigte den Lauf der Natur. Rene Oths Bucherlaubt uns, das AusmaB dieser sozialen und kultu-rellen ZerstOrung zu erkennen, und vielleicht hilft esuns, sie nicht zu vergessen. Man erlaube mir, mit denWorten eines anderen Rezensenten von Rene OthsBuch zu schlieBen. Roland Houtsch schrieb am23.12. im Luxemburger Wort: "Was bleibt nach derLektiire des Buches? Zufriedenheit, einen neuenWissensquell erschlossen zu haben, aber auchTrauer. Es ist nicht trOstlich zu wissen, warum undwie die Indianerkulturen an den Rand der Ausrottunggebracht und dann in Reservaten geknechtet werdenkonnten, wenn sie nicht wirklich v011ig vernichtetwurden. Dummheit und Ignoranz besonders aufseiten der weiBen Eindringlinge tragen einen groBenTeil Schuld an dieser unheilvollen Entwicklung.Traurig stimmt aber vor allem die Unausweichlich-keit dieses unerbittlichen Prozesses, der in dermenschlichen Geschichte sich schon zu oft wieder-holte."

sbb24.12.1988

marz 1989

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