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W irtschaft Wirtschaft Wir tschaft t t t tschaft tschaft tschaft tschaft in Baden-Württemberg Ausgabe 3 | 2014 Preis 3,20 Euro | 87639 Ein Gemeinschaftsprodukt der Stuttgarter Zeitung und der Stuttgarter Nachrichten 4 198763 903204 14003 R und jeder zehnte Euro, den deut- sche Konsumenten ausgeben, lan- det inzwischen im Online- und Versandhandel – mit weiterhin steigender Tendenz. Gleichzeitig erhöhen neue Einkaufszentren den Druck auf alteingesessene Fachgeschäfte, von denen viele schließen müssen. Mit welchen Strategien kann der traditionelle Einzel- handel auf die aktuellen Herausforderun- gen reagieren, und welche neuen Chancen tun sich für findige Unternehmer auf ? Ein achtseitiger Themenschwerpunkt in dieser Ausgabe von Wirtschaft in Baden-Würt- temberg gibt Antworten. So sieht etwa der Handelsexperte Tho- mas Roeb für klassische Bekleidungsge- schäfte keine Zukunft. „Sie können sowohl preislich als auch von der Art des Angebots nicht mit der Konkurrenz mithalten“, sagt der Professor von der Hochschule Bonn- Rhein-Sieg im Interview. Trotzdem hält Roeb den stationären Textileinzelhandel nicht für ein Auslaufmodell. Für Ketten wie H&M oder Zara, die schnell auf Trends reagieren können, sieht Roeb weiter gute Perspektiven. Auch junge Leute wollten nicht nur online einkaufen, so der Experte. Während viele Händler das Internet als Bedrohung ihres traditionellen Geschäfts- modells sehen, versuchen andere, mit der intelligenten Kombination von Online- und Offline-Angeboten bei den Kunden zu punkten. Ein Beispiel dafür ist die Elektro- nikkette Media-Markt, bei der man im Internet bestellen und die Ware in der nächsten Filiale abholen kann. Im Textil- sektor verkaufen Hersteller wie Hugo Boss oder Olymp einen wachsenden Teil ihrer Ware über eigene Shops – und machen damit den etablierten Modegeschäften zusätzlich Konkurrenz. Chancen für den stationären Einzelhan- del sieht Björn Bloching, Senior Partner bei Roland Berger Strategy Consultants, dagegen im datenbasierten Marketing – beispielsweise in sogenannten Location- Based-Services. Dabei wird der Kunde per GPS lokalisiert und erhält individuelle An- gebote auf sein Smartphone, sobald er sich in der Nähe des entsprechenden Geschäfts befindet. „Verfügten vor zehn Jahren nur Großunternehmen über die Ressourcen für Data-Mining, so kann heute jeder Lie- ferservice datenbasiert Kundenbindung betreiben“, sagt der Unternehmensberater und Autor des Buchs „Data Unser“. Wettbewerb Shopping-Center und der boomende Online-Handel setzen traditionelle Läden unter Druck. Doch der Umbruch in der Branche birgt auch Chancen für innovative Unternehmen. Von Werner Ludwig Der Kampf um Kunden Kontakt Bitte schreiben Sie uns! Wie finden Sie die Zeitung Wirtschaft in Baden-Württemberg? Wir freuen aus auf Ihre Anregungen und Reaktionen – ob Lob oder Tadel. Schreiben Sie uns Ihre Meinung per E-Mail an [email protected] Konsum Die alte Erfolgsformel gilt weiter: Wer erfolgreich sein will, muss Einkaufen zum Erlebnis machen. Von Thomas Thieme Erst staunen, dann kaufen N eunundneunzig Euro und neun- undneunzig Cent kostet ein statio- närer Laden, wenn man ihn online bei Amazon bestellt – Lieferung inbegrif- fen. Der Kaufladen „Tante Emma“ mit viel Zubehör ist für Kinder ab drei Jahren ge- eignet und bietet laut Beschreibung alles, „was das Herz unserer kleinen Kaufleute höherschlagen lässt“: Ladentheke, Regal und Reklametafel aus Holz, dazu verschie- dene Markenprodukte und einen Einkaufs- wagen im Miniaturformat. Im Spielzeug- laden ist also vieles noch so, wie es früher einmal war – ganz im Gegensatz zur realen Einzelhandelswelt, die mächtig in Bewe- gung geraten ist. Die Branche sortiert sich von Grund auf neu. Schlagworte wie Niedergang des Fach- handels, Untergang der Warenhäuser, La- densterben und Verödung der Fußgänger- zonen beschreiben die negativen Folgen. Ihnen gegenüber stehen der Online-Boom, die Expansion der Textilketten und der Sie- geszug der innerstädtischen Einkaufszent- ren. Die unterschied- lichsten Konzepte – vom Fast-Fashion- Discounter bis zum gehobenen Luxusan- bieter – ringen ange- strengt um Markt- anteile. Gleichzeitig schrumpft das Stück vom großen Kuchen, das die Handelskon- zerne und zunehmend auch die Industrie unter sich aufteilen, immer weiter: Wäh- rend der Anteil des Einzelhandels an den privaten Konsumausgaben 2003 noch knapp 34 Prozent betrug, waren es zehn Jahre später nur noch 29 Prozent. Die Deutschen kaufen zwar nach wie vor gern ein, allerdings steigen ihre Ausgaben für Wohnen, Energie und Verkehr kontinu- ierlich. Und auch die nächste Urlaubsreise oder das neue Auto schmälern das Budget, das sonst in den Kassen des Einzelhandels landen würde. Nun ist die Bereitschaft, für Waren des täglichen Bedarfs tief in die Ta- sche zu greifen, hierzulande ohnehin nicht sonderlich stark ausgeprägt. Da kam das Internet mit seiner einfachen Preisver- gleichsfunktion gerade recht. Flankiert von „Geiz ist geil“-Kampagnen hat es die Deut- schen zu echten Sparfüchsen erzogen. Dabei ist etwas auf der Strecke geblieben, das die eingangs erwähnten kleinen Kauf- leute noch an ihren Läden zu schätzen wis- sen und das ein echtes Entscheidungskrite- rium sein kann: das Einkaufserlebnis. Da- rauf besinnt sich der Handel nun wieder. Wahrscheinlich zu spät, um den Trend zum bequemen Online-Shopping umzukehren. Aber vielleicht noch rechtzeitig, um Kunden eine Alternative zu bieten, die nicht auf Ser- vice und Beratung verzichten wollen oder einfach lieber an echten Schaufenstern vor- beibummeln, als im Netz zu surfen und im Paketboten den einzigen menschlichen Kontakt zur Handelswelt zu haben. Einkaufslust bei den Kunden zu erzeu- gen, ist übrigens kein neuer Trend, sondern ziemlich altmodisch: Schon als Ende des 19. Jahrhunderts die ersten großen Waren- häuser wie Karstadt, Tietz oder Wertheim ihre Türen öffneten, stand das Staunen vor dem Kaufen. Die neue Kaufhauswelt mach- te Erwachsene wieder zu Kindern. Auch wer im Handel des 21. Jahrhunderts erfolg- reich sein will, kommt an dieser bewährten Erfolgsformel nicht vorbei. Editorial Einzelhandel Eine Traditionsbranche sucht nach neuen Wegen. SCHWERPUNKT SEITE 1 BIS 8 Harte Sanierer Interimsmanager werden immer jünger. SEITE 11 Unentbehrlich Der Finanzplatz Stuttgart pusht das Wachstum. SEITE 27 Internet und „Geiz ist geil“- Kampagnen haben die Deutschen zu Sparfüchsen erzogen. Illustration: Malte Knaack

Wirtschaft in Baden-Württbemberg

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2014, Ausgabe 3

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Page 1: Wirtschaft in Baden-Württbemberg

WirtschaftWirtschaftWirtschaftt tttttschafttschafttschafttschaft in Baden-WürttembergAusgabe 3 | 2014 Preis 3,20 Euro | 87639Ein Gemeinschaftsprodukt der Stuttgarter Zeitung und der Stuttgarter Nachrichten

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Rund jeder zehnte Euro, den deut­sche Konsumenten ausgeben, lan­det inzwischen im Online­ undVersandhandel – mit weiterhinsteigender Tendenz. Gleichzeitig

erhöhen neue Einkaufszentren den Druckauf alteingesessene Fachgeschäfte, vondenen viele schließen müssen. Mit welchenStrategien kann der traditionelle Einzel­handel auf die aktuellen Herausforderun­gen reagieren, und welche neuen Chancen tun sich für findige Unternehmer auf? Einachtseitiger Themenschwerpunkt in dieserAusgabe von Wirtschaft in Baden­Würt­temberg gibt Antworten.

So sieht etwa der Handelsexperte Tho­mas Roeb für klassische Bekleidungsge­schäfte keine Zukunft. „Sie können sowohl preislich als auch von der Art des Angebots

nicht mit der Konkurrenz mithalten“, sagt der Professor von der Hochschule Bonn­Rhein­Sieg im Interview. Trotzdem hält Roeb den stationären Textileinzelhandelnicht für ein Auslaufmodell. Für Ketten wieH&M oder Zara, die schnell auf Trendsreagieren können, sieht Roeb weiter gute Perspektiven. Auch junge Leute wolltennicht nur online einkaufen, so der Experte.

Während viele Händler das Internet alsBedrohung ihres traditionellen Geschäfts­modells sehen, versuchen andere, mit derintelligenten Kombination von Online­und Offline­Angeboten bei den Kunden zupunkten. Ein Beispiel dafür ist die Elektro­nikkette Media­Markt, bei der man imInternet bestellen und die Ware in dernächsten Filiale abholen kann. Im Textil­sektor verkaufen Hersteller wie Hugo Boss

oder Olymp einen wachsenden Teil ihrer Ware über eigene Shops – und machendamit den etablierten Modegeschäftenzusätzlich Konkurrenz.

Chancen für den stationären Einzelhan­del sieht Björn Bloching, Senior Partnerbei Roland Berger Strategy Consultants,dagegen im datenbasierten Marketing –beispielsweise in sogenannten Location­Based­Services. Dabei wird der Kunde perGPS lokalisiert und erhält individuelle An­gebote auf sein Smartphone, sobald er sich in der Nähe des entsprechenden Geschäfts befindet. „Verfügten vor zehn Jahren nurGroßunternehmen über die Ressourcenfür Data­Mining, so kann heute jeder Lie­ferservice datenbasiert Kundenbindungbetreiben“, sagt der Unternehmensberaterund Autor des Buchs „Data Unser“.

Wettbewerb Shopping­Center und der boomende Online­Handel setzen traditionelle Läden unter Druck. Doch der Umbruch in der Branche birgt auch Chancen für innovative Unternehmen. Von Werner Ludwig

Der Kampf um Kunden

Kontakt

Bitte schreiben Sie uns!Wie finden Sie die Zeitung Wirtschaft in Baden­Württemberg? Wir freuen aus aufIhre Anregungen und Reaktionen – ob Lob oder Tadel. Schreiben Sie uns Ihre Meinung perE­Mail an redaktion@wirtschaft­in­bw.de

Konsum Die alte Erfolgsformel

gilt weiter: Wer erfolgreich sein

will, muss Einkaufen zum Erlebnis

machen. Von Thomas Thieme

Erst staunen, dann kaufen

Neunundneunzig Euro und neun­undneunzig Cent kostet ein statio­närer Laden, wenn man ihn online

bei Amazon bestellt – Lieferung inbegrif­fen. Der Kaufladen „Tante Emma“ mit viel Zubehör ist für Kinder ab drei Jahren ge­eignet und bietet laut Beschreibung alles,„was das Herz unserer kleinen Kaufleute höherschlagen lässt“: Ladentheke, Regalund Reklametafel aus Holz, dazu verschie­dene Markenprodukte und einen Einkaufs­wagen im Miniaturformat. Im Spielzeug­laden ist also vieles noch so, wie es frühereinmal war – ganz im Gegensatz zur realenEinzelhandelswelt, die mächtig in Bewe­gung geraten ist.

Die Branche sortiert sich von Grund aufneu. Schlagworte wie Niedergang des Fach­handels, Untergang der Warenhäuser, La­densterben und Verödung der Fußgänger­zonen beschreiben die negativen Folgen. Ihnen gegenüber stehen der Online­Boom,die Expansion der Textilketten und der Sie­geszug der innerstädtischen Einkaufszent­ren. Die unterschied­lichsten Konzepte –vom Fast­Fashion­Discounter bis zumgehobenen Luxusan­bieter – ringen ange­strengt um Markt­anteile. Gleichzeitigschrumpft das Stückvom großen Kuchen,das die Handelskon­zerne und zunehmend auch die Industrieunter sich aufteilen, immer weiter: Wäh­rend der Anteil des Einzelhandels an denprivaten Konsumausgaben 2003 nochknapp 34 Prozent betrug, waren es zehnJahre später nur noch 29 Prozent.

Die Deutschen kaufen zwar nach wie vorgern ein, allerdings steigen ihre Ausgabenfür Wohnen, Energie und Verkehr kontinu­ierlich. Und auch die nächste Urlaubsreiseoder das neue Auto schmälern das Budget, das sonst in den Kassen des Einzelhandels landen würde. Nun ist die Bereitschaft, fürWaren des täglichen Bedarfs tief in die Ta­sche zu greifen, hierzulande ohnehin nicht sonderlich stark ausgeprägt. Da kam dasInternet mit seiner einfachen Preisver­gleichsfunktion gerade recht. Flankiert von„Geiz ist geil“­Kampagnen hat es die Deut­schen zu echten Sparfüchsen erzogen.

Dabei ist etwas auf der Strecke geblieben,das die eingangs erwähnten kleinen Kauf­leute noch an ihren Läden zu schätzen wis­sen und das ein echtes Entscheidungskrite­rium sein kann: das Einkaufserlebnis. Da­rauf besinnt sich der Handel nun wieder.Wahrscheinlich zu spät, um den Trend zumbequemen Online­Shopping umzukehren.Aber vielleicht noch rechtzeitig, um Kundeneine Alternative zu bieten, die nicht auf Ser­vice und Beratung verzichten wollen odereinfach lieber an echten Schaufenstern vor­beibummeln, als im Netz zu surfen und imPaketboten den einzigen menschlichenKontakt zur Handelswelt zu haben.

Einkaufslust bei den Kunden zu erzeu­gen, ist übrigens kein neuer Trend, sondernziemlich altmodisch: Schon als Ende des 19.Jahrhunderts die ersten großen Waren­häuser wie Karstadt, Tietz oder Wertheimihre Türen öffneten, stand das Staunen vordem Kaufen. Die neue Kaufhauswelt mach­te Erwachsene wieder zu Kindern. Auch wer im Handel des 21. Jahrhunderts erfolg­reich sein will, kommt an dieser bewährtenErfolgsformel nicht vorbei.

Editorial

EinzelhandelEine Traditionsbranche sucht nach neuen Wegen. SCHWERPUNKT SEITE 1 BIS 8

Harte SaniererInterimsmanager werden immer jünger. SEITE 11

Unentbehrlich Der Finanzplatz Stuttgart pusht das Wachstum. SEITE 27

Internet und „Geiz ist geil“­Kampagnen haben die Deutschen zu Sparfüchsen erzogen.

Illustration: Malte Knaack

Page 2: Wirtschaft in Baden-Württbemberg

Inhalt

Die Macher der BranchePorträts Handelskonzerne aus Baden­Württemberg mischen in vielen Marktsegmenten ganz vorn mit. Die Erfolgsgeschichten dieser Unternehmen hängen eng mit den Managerpersönlichkeiten an der Spitze zusammen. Eine kleine Auswahl.

Willy Oergel

Mode­ und Lifestyle­FachmannAn jedem zweiten Samstag im Monat steht ein großer, elegant gekleideter Mannauf der Verkaufsfläche eines Breuninger­Kaufhauses irgendwo in Deutschland,der im Hauptberuf das Unternehmen leitet. „Ich möchte den Kontakt zu unse­ren Kunden nicht verlieren“, sagt Willy Oergel. Der gebürtige Stuttgarter, Jahr­gang 1952, feiert gerade sein 30­Jahr­Dienstjubiläum bei der Warenhauskette. Seit September 2012 ist er Geschäftsführer des schwäbischen Traditionsunter­nehmens, dessen Geschichte bis ins Jahr 1881 zurückreicht. Oergel ist verheira­tet und Vater eines erwachsenen Sohnes. Er will Breuninger als Experten für Mode­ und Lifestyle­Fragen etablieren und orientiert sich dabei an renommier­ten Warenhausketten in England (Selfridges, Harrods), Frankreich (GaleriesLafayette) oder den USA (Macy’s). Auch beim Thema Service hat der Manager,der einst von der Steigenberger­Hotelgruppe ins Warenhausgeschäft wechsel­te, hohe Ansprüche. So gerät er regelrecht ins Schwärmen, wenn er von einemnächtlichen Einkaufsbummel in New York berichtet, bei dem ihm ein Apple­Mitarbeiter kompetent sein neues iPhone programmiert hat. tht

Dieter Schwarz

Stiller KonzerngründerDie Pressestelle der Schwarz­Gruppe bestätigt die Tatsache, dass Dieter Schwarz am 24. September2014 seinen 75. Geburtstag gefeiert hat. Mehr In­formationen förderte eine Anfrage der Nachrich­tenagentur dpa nach dem Jubilar nicht zu Tage.Wieso auch sollte die stille Unternehmerlegendeauf ihre alten Tage mehr von sich preisgeben als in dem Dreivierteljahrhundert davor? Was man weiß:Schwarz ist verheiratet und hat zwei Kinder. Erengagiert sich als Mäzen, seine Stiftung fördertBildung, Erziehung, Wissenschaft und Forschung.Die ihn persönlich kennen, loben sein bescheide­nes Auftreten. Ansonsten schweigen auch sie. Einwenig überrascht hat Dieter Schwarz, Gründerdes Lebensmitteldiscounters Lidl und Vater einesmilliardenschweren Handelsimperiums, in diesemJahr dennoch, indem er eine öffentliche Wahlemp­fehlung für Harry Mergel abgab. Der SPD­Mann wurde im Mai zum Heilbronner Oberbürgermeis­ter gewählt. Ob er am 24. September gemeinsammit Schwarz auf ein ereignisreiches Jahr angesto­ßen hat, ist freilich nicht überliefert. tht

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Erich Harsch und Götz Werner

Vertrauen in die MitarbeiterEin schweres Erbe hat der gebürtige Wiener Erich Harsch, Jahrgang 1961, imMai 2008 angetreten, als er die Leitung der Drogeriemarktkette DM von derenGründer Götz Werner übernahm. In den dreieinhalb Jahrzehnten zuvor hatte Werner ein Stück deutsche Handelsgeschichte geschrieben. Die Karlsruherwaren lange die Nummer zwei im deutschen Drogeriemarkt und stiegen nachder Pleite Anton Schleckers zum Marktführer auf. Anders als der knausrigeKonkurrent gestand Götz Werner seinen Mitarbeitern ein hohes Maß an Eigen­verantwortung zu. Der Profit stand bei ihm nie an allererster Stelle. Harsch, seit1981 im Unternehmen, war bereits von 2004 an Werners Stellvertreter. Nachseinem Wechsel an die DM­Spitze setzte er sowohl den Führungsstil als auchden Erfolgskurs seines Vorgängers fort. Heute arbeiten rund 50 000 Beschäf­tigte in 3000 DM­Filialen. Die Renditeziele verliert der Vater eines Sohnes undeiner Tochter bei aller Fairness gegenüber seinen Beschäftigten nicht aus denAugen: ein Prozent müsse am Ende des Jahres erreicht werden, verlangtHarsch, zuletzt tendierte die Rendite eher gegen zwei Prozent. tht

Claus­Dietrich Lahrs

Weit gereister ManagerDieser Mann kennt sich mit Luxus aus: Cartier, Louis Vuitton und Christian Dior waren die letztendrei Karrierestationen von Claus­Dietrich Lahrs, bevor er seinen Lebensmittelpunkt im Mai 2008 von Paris nach Metzingen verlagerte. Der 51­Jähri­ge führt seither den schwäbischen ModekonzernHugo Boss – mit Erfolg, wie Unternehmenszahlenund Aktienkursentwicklung belegen. Die positive Entwicklung hängt nicht zuletzt damit zusammen,dass der Hersteller Hugo Boss sich unter Lahrs miteigenen Shops immer stärker selbst im Einzelhan­del engagiert hat. Der gebürtige Bielefelder ist ver­heiratet und hat zwei Kinder. Die längste Zeit sei­ner beruflichen Laufbahn, rund 17 Jahre, hat Lahrsin Frankreich verbracht. Doch auch die USA zähl­ten zu den Stationen, auf denen ihn seine Frau stets begleitet hat. „Ich wollte nie mein Leben langan einem Ort bleiben. In einer globalen Welt mussman ohnehin mobil sein, wenn man vorankom­men will“, sagte Lahrs einmal. Wie mobil die Fami­lie war, offenbarte er kurz nach seinem Einstieg beiBoss: 18­mal sei er schon umgezogen. tht

Trends

Handel im digitalen WandelDie Branche erlebt einen tiefgreifenden Umbruch.Das spornt viele Anbieter an, neue Wege zu gehen. SEITE 4/5

Interview

Nicht alle wollen nur online kaufenDer Wissenschaftler Thomas Roeb sieht weiter Chancen für den stationären Handel – wenn die Strategie stimmt. SEITE 3

Pro & Kontra

Online­Shopping: Segen oder Fluch?Zwei StZ­Redakteurinnen debattieren aus Kundensicht überVor­ und Nachteile des Einkaufens per Internet. SEITE 8

Berufsporträt

Experten für Geld und TechnikWirtschaftsingenieure sind in Firmen gefragt – das Aufga­benspektrum ist fast unerschöpflich. SEITE 12/13

Arbeitsrecht

Achtung, ausgebootet!Ein Experte erklärt, was Geschäftsführer beachten sollten, wenn sie in Ungnade gefallen sind. SEITE 10

Fallbeispiele

Wie Gründer aus Misserfolgen lernenNicht jede Gründung kann am Markt bestehen. In jedem Fall sammeln die Beteiligten wertvolle Erfahrungen. SEITE 20/21

Interview

Finanzspritze für junge UnternehmerSo will Wirtschaftsminister Schmid mit Wagniskapitaleine Existenzgründer­Initiative starten. SEITE 26

Tipps zur Geldanlage

Kein massentaugliches ModellDie Bundesregierung will die Anlageberatung auf Honorar­basis stärken. Was bringt dieses Gesetz? SEITE 28

Schutz der Anleger

Papier ist geduldigVerbraucherschützer warnen: Die Beratungsprotokolle von Banken sind oft katastrophal schlecht. SEITE 29

Private Finanzen

Unternehmensgewinn richtig angelegtIn der Firma belassen oder herausziehen? Bei der Verwen­dung des Gewinns kommt es auf Details an. SEITE 14

Interview

Gesucht: der ehrliche KaufmannEin hartes Vorgehen gegen Wirtschaftskriminalität zahlt sich für Firmen aus, sagt Steffen Salvenmoser von PwC. SEITE 17

Compliance

Daimler setzt auf WhistleblowerVorstandsmitglied Christine Hohmann­Dennhardt erklärt, wie der Konzern gegen Korruption vorgeht. SEITE 18

Finanzierung

Die Qual der WahlEs gibt für Unternehmen viele Wege, an Kapital zu kommen. Doch welcher ist

für wen der richtige? SEITE 23

Ausgefragt

Am DrückerSusanne Kunschert, Co­Chefin undMiteignerin des ElektronikspezialistenPilz, erzählt, was sie antreibt. SEITE 16

Markenshops

Hersteller als VerkäuferModeproduzenten wie Hugo Boss oderOlymp setzen verstärkt auf eigene Läden– zu Lasten des Großhandels. SEITE 7

Chefredakteure Joachim Dorfs, Dr. Christoph Reisinger

Leitung Michael Heller, Klaus Köster

Redaktion Imelda Flaig, Werner Ludwig, Walther Rosenberger

Gestaltung/Produktion Sebastian Klöpfer, Milena Lenz,Bernd Fischer, Dirk Steininger

E­Mail: redaktion@wirtschaft­in­bw.de Telefon: 07 11 / 72 05 – 12 11 und 07 11 / 72 05 – 74 01Internet: www.wirtschaft­in­bw.de„Wirtschaft in Baden­Württemberg“ ist ein Produkt der Stuttgarter Zeitung Verlagsgesellschaft mbH / Stuttgarter Nachrichten Verlagsgesellschaft mbH

Anzeigen Marc Becker (verantw.)Stuttgarter Zeitung Werbevermarktung GmbH, Plieninger Str. 150, 70567 StuttgartTelefon: 0711/72 05 – 16 03

Druck Pressehaus Stuttgart Druck GmbH, Plieninger Str. 150, 70567 StuttgartTelefon: 07 11 / 72 05 – 0

Impressum

Abercrombie & Fitch 7Adidas 7Air Berlin 16Aldi 3, 4/5Alko 16Alnatura 4/5Amazon 3, 4/5Apple 2Atreus 11Aurubis 16Aventis 16Bauhaus 4/5Bilfinger 19Blackstone 24Börse Stuttgart 29, 31Börse Stuttgart Cats 29Breuninger 2, 3Bürgschaftsbank BW 30Buy or Burn 20/21C&A 4/5Capmarcon 23Carl Zeiss 16Cartier 2

Karstadt 1, 3Kaufhof 3Kaufland 4/5Kik 3, 4/5KKR 24KfW 30KPMG 23Kreissparkasse Ost­Alb 30L­Bank 26, 30, 31Leicht Küchen 30Lidl 2, 4/5Linde 12/13Louis Vuitton 2, 7Ludwig Heuse 11Macy’s 2Mammut 7Management Angels 11Massimo Dutti 4/5Max Bahr 4/5Media­Markt 1, 4/5Metro 4/5Mörk 19Müller 4/5Mustang 7My Couchbox 20/21North Face 7Obi 4/5Olymp 7Otto 4/5Peek&Cloppenburg 3Penneys 4/5Penny 4/5Permira 24Pilz 16Prada 3Praktiker 4/5Pricewaterhouse­Coopers 17, 19, 24Primark 3, 4/5

Pull&Bear 4/5Quirin Bank 28Rewe 3, 4/5Rocket Internet 20/21Roland Berger 1, 3, 4/5Rossmann 4/5, 7S.Oliver 3Sales & Solutions 16SAP 12/13, 16Saturn 4/5Schlecker 2, 4/5Schwarz­Gruppe 2, 4/5Selfridges 2Solo Kleinmotoren 16Sparkassenversicherung 26Startupmoney.com 20/21Steigenberger 2Strenesse 7Stuttgart Financial 25, 31Takko 4/5Task Force 11Tchibo 3Telekom 3Tritschler 7Vana 20/21Vaude 7VR Schwäbisch Gmünd 30Volksbank Stuttgart 27Weekday 4/5Thümmel, Schütze und Partner 10Wirtschaftswoche 20/21Wittwer 7WMF 16Würth 2Württ. Versicherung 26Zalando 3, 4/5Zara 1, 3, 4/5Züblin 19

Allmendinger, Martin 20/21Alter, Roland 4/5,7Aumiller, Meinrad 7Axt, Dietmar 7Baumgärtner, Markus 16Bezner, Mark 7Birnbaum, Günther 29Bloching, Björn 1, 4/5Boschan, Christoph 29Burghof, Hans­Peter 29, 31Chmel, Andreas 10Dittmann, Uwe 12/13Ecclestone, Bernie 18Eicher, Iris 9Engelhardt, Andreas 16Freeh, Louis 18Friedmann, Robert 2Fritz, Uwe 16Genth, Stefan 4/5Glaser, Roman 27Gollner, Christian 4/5Griggel, Marc 16Haide, Sarah 20/21Harsch, Erich 2Herb, Wolfgang 18Hesse, Jürgen 9Hirschberg, Jürgen 16Hohmann­Dennhardt, Christine 18Hornbach, Albrecht 4/5Horstmann, Malte 20/21Horstmann, Olaf 20/21Jost, Steffen 4/5Kirsch, Wolfgang 4/5Klapproth, Thorsten 16Knothe, Björn 11Kovacevic, Dragana 19Kreher, Markus 23

Kunschert, Susanne 16Lahrs, Claus­Dietrich 2,7Lipke, Thomas 7Mangold, Peter­Michael 28Maas, Heiko 29Marriott, Greg 11Mausbeck, Dirk 16Mehrabian, Albert 9Mergel, Harry 2Mohn, Dorothea 29Mörk, Georg 19Müntefering, Franz 24Nauhauser, Nils 28Neumann, Rainer 16Nuoy, Daniéle 27Oergel, Willy 2Pilz, Renate 16Pilz, Thomas 16Prion, Willi 12/13Quitmann, Hans­Achim 16Rausch, Karl­Friedrich 12/13Reitzenstein, Michael 12/13Reitzenstein, Nicola 12/13Reitzle, Wolfgang 12/13Riekhof, Hans­Christian 7Roeb, Thomas 1, 3Salvenmoser, Steffen 17Sander, Daniel 12/13Sapper, Elke 9Schäfer, Matthias 19Scheerer, Patrick 31Schmid, Nils 25, 26Schnatz, Frank 16Schneider, Peter 27Schorr, Gerhard 27Schwarz, Dieter 2Stangohr, Siegfried 30Stober, Rolf 19

Sturz, Dirk 25Tromp, Stephan 4/5Tüngler, Marc 29Uebber, Bodo 12/13Waldenmaier, Stefan 30Walter, Clemens 20/21Werner, Götz 2Will, Joachim 4/5Wulf, Christian 16Würth, Reinhold 2Wüst, Peter 4/5zu Guttenberg, Karl Theodor 9

Personen

Unternehmen

Index

Robert Friedmann

Würths junger Tiger Der Sprecher der Konzernführung der Künzels­auer Würth­Gruppe ist zwar Verkäufer, aber keinTausendsassa mit marktschreierischem Auftreten.Robert Friedmann wirkt eher ruhig und bedächtig.Die Welt hat der Chef des weltweit größten Schrau­benhändlers zwar gesehen – doch auch bei Kinder­freizeiten in Heilbronn war er schon anzutreffen.Trotz seiner ruhigen Art gilt Friedmann als durch­setzungsstark. Dies sowie die Mischung aus Boden­ständigkeit und Weltläufigkeit schätzt auch Rein­hold Würth. Der Firmengründer zählte ihn früher zu seinen „jungen Tigern“ und machte ihn 2005zum Chef einer Gruppe, die 2014 mit 65 000 Mit­arbeitern einen Umsatz von zehn Milliarden Euroanstrebt. Geboren wurde der verheiratete Vater zweier Kinder 1966 in Lindau, nach dem Studiumbegann er seine Arbeit bei der Würth­Gruppe. Füh­rungserfahrung sammelte er bei einer Tochterge­sellschaft, dem Werkzeughändler Hahn & Kolb.Zwei wichtige Aufgaben werden der weitere Aus­bau der Vertriebswege, aber auch die Aktivitätenabseits des Schraubenhandels sein. ey

Christian Dior 2Citigroup 29Commerzbank 30COS 4/5Daimler 12/13, 18Degussa Goldhandel 31Dennree 4/5DB Mobility Logistics 12/13Division One 11DM 2, 3, 4/5DSAG 16Dürr 16Edeka 3, 4/5EnBW 16Enpatech 20/21Ernst & Young 16Esprit 3Flughafen Friedrichshafen 16Flughafen Stuttgart 16Galeries Lafayette 2Gasversorgung Süddeutschland 16Globetrotter 7Goldman Sachs 24Gucci 3Gust 20/21H&M 1, 3, 4/5Hahn & Kolb 2Hansgrohe 16Harrods 2haufe.de 14Hochland 7Holcim 12/13Hollister 7Holtzbrinck Ventures 20/21Hugo Boss 1, 2, 3, 4/5, 7Inditex 4/5ISS Facility Services 12/13Jack Wolfskin 7

2 Wirtschaft in Baden-Württemberg Nr. 3 | November 2014Stuttgarter Zeitung | Stuttgarter Nachrichten

Page 3: Wirtschaft in Baden-Württbemberg

diesen Kleidern zu relativ niedrigen Prei­sen befriedigen.

Weil sie Massenware zu niedrigen Löhnenund unter fragwürdigen Arbeitsbedingun­gen produzieren lassen.Klar können die Gutmenschen jetzt wiederaufschreien und beklagen, dass unserWohlstand auf der Ausbeutung derjenigen fußt, die unsere Kleider billig in Asienschneidern. Niemand hindert sie am Kauf „fair“ produzierter Ware. Ansonsten ist esaber doch so: wenn es die Ketten nicht gäbe,würden die Arbeiter für weniger Lohnschlechtere Tätigkeiten verrichten, zumBeispiel 14 Stunden am Tag knietief imReisfeld stehen oder die Frauen würden indie Prostitution gezwungen.

Die Kunden wollen vielleicht nicht unbe­dingt ethisch korrekt einkaufen, aber siewünschen sich mehr Service und bessereBeratung, als sie es in den Textilgeschäftenoft vorfinden. Dafür stand der Fachhandel inder Vergangenheit.Die Kunden! Welche Kunden? Wenn Sie zuH&M gehen und eine fachkundige Bera­tung erwarten, sind Sie selbst schuld. Die Kunden lieben es, wie es ist, in Deutschlandmehr als überall sonst auf der Welt. Außer­dem bekommen Sie immer noch Beratung:in den Warenhäusern wie Kaufhof oderKarstadt und vor allem in den Textilkauf­häusern wie P&C oder Breuninger. Derkommt doch sogar aus Stuttgart. Im Übri­gen muss man doch auch einmal einessehen: alle Anbieter aus dem gehobenenKaufhaus­Segment zusammengenommensind nicht einmal so groß wie H&M alleine.

In Stuttgart haben im Herbst zwei große Shopping­Malls am Rande der Innenstadteröffnet. Kann dieses auch nicht mehr ganz neue Modell aus den USA die Zukunft des Einzelhandels in Deutschland bedeuten?Zumindest bieten sie auch Platz für diekleineren Geschäfte, die sich die Fußgän­gerzone nicht mehr leisten können. Das istein Teil der Strategie dieser Einkaufs­zentren. Weil die Center­Betreiber die kompletten Verkaufsflächen vermarkten,können sie ganz anders kalkulieren als dieVermieter in den Fußgängerzonen. Um die Attraktivität des Centers zu erhöhen, holensie auch kleinere Geschäfte hinein. Besit­zer von innerstädtischen Einzelimmobi­lien werden dagegen immer den Mieter be­vorzugen, der ihnen die höchsten Einnah­men verspricht. Und die Mietpreise in denFußgängerzonen der Metropolen steigenweiter. Auch in der Kölner Innenstadthaben gerade auf einen Schlag zwei alt­eingesessene Fachgeschäfte geschlossen.In eines der Gebäude ist ein Telekom­Shopeingezogen. Was aus dem anderen wird, ist noch nicht klar.

Wahrscheinlich ein Backshop oder ein Wett­büro. Müssen wir uns damit abfinden, dass

„Nicht alle wollen nur online kaufen“

Große Shopping­Mals machendem traditionellen Einzelhandelimmer mehr Konkurrenz. Auf deranderen Seite böten sie kleinenGeschäften, die sich die Mieten

in den Innenstädten nicht mehr leisten kön­nen, neue Chancen, meint Thomas Roeb, der Professor für Handelsbetriebslehre an derHochschule Bonn­Rhein­Sieg.

Herr Roeb, was würden Sie einem gutenFreund raten, der ein Einzelhandelsgeschäfteröffnen möchte?Ich würde sagen, das ist eine tolle Idee.Aber wir müssten noch darüber reden, waser verkaufen möchte. Es spricht überhauptnichts dagegen, eine Partnerschaft miteinem erfolgreichen Franchise­Unterneh­men einzugehen und beispielsweise einenRewe­ oder Edeka­Supermarkt aufzuma­chen. Ein ehemaliger Student von mirbetreibt erfolgreich einen Edeka­Laden.Er hatte zuvor mehrere Jahre lang in derKonzernzentrale gearbeitet.

Wie sieht es denn mit einem Bekleidungs­fachgeschäft aus?Davon würde ich dringend abraten. Daswar vielleicht in den siebziger Jahren einegute Idee, als Erwin Lindemann im be­rühmten Loriot­Sketch mit seiner Tochtereine Herrenboutique in Wuppertal eröff­nen wollte. Heute ist der inhabergeführte Modefachhandel nicht mehr populär.

Woran liegt das?Die Läden sind einfach nicht mehr wett­bewerbsfähig. Es gibt sie ja auch kaum

noch. Gehen Sie doch maldurch die Innenstädte inKöln, München oderStuttgart, da müssen sieschon gezielt danachsuchen. Sie hätten michvor 20 Jahren darauf an­sprechen sollen, dann hät­te man noch Gegenstrate­gien entwickeln können.Nun ist es zu spät. DieKunden wollen diese klei­nen Läden nicht mehr.

Es gibt etliche Menschen,die das Ladensterben indeutschen Städten laut­stark beklagen.Die gleichen Menschen,die darüber jammern,

kaufen doch selbst nicht mehr in diesenGeschäften ein. Es gibt einen einfachenGrund, weshalb die Fachgeschäfte ver­schwinden: Sie können sowohl preislich alsauch von der Art des Angebots nicht mit derKonkurrenz mithalten. Die großen, verti­kal integrierten Ketten wie H&M, Zaraoder Primark haben zwei wichtige Fähig­keiten: Sie können sehr schnell auf Mode­trends reagieren und die Nachfrage nach

auch die wenigen noch verbliebenen kleinenLäden aus den Innenstädten verschwindenund damit auch der letzte Funken an Indivi­dualität verloren geht?Das mag vielleicht für einen Pessimistenwie Sie so erscheinen, aber die Mehrzahlder Menschen geht weiter dahin.

Oder sie gehen ins Internet. Um die Kundentobt ein heftiger Kampf der Händler. KönnenSie uns den typischen Mode­Kunden etwasnäherbringen?Diesen Kunden gibt es nicht. Man könnteversuchen, ihn anhand der Größe seinesGeldbeutels zu charakterisieren. Dannreicht die Palette von Kik über H&M undPeek&Cloppenburg bis zu Gucci und Prada.Allerdings lassen sich die Gruppen nichtklar voneinander abgrenzen. Ein gutes Bei­spiel für den „hybriden Kunden“ ist Aldi: Durch seine extrem breite Aufstellunggelingt es dem Discounter, mit seinenTextilien auch Kunden anzusprechen, die normalerweise keine Produkte im Billig­segment erwerben würden. Ich selbst kaufedort zum Beispiel Kindersachen ein. Auchbei meinen Studenten beobachte ich, dassie oft einen teuren Pulli etwa von Hugo Boss mit einem preiswerteren Artikelvon H&M kombinieren. Die ökonomischenZwänge, die der Einkaufsstättenwahl zu­grunde liegen, lassen sich allerdings nichtvöllig ausschalten.

Das macht es dem Händler nicht geradeleicht, die richtige Strategie zu finden.Der Textilbereich ist auch kompliziert. Erfunktioniert in erster Linie nach Marken­prinzipien. Dabei spielt das Image eine vielgrößere Rolle als etwa im Lebensmittel­bereich. Es gibt Kunden, die 70 oder 80 Pro­zent ihres Bedarfs an Nahrungsmitteln in einer Supermarktkette decken. Im Textil­bereich werden Sie dagegen kaum jeman­den finden, der seine Kleider ausschließ­lich bei Esprit oder bei S.Oliver kauft. DieStreuung ist viel breiter. Das heißt abernicht, dass der Händler nicht relativ genauwüsste, wie sein Kunde aussieht. Nur dasssein Kunde eben auch noch Kunde beianderen Händlern ist.

Mehr als 20 Prozent der Kleidungskäufewerden bereits vom Paketboten an die Haus­tür geliefert. Wieso trifft die Abwanderungins Netz die Warenhäuser stärker als dieModeketten, die doch eine viel jüngere Ziel­gruppe ansprechen und daher die Online­Konkurrenz viel stärker spüren müssten?Die Krise der Warenhäuser allein mit demAufkommen des Online­Handels zu be­gründen, wäre zu kurz gegriffen. Diese Kri­se ist schon 30 Jahre alt, und trotzdem gibtes die Warenhäuser noch. Daran sehen Sie,was für ein statisches Geschäft der Einzel­handel sein kann. Es stimmt auch nicht,dass die jungen Konsumenten sukzessivedazu übergehen, nur noch online einzukau­fen. Aus Gesprächen mit meinen Studenten

weiß ich, dass sie durchaus sehr bewusstgemischt online und offline einkaufen.

Werden wir also nicht irgendwann alle unse­re Einkäufe im Internet erledigen?In den nächsten 20 Jahren ist das ausmehreren Gründen nicht zu erwarten. Zumeinen bietet online aktuell nicht dasselbeEinkaufserlebnis wie offline. Auch diepraktischen Vorteile beim Einkauf im sta­tionären Handel überwiegen: Sie habeneine viel größere Auswahl an Kleidungsstü­cken, die sie anfassen undanprobieren können, undsie können die Farben imLaden besser erkennenals auf Fotos im Internet.Der dritte und aus meinerSicht sogar wichtigsteAspekt ist der, dass derOnline­Vertrieb nichtunbedingt günstiger ist.Zalando ist ja auch nuräußerst mühsam in dieGewinnzone gekrochen.

Sie meinen, die Konzentra­tion auf den stationärenVertrieb kann auch eine er­folgreiche Strategie sein?Große Filialisten wie Zaraoder H&M stehen dafür.Sie betreiben kein nen­nenswertes Online­Ge­schäft, weil es für siebetriebswirtschaftlich wenig Sinn macht.Ihre Filialen sind so stark frequentiert, dieFlächenproduktivität ist so hoch, dass dieRaumkosten deutlich geringer sind, als esdie Transportkosten bei einem Online­Ver­sandhandel wären.

Der technische Fortschritt ist rasant. Die vonIhnen beschriebenen Rahmenbedingungenkönnten sich ändern.Vielleicht bekommen wir irgendwann ein­mal alle unser Klamotten mit Drohnennach Hause geliefert. Und diese Lieferun­gen kosten nichts, weil die Drohnen zu Hunderttausenden oder Millionen billig produziert werden können. Aber das ist imMoment nicht abzusehen.

Konzerne wie Amazon oder Zalando haben die Märkte in den letzten Jahren umgekrem­pelt. Könnte es einem Neueinsteiger in ab­sehbarer Zeit gelingen, sie von ihren Spitzen­positionen zu verdrängen?Wer jetzt noch einen reinen Online­Shopfür Kleidung aufmacht, hat nur geringeChancen, weil schon alle anderen da sind.Aber man sollte niemals nie sagen. DieEinstiegsbarrieren sind relativ niedrig.Vielleicht steht der nächste Amazon oderZalando ja bereits in den Startlöchern,möglicherweise sogar ohne zu wissen, dasser mal ganz oben landen wird.

Das Gespräch führte Thomas Thieme.

Interview Der inhabergeführte Modefachhandel ist nach Ansicht des Handelsexperten Thomas Roeb ein Auslaufmodell. Die Zukunft gehört nach seiner Ansicht großen Textilketten wie H&M, Zara oder Primark, für die der stationäre Handel weiterhin eine zentrale Rolle spielt.

Zara und andere große Modeketten können schnell auf neue Trends reagieren und mit niedrigen Preisen punkten – zum Leidwesen traditioneller Bekleidungsgeschäfte. Fotos: dpa

HANDELSEXPERTEPosition Thomas Roeb, Jahrgang 1964, vertritt seit 1998 das Fach Handels­betriebslehre an der Hochschule Bonn­Rhein­Sieg.

Erfahrung Nach seinem Studium der Betriebswirtschaftslehre und Geschichte in Bayreuth und Trier arbeitete Roeb zu­nächst für den Lebensmitteldiscounter Aldi Süd und die Unternehmensbera­tung Roland Berger.

Beratung Parallel zu seiner Lehrtätigkeit berät Roeb verschiedene Handelsunter­nehmen, darunter die Drogeriemarkt­kette DM und Tchibo. tht

„Die gleichen Menschen, die darüber jammern, kaufen doch selbst nicht mehrin diesen Geschäften ein.“Thomas Roeb über das Ladensterben

3Wirtschaft in Baden-WürttembergNr. 3 | November 2014Stuttgarter Zeitung | Stuttgarter Nachrichten

Page 4: Wirtschaft in Baden-Württbemberg

4 Wirtschaft in Baden-Württemberg 5Wirtschaft in Baden-WürttembergNr. 3 | November 2014Stuttgarter Zeitung | Stuttgarter Nachrichten

Einkaufszentrensind die neuen KonsumtempelDie klassischen Warenhäuserwerden in die Zange genom­men: von innerstädtischen Ein­kaufszentren auf der einen Sei­te und von Online­Händlern aufder anderen. Die einen stehenfür Erlebnisshopping, die ande­ren für preis­ und vergleichs­orientiertes Einkaufen. Einspannendes Event wollen mo­derne Einkaufszentren wie Mi­laneo und Gerber in Stuttgartoder die Mall of Berlin am Leip­ziger Platz in der Bundeshaupt­stadt ihren Kunden bieten.

„Alles was neu ist, übt ersteinmal einen enormen Reizaus“, sagt der Handelsexperte Roland Alter. Warenhäuserhätten auch einmal als neueEinkaufswelt gegolten, nichtohne Grund habe man sieals Konsumtempel bezeichnet.Doch mittlerweile seien sie ineinem fortgeschrittenen Sta­dium ihres Lebenszyklus ange­langt. Alter spricht von „Reife“

oder „Rückgang“ – freundlicheUmschreibungen für etwas, was man auch als Kaufhaus­sterben bezeichnen könnte.

Ein Alleinstellungsmerkmalder Häuser war die große Aus­wahl. Sie ist nach wie vor einwichtiges Argument für Kun­den, sich für ein Geschäft zuentscheiden. Die größte Pro­duktvielfalt wird heute aller­dings im Online­Handel ge­boten. „Hier können sie einebreite Warenwelt im direktenVergleich sehen“, sagt Alter.

Die persönliche Beratungwerde zudem immer mehrdurch Konsumentenbewertun­gen im Netz ersetzt. „Mit einbisschen Glück können Sie sa­gen: wenn ich einem schlechtausgebildeten Verkäufer gegen­überstehe, werde ich wenigerals bei einer Internetrechercheerfahren, bei der ich mir Pro­duktvergleiche und ­bewertun­gen anschaue.“

Die vertikalen Textilketten bleiben auf der ÜberholspurKeinen Grund zu klagen habendie sogenannten vertikalenTextilketten, die die gesamteWertschöpfungskette – vom Entwurf über die Produktionbis zur Warenpräsentation – kontrollieren und so teure Ver­triebs­ und Vermarktungsstu­fen überspringen. H&M, Zara und C&A, aber auch Billigket­ten wie Kik und Takko behaup­ten sich im harten Preiswett­bewerb. Mit rasch wechselndenKollektionen und niedrigenPreisen setzen sie überwiegendauf junge Kunden, für die dieKleider zum massenhaftenKonsumgut geworden sind.

2009 ist noch ein ambitio­nierter Fast­Fashion­Anbieter

in den deutschen Markt einge­stiegen: der irische Mode­Dis­counter Primark. Ende Novem­ber eröffnet das Unternehmen,das in seiner Heimat unter demNamen Penneys bekannt ist,in Dresden seine 14. deutsche Filiale. Erreichen die Iren ihrZiel, in jeder Stadt mit mehr als200 000 Einwohnern wenigs­tens einmal vertreten zu sein,wären es 40 Standorte odermehr. Dann könnten sie an derDominanz von H&M und Indi­tex (Zara) rütteln. Die Schwe­den und die Spanier prägendie Fußgängerzonen mit ihrenStammgeschäften und mitTöchtern wie Massimo Dutti,Pull&Bear, COS oder Weekday.

Die Grenzen zwischenon­ und offline fallenAuf der Suche nach „neuenWegen, die Online­ und die Off­line­Welt zu einem neuen Ein­kaufserlebnis“ zu verbinden,befindet sich Media­Marktnach den Worten seinesDeutschlandchefs Wolfgang Kirsch. Eine ungewöhnlicheForm der Vernetzung wird der­zeit am Firmensitz in Ingol­stadt getestet. Dafür müssenKunden nicht einmal ihr Autoverlassen: Sie können ihre per Laptop, Tablet oder Smart­phone georderten Waren direktam Drive­in­Schalter abholen.

Das bewährte Prinzip vonFast­Food­Ketten wird einfach auf Elektroartikel übertragen.So sparen sich die Kunden imVergleich zum Online­Einkaufdas Warten auf die Lieferungund mögliche Versandkosten.Vom stationären Einkaufunterscheidet sich der Elektro­Drive­in vor allem dadurch,dass die Kunden weder einenParkplatz noch das Produktoder die Abteilung im Ladensuchen müssen. Wenn das Kon­zept aufgeht, soll es in weiterenHäusern eingeführt werden.

Umgestalten will der Kon­zern in den kommenden fünfJahren alle seiner 260 deut­schen Filialen. Das neue Laden­konzept sieht neben einer opti­

schen Auffrischung auch denAufbau von Online­Terminalsvor. Darin können die Kundendurch ein Sortiment surfen, dasbreiter ist, als das im Laden zurSchau gestellte. Diese „virtuel­len Regalverlängerungen“ um­fassten zum Start im Septem­ber rund 60 000 Artikel und350 000 sogenannte Enter­tainment­Produkte (CDs,DvDs), während der Markt inIngolstadt auf 3400 Quadrat­meter Verkaufsfläche rund45 000 Artikel umfasst. Das Zielsei, so Wolfgang Kirsch, das On­line­Angebot zu verdreifachen.Outletcenter

überziehen die Republik Wer sich samstagmittags imEinkaufsgetümmel auf der Kö­nigstraße in Stuttgart wohl­fühlt, für den dürfte ein Bum­mel durch die Shopping­CityMetzingen geradezu die Erfül­lung sein. Das Ur­Outletcenterlockt nach wie vor die Massen in die schwäbische Provinz: imJahr 2012 waren es 3,5 Millio­nen Kunden aus 185 Nationen.„In Metzingen trifft sich dieganze Welt“, sagt der Handels­experte Roland Alter. In densiebziger Jahren begann dieGeschichte der deutschenOutlet­Hauptstadt mit einemFabrikverkauf von Hugo Boss; mittlerweile überzieht ein gu­tes Dutzend Outletcenter dieganze Republik, weitere sindbereits in Planung.

Joachim Will berät Unter­nehmen und Investoren bei derStandortwahl. Er beschreibtdas Erfolgsrezept dieser Ein­kaufsform, die an den Umsät­zen gemessen nur eine Nische im Handel besetzt. Outlets sei­en heute schon da, wo vieleStädte und Shoppingcenter ersthinwollten, sagt der Berater.

„Sie bieten Aufenthaltsqualitätund Eventcharakter. Architek­ten und Stadtplaner bekom­men aufgrund der Disney­Architektur im Wertheim Villa­ge einen Brechreiz, derNormalverbraucher verbringtdort aber gerne Zeit mit derFamilie und Freunden.“

Schlagzeilen hat in diesemSommer der nordrhein­westfä­lische Kurort Bad Münstereifelgemacht. Zum ersten Mal wur­de dort ein Outletcenter mittenin einer Stadt angesiedelt undnicht an deren Rand oder aufder grünen Wiese an einerAutobahnabfahrt. In der Fuß­gängerzone der historischenAltstadt eröffneten zeitgleich mehr als 20 Markenshops.

Ein solches Umfeld ist nichtnur für die namhaften Markeninteressant, sondern auch für junge Labels im Aufbau. „Fürsie ist es verlockend, sich in derNähe von großen, bekannten Anker­Läden niederzulassen“,sagt Handelsexperte RolandAlter, schließlich würdendie markenbewussten Kundendort hinkommen.

Der Handel setzt aufmehrere Vertriebskanäle„Multi­Channel“ und „Cross­Channel“ – also der Aufbau mehrerer Vertriebskanäle undihre Vernetzung – sind zweiaktuelle Lieblingsbegriffe vonHandelsmanagern. Idealerwei­se sieht das Cross­Channel­Einkaufsverhalten so aus: DerKunde informiert sich im Netz, lässt interessante Produkte insozialen Medien bewerten, pro­biert sie im Laden an oder ausund lässt sich die Ware dannnach Hause schicken. Dazureicht es längst nicht mehr aus,einen Online­Shop zu betrei­ben, in dem die Kunden vomLaptop, Tablet oder Smart­phone aus bestellen können.

Die Drive­ins von Media­Markt stehen für einen dertechnischen Trends, mit denender Handel um Kunden wirbt:es geschieht in dem Fall nachdem sogenannten Click&Col­lect­ oder Click&Reserve­Prin­zip (im Internet kaufen und imLaden abholen). Andere Trendssind: Same­Day­Delivery (im

Geschäft kaufen und noch amgleichen Tag nach Hause gelie­fert bekommen), E­Payment(bezahlen per Smartphone)oder Smart Display Solution(elektronische Preisschilder).

Eines der zentralen Elemen­te der digitalen Kundenbin­dung ist der sogenannte Locati­on­Based­Service. Dabei wirdder Kunde per GPS lokalisiert und erhält individuelle Ange­bote auf sein Smartphone,wenn er in der Nähe einesGeschäfts ist. Diese Form des datenbasierten Marketings verändert die Branche: „Verfüg­ten vor zehn Jahren nur Groß­unternehmen über die Res­sourcen für Data­Mining, sokann heute jeder Lieferservicedatenbasiert Kundenbindungbetreiben. Die Ära der Intuitionist vorbei, Daten sind der Kittin der Kundenbeziehung“, sagtBjörn Bloching, Senior Partnerbei Roland Berger StrategyConsultants und Autor desBuchs „Data Unser“.

Bio­Nahrung liegt im TrendDie Bio­Händler verbuchen imLebensmittelsektor die höchs­ten prozentualen Steigerungs­raten. So stieg der Umsatz des Bio­Filialisten Dennree 2013 um 17,4 Prozent (2012: plus 13,3Prozent), der von Alnatura um 14,9 Prozent (2012: plus 11,3 Prozent). „Das Thema ‚regiona­le Produkte‘ und transparenteLieferketten haben in den letz­ten Jahren einen deutlichenAufschwung genommen“, sagtder Handelsexperte Roland

Alter. Das sei im Lebensmittel­bereich noch deutlicher ausge­prägt als bei Textilien. Aller­dings ist Bio immer noch eineNische: Laut einer Studie desBundes Ökologische Lebens­mittelwirtschaft wurden im ver­gangenen Jahr in DeutschlandBio­Lebensmittel im Wert von 7,6 Milliarden Euro gekauft. Dergesamte Lebensmittelumsatzbelief sich auf 164 MilliardenEuro. Damit liegt der Bio­Anteilbei weniger als fünf Prozent.

Der Lebensmittelhandelerweitert sein SortimentDie Konzentration ist im Le­bensmittelhandel noch vielweiter fortgeschritten als imModesektor. Lediglich vierKonzerne beherrschen lautBundeskartellamt den deut­schen Markt. Edeka ist dem­nach mit rund 12 000 Filialen (inklusive Netto) und 25 bis 30 Prozent des Absatzes klarer Marktführer. Rewe kommt auf5500 Filialen (inklusive Penny)und 15 bis 20 Prozent Marktan­teil. Die Schwarz­Gruppe (Lidl und Kaufland) hat bundesweitetwa 4500 Filialen und einenMarktanteil von 20 bis 25 Pro­zent. Aldi (Nord und Süd) istbundesweit mit 4000 Filialenund 15 bis 20 Prozent Markt­anteil vertreten.

Die Märkte decken längstmehr als nur den Nahrungs­mittelbedarf der Kunden. Mitihren wöchentlichen Aktionen bauen die Discounter ihre Sor­

timente kontinuierlich aus. „Inallen Warenkategorien gibt esStandardprodukte mit einemhohen stückzahlmäßigen Be­darf“, sagt Roland Alter. DieDiscounter würden die Kate­gorien gezielt durchgehen undversuchten, die sogenanntenSchnelldreher zu identifizie­ren – zum Leidwesen der Kon­kurrenz: „Bei diesen Produktenspüren die Fachhändler natür­lich einen Absatzrückgang, da gehen ihnen große Stückzahlenverloren“, sagt der Handels­experte. Dabei sei grundsätz­lich jeder angreifbar. Es treffedie Baumärkte genauso wie dieDrogerien oder den Textil­bereich. Sobald ein Produkt ge­rade auch saisonal eine hohe„Abverkaufsfähigkeit“ hat, wirdes interessant, zum BeispielGeräte für die Gartenpflege imSommer oder Winterkleidungin der kalten Jahreszeit.

Drogerie­ und Baumärktesortieren sich neuMit Schlecker und Praktikersind gleich in zwei Branchengroße Marktteilnehmer ver­schwunden. „Das hat Druck ausdem Markt genommen“, sagtAlbrecht Hornbach, Chef derdrittgrößten deutschen Bau­marktkette nach Obi und Bau­haus. Die Konkurrenz hat eineReihe von Märkten übernom­men, teilweise mitsamt der frü­heren Belegschaft.

„Ein überwiegender Anteilder Umsätze der Praktiker­Gruppe kann aller Voraussichtnach in den aktiven Unterneh­men der Baumarktbranche ge­bunden werden, die individuellmit deutlichen Zuwachsratenfür das Geschäftsjahr 2014rechnen“, heißt es beim Han­delsverband Heimwerken, Bau­en und Garten (BHB). Für dieKunden sei das Verschwindenvon Praktiker und Max Bahrohnehin verkraftbar, sagt BHB­

Hauptgeschäftsführer PeterWüst: „Niemand vermisstPraktiker, niemand hat Ver­sorgungslücken.“

Eine ähnliche Marktbereini­gung hat im Bereich der Droge­riemärkte stattgefunden. Diedrei verbliebenen Großen – Rossmann, DM und Müller –verzeichneten in den vergange­nen beiden Jahren teilweise zweistellige Wachstums­raten und bauten ihreFilialnetze weiter aus.Gleichwohl befin­den sich die Kon­kurrenten wei­terhin in einemharten Preis­wettbewerb.

Neun von zehn Euro werden nach wie vor in den Einkaufs­zentren, den Fußgängerzonen,im Supermarkt oder beim Dis­counter ausgeben. Doch derKunde wird bequemer und lässtsich immer mehr Dinge nach Hause liefern: 2013 lag der On­line­Anteil am Gesamtumsatzdes deutschen Einzelhandelsbei gut elf Prozent (Handels­verband); bei einzelnen Waren­gruppen wie Elektro, Bücheroder Kleidung liegt er bereits zwischen 20 und 30 Prozent.

Die deutsche Logistikbran­che war in den vergangenenJahren der große Profiteurdieses Booms: So wurden 2013knapp 2,7 Milliarden Sendun­gen verschickt, 57 Prozent mehr als im Jahr 2000. Der Ge­samtumsatz mit Paketen, Ex­presslieferungen und Kurier­sendungen lag bei 16 MilliardenEuro. Auch die Beschäftigungs­zahl in der Branche erreichtemit 197 000 Mitarbeitern ein Rekordhoch und lag um 23 Pro­zent über der des Jahres 2002.Das Bestellen ist aber nur die

eine Seite des Online­Handels;die andere sind die zahllosenRücksendungen. Handelsex­perten schätzen die Retouren­quote im Textilbereich auf biszu 70 Prozent.

Nicht einmal eine Gesetzes­änderung, die den Versendernseit Juni 2014 die Weitergabeder Rücksendegebühren an denKunden unabhängig vom Wa­renwert erlaubt, konnte etwasan der hohen Zahl zurück­geschickter Artikel ändern. Die Händler scheinen sich schlichtnicht zu trauen, den Kundendiese Kosten aufzubürden.„Grundsätzlich macht ja geradeein kostenfreies Widerrufs­recht den Einkauf im Internetfür Verbraucher sicher“, sagtChristian Gollner von der Ver­braucherzentrale Rheinland­Pfalz. Solange die größtenInternetversender auf demdeutschen Markt – Amazon,Otto und Zalando – an dieserPraxis festhalten, werden sich auch kleinere Anbieter schwer­tun, einen anderen Weg einzu­schlagen.

Online­Handel lässt die Logistikbranche boomen

Das Sterben derkleinen Fachhändler

Der Handel will permanentfür die Kunden da sein

Handel im digitalen WandelTrends Einkaufszentren boomen, traditionelle Fachgeschäfte sterben – und alle zusammen spüren die wachsende Konkurrenz des Internets. Was die deutsche Handelslandschaft sonst noch bewegt,zeigt unser Überblick. Von Thomas Thieme

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Online, offline oder dieKombination beider Ver­triebswege: noch nie hatten Kunden so viele

Möglichkeiten, ihre Wünsche zu befriedigen. Umam Markt zu bestehen, buhlen Händler mit kreativen

Ideen um die Gunst der Verbraucher.

Gute Geschäfte mit Körper­pflege: nach der Schlecker­

Pleite konntenKonkurren­

ten wie DModer Ross­mann zulegen.

Neben dem schleichend voran­schreitenden Kaufhaussterbenist das allgemeine Ladensterbenein weiteres Phänomen in derdeutschen Einzelhandelsland­schaft. Der Bundesverband desDeutschen Textileinzelhandelsin Köln (BTE) sieht davon vorallem die Randlagen der Groß­städte, aber auch kleine undmittlere Kommunen betroffen.So sei die Zahl der Bekleidungs­fachhändler seit der Jahrtau­sendwende jährlich um 1000Unternehmen gesunken: vonmehr als 35 000 im Jahr 2000auf aktuell nur noch 20 000.„Online boomt, während demmittelständischen Einzelhandelja schon fast das Sterbe­glöckchen geläutet wird“, sagtBTE­Präsident Steffen Jost.

Gerade den Modehändlernbereiten die sinkenden Fre­quenzen in den Fußgänger­zonen immer größere Schwie­rigkeiten. „Da die Menschen ihrLeben zunehmend vom heimi­schen Computer aus organisie­ren, verringern sich die Chan­cen für Impuls­ und Lustkäufe“,

bedauert Jost. Dazu kommt, dass kleine Händler den Aufbaueines eigenen Internetvertriebsscheuen. Laut einer Studie desE­Commerce­Centers in Kölnbetreiben sechs von zehn mit­telständischen Händlern kei­nen Online­Shop. Als entschei­dende Hinderungsgründe nen­nen sie den zeitlichen Aufwandund die Kosten.

Doch nicht erst das Internethat die kleinen Händler an dieWand gedrückt. Im Elektrobe­reich waren große Fachmärkte wie die beiden Metro­TöchterMedia­Markt und Saturn schonfrüher da. Die Ketten sindlängst selbst der Kannibalisie­rung durch das Netz ausgesetzt.Zudem wurden sie zu Opfernihrer eigenen jahrelangen Tief­preiskampagnen („Ich bin dochnicht blöd“ oder „Geiz ist geil“),attestiert der HandelsexperteRoland Alter. „Die Kundensind jetzt technologieaffin undmachen Preisvergleiche. Über­all da, wo eine einfache Preis­vergleichbarkeit gegeben ist, istdas Internet klar im Vorteil.“

Das Internet kennt keine Öff­nungszeiten. Mit diesem Argu­ment im Gepäck ziehen dieSpitzenvertreter des Handelsgegen das Verbot der Ladenöff­nung an Sonntagen zu Felde:„Das stationäre Einzelhandelkann und muss echte Einkaufs­erlebnisse schaffen. Dazubraucht er mehr Chancen­gleichheit bei den streng regu­lierten Öffnungszeiten“, sagt Stefan Genth, der Haupt­geschäftsführer des Handels­verbands Deutschland.

Ein Blick in die Geschichtelässt vermuten, dass die Erfül­lung seiner Forderung nur eineFrage der Zeit sein könnte. Sowurden die Verkaufszeiten seitder Einführung der langenDonnerstage 1989 sukzessiveausgeweitet. 1996 wurden dieÖffnungszeiten an Wochen­

tagen von 7 bis 18.30 Uhr auf6 bis 20 Uhr und am Samstagvon 14 auf 16 Uhr ausgeweitet.Ab 2003 durften Geschäfte anallen Samstagen bis 20 Uhr ge­öffnet sein. Die Verantwortungfür die Öffnungszeiten ging2006 schließlich vom Bund aufdie Länder über. In den meistenBundesländern gelten mittler­weile gar keine oder nur noch geringe Beschränkungen anWerktagen.

Einzige Ausnahme und da­her steter Streitpunkt zwischenGewerkschaften und Kirchenauf der einen und dem Handelauf der anderen Seite bleibt derSonntag: Die Verkäufer müss­ten vor Sonntagsarbeit ge­schützt werden, fordern die einen. Auch in anderen Bran­chen werde sonntags gearbei­tet, argumentieren die anderen.

Page 5: Wirtschaft in Baden-Württbemberg

<1,5

Einzelhandelsumsätze der Kreise Baden-Württembergsals Anteil der gesamtdeutschen Umsätze

Angaben in Promille

1,5 - 2,0

2,0 - 2,5

2,5 - 3,0

3,0 - 3,5

3,5 - 4,0

> 4,0

StZ-Grafik: zap

NeckarsulmSchwarz-Gruppe(Lidl, Kaufland)Lebensmittel74,0 Mrd. Euro

DMDrogerie7,7 Mrd. Euro

BopfingenMöbel Mahler180 Mio. Euro

EurobaustoffBaustoffe(Fachhandels-kooperation)5,4 Mrd. Euro

HeineBekleidung483 Mio. Euro

OffenburgEdeka Südwest

Lebensmittel7,6 Mrd. Euro

OffenburgEdeka Südwest

Lebensmittel7,6 Mrd. Euro

WillstättOrsayBekleidung183 Mio. Euro

KünzelsauWürthBefestigungselemente9,7 Mrd. Euro

KünzelsauMustang

Bekleidung(eigener Einzelhandel)

50 Mio. Euro

MichelfeldRötherBekleidung209 Mio. Euro

CelesioPharmagroßhandel21,4 Mrd. Euro

BreuningerWarenhaus500 Mio. Euro

TakktBüroeinrichtungen953 Mio. Euro

DitzingenEuronics(Fachhandels-kooperation)Elektronik1,5 Mrd. Euro

Bietigheim-BissingenHofmeisterMöbel170 Mio. Euro

Bietigheim-BissingenOlymp

Bekleidung (eigener Einzelhandel)

25 Mio. EuroPforzheim

Klingel-GruppeBekleidung

1,0 Mrd. Euro

UlmMüllerDrogerie3,7 Mrd. Euro

Bad WaldseeWalzVersandhandel300 Mio. Euro

SigmaringenCharles VögeleBekleidung300 Mio. Euro

KöngenAWGBekleidung295 Mio. Euro

MetzingenHugo BossBekleidung (eigener Einzelhandel)225 Mio. Euro

GöppingenMöbel Rieger260 Mio. Euro

WinterbachPeter HahnBekleidung307 Mio. Euro

MannheimPhoenixPharma-großhandel21,2 Mrd. Euro

MannheimBauhausBaumarkt5,4 Mrd. Euro

Geringste Umsätze

KARLSRUHE

RHEIN-NECKAR-KREIS

NECKAR-ODENWALD-KREIS

MAIN-TAUBER-KREIS

HOHENLOHEKREIS

HEILBRONN

ENZKREIS

CALW

BADEN-BADEN

BÖBLINGEN

ESSLINGEN

REUTLINGEN

TÜBINGEN

GÖPPINGEN

OSTALBKREIS

HEIDENHEIM

ALB-DONAU-KREIS

BIBERACH

TUTTLINGEN

FREIBURG

LÖRRACHWALDSHUT

EMMENDINGEN

ORTENAUKREIS

FREUDENSTADT

ROTTWEIL

SIGMARINGEN

ZOLLERNALBKEIS

KONSTANZRAVENSBURG

LUDWIGSBURG REMS-MURR-KREIS

HEIDEL-BERG

SCHWÄBISCH HALL

BODENSEEKREIS

SCHWARZWALD-BAAR-KREIS

RASTATT

BREISGAU-HOCHSCHWARZWALD

Höchste Umsätze

Sitz

Jahresumsatz(jeweils aktuellsterverfügbarer Wert)

UnternehmenBranche

Quellen: eigene Recherchen, Branchenpublikationen, Schätzungen

Karlsruhe

Statistik Gemessen an der Zahl der Mitarbeiter ist der Einzelhandel mit rund 280 000Beschäftigten die drittgrößte Branche im Land – nach Maschinenbau und Gesundheitswesen. Hinzu kommen knapp 230 000 Beschäftigte im Großhandel. Unsere Übersichtskarte zeigt,in welchen Stadt­ und Landkreisen die höchsten Einzelhandelsumsätze erzielt werden undwo ausgewählte Handelsunternehmen aus dem Südwesten ihren Sitz haben.

Wer handelt womit inBaden­Württemberg?

Stadt­ oder Landkreis

EinwohnerAEinzelhandels­umsatz 2014 (Mrd. Euro)B

Umsatz proEinwohner (indexiertC)

SK Stuttgart 597 939 4,1 135,9

LK Rhein­Neckar­Kreis 527 287 2,4 89,9

LK Ludwigsburg 516 748 2,3 89,7

LK Esslingen 508 577 2,2 87,0

SK Mannheim 294 627 2,1 143,7

SK Karlsruhe 296 033 2,0 131,8

LK Böblingen 367 208 1,9 102,7

LK Ortenaukreis 411 700 1,9 91,1

LK Rems­Murr­Kreis 408 827 1,9 91,3

LK Karlsruhe 427 106 1,8 85,2

Baden­Württemberg gesamt

10 569 111 53,3 99,6

Deutschland gesamt 80 523 700 408,0 100

A Stand: 31. 12. 2012 B Prognose C Bundesdurchschnitt = 100 Quelle: GfK, eigene Berechnungen

DIE ZEHN UMSATZSTÄRKSTEN KREISE IM LAND

6 Wirtschaft in Baden-Württemberg Nr. 3 | November 2014Stuttgarter Zeitung | Stuttgarter Nachrichten

Page 6: Wirtschaft in Baden-Württbemberg

Herrn Aumillers Angst vor der Sonne

Schirme. Schwieriges Thema. Weil:einen guten Schirm kauft man jaeigentlich fürs Leben – um ihn doch

womöglich bei der übernächsten Gelegen­heit irgendwo stehen zu lassen, woraufhinder ursprüngliche, auf Dauer angelegteLebensschirmplan schnell komplettdurcheinandergerät. Der nun folgendeSchirm, denn ohne Schirm geht es ja auchnicht, ist dann meist einer der billigen Sorte. „So zehn Euro“, sagt Meinrad Aumil­ler, der Inhaber von „Schirme im Rathaus“in München, ein Mann vom Fach. „Aber diemüssen gar nicht mal schlecht sein“, setzter hinzu.

Meinrad Aumiller, ein stattliches bayeri­sches Mannsbild von gut fünfzig Jahren,trägt denselben Vornamen, den schon derGroßvater und der Vater hatten; sein Sohnheißt auch wieder so, Meinrad. Wenn es alsoum Tradition geht und wie sie, was die Tra­ditionsgeschäfte angeht, langsam ausstirbt in den großen Innenstädten, ist man hier

allemal an der richtigen Adresse: Diener­straße, hinterm Rathaus. Es ist

ein schöner Herbsttag, undMeinrad Aumiller steht

vor seinem Geschäft,schräg gegenüber

vom Feinkosthänd­ler Dallmayr, in

der Sonne.Klar, dass das

nicht sein Wet­ter ist. Wobeisich das Wet­ter, das sei ja

das Schöne, sagtAumiller, manchmal

schlagartig ändern könne,„und dann drängeln schon mal schnell ein

halbes Dutzend Leute in den Laden, mehrgehen beim besten Willen nicht hinein, undkaufen besagte Zehn­Euro­Schirme“. Aberdie Sonne ist ziemlich hartnäckig an diesemNachmittag.

Aumillers, die auch mal das Schirm­Ge­schäft im Stuttgarter Königsbau betrieben (ehemals: Carl Hepfer), haben 1974 dieDinge übernommen von der Familie Dar­chinger, die ihrerseits seit 1952 amtierte.Manche alte Kunden haben den Wechselzwar zur Kenntnis genommen, sagt Mein­rad Aumiller, aber irgendwie auch wiedernicht, weil manche bis heute „Herr Dar­chinger“ zu ihm sagen. Er selbst ist im Jahr2000 eingestiegen, und das war, sagt Au­miller rückblickend, ziemlich genau der Zeitpunkt, als es „langsam anfing zu brö­ckeln“ im klassischen Innenstadtgefüge.Jedenfalls sei ihm die Stammkundschaft, die Qualität kaufte und wollte und selbstSchirme reparieren ließ, „langsam wegge­storben“, sagt er, oder anders ausgedrückt:„Meine Kundschaft heute ist der Tourist:Chinesen, Amerikaner, Russen.“

Touristen kaufen 10­, 30­, manchmalauch 50­Euro­Schirme, darüber geht we­nig, und wenn, dann lohnt sich das eigent­lich nicht. Für über 800 Euro hat Aumillermal einen Schirm verkauft, den auch Prinz Charles gerne benutzt – britisch halt(wiewohl in China hergestellt), schwarz,schwer –, aber dann war gleich der Stockkaputt, das kann passieren. „Die meisten gehen eh zum Rossmann“, sagt Aumiller, reibt den Daumen über den Zeigefinger derrechten Hand hinweg und schaut ein wenigins Leere, während er an den Drogerie­Dis­counter denkt: „Drei Euro. An der Kasse.“

Andererseits ist Aumiller noch ver­gleichsweise gut dran. Die Miete ist „eini­

germaßen bezahlbar“, und er hat ein Pro­dukt, „dass eigentlich immer geht“, wennauch nur, wie geschildert, auf der gesell­schaftlichen Schwundstufe. Neben „Schir­me im Rathaus“ war Stempel Berger seit1919. Die haben 2012 zugesperrt, undAumiller sieht das eher nüchtern: „Werbraucht heute bei Internet und Tralalanoch Stempel?“ Außer Behörden.

Manche Dinge, denkt man trotzdem, gibtes doch ewig: Porzellan zum Beispiel. Dass dem nicht so ist, hat Kuchenreuther inder Münchner Sonnenstraße gemerkt. DasGeschäft musste im letzten Jahr ausverkau­fen – nach drei Generationen. Wobei Ku­chenreuther schon einigermaßen mit der Zeit gegangen war, aber eben nicht mit denganzen bonbonbunten Billigeinrichtungs­läden mithalten konnte. „Joh. Zehme“, Hut­macher von Rang und Namen, verließ diePerusastraße; das Modehaus Maendler zogaus. „Wer ist da drin?“, fragt Meinrad Aumil­ler. Bei Maendler ein Mango­Shop. Undsonst? „Handyläden, schon um zu zeigen, dass sie’s jederzeit können. Die wollen prä­sent sein – wie die Parfümerieketten.“

Vor großen Einkaufszentren muss sichdie Münchner Innenstadt zwar bisher nichtfürchten, aber was sich sonst in der Fläche alles monopolisiert und als Flaggschiff rein­rauscht, reicht allemal. Eher noch luxuriö­ser geworden oder in der Hand von GlobalPlayern wie Vuitton, Abercrombie & Fitchoder Adidas sind die Edelmeilen Theatiner­und Maximilianstraße, in deren Umfeld sichdarum Einzelhändler ansiedeln, die bewusstExklusivität verkaufen – und das auchdemonstrieren wollen. So ist nicht nur der hyperteure Schuhladen von Eduard Meier (seit 1596) in die Brienner Straße gewan­dert, also eher an den Rand der Innenstadt. Andere Hochmögende haben sich ange­schlossen und eine kleine Gemeinde gebil­det. Einen Zusammenschluss von Tradi­tionsgeschäften, wie jüngst in Stuttgart vonHochland, Tritschler, Wittwer und anderen

organisiert, gibt es jedoch in München vor­erst nicht. Hier wurstelt jeder für sich allein.

Im Zweifelsfall, sagt Meinrad Aumiller,jetzt schon wieder ganz versöhnlich ge­stimmt, kämen die Leute dann doch wiederdrauf, dass es noch einen Fachhandel in derCity gibt und dass der Sachen auf Lager hat, von denen selbst die Kaufhäuser nur träu­men können. Andererseits stehen häufig dieHerren im Laden – „Es sind immer die Her­ren“, sagt Aumiller –, zücken ihre Smart­phones und geben bekannt, dass es diesesoder jenes Modell imInternet klar billigergebe, aber echt. Au­miller hatte mal mitModeschmuck imNebenerwerb ange­fangen und mit Lottogeliebäugelt. Selbstden kompletten Sys­temwechsel bis hinzur Eisdiele hatte er bereits erwogen. Logis­tisch wäre das natürlich ein riesiger Auf­wand, und irgendwie, das merkt man, hängt Aumiller auch an seinen paar Quadratme­tern im Zentrum der Landeshauptstadt. Ja, und es freut ihn natürlich, dass er mit der al­ten Kundschaft noch reden kann, wie ihm das Maul gewachsen ist: münchnerisch halt,wie man’s kaum noch irgendwo hört. Über­dies hat die Stadt ein Auge drauf, dass bei„Schirme im Rathaus“ eigentlich allesbleibt, wie es ist. Nämlich in der Art:

Alte Dame: „Ich hätte gerne einen schö­nen Schirm für meine Freundin.“

Verkäuferin: „Und das Stoffmuster?“Alte Dame: „Wie der im Fenster. Mit den

Blumen.“ Die Frau nimmt den mit den Blumen.

Blumen gehen immer, auch auf Schirmen,ja, gerade auf Schirmen. Und MeinradAumiller junior – letzte Meldung jetzt –,momentan 14 Jahre alt, will vom Papa dasGeschäft übernehmen. Ganz im Ernst. Eslebe der Fachhandel.

Fachhandel Das letzte Schirmgeschäft in Münchens Innenstadt trotzt Flagship­Stores, Handyläden und dem Ungeist der Zeit. Von Mirko Weber

„Die Stammkundschaft, die Qualität kaufte, ist langsam weggestorben. Meine Kundschaftheute ist der Tourist: Chinesen, Amerikaner, Russen.“Der Münchner Schirmfachhändler Meinrad Aumiller

Wenn Hersteller zu Händlern werden

Eigentlich steht es im Widerspruchzu einem alten Grundprinzip desHandels und der Industrie, das dalautet: werde nicht zum Konkur­renten deines Kunden. Doch im­

mer mehr Konsumgüterhersteller weichenvon dieser Linie ab und schlüpfen selbst in die Rolle des Händlers. Sie eröffnen eigeneGeschäfte oder siedeln sich mit ihrenSortimenten in Outletcentern an. Dafürmüssen die Unternehmen viel Geld in dieHand nehmen, doch die Investitionen können sich auszahlen; finanziell sowiebeim Image.

„Unsere Flagship­Stores prägen die glo­bale Markenwahrnehmung“, sagt Hugo­Boss­Chef Claus­Dietrich Lahrs. Der Met­zinger Modekonzern setzt seit Jahren kon­sequent auf den eigenen Einzelhandel. DerBereich verzeichnet zweistellige Zuwachs­raten und ist aktuell der Hauptumsatz­treiber. Im vergangenen Jahr durchbrach

die Zahl der Hugo­Boss­Stores inklusi­ve Shop­in­Shop­Filialen und Outlet­center weltweit die1000er­Marke. Mit576 Geschäften liegtder Schwerpunkt in

Europa, aber auch die Vertriebsnetze in Asien (234 Läden) und in Amerika (200) werden ausgebaut. Der Anteil des Einzel­handels am Gesamtumsatz übertraf 2012erstmals den des Großhandels. Im vergange­nen Jahr wurden 54 Prozent der Einnahmen(747 Millionen Euro) in den eigenen Ge­schäften erzielt. Die eigenen Läden sind pro­fitabler als der Vertrieb über Handelspart­ner, da mehr Ware umgeschlagen wird, schneller auf Kundenwünsche reagiert wer­den kann und die Margen höher ausfallen.Die eigenen Verkaufsflächen fungieren auchals Werbeträger für die Marke. Allerdings steigen die Kosten, etwa für Mieten, Perso­nal, Logistik und Marketing. In diesem Jahrwurden weltweit rund 50 neue Filialen er­öffnet, darunter Flagship­Stores in Metro­polen wie Paris, Rom und Osaka.

Auch kleinere Mode­ und Textilherstel­ler aus dem Südwesten bauen ihren eigenenVertrieb sukzessive aus. So betreibt derTettnanger Outdoor­Ausstatter Vaudemittlerweile 13 Geschäfte in Eigenregie,weitere sollen folgen. In der Branche sind die Oberschwaben damit keine Ausnahme.Große Hersteller wie Jack Wolfskin, NorthFace oder Mammut eröffnen Flagship­Stores und Mono­Marken­Geschäfte und ziehen damit den Unmut der Handels­

ketten auf sich: „Natürlich stört uns das“, sagt Thomas Lipke, Geschäftsführer bei Deutschlands größtem Outdoor­HändlerGlobetrotter. Die Hersteller hätten Wachs­tumserwartungen, die ihnen der Handel nicht erfüllen könne. Allerdings sei dieAbhängigkeit beidseitig; auch die großenHändler können eine Marke auslisten.

Der Hemdenhersteller Olymp hat dieVorteile eigener Geschäfte bereits in denneunziger Jahren entdeckt. Eine „bedachteDosierung der Retail­Aktivitäten“ zieht dasFamilienunternehmen aus Bietigheim da­bei einer „übereifrigen Store­Expansion“ vor, erklärt Olymp­Chef Mark Bezner. Zu­letzt wurde das Filialnetz auf 52 Läden auf­gestockt; dazu gehören 36 eigene Lädenund 16 Filialen von Franchise­Partnern.„Die eigene Handelsstrategie stellt für unseine sinnvolle Ergänzung zur Ausweitungunserer Markenpräsenz dar“, sagt Bezner. Sechs bis acht Neueröffnungen hält er mit­telfristig für realistisch. Den Löwenanteilder Waren vertreibt der Hersteller überden klassischen Vertriebsweg mit Handels­partnern, so Bezner. Damit würden derzeit 80 Prozent des Umsatzes erwirtschaftet.

Für Roland Alter müssen mehrere Vo­raussetzungen erfüllt sein, damit sich ein Konsumgüterproduzent erfolgreich einen Eigenvertrieb aufbauen kann: „Die Mar­kenstärke muss groß genug sein, undSchlüsselkunden dürfen es nicht als prinzi­pielle Bedrohung empfinden.“ Der Kanni­balisierungseffekt müsse sich zudem inGrenzen halten, ergänzt der Handelsexper­te von der Hochschule Heilbronn. Ein Her­steller, der diese Kannibalisierung kom­plett vermieden hat, ist die US­ModemarkeHollister. Ohne den Vertriebskanal Groß­handel je etabliert zu haben, sei es den Amerikanern mit einem cleveren Marke­ting gelungen, ihre überwiegend jungeKundschaft zu gewinnen, erklärt Alter.

Unternehmen mit erfolgreichen Strate­gien sind dem Handelsfachmann zufolgeimmer auch Vorbilder für andere Managerin der Branche. Manche von ihnen würdensich allerdings nur einreden, dass ihre Mar­ke stark genug sei. Selbst mit einer bekann­ten Marke im Rücken müsse diese Form derExpansion nicht nachhaltig funktionieren,wie der Fall des LuxusmodeherstellersStrenesse zeige. Das Unternehmen aus dembayrischen Nördlingen durchläuft geradeeine Insolvenz in Eigenverwaltung.

Der Vorreiter Hugo Boss ist aber nichtnur wegen der guten Wachstumsaussichtenauf die Idee gekommen, den Vertrieb in dieeigene Hand zu nehmen. In einer Studie

des Göttinger Marketingprofessors Hans­Christian Riekhof wird am Beispiel desGroßbritannien­Geschäfts des Edelschnei­ders beschrieben, wie die Wirtschaftskrise den Trend beschleunigt hat: Franchise­Partner konnten ihren Verpflichtungenzur regelmäßigen Renovierung nicht nach­kommen; Kaufhäuser forderten Waren­rücknahmen und bessere Zahlungskondi­tionen. Ein Teil der Großhandelspartner musste im Zuge der Krise sogar Insolvenzanmelden, andere veränderten ihr Sorti­ment und nahmen mehr preisaggressiveMarken auf. Als Reaktion darauf haben sichdie Metzinger von unprofitablen Großhan­delspartnern getrennt und auf die eigene Retail­Expansion gesetzt. Während Boss2008 noch knapp 80 Prozent seiner Warenauf der Insel über Handelspartner vertrie­ben hat, waren es drei Jahre später nurnoch 33 Prozent. Der Konzern zeigt sichhöchst zufrieden mit der neuen Strategie: „Der Erfolg gibt uns recht. Wir haben im

Laufe der letzten vier Jahre in Großbritan­nien an Stärke gewonnen und gehören heu­te kontinuierlich zu den am dynamischstenwachsenden Premium­Marken. Dabei er­zielen wir herausragende Kapitalrenditenfür unseren Konzern.“

Den Rückwärtsgang in Sachen eigenerEinzelhandel hat der Jeanshersteller Mus­tang aus Künzelsau eingelegt. „Wir habenin der Vergangenheit zu viele Shops an derfalschen Stelle eröffnet“, sagt der heutigeMustang­Chef Dietmar Axt. Nach seinem Einstieg vor drei Jahren stoppte er die seit2004 forcierte Expansion des Filialnetzes,schloss in seinem ersten Jahr mehr als ein Dutzend eigener Läden und machte sichauf die Suche nach neuen Vertriebs­partnern. Mustang besitzt heute noch rund50 Shops im In­ und weitere 25 im Ausland.Das Verhältnis Einzel­ zu Großhandel –derzeit 50 zu 50 – soll sich weiter in Rich­tung Großhandel verschieben. Die Zielmar­ke liegt Axt zufolge bei 75 Prozent.

Vertrieb Viele Modeunternehmen setzen auf eigene Läden.Eine Erfolgsgarantie gibt es dabei aber nicht. Von Thomas Thieme

Der Modekonzern Hugo Boss setzt in seinen eigenen Shops mehr um als über den Einzelhandel. Foto: Achim Zweygarth

Schirmegehen im­

mer, doch mehr als zehn

Euro dürfen sie selten kosten.Foto: fotolia

„Die Markenstärke muss groß genug sein, und Schlüsselkunden dürfen es nicht als prinzipielle Bedrohung empfinden.“Handelsexperte Roland Alter über den Eigenvertrieb

7Wirtschaft in Baden-WürttembergNr. 3 | November 2014Stuttgarter Zeitung | Stuttgarter Nachrichten

Page 7: Wirtschaft in Baden-Württbemberg

Online­Shopping: Segen oder Fluch?

Konkurrenz Bereits jeder zehnte Euro im deutschen Einzelhandel wird im Internetausgegeben. Gleichzeitig müssen immer mehr traditionelle Geschäfte schließen.Zwei StZ­Redakteurinnen debattieren die Entwicklung aus Kundinnensicht.

Kontra

Computer hochfahren, Online­Shop besu­chen, Produkt bestellen – und wenige Ta­ge später steht der Paketbote vor der Tür.

24 Stunden am Tag shoppen, immer stau­ undstressfrei. So einfach soll Online­Shopping sein,verspricht die Branche. Von wegen.

Zunächst das Angebot. Im Internet findetsich alles und dies auch noch überreichlich. Bei­spiel Hosen. Es gibt sie in Blau, Schwarz, Grau,Grün und Rot. Und ich klicke und klicke und klicke. Es gibt sie in vielen Formen und Längen.Und es gibt ausführliche Produktbeschreibun­gen. Stimmt. Aber: Passt mir die Hose, steht siemir, oder sollte ich ein anderes Modell wählen?Fehlanzeige. Dazu gibt es keine Informatio­nen – klicken hilft nicht, nur probieren. Also bestelle ich Hosen. Doch Vorsicht, der Mindest­bestellwert ist wichtig, sonst wird Porto fällig.

Und jetzt sind – jawohl – die Nachbarn ge­fordert. Welche Berufstätige ist schon zu Hau­se, wenn der Paketdienst kommt? Rentner inder Nachbarschaft können ein Lied davon sin­gen, während sich bei ihnen die Pakete amHauseingang stapeln. So viel Toleranz ist nie­mandem abzuverlangen. Die Modenschau vordem häuslichen Spiegel macht es dann deut­lich: falsche Farbe, unvorteilhafter Schnitt, gro­ber Stoff. Alles wieder einpacken und zurück anden Absender. Und dann droht für weniger rou­tinierte Online­Shopper die nächste Hürde: dieSchlange am Postschalter. Und Retouren sindbeileibe nicht die Ausnahme. Sie sollen bei über50 Prozent liegen. Und die Kleidungsstücke, dienicht zurückgeschickt werden, sondern ihr trauriges Dasein im Schrank fristen, sind da nicht mal mitgerechnet. Doch die Retoure ist nicht das Ende, sondern der Anfang: Computerhochfahren, Online­Shop besuchen – Sie wis­sen schon.

Natürlich schützt auch der stationäre Han­del nicht vor Fehlkäufen. Aber sie lassen sichreduzieren – weil die Menschen meist konkreteVorlieben für Geschäfte und Marken haben undsich gerne Rat suchen. Mit einer Freundin wirdein Einkaufsbummel schnell zum Erlebnis (in­klusive Café­Pause). Eine geschulte Verkäufe­rin kennt ihre Waren und hat einen Blick für dieFigur der Kundin – und macht Mut zum Auspro­bieren. So findet frauModelle, an die sie selbstnie gedacht hätte. Nicht zu unterschätzen: sie kann Stoffe anfassenund so im wahren Sinneerfahren. Und wenn die Verkäuferin mal keineZeit hat – kein Problem. Zum einen benötigendie wenigsten Kunden eine Vollzeitberatung, zum anderen kann ein Modeschwätzchen mit der Dame aus der Nachbar­Anprobe ganz an­regend sein. All dies droht zu verschwinden,wenn immer mehr Kunden lieber im Interneteinkaufen.

Das gilt nicht nur für Mode, sondern auchfür Bücher, CDs oder Elektronikartikel. Ineinem Geschäft trifft man Menschen, die etwasüber Musik oder Bücher erzählen können. Undwer sein technisches Grundwissen erweitern will, holt sich Rat beim Fachmann hinter der Theke – statt am Computer zu sitzen oder ewigin der Hotline­Schleife zu hängen.

Beratung Einkaufen am Computer kann nervenaufreibend sein. Und weit und breit gibt es

kein Straßencafé, das ein wenig Entspannung bieten könnte. Von Inge Nowak

Der Retouren­Stress

Inge Nowak beschäftigt sich in der StZ­Wirtschafts­redaktion mit den Zulieferernund dem Maschinenbau.

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Es gibt sie, diese Momente, in deneneinem – vielleicht inspiriert vom Fernseh­programm oder auch ganz spontan – ein­

fällt, dass man ein bestimmtes Produkt habenmöchte. Mit wenigen Klicks im Internet kanndiesem Verlangen auf unmittelbare Weise Ge­nüge getan werden. So kommt auch die Frageerst gar nicht auf, wann man denn eigentlich die Zeit finden soll, um etwa den benötigtenReiseführer oder die gewünschte Bluse in der Stadt zu besorgen. Vor allem, wenn man genauweiß, nach was man sucht, kann Online­Shop­ping sehr bequem und zeitsparend sein.

Aber auch, wenn man sich einfach nur inspi­rieren lassen möchte, lädt das Netz mit seinerschier unendlichen Fülle an Artikeln zumdigitalen Bummeln ein. Dort gibt es ein

Angebot, das vermutlichalle stationären Händlerin Deutschland zu­sammengenommen garnicht anbieten können:Kleidungsstücke in al­len erdenklichen Far­ben, Formen, Größen

und Schnitten – und darüber hinaus auch Arti­kel, die in kleineren Städten nicht erhältlich sind oder die überhaupt hierzulande gar nicht verkauft werden.

Ein weiterer Vorteil: die Produkte werdenauf den Shopping­Portalen ausführlich be­schrieben und zudem von anderen Kunden be­wertet. Fallen die Schuhe größer oder kleineraus? Entspricht die Farbe des Kleides auf demFoto auch der des Originals? Trägt der Stoffauf ? Solche Kriterien bleiben selten un­erwähnt. Gerade, wenn man sich für den Kauf eines Smartphones, eines Tablet­PCs oderÄhnlichem interessiert, sind differenzierte

Meinungen zu Vor­ und Nachteilen eines Pro­dukts wirklich hilfreich.

Das Internet ist ein Ort, an dem tatsächlichnoch Markttransparenz herrscht: Hier gibt esdie Möglichkeit, Artikel, Preise und Lieferzei­ten von verschiedenen Herstellern und Anbie­tern einfach und direkt miteinander zu verglei­chen. Viele Online­Shops bieten ihren Kunden darüber hinaus auch attraktive Preise undRabatte an, die in herkömmlichen Geschäften nicht möglich sind.

Sicherlich, ob der Rock einem nun passtoder die Farbe des T­Shirts einem steht, lässt sich erst herausfinden, wenn die Ware dann tat­sächlich zu Hause angekommen ist. Doch fehltnicht oft auch in den Geschäften die Muse, sichin den engen Umkleidekabinen mit nicht son­derlich schmeichelhaftem Licht allzu lange aufzuhalten und die Kleidung ausführlich ansich zu begutachten? Zu Hause, vor dem heimi­schen Spiegel, lässt sich die bestellte Warejedenfalls in aller Ruhe anprobieren und mit Klamotten oder Accessoires, die man bereits imSchrank liegen hat, kombinieren.

Und wenn der Artikel nicht gefällt, dannwird er wieder zurückgeschickt. Das geht auchunabhängig von Öffnungszeiten und ohnenervenaufreibendes Schlangestehen am Post­schalter. Denn erfahrene Online­Shopper wis­sen längst: Die Retouren können beispielsweiseauch in sogenannten Paketboxen aufgegeben werden. Klappe schließen und fertig!

Angebot Online­Shopping ist nicht nur bequem und zeitsparend. Im Internet gibt es auch eine

schier unendliche Fülle an Produkten und Kundenbewertungen. Von Nora Stöhr

Einladung zum digitalen Bummeln

Nora Stöhr kümmert sich imStZ­Wirtschaftsressort um dieMedienbranche – von Verlagenbis zu privaten TV­Anbietern.

Die weite Welt des Internets ist ein Ort,an dem tatsächlich Markttransparenz herrscht.

Die Zustellung derOnline­Bestellung wird zur Arbeitsbeschaffungs­maßnahme für die Nachbarschaft.

8 Wirtschaft in Baden-Württemberg Nr. 3 | November 2014Stuttgarter Zeitung | Stuttgarter Nachrichten

Page 8: Wirtschaft in Baden-Württbemberg

WirWirWirtschafttschaft 9November 2014& Karriere

Klangvoller alsein Doktortitel

Wahrscheinlich hätte sichKarl­Theodor zu Gutten­berg die Dissertationwirklich schenken kön­nen. Denn er besitzt das,

was die Karriere jedes Menschen mächtigbeflügeln kann: eine wohltönende, souve­räne Stimme. So etwas wie den richtigenSchmelz zum Erfolg. In vielen Berufsspar­ten sei nicht unbedingt ein Doktortitel derSchlüssel zum Aufstieg in Führungsposi­tionen, sondern vor allem ein stimmlichüberzeugender Auftritt, sagt Iris Eicher,Sprachwissenschaftlerin und Stimmtrai­nerin in München.

Studien haben bewiesen: Leise Pieps­mäuse kommen übers Kaffeekochen in derFirma selten hinaus – ob sie blitzgescheitsind oder nicht. Auch schrille Sirenen, sichverhaspelnde Schnellsprecher oder knö­delnde Nuschler schaffen es kaum bis in dieChefetagen. Wer in Bewerbungsgesprä­

chen oder späterin Konferenzenund Besprechun­gen erst gar nicht„gehört“ wird oderstimmlich in un­angenehmer Er­innerung bleibt,landet in der Regelauf dem berufli­

chen Abstellgleis, weiß Karrierecoach undDiplom­Psychologe Jürgen Hesse aus der täglichen Beratungspraxis. Auf ewig India­ner statt Häuptling: das kann Frauen wieMännern gleichermaßen passieren, wennsie sich eine unnatürliche Tonlage ange­wöhnt haben.

Wie stark eine gute Stimme die Außen­wirkung von Menschen beeinflussen kann,

hat der US­Psy­chologe AlbertMehrabian ineiner Studie nach­gewiesen. Danachgehen satte 38Prozent des per­sönlichen Ein­drucks auf andereauf das Konto der

Stimme. Nur sieben Prozent hängen über­haupt vom Inhalt des Gesagten ab, der gro­ße Rest von der Körpersprache.

Clevere Politiker wissen das längst. Wermitreißende Reden halten, Vertrauen we­cken und aufsteigen will, holt sich Unter­stützung vom Sprech­Coach. Auch Schau­spieler tun es, Moderatoren, Dozenten,Spitzenmanager. Und was machen Millio­nen normale Berufstätige? „Die machensich so gut wie nie Gedanken um den Klang

ihrer Stimme“, erzählt Iris Eicher, die als Dozentin an der Münchner Ludwig­Maximilians­Universität (LMU) arbei­tet. „Das sollten sie ruhig mal tun.“

Zwar sind viele im Job perfektvorbereitet, achten auf ihr Äußeres,haben ihre Körpersprache im Griff –aber sobald sie den Mund aufma­chen, können sie einfach nichtpunkten. Fast jeder kennt solche Kol­legen: Frauen, die mit viel zu hoherKopfstimme fiepen, die mit dem Tempo eines Maschinengewehrs rattern. Männer,die monoton leiern, die sich im Sekunden­takt räuspern oder hüsteln. Oder,schlimmster Fall: Männer, deren Stimme so hoch ist, dass sie am Telefon als Frauangesprochen werden.

Und dann kennt jeder die Kollegen, diedurch ihre Stimme angenehm auffallen –Männer wie Frauen. Die immer die volleAufmerksamkeit für sich verbuchen kön­nen, wenn sie das Wort ergreifen. Diescheinbar wie von selbst die Karriereleiternach oben klettern.

Vielen Vorgesetzten ist nicht bewusst,dass sie Mitarbeiter mit souverän­klang­voller Stimme unweigerlich als selbst­sicher, dynamisch und führungsstark ein­stufen, wie eine neue Studie von Elke Sap­per am Lehrstuhl für Sprachheilpädagogikder Münchner LMU herausfand. Die Artdes Vortrags überlagert in der Regel die In­halte, wie brillant sie auch sein mögen. Ein Mensch mit unnatürlicher Stimmlage und Sprechtempo wird im direkten Vergleichmit hoher Wahrscheinlichkeit den Kürze­ren ziehen, wenn es um Einstellung oderdie nächste Stufe der Karriereleiter geht.

Wer eine stimmliche Schieflage hat, istsich dessen aber selbst nicht bewusst, weißStimm­Coach Eicher aus Erfahrung. VieleMenschen haben sich die „falsche“ Sprech­weise im Lauf des Lebens angewöhnt. Denechten eigenen Grundton haben sie prak­tisch verlernt. Stehen sie unter Stress, wirdes nicht besser. Im Gegenteil: Kleinmäd­chen­Stimmen kieksen bei Anspannungnoch höher, Schnellsprecher verhaspeln sich noch öfter als sonst. Dazu wird ständiggehüstelt, geräuspert, nach Luft ge­schnappt – kein Zuhörer bleibt davon un­beeindruckt. „In 99 Prozent der Fälle kommt kein Hinweis von Kollegen oderFreunden, das Thema ist zu intim“, sagt auch Karrieretrainer Hesse.

Dafür reden Personalleiter in Firmenimmer öfter Klartext. Wer im Mitarbeiter­oder im Bewerbungsgespräch zu hörenbekommt, er könne sich kein Gehör ver­schaffen, sollte spätestens dann profes­sionelle Hilfe suchen, betont Eicher. Blei­

ben Stimmproble­me unbehandelt,schleifen sie sichein und werdenchronisch.

Eine anspre­chende Stimmlage istnicht allein natürlicheBegabung. Sie lässt sich gezielt üben. Ein Beispiel aus Hesses Karrierebera­tung: Eine 40­jährige Politologin mitDoktortitel und Top­Referenzen wartrotz etlicher Vorstellungsgesprächevolle zwei Jahre lang arbeitslos. Bis sichein Personalleiter erbarmte und die Frauauf den „keifigen Ton in der Stimme“ hin­wies. Sie ging zum Stimmtraining – und tat­sächlich klappte es dann mit der Anstellung.

Vor allem Frauen bräuchten eine kraft­volle Stimme, um sich gegen die männliche Konkurrenz durchsetzen zu können, sagt Eicher. Denn Männer sind von der Natur her häufig im Vorteil. Die Höhe der Stimmehängt auch von der genetischen Veranla­gung ab. Je größer der Kehlkopf und dasLungenvolumen, desto tiefer die Stimme.

Beim Sprechen werden über 100 Mus­keln gebraucht und koordiniert. Schon einnormales Gespräch mit etwa 120 Wörternpro Minute ist eigentlich eine kleine Meis­terleistung. Jedes Wort erfordert eine an­dere Muskelstellung und das Einbindenunterschiedlicher Organe.

Schon kleine Tricks können helfen, denrichtigen Ton zu treffen, selbst bei Lampen­fieber und massivem Stress. Menschen mitunechter Stimme müssten „zunächst lernen,sich selbst beim Sprechen wahrzunehmen“,erläutert Fachfrau Eicher. Wer locker „mmmmmm“ brummt, kriegt eine Ahnungdavon, wie seine natürliche Klangfarbe wirk­lich ist. Oft hilft auch die Vorstellung, man seibei seinem Lieblingsitaliener, habe noch diephänomenale Soße auf den Lippen und sagtdann voll Begeisterung: „Mmmmolto bene“.

Ein professionelles Stimmtraining star­tet aber nicht gleich mit Stimmübungen.Locker machen, Schuhe ausziehen und mitder Fußsohle über kleine Bälle rollen – das

Auftreten Hätten Sie’s gewusst? Eine souveräne Stimme ist für den beruflichen Erfolg wichtiger als Maßanzug und Kostüm. Piepsmäuse und Nuschler werden nie Chef. Schon ein paar Stunden Stimmtraining können die Karriere beflügeln. Von Berrit Gräber

Training Ob Sirene oderPiepsmaus: selbst jahrelan­ge stimmliche Schieflagenlassen sich mit gezieltem

Training ausmerzen. Der Karriere kommt das zu Gute.

Kosten Die Kosten für eineStimmtherapie werdenvon der Krankenkasse imNormalfall übernommen,

zumindest wenn ein Phoniater sie verordnet hat.

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sind erste Schritte, umFistelstimme oder Nu­schelei loszuwerden. Schon das pure Aufrich­ten des Oberkörpersschafft viel mehr Raumfürs Atmen und Sprechen. Wer sich großmacht, gerade sitzt oder steht, bekommt eine festere Stimme. Das klappt ruck, zuck.

„Manchen gelingt eine Veränderungschon nach fünf Trainingseinheiten à 45Minuten“, betont Eicher. Bei anderen kannes deutlich länger dauern. Die Kosten füreine befreite, souveräne Stimme: ab 500Euro, je nach Stimmeinschränkung und Aufwand. Die Therapiewird von der Kranken­kasse übernommen,wenn ein Phoniater(Facharzt für Sprach­,Stimm­ und kindlicheHörstörungen) sie ver­ordnet hat.

„Leute, pflegt dieStimme, wie ihr den Restdes Körpers pflegt. Sie kann im Beruf richtigviel nützen und womöglich bares Geld wertsein“, fordert Karrierecoach Hesse. Spre­chen in der richtigen Tonlage sei leicht zu lernen, koste oft nicht mehr als ein paar neueSkier – und mache rundum selbstbewusster.

Berufliche Nachteile Wersich eine unechte Sprech­weise angewöhnt hat,merkt es oft nicht. Das kann

für die Betroffenen in eine berufliche Sackgasse führen.

AußenwahrnehmungMenschen, die nuscheln,piepsen, knödeln, hüstelnoder sich räuspern, werden

als führungsschwächer eingestuft – wie gescheit sie auch sein mögen.

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Page 9: Wirtschaft in Baden-Württbemberg

10 Wirtschaft in Baden-Württemberg Nr. 3 | November 2014Stuttgarter Zeitung | Stuttgarter Nachrichten

Wenn Firmen ihre Top­Leute auf dem Kieker haben, werden schon mal Hotelrech­nungen oder Tankbelegedurchforstet, um arbeits­rechtliche Verfehlungenzu finden. Fotos: factum/Weise, fotolia (2)

gebenen Geschäftspartners dieeigene Ehefrau zum Essen eingeladen wur­de. Auch die Betankung des Privat­Pkw mitBenzin über die Firmentankkarte kann beieinem Diesel­Geschäftswagen bei genau­erem Hinsehen auffallen. Die anwaltlicheFrage nach der „weißen Weste“ oder „Lei­chen im Keller“ ist daher zwangsläufig,wenn sich ein Geschäftsführer dazu bera­ten lässt, wie er sich am besten zu einemTrennungsansinnen des Unternehmenspositioniert. Nimmt der Geschäftsführerbeispielsweise einen ihm angebotenenAufhebungsvertrag nicht an oder reizt ihninsbesondere finanziell zu sehr aus, wird häufig das Schleppnetz ausgeworfen. Nichtselten führt es zu einem für den Geschäfts­führer verhängnisvollen Fang, mag auchder Geschäftsführer damals nur unbedachtgehandelt haben.

Für Vorstandsmitglieder von Aktien­gesellschaften gelten die obigen Ausfüh­rungen teilweise ebenfalls. Der wichtigste Unterschied ist, dass der zuständigeAufsichtsrat die Bestellung zum Vor­standsmitglied nur widerrufen darf, wennhierfür ein wichtigerGrund vorliegt. Erforder­lich ist beispielsweise einegrobe Pflichtverletzungoder die Unfähigkeit zurordnungsgemäßen Ge­schäftsführung. Ob dieseVoraussetzungen vorlie­gen, wird vom Aufsichts­rat und Vorstandsmitgliedhäufig unterschiedlich beurteilt. Gegen eine Abberufung kann das Vorstandsmit­glied – anders als regelmäßig der GmbH­Geschäftsführer – gerichtlich vorgehen. Biszu einer rechtskräftigen Entscheidungüber das Bestehen eines wichtigen Grun­des bleibt die Abberufung zwar jedenfallswirksam, ob jedoch Klage erhoben wird, istdavon abhängig, ob das Vorstandsmitgliedmit der Situation trotz einer eventuell frag­lichen Abberufung gut leben kann. Dies isthäufig der Fall, wenn das im Zweifel freige­stellte Vorstandsmitglied bis zum Ablauf des Dienstvertrages weiter vergütet wird.Ist dem nicht so, kann eine Klage aufgrund ihres hohen Lästigkeitswerts Bewegung in möglicherweise festgefahrene Einigungs­gespräche bringen. In aller Regel bestehtauf beiden Seiten Interesse an einer Eini­gung und nur wenig Neigung, die interne Auseinandersetzung im Rahmen eines öf­fentlichen gerichtlichen Verfahrens – ggfs.im Beisein der Presse – auszutragen. Sowerden auf Eis gelegte Vergleichsgesprä­che nach Klageerhebung nicht selten raschwieder aufgenommen, um einer mündli­chen Verhandlung möglichst aus dem Wegzu gehen. Solange der Gesprächsfaden abernicht völlig abgerissen ist, macht es Sinn, frühzeitig eine einvernehmliche Trennungzu erreichen und ein gerichtliches Verfah­ren gänzlich zu vermeiden. Dies bringt bei­den Seiten Klarheit und Rechtssicherheit.Die Vorstellungen beider Seiten, wie eineEinigung aussehen kann, sollten dabei frei­lich nicht allzu weit auseinander liegen.Dies ist oft die Krux.

anders als Arbeitnehmer – nicht vom Kün­digungsschutzgesetz erfasst, so dass dessenstrenge Anforderungen bei der Kündigungeines Geschäftsführers nicht gelten. Be­gründet wird dies damit, dass Geschäfts­führer innerhalb des UnternehmensArbeitgeberfunktionen wahrnehmen, wo­mit sich der allgemeine Kündigungsschutznicht verträgt. Aus diesem Grund achtenGeschäftsführer häufig auf Dienstverträge mit langen Befristungszeiträumen oderlangen Kündigungsfristen. Solche auf einegewisse Dauer angelegten Verträge sind –neben der Vergütungshöhe – eine Art Kom­pensation für den fehlenden Kündigungs­schutz von Geschäftsführern.

Um die aus Sicht des Unternehmensunliebsame Folge zu vermeiden, den Ge­schäftsführer nach einer Abberufung nochfür längere Zeit weiter vergüten zu müssen,kommt es gelegentlich zur sogenanntenSchleppnetzfahndung. Es werden Unter­lagen – insbesondere Spesenbelege –durchforstet, um zu sehen, ob sich daraus nicht ein Grund für eine fristlose Kündi­gung des Dienstvertrages ergibt. Beischwerwiegenden Pflichtverletzungen desGeschäftsführers kann dessen Dienstver­trag fristlos gekündigt werden, wobei das Unternehmen nach Bekanntwerden derVerfehlungen rasch handeln muss. Verfeh­lungen im Spesenbereich, die zu persönli­chen Begünstigungen des Geschäftsführersführen, sind nicht selten ein dankbarerAnlass für den Ausspruch einer fristlosenKündigung. So kann sich etwa herausstel­len, dass anstelle des im Spesenbeleg ange­

zur Vergütung enthält. Nur teilweise sehenDienstverträge mit Geschäftsführern soge­nannte Koppelungsklauseln vor, wonachder Dienstvertrag mit oder kurze Zeit nacheiner Abberufung automatisch endet. OhneKoppelungsklausel hängt es von der kon­kreten Gestaltung der Dienstverträge ab,was weiter geschieht.

Viele Dienstverträge von Geschäftsfüh­rern werden befristet abgeschlossen, etwafür die Dauer von zwei oder drei Jahren.Wird ein solcher befristet angestellter Ge­schäftsführer vor dem Befristungsende vonseinem Geschäftsführeramt abberufen,muss die Gesellschaft den Vertrag dennochweiter erfüllen und insbesondere weiterVergütung bezahlen. Dies gilt unabhängigdavon, ob der Geschäftsführer von seinenDienstpflichten vollständig freigestelltwird oder eine anderweitige Tätigkeit zuge­wiesen erhält, wobei zweifelhaft ist, ob Letzteres überhaupt zulässig ist.

Sieht der Dienstvertrag des Geschäfts­führers hingegen die Möglichkeit zur Kün­digung unter Einhaltung bestimmter Fris­ten vor, wird die Gesellschafterversamm­lung hiervon Gebrauch machen und mitder Abberufung eine Kündigung ausspre­chen. Bis zum Ablauf der Kündigungsfristist die Situation dann genauso, wie sie so­eben für befristete Dienstverträge geschil­dert wurde. Gegen eine solche Kündigungkann sich der Geschäftsführer nicht zurWehr setzen, soweit die Kündigungsfristeingehalten wurde. Hier liegt ein wesent­licher Unterschied zur Kündigung eines Arbeitnehmers. Geschäftsführer werden –

Solange die Geschäfte in Unterneh­men gut laufen, haben deren Inha­ber bzw. Aufsichtsorgane in derRegel wenig Grund, die obersteFührungsebene infrage zu stellen.

Dies gilt für Geschäftsführer einer GmbH wie für Vorstände einer Aktiengesellschaft.Werden hingegen die Geschäftsziele nichterreicht, beginnt die Suche nach den Ver­antwortlichen. Gibt es keine nachvollzieh­baren äußeren Einflüsse wie etwa eineallgemeine Rezession, wird häufig beim obersten Führungspersonal angesetzt. Werdas Unternehmen vermeintlich nicht mehrim Griff hat, fällt leicht in Ungnade. Glei­ches kann für Geschäftsführer und Vor­stände bei Pflichtverstößen wie etwa Kom­petenzüberschreitungen oder einer allzulaxen Spesenpraxis, aber auch bei Differen­zen mit den Gesellschaftern oder Auf­sichtsorganen geschehen. Ist die Trennungseitens des Unternehmens einmal be­schlossen, stellt sich die Frage nach derUmsetzung.

Bei einer GmbH ist meist die Gesell­schafterversammlung für das Verhältnis zum Geschäftsführer zuständig. Die Ge­sellschafterversammlung kann einen Ge­schäftsführer in aller Regel jederzeit und ohne Angabe von Gründen von seinem Amtals Geschäftsführer abberufen. Damit ver­liert der Geschäftsführer zwar sein Amt,meist wirkt sich dies aber nicht auf denDienstvertrag aus, der neben der ursprüng­lichen Bestellung zum Geschäftsführer be­steht und der unter anderem Regelungenzur Dauer des Dienstverhältnisses sowie

In Ungnade gefallenWenn Chefs gehen müssen Nicht immer sind Unternehmen mit ihrem obersten Führungspersonal zufrieden. Gilt hier „Hire and Fire“, oder muss man differenzieren? Von Andreas Chmel

Gastautor Andreas Chmel, Jahr­gang 1970, studierte an den Uni­versitäten Tübingen und Catania und erwarb in der Folge seinen Doktortitel an der Humboldt­Uni­versität zu Berlin. Seit 2001 ist er Rechtsanwalt bei der Wirtschafts­kanzlei Thümmel, Schütze und Partner in Stuttgart. 2005 wurde er dort Partner. Andreas Chmel berät und vertritt vorrangig Arbeit­geber, aber auch Führungskräftein Belangen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Daneben bildet die Beratung ausländischer, international aufgestellter Unter­

nehmen mit Aktivitäten in Deutschland und Europa einen Schwer­punkt seiner Arbeit. Er ist unter anderem spezialisiert auf die Gestaltung undBeendigung von Arbeits­ und Dienst­verträgen von Ge­schäftsführern und Vorständen sowie auf Restrukturierungs­maßnahmen in Unterneh­men. red

DER ARBEITSRECHTLER

Auf der Suche nach Kündigungsgründen greifen manche Firmenzur Schleppnetzfahndungund durchforsten alte Spesenabrechnungen.

DANKE

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CHEF!

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Page 10: Wirtschaft in Baden-Württbemberg

aber oft ohne jede praktische Erfahrung.Sie analysieren die Lage und legen Konzep­te vor, setzen diese aber nicht selbst um.Der IM geht einen Schritt weiter. Er setztauch um, was er zuvor vorgeschlagen hat.Das ist der entscheidende Vorteil, den auchimmer mehr Kunden sehen.

Wie oft scheitern IM?Das kommt selten vor. Viel steht und fällt allerdings mit der Auswahl der Kandida­ten. Bei Division One treffen wir die Kandi­daten persönlich und arbeiten zudem überReferenzen. Jeder IM muss zwei Personennennen, die seine Leistung einschätzenkönnen. Diese treffen wir im Normalfallauch persönlich. Zusammen mit anderenMaßnahmen können wir seine Qualifika­tionen so ziemlich genau einschätzen. Inunserer Datenbank haben wir derzeit gut1000 IM.

Die haben Sie aber nicht alle persönlichgetroffen?Viele davon schon. In unseren Büros gehenjeden Tag IM ein und aus.

Wo kommen IM überall zum Einsatz?Vakanzüberbrückungen sind ein Dauer­thema in unserer Branche. Wenn einFirmenchef stirbt, Krankheiten führendeMitarbeiter außer Gefecht setzen oderes zu überraschenden Kündigungen kommt, werden wir angerufen. Einen Boom gibt es derzeit bei Projekttätig­keiten, weil die eigenen Ressourcen imUnternehmen nicht mehr ausreichen.Im Mittelstand ist allgemein zu wenig Management­Knowhow vorhanden. Da­von profitieren wir sehr stark. Mittler­weile werden IM auch stark gebucht, umdem Produktvertrieb einen Schub zu ge­ben. Da haben anfängliche Berührungs­ängste der Firmen stark abgenommen. Die klassische Aufgabe von IM bleibenaber Sanierungen.

Wie viele Frauen arbeiten als IM?Viel zu wenige. Von den rund 3500 IM inDeutschland sind maximal fünf Prozentweiblich. Mehr Frauen würden der Bran­che guttun. Über die Gründe tappe ich imDunkeln. Mag sein, dass familiäre Gründe eine Rolle spielen. Klar ist, dass es vieleThemen gibt, in denen Frauen stark sind. Allgemein gehen sie die Dinge oft diploma­tischer an als Männer.

Wie reagieren die Belegschaften auf die IM?Bei Sanierungsthemen sind die Vorbehalte natürlich groß, weil zu viele Ängste mit im Spiel sind. Generellwird externer Sach­verstand in Unter­nehmen aber zuse­hends zum Normal­fall. Es gibt alsogenerell keine Ab­lehnung.

Was verdienen dieVermittler?Im Interimsmanage­ment ist es üblich,das der Vermittlercirca 20 Prozent desBetrags erhält, dendas Unternehmenfür den IM bezahlt.In Zukunft wird derMarkt aber schwie­riger werden.Einerseits drängen immer mehr IM insGeschäft, andererseits steigt die Zahl der Vermittler. Gerade britische und US­amerikanische Firmen versuchen inDeutschland Fuß zu fassen. Beides zu­sammen wird erheblichen Druck auf die Tagessätze der IM ausüben und damit na­türlich auch auf die Gewinnspannen der Vermittler.

Das Gespräch führte Walther Rosenberger.

Branchenerfahrung dagegen nicht mehrdie übergeordnete Rolle. Meist werden aber Spezialisten gesucht. IM mit gemisch­ten Lebensläufen tun sich schwer. Derabsolut größte Mehrwert eines IM ist es,bestimmte Herausforderungen und Situa­tionen schon mehrfach erlebt und bewäl­tigt zu haben. Wenn ein Kandidat schonfünfmal eine Restrukturierung durchge­führt hat, dann ist er Fachmann und wirdauch schnell seinen sechsten Auftrag zurRestrukturierung eines Unternehmensbekommen.

Das heißt, wenn die Zeiten in der Wirtschaftschlechter werden, brummt bei Ihnen alsPersonaldienstleister das Geschäft?Ja und nein. In den Krisenjahren 2009 undauch 2010 war das tatsächlich so. Da war dieNachfrage nach harten Sanierern sehrhoch. Mittlerweile hat aber eine Akzent­verschiebung stattgefunden. Gerade mit­telständische Unternehmen haben heuteProbleme, genügend Personal fürs eigene Wachstum zu finden. Einer unserer Kun­den will zum Beispiel gerade ein Werk inChina aufbauen, hat aber noch nicht dasnötige Personal und Knowhow. Wir habeneinige Interimsmanager mit China­Erfah­rung vorgeschlagen, die ihn bei dem Pro­jekt begleiten können. Gerade kleinen Fir­men mangelt es oft an Management­Kapa­zitäten, um neue Projekte anzuschieben. Dafür kaufen sie sich dann IM ein.

Deren Dienste sind dann aber nicht geradebillig, oder?Der durchschnittliche Tagessatz eines IMliegt derzeit bei 1100 bis 1200 Euro, wobei Spezialisten deutlich mehr verdienen kön­nen. Auf den Monat umgerechnet sind das also 20 000 bis 30 000 Euro. Das ist vielGeld, und es ist auch manchmal die Hürdefür uns als Vermittler. Viele Firmen müs­sen da erst mal tief durchatmen.

Welche Vorteile haben die Firmen über­haupt von IM?Erstens ist ein Festangestellter mit Dienst­wagen, Rentenversicherung und allen Ex­tras oft nicht viel billiger. Vor allem dauerngewöhnliche Jobausschreibungen abersehr lange. Wenn eine Anfrage zu unskommt, können wir meist innerhalb vonzwei bis drei Tagen einige passende Le­bensläufe liefern. Wenn das UnternehmenJa sagt, kann der Kandidat sofort anfangen.Interimsmanagement geht also sehrschnell. Außerdem bleibt der Kunde flexi­bel. Die Kündigungsfristen der IM liegenirgendwo zwischen einem Tag und zweiWochen. Durchschnittlich bleiben sie aberzehn bis elf Monate im Unternehmen. Einwichtiger Nebeneffekt ist es, dass IM ineinem Unternehmen keine Karriere ma­chen wollen. Sie wollen ihren Job nur best­möglich durchziehen. Sie müssen also beiihren Entscheidungen nicht „politisch“vorgehen und keine persönlichen Rück­sichten nehmen. Das erhöht die Qualitätder Entscheidungen.

Was ist der Unterschied zu klassischenUnternehmensberatern?Strategieberater sind jung und kompetent,

Interimsmanagement – das Führen vonUnternehmen auf Zeit – ist ein Wachs­tumsfeld. Gerade für Baden­Württem­berg mit seiner vielfältigen Unterneh­menslandschaft trifft das zu. Auslän­

dische Dienstleister haben den Markt entdeckt und greifen an, sagt Björn Knothe.

Herr Knothe, Ihr Unternehmen Division Onevermittelt Manager auf Zeit, sogenannteInterimsmanager (IM). Was für ein Typ vonArbeitnehmer ist das?Der Typus des IM ist sehr mobil und hat Spaß an schwierigen Situationen. Stress macht ihm nichts aus, vielleicht sucht erihn sogar. Er muss komplexe Situationenschnell erfassen und zügig Leistung brin­gen. Sobald die Lage in einem Unterneh­men zum Normalbetrieb übergeht, über­gibt ein Interimsmanager gerne seine Auf­gaben. Da ist die Herausforderung gelöst,und er verlässt das Unternehmen, wie vor­her vereinbart. IM sind daher Spezialisten,die immer dann zum Einsatz kommen,wenn Probleme schnell gelöst werdenmüssen. Eine interessante Entwicklung ist,dass sie immer jünger werden. Als wir vor

fünf Jahren mit derVermittlung begon­nen haben, warenfast alle Kandidatenüber 50 Jahre alt. Siewaren langjährig imgehobenen Manage­ment tätig und ge­hörten der erstenoder zweiten Füh­rungsebene an. Heu­

te drängt eine neue, jüngere Generation von Managern in den Markt.

Warum ist das so?Das hängt mit sich wandelnden Lebensmo­dellen zusammen. Die klassische Festan­stellung über 30 Jahre hinweg, verbundenmit dem Gang durch alle Hierarchiestufen einer Firma, steht in der Rangliste derArbeitnehmerinteressen nicht mehr ganzoben. Viele Jüngere reizt heute Projekt­arbeit. Sie wollen immer vor neuen Heraus­forderungen stehen und sich beweisen.

Greenhorns, die kritische Situationen inUnternehmen lösen sollen. Ist das sinnvoll?Zugegeben, vielleicht haben die jüngerenIM manchmal weniger Erfahrung als ihre älteren Kollegen. Für uns als Vermittler ist es wichtig, dass wir den Unternehmen einebreitere Auswahl an Managern und Spezia­listen anbieten können. Ich begrüße dieEntwicklung daher sehr.

Welche anderen Qualitäten braucht ein IM?Vor allem Erfahrung in der jeweiligenBranche. Wir vermitteln schwerpunkt­mäßig IM für die Bereiche Automobil, In­dustrie und IT. Unsere Erfahrung ist, dass Kunden oft nur Experten akzeptieren, dieeinschlägige Branchenkenntnisse vorwei­sen können. Das betrifft ganz sicher Jobsim Produktionsbereich, wenn also eine Fir­ma einen Werkleiter oder Produktionschefsucht. Wenn ein Unternehmen Verstär­kung im Finanzbereich benötigt, spielt die

„Die ziehen den Job durch“Interview Reingehen, sanieren, rausgehen. Interimsmanager gelten als die harten Jungs unter den Zeitarbeitern. Ihr Job ist aber vielschich­tiger, sagt Björn Knothe, Chef der Personalvermittlung Division One.

Björn Knothe, Chef derStuttgarter Personal­vermittlung DivisionOne, rechnet mit mehr Geschäft, aber wachsenderKonkurrenz.

Foto: Lg/Max Kovalenko

WACHSTUMSBRANCHEInterimsmanager In Deutschland gibt es rund 25 spezialisierte Vermittler für Interims­manager. Bekannte Namen sind Division One, Atreus, Ludwig Heuse, Task Force oder Manage­ment Angels. Der Dachverband DDIM taxiert die Branchenumsätze für 2013 auf fast 1,2 Mil­liarden Euro. Experten gehen davon aus, dass der Markt mittelfristig um jährlich 15 bis 20 Prozent wächst. 2013 lagen die Tagessätze für Interimsmanager durchschnittlich bei knapp 1000 Euro, je nach Region aber viel höher.

Division One 2009 wurde Division One von Björn Knothe und Greg Marriott gegründet. Heute hat man über 20 Mitarbeiter und drei Standorte: Stuttgart, München und Düsseldorf. Partnerbüros gibt es in über 40 Ländern. wro

ZUR PERSONBjörn Knothe Nach einem BWL­Studium in Stuttgart arbeitete der 42­Jährige für mehrere Firmen im In­ und Ausland. 2009 gründete er zusammen mit einem Partner Division One mit Sitz in Stuttgart. Die Firma ist auf die Ver­mittlung von Führungskräften und Interims­managern spezialisiert. wro

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11Wirtschaft in Baden-WürttembergNr. 3 | November 2014Stuttgarter Zeitung | Stuttgarter Nachrichten

Page 11: Wirtschaft in Baden-Württbemberg

Der Mensch als Kapital

Fragt man Michael Reitzenstein (48), wieviele Mitarbeiter ihm als Personalchefbei ISS Facility Services mit Sitz in Düs­

seldorf unterstehen, schüttelt er den Kopf.Reitzenstein redet davon, mit Mitarbeitern auf Augenhöhe zu sein. Nur so kann er um­setzen, was er gern tut: gestalten und Erfolg mit anderen haben. „Menschen machen denUnterschied“, hat Reitzenstein schon imStudium des Wirtschaftsingenieurwesensan der ehemaligen Technischen Hochschule(TH) Karlsruhe gelernt. Bei seinem Arbeit­geber sind Menschen das Kapital, weil siedie Serviceleistungen verkörpern. „Wennwir mit Kunden über Dienstleistungen spre­chen, dann sprechen wir über Menschen“, sagt Reitzenstein. Sein Mottolautet: die richtigen Leute zurrichtigen Zeit am richtigen Ortzu haben.

Reitzenstein, in dessenTeam 25 Kollegen arbeiten, dersich aber für die deutschland­weit 12 000 Mitarbeiter ver­antwortlich fühlt, hatte immereine Affinität zu Menschen. ImInternat hat er sich als Grup­penleiter um jüngere Mitschüler geküm­mert. Zugleich findet er Technik und Tech­nologien spannend. „Ich bin extrovertiert,kann gut reden und erklären. Im stillen Kämmerlein wollte ich nie forschen.“ Das istmit ein Grund, warum er Wirtschaftsinge­nieurwesen studieren wollte – unbedingtin Karlsruhe, wo der Studiengang mit demFokus auf Unternehmensplanung und ­füh­rung angeboten wurde. „Dort nahm dasSchicksal seinen Lauf“, sagt Reitzensteinund lacht, „ich habe mich als Ingenieur in dasThema Personalwesen verliebt.“ Mit seinemInteresse galt er als Exot. In den 1990er Jah­ren sei es ungewöhnlich gewesen, dass Inge­nieure Personaler werden, sagt Reitzenstein.Allmählich ändert sich das.

Die Liebe zur Technik hat Reitzensteintrotz der Entscheidung für das Personalwe­sen nie aufgegeben. Er und sein Arbeitgeberprofitieren vielmehr von seinem techni­schen Sachverstand. Mit dem Einstieg beiISS vor vier Jahren war Reitzenstein zwarsofort Personalchef und Vollmitglied der Ge­schäftsleitung, doch seine Aufgaben gehen weit über die klassische Personalarbeit hi­naus – und selbst dort begegnet ihm Technik:bei der Arbeit mit SAP oder wenn er sich mitdem Arbeitsschutz beschäftigt. Seit 2011nutzt ISS Methoden des Lean Management –ein Ansatz, der Reitzenstein seit dem Stu­dium vertraut ist. „Damals waren Optimie­rung und Produktivitätsfortschritt große

Themen. Der Ansatz für einebessere Ergebnis­ und damitKundenorientierung eignetsich auch für Dienstleistungen,nicht nur für die Produktion.“

Daneben muss Reitzensteindie Bedürfnisse der Kundenverstehen und übersetzen. FürKunden aus der Industrie oderAutomobil­ und Zulieferer­Branche, die sich mit Hilfe der

ISS auf ihr Kerngeschäft konzentrieren wol­len. „Ich bin aktiv in Akquise­Prozesse ein­gebunden“, sagt Reitzenstein. „Wenn wir voneiner Firma einen Teil beziehungsweise eineDienstleistung übernehmen, müssen wir dieFirma kennen und nachvollziehen können,was dort passiert.“ Auf Augenhöhe will Reit­zenstein auch mit den Kunden sein. Werkbe­sichtigungen gehören zum Alltag. So gelingtes ihm besser, Krisengespräche mit Mit­arbeitern zu führen oder Unstimmigkeiten mit Kunden zu beseitigen. Mit solchen Auf­gaben ist er als Pendler zwischen den einzel­nen Standorten in Deutschland beauftragt.

Vor seiner Zeit bei ISS arbeitete Reitzen­stein 15 Jahre lang bei einem führenden IT­Unternehmen. Eingestiegen als Personal­

referent, „habe ich es bis zum Personalleiter für die Bereiche Vertrieb, IT und Infrastruk­tur geschafft“. Reitzenstein beschreibt sichals ehrgeizig. „Ich wollte immer eine Füh­rungsposition übernehmen.“ Auslands­erfahrung sammelte er in einem Schweizer Technologiekonzern.

Seine Ziele hat Reitzenstein erreicht.„Mein Job ist spannend. Ich brauche dieAbwechslung, und die finde ich bei ISS.“Zudem immer neue Herausforderungen. DieFirma hat eine Vision: „Die größte Service­organisation sind wir schon. Jetzt wollen wirdie beste werden“, sagt Reitzenstein.

Porträt Michael Reitzenstein (48) vereint als Personalchef seine Affinität zum Personalwesen und zur Technik. Von Stefanie Köhler

Immer auf Augenhöhe: Personalchef Michael Reitzenstein weiß,wie wichtig Menschen im Unternehmen sind. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

„Ich habe michals Ingenieur in das Thema Personalwesen verliebt.“Michael ReitzensteinPersonalchef bei ISS

Ingenieurstudiengänge sind dafür bekannt, dass der Männeranteil hoch und der Frauen­anteil mit unter zehn Prozent niedrig ist.Beim Studium des Wirtschaftsingenieur­wesens sieht es anders aus. Laut Uwe Ditt­mann, Hochschulprofessor in Pforzheim, liegt die Frauenquote bei 20 bis 25 Prozent, andere Experten sprechen von bis zu 30Prozent. Vor 20 Jahren waren es fünf Prozent. Beliebt ist der Beruf Wirtschaftsingenieurbei Frauen auch, weil sie nach dem Studium in weniger technische Bereiche wie Immobi­lienwirtschaft, Facility Management, Marke­ting oder Beratung einsteigen können. sk

Hoher Frauenanteil

Wirtschaftsingenieure sind gefragte Fachkräfte. „Sie haben glänzende Berufsaussichten“, sind sich der Pforzheimer HochschulprofessorUwe Dittmann und Nicola Reitzenstein, beim Verband Deutscher Wirt­schaftsingenieure (VWI) Sprecherin der Region Baden­Württemberg,einig. Firmen seien verstärkt auf flexible Mitarbeiter angewiesen, unddiese Eigenschaft brächten Wirtschaftsingenieure aufgrund ihres inter­disziplinär ausgerichteten Studiums mit. „Wirtschaftsingenieure sind extrem einsatzfreudig“, sagt Reitzenstein. Laut Bundesagentur für Arbeit spiegelt sich die große Nachfrage in einer „dynamisch gewachsenen so­zialversicherungspflichtigen Beschäftigung“ wider. Im Jahr 2013 waren laut Arbeitsagentur 156 000 Ingenieure in der Produktionsplanung und ­steuerung sowie in der Konstruktion beschäftigt – wegen der neuen Klassifikation der Berufe werden Wirtschaftsingenieure nicht mehr sepa­rat geführt, sondern fallen in das Tätigkeitsfeld Produktionssteuerung. Die Arbeitslosenquote bei Ingenieuren in der Produktionssteuerung und Konstruktion lag 2013 bei unter drei Prozent. Laut Hochschul­Informati­ons­System (HIS) sind 95 Prozent der Uni­Abgänger und 90 Prozent der Absolventen von Fachhochschulen fünf Jahre nach dem Abschluss erwerbstätig. sk

Glänzende Berufsaussichten

Wirtschaftsingenieure haben Aussicht auf Gehälter im sechsstelligenBereich – sofern sie Universitätsabsolventen in einer Führungsposition sind. Die Spitzengehälter betragen mehr als 150 000 Euro brutto jährlich. Das Ein­kommen von Absolventen der Fachhochschule (FH) und Dualen Hochschule (DH) stagniert meist bei 80 000 Euro, weil sie für gewöhnlich operative statt Führungsaufgaben übernehmen. In der Regel verdienen Wirtschaftsingenieure mit Uni­Abschluss (Master/Diplom) schon beim Einstieg etwas mehr als Fachhochschulabsolventen (Master). Am wenigsten bekommen Absolventen der DH und FH (Bachelor). Das Einstiegsgehalt beträgt 34 000 bis 41 000 Euro brutto im Jahr. Die Höhe hängt aber auch von der Unternehmensgröße ab. Mit zehn Jahren Berufserfahrung bekommen Uni­Absolventen mehr als 65 000 Euro Brutto­Jahresgehalt, die restlichen Wirtschaftsingenieure 50 000 bis 65 000 Euro. sk

Sechsstellige Einkommen sind möglich

Wer Wirtschaftsingenieur werden will, muss Wirtschaftsingenieurwesen studieren. In Deutschland ist das an rund 100 Hoch­schulen und mehr als 30 Universitäten mög­lich. Im Südwesten bietet zudem die Duale Hochschule den Studiengang an. Voraus­setzung sind sehr gute Kenntnisse in Mathe­matik und Physik. Zahlreiche Einrichtungen haben einen Numerus clausus. Ein Drittel der Studenten entscheidet sich der Berufsbild­untersuchung des Verbands Deutscher Wirtschaftsingenieure (VWI) zufolge für die Richtung Maschinenbau, gefolgt von Produk­tion (19 Prozent), Informations­ und Kommu­nikationssysteme (11 Prozent) und Elektro­technik (8 Prozent). Laut Statistischem Bundesamt ziehen Studenten den ingenieur­wissenschaftlichen Schwerpunkt dem wirt­schaftswissenschaftlichen vor. Hochschul­professor Uwe Dittmann sagt, dass sich Firmen stark für die Inhalte des Studiums interessieren. Das Studium gebe den Ab­solventen ein breites Profil mit. Dass Wirt­schaftsingenieure gefragt sind, hat sich herumgesprochen. Binnen zehn Jahren hat sich die Studentenzahl mehr als verdoppelt. Deutschlandweit sind derzeit etwa 100 000 Menschen eingeschrieben. Doch das Studium ist hart, wie die Zahlen zeigen: Nur 50 bis 60 Prozent schließen ihr Studium ab. sk

Einstieg nur mit einem Studium

Wirtschaftsingenieur Ein Beruf, wie geschaffen für eine immer internationalere Wirtschaft»

Mit Enten werden Wirt­schaftsingenieure gern ver­glichen: Sie können wederrichtig laufen noch richtigschwimmen noch richtig

fliegen, sagt man. So wie mit den Enten ver­hält es sich auch mit Wirtschaftsingenieu­ren: Sie haben ein breites Wissen, sind aberkeine Spezialisten. Was Skeptiker bemän­geln, wird von Firmen geschätzt. Wirt­schaftsingenieure sind Generalisten – undgerade deshalb in Unternehmen Partnerfür eine Vielzahl von Spezialisten.

Ihre Fähigkeiten erarbeiten sichWirtschaftsingenieure im anspruchsvollenStudium. Das Wirtschaftsingenieurwesen ist interdisziplinär aufgebaut und vereintmehrere Studiengänge, die das Hand­werkszeug für zahlreiche Unternehmens­bereiche vermitteln. Die angehenden Wirt­schaftsingenieure (kurz Wiings) erwerbenKenntnisse in der Betriebs­ und Volkswirt­schaftslehre, zudem naturwissenschaft­liche und technische Grundlagen in Elek­trotechnik, Informatik, oder Maschinen­bau, die sie je nach Hochschule vertiefen können. Nach dem Studium können Fir­men die Absolventen flexibel und vielseitigeinsetzen, auch im Ausland. In der Berufs­bilduntersuchung „Wirtschaftsingenieur­wesen in Ausbildung und Praxis“, die derVerband Deutscher Wirtschaftsingenieure(VWI) alle vier Jahre herausbringt, heißtes: „Die zwei starken Säulen des integra­tiven Konzeptes der Ausbildung Wirt­schafts­ und Ingenieurwissenschaft begeg­nen den vielfältigen Anforderungen dermodernen Unternehmenswelt.“

Wirtschaftsingenieure arbeiten an derSchnittstelle von Wirtschaft und Technik.

„Sie sind in der Lage, Probleme zu erken­nen und Lösungen dafür zu finden, wobeisie zahlreiche Aspekte berücksichtigen“,sagt Uwe Dittmann, Professor für Wirt­schaftsingenieurwesen an der HochschulePforzheim. Wenn er das Selbstverständniseines Wirtschaftsingenieurs beschreibt,benutzt Dittmann das Bild eines Brücken­bauers oder eines Vermittlers. „Ein Wirt­schaftsingenieur verbindet die technischeWelt mit der kaufmännischen. Er sprichtbeide Sprachen und führt die Weltenzusammen“, sagt Dittmann.

Aus seiner Sicht werden Wirtschafts­ingenieure für Firmen immer wichtiger,weil die einzelnen Unternehmensbereichein sich ausgereizt sind. „Durch eine lokale Optimierung lässt sich nur noch weniggewinnen“, sagt Dittmann. Gefragt seienbereichsübergreifende Ansätze, für dieWirtschaftsingenieure prädestiniert sind.Dabei müssen Wirtschaftsingenieure aber nicht jedes technische Detail in­ und aus­wendig kennen. „Ein Wirtschaftsingenieurversteht die Abläufe und Prozesse. Erversteht, was die anderen tun, und über­setzt das an den Schnittstellen“, sagt NicolaReitzenstein, beim VWI Sprecherin derRegion Baden­Württemberg.

Daniel Sander, Hauptgeschäftsführerder Ingenieurkammer Baden­Württem­berg, sagt: „Wirtschaftsingenieure machenUnternehmen erfolgreicher.“ Grundsätz­lich seien sie für alle Firmen interessant.Ihre Fähigkeit, tech­nischen Sachver­stand mit Wissenaus der Betriebs­wirtschaft zu verbin­den, erfülle aber

besonders die Bedürfnisse der mittelstän­dischen Industrie – die im Südwesten starkvertreten ist. Gerade Betriebe, die hoch­technologisierte Produkte entwickeln, pro­fitieren, sagt Sander. Trotz technischemSachverstand behalten Wirtschaftsinge­nieure Aspekte wie Qualität, Zeit und Kos­ten im Blick.

Tatsächlich sind Wirtschaftsingenieurein sämtlichen Unternehmensgrößen undBranchen zu finden. Nach wie vor domi­nieren sie in der Industrie. Dort sind lautVWI­Berufsbilduntersuchung mehr als dieHälfte der Frauen und Männer beschäftigt(59 Prozent), gefolgt vom Dienstleistungs­sektor (24 Prozent). Die Wissenschaftmacht sechs Prozent aus, der öffentlicheDienst sowie der Handel jeweils drei Pro­zent. Fünf Prozent der Wirtschaftsinge­nieure sind selbstständig.

Auch innerhalb einer Branche oderFirma fischen Wirtschaftsingenieure insämtlichen Gewässern. Und machen durchaus spezialisierten Ingenieuren Kon­kurrenz. „Wenn eine Firma zum Beispieleinen Konstrukteur sucht, lädt sie auchWirtschaftsingenieure zum Bewerbungs­gespräch ein“, sagt Reitzenstein.

Typische und für Firmen besondersbedeutsame Einsatzfelder für Wirtschafts­ingenieure sind der VWI­Berufsbildunter­suchung zufolge Produktion, Transport/Verkehr/Logistik und Marketing/Vertrieb.Aber auch in der Beratung, im Controlling, in der Informatik und im Einkauf bewertenUnternehmen Wirtschaftsingenieure als wichtig.

Wirtschaftsingenieure müssen dem­nach wie Kaufleute mit Kosten und Zahlenumgehen können, sie müssen wie Kon­strukteure über die Funktion eines Bauteils

Bescheid wissen unddieses beschaffenkönnen, sie müssenaber auch wie Ver­triebler denken, dieProdukte verkaufen.Das bedeutet, demKunden das Produktzu erklären undihm gleichzeitig zuvermitteln, wie eres einsetzen kann.„Unternehmen ha­ben einen hohenBedarf an Vertriebs­ingenieuren“, sagtReitzenstein. In­dustrieversicherun­

gen suchen ebenfalls Wirtschaftsingenieu­re, die technische Produkte und Anlagenbeurteilen können.

Darüber hinaus nehme inzwischen dieBedeutung von Wirtschaftsingenieuren inder Forschung und Entwicklung zu, woüber viele Jahre hinweg hauptsächlich rei­ne Elektrotechniker oder Maschinenbauergefragt waren, sowie im Personalwesen.„Früher waren Personaler meistens aus­schließlich Juristen“, sagt Reitzenstein.Mittlerweile hätten die Firmen jedocherkannt, dass Personaler die geeignetstenMitarbeiter dann finden, wenn sie die zubesetzende Position auch tatsächlichverstehen.

Wirtschaftsingenieuren stehen nichtnur in der Breite alle Türen und Tore offen.Sie können auch problemlos die Karriere­leiter bis in die Konzernspitze erklimmen. Dort dominierten bis vor einigen JahrenMaschinenbauer oder Diplom­Ingenieureals Geschäftsführer oder Vorstandsvorsit­zende. Das hat sich geändert. „Jeder zweiteWirtschaftsingenieur arbeitet in einerFührungsposition“, sagt Professor Ditt­mann. 15 Prozent davon übernehmen dieGeschäftsleitung einer Firma. Um nur ein paar prominente Beispiele zu nennen, dieden Aufstieg von Wirtschaftsingenieurenmarkieren: Karl­Friedrich Rausch ist Vor­stand für Transport und Logistik bei derDeutschen Bahn (DB) Mobility Logistics. Bodo Uebber ist Vorstand für Finanzen undControlling bei Daimler. Und WolfgangReitzle war bis zum Mai 2014 Vorstands­vorsitzender des Technologie­KonzernsLinde, bevor er als Verwaltungsratspräsi­dent zum weltgrößten BaustoffherstellerHolcim wechselte.

Die Notwendigkeit von Wirtschafts­ingenieuren in Leitungsfunktionen stelltauch die VWI­Berufsbilduntersuchungfest. Darin heißt es: „Die steigende Kom­plexität der Unternehmenswelt erfordertheute von den Unternehmen Entscheiderund Führungskräfte, die neben der Über­nahme von Spezialaufgaben auch eine in­tegrierende Funktion übernehmen und beider Steuerung der Geschäfte die gesamteUnternehmenseinheit im Blick haben.Diese Funktion erfordert das Verständnissowohl der technischen als auch der wirt­schaftlichen Unternehmensprozesse.“

Auch in Zukunft wird Wirtschaftsinge­nieuren die Arbeit nicht ausgehen. Exper­ten glauben, dass Themen wie Ökologie, Nachhaltigkeit und Ressourcenverbrauchin Firmen eine noch größere Rolle spielenwerden. Vor allem auch deshalb, weil Ver­braucher wissen wollen, wie umwelt­bewusst und ressourcenschonend Firmenagieren. Spannend könnten auch die FelderMedizin­ und Verfahrenstechnik werden,Branchen, die von Technik und Innovationgeprägt sind.

Unternehmen werden sich weiter inter­nationalisieren. In Firmen, die etwa durchKooperationen wachsen, sagt Reitzenstein,würden für Wirtschaftsingenieure deshalb Sprachen noch wichtiger. Englisch sei be­reits „absolut notwendig“. Weil Sprach­kenntnisse und Fachwissen aber nichtausreichen, um internationale Projekteerfolgreich zu leiten, gewinnen interkultu­relle Kompetenzen bereits im Studium an Bedeutung.

Berufsprofil Wirtschaftsingenieure sind in Unternehmen gefragt, weil sie interdisziplinär denken. Sie arbeiten als Übersetzer an der Schnittstelle zwischen Technikern und Kaufleuten. Von Stefanie Köhler

Die Grenzüberschreiter

Maschinenbau

Produktion

Informations- undKommunikationssysteme

Elektrotechnik

Logistik, Transport, Verkehr

Umwelttechnik

31

19

11

8

5

4

Bauingenieurwesen 3

ohne spezielle Vertiefung* 2

technische Chemie 2

Automatisierungs-technik 2

Operations Research 2

Biotechnologie 1

Verfahrenstechnik 1

sonstige 9

Verteilung der Wirtschaftsingenieure nach StudienrichtungAngaben in Prozent

Quelle: Berufsbilduntersuchung des Verbands Deutscher Wirtschaftsingenieure (VWI), 2011

*An einigen Hochschulen wird nur ein allgemeiner Studiengang

Wirtschaftsingenieurwesen angeboten.

StZ-Grafik: zap

Wirtschaftsingenieuren wird schon allein wegen des anspruchsvollen Studiums viel abverlangt. Eine starke Eigenmotivation ist deshalb unab­dingbar. „Wir erwarten von den Studenten eine hohe Leistung“, sagt Uwe Dittmann, Professor für Wirtschaftsingenieurwesen an der Hoch­schule Pforzheim. Das teile er den Studentenbereits im Aufnahmegespräch mit. Flexibilitätist bei den angehenden Wirtschaftsingenieuren ebenfalls gefragt, wenn innerhalb eines Tages Be­triebswirtschaftslehre, Informatik und Marketing auf dem Stundenplan stehen. „Wirtschaftsinge­nieure müssen sich schnell in neue Themen­gebiete einarbeiten“, sagt Dittmann.

Eigenmotivation gehört später im Berufslebenaus Sicht der Firmen zu den wichtigsten Eigen­schaften. Als fast genauso bedeutend werden

Verantwortungsbewusstsein, Ziel­ und Kunden­orientierung, analytisches Denken und Teamfä­higkeit bewertet. „Wirtschaftsingenieure müssen absolute Teamplayer sein“, sagt Nicola Reitzen­stein, beim Verband Deutscher Wirtschafts­ingenieure (VWI) Sprecherin der Region Baden­Württemberg. Wer ein Projekt übernimmt, müs­se auf andere Leute zugehen können, kommuni­ kativ, feinfühlig und zugleich ausdrucksstark sein. Dasselbe gelte, wenn man Mitarbeiter davon überzeugen muss, dass neue Prozesse effizienter sind als die alten. Hochschulprofessor Dittmann setzt diese Fähigkeiten auch im Umgang mit Kunden voraus, denen man zum Beispiel einProdukt erklären muss.

Reitzenstein sagt, dass Unternehmen heutevon Absolventen erwarten, dass sie bereits im

Ausland tätig waren – sei esdurch ein Auslandssemesteroder ein Praktikum. Darüber hi­naus verlangen Unternehmenvon Wirtschaftsingenieuren,dass sie die im Studium gelern­ten Methoden und Technikeneinsetzen, um beispielsweiseProbleme zu analysieren oderProjekte zu starten. Diese Fähig­keit gilt auch für das Fachwis­sen, das Wirtschaftsingenieurenicht nur vertiefen sollen, son­dern auch je nach Situation undErfordernis entsprechend ein­setzen sollen. sk

Soft Skills als Erfolgskriterien

Wirtschaftsingenieure denken vernetzt. Ein Tunnelblick ist fehl am Platz. Foto: fotolia

FLEXIBEL EINSETZBAR

Den Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen haben die Deutschen erfunden, oder genauer gesagt hat ihn der Wirtschaftswissenschaftler Willi Prion entwickelt. Im Jahr 1927 gründete er an der Technischen Hoch­schule Berlin­Charlottenburg den Studiengang, derzunächst noch „Wirtschaft und Technik“ hieß. Am1. April startete Prion zusammen mit 51 Studenten. Der Wirtschaftswissenschaftler war der Auffassung, dass Wirtschaft und Technik eng miteinander ver­knüpft seien. Die eine Disziplin könne nur mit Hilfe der anderen maximal ausgeschöpft werden. Das sollte gelingen, indem er in einem Studiengang zwei völlig verschiedene Denk­ und Handlungsansätze integrierte. Anders als heute stieß der Studiengang damals aller­dings auf eine nur mäßige Akzeptanz. Bis in die 1970er Jahre wurden Wirtschaftsingenieure in Deutschlandan nur wenigen Universitäten ausgebildet, wie zum Beispiel in Berlin, Karlsruhe, Darmstadt, Hamburg oder Kaiserslautern. Erst seitdem der Arbeitsmarkt ein großes Interesse am Berufsprofil der Wirtschafts­ingenieure zeigt, bieten immer mehr Hochschulen den Studiengang an. Laut Verband Deutscher Wirtschafts­ingenieure (VWI) hat sich diese Art Studium im Ausland bislang kaum etabliert. sk

Ein deutsches Produkt

„Jeder zweite Wirtschaftsingenieur arbeitet in einer Leitungsposition.“Uwe DittmannHochschulprofessor

Foto: StZ

Foto: fotolia

12 Wirtschaft in Baden-Württemberg 13Wirtschaft in Baden-WürttembergNr. 3 | November 2014Stuttgarter Zeitung | Stuttgarter Nachrichten

Page 12: Wirtschaft in Baden-Württbemberg

Lass es liegen!

Es klingt so einfach. „Lassen Sie IhrGeld für Sie arbeiten.“ Was dieserAufforderung – zu finden auf zahl­reichen Internetseiten – folgt, isteine Anleitung wie aus dem Bilder­

buch: Kaum ist das Vermögen „beim Arbei­ten“, sprudeln nur noch die Gewinne. Allesharmlos. Alles easy. Das Problem ist nur:Geld scheint aktuell dank der Kombinationaus Geldflut und gefährlich niedriger Zin­sen in den Streik getreten zu sein. Geld arbeitet zurzeit schlicht nicht – stattdessenwird es jeden Tag weniger wert.

Ein Luxusproblem für Reiche? Mitnich­ten. Auch Gesellschafter, oft in Personal­union auch noch Geschäftsführer schwer schuftender kleiner und mittelständischerUnternehmen, müssen sich fragen, was siemit ihrem Geld am besten anfangen.Grundsätzlich gibt es aus Unternehmer­

sicht zwei Möglichkeiten: das verdiente Geld im Unternehmen lassen oder es aus­schütten, um es anderweitig anzulegen.

Auf die Frage, was er denn mit seinemGeld mache, das er jedes Jahr verdient,antwortete jüngst ein mittelständischer Brauereibesitzer: „Das lasse ich natürlich in meinem Betrieb und arbeite damit. Ich investiere in neue Anlagen und Maschinen,Verfahren und Mitarbeiter. Ich baue mireine Hackschnitzelanlage, um Energiekos­ten zu sparen. Oder ich investiere in eineneue Flaschenreinigung, die weniger Was­ser braucht.“ Geld aus der Firma herauszu­ziehen, um es privat anzulegen, kommt für ihn nicht infrage. „Wenn ich nicht an die Zukunft meines Geschäftsmodells glaubenwürde – wer soll es dann tun?“

Der Staat unterstützt diese Haltung. Odervielleicht formulieren wir es besser so: Er

setzt hohe Anreize für Unternehmer, dass sieihr Vermögen im Unternehmen belassen.

Nehmen wir zum Beispiel eine GmbH,die – wie bei vielen Familienunternehmen der Fall – einem oder vielleicht auchzwei geschäftsführenden Gesellschafterngehört und als Kapitalgesellschaft derKörperschaftsteuer (15 Prozent) sowie derGewerbesteuer (ca. 15 Prozent) unterliegt.Die Gewinn­Abräumung erfolgt hier in derRegel über das Geschäftsführergehalt. Die­ses wiederum unterliegt der allgemeinenLohnsteuerpflicht. Aber was ist mit demRest des Gewinns, sofern einer übrig bleibt?Behält man den in der GmbH, oder soll maneine Gewinnausschüttung vornehmen?

Zum einen ist das eine ideologische Frage,zum anderen aber auch eine steuerliche.Sowohl offene wie auch verdeckte Gewinn­ausschüttungen unterliegen nämlich grund­

sätzlich der Abgeltungsteuer. Auf Antrag kann sich ein privater Gesellschafter aberder Einkommensteuer unterwerfen. In demFall kommt das Teileinkünfteverfahren zumEinsatz, sprich: die Ausschüttung bleibt zu40 Prozent steuerfrei, außerdem sind Wer­bungskosten abzugsfähig. Diese Option lohntsich nicht generell, weil die Gewinnaus­schüttung dann auch – anders als unter derAbgeltungsteuer – mit 60 Prozent die Pro­gression für die übrigen Einkünfte des Ge­sellschafters belastet. Es kommt also auf den Einzelfall an, wie dieses Beispiel von Hau­fe.de zeigt: Der ledige GmbH­Allein­Gesell­schafter bezieht ein Geschäftsführergehalt, woraus sich ein zu versteuerndes Einkom­men (z. v. E.) von 80 000 Euro ergibt. Darüberhinaus hatte er eine Gewinnausschüttung von 100 000 Euro erhalten. Werbungskostenwaren nicht angefallen.

Ergebnis: das Teileinkünfteverfahren istleicht ungünstiger, obwohl 40 Prozent der Ausschüttung steuerfrei bleiben. Das resul­tiert daraus, dass der Tarif für das übrigeEinkommen steigt. Insoweit lohnt sich derAntrag nur dann, wenn auch Werbungskos­ten angefallen sind, wie dies im zweiten Bei­spiel der Fall ist: Hier wurde mit Schuldzin­sen in Höhe von 40 000 Euro gerechnet, dieals Werbungskosten von der 100 000­Euro­Ausschüttung abgezogen werden. Ergebnis:das Teileinkünfteverfah­ren ist deutlich günstiger,weil sich hier über 60 Pro­zent der Werbungskostenauswirken.

Grundsätzlich ist esaber immer besser, dasGeld erst gar nicht ausdem Betrieb herauszu­nehmen. Natürlich, so argumentierenmanche, ist das angesparte Geld dann demRisiko im Insolvenzfall ausgesetzt. Ande­rerseits kann das Unternehmen mit diesemKapital arbeiten. Und: Unternehmen, diein der GmbH ein Vermögen ansammeln,gehören in der Regel auch nicht zu denen, die anschließend insolvent gehen.

Dass der Staat durch die Steuergesetz­gebung Unternehmer mehr oder wenigerdazu zwingt, möglichst wenig Geld aus ihrerGesellschaft herauszunehmen, hat Gründe.Kapitalstarke Unternehmen sind wenigerausfallgefährdet, können Krisenzeiten bes­ser überstehen und sind auch bei der Bankbesser angesehen. Hört man sich im Kreise mittelständischer Firmenkundenberaterum, heißt es unisono: die Kapitalstärke derbaden­württembergischen Mittelstandsbe­triebe hat in den vergangenen Jahren – spä­testens seit der Krise 2008/2009 – deutlichzugenommen. Das Gespür für Liquiditätund nachhaltige Zahlungsfähigkeit ist da.

Kein Wunder: das Rating eines Unter­nehmens, das wiederum die Höhe des Risi­koaufschlags der Bank auf den marktübli­chen Zins für Investitionen und Betriebs­mittelkredite bestimmt, hängt maßgeblichvon der nachhaltigen Zahlungsfähigkeitdes Kunden ab.

Mittelständische Geschäftsführer, dieihr Unternehmen also nachhaltig gut finan­zieren wollen, sind nicht nur ideologisch beidem Brauereibesitzer, der sein Geld lieberim eigenen Unternehmen lässt, anstatt es anderen zu überlassen. Auch aus steuer­licher Sicht ist die Investition in das eigeneWachstum nach wie vor die sinnvollsteKapitalanlage für einen Unternehmer.

Gewinnverwendung Unternehmer sollten besser auf die eigene Firma vertrauen, anstatt ihr Geld anderswo zu bunkern. Von Raimund Haser

Was sollten Unternehmer mit ihrem Geld tun? Es in die

eigene Firma – etwa eine Brauerei – investieren oder es

privat anlegen, etwa in Immobilien? Fotos: fotolia

Geldanlage Wie verwendet man anfallende

Gewinne von Firmen? Gerade Gesellschafter

stehen vor dieser Frage. Wie sie sich

entscheiden sollten, um Steuern zu sparen,

ist pauschal nicht zu beantworten.

Baden­württembergische Mittelstandsbetriebesind heute kapitalstärkerals vor der Finanz­ und Wirtschaftskrise 2008/2009.

Teileinkünfteverfahren (in Euro) Abgeltungsteuer (in Euro)

zu verst. Einkommen 80 000 80 000

Gewinnausschüttung 100 000 100 000

60 % der Gewinnausschüttung 60 000 ­

zu verst. Einkommen neu 140 000 80 000

Tarifliche ESt50 628 25 428

+5,5 % Solidaritätszuschlag 2 784 1 398

25 % Abgeltungsteuer ­ 25 000

+5,5 % Solidaritätszuschlag ­ 1 375

Gesamtbelastung 2011 53 412 53 201

Teileinkünfteverfahren(in Euro)

Abgeltungsteuer(in Euro)zu verst. Einkommen

80 000 80 000Gewinnausschüttung 100 000 100 00060 % der Kapitaleinkünfte von 60 000 € * 36 000­zu verst. Einkommen neu 116 000 80 000Tarifliche ESt.

40 548 25 428+5,5 % Solidaritätszuschlag 2 230 1 39825 % Abgeltungsteuer­ 25 000+5,5 % Solidaritätszuschlag ­ 1 375Gesamtbelastung 2011 42 778 53 201* Ausschüttung 100 000 € abzgl. Werbungskosten 40 000 €

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14 Wirtschaft in Baden-Württemberg Nr. 3 | November 2014Stuttgarter Zeitung | Stuttgarter Nachrichten

Page 13: Wirtschaft in Baden-Württbemberg

Die Verbrauchswerte beziehen sich auf die zur Markteinführung (09/2014) verfügbaren Motoren (C 180/C 200/ C 250/C 220 BlueTEC und C 250 BlueTEC). Kraftstoffverbrauch, kombiniert: 6,0–4,3 l/100 km; CO2-Emissio-nen, kombiniert: 140–108 g/km. Die Angaben beziehen sich nicht auf ein einzelnes Fahrzeug und sind nicht Bestandteil des Angebots, sondern dienen allein Vergleichszwecken zwischen verschiedenen Fahrzeug- typen. Abbildung enthält Sonderausstattungen.

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Page 14: Wirtschaft in Baden-Württbemberg

Persönliches

Markus Baumgärtner

Chef­Kontrolleur bei GVS

Markus Baumgärtner ist seit Anfang Oktober neuer Aufsichtsratsvorsitzender des Gas­zwischenhändlers Gas­versorgung Süddeutsch­land (GVS) in Stuttgart. Baumgärtner, der beim Energieversorger EnBW als Leiter der Wert­schöpfungskette Gas beschäftigt ist, folgt da­mit auf den ehemaligen EnBW­Vertriebsvor­stand Dirk Mausbeck, der das GVS­Kontrollgremium zwei Jahre lang führte. Neu im GVS­Aufsichtsrat ist zudem Uwe Fritz, Geschäftsfrüher der Sales & Solu­tions GmbH. wro

Frank Schnatz

Von WMF zu HansgroheFrank Schnatz (41) wird neuer Produktionsvor­stand beim Schiltacher Badarmaturenherstel­ler Hansgrohe SE. Schnatz, der bislang beim Küchenausstatter WMF beschäftigt ist, folgt damit auf Marc Griggel (45), der seit 2004 beim Schwarzwälder Brausenhersteller be­schäftigt war und die Internationalisierung der Produktion vorangetrieben hat. Ein exaktesEintrittsdatum für Schnatz in sein neues Amt steht noch nicht fest. Nach Ex­WMF­Chef Thorsten Klapproth, der seit Anfang Oktober bei Hansgrohe Vorstandschef ist, wäre Schnatz der zweite WMF­Mann innerhalb kurzer Zeit, der zu den Südbadenern wechselt. wro

Andreas Engelhardt

GWG mit neuem VorstandschefAnfang Oktober hat Andreas Engelhardt sein Amt als neuer Vorstandsvorsitzender der Volks­ und Raiffeisen­bank­Tochter Gesell­schaft für Wohnungs­ und Gewerbebau Ba­den­Württemberg AG (GWG) angetreten. Der 49­jährige Immobilien­spezialist folgt auf Rai­ner Neumann. Dieser hatte zum selben Zeit­punkt den Aufsichtsrats­vorsitz der GWG übernommen. Engelhardthat jahrzehntelange Erfahrung im Immobilien­bereich. Die GWG bewirtschaftet rund 18 000 Objekte in Deutschland. wro

Jürgen Hirschberg

Aus der Chemiebranche zu SoloDer Restrukturierungsspezialist Jürgen Hirsch­berg ist zum kaufmännischen Leiter beim Sindelfinger Gartengerätehersteller Solo Kleinmotoren GmbH berufen worden. Hirsch­berg arbeitete fast 15 Jahre für den Chemie­riesen Hoechst (heute Aventis) und managte unter anderem die Umstrukturierung von Konzerngesellschaften in Asien. Der Schwer­punkt seiner Arbeit als Interim­Manager bei Solo wird etwa in der Optimierung von Prozessen im Verwaltungsbereich liegen. Solo hat Anfang des Jahres Teile seines Garten­werkzeuge­Geschäfts an den Konkurrenten Alko verkauft. wro

Hans­Achim Quitmann

Zeiss­Mann im DSAG­VorstandHans­Achim Quitmann, Leiter der Konzern­IT beim Oberkochener Technologieunternehmen Carl Zeiss AG, ist Mitte Oktober zum neuen

Technologie­Vorstandbei der DSAG gewähltworden. Die DSAG ver­steht sich als unabhängi­ge Interessenvertretungvon SAP­Anwendernim deutschsprachigenRaum und fördert denInformationsaustauschzwischen dem Walldor­fer Konzern und seinen

Kunden. Der Verein ist eine der größten SAP­Anwendergruppen weltweit. Seine Tätigkeitbei Carl Zeiss setzt Quitmann, der zuvor beim Hamburger Kupferhersteller Aurubis beschäf­tigt war, in vollem Umfang fort. wro

Christian Wulf

IHK statt FlughafenDer Betriebswirt Christian Wulf (39) hat Mitte Oktober die Leitung der Abteilung Presse­ und Öffentlichkeitsarbeit der Industrie­ und Han­delskammer Hochrhein­Bodensee (IHK) über­nommen. Bisher war Wulf Sprecher der Flug­hafen Friedrichshafen GmbH und leitete den Bereich Marketing, Ver­trieb und Unterneh­menskommunikation des Unternehmens und arbeitete zuvor in ähnli­chen Positionen beim Flughafen Stuttgart und bei der Fluggesellschaft Air Berlin. Wulf ist Mitglied der Vollversammlung der IHK Boden­see­Oberschwaben in Weingarten und enga­giert sich seit einigen Jahren ehrenamtlich im Kammer­Verbund. wro

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Gottgefällig und am Drücker

Müssen Chefs von ehr­würdigen High­Tech­Elek­tronikunternehmen nichtdurch Zurückhaltung punk­ten? Müssen sie ihre Stirn

nicht in Falten legen, bevor sie Fragen be­antworten? Und grüblerisch abwägen, be­vor sie ihr Urteil fällen? Mitnichten – und Susanne Kunschert, seit 2002 geschäftsführende Gesellschafterindes Automatisierungsunternehmens Pilz,ist der lebende Beweis, dass es auch ganzanders geht. Die Mutter eines Sohnes ent­spricht gerade nicht dem klassischen Bilddes deutschen Automatisierers, der zwarfachlich top und durchaus freundlich ist, dem es im persönlichen Umgang aber nichtselten irgendwie an Farbe fehlt. Wenn Kunschert Gäste bei sich im Unter­nehmen empfängt, dann hechtet sie förm­lich nach vorn, um sie zu begrüßen. Sie sagtdann Sätze wie, „Toll, dass Sie da sind“, oder„Wir sind da grad an was ganz, ganz Span­nendem dran. Kommen Sie, das zeig ich Ih­nen jetzt mal.“ Lebensfreude und eine posi­tive Grundeinstellung sind zwei Wesens­merkmale der 43­Jährigen, die das aufAutomatisierungstechnik spezialisierteUnternehmen zusammen mit ihrer MutterRenate Pilz und ihrem Bruder Thomas Pilzführt. Die drei haben ein „sehr enges Ver­hältnis“, wie es heißt. Bei Pilz sitzen sieSeit an Seit im selben Büro. Kunschert ver­antwortet die Bereiche Personal, Finanzen,Controlling und Organisation – und ist fürdas Thema Industrie 4.0 zuständig. Einen Großteil ihrer Kraft schöpft diestudierte BWLerin, deren Vater Mitte der1970er Jahre bei einem Flugzeugunglückums Leben kam, aus dem katholischenGlauben. „Der Glaube ist die Basis“, sagt sie– nicht nur fürs Privatleben, sondern auch fürs Geschäftliche. Das reicht vom eherabstrakten „Ideal des ehrbaren Kaufmanns“bis in konkrete Details. Meetings bei Pilzsind oft über alle Mitarbeiterebenen hin­weg offen. Das Wort Gemeinschaft wird ganz großgeschrieben, Hierarchien wer­den eher als notwendig denn als Selbst­zweck angesehen. Pilz scheint das gutzutun. Umsätze undMitarbeiterzahlen steigen. Wer einmalbei Pilz arbeitet, bleibt fast immer dort. Mit nur 1,3 Prozent ist die Fluktuation in der Firma extrem gering. „Daraufsind wir stolz“, sagt Kunschert. Und strahlt glücklich.

Pilz Der Not­Aus­Knopf hat Pilz aus Ostfildern weltweit bekanntgemacht. Geschäftsführerin Susanne Kunschert achtet darauf, dass die High­Tech­Firma technologisch vorn bleibt, und setzt dabei auf christliche Werte. Von Walther Rosenberger

Vertrauen in Führung

Was macht einen guten Chef aus? Fachliche Kompetenz sowie das „Wer andere führen möchte, sollte gelernt haben, sich selbst zu führen“.Und welche Eigenschaften davon haben Sie? Selbstreflexion.

Wie kommt man so weit wie Sie? Fleiß, Eigenverantwortung und die Bereitschaft, sich von Gott führen zu lassen.Welche Rolle spielte Glück bei Ihrer Karriere? Ich sehe das wie Elie Wiesel: „Ich glaube nicht an Zufall, ich glaube an Begegnung“.Haben Sie Vorbilder?Jesus.

Was ist typisch für Ihren Arbeitsalltag? Begegnungen.

Was würden Sie heute anders machen? Nichts.

Von wem können Sie am ehesten Kritik einstecken?Konstruktive Kritik will ich von allen Seiten hören.

Womit können Kollegen Sie nerven?Ich nehme jeden, wie er ist.

Und umgekehrt?

Ich hoffe, dass meine Mitmenschen mich auch so nehmen,wie ich bin.

Was raten Sie Berufsanfängern?Die eigenen Gaben zu entdecken und den eigenen Weg zu gehen.

Was macht Sie leistungsfähig?

Das Gebet.

Susanne Kunschert ist Mutter und Macherin. Im Fragebogen verrät sie etwas über ihre Vorbilder und erklärt, warum Zuversicht meist zum Ziel führt. Von Walther Rosenberger

Ausgefragt

Susanne Kunschert Die 43­Jährige studierte an der Universität Regensburg Betriebswirtschaftslehre und arbeitete danach für den Anlagenbauer Dürr in den USA und England. Nach einer Zwischenstation bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young über­nahm sie 2002 die Position der geschäftsführenden Gesellschafterin beim Elektronikunternehmen Pilz in Ostfildern. Privat ist sie in der Kinderkirche engagiert.

Das Unternehmen 1948 von Hermann Pilz als Glasblä­serei in Esslingen am Neckar gegründet, steht Pilz heute für Prozessautomatisierung sowie für Sicherheitstech­nik. Vor allem Elektronik und Sensoren spielen hier eine große Rolle. Sie erfassen beispielsweise Personen, die in den Arbeitsbereich von Robotern treten, und stoppen blitzschnell alle Systeme. Geleitet wird das Unterneh­men von Renate Pilz, die seit 1994 Vorsitzende derGeschäftsführung ist und zusammen mit ihrer Tochter Susanne Kunschert und ihrem Sohn Thomas Pilz die Geschäftsführung bildet.

Die Kennzahlen Mit einem Umsatz von 233 Millionen Euro (2013) ist die Pilz GmbH & Co. KG ein klassischer Mittelständler. Das Unternehmen hat 31 Firmen­Töch­ter und ist auf allen Kontinenten präsent. Über 1800 Menschen arbeiten für das Familienunternehmen, rund 900 davon in Deutschland. 17 Prozent des Umsatzes werden in Forschung und Entwicklung investiert.In den letzten Monaten hat Pilz rund 25 MillionenEuro in Werke, etwa in China, investiert. wro

FAMILIE AM STEUER

Susanne Kunschert,geschäftsführendeGesellschafterin beimMittelständler Pilz,

blättert in einer Bro­schüre. IT­Technologie

für Sensoren wird für Pilz immer wichtiger.

Foto: Pilz GmbH

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16 Wirtschaft in Baden-Württemberg Nr. 3 | November 2014Stuttgarter Zeitung | Stuttgarter Nachrichten

Page 15: Wirtschaft in Baden-Württbemberg

WirWirWirtschafttschaft 17November 2014& Debatte

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Strengere Gesetze und drastischeStrafen bewegen viele Unterneh­men dazu, hart gegen Wirtschafts­kriminalität vorzugehen. Dennochbleibe viel zu tun, meint der Krimi­

nalitätsexperte Steffen Salvenmoser von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PWC.

Herr Salvenmoser, woran erkennt man einen Wirtschaftskriminellen?Das sehen Sie den Leuten nicht an. Der typi­sche Wirtschaftsstraftäter ist vollkommenunauffällig und sozial integriert. Es handeltsich sehr oft um langjährige Beschäftigteeines Unternehmens, die in höheren Posi­tionen arbeiten. Und es sind deutlich mehrMänner als Frauen.

Welche Rolle spielen Täter außerhalb derUnternehmen?Bis 2007 war das Verhältnis zwischenMitarbeitern und Externen, von leichten

Schwankungen abgese­hen, ungefähr gleich.Seitdem hat die Täter­gruppe der Mitarbeiternach unseren Daten nochetwas an Bedeutung ge­wonnen. Das liegt sicherauch daran, dass vieleUnternehmen ihre inter­nen Kontrollen ver­schärft haben.

Gehen Unternehmen heutekritischer mit dem ThemaWirtschaftskriminalitätum als noch vor zehn oder15 Jahren?Eindeutig ja. Der Be­wusstseinswandel hängtvor allem mit strengerenGesetzen und Haftungs­regeln sowie dem härte­ren Vorgehen der Straf­ve r f o l g u n g s b e h ö r d e n

gegen Wirtschaftskriminelle zusammen. Die drastischen Strafen, die in großen Kor­ruptionsfällen verhängt wurden, haben ge­zeigt, dass es sehr teuer werden kann, wennman sich nicht an die Regeln hält.

Hat sich das bereits auf die Zahl der Wirt­schaftsdelikte ausgewirkt?Wenn Sie auf die polizeiliche Kriminal­statistik schauen, ist die Zahl der Delikte inden vergangenen Jahren mehr oder weni­ger konstant geblieben – abgesehen von Schwankungen durch Großverfahren mitHunderten oder Tausenden Beteiligten.Die Zahlen bilden aber nur einen Bruchteilder Wirtschaftskriminalität ab, weil sie nurdie angezeigten Fälle berücksichtigen. Da­neben gibt es ein großes Dunkelfeld. Wir haben einen anderen Ansatz. Wir zählen

nicht die Fälle, sondern ermitteln perUmfrage den Anteil der Unternehmen, die von Wirtschaftskriminalität betroffen sind.Wir erfassen also auch jene, die Opfer einesDelikts geworden sind, aber keine Anzeigeerstatten. Damit können wir zumindesteinen Teil des Dunkelfelds ausleuchten.

Mit welchem Ergebnis?Mit der Einführung strengerer Kontrollen in den vergangenen Jahren hat zunächst einimmer höherer Anteil von UnternehmenDelikte festgestellt. Seit einigen Jahren nimmt die Zahl der betroffenen Unterneh­men aber wieder etwas ab, weil die Präven­tionsmaßnahmen Wirkung zeigen. Nach wie vor sind aber nach unseren Erhebungenrund 43 Prozent der Unternehmen in Deutschland binnen zwei Jahren mit min­destens einem Fall von Wirtschaftskrimi­nalität konfrontiert.

Sie haben also keine Angst, dass Ihnen die Arbeit ausgehen könnte?Überhaupt nicht. Ich habe eher die Sorge,dass aus dem leichten Rückgang eine falscheBotschaft herausgelesen wird – dass Unter­nehmen sagen: Die Lage hat sich gebessert,jetzt kann ich meine Bemühungen einstel­len. Dabei ist die Abnahme nur eine Konse­quenz verstärkter Anstrengungen. Wennman diese einstellen würde, würde die Wirt­schaftskriminalität wieder zunehmen.

Was sind die häufigsten Delikte?Auf Platz eins rangieren Vermögensdelikte– also der Griff in die Kasse oder die Verun­treuung betrieblicher Gelder. In diese Kate­gorie gehören der Buchhalter, der Schein­rechnungen schreibt und das Geld auf seineigenes Konto überweisen lässt; der Liefe­rant, der schlechtere Qualität liefert als ver­einbart; oder der Dienstleister, der Leistun­gen abrechnet, die nicht erbracht wurden.Auf Platz zwei liegt der Diebstahl geistigen Eigentums. Dazu gehören der Missbrauchvon Patenten und Markenrechten, Indus­trie­ und Wirtschaftsspionage oder derDiebstahl von Kundendaten. Das dritte gro­ße Deliktfeld ist die Korruption.

Wie läuft die Untersuchung von Verdachts­fällen ab – rufen die Firmen bei Ihnen an, undSie rücken dann als eine Art Task­Force an?Das ist eine Variante, die häufig vorkommt. Ein Unternehmer tritt an uns heran undsagt etwa: „Ich habe schon seit Jahren dasGefühl, dass in dieser Abteilung etwasschiefläuft.“ Da geht es oft um eine Anei­nanderreihung von Kleinigkeiten. Ein Bei­spiel: ein Mitarbeiter fährt ein teures Autound setzt sich permanent für bestimmteLieferanten ein, obwohl er woanders güns­tiger einkaufen könnte. Außerdem schotteter sein Arbeitsfeld massiv ab, und auch die Zahlen stimmen seit einiger Zeit nicht.

Wenn dann noch etwas Ungewöhnliches passiert, möchten die Unternehmen, dassda mal jemand genauer hinschaut.

Dürfen Mitarbeiter die Aussage verweigern,wenn Sie sie befragen?Das kommt auf die Situation an und darauf,wie das Gesagte später verwendet werdensoll. Arbeitsrechtlich gilt der Grundsatz:der Arbeitnehmer hat eine Auskunfts­pflicht gegenüber dem Arbeitgeber. Es gibtaber eine Grenze: Er ist – ähnlich wie imStrafrecht – nicht verpflichtet, sich selbst zu belasten. Manche Juristen sind der Auf­fassung, dass der Arbeitgeber den Arbeit­nehmer explizit über diese Grenze belehrenmuss, bevor er ihn befragt. Andere haltendas nicht für erforderlich. Da werdengerade lange juristische Aufsätze darüber geschrieben.

Wie können sich Unternehmen konkret vorWirtschaftskriminalität schützen?Das Thema Kontrollen hatten wir ja bereitsangesprochen. Das Risiko, entdeckt zu wer­den, schreckt potenzielle Täter ab. So lassensich etwa mit spezieller Software verdächti­ge Geldströme erkennen. Hilfreich ist auch eine Whistleblower­Hotline, an die sichMitarbeiter wenden können, wenn sie ir­gendwo Ungereimtheiten vermuten. DiePrävention hat aber auch eine moralischeEbene. Die Unternehmen müssen dasBewusstsein vom ehrlichen Kaufmannwieder stärker zur Geltung bringen undden Mitarbeitern zeigen: Wir wollen unsereGeschäfte nur auf ehrliche Weise machen.

Besteht nicht die Gefahr, dass das zwar ineinem wohlklingenden Unternehmensleitbildsteht, sich in der Praxis aber nichts ändert?Das Management muss sich auch daranhalten. Das zeigt sich besonders in Grenz­fällen – wenn etwa ein großes Geschäftwinkt, für das das Unternehmen aber gegenseine Antikorruptionsrichtlinien verstoßenmüsste. Dann muss die Geschäftsführung sagen: Das machen wir nicht, weil wirglaubwürdig bleiben wollen. Die Mitarbei­ter müssen das Gefühl haben, dass dieRegeln ernst gemeint sind. Und es mussnatürlich trotzdem Kontrollen geben.

Eine Whistleblower­Hotline lässt sich auchnutzen, um Kollegen zu denunzieren.Man kann nicht ausschließen, dass Mit­arbeiter versuchen, so ein Instrument zumissbrauchen. Aber wenn man professio­nell damit umgeht, merkt man das schnell.Oft nehmen Beschäftigte etwas Verdächti­ges wahr, wissen aber nicht so recht, wie siediese Information weitergeben sollen. Derdirekte Vorgesetzte ist ja möglicherweise anden regelwidrigen Praktiken beteiligt. Daeinen Kanal aufzumachen, über den manHinweise geben kann, ohne sich als Person

zu offenbaren, ist hilfreich. Der Kanal kannauch zu einem externen Dritten führen, wasgerade für kleinere Unternehmen, die nichtso viele Ressourcen auf das Thema Compli­ance verwenden können, eine interessante Option ist. Entscheidend ist, dass Ver­dachtsfälle ergebnisoffen geprüft werden. Es darf auch nicht bekannt werden, wenn ein Verdacht gegen Herrn X oder Frau Yuntersucht wird. Selbst wenn sich die Vor­würfe nicht erhärten lassen, bliebe an den Betroffenen immer etwas hängen, wenn einentsprechender Verdacht bekannt würde.

Und wo bleibt der Arbeitnehmerdatenschutz,wenn zur Kriminalitätsprävention systema­tisch Daten ausgewertet werden?Solchen Auswertungen setzt das Bundes­datenschutzgesetz enge Grenzen. Unprob­lematisch ist die Untersuchung von Trans­aktionsdaten – beispielsweise von Bu­chungsvorgängen. Es gibt aber auch Fälle,in denen diese Informationen mit Personenverbunden sind. Um diese Daten auswertenzu dürfen, braucht es einen konkretenVerdacht. Es geht hier um eine Abwägung zwischen den schutzwürdigen Interessen der Arbeitnehmer und dem Aufklärungs­interesse des Unternehmens.

Gab es schon einen Fall, bei dem selbst Siegestaunt haben, dass einer auf so eine Ideegekommen ist?Das passiert selten,weil sich das Ganzeletztlich doch aufeine überschaubare Anzahl von Grund­manipulationsmus­tern reduziert. Man­che Täter glaubenzwar, sie seien aufeinen genialen Kniffgekommen, den noch keiner ent­deckt hat. Meist er­finden sie aber nur das Rad wieder neu. Dielesen ja auch keine Lehrbücher darüber, wieman so was heutzutage aufdecken kann.

In Europa und den Vereinigten Staaten gel­ten strenge Antikorruptionsgesetze. Gilt dasauch für andere Regionen – oder muss man dort immer noch schmieren, um einen Auf­trag zu bekommen?Das bekomme ich immer wieder zu hören. Es mag ja sein, dass man den einen oderanderen Auftrag verliert, wenn man kon­sequent auf Schmiergeld verzichtet. Die Unternehmen sollten sich aber fragen, obsich ein dubioses Geschäft auch noch rech­net, wenn man mögliche Strafzahlungen und den drohenden Reputationsschaden miteinbezieht.

Das Gespräch führte Werner Ludwig.

Compliance Die Einhaltung von Gesetzen und Regeln wird für Firmen immer wichtiger. Der PWC­Experte Steffen Salvenmoser gibt im Interview einen Überblick über die Entwicklung der Wirtschaftskriminali­tät in den vergangenen Jahren. Daimler­Vorstandsmitglied Christine Hohmann­Dennhardt erklärt, wie ein Großunterneh­men das Thema Compliance in die Praxis umsetzt. Das Beispiel der Baufirma Mörk zeigt, welche Möglichkeitender Kriminalitätsprävention mittel­ständische Unternehmen haben.Seite 19, 20 und 21

Gesucht: der ehrliche Kaufmann

Wie Firmen flüssig bleiben

Bankkredite, Anleihen, Schuldscheindarlehen oder Aktien – es gibt viele Wege, an Kapital zu kommen. Wir stellen die wichtigsten vor. Doch selbst eine dicke Eigenkapitaldecke schützt nicht immer vor Liquiditätsproblemen. Seite 24 bis 26

Gründer – und was aus ihnen wurde

Nicht jede Gründung ist wirtschaftlich erfolgreich.Doch auch wenn es anders als geplant läuft, lernen die Neuunternehmer vieles, was ihnen beim nächsten Anlauf hilft. Das belegen zwei Beispiele aus Stuttgart. Seite 22 und 23

Experte Steffen Salvenmoser ist Partner im Bereich Forensic Services bei der Wirtschafts­prüfungsgesellschaft Price Waterhouse Coopers (PWC). Er ist spezialisiert auf die Aufklärung von Wirtschaftskriminalität in Unternehmen und leitete eine Vielzahl von Sonderprüfungen in unterschiedlichen Branchen. Vor seiner Tätigkeit bei PWC war Salvenmoser zwei Jahre als Richter und mehr als sechs Jahre als Staats­anwalt für Wirtschaftsstrafsachen tätig. lud

ZUR PERSON

„Der typische Wirtschafts­straftäter ist vollkommen unauffällig und sozial integriert.“Steffen Salvenmoser, Kriminalitätsexperte bei Price Waterhouse Coopers

Foto: PWC

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Page 16: Wirtschaft in Baden-Württbemberg

Der Anglizismus Compliance, derfür Regelkonformität steht, hatKarriere gemacht. In vielenKonzernen kümmern sich jetztVorstandsmitglieder darum,

dass die Korruption keine Chance hat undsich alles nach gesetzlichen und internen Vorschriften abspielt. Im Daimler­Vor­stand kümmert sich die frühere Verfas­sungsrichterin Christine Hohmann­Denn­hardt seit 2011 um das Thema. Im Interviewzieht sich eine Zwischenbilanz ihrer Arbeit.

Frau Hohmann­Dennhardt, Daimler ist infast allen Ländern der Welt vertreten. Ist es dort überall wirklich möglich, legal Geschäf­te zu machen? Natürlich ist es in den unterschiedlichenLändern unterschiedlich schwer, legal zu handeln, aber es ist möglich. Und es ist ins­besondere möglich für ein so großes undangesehenes Unternehmen wie Daimler.Ich sage immer: Wer, wenn nicht wir?

Gibt es Gepflogenheiten auf Drittmärkten,die nach deutschem Recht in Ordnung sind,nach US­Recht aber zum Beispiel nicht? Es hat zumindest in der Vergangenheitunterschiedliche Gesetze gegeben. Beider Korruptionsbekämpfung ist uns dasamerikanische Recht voraus gewesen. Der„Foreign Corrupt Practices Act“ (FCPA)von 1977, also das US­Gesetz, das Zahlun­gen an ausländische Amtsträger verbietet,war ein Rechtswerk, das es so auf der Welt

vorher nicht gege­ben hat. Es wurdenUnternehmen fürKorruptionshand­lungen zur Verant­wortung gezogen,nicht die einzelnenTäter, und das Ge­setz erstreckte sichauf das Ausland.Früher waren dieGesetze in Deutsch­land und in vielenanderen Ländernnicht so, es gab alsogewisse Verzöge­rungen.

Haben wir jetzt weltweit einen einheitlichenStandard?Was die Gesetze betrifft, so hat es weltweiteine Anpassung auf das gleiche Niveau ge­geben. Das gilt auch für Länder, in denenKorruption herrscht. Da gibt es ein Voll­zugsdefizit.

Sie erwarten von den Geschäftspartnern dasEinhalten von Regeln und ein insgesamtintegres Verhalten. Wie verträgt sich das da­mit, dass Daimler auch mit Geschäftsleutenwie Bernie Ecclestone zusammenarbeitet?Wir überprüfen all unsere Geschäftspart­ner im Hinblick auf Compliance. WasHerrn Ecclestone betrifft: er ist kein direk­ter Geschäftspartner von uns. Das Ge­richtsverfahren gegen ihn ist beendet, ermusste zwar einen großen Betrag zahlen,aber er ist nicht für schuldig erklärt wor­den. Wir respektieren die Entscheidung des Gerichts.

Die Ermittlungen in den USA gegen Daimlerwegen Korruption sind 2010 mit einem Ver­

gleich beendet worden. Anschließend hat derfrühere FBI­Direktor Louis Freeh kontrol­liert, ob alles mit rechten Dingen zugeht. Siesind seit 2011 im Daimler­Vorstand unteranderem für Compliance verantwortlich.Was hat sich in diesen Jahren geändert?Es hat sich sehr vieles erfreulich entwickeltund zum Besseren gewandelt. Louis Freeh hat zum Ende seiner Arbeit im vergange­nen Jahr vom Goldstandard gesprochen.Dasselbe gilt für eine Studie der DeutschenForschungsgemeinschaft (DFG), bei der esum die Frage ging, wie weit Compliance imUnternehmen verankert ist. Da haben wir sehr gut abgeschnitten. Aber wir könnenund wollen uns nicht auf unseren Lorbee­ren ausruhen.

Wie viele Verstöße wurden gemeldet?Die Bilanz messe ich nicht an den Zahlen,um das ganz klar zu sagen. Ich messe dasdaran, dass sich unsere Mitarbeiter mitt­lerweile sicher fühlen im Umgang mit denThemen. Aber wir müssen auf der Hut sein.Dazu dient zum Beispiel unser Hinweis­gebersystem. Nach der Bilanz 2013 wurdenkonzernweit 4500 Fälle angezeigt. Daswaren vielfach aber auch reine Anfragenund Doppelanzeigen. Dann gab es leichtereVerstöße, die an die jeweiligen Vorgesetz­ten gegeben wurden – zum Beispiel Verspä­tungen von Mitarbeitern. Festgehaltenwurden 700 Hinweise, und von denen sind nach Prüfung 84 Fälle übrig geblieben, beidenen sich der Verdacht bestätigte. An ers­ter Stelle stehen Diebstahl und Untreue,dann kommen sonstige Verstöße – zumBeispiel gegen unsere Verhaltensricht­linie – und an dritter Stelle dann Beste­chungsfälle, aber fast gleichbedeutend sindFragen von Diskriminierung und Mobbing.

Von wie vielen Mitarbeitern hat sich Daim­ler aus diesen Gründen getrennt?Für uns steht das Prinzip der Verhältnis­mäßigkeit an oberster Stelle. Natürlichmüssen wir Verstößen nachgehen. Aber wirhaben uns einer Fehlerkultur verschrieben.Man darf bei uns Fehler machen, wenn das nicht vorsätzlich geschieht. Und es spielteine Rolle, wenn jemandem der Fehler zumBeispiel zum ersten Mal nach 30 Jahren Be­triebszugehörigkeit unterlaufen ist. Aber eskommt auch zu Kündigungen. Über Zahlen möchte ich da nicht sprechen.

Das Whistleblower­System für anonymeTipps gilt auch als Spielwiese für Denun­zianten. Rechtfertigt die Trefferquote den möglichen Schaden?Ich meine, dass das ein sehr sinnvolles In­strument ist. Natürlich besteht das Risikodes Missbrauchs. Ich meine aber, dass mandem begegnen kann. Wir prüfen sehr sorg­fältig, ob wir überhaupt in Prüfungen ein­treten – was die Zahlen ja im Übrigen zei­gen. Wir gehen keinem aus der Luft gegrif­fenen Verdacht nach, sondern prüfen sehrgenau. Und wir ziehen ganz unverzüglich die Betroffenen heran und hören sie an.

Wer schützt zu Unrecht angeschwärzteMitarbeiter?

Wenn sich ein Verdacht nicht be­stätigen sollte, bieten wir dem

Mitarbeiter rehabilitierendeSchritte an, sofern er es will.

Wir stellen die Sache dannklar, damit nichts hängenbleibt. Außerdem mussderjenige mit Sanktio­nen rechnen, der falscheVorwürfe erhebt, sofernwir das feststellen kön­nen.

Aber ein Tippgeber kannanonym bleiben.

Natürlich, aber manchmallässt sich erkennbares An­

schwärzen einkreisen und erkennen, aus welcher Ecke das kommt. Zudem sind nichtalle Hinweise anonym.

Sollten Tippgeber wie in den USA eine Be­lohnung erhalten? Auf EU­Ebene wird überdieses Thema diskutiert.Ich halte von dieser Idee überhaupt nichts.Wer einen Verdacht äußert, sollte das nichtwegen des Geldes tun, sondern weil er sichverantwortlich fühlt. In den USA ist es so:Wenn sich der Whistleblower an den Staat wendet, bekommt er nachher die Beloh­nung. Das ist kontraproduktiv, denn dersel­be Gesetzgeber, der die Belohnung aussetzt,erlegt den Unternehmen auf, Whistle­blower­Systeme einzurichten. Warum soll­te sich jemand noch intern und rechtzeitigan ein solches Whistleblower­System wen­den, wenn er daran vorbei vom Staat eine Belohnung erhalten kann? Das führt unsnicht weiter. Unternehmen haben die Ver­pflichtung, sich selbst darum zu kümmern,dass es regelkonform bei ihnen zugeht.

Wie halten Sie beim Thema Compliance dieAufmerksamkeit aufrecht, zumal die Moral­debatte manchenauch nerven wird?Wir führen die De­batte nicht mora­lisch, sondern sehreng orientiert an derAlltagssituation derMitarbeiter. Abernatürlich sind wirimmer wieder gefor­dert, das Thema amLaufen zu halten.Wir machen das mitFachtagungen, aberauch mit einem Computerspiel, der „Mons­ter Mission“ zum Thema Integrität, das wirin diesem Jahr aufgelegt haben. Wirtschaft­licher Erfolg und Integrität sind beide wich­tig, und um beides geht es in dem Spiel. Mitdem spielerischen Ansatz betreten wir inDeutschland Neuland. Sicher gibt es auch kritische Stimmen, die fragen, ob das demThema angemessen ist. Aber auch diese De­batte ist wichtig.

Für Mitarbeiter gilt bei Einladungen einRichtwert von 100 Euro, bei Geschenken sindes 50 Euro. Übertreiben Sie da nicht?Wohlgemerkt, es ist ein Richtwert, keineObergrenze, so wie wir sie früher hatten.Eigentlich brauchen wir so etwas gar nicht,denn es kommt ja darauf an zu sagen, wel­che Einladungen oder Geschenke gemie­den werden sollten, weil der Anscheineiner Einflussnahme entstehen könnte.Das kann schon bei zehn Euro der Fall seinund bei 110 Euro noch nicht. Eine Orientie­rungslinie ist hilfreich. Diese Linie kannüberschritten werden, aber es ist dannsinnvoll, das Geschenk oder die Einladungschriftlich zu dokumentieren.

Das Gespräch führte Michael Heller.

„Von Prämien halteich überhaupt nichts“ Interview Christine Hohmann­Dennhardt, im Daimler­Vorstand fürIntegrität und Recht zuständig, mag Hinweise auf Vergehen nicht belohnen. Anonyme Tipps hält sie für ein sinnvolles Instrument.

Daimler­Vorstandsfrau Hohmann­Dennhardt plädiert für eine Fehlerkultur. Fotos: Lg/Leif Piechowski, Illustration: Daimler

Daimler hat das Regelwerk drastisch beschnitten

In den USA haben im Jahr 2004 das Jus­tizministerium und die BörsenaufsichtSEC Ermittlungen gegen Daimler aufge­

nommen. Grund dafür waren Korruptions­vorwürfe, die ein Insider erhoben hatte. Zwei Jahre später wurde der frühere FBI­Direktor Louis Freeh als Anti­Korrup­tionsberater nach Stuttgart geschickt, umDaimler beim Aufbau einer Compliance­Organisation zu unterstützen. 2010 konnteDaimler die Sache per Vergleich aus der Welt schaffen. Der Konzern zahlte 185 Mil­lionen Dollar und akzeptierte Freeh für diefolgenden drei Jahre als Aufpasser. Wenigschmeichelhaft heißt es in den Unterlagender US­Justiz, dass jahrzehntelang in22 Ländern Staatsbedienstete geschmiertwurden, um an Aufträge zu kommen.

Ziel der 2006 gebildeten Compliance­Organisation ist es, den Beschäftigtendabei zu helfen, sich rechtlich einwandfreiund integer zu verhalten und sich um Ver­

stöße zu kümmern. Der Bereich ist Teil desVorstandsressorts Integrität und Recht,das seit 2011 besteht und von der früheren Bundesverfassungsrichterin Christine Hohmann­Dennhardt (64) geleitet wird.Insgesamt zählt die Organisation mit ChiefCompliance Officer Wolfgang Herb an derSpitze 178 Mitarbeiter; davon sind 79 lokaleManager, die weltweit vor Ort für die Um­setzung des Compliance­Programms sor­gen. Der Schwerpunkt liegt auf der Präven­tion von Korruption, Untreue, Unterschla­gung und Geldwäsche. Beim Business Practices Office (BPO) können Beschäftig­te ebenso wie Außenstehende Hinweise aufGesetzesverstöße oder interne Regeln mel­den. Das BPO hat etwa zehn Mitarbeiter.

Christine Hohmann­Dennhardt legtWert darauf, dass eine Überregulierungvermieden wird, so dass Mitarbeiter nichtdas Vertrauen in die eigene Organisationund in ihr eigenes Entscheidungsvermögen

verlieren. Das Ergebnis der Bemühungen: in den letzten drei Jahren wurde das Regel­werk von 1800 internen Vorschriften auf weniger als 700 reduziert.

Daimler begreift das Thema Complianceals Daueraufgabe und baut sein bereitsumfangreiches Schulungsprogramm stetigaus. So wurden in den Jahren 2011 bis 2013etwa 184 000 Beschäftigte in internet­basierten Trainings und Präsenzveranstal­tungen geschult. Die Beschäftigten in denWerken hat der Konzern versucht durcheinen sogenannten Integrity Truck zu er­reichen. Dieser Lastwagen fuhr, besetzt mitCompliance­Spezialisten, 18 Standorte inDeutschland an und suchte das Gesprächmit den Mitarbeitern in der Produktion.

Mit der „Monster Mission“ wird diePalette der Maßnahmen um ein Online­Spiel ergänzt. Die erste Runde ging MitteOktober zu Ende. In einer Umfrage haben72 Prozent der Teilnehmer den spieleri­schen Ansatz als grundsätzlich geeignet fürdie Auseinandersetzung mit dem ThemaCompliance bezeichnet. Zum Spiel selbst gab es auch einige kritische Stimmen. Jetztläuft die zweite Runde. mih

Korruptionsbekämpfung Um Überregulierung zu vermeiden, wurdedie Zahl der internen Vorschriften von 1800 auf etwa 700 reduziert.

CHRISTINE HOHMANN­DENNHARDTKarriere Die frühere Bundesverfassungsrich­terin Christine Hohmann­Dennhardt hat die Wirtschaft erst spät entdeckt. 2011 zog die64­Jährige in den Daimler­Vorstand ein. Die Juristin war vor ihrer Zeit in Karlsruhe (1999 bis 2011) Ministerin in der Landesregierung Hes­sens, zunächst verantwortlich für Justiz, später für Wissenschaft und Kunst. Auch die Kommu­nalpolitik kennt die gebürtige Leipzigerin aus ihrer Zeit als Sozialdezernentin in Frankfurt. red

„Wenn sich ein Verdacht nicht bestätigen sollte, bieten wir rehabilitierende Schritte an.“Christine Hohmann­Dennhardt über zu Unrecht angeschwärzte Mitarbeiter

Via Online­Spiel wird bei DaimlerKorruptionsfällen nachgespürt.

18 Wirtschaft in Baden-Württemberg Nr. 3 | November 2014Stuttgarter Zeitung | Stuttgarter Nachrichten

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und Züblin auf der gar nichtso langen Teilnehmerliste. Bei EMB geht es nicht nur umdie Einhaltung von Recht undOrdnung. Es geht vielmehr um ein wertorientiertes Ma­nagement, die Unternehmen wollen als „vertrauenswürdi­ger und fairer Partner auftre­ten“, ist in der EMB­Broschü­re nachzulesen. Alle drei Jah­re wird das Audit überprüft und neu ausgestellt. Rundeinen Tag sind dafür dieEMB­Verantwortlichen imUnternehmen und reden mitGeschäftsführer und Mit­arbeitern.

Schäfer, der sich selbstschon gegen unredliche An­gebote gewehrt hat, steht hin­ter dem Ansatz. Wie ernst er es meint, werde im Bewer­bungsgespräch deutlich, er­läutert er. „Ich spreche mitBewerbern über kritischeThemen, die der Alltag so mit sich bringt.“ Konkret disku­tiert er etwa Fallbeispiele, wenn etwa einKunde um einen Preisnachlass feilscht. „Entschieden verhandeln ist in Ordnung, Lügen dürfen nicht sein“, sagt Schäfer im Gespräch mit der Stuttgarter Zeitung un­missverständlich. Auch ein bisschen Schummeln geht nicht. „Mein Feedback inGesprächen: unser Wertesystem gibt uns Klarheit. Wir wissen, was geht und wasnicht geht. Wir rutschen nicht so schnell in die Grauzone“, so Schäfer.

Transparenz und Ehrlichkeit sollenauch den Beschäftigten Halt geben. Bei Ver­trägen gilt das Vier­Augen­Prinzip, immer zwei Personen müssen unterschreiben. Projekte sind auch für Kollegen einsehbar.Was freilich nicht bedeutet, dass alles im­mer problemlos über die Bühne geht. Es gibt auch mal Ärger bei einem Projekt. „Wirwollen nicht immer nur lieb und nett er­

Selbst ein bisschen Schummeln geht nicht

Das Image der Branche ist tra­ditionell schlecht. Wer überKorruption, Bestechlichkeitund Skandale redet, landetschnell beim Bau. Jeder zeigt

auf die Branche, wenn es um Kostenexplo­sion, Schwarzarbeit, Sozialversicherungs­betrug, Intransparenz oder Pfusch geht. Matthias Schäfer kennt all diese Probleme.Er weiß vom Misstrauen, dass zwischenBauherren, Bauunternehmen und Liefe­ranten herrscht – und wie häufig Anwälteund Gerichte die Wogen glätten müssen. Schäfer ist der Geschäftsführer von Mörk inLeonberg. Und er macht es anders.

Mörk ist ein mittelständisches Bau­unternehmen, das mit 90 Beschäftigten50 Millionen Euro umsetzt. Das Familien­unternehmen, gegründet 1902, beschäftigtkeine gewerblichen Mitarbeiter, sonderntritt als Generalübernehmer auf. Gemein­sam mit Partnern erstellt Mörk Reihenhäu­ser sowie größere Wohneinheiten mit 20 bis150 Wohneinheiten, es baut für Industrie,Gewerbe und kirchliche Einrichtungen.

Auf der Homepage stößt man unter derRubrik „Werte“ schnell auf Stichworte wieAufrichtigkeit, Zuverlässigkeit und Kompe­tenz. Schäfer will keinen Vertragspartnerübervorteilen. Fairness ist ihm wichtig.

P r e i sa b s p r a c h e noder Ähnliches sei­en für ihn ein No­Go, sagt er. Die eige­ne Fehlkalkulationüber Tricksereienwettzumachen, gehtnicht. Das sindmehr als leere Wor­te. Mörk besitzt dasEMB­Zertifikat. DasKürzel steht für„Ethikmanagementder Bauwirtschaft“;

der Verein wurde 1996 von der bayerischen Bauwirtschaft gegründet. Die Landesgren­zen hat er schon lange überschritten. NebenMörk stehen bekannte Namen wie Bilfinger

scheinen“, so Schäfer. Manchmal komme esauch zum Streit. Schließlich gehe es darum:„Was ist vereinbart, was steht im Vertrag?Das steht uns dann auch zu.“ Schäfer: „Manmuss für seine Werte auch eintreten.“ Undmanchmal landet auch Mörk vor Gericht.

Und auch bei den Mitarbeitern sei manletztlich nie dagegen gefeit, dass einermal irgendwelchen Verlockungen erliege, räumt Schäfer ein. Doch die Gefahr, ent­deckt zu werden, ist groß. Es gebe zwei Ver­trauenspersonen im Unternehmen, die An­sprechpartner für mögliche Regelverstöße sind. Ein Mitarbeiter, der Verdacht ge­schöpft hat, kann sich an sie wenden. Eswerde offen geredet, Diskretion sei abergewährleistet, versichert Schäfer.

Anschließend kann die Vertrauensper­son die angesprochenen Punkte verifizie­ren. „Wir haben auch schon diskutiert, ob

wir eine Meinungsbox aufstellen sollen, da­mit die Mitarbeiter anonym bleiben“, erläu­tert der Mörk­Chef. „Aber was bringt unsdas?“, fragt er. Im Zweifel bleibe dann vielesunklar. Man könne zum Beispiel nichtnachfragen, ob es einen Konflikt zwischenden Betroffenen gibt, wie häufig der Regel­verstoß vorkam oder in welchem Zusam­menhang er entdeckt wurde. „Unserer An­sicht nach ist Anonymität kein geeignetesMittel, um Transparenz und ein vertrauens­volles Miteinander zu schaffen“, so Schäfer.

Und der Kunde? Honoriert er die Bemü­hungen von Mörk um Ehrlichkeit und Fair­ness, oder entscheidet er doch wieder nach dem Preis? „Wir können keine höherenPreise durchsetzen“, so Schäfer. „Aberwenn zwei Angebote vergleichbar sind,bekommen wir auch aufgrund unsererArbeitsweise oft den Zuschlag.“

Compliance Das Bauunternehmen Mörk in Leonberg kennt das schlechte Image der Branche – und macht es besser. Der Mittelständler setzt auf Transparenz und Ehrlichkeit und lässt sich nach dem EMB­Wertemanagement Bau zertifizieren. Von Inge Nowak

Eines von vielen Mörk­Projekten: das Gemeindezentrum der evangelisch­methodistischen Kirche in Mainz­Kostheim Foto: Mörk

BAUEN FÜR STAMMKUNDEN Geschichte Mörk ist ein Familienunternehmen. Gegründet wurde es 1902 von Georg Mörk, bis heute ist der Firmensitz in Leonberg. Mörk bezeichnet sich selbst als Spezialist für schlüsselfertiges Bauen. Rund 60 Prozent der Kunden sind Stammkunden.

Aktivitäten Das Unternehmen erstellt größere Wohneinheiten, Gewerbeimmobilien sowie Kirchen im süddeutschen Raum. ino

Arbeiten wie ein Detektiv

Wo Dragana Kovacevic hinkommt,sind Menschen und ihre Arbeits­plätze gefährdet – zum Beispiel

durch Spionage, Geheimnisverrat oder Kor­ruption. Die 28­Jährige ist „Senior Consul­tant Forensic Services“ oder einfacher ge­sagt: Expertin für wirtschaftskriminelle Handlungen bei der Wirtschaftsprüfungs­und Beratungsgesellschaft PwC. In ihremBeruf dreht sich alles um das Thema Com­

pliance – also um regelkonformes Verhal­ten in Betrieben und den Umgang mitRegelverstößen. „Wir werden leidermeistens erst gerufen, wenn es schonbrennt“, sagt Kovacevic. Um im Bild zubleiben: Sie und ihre Kollegen müs­sen erst einmal Feuer löschen und

den Brandstifter finden. Dann können sie neue Sicherheitsmaßnahmen erarbeitenund Feuermelder aufhängen.

„Analysieren, Regeln entwickeln undumsetzen, überwachen und optimieren“, sobeschreibt Rolf Stober die Arbeit einesCompliance­Managers. Stober ist Leiterdes Forschungsinstituts für Compliance, Si­cherheitswirtschaft und Unternehmenssi­cherheit an der Deutschen Universität für Weiterbildung in Berlin (DUW). Er hateinen Masterstudiengang für Complianceentwickelt. Besonders wichtig ist ihm, dassangehende Sicherheitsexperten internatio­nal, interdisziplinär und interkulturell agie­ren lernen. Doch seit die DUW von der pri­vaten Steinbeis­Hochschule übernommen wurde, werden keine neuen Studentenmehr in diesen Studiengang aufgenommen.„Die Bewerberzahlen waren schlichtweg zugering“, sagt Birgit Galley, Geschäftsführe­rin der DUW und Direktorin der Steinbeis­

Hochschule. Alternativ könnten Studieren­de nun einen Master of Business Administ­ration mit dem Schwerpunkt Complianceund Wirtschaftskriminalität wählen.

Einen klassischen Weg in den Beruf nebenden Angeboten privater Hochschulen gibt esnicht. Dragana Kovacevic hat Betriebswirt­schaft, Recht und Rechnungswesen studiert. Als sie ihr Studium abgeschlossen hatte,wusste sie noch nicht einmal, dass es diesenJob überhaupt gibt. Geschadet habe dasnicht, sagt sie. Das meiste lerne man in derPraxis und von den Kollegen im Team. Denn die Fälle sind für einen Menschen alleinehäufig viel zu komplex. Quereinsteiger wieUnternehmer, Staatsanwälte und Polizistenbringen wertvolles Vorwissen mit – und Le­benserfahrung. Geschäftsführer, die ihreUnternehmen seit 30 Jahre kennen, sind häufig misstrauisch, ob Uni­Absolventen ihreexistenzgefährdenden Probleme lösen kön­nen. „Das ist eine Herausforderung, da muss man sich natürlich erst mal beweisen und einen Namen machen“, sagt die Beraterin.

Dass das Interesse an ihrem Beruf relativgering ist, kann sie nicht verstehen. Einen spannenderen Job könne sie sich nicht vor­

stellen. „Wir arbeiten wie Detektive“, sagtKovacevic . Hat ein Geschäftsführer denVerdacht, dass in seinem Unternehmen je­mand korrupt ist, meldet er sich bei PwC. Die Experten werten den Schriftverkehr aus, suchen nach Verwandten und Freun­den in dem Unternehmen, dem möglicher­weise Aufträge zugeschustert wurden, füh­ren Interviews und recherchieren, ob derVerdacht schlüssig ist. Manchmal wird derBetroffene mit den Mutmaßungen kon­frontiert, in anderen Fällen nicht. Die Ex­perten müssen dann verdeckt arbeiten.

Auch angesichts der Karrierechancenkönnte das Interesse größer sein. „Es wer­den sehr viele Fachleute gesucht“, sagt Rolf Stober. Compliance­Manager arbeiten für alle Branchen. Doch im Mittelstand und inder öffentlichen Verwaltung sei das Themanoch nicht richtig angekommen, sagt Sto­ber. Die meisten Compliance­Expertenkommen in Großunternehmen oder bei Be­ratungsagenturen unter. Dort führt die Kar­riereleiter vom Junior­Berater über den Se­nior­Berater zum Partner. Wie andere Be­ratertätigkeiten auch wird Compliance­Management gut bis sehr gut bezahlt.

Karriere Bei der Ausbildung zum Experten für Compliance und Wirtschaftskriminalität führen viele Wege zum Ziel. Von Larissa Holzki

Dragana Kovacevic kann sich keinen spannenderenJob vorstellen. Foto: PwC

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19Wirtschaft in Baden-WürttembergNr. 3 | November 2014Stuttgarter Zeitung | Stuttgarter Nachrichten

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Erfolgreicher Neustart vom Sofa aus

Als sie sich zum ersten Mal auf dasGründerparkett wagten, hat auch inClemens Walter und Sarah Haide

noch etwas zu viel deutsche Gründlichkeitgesteckt. Dabei hatten die beiden, die imJahr 2012 eine sichere Anstellung beieinem Personaldienstleister gegen eine Unternehmer­karriere tauschten, bei ihremersten Projekt namens Buy orBurn eigentlich alles richtiggemacht.

Mit Hilfe einer App solltenmitteilungsfreudige Mode­käufer schon im Laden Fotos von der Lieblingshose oderdem Lieblingshemd machenkönnen und mit ihren Online­Freunden da­rüber debattieren, ob das Kleidungsstückzu ihnen passt oder nicht. Geboren wurde die Idee auf einem Gründerforum in Aachen. Bei solchen in Deutschland inzwi­schen gar nicht mehr so seltenen Events können spontan zusammengewürfelteTeams in einigen schlaflosen Nächten aneiner zündenden Idee basteln. „Der erste Funke sprang über – und schon am Wo­chenende hatten wir ein Team gefunden,mit dem wir das angehen wollten“, erzähltWalter. Binnen zwei Monaten sollte, rein technisch gesehen, die App stehen. Schonfrüh kam ein Auftritt im Magazin „Wirt­schaftswoche“. Dann gewann das Gründer­team einen Förderpreis der MFG Innova­tionsagentur des Landes Baden­Württem­berg unter dem Motto „BW goes mobile“.Frühzeitig suchten die Gründer nach potenziellen Investoren und nach koope­rierenden Läden – schließlich gilt in Kauf­häusern üblicherweise für Produkte einFotografierverbot.

„Am Anfang wollte ich alles immer gutvorbereitet haben“, sagt Walters Partnerin und Mitgründerin Sarah Haide im Rück­blick. „Wir haben bei Buy or Burn immer sehr stark versucht, in die Zukunft zu bli­cken: Was machen wir, wenn das oder das passiert?“ Erst die Läden als Kunden undKooperationspartner an Bord holen, danndie App verfügbar machen, das war der Ge­danke. „Es war zu sehr getüftelt“, sagt Wal­ter. „Wir hätten die App einfach mal in einerabgespeckten Version lancieren sollen. AmEnde wären es dann die Nutzer gewesen,

die sich entschieden hätten, die App einzu­setzen oder nicht. Aber das hätte konkretgezeigt, welches Interesse besteht.“ Als erund seine Mitgründerin begriffen, dass Zeitund Geld zur Neige gingen, war es zu spät.Auch eine Crowdfunding­Kampagne führte

nicht weiter. „Uns sind dannirgendwann die Techniker ab­handengekommen – und dannkonnten wir auch nicht mehrauf eine abgespeckte Versionumschwenken.“

Und dennoch: ClemensWalter und Sarah Haide sindmit den vergangenen drei Jah­ren seit ihrer Entscheidungfür das Gründerdasein ganz

zufrieden. Das liegt nicht nur daran, dass sieBuy or Burn nicht als endgültig gescheitertansehen, sondern die Idee nur auf Eis gelegthaben. Vor allem ist eine andere, erst in die­sem Jahr gestartete Gründung namens MyCouchbox sehr erfolgreich. Und ein zweitesProjekt – eine Online­Plattform für Grün­der und Investoren – ist in der Testphase. My Couchbox, ein Online­Versand für

Überraschungsboxen mit Süßigkeiten undSnacks, der im Januar buchstäblich von ihrer Wohnzimmercouch aus startete, hatsich besser und schneller entwickelt als er­hofft. „Wir waren am allerersten Tag bereitsnach 80 Minuten ausverkauft“, erzähltWalter.

Inzwischen verlassen monatlich mehre­re Tausend der nicht nur einzeln, sondernauch im Monatsabonnement für zehn Euroerhältlichen Boxen die frisch bezogenen Büro­ und Lagerräume im Stuttgarter Wes­ten. Der Clou: My Couchbox bekommt dieWare von den Herstellern gratis, weil diesedie Boxen als willkommenen Testlauf fürneue Produkte sehen. My Couchbox er­muntert mit Hilfe von Prämienpunkten dieNutzer zu Qualitätsurteilen und wertet die­se Erkenntnisse für die Hersteller aus – wasfür die Produzenten unter dem Strich einepreiswerte Marktstudie ist.

Einfach loslegen – das ist die Lektion fürHaide und Walter: „Bei My Couchbox ha­ben wir, noch bevor wir eine Visitenkarteund eine Website hatten, bereits Snack­Produzenten angerufen“, erzählt Haide, dieals Geschäftsführerin fungiert. „Wir muss­ten nur minimal in Technik investieren. EinFreund hat uns das Grundgerüst einerWebsite und eines Zahlungssystems ge­baut“, sagt sie.

Der große Vorteil eines solchen Ge­schäftsmodells sei, dass es sich von Anfangan finanziell selbst getragen habe, sagt

Walter. „Dasist eben dasBesondere amE­Commerce: Der Kunde kannsofort in deinGeschäft kommen, ohne dass du eine Filialebrauchst. Der Charme ist, dass du schneller zu deinem ersten Euro Umsatz kommst.“

Ziel ist es, im kommenden Jahr beimVersand der Boxen in den fünfstelligen Be­reich vorzustoßen und im Ausland zu ex­pandieren, auch wenn es inzwischen ersteNachahmer gibt, die auf den Zug aufzu­springen versuchen. „Du musst schnellersein als die anderen, das ist hart. Man darfnie denken: Wir sind die Besten“, sagt Wal­ter. E­Commerce sei keineswegs weniger komplex als eine eher auf die Software­Ent­wicklung gestützte App, wie Buy or Burneine war. „Es sind Tausende Kunden, die in­dividuell ihre Artikel geliefert bekommenwollen, es gibt eine komplexe Logistik.“

Ohne die manchmal harten Lektionenaus der ersten Gründung wäre er nie so weitgekommen, meint Walter. „Es ist ein Reife­prozess: technisch, kaufmännisch, persön­lich. Heute bin ich gelassener, strukturier­ter, kann anderen im Team besser Mut ma­chen und besser reflektieren, was ich tue.“Von Frust über den ersten Anlauf keine Spur: „Wir haben von Grund auf das Grün­den gelernt. Das kommt uns jetzt zugute“,sagt Haide. „Als gescheitert hätten wir dieSache nur angesehen, wenn wir zurück in unsere Jobs gegangen wären – und frust­riert gewesen wären.“

Kein Wunder, dass schon eine weitereGründung auf der Agenda steht: Eine Web­site, in der sich auch alle Erfahrungen des eigenen Gründerdaseins bündeln. Startup­money.de soll sie heißen. „Wir wollen fürInvestoren den Zugang zu gutenIdeen optimieren“, sagt Walter. Auf einerInternetplattform sollen sie nach einer fe­sten, übersichtlichen Struktur zueinander­finden. Die Gründer in spe präsentierensich in einem kurzen Video – und interes­sierte Geldgeber können entscheiden, ob sie weitere Informationen herunterladen wollen. Das genaue Geschäftsmodell willWalter noch nicht verraten. Doch in denVereinigten Staaten ist eine solche Platt­form namens Gust schon sehr erfolgreich und vermittelt inzwischen Millionenin­vestments oder börsenfähige Bewertungen von Start­ups. „Die großen Investoren wie Rocket Internet oder Holtzbrinck Ventureskommen leicht an Ideen heran“, sagt Wal­ter, „aber viele Mittelständler wissen bishernicht, wie sie einen Zugang zu diesem Markt finden können.“

Gründerlektionen I Bei ihrem ersten Projekt Buy or Burn waren Sarah Haide und Clemens Walter noch perfektionistisch. Bei ihremzweiten, erfolgreichen Start­up My Couchbox legten sie einfach los – und wurden für ihren ungebrochenen Gründerelan belohnt.

Infiziert vom Start­up­Virus

Jahrelange Forschungen, eine genialeIdee, die auf viel Beifall stieß – die Ge­schichte von Enpatech hat vielverspre­

chend begonnen. Es gab Fördermittel undganz konkrete Interessenten. Doch amEnde lernte das aus der Universität Hohen­heim hervorgegangene Start­up die hohen Hürden des Geschäfts mitUnternehmen kennen, in denen oft Hierarchien undschwierige Entscheidungs­strukturen innovativen Ideenvon außen im Weg stehen.

Martin Allmendiger undseine Mitstreiter Malte undOlaf Horstmann wollten nach neuesten Erkenntnissen derTransaktionsforschung Ver­handlungsprozesse zwischen Einkäufernund Verkäufern optimieren. Klare grafi­sche Darstellungen sollten einen schnellenÜberblick über das bestmögliche Verhand­lungsergebnis erlauben. „Unsere Projekte sind ins Laufen gekommen, Unternehmenhaben sie getestet“, erzählt Allmendinger. „Die Fachabteilungen waren sehr an derSache interessiert. Danach ging es an denKonzerneinkauf weiter – und dann hieß es:Wir arbeiten schon konzernweit an einer anderen Lösung.“

Frustration ist aus seiner Stimme nichtherauszuhören. Denn vom Gründen sind erund sein Team, das bis heute zusammen­hält, weiterhin überzeugt. Inzwischenbieten sie Enpatech zumindest für einenNischenmarkt an. Sie schulen Trainer, diedann ihrerseits Kurse für bessere Verhand­lungsstrategien anbieten, oder sie gehen anUniversitäten, um mit Hilfe ihrer Softwaregrundsätzliche Erkenntnisse über Ver­handlungsstrategien zu vermitteln. Das sind zugegebenermaßen kleinere Bröt­chen, als sie sich im vergangenen Jahr vor­gestellt hatten. „Wir können da nur einenTagessatz abrechnen“, sagt Allmendinger. Für potenzielle Investoren ist das offenbarein Geschäftsmodell mit zu geringemWachstumspotenzial.

Aber der wichtigste Ertrag aus heutigerSicht ist die Tatsache, dass da drei Universi­tätsabsolventen das Gründergen in sich selbst entdeckt haben. Während zwei Mit­glieder des Enpatech­Teams inzwischenihren Lebensunterhalt im Beratungs­

geschäft verdienen und Allmendinger zur­zeit am Lehrstuhl für Unter­nehmensgründungen und Unternehmer­tum der Universität Hohenheimweiterbeschäftigt ist, bleibt ein Drittel derZeit für weitere Gründerideen reserviert.„Wir werden wohl noch bis 70 arbeiten –

warum soll man nicht einmaletwas ausprobieren?“, sagtAllmendinger.

In Betrieb ist bereits einOnline­Shop namens Vana fürden Verkauf von Bambus­brillen. Die Idee entstand auseinem kreativen Zufall, der oftder Ausgangspunkt für zün­dende Gründungsideen ist.Auf einer China­Reise war

einer aus dem Team über das Produkt ge­stolpert. „2013 haben wir 150 Prozent ge­arbeitet, Nun haben wir beschlossen, unse­re Energie dorthin zu stecken, wo wir schneller etwas erreichen“, sagt Allmen­dinger. „Und da haben wir gemerkt, dass wir in wenigen Wochen mehr Umsatz ma­chen als mit dem anderen Produkt im gan­

zen Jahr.“ Die aus China importierten Bril­len seien ein nachhaltiges, schön verpack­tes Produkt – also die perfekte Nische füreine vorerst eher kleine Online­Plattform.

Während die Entscheidungs­ und Inno­vationsprozesse im Geschäft mit Unter­nehmen häufig schwerfällig seien, sei dersogenannte E­Commerce bei den poten­ziellen Kunden inzwischen fest verankert.Angesichts eines Anteils der Online­Um­sätze im deutschen Handel, der auch heutenoch kaum die Schwelle vonzehn Prozent überschrittenhabe, sei das Potenzial fürGründer weiter enorm – wennsie für sich die richtige Lückeentdeckten: „Wer schnell vo­rankommen will, geht in die­sen Bereich“, sagt Allmendin­ger. Die Marge bei dem On­line­Shop sei in Ordnung. Leben könne man aber vondieser einen Website nicht.„Wenn man aber einmal mit dem Gründenangefangen hat, kann man nicht mehr da­von lassen.“

Der erste Anlauf mit Enpatech habeentscheidende Lernerfahrungen ge­bracht. „Ein wichtiger Rat wäre, viel frü­her auf Multiplikatoren zuzugehen, also auf Partner, die den Markt genau kennen –und eine Einschätzung einzuholen“, sagtAllmendinger. „Das haben wir zu spätgemacht, weil wir schlicht nicht wussten,

was denn genau der Markt für unser Pro­dukt war.“ Während das Team ursprüng­lich geglaubt hatte, dass man Lizenzen fürdie Software an Unternehmen verkaufenkönne, erwies sich im Laufe der Zeit, dassdie Verhandlungssoftware als Schulungs­produkt viel populärer war. Doch dieseErkenntnis kam zu spät.

Aus eigener Kraft konnte man diesenMarkt nicht mehr erschließen – und diebisherigen Fördermittel aus dem staat­

lichen Exist­Programm fürGründungen von Universi­tätsabsolventen liefen Ende2013 aus. „Wir hätten für denVertrieb schon viel frühereinen strategischen Partnergebraucht“, sagt Allmendin­ger. „Als wir uns den Aufwandangeschaut haben, den maninvestieren muss, damit nurein Kunde herauskommt, ha­ben wir gesagt: Das funktio­

niert nicht. Die Vertriebskosten fressenuns auf. “

Doch das Wort Scheitern kommt auchbei Enpatech keinem über die Lippen:„Wir wussten, dass wir nicht der zweiteMark Zuckerberg werden. Es ist wichtig,das eigene Vorhaben realistisch einzu­schätzen,“ sagt Allmendinger. Letztlich seidie entscheidende Hürde die bei vielenFirmen tief sitzende Scheu vor dem Neuengewesen, die eine lange, teure Anlaufphasenötig machte. „In Deutschland fehltmanchmal der offene, experimentierfreu­dige Umgang mit Ideen wie der unseren.Ideen, an denen grundsätzlich schon Inte­resse besteht, dann in der Praxis auchanzuwenden, das ist hierzulande nicht leicht“, sagt Allmendinger.

Aber für ihn lautet das Fazit: noch mehrGründergeist, nicht weniger. „Wir denken jetzt anders und gehen an die Idee einerGründung ganz anders heran. Man sollte beim Gründen ruhig erst einmal streuen und schauen, was funktioniert“, sagt er. Esgehe erst einmal nicht darum, alle Auf­gaben säuberlich abzuhaken. „Es ist viel wichtiger, frühzeitig weitere Leute ins Bootzu holen. Es heißt, mit möglichst wenigAufwand möglichst viel zu erreichen.“

Sein Rat an potenzielle Gründer: ersteinmal im Job bleiben, schauen, was funk­tioniert – und dann loslegen. Aber dann lie­ber einmal ins kalte Wasser springen, alsunglücklich in einer Festanstellung versau­ern: „In einer solchen Situation steckt soviel Unzufriedenheit, und die Kreativitätgeht verloren. Es ist immer wieder sehrschade zu sehen, wie viel Potenzial da aufder Strecke bleibt.“

Gründerlektionen II Das VerhandlungswerkzeugEnpatech stieß bei potenziellen Kunden auf Interesse, aber Käufe

blieben aus. Doch das Team hielt zusammen und nahm neue Projekte ins Visier – wie einen Online­Shop für Bambusbrillen.

Während Sarah Haide das Geschäft mit den Snack­Überraschungsboxen von My Couchboxmanagt, bastelt Clemens Walter schon an einer weiteren Gründung. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Martin Allmendingers Rat für Gründungswillige: so früh wie möglich auf Partner zugehen,die den Markt genau kennen. Foto: Martin Stollberg

Gründer – und was

aus ihnen wurde

Neustart Im vergangenen Jahr hat die Stuttgarter Zeitung junge Gründer aus

der Region vorgestellt. Zwei Projekte haben die Hoffnungen nicht erfüllt.

Dennoch blicken die Beteiligten optimistisch nach vorn. Heute sind sie mit

anderen Gründungen erfolgreich – und haben viel gelernt. Von Andreas Geldner

„Wir haben mit unserem ersten Projekt von Grund auf das Gründen gelernt.“ Sarah Haide,My Couchbox

„Wenn man einmal mit dem Gründen angefangen hat, kann man nicht mehr davon lassen.“Martin Allmendingerüber seine Motivation

„Wir haben beschlossen, unsere Energie dorthin zu stecken, wo wir schneller etwas erreichen.“Martin Allmendinger über den Bambusbrillen­Webshop

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Die Stuttgarter Zeitung ist

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der Baden-Württembergischen

Wertpapierbörse.

Impressum

SERIENFAHRPLAN

Gründergeist Die Zahl der Jungunternehmer

im Land geht seit Jahren zurück.27.7.

Enpatech Verhandlungskniffe, die aus dem

Universitätslabor stammen30.7.

Kaiserqualität Netzwerken für Naturkosmetik-

unternehmen

2.8.

Leaserad Dienstfahrräder für Arbeitnehmer,

finanziert von der Crowd6.8.

Veganz Raus aus dem Weltkonzern, rein

in die Verwirklichung eigener Ideale9.8.

Buy or Burn Shopping-Ratschläge aus dem

sozialen Netzwerk

Heute

Immprove Der Schönheitssalon für schwer

verkäufliche Immobilien

Zukunftsfonds In Heilbronn finanzieren

Unternehmerfamilien Existenzgründungen.

Regiohelden Was ein Stuttgarter aus den

Fehlern der ersten Gründung gelernt hat.

Polymedics Hilfe bei Verbrennungen –

erst in der eigenen Firma ein Erfolg

Deutsch-Dach Eine Gründerin dringt

in die Männerdomäne Dachdeckerei vor.

Notion Systems Präzisionsdrucker für

die Hightechindustrie

Bürgerbahnhof Die Leutkircher sanieren

als Genossenschaft ihren Bahnhof.

Schlussrätsel Eine geheimnisvolle Firma –

der Erfinder, der zum Gründer wurde

Gründen als Kick

fürs Lebensgefühl

Clemens Walter erinnert sich

noch gut an den Morgen, als er

mit dem Angestelltendasein

innerlich abgeschlossen hat.

Bei dem Automobilzulieferer

in Reutlingen, zu dem er einige Monate zu-

vor von seinem ersten Job bei einem Perso-

naldienstleister gewechselt war, wartete er

eines Morgens vor dem Werkstor. „Da sind

wir alle vom Parkplatz durchs Drehkreuz.

Und ich stand mittendrin in dieser Reihe

von Leuten, die mechanisch und marionet-

tenhaft ihre Mitarbeiterkarte zückten“, er-

zählt Walter. „Da habe ich mir gesagt: Cle-

mens, du gehörst hier nicht hin.“

Satt und abgesichert zu sein, das schien

für Walter keine Perspektive – obwohl er zu

schätzen wusste, dass er im Vergleich zu

seiner ersten Arbeitsstelle nicht unter

ständigem Druck stand und gut bezahlt

wurde. „Ich hatte meine 35-Stunden-Wo-

che, ich hatte Gleitzeit, einen Betriebsarzt,

Kantine, Superkollegen, Urlaubsgeld. Das

war die Zeit in meinem Leben,

wo meine Oma gesagt hat:

Junge, du hast alles richtig ge-

macht“, sagt er. „Alle um mich

herum waren schon Jahre in

der Firma – aber genau das

war mein Problem.“

Für den 27-Jährigen war es

nicht ein Geistesblitz, nicht

eine konkrete Erfindung, die

ihn zum Gründer gemacht

hat, sondern ein Lebensge-

fühl: Lebenszeit ist kostbar,

das war die Lektion, die sich

ihm in seiner Zeit als Zivildienstleistender

in der Sterbebegleitung eingeprägt hat. Der

Impuls zur Gründung war da – nun suchte

der studierte Wirtschafts- und Kommuni-

kationswissenschaftler nach dem richtigen

Konzept. Walter kannte als Ex-Unterneh-

mensberater das ökonomische Einmaleins.

Für eine Gründung kam in erster Linie die

IT-Branche infrage: Hier zählen die Idee

und das Gespür für Trends. Die Investitio-

nen sind überschaubar.

Es sollten noch Monate vergehen, bis

die passende Idee gefunden war. Einmal

bereits stand Walter kurz vor dem Weg zum

Notar, um einen Versandhandel zu grün-

den, der im Abonnement preisgünstige Ra-

sierklingen verschicken sollte – eine Ge-

schäftsidee, die in den USA sehr gut funk-

tioniert. Doch ein Freund, der mitmachen

und bei der Anschubfinanzierung helfen

wollte, bekam kalte Füße: „Die meisten

unterliegen zunächst einer romantischen

Vorstellung von einem Start-up. Aber was

das konkret bedeutet, wird unterschätzt.“

Doch Walter ließ sich nicht entmutigen.

Es war Ende 2012, als er in einem Laden in

der Stuttgarter Königstraße das Aha-Erleb-

nis hatte. Er stand in der Kleiderkabine und

probierte lustlos ein paar Jeans aus, die

partout nicht richtig sitzen wollen. Wohl

oder übel zog er sich die am besten passen-

de Hose über – machte ein Foto und schick-

te eine E-Mail seiner Freundin. „Das Nein

kam zum Glück prompt“, sagt Walter – dem

so ein Fehlkauf erspart blieb. Noch im La-

den begann er zu grübeln, ob das nicht eine

Situation war, vor der jeden Tag vor allem

viele Jugendliche stehen. Passt mir das

neue Outfit? Was halten meine Freunde da-

von? Auf seiner Facebook-Sei-

te will man nicht jede Kauf-

entscheidung herausposau-

nen. „Wenn du einen

Verlobungsring kaufst, willst

du nicht, dass alle Welt davon

weiß“, sagt Walter. Warum al-

so nicht ein soziales Netzwerk

für die Shopping-Beratung

etablieren? „Buy or Burn“ hat

er das Projekt genannt. „Buy “

als Feedback heißt: Greife zu.

„Burn“ hingegen bedeutet:

Finger weg. Walter wagte

einen riskanten Schritt. Um seine Idee vo-

ranzutreiben, reichte er die Kündigung ein.

Das Geschäftsmodell ist typisch für die

Online-Welt: Die App gibt es gratis, die

Währung, mit der die Nutzer bezahlen, sind

ihre Daten. Für den Einzelhandel sei die

Tatsache interessant, dass sich die Kunden

genau in dem Moment, an dem sie vor einer

Kaufentscheidung stehen, bei einer sol-

chen Plattform einwählen: „Der Nutzer er-

fasst, was er einkaufen will und wo er

steht“, sagt Walter. Technisch sei die App

kein Hexenwerk. „Buy or Burn“, das von

einem vierköpfigen Kernteam getragen

wird, arbeitet dafür mit freiberuflichen IT-

Spezialisten zusammen. „Ich kann keine

einzige Zeile Code programmieren“, sagt

Walter: „Das überlassen wir den Profis.

Aber wir wissen, worauf wir achten müs-

sen.“ Die Umsetzung und die Vermarktung

seien der Schlüssel. Es gibt freilich Hürden:

Viele Läden verbieten es, im Laden Fotos

von ihrer Ware zu machen. „Buy or Burn“

will das Problem mit Kooperationen lösen.

Walter hat sogar das Verbraucherschutz-

ministerium auf das Problem hingewiesen.

Im Zeitalter der Handykameras dürfe man

Fotos nicht einfach verbannen, sagt er.

Anfang dieses Jahres hat das Projekt

„Buy or Burn“den Förderpreis „BW goes

mobile“ der MFG Innovationsagentur für

IT und Medien des Landes Baden-Würt-

temberg gewonnen, was nicht nur ein

Preisgeld von 10 000 Euro einbrachte, son-

dern auch den Kontakt zu Mentoren, wel-

che die Geschäftsidee fördern wollen. Erste

Kooperationspartner haben angedockt, et-

wa Europas größter Barcode-Anbieter oder

ein großer deutscher Dienstleister für Tele-

fon- und Internetauskünfte. Seit Februar

2013 begleitet die Hochschule Heilbronn

im Rahmen eines Projektes zu neuen sozia-

len Medien den Unternehmensstart – was

wertvolle Daten über die potenziellen, vor

allem jugendlichen Nutzer erbracht hat.

Studenten der Heilbronner Hochschule

sind die ersten Praktikanten der jungen

Firma. Für die künftige Expansion laufen

Gespräche mit möglichen Geldgebern.

Im Herbst soll die App in einem ge-

schlossenen Nutzerkreis an den Start. Ob

man dann das Weihnachtsgeschäft mitneh-

men kann, hängt an der Frage, ob bis dahin

die technische Infrastruktur perfekt funk-

tioniert. „Da sind wir wieder bei einer für

Deutschland typischen, kulturellen Kom-

ponente: Da muss von Anfang an alles ste-

hen“, sagt Walter. Statt in großen Sprüngen

wie in den USA würden hier Ideen lieber

Stück um Stück umgesetzt. „In den Ver-

einigten Staaten wird die Erfahrung des

Scheiterns fast verlangt. Da bewerten dich

bestimmte Investoren danach, ob du schon

einmal einen Fehler gemacht hast – dann

erst bist du interessant.“

Doch die Verwandlung zum Unterneh-

mer hat auch eine persönliche Komponen-

te. Alleine wäre Walter nie an den Start ge-

gangen, wenn er nicht neben sich eine Per-

son gehabt hätte, die seit Teenagerzeiten

ihren eigenen Weg geht. Walter hat seine

Freundin Sarah Haid, die Teilhaberin an

der jungen Firma ist, in seinem früheren

Job bei einem Personaldienstleister in Hei-

delberg kennengelernt. Da war die heute

25-Jährige lange abseits ausgetretener

Karrierepfade unterwegs. Mit 16 ist Haid

von zu Hause ausgezogen. Nach der Schule

und der Ausbildung zur Wirtschaftsassis-

tentin hatte sie sich ihren Traum erfüllt

und war nach Neuseeland gegangen. In der

immer noch von Pioniergeist geprägten

Gesellschaft fand sie nach einer Zeit als Au-

pair-Mädchen einen Job bei einem IT-

Start-up. Dort arbeitete sie sich bis zur As-

sistentin des Chefs hoch. Doch in der Wirt-

schaftskrise wurde ihre Arbeitserlaubnis

nicht verlängert. Notgedrungen kam sie

nach Deutschland zurück. Doch ein briti-

scher Personaldienstleister gab Haid auch

ohne Studium eine Chance – wegen ihrer

Lebenserfahrung. Sie wurde beauftragt, IT-

Kräfte auszuwählen. Dass für sie in ihrem

Leben immer eine Türe aufgegangen sei,

habe sie entspannter gemacht, sagt sie. Und

so erschrak Haid auch nicht, als ihr Lebens-

gefährte mit dem Gedanken auf sie zukam,

seinen Job für ein unternehmerisches Ex-

periment aufzugeben. „Wir wussten, dass

wir das zunächst nur mit unserer Überzeu-

gungskraft und ohne Geld hinbekommen

müssten“, sagt Haid.

Die Geschichte von „Buy or Burn“ zeigt,

wie sehr eine Gründung den ermutigenden

sozialen Kontext braucht. „Ich wollte

schon als Praktikant so viel wie möglich

machen können und bin deshalb in kleine

Firmen gegangen“, sagt Walter.“ Dabei

lernte er Menschen kennen, die aus dem

Raster der normalen Arbeitnehmerexis-

tenz fielen. Seinen wichtigsten Partner hat

er während seines Praktikums in der Thü-

ringer Sportwagenmanufaktur Gumpert

kennengelernt. Der 60-Jährige, der mehr-

fach Unternehmen gegründet hat, ist nun

finanzkräftiger Gesellschafter von „Buy or

Burn“. Bei Gumpert traf Walter auch jenen

39-jährigen Unternehmer, der dort für

einen Boliden 350 000 Euro in bar hinblät-

terte. Der Mann, der eine erfolgreiche Lo-

gistikfirma für Organ- und Blutttransporte

gegründet hatte, habe ihn motiviert: „,Cle-

mens, du musst zur richtigen Zeit am rich-

tigen Ort die richtigen Leute treffen‘, hat er

gesagt. ,Und wenn du eine Idee hast, von

der du überzeugt bist, egal was alle anderen

sagen – dann musst du das machen.‘“

// Bereits erschienene Teile der Serie finden

Sie auch unter http://stzlinx.de/startklar

Netzwerk „Buy or Burn“ profitiert davon, dass für IT-Start-ups

Kreativität anfangs wichtiger ist als Kapital. Von Andreas Geld

ner

Das Problem Vor allem für

junge Menschen sind soziale

Netzwerke heute das zentrale

Kommunikationsvehikel. Ein-

kaufen ist eine Aktivität, die

sich für Feedback und Aus-

tausch gut anbietet. Die Ent-

scheidung über Kaufen

(„Buy“) oder Nichtkaufen

(„Burn“) könnte zu einem

sozialen Prozess

werden. Bislang

gibt es aber keine

Möglichkeit,

sich gezielt

beim Shoppen auszutauschen

– zumal viele Läden misstrau-

isch sind, wenn sich Kunden

per Handykamera Ratschläge

einholen.

Die Lösung „Buy or Burn“ hat

ein Smartphone-Programm

(App) entwickelt, das ein spe-

zielles Netzwerk fürs

Einkaufen anbietet.

Eine je nach Ein-

kauf individuell

ausgewählte

Gruppe von Freun-

den und Ratgebern

kann so zum virtu-

ellen Begleiter wer-

den und den Dau-

men heben oder sen-

ken, wenn es um die

Kaufentscheidung geht.

Das Prozedere soll nutzer-

freundlich sein und ohne um-

ständliches Hin- und Her-

schalten zwischen unter-

schiedlichen Anwendungen

funktionieren.

Das Geschäftsmodell Das

junge Unternehmen strebt ge-

bührenpflichtige Kooperatio-

nen mit Läden an, denen eine

Möglichkeit gegeben werden

soll, im Moment der Kaufent-

scheidung mit den Nutzern zu

kommunizieren. Dabei ist

nicht an Werbung gedacht,

sondern an konkrete Angebo-

te. Für die Kunden ist die App

kostenlos. Sie bezahlen sozu-

sagen mit ihren Daten. Die

teilnehmenden Firmen können

etwa von der Information pro-

fitieren, dass der Kunde gera-

de im Laden ist. age

„BUY OR BURN“ – EIN SOZIALES NETZWERK FÜRS EINKAUFENDieGründer SarahH

aid undClemensWalter in der

StuttgarterKönigstra

ße, wo die Idee zu

einem sozialen Netzwerk fü

r die Einkaufsberatun

g geboren wurde.

Fotos: factum/Weise

Startklar

Die Serie

über Gründer

Die japanische Wirtschaft hat im

zweiten Quartal weiter zugelegt, je-

doch nicht so stark wie erwartet.

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg zwi-

schen April und Juni mit einer hochgerech-

neten Jahresrate von real 2,6 Prozent, wie

die Regierung am Montag auf vorläufiger

Basis bekanntgab. Im Vergleich zu den vo-

rangegangenen drei Monaten legte die

Wirtschaft des Landes um 0,6 Prozent zu,

wie die Regierung weiter mitteilte. Damit

wuchs die drittgrößte Volkswirtschaft der

Welt im nunmehr dritten Quartal in Folge.

An den Finanzmärkten und unter Wirt-

schaftsexperten wird nun mit Spannung

abgewartet, ob der rechtskonservative Mi-

nisterpräsident Shinzo Abe tatsächlich wie

geplant die Verbrauchsteuer in zwei Schrit-

ten bis 2015 auf zehn Prozent verdoppeln

wird. Die jüngsten Daten lassen es aus Sicht

von Experten wahrscheinlicher werden,

dass er die Steuern anhebt.

Die Wirtschaft sei dabei, sich zu erholen,

sagte Abe. Der Regierungschef will im

Herbst entscheiden, ob er die Steuern an-

hebt. Mit seiner „Abenomics“ genannten

Wirtschaftspolitik hatte er dafür gesorgt,

dass im Zuge massiver schuldenfinanzier-

ter Konjunkturprogramme und einer dras-

tischen Lockerung der geldpolitischen Zü-

gel der Yen deutlich abgewertet wurde und

dadurch die Ausfuhrerlöse zulegten. Die

Exporte des Landes erhöhten sich im Be-

richtsquartal um 3,0 Prozent und damit im

zweiten Quartal in Folge. Der Privatkon-

sum, der in Japan zu rund 60 Prozent zur

Wirtschaftsleistung des Landes beiträgt,

stieg um real 0,8 Prozent und damit im drit-

ten Quartal hintereinander.dpa

Konjunktur Die Wirtschaft legt

weiter zu. Jetzt geht die Angst

vor höheren Steuern um.

Japan sieht

Silberstreif

Nahrungsmittel

Fisch kostet

deutlich mehr

Die Deutschen essen weniger Fisch und

Meeresfrüchte. Im vergangenen Jahr ging

der Pro-Kopf-Verbrauch um acht Prozent

auf 14,4 Kilo zurück, wie die Bundesanstalt

für Landwirtschaft und Ernährung (BLE)

in Bonn mitteilte. Gleichzeitig mussten die

Verbraucher bei einem Preisanstieg um 5,6

Prozent für Fische und Meeresfrüchte

deutlich tiefer in die Tasche greifen. Wäh-

rend die Preise für Nahrungsmittel allge-

mein seit 2005 um 22 Prozent gestiegen

seien, kosteten Fischereierzeugnisse fast

32 Prozent mehr, so die Bundesanstalt.

Beliebtester Speisefisch in Deutschland

war im vergangenen Jahr der Alaska-See-

lachs mit einem durchschnittlichen Pro-

Kopf-Verbrauch von 3,1 Kilogramm, ge-

folgt von Hering mit 2,4 Kilogramm. Be-

sonders betroffen von dem Nachfrage-

rückgang waren neben Seelachs auch Lachs

und Pangasius. Nur noch knapp ein Fünftel

des Gesamtangebots von 1,2 Millionen

Tonnen wurde dabei von deutschen Schif-

fen angelandet.

dpa

Offshore-Windpark Riffgat

EWE fordert

Entschädigung

Das Oldenburger Energieunternehmen

EWE fordert eine Entschädigung für die

Verzögerung beim Anschluss des Offshore-

Windparks Riffgat an das Stromnetz. Die

Anlage mit 30 Windrädern in der Nordsee

vor Borkum ist einsatzbereit, kann aber

wegen der fehlenden Landanbindung vo-

raussichtlich erst im nächsten Jahr Strom

liefern. „Tennet hat uns definitive Zusagen

gemacht mit klaren Fertigstellungstermi-

nen“, sagte EWE-Chef Werner Brinker im

Nordwestradio. Tennet hatte kürzlich er-

klärt, es gebe Schwierigkeiten mit der Ber-

gung von Munition. Eine Tennet-Spre-

cherin sagte zur Ankündigung des EWE-

Chefs: „Das wird man sehen.“ Bei Tennet

seien noch keine Forderungen eingegan-

gen. Brinker warf dem Netzbetreiber vor, es

sei seit vielen Jahren bekannt, dass die Mu-

nition auf dem Meeresboden liege. dpa

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Nr. 186 | Dienstag, 13. August 2013STUTTGARTER ZEITUNG

WIRTSCHAFT

M alte Horstmanns erste unterneh-merische Erfahrungen liegenschon eine ganze Weile zurück.

„Wir hatten zu Hause diese Teigformen für

Osterhasen“, erzählt der 26-Jährige, der in

Stuttgart-Hohenheim Wirtschaftsinfor-

matik studiert hat. „Es war ein Hase und

ein Lamm“, ergänzt sein Bruder Olaf (25),

der nach seinem Examen an der Hochschu-

le der Medien in Stuttgart nun als IT-Ent-

wickler beim Älteren mit im Boot sitzt.

„Wir haben die Formen mit Beton gefüllt,

die ausgestochenen Tiere golden angemalt

und vor dem Haus verkauft“, sagt Malte

Horstmann: „Das lief gut. Konkurs haben

wir jedenfalls nicht angemeldet.“ Damals

waren beide Grundschüler – doch solche

Geschäftstüchtigkeit verlernt man nicht.Malte Horstmann hätte in die Wissen-

schaft gehen können. Fünf Jahre lang war er

an der Universität Stuttgart-Hohenheim an

einem Forschungsprojekt beteiligt. Es kreis-

te um die Frage, wie sich Verhandlungspro-

zesse in der Wirtschaft mit elektronischer

Hilfe verbessern lassen. Er hat fleißig Daten

gesammelt – und sich irgendwann gefragt,

ob es dafür nicht einen Markt geben könnte.

„Akademisch war das Thema elektronische

Verhandlungsunterstützung ungemein

spannend. Ich wollte aber das Gefühl haben,

dass das, was ich erforsche, etwas bringt und

nicht nur ein Selbstzweck ist“, sagt Horst-mann. Statt für die Pro-motion entschied ersich zum Sprung in dieWirtschaft.Enpatech heißt dieFirma, die seit Januar2013 als Gesellschaftdes bürgerlichenRechts (GbR) regist-riert ist. Die junge Fir-me bietet ein Software-programm an, das den

Stand von Verhandlungen auf einen Blick

erfassen und bewerten lässt. Zurzeit erpro-

ben Testkunden das Programm. Anfang des

kommenden Jahres will das Unternehmen,

das Horstmann zurzeit zusammen mit sei-

nem Bruder und einem alten Schulfreund

aufbaut, an den Markt. Große Investitionen

braucht es dafür nicht – was Gründungen

im IT-Bereich generell leichter macht. Die

Verhandlungssoftware will Enpatech den

Firmen über die „Cloud“ im Internet per Li-

zenz überlassen. Im Durchschnitt nach sie-

ben E-Mails, versprechen es die Firmen-

gründer, seien dann einst zeitraubende Ver-

handlungen unter Dach und Fach.Für Ideen wie diese gibt es in Deutsch-

land einen von Bundeswirtschaftsminister

Philipp Rösler (FDP) stark propagierten

Fördertopf namens Exist. Das Programm

ist für Unternehmensgründungen gedacht,

die direkt aus der universitären Forschung

hervorgehen. Doch Malte Horstmanns

Problem war zunächst nicht der Förder-

topf. Er fand keine Mitstreiter. „Viele in

meinem Alter sagen sofort: Das traue ich

mich nie“, sagt er. Er sei kurz davor gestan-

den, auf eigene Faust loszulegen. „Doch im

Nachhinein weiß ich, das wäre naiv gewe-

sen. Wir würden heute nicht dort stehen,

wo wir stehen. Den Arbeitsaufwand kannst

du normalerweise nicht komplett alleine

stemmen“, sagt Horstmann.Zum Glück konnte er einen Freund aus

Schulzeiten für seine Idee begeistern. Der

brachte nicht nur betriebswirtschaftliches

Wissen mit, sondern auch Gründergeist:

Den Wunsch, etwas Eigenes zu gestalten

und dafür die ausgetretenen Pfade zu ver-

lassen. Die wichtigsten Dinge in seinem Le-

ben habe er außerhalb von Schule und

Hochschule gelernt, sagt Martin Allmen-

dinger (27), der nun für die geschäftliche

Seite von Enpatech zuständig ist: „Ich bin

der Typ, der immer gerne etwas gemacht

hat – aber nicht nur das, was mir vorgege-

ben wurde“, sagt er. Als Teenager hat er

Musik produziert oder am Computer ge-

bastelt. An der Uni organisierte er eine Be-

rufs- und Kontaktmesse – ein Event, das

schwarze Zahlen schreiben musste und

dessen Ertrag studentische Projekte finan-

zierte. Auch Allmendinger, der an den Uni-

versitäten Ilmenau und Bamberg studiert

hat, kennt den Graben zwischen der Welt

der Wissenschaft und dem Unternehmer-

tum: „Es ist nicht so, dass du an Universitä-

ten mit offenen Armen empfangen wirst,

wenn du gründen willst. Und das ist schon

gar nicht der Inhalt der Lehrpläne.“Das Gründerstipendium Exist ist einer

der Versuche, die beiden Welten miteinan-

der zu verbinden. Doch vor der Gründung

kamen erst einmal die Formulare. Im April

2012 wurde das Projekt Enpatech geboren.

Zwei Monate später war der erste Förder-

antrag unterwegs. Doch erste im zweiten,

nachgebesserten Anlauf wurde im vergan-

genen November das Geld bewilligt. Insge-

samt 77 200 Euro sichern dem dreiköpfi-

gen Gründerteam, zum dem Anfang dieses

Jahres als letzter Horstmanns Bruder Olaf

als IT-Entwickler gestoßen ist, erst einmal

für ein Jahr den Lebensunterhalt. 5000

Euro für Beratungsleistungen und 17 000

Euro für Investitionen sind darin einge-

schlossen. Ebenfalls inklusive ist die eher

allgemein formulierte Verpflichtung der

Universität, die Gründern zu unterstützen.

Das erwies sich als nicht so einfach. Fast

zum selben Zeitpunkt, als Enpatech im

Frühjahr des vergangenen Jahres an den

Start gehen wollte, wurde das Gründer-

zentrum an der Universität geschlossen.

Trotz einer Stiftungsprofessur für Entre-

preneurship war an der relativ kleinen

Universität nicht die erhoffte kritische

Masse an Gründungen zusammengekom-

men. In 14 Jahren waren es etwa hundert –

davon wurde ein Dutzend als direkte Aus-

gründungen aus der Wissenschaft über

Exist gefördert. Heute gibt es noch eine

halbe Stelle für eine „Referentin für Exis-

tenzgründung“ und Hohenheim koope-

riert bei der Gründerförderung mit der

Universität Stuttgart. Der Lehrstuhl für

Entrepreneurship ist nach einer Pause seit

einem halben Jahr wieder besetzt. Doch

Wissenschaft und Wirtschaft bewegen

sich in unterschiedlichem Takt. Fünf Mo-

nate musste die junge Firma etwa auf

einen Laptop warten. „Du kannst nicht

einfach einen Computer bestellen und

dann die Rechnung vorlegen, was das

Schnellste wäre, sondern musst über die

zentrale Beschaffung gehen“, sagt Allmen-

dinger: „Wir haben hier gleich vier An-

sprechpartner: Einen für Reisekosten,

einen für Hardware, eine Ansprechpartne-

rin für Software, dann jemanden für das

Büromaterial.“ Der Weg durch die Instan-

zen sei manchmal lang, sagt Horstmann:

„Es gab viele Fragen, die keiner geradehe-

raus beantworten konnte.“Doch seitdem die Hochschule Enpatech

in einer Pressemitteilung präsentiert hat,

geht es zügig voran. Danach kam eine Mate-

rialanfrage binnen einer Woche durch. Die

Hohenheimer Gründer wollen nicht un-

dankbar klingen. Ohne die Hilfe der Uni

hätte es ihr Unternehmen, das inzwischen

zwei der drei gesuchten Testpartner gefun-

den hat, nicht gegeben. „Es ist schon ein

sehr gutes Programm. Aber dass manche

simplen Prozesse über die Uni so lange

dauern – das kann man nicht immer nach-

vollziehen. Inzwischen kennen wir aber

unsere Ansprechpartner und sie kennen

uns,“ sagt Allmendinger. Es gibt für Enpa-

tech auch einen universitären Beirat.Sollte alles so laufen wie geplant, dann

muss Enpatech schnell wachsen. Bis zu 15

Kunden könne man zu Dritt betreuen –

dann müssten weitere Mitarbeiter her.

„Wenn es um Festanstellungen geht, dann

denkst du als Startup in Deutschland aber

zweimal nach“, sagt Allmendinger: „Es

hängt viel von der Finanzierung ab. Daran

haben wir auch festgemacht, ob wir das

weiterbetreiben.“ Es geht nicht mehr um

Stipendien, sondern um etwa eine halbe

Million Euro von privaten Investoren. Ob

die Universität nach dem Auslaufen der

„Exist“-Förderung Ende 2013 weiter hel-

fen wird, ist offen. Optimistisch ist das

Dreierteam dennoch. „Mach was du liebst –

und das Geld kommt von alleine,“ sagt Mar-

tin Allmendinger in Anspielung auf den

amerikanischen Gründerslogan „Do what

you love and the money will follow.“// Die bereits erschienen Teile der Serie finden

Sie auch unter http://stzlinx.de/startklar

Verhandlungsstrategie aus dem LaborSoftware Das IT-Startup Enpatechwagt den Sprung aus derForschung ins Unternehmertum.Von Andreas Geldner

MartinAllmendinger und dieBrüderMalte undOlafHorstmann (von rechts) sind überzeugt,

dass Erkenntnisse aus derWirtschaftsforschung auch imAlltag taugen. Foto: Martin StollbergDas Problem Eine Preisver-handlung ist auch im Zeitalterder E-Mail-Kommunikationoft ein umständliches Proze-dere. Angebot und Gegen-angebot gehen wie in einemPing-Pong-Spiel so lange hinund her, bis ein Abschluss zu-stande kommt. Es gibt dabeifür jeden Verhandlungspartnereine klare Prioritäten-Liste.Ob diese auch erreicht werden,

ist im E-Mail-Verkehr oftschwierig zu verfolgen.Hier kann elektronischeUnterstützung helfen.

Die Idee Enpatech will diesenAustausch transparenter ma-chen. Schon vor seiner erstenAnfrage definiert ein Verhand-lungspartner das Optimum,das er erreichen will: denmaximalen Preis und die Liefer-dauer, das beste Material , dieoptimale Stückzahl oder diegünstigsten Zahlungskonditio-nen. Jeder dieser Bausteinewird gewichtet. Die Enpatech-Software setzt das Verhand-lungsziel dann in eine Grafikum – und analysiert auch dasAngebot der Gegenseite.

Die Umsetzung Am Ende sol-len zwei Linien einander treffen.Beide Verhandlungspartnerkönnen in der Software an denPrioritäten feilen. Was passiert,

wenn sie Zugeständnissemachen? Hat man sich seitder letzten E-Mail aufeinanderzubewegt? Der verbleibendeAbstand der Verhandlungs-positionen lässt sich miteinem Blick auf die Skalaerfassen. Experimente derUni Hohenheim haben belegt,dass so schneller eine Einigungerzielt wird. age

WERKZEUG FÜR EFFIZIENTERE VERHANDLUNGEN

SERIENFAHRPLANGründergeist Die Zahl der Jungunternehmer

im Land geht seit Jahren zurück.27.07.Enpatech Verhandlungskniffe, die aus dem

Universitätslabor stammenHeuteKaiserqualität Netzwerken für Naturkosmetik-

unternehmen

Leaserad Dienstfahrräder für Arbeitnehmer,

finanziert von der CrowdVeganz Raus aus dem Weltkonzern,rein in die Verwirklichung eigener Ideale.Buy or burn Shopping-Ratschläge aus dem

sozialen Netzwerk

Deutsch-Dach Eine Gründerin dringtin die Männerdomäne Dachdeckerei vorZukunftsfonds In Heilbronn finanzieren

Unternehmerfamilien Existenzgründungen.Regiohelden Was ein Stuttgarter aus denFehlern der ersten Gründung gelernt hatImmprove Der Schönheitssalon für schwer

verkäufliche ImmobilienPolymedics Hilfe bei Verbrennungen –erst in der eigenen Firma ein ErfolgNotion Systems Präzisionsdrucker für

die HightechindustrieBürgerbahnhof Die Leutkircher sanierenals Genossenschaft ihren BahnhofSchlussrätsel Eine geheimnisvolle Firma –

der Erfinder, der zum Gründer wurde

Keine Angst um die SAP-Zentrale – aber EmpörungD er SAP-Gründer Hasso Plattner istfür klare Worte bekannt – und auchdafür, dass der Softwareunterneh-

mer mit der amerikanischen Geschäfts-

mentalität mehr anfängt als mit deutscher

Sozialpartnerschaft. Am Wochenende ha-

ben mehrere Medien seine Kritik an der

angeblich wenig innovationsfreundlichen

Kultur am Gründungsstandort Walldorf

transportiert. „Man ist in Walldorf einfach

etwas ab von Schuss, und deswegen gibt es

dort weniger kreative Impulse“, sagte

Plattner der „Welt am Sonntag“. Das Maga-

zin „Spiegel“ referierte eine noch weit hef-

tigere Schelte Plattners: „Manchmal will

ich die Walldorfer Entwickler packen und

schütteln und anschreien: Bewegt euch

schneller!“In Walldorf indes kam nach Plattners

provozierenden Worten keineswegs Panik

auf. „Die Kollegen hier sind selbstbewusst

genug zu wissen, dass sie gute Arbeit leisten

und sich keine Sorgen um ihren Arbeits-

platz machen müssen“, sagt Eberhard

Schick, Mitglied des Betriebsrats. Doch die

Tatsache, dass auch Hasso Plattner, der

ständig die Nachteile des Standortes

Deutschland kritisiere, nicht ernsthaft am

Stammsitz des Unternehmens rütteln wol-

le, sei nur eine Seite der Medaille, sagt Ralf

Kronig, ein ebenfalls von der IG Metall

unterstützter Betriebsrat in Walldorf. Für

die Stimmung unter der Belegschaft aller-

dings seien die Zitate Plattners, die er nicht

zum ersten Mal gemacht habe, ein Tief-

schlag: „Das trifft die Leute schon ins

Mark“, meinte Kronig.Kronigs Mailpostfach war am Montag

jedenfalls voll mit Beschwerden. Die Mit-

arbeiter fühlten sich kollektiv abgewatscht,

so fasst der Betriebsrat den Tenor zusam-

men: Wenn es Probleme gebe, dann solle

Plattner auf die Belegschaft in Walldorf zu-

gehen und nicht aus den fernen USA „Ein-

würfe von der Seitenlinie“ machen. Vor al-

lem im Zusammenhang mit einem schon

länger verkündeten Sparprogramm, das die

ehrgeizigen Renditeziele verteidigen solle,

sei Plattners Stil kein Beispiel für moderne

Unternehmensführung, sagt Kronig.Für die Arbeitsplätze am Ort sieht die

Walldorfer Bürgermeisterin Christiane

Staab (CDU) keine Gefahr: „Ich kann nur

sagen, dass wir als Stadt mit der SAP wun-

derbar zusammenarbeiten. Wir stellen an

Infrastruktur alles zur Verfügung, was ein

Weltunternehmen braucht und sind sicher,

dass der Standort bleibt.“ Aus den Inter-

views von „Herrn Plattner“ jedenfalls kön-

ne sie „ nichts herauslesen, was darauf hin-

weisen würde,dass der Standort Walldorf

zur Diskussion steht.“ Mit dieser Bemer-

kung stütze sie sich auch „auf ein klares Be-

kenntnis aus dem Unternehmen, dass über

eine Verlagerung auch nicht andeutungs-

weise diskutiert wird.“

Softwareschmiede Die Kritik des Gründers Hasso Plattner ärgert

die Mitarbeiter. Von Johanna Eberhardt und Andreas Geldner

I taliens Regierungschef Enrico Lettahat das Hilfskonzept von Europäernund Internationalem Währungsfonds

für Griechenland scharf kritisiert. „Der

Zeitplan war falsch. Es waren die falschen

Instrumente“, sagte Letta am Montag bei

einem Besuch in Athen. Die harten Spar-

auflagen hätten das Land noch tiefer in die

Rezession gestürzt und europaweit die

Arbeitslosigkeit nach oben getrieben.

„Wenn Europa Griechenland zu Beginn an-

ders behandelt hätte, wäre die finanzielle

Katastrophe nicht so groß ausgefallen“, be-

klagte der italienische Premier. Italien ist

nach Griechenland mit einer Schuldenquo-

te von über 120 Prozent das am zweithöchs-

ten verschuldete Land der Euro-Zone.Unterdessen machte der Haushaltsaus-

schuss des Deutschen Bundestages den

Weg frei für die Auszahlung von weiteren

2,5 Milliarden Euro an Griechenland durch

die Euro-Partner. Dabei handelt es sich um

die erste Rate des zugesagten Kredits von

insgesamt 6,8 Milliarden Euro. Mit der

Umsetzung von 22 geforderten Spar- und

Reformmaßnahmen hatte Griechenland

Ende letzter Woche die Voraussetzungen

geschaffen. Bereits am Freitag hatte eine

Arbeitsgruppe der Euro-Mitgliedsländer

die Zahlung unter Vorbehalt befürwortet.Derweil kam die EU dem südeuropäi-

schen Land entgegen und senkte das Priva-

tisierungsziel für dieses Jahr. Wie aus

einem EU-Dokument hervorgeht, muss

Griechenland als Auflage für weitere Hilfs-

milliarden nur noch 1,6 Milliarden Euro

mit Privatisierungen einnehmen – rund

eine Milliarden Euro weniger als bislang

angesetzt. Dafür müssen 2014 allerdings

3,5 Milliarden Euro aus dem Verkauf von

Staatsbeteiligungen erlöst werden. Bislang

waren 1,9 Milliarden Euro angesetzt. rtr

Griechenland Der Zeitplan unddie Instrumente seien falsch, sagtder italienische Premier Letta.

Rom kritisiertRettungskonzept

Luftfahrt

Boeing und Airbusprüfen NotsenderDie Flugzeugbauer Boeing und Airbus ha-

ben eine Überprüfung von Notsendern der

US-Firma Honeywell angeordnet. Mög-

lichst viele der weltweit 1200 mit den Peil-

sendern ausgestatteten Boeing-Maschinen

sollten inspiziert werden, teilte der US-

Konzern mit. Innerhalb von zehn Tagen

sollten die Fluggesellschaften Informatio-

nen melden, um den Aufsichtsbehörden

bei der Entscheidung über nächste Schritte

helfen zu können. Der europäische Kon-

kurrent Airbus ging nicht ganz so weit. Es

sollte aber überprüft werden, wie die Peil-

sender in die Jets eingebaut worden seine.

Dabei handele es sich um eine reine Vor-

sichtsmaßnahme, sagte ein Airbus-Spre-

cher am Montag. Die Sender helfen nach

einem Absturz bei der Ortung von Maschi-

nen. Mitte Juli war am Londoner Flugha-

fen Heathrow ein parkender Boeing Dre-

amliner in Brand geraten. Als Ursache wird

ein Sender von Honeywell vermutet. rtr

TelekommunikationsmarktSlim könnte KPNganz übernehmenDer mexikanische Milliardär Carlos Slim

könnte nur wenige Monate nach seinem

Einstieg bei KPN den niederländischen

Telekommunikationskonzern gänzlich

schlucken. Slims Unternehmen America

Movil hat eine Stillhalte-Vereinbarung be-

endet, die den Anteil auf unter 30 Prozent

limitierte, wie KPN mitteilte. Damit ist der

Weg nun frei, die Beteiligung aufzustocken.

Die Kündigung des Abkommens sei

möglich geworden, weil der spanische Kon-

kurrent Telefonica für die deutsche KPN-

Tochter E-Plus ein Übernahmeangebot

vorgelegt habe, erklärte KPN. Derzeit hält

America Movil 28 Prozent. Slim war im ver-

gangenen Jahr im größeren Stil in den

europäischen Telekommunikationsmarkt

eingestiegen. Neben KPN beteiligte sich

der Milliardär auch an Telekom Austria.Am Freitag hatte America Movil mitge-

teilt, dass es weiter darüber nachdenke, ob es

den möglichen Verkauf des Mobilfunk-

unternehmens E-Plus an die O2-Mutter Te-

lefonica unterstütze. Deutschland ist Euro-

pas größter Mobilfunkmarkt. Das mexikani-

sche Unternehmen, das seit seinem Einstieg

bei KPN rund zwei Milliarden Euro seines

Investments verloren hat, wollte sich am

Montag nicht zu der Mitteilung äußern. Ein

KPN-Sprecher sagte, America Movil habe

nicht mitgeteilt, ob das Unternehmen sei-

nen Anteil an KPN auf über 30 Prozent aus-

bauen wolle. Wäre dies der Fall, müssten die

Mexikaner für den ganzen Konzern ein

Übernahmeangebot vorlegen.rtr

StartklarDie Serieüber Gründer

11

Dienstag, 30. Juli 2013 | Nr. 174

STUTTGARTER ZEITUNG

WIRTSCHAFT

INNOVATIONFachbereich für kaufmännisches Personal

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SOLUTIONSFachbereich für Facharbeiter und Hilfskräfte

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20 Wirtschaft in Baden-Württemberg 21Wirtschaft in Baden-WürttembergNr. 3 | November 2014Stuttgarter Zeitung | Stuttgarter Nachrichten

Page 19: Wirtschaft in Baden-Württbemberg

Wem die Banken nicht hel­fen, der muss sich selbsthelfen: Das war die ersteLektion, die der Mittel­stand in der Krise lernen

musste. Die Innenfinanzierung – also das Ausschöpfen der eigenen Gewinne fürInvestitionen und das Freischaufeln unnö­tig gebundenen Kapitals – wurde zu einem der wichtigsten Instrumente. Der deutscheMittelstand hat schnell gelernt. Heutebeklagen die deutschen Banken, dass die Nachfrage nach neuen Krediten geringist. Das liegt zum einen daran, dassdie wirtschaftlichen Aussichten nicht so

rosig sind, dass klei­ne und mittelständi­sche Unternehmenmit neuen Investitio­nen ihre Kapazitätenausbauen wollen –sie konzentrieren

sich vielmehr vorerst darauf, produktiver zuwerden. Zum anderen hat sich die finan­zielle Situation der Unternehmen in derKrise spürbar verbessert, die Eigenkapital­ausstattung ist in mehr als der Hälfte derFirmen so gut, dass sie Investitionen aus eigener Kraft finanzieren können.

Dennoch ist fehlende Liquidität nachwie vor eine der häufigsten Ursachen dafür,dass Unternehmen in die Pleite rutschen,sie also zahlungsunfähig werden. Nach Ein­schätzung von Experten liegt das daran,dass vor allem kleinere Unternehmen nichtüber ein funktionierendes Liquiditätsma­nagement verfügen. Schon der Ausfall einesgrößeren Kunden, von dem man noch eine größere Summe Geld zu bekommen hat, kann das eigene Unternehmen in Bedräng­nis bringen. Als erster Schritt ist daher eineLiquiditätsplanung erforderlich, sprich: Ausgaben und Einnahmen müssen klardargestellt werden. Um Schwankungen imzeitlichen Ablauf auszugleichen, nutzen die

meisten kleineren Unternehmen ihrenKontokorrentkredit. Das ist eine Kredit­linie, die sie mit ihrer Bank vereinbart ha­ben, bei deren Inanspruchnahme Zinsenfällig werden. Darüber hinaus können überBetriebsmittelkredite der Einkauf von Wa­ren oder Rohstoffen sowie die Zahlung von Gehältern, Mieten und anderen laufendenVerpflichtungen sichergestellt werden.

Auf der Kostenseite fallen zudem beiproduzierenden Unternehmen die Rech­nungen der Lieferanten ins Gewicht.Zwar räumen diese oft ein Zahlungsziel von30 Tagen oder mehr ein, bei schnellererZahlung der Rechnung kann man aber üb­licherweise rund drei Prozent vom Betragals Skonto abziehen. Rund 60 Prozent derUnternehmen sind allerdings nicht in derLage, diesen Vorteil zu nutzen. Dafür habensich sogenannte Finetrading­Unterneh­men entwickelt, die die Vorfinanzierung übernehmen. Die Kosten dafür sind gerin­ger als die Ersparnis aus dem Skonto, unddaher wird neue Liquidität geschaffen.

Wichtig für die Liquiditätssteuerung istaber auch, dass die Einnahmen zeitnaherfolgen. Was nützt es, wenn man viele Pro­dukte verkauft hat, das Geld aber nicht aufdem Konto ankommt? Eine Möglichkeit,um auch hier mehr Stabilität zu bekommenund nicht von der individuellen Zahlungs­fähigkeit oder Zahlungsmoral des Kundenabhängig zu sein, ist der Verkauf der Forde­rung an sogenannte Factoringgesellschaf­ten. Dann erhält man sofort 80 bis 90 Pro­zent des ausstehenden Betrages, um den Rest kümmert sich die Factoringgesell­schaft, die auch das Ausfallrisiko trägt. Der Einsatz von Factoring bietet drei Vorteile: sofortige Liquidität, eine bessere Eigen­kapitalquote und somit ein besseres Ratingsowie Bonitätsinformationen über die Kunden. Das wiederum erleichtert einemögliche Kreditaufnahme bei Banken, wenn eine größere Investition ansteht.

In fast jedem Unternehmen gibt es auchVermögenswerte, die für den aktuellenGeschäftsbetrieb nicht nötig sind. Sosollten ungenutzte Maschinen und Anla­gen, Gebäudeflächen oder Patente undMarkenrechte verkauft werden, um die Li­quiditätsausstattung zu verbessern. Aberauch genutzte Gebäude, Maschinen oder Anlagen müssen nicht zwingend im Be­sitz des Unternehmens bleiben. Indemman solche Werte verkauft und vondem Käufer zurückmietet (Sale­and­Lease­Back), kann man zusätzliche Li­quidität schaffen. Das Gleiche gilt für denFirmenfuhrpark, für den Leasinggesell­schaften umfangreiche Angebote parat ha­ben. Dies bietet aus der Sicht des Liqui­ditätsmanagements zwei wesentlicheVorteile: Die Leasingraten könnenaus den laufenden Einnahmen be­zahlt und sofort als Betriebsausga­ben geltend gemacht werden. Undes wird weniger Kapital im Anla­gevermögen gebunden.

Für Unternehmen in Umbruch­phasen oder in einer Krise ist die Si­cherung und Steuerung der Liquidi­tät gleichbedeutend mit der Siche­rung der Existenz. Liquiditätverschafft zunächst Zeit, um dieProfitabilität überhaupt wiedersteigern zu können. Gibt es ineinem Unternehmen strategi­sche Fehlentwicklungen, istdas oft schon am stocken­den Liquiditäts­fluss ein biszwei Jahre voreiner mögli­chen Insolvenzzu erkennen.

Finanzen Vor allem in kleineren Betrieben gibt es Nachholbedarf beim professionellen Liquiditätsmanagement. Von Klaus Dieter Oehler

Auch Firmen mit guter Eigen­kapitalausstattung

können in Schwierig­keiten geraten, wenn

zu wenig flüssige Mittelin der Kasse sind.

Foto: fotolia

Wie Unternehmen flüssig bleiben

Kennzahl Der Cashflow ist eine Messgröße aus der Betriebswirtschaft und ein Indikator dafür, wie gesund ein Unternehmen im Hinblick auf seine finanzielle Lage ist. Generell soll der Cashflow den gesamten Strom der Finanzmittel abbilden. Kon­kret beschreibt die Kennzahl den Überschuss an Zah­lungsmitteln, den ein Unter­

nehmen durch seine Tätig­keiten innerhalb eines bestimmten Zeitraums erwirtschaften konnte.

Berechnung Der Cashflow bleibt übrig, wenn man die Ausgaben von den Einnah­men eines Betriebes abzieht, und gibt somit an, inwiefern sich das Unternehmen selbst finanzieren kann. Ist der

Cashflow positiv, spricht man von einem Mittel­zufluss, fällt er negativ aus, von einem Mittelabfluss.

Aussagekraft Der operative Cashflow ist das Ergebnis aller zahlungswirksamen Geschäftsvorfälle der ge­wöhnlichen Geschäftstätig­keit. Insbesondere der ope­rative Cashflow wird im

Rahmen der Jahresab­schlussanalyse als Indikator für das Innenfinanzierungs­potenzial eines Unterneh­mens verwendet. Ein positi­ver operativer Cashflow ver­setzt ein Unternehmen in die Lage, aus den Umsatz­prozessen heraus Kredite ordnungsgemäß zu tilgen oder neue Anlageinvestitio­nen zu tätigen. kdo

Was nützt es, wenn man vieleProdukte verkauft hat,das Geld dafür aber nicht aufdem Firmenkonto ankommt?

DER CASHFLOW ALS INDIKATOR FÜR FINANZIELLE GESUNDHEIT VON UNTERNEHMEN

22 Wirtschaft in Baden-Württemberg Nr. 3 | November 2014Stuttgarter Zeitung | Stuttgarter Nachrichten

Page 20: Wirtschaft in Baden-Württbemberg

23Wirtschaft in Baden-WürttembergNr. 3 | November 2014Stuttgarter Zeitung | Stuttgarter Nachrichten

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Kapitalbeschaffung Der wichtigste Finanzierungsweg für Mittelständler ist nach wie vor der Bankkredit – erst recht angesichts historisch niedriger Zinsen. Trotzdem lohnt es sich, einen Blick auf die Alternativen und ihre Vor­ und Nachteile zu werfen. Von Barbara Schäder

Unternehmen könnenviele Geldquellen anzapfen

Deutsche Unternehmen finan­zieren einen Großteil ihres Ge­schäfts über Abschreibungenund einbehaltene Gewinne.Doch wer einen neuen Betrieb

gründet, Maschinen anschafft oder seinbestehendes Unternehmen erweitern will,braucht dafür zusätzliches Kapital. EinÜberblick über die wichtigsten Finanzie­rungsquellen.

Die Zinsen sind so niedrig wie noch nie. Laut Bundesbank zahlen Unternehmen füreinen Bankkredit bis 250 000 Euro miteiner Zinsbindungsfrist von fünf bis zehnJahren derzeit im Mittel 2,7 Prozent Zin­sen. Hinter diesem Durchschnittswert ver­birgt sich allerdings eine breite Spanne. DieZinsen für längerfristige Unternehmens­kredite werden individuell ausgehandelt. Sie hängen von der Bonität der Firma undden Sicherheiten ab, die sie bieten kann.

Helfen kann bei den Verhandlungen mitder Bank ein externes Rating, also eine Ein­stufung der Kreditwürdigkeit des Unter­nehmens durch eine Agentur. „Wer gutgeratet ist, kann sich derzeit problemlosKapital bei der Bank besorgen – und dassogar zu traumhaften Konditionen“, sagtMarkus Kreher von der Wirtschafts­prüfungsgesellschaft KPMG. Aussichtenauf gute Konditionen auch ohne Ratinghätten Mittelständler, „wenn sie über gute Sicherheiten verfügen – ein Beispiel wäreein Einzelhändler, der Immobilien in Formvon Ladenlokalen besitzt und diese belei­hen kann.“ Schwieriger sei es, wenn ein Unternehmen eine neue Produktionsstätteeröffnen wolle: „Für die Bank besteht dasRisiko, dass sich das neue Werk nicht rech­net und sie ihr Geld am Ende nicht zurück­bekommt. Da werden für Mittelständler biszu zweistellige Zinssätze aufgerufen.“

Zinsvergünstigte Darlehen für Exis­tenzgründungen, aber auch für Innova­tionsvorhaben bestehender Unternehmenbieten Förderbanken wie die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) an.

Unternehmensanleihen sind in aller Mun­de. Trotz der schlagzeilenträchtigen Insol­venzen mehrerer Schuldner aus dem Mit­telstand ist die Nachfrage der Investorenungebrochen. Als Finanzierungsquelle für Unternehmen sind Anleihen deshalb wei­ter interessant.

Das gilt allerdings erst ab einem Kapital­bedarf von mindestens zehn Millionen Euro, denn neben den Zinsen fallen Trans­aktionskosten von vier bis fünf Prozent desAnleihevolumens an. Sie entstehen unteranderem durch die Erstellung eines Wert­papierprospekts und eines Ratings. Hinzu kommen Gebühren für die Banken, dienach Geldgebern suchen: Da Mittelstands­anleihen in der Regel in Schuldverschrei­bungen über 1000 Euro gestückelt werden,ist der Vertrieb mit einigem Aufwand ver­bunden. Die Zulassung der Papiere zum Börsenhandel zieht außerdem eine Reihevon Verpflichtungen nach sich wie dieVeröffentlichung von Jahresberichten und Ad­hoc­Mitteilungen.

Grundsätzlich können Anleihen auchohne Rating und abseits der Börse in

Umlauf gebracht werden. Diesen Wegwählte vor einigen Jahren die Wiener Fein­bäckerei Heberer aus Mühlheim am Main, die ihre Anleihe über ihre Filialen im ge­samten Bundesgebiet vertrieb. Allerdings kam auf diese Weise weniger Geld zusam­men als von dem Unternehmen erhofft –8,5 Millionen statt zwölf Millionen Euro.

Schuldscheindarlehen sind attraktiv fürUnternehmen, die den Aufwand für die Emission einer Anleihe scheuen. Denn an­ders als für Anleihen muss für Schuldschei­ne kein Wertpapierprospekt erstellt wer­den. Sie werden nicht an der Börse gehan­delt, sondern können vom Gläubiger nurim Wege der Abtretung an Dritte übertra­gen werden. Oft ist dafür die Zustimmungdes Darlehensnehmers erforderlich.

Für private Anleger sind Schuldscheinedeshalb nicht interessant, Geldgeber sindhier in der Regel institutionelle Investorenwie Banken und Versicherungen. Sie über­nehmen meistens Teilbeträge von mindes­tens 500 000 Euro, bevorzugen deshalb al­lerdings auch Schuldner mit einer hohenBonität. Um diese einschätzen zu können,verlangen die Großinvestoren üblicherwei­se zwar kein Rating, wohl aber umfassendeInformationen über das Unternehmen.Anders als bei einer Anleihe muss die Fir­ma damit aber nicht an die Öffentlichkeitgehen.

Den Kontakt zu den potenziellenGeldgebern fädelt in der Regel dieHausbank oder ein Beratungsunterneh­men ein. Die Kosten belaufen sich nachAngaben des Stuttgarter Finanzierungs­spezialisten Capmarcon auf 150 000 bis350 000 Euro. Marktüblich sind Schuld­scheindarlehen ab 15 Millionen Euro, klei­nere Volumina sind laut Capmarcon nur inAusnahmefällen sinnvoll.

Für Existenzgründer, junge Unternehmen und hoch verschuldete Betriebe ist Fremd­kapital oft sehr teuer: Egal ob Bankkreditoder Anleihe, die Zinsen sind sehr hoch,weil die Geldgeber eine Risikoprämie ver­langen. In diesen Fällen kann es sinnvollersein, zusätzliche Anteilseigner ins Boot zuholen. Das gilt auch für bonitätsstarkeUnternehmen mit großem Kapitalbedarf,etwa für Expansionspläne.

Da neue Anteilseigner über die Geschi­cke des Unternehmens mitbestimmen,wünschen sich die Altgesellschafter oft einen langfristigen Investor mit ähnlichenInteressen. Wenn ein solcher Partner nichtzur Verfügung steht, kann eine professio­nelle Beteiligungsgesellschaft eine Alter­native sein. Oft steigen diese Profi­Investo­ren allerdings nach wenigen Jahren wiederaus, zum Teil bürden sie überdies die Kos­ten für den Erwerb ihres Anteils dem über­nommenen Unternehmen auf (siehe auchdie Beiträge auf Seite 24). Es gibt aber auchGesellschaften, die sich mit einer Minder­heitsbeteiligung zufriedengeben und nichtgroß ins Geschäftsmodell eingreifen.

Start­ups können sich um die Unterstüt­zung durch sogenannte Business Angels be­mühen – das sind erfahrene Unternehmer,die Neugründer nicht nur beraten, sondernhäufig auch Kapital zur Verfügung stellen.

Mit der Ausgabe von Aktien können Unter­nehmen ihre Kapitalbeschaffung auf einebreite Basis stellen. Denn diese Anteils­scheine sind auch für Privatanleger er­schwinglich. Dem gleichen Prinzip folgen auch Crowdfunding­Plattformen. Doch ander Börse gehandelte Anteilsscheine kön­nen leichter verkauft werden, wenn dasUnternehmen in schwieriges Fahrwasser gerät. Deshalb lassen sich für börsennotier­te Aktien mehr Geldgeber finden als fürandere Beteiligungsformen.

Die Zulassung zum Börsenhandel istallerdings aufwendig und teuer. Zur Vor­bereitung zählen die Erstellung einesWertpapierprospekts und Werbeveranstal­tungen für Investoren, an denen in derRegel mehrere Banken beteiligt sind. Alleinfür diese Vorlaufkosten veranschlagen Ex­perten sechs bis zehn Prozent der Summe,

die der Verkauf der Aktien einbringt. Hinzukommen die laufenden Kosten einer Bör­sennotierung, etwa für Hauptversamm­lungen und die Veröffentlichung vonGeschäftsberichten.

Dieser Aufwand lohne sich nicht fürjedes Unternehmen, sagt KPMG­ExperteKreher: „Eine gewisse Mindestgröße braucht man. Die Umsätze sollten schoneinen mittleren zweistelligen Millionen­betrag erreichen.“ Zudem unterwerfen sichbörsennotierte Unternehmen einer ständi­gen Marktbewertung – was die Entschei­dungsfreiheit einschränken kann.

Wer Eigenkapital aufnehmen, aber keineStimmrechte an die neuen Anteilseignerabgeben will, kann auf sogenannte hybride Finanzinstrumente zurückgreifen. Ein Beispiel ist die stille Beteiligung. Hier zahlt

der Gesellschafter zwar eine Einlage, ver­zichtet aber auf ein Mitbestimmungsrecht und begnügt sich mit Gewinnausschüttun­gen. Eine Verlustbeteiligung wird bei stil­len Gesellschaftern oft ausgeschlossen.

Eine Spezialität des deutschsprachigenWirtschaftsraums sind Genussrechte. DerKäufer eines Genussrechts überlässt dem Unternehmen einen Geldbetrag und erhältdafür Zinsen oder Gewinnausschüttungen,aber keine Stimmrechte. Die Verlustbetei­ligung ist je nach Vertrag unterschiedlichgeregelt. Genussrechte können von Unter­nehmen jeder Rechtsform ausgegebenwerden, sind bis auf wenige Ausnahmenallerdings prospektpflichtig.

Auf ein Stimmrecht verzichten in derRegel auch Käufer von Vorzugsaktien. Da­für werden sie bei der Gewinnausschüttungdurch eine höhere Dividende bevorzugt. Ineinigen Fällen ist sogar eine Nachzahlungfür Verlustjahre vorgesehen.

Kredite von der Bank: Bonität und Sicherheiten entscheiden über den Zins

Die Börse als Finanzierungsquelle: Ausgabe von Aktien

Von jedem etwas: Mischformen zwischen Fremd­ und Eigenkapital

Suche nach Gläubigern abseits der Börse: Schuldscheindarlehen

Den Kapitalmarkt mit Anleihen anzapfen: Transparenz ist gefordert

Mehr Eigen­ als Fremdkapital: Anteilseigner ins Boot holen

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Page 21: Wirtschaft in Baden-Württbemberg

Kontra

Natürlich sind Aktionäre rechtlich be­trachtet die Eigentümer eines Unter­nehmens. Aber es sind Eigentümer be­

sonderer Art. „Eigentum verpflichtet“, heißt esim Grundgesetz. Wozu aber verpflichtet derAktienbesitz? Zu nichts, sagen nicht nur noto­rische Kapitalismuskritiker, die lieber von Ak­tienbesitzern als von Eigentümern sprechen.Finanzinvestoren führen sich in der Regel auf wie Aktienbesitzer, nicht wie Eigentümer. Ih­nen geht es nur darum, das eigene Vermögenzu mehren. Deshalb stiften sie volkswirtschaft­lich mehr Schaden als Nutzen.

Der Aktionär haftet nur in Höhe seiner Ein­lage, also mit seiner Aktie. Das war nicht im­mer so. In der Frühphase der Industrialisie­rung im 19. Jahrhundert, als zum Beispiel inAmerika und in England die Eisenbahnen mit Hilfe von großen Kapitalgesellschaften gebautwurden, haftete der Aktionär noch persönlich und unabhängig von der Höhe seiner Investi­tion für die Schulden des Unternehmens. DieseEinheit von Haftung und Kapitaleinsatz ist dasModell, mit dem die deutsche Wirtschaft großgeworden ist: mit Unternehmern, die das Risi­ko auf sich genommen haben, im Fall des Miss­erfolgs all ihr Vermögen zu verlieren, nicht nurein paar Aktien. Sie haben nicht via Kapital­markt das unternehmerische Risiko gestreut, sondern sich bei der Bank Geld beschafft undselbst die Ausfallhaftung übernommen.

Wer das Hohelied der großen, der anony­men Kapitalgesellschaften singt, mag solcheBetrachtungen für hoffnungslos überholt hal­ten. Sie sind gleichwohl zeitgemäß. Sie erklä­ren, warum Finanzinvestoren, die seit guteinem Jahrzehnt aus dem Wirtschaftsleben

nicht mehr wegzudenken sind, keinen nach­haltigen Mehrwert schaffen. Ihnen geht esdarum, kurzfristige Vorteile für sich zu reali­sieren, nicht darum, ein Unternehmen zumlangfristigen Erfolg zu führen. Die hanebüche­ne Methode, dem übernommenen Unterneh­men die Finanzierungskosten für den Erwerbselbst aufzubürden,zeigt klar, um wessenInteressen es hier geht.Kurzfristig kann dieExistenz von Finanz­investoren natürlichauch für ein Unterneh­men in Schwierigkeitenvon Vorteil sein. Dakönnen schnell ein Finanzengpass oder eineFührungskrise mit über Kreuz liegenden Eigentümerkreisen überwunden werden.

Aber sonst? Mit stabilen Eigentumsverhält­nissen fährt ein Unternehmen besser. Diezurückliegenden Jahre halten viele Beispiele dafür bereit, dass Finanzinvestoren Unterneh­men in keine sichere Zukunft führen, sondernlieber nach wenigen Jahren an den nächstenFinanzinvestor weiterreichen. Meist endet dieOdyssee damit, dass sich wieder ein industriel­ler Investor findet, der dann aber nur nocheinen massiv ausgehöhlten Betrieb ohne jeg­liche Finanzkraft übernimmt.

Haftung Finanzinvestoren verhalten sich wie Aktienbesitzer, nicht wie Eigentümer. Sie schaffen

keinen Mehrwert und räumen am Ende das Feld für industrielle Investoren. Von Michael Heller

Nur den eigenen Vorteil im Blick

Pro

Franz Müntefering hat die Debatte ins Rol­len gebracht. „Heuschrecken“ nannte derdamalige SPD­Vorsitzende im April 2005

die Finanzinvestoren, die deutsche Firmenausschlachten würden. „Manche Finanzinves­toren verschwenden keinen Gedanken an die Menschen, deren Arbeitsplätze sie vernichten– sie bleiben anonym, haben kein Gesicht, fal­len wie Heuschreckenschwärme über Unter­nehmen her, grasen sie ab und ziehen weiter.Gegen diese Form von Kapitalismus kämpfen wir“, sagte Müntefering damals in einem Inter­view. Sogar der Sachverständigenrat befasste sich daraufhin mit den Investoren, die nachAnsicht der Kritiker nur auf die kurzfristigeGewinnmaximierung aus waren und dabei

den übernommenenFirmen in der Regelhohe Schuldenbergeaufluden.

Diese Beispiele gabund gibt es, das ist rich­tig. Doch spätestens seitdem Beginn der Finanz­krise hat sich auch beiden Finanzinvestoren

die Einstellung grundlegend geändert. Esgeht den Beteiligungsgesellschaften wie KKR, Goldman Sachs, Blackstone, Permira und wiesie alle heißen, heute nicht mehr darum, mög­lichst hohe Renditen zu erzielen und die Fir­men, an denen sie sich beteiligen, möglichstschnell aufzuhübschen, um sie gewinnbrin­gend wieder verkaufen zu können. Das liegtschon allein daran, dass in den Zeiten der Nied­rigzinsphase auch die Renditeerwartungendeutlich zurückgegangen sind. Heute suchen

die Beteiligungsgesellschaften eher nach lang­fristigen Engagements, nach Möglichkeiten,ein Unternehmen auf einen stabilen Wachs­tumspfad zu bringen.

Das haben immer mehr Mittelständler er­kannt. Inzwischen können sich 61 Prozent der mittelständischen Unternehmen eine Private­Equity­Gesellschaft als Anteilseigner vorstel­len, wie eine Umfrage des Beratungsunterneh­mens Price Waterhouse Coopers (PWC) erge­ben hat. Die Zurückhaltung der Kreditinstitutebei der Kreditvergabe mag zu diesem Sinnes­wandel beigetragen haben. Die Vorteile liegenauf der Hand: Die Beteiligungsprofis kennen sich in der Regel nicht nur in der Branche aus,aus der ein Beteiligungskandidat kommt, siehaben auch besseren Zugang zu allen Formender Kapitalbeschaffung, vom klassischenBankkredit über alternative Finanzierungsfor­men bis hin zur Vorbereitung eines Börsen­gangs. Daneben verfügen sie oft über erfahreneManager, die – wenn es denn der Mittelständ­ler zulässt – auch professionelle Modelle einerguten Unternehmensführung entwerfen kön­nen. Auch bei der Nachfolgeregelung können Finanzinvestoren gute Helfer sein.

Natürlich gibt es auch immer noch verein­zelte „Heuschrecken“, doch die Branche arbei­tet intensiv daran, mit mehr Transparenz undguten Beispielen ihren Ruf zu verbessern.

Private Equity Die Zurückhaltung der Banken bei der Kreditvergabe hat im Mittelstand

das Interesse an privaten Beteiligungsgesellschaften geweckt. Von Klaus Dieter Oehler

Aus Investoren werden Unternehmer

Klaus Dieter Oehler istWirtschaftskorrespondent derStuttgarter Zeitung in Frankfurt.

Mit den Zinsen sind auch die Renditeerwartungen der Beteiligungsfirmen gesunken. Wichtiger ist ist ihnen nun eine stabile Wachstumsperspektive.

Heilsbringer oder Heuschrecken?Beteiligungsgesellschaften Das Thema Finanzinvestoren polarisiert. Den Kritikern gelten sie als rücksichtslose Renditejäger, die bei Firmen einsteigen, um sie möglichst schnell

wieder mit hohen Gewinnen abzustoßen – ohne Rücksicht auf die Interessen der Mitarbeiter. Andere meinen, dass die Beteiligung der umstrittenen Kapitalgeber gerademittelständischen Unternehmen neue Wachstumschancen eröffnen kann. Was spricht für die Finanzinvestoren und was dagegen? Zwei StZ­Wirtschaftsredakteure debattieren.

Michael Heller leitet die Wirtschaftsredaktion der Stuttgarter Zeitung.

Die Einheit von Haftung und Kapitaleinsatz istdas Modell, mit dem die deutsche Wirtschaft groß geworden ist.

24 Wirtschaft in Baden-Württemberg Nr. 3 | November 2014Stuttgarter Zeitung | Stuttgarter Nachrichten

Page 22: Wirtschaft in Baden-Württbemberg

Öl für das Getriebeder deutschenRealwirtschaftD i e n s t l e i s t u n g e n d e s F i n a n z -u n d V e r s i c h e r u n g s s e k t o r s s i n du n e n t b e h r l i c h f ü r A n p a s s u n g s -u n d W a c h s t u m s p r o z e s s e .

F inanz- und Versicherungsdienstleis-tungen wirken wie Schmiermittel fürdie Realwirtschaft und tragen somit

direkt und indirekt dazu bei, Beschäftigungzu sichern. In einer neuen Studie analysiertdie Initiative Stuttgart Financial die Bedeu-tung der Finanzbranche für Baden-Würt-temberg und für die Region Stuttgart.„Unser Bundesland verfügt über einen

gewachsenen Finanzsektor, der sich durcheine große Nähe zur Realwirtschaft aus-zeichnet“, sagt Dirk Sturz, Leiter von Stutt-gart Financial. Demnach wird die Wirt-schaftsleistung der Finanzbranche in Baden-Württemberg für das vergangene Jahr auf13,9 Milliarden Euro geschätzt, was einemAnteil von vier Prozent an der gesamtenWertschöpfung entspricht. In der Region

Stuttgart liegt der Anteil des Fi-nanzsektors an der gesamtenBruttowertschöpfung bei 5,2Prozent und in der Landes-hauptstadt bei neun Pro-zent. „Der Beitrag zur Brut-towertschöpfung ist ins-besondere auf der Ebeneder Stadt Stuttgartbeeindruckend“, sagtSturz, der über dieBruttowertschöp-fung und dieArbeitsplätze hi-naus vor allem inder Finanzie-rung der Wirt-schaft einen

großen Mehr-wert der Fi-nanzbranche er-kennt.Eine besondere

Stärke des Finanzplat-zes Stuttgart liegt inder Breite seines Ange-bots, das von den klassi-schen Bank-, Versicherungs-und Bauspargeschäften bishin zu Unternehmensanleihen,Wagniskapital, Leasing- und Fac-toring-Finanzierungen reicht. DieStabilität und Leistungsfähigkeit deshiesigen Finanzsektors hat laut Sturzpositive Wirkungen auf die übrigenWirtschaftszweige, aber auch – wie dieErfahrungen der vergangenen Jahre ge-zeigt hätten – großen Einfluss auf dieZuversicht der Unternehmen und die derGesellschaft.Diese Bedeutung schlägt sich auf

dem Arbeitsmarkt nieder. Die Finanz-branche beschäftigt landesweit rund138 000 Menschen, davon sind fast97 000 den Finanzdienstleistungenund etwas mehr als 23 000 den Ver-sicherungen zuzuordnen. „Finanz-und Versicherungsdienstleistungensind generell unentbehrlich für dieAnpassungs- und Wachstumspro-zesse unserer Wirtschaft. Sie tragendirekt und indirekt dazu bei,Beschäftigung in unserem Land zusichern“, sagt dazu Nils Schmid,Minister für Finanzen und Wirtschaftin Baden-Württemberg.Dirk Sturz betont, dass ein moder-

nes Finanzsystem neben der Kapital-versorgungsfunktion der Wirtschafts-akteure auch Versicherungen sowie mitFinanzen und Versicherungen verbunde-ne Dienstleistungen zur Verfügung stelle.„Durch vor- und nachgelagerte Tätigkei-ten werden insbesondere in den Regionenverstärkte Wachstumsimpulse freigesetzt“,erläutert er. Die regionalwirtschaftliche Be-deutung eines Finanzplatzes wird also zu-sätzlich zu den direkt bei Banken, Versiche-rungen und Bausparkassen Beschäftigtendurch indirekte Beschäftigungswirkungendeutlich.

Jene indirekte Beschäftigung resultiertaus der lokalen Präsenz von Finanz- und Ver-sicherungsunternehmen und wird teilweisedurch die mit Finanz- und Versicherungs-dienstleistungen verbundenen Tätigkeitenerfasst. Der andere Teil, der nicht in derBeschäftigungsstatistik der Finanz- und Ver-sicherungsdienstleistungen berücksichtigtwird, ergibt sich aus den weiteren positivenAuswirkungen der lokalen Präsenz eines Fi-nanzplatzes auf die übrigen Wirtschafts-zweige – etwa auf Anwälte, Wirtschafts-prüfer oder IT-Dienstleister, die sich auf dieFinanzwirtschaft spezialisiert haben.Nach den Ergebnissen der Studie von

Stuttgart Financial hat sich der Sektor derFinanz- und Versicherungsdienstleistungenin Baden-Württemberg gemessen an der

Bruttowertschöpfung seit dem Tiefpunkt derFinanzmarktkrise wieder erholt. Zwar konn-te in keinem Fall der Höchststand von 2004wieder erreicht werden, doch von 2008 bis2011 legte die Branche sowohl im Bund alsauch im Land um rund 21 Prozent auf 101,5Milliarden Euro beziehungsweise 13,9 Mil-liarden Euro zu.Mit einem Plus von 18,6 Prozent auf fünf

Milliarden Euro fiel der Zuwachs in der Re-gion Stuttgart geringer aus. Damit trug dieBranche 2011 in Baden-Württemberg vierProzent zur Gesamtbruttowertschöpfungbei, in der Region Stuttgart 5,2 Prozent undallein in der Stadt Stuttgart neun Prozent.Parallel dazu steuerten die mit Finanz- undVersicherungsdienst-leistungen verbunde-nen Tätigkeiten 2011im Land 1,3 Milliar-den Euro und in derRegion 524 MillionenEuro an Bruttowert-schöpfung bei.Indessen ist die

Zahl der Beschäftig-ten der Finanz- undVersicherungsdienstleistungen, deren Ent-wicklung die Studie für 2008 und 2013 be-trachtet, gesunken. So ergibt sich bundes-weit ein Rückgang von 0,3 Prozent auf guteine Million sozialversicherungspflichtig Be-schäftigte, während in Baden-Württembergein Minus von 0,6 Prozent auf 138 000 zuregistrieren ist. In der Region Stuttgart wie-derum sank die Zahl um 3,6 Prozent auf49 700; in der Stadt Stuttgart liegt der Rück-gang gar bei 4,9 Prozent auf knapp 29 900Beschäftigte.

Werden die Werte jedoch ab dem zwei-ten Quartal 2013 betrachtet, deutet sich einepositive Entwicklung an, heißt es in der Stu-die. Die Beschäftigung in den mit Finanz-und Versicherungsdienstleistungen verbun-denen Tätigkeiten nahm von 2008 bis 2013im Land um 14,3 Prozent auf 19 900 zu. Inder Region betrug das Plus 12,6 Prozent auf8000 Beschäftigte. Betrachtet man nun dieregionalen Anteile an den Beschäftigten derFinanz- und Versicherungsdienstleistungenim gesamten Bundesgebiet, so zeigt sich,dass der Beitrag der Region Stuttgart zur ge-samten Beschäftigung mit 3,8 Prozent leichtüber dem Wert der Region München mit 3,5Prozent und nahezu gleichauf mit dem An-teil der Region Frankfurt (3,8 Prozent) liegt.Den höchsten Beitrag zur bundesweiten Be-schäftigung liefert im Rahmen der betrach-teten Gebiete hier mit 4,3 Prozent die RegionHamburg.Wenn man nun den Beschäftigungs-

beitrag der jeweiligen Stadtkreise zur Re-gion ins Verhältnis setzt, weist die baden-württembergische Landeshauptstadt mit33,6 Prozent im bundesweiten Vergleich derGroßstädte den geringsten Wert aus. „Diesspricht für die Stärke des Umlands und ver-deutlicht, dass in der Region Stuttgart derwirtschaftsstarke Umkreis einen signifikan-ten Beitrag zur Beschäftigung leistet“, resü-miert Dirk Sturz. Thomas Spengler

SignalwirkungBaden-Württembergs Finanz-und Wirtschaftsminister NilsSchmid über Gründer undwarum ein Wagniskapital-fonds so wichtig ist.

Seite 26

Klein, aber feinDer Stuttgarter Finanzplatzist klein, aber fein. DieBanken in der Regionpunkten vor allem mit einergroßen Nähe zum Kunden.

Seite 31

AnsichtssacheDer Gesetzgeber will dieAnlageberatung stärkerregulieren. Über das Wiescheiden sich aber dieGeister seit Langem.

Seite 29

E I N S O N D E R T H E M A D E R Z E I T U N G W I R T S C H A F T I N B A D E N - W Ü R T T E M B E R G

F INANZWIRTSCHAFTIM SÜDWESTEN

NOVEMBER 2014

VERSICHERUNG WIRTSCHAFT

BESCHÄFTIGTEWACHSTUM DIENSTLEISTUNG

FINANZBRANCHEWACHSTUMSPROZESSE

INDIREKTE EFFEKTEBEI DER BESCHÄFTIGUNG

STARKE REGION NEBEN DERLANDESHAUPTSTADT

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Page 23: Wirtschaft in Baden-Württbemberg

„Selbst kleineZahlen machenviel aus“

B a d e n - W ü r t t e m b e r g h a t z u s a m m e n m i tU n t e r n e h m e n a u s d e r P r i v a t w i r t s c h a f te i n e n W a g n i s k a p i t a l f o n d s a u f g e l e g t .I m I n t e r v i e w e r l ä u t e r t N i l s S c h m i d ,M i n i s t e r f ü r W i r t s c h a f t u n d F i n a n z e n ,d e n A n s a t z – u n d w a r u m d i eV o r b e r e i t u n g s o l a n g e d a u e r t e .

Herr Minister Schmid, als Finanz- undWirtschaftsminister schlagen bekannt-lich zwei Seelen in Ihrer Brust. Lassen

Sie zunächst den Wirtschaftsminister zu Wortkommen. Im August hat das Land einen Wag-niskapitalfonds ins Leben gerufen, der jungenUnternehmen unter die Arme greifen soll. Waswollen Sie damit bezwecken?Ich habe als Wirtschaftsminister mit derAmtsübernahme eine Gründeroffensive ge-startet. Dazu zählt eine Reihe von Baustei-nen. Zentral ist dabei der Wagniskapital-fonds zur Unterstützung von Existenzgrün-dern. Wir haben festgestellt, dass es inunserem Land zwar eine rege Gründertätig-keit gibt, wir aber forschungsintensive undtechnologieintensive Gründungen nochstärker unterstützen wollen.

Warum erst so spät?Wir sind an dem Thema lange dran. Estauchten jedoch bürokratische Hemmnisseauf, da derartige Fonds bei der Europäischen

Union angemeldet wer-den müssen. Und geradeda gab es Änderungenbei den Zulassungskrite-rien. Uns war es auchwichtig, Partner mit insBoot zu nehmen. Das istmit der Sparkassenversi-cherung und der Würt-tembergischen Versiche-rung gelungen. Ich bindavon überzeugt, derWagniskapitalfonds fin-det seine Abnehmer.

An wen denken Sie da?Wir wollen, beraten durch einen Beirat, vorallem im Bereich der im Koalitionsvertragdefinierten Wachstumsfelder Informations-und Kommunikationstechnologie, Gesund-heit, nachhaltige Mobilität sowie Umweltund Ressourceneffizienz Unternehmens-gründungen vorantreiben. Wichtig ist nichtnur die Zahl neuer Firmen. Vielmehr sollendie Unternehmer durch qualifizierte Bera-tung in die Lage versetzt werden, sich einedauerhaft gesicherte Existenz aufzubauen.

Wie weit reicht der Ein-fluss des Wirtschafts-ministers?Die Gesellschafter ent-scheiden natürlich. Es wurde auch keineBranchenfestlegung getroffen. Außer, dasswir technologieintensive Existenzgründun-gen unterstützen wollen. Das ist die Ziel-gruppe. Wir wissen von der L-Bank, die Be-teiligungskapital in einer späteren Phase derUnternehmensentwicklung ausgibt, dass re-lativ viele Unternehmen aus dem IT-Bereichdabei sind. Aber das ist keine Vorgabe, undda nehme ich auch keinerlei politischen Ein-fluss.

Wieso mischt sich das Land überhaupt imBereich der Wagniskapitalfinanzierung ein?Hier besteht eine Lücke in Baden-Württem-berg. Es wird häufig beklagt, dass es zu we-nig verfügbares Wagniskapital gibt, weil si-chere Anlagen existieren. Darum liegt da eingewisses Marktversagen vor. Das bedeutet

nicht, dass der Staat selbst Unternehmengründen sollte. Er kann aber die Kapitalfragelösen. Zumal wir einen Vervielfältigungsef-fekt haben. Das vom Land eingebrachte Geld– also die vier Millionen Euro – bringt zusätz-liche Kapitaleinlagen von Sparkassenversi-cherung und Württembergischer. Zusätzlichgibt es, weil das Wagniskapital immer eineMinderheitsbeteiligung ist, auch noch priva-tes Geld, in gleicher Höhe.

Was bedeutet das?So wird sichergestellt, dass es nicht verkopf-te Lieblingsprojekte von Politikern sind,sondern dass sich die Geschäftsidee amMarkt bewähren muss. Ich glaube, dass wirda richtig liegen, wie wir das in Baden-Würt-temberg angestoßen haben.

Stehen die Jungunternehmer Schlange?Wir haben nicht den Ehrgeiz, in der erstenRunde das ganze Geld auf einmal zu vertei-len. Das soll über drei bis fünf Jahre gehen.Wir werden da sorgfältig auswählen. Wich-tig ist, dass von jedem dieser Investmentseine starke Signalwirkung an private Inves-toren ausgeht. Alles, was wir vielleicht nichtmachen können, weil das Geld fehlt, könn-ten interessante Anlagen für Privatinvesto-ren sein. Neben der rein monetären Wir-kung ist es für mich ein starkes Aufbruch-signal für Existenzgründer.

Reichen die acht Millionen Euro überhaupt?Wir gehen davon aus, dass der Fonds zwi-schen 250 000 und einer Million Euro in einUnternehmen anlegt. Das ist in etwa dieGrößenordnung. Es ist nicht unser An-

spruch, mit einemFonds alle Finanzie-rungsdefizite zu lö-sen. Allerdings sto-ßen wir mit dem

Anlagevolumen dieses Fonds im Länder-Ranking aus dem Mittelfeld nach oben vor.Wenn wir durch den Fonds nur acht bisneun Investments realisieren, steht Baden-Württemberg bereits an der Spitze, wasdie Gründungsintensität bei Forschungs-und Technologieunternehmen angeht. Damachen selbst kleine Zahlen sehr viel aus.

Was hat das Land davon?Es geht um die Signalwirkung und umUnternehmen, denen wir helfen, Arbeits-plätze im Land aufzubauen. Je mehr positiveVorbilder wir haben, umso stärker kann sichdiese neue Gründerkultur, die wir im Landbrauchen, etablieren. Die Erfolgsgeschichteeiner jungen Firma, die durch die Förderunghochgekommen ist, strahlt auf ganz Baden-Württemberg aus.

Maximal 32 Unternehmen werden gefördert, dieLaufzeit beträgt vier Jahre, maximal acht Unter-nehmen im Jahr können unterstützt werden.Acht Millionen Euro sind im Topf. Ist das nichtviel zu wenig für eine wirkungsvolle Gründer-offensive?Nein, das ist realistisch. Wollen wir die glei-che Gründerzahlen wie Bayern erreichen,braucht Baden-Württemberg pro Jahr zweizusätzliche Beteiligungen im Bereich vonHigh Tech und sechs im Bereich der techno-logieintensiven Dienstleistungen. Da ist dievon mir angesprochene Signalwirkung andie privaten Investoren nicht mit eingerech-net. Bei anderen Fonds, die das Land schonlänger kennt, lässt sich diese Signalwirkungbeobachten. Auchwenn es auf den erstenBlick nach wenig Geldaussieht, kann eineHebelwirkung erzeugtwerden, weil private Investoren nachziehen.

Schmerzen die vier Millionen Euro aus dem Lan-deshaushalt nicht den Finanzminister in Ihnen?Nein, der Finanzminister ist begeistert, weiler mit relativ wenig Geld die Chancen er-höht, dass Mittelständler erfolgreich sind.Wir haben genügend Beispiele von Unter-nehmen, die sich etabliert haben und dannauch hier im Land Steuern zahlen. Deshalbwar der Finanzminister in mir damit sehreinverstanden.

Woher kommt das Geld für den Fonds?Die vier Millionen Euro sind seit Längeremim Haushalt reserviert für die Einrichtungeines Venture-Capital-Fonds. Das war eineEmpfehlung des Innovationsrats der Vor-gängerregierung. Doch seitdem liegt dasGeld da einfach.

Ist es in der Zeit mehr geworden?Leider nicht (lacht), die Zinsen waren zuniedrig. Ich hatte gehofft, dass es schnellergeht, aber wichtig war es, einen gutenFondsmanager und verlässliche Partner zuhaben. Ich halte es für ein gutes Zeichen,dass Unternehmen wie die Sparkassenversi-cherung oder die Württembergische Versi-cherung bereit sind, hier Versichertengelderanzulegen.

Würde Nils Schmid mit privaten Geld in denFonds einsteigen?Nein. Ich würde ohnehin davon abraten, beieiner privaten Anlagestrategie alles auf eineKarte zu setzen, also in dem Fall nur aufWagniskapital.

Wie sieht die Rendite aus?Wir versprechen keine Renditen.

Aber die Partner wollen Geld verdienen.Ja, und sie gehen davon aus, dass sie mit die-sem Fonds so viel Rendite erwirtschaften,wie man mit Wagniskapital erzielen kann.Also eine höhere Rendite als die in norma-len Anlageformen. Dem steht allerdingsauch ein höheres Risiko gegenüber.

Kann der Unternehmer mit dem Geld machen,was er will?Die Fondsmanager lassen sich regelmäßigdie Berichte des Unternehmens zeigen. Dasist üblich. Das wird an die Situation undGröße des Unternehmens angepasst. Wennein Unternehmer Mittel vom Venture-Capital-Fonds haben will, braucht er einenBusinessplan. Geht es um die Existenzgrün-dung, reicht es nicht aus, eine gute Idee zuhaben oder überzeugt zu sein, dass das Pro-dukt gut ist. Da braucht es auch eine kauf-männische Seite. Der Unternehmer mussnicht nur den VC-Fonds überzeugen, son-dern auch weitere potenzielle Geldgeber.Das gehört dazu.

Eine aktuelle Studie gibt dem Finanzplatz Stutt-gart gute Noten. Wo sehen Sie aus Sicht desLandes noch Handlungsbedarf?

Wenn man den Fi-nanzplatz Stuttgartbewertet, hängt ei-niges davon ab, wiees der LBBW geht.

Und die LBBW steht gut da. Die Restruktu-rierung ist auf einem guten Weg. Die Zahlenzeigen in die richtige Richtung. Für den Fi-nanzplatz sprechen auch die guten Ausbil-dungsmöglichkeiten. Wir haben mit denUniversitäten Hohenheim und Mannheimstarke Ausbildungsstätten. Aber eine Frageist, wie die akademische Aus- und Weiter-bildung intensiviert und sichtbarer gemachtwerden kann.

Sie sitzen im Kuratorium der Vereinigung derFreunde der Wertpapierbörse. Wie stehen Siedenn zur Forderung der Börse Stuttgart nachBörsenvorrang für Privatanleger?Die Frage ist, obdas gesetzlich ge-regelt werdenmuss. Da bin ichpersönlich skep-tisch. Wir wissen,dass sich die BörseStuttgart beson-ders um den Pri-vatanleger be-müht. Das hebt dieBörse Stuttgart vonanderen Markt-plätzen ab.

Und wie hält es derFinanzminister mitder persönlichenGeldanlage?Sehr konservativund sehr schwä-bisch.

Das Gespräch führ-ten Reimund Abelund Ingo Dalcolmo.

VENTURE CAPITALEXISTENZGRÜNDER

UNTERNEHMERTUMTECHNOLOGIE-INTENSIVRISIKO INNOVATIONSRAT

HIGH TECH RENDITEDIENSTLEISTUNGEN

BUSINESSPLAN LBBWMARKT PRIVATANLEGER

„ES GEHT UM DIESIGNALWIRKUNG“

„KEINE VERKOPFTENPROJEKTE VON POLITIKERN“

FINANZWIRTSCHAFT IM SÜDWESTEN26 November 2014

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ZUR PERSON

Dr. Nils Schmid (SPD) ist seit der baden-württembergischen Landtagswahl 2011stellvertretender Ministerpräsident so-wie Minister für Finanzen und Wirt-schaft. Seit 1997 gehört Schmid demLandtag an. Im November 2009 wurde erzum Landesvorsitzenden der SPD Baden-Württemberg gewählt; Mitglied der Par-tei ist er seit 1991.Schmid wurde 1973 als Sohn eines

Zollbeamten und einer Lehrerin gebo-ren. Nach Abitur und Zivildienst studier-te Schmid Rechtswissenschaften an derUniversität Tübingen, wo er 1999 das Ers-te Juristische Staatsexamen ablegte. Dasanschließende Referendariat beendete er2001 mit dem Zweiten Staatsexamen.2006 folgte die Promotion. Seit 2001 istSchmid als selbstständiger Rechtsanwalttätig; seine Zulassung ruht. Schmid istverheiratet und hat zwei Kinder. oh

Page 24: Wirtschaft in Baden-Württbemberg

Euro berechnet wird. Solche Bilanzsummenweist vor allem das Gros der Sparkassen auf,aber auch viele Genossenschaftsbanken lie-gen in diesem Bereich, etwa die VolksbankStuttgart. „Es ist jedenfalls davon auszuge-hen, dass die Belastung viel zu hoch seinwird“, sagt Schorr, den vor allem die Summeder Regularien umtreibt, die die Banken aufInitiative der EU-Kommission erfüllen müs-sen. „Es ist die Additionder Einzelmaßnahmen,die einen nicht unerheb-lichen Verwaltungsauf-wand darstellt“, sagt er.Und je kleiner eine Banksei, desto unverhältnis-mäßiger wirke sich dieBelastung durch dieeuropäische Regulierungaus.Auch im Sparkassen-

lager sieht man angesichts einer „unglaubli-chen Regulierungsdebatte“, wie Schneider esnennt, vieles auf dem Spiel stehen. So habeman zwar erreicht, dass die Sparkassen –ebenso wie die Genossenschaftsbanken – imRahmen des neuen europäischen Aufsichts-mechanismus nicht der direkten Aufsichtder Europäischen Zentralbank (EZB) unter-liegen, sondern weiter von Bafin und Bun-desbank beaufsichtigt würden.

„Dennoch droht uns eine immer stärkeran internationalen Bankkonzernen ausge-richtete Aufsicht direkt durch die EZB“,fürchtet Schneider. Die EZB baue dazu be-reits eine Generaldirektion für die Über-wachung kleinerer Institute auf, sagt er undverweist darauf, dass die oberste Banken-aufseherin der EZB, Danièle Nouy, kürzlicheinen Stresstest für kleine Kreditinstitutewie Sparkassen und Genossenschaftsbankenins Spiel gebracht hat. Ähnlich klingt das beiGlaser: „Die Volksbanken und Raiffeisen-banken in Baden-Württemberg wehren sichgegen eine zu wenig differenzierte Betrach-tung des Bankenmarkts“, so der Präsidentdes BWGV.Vor diesem Hintergrund gemeinsamer

Interessen üben Sparkassen und Genossen-schaftsbanken regelmäßig den Schulter-schluss. So fahren die Verbandsspitzen ein-mal im Jahr nach Straßburg, um mit denEuropa-Abgeordneten aus Baden-Württem-berg aktuelle Fragen und Gesetzesvorhabender EU zu besprechen. Wie man hört, stehtder nächste Termin für das kommende Jahrbereits fest. Thomas Spengler

Milliarden Euro gesteigert. Steil nach obenist auch die Entwicklung bei den Genossen-schaftsbanken im Land verlaufen, die ihreMittelstandskredite im selben Zeitraumum 19,6 Prozent auf 30,6 Milliarden Euroerhöhen konnten.

Auch wenn nun für Kleinbankeneine überschaubare Größenordnungfür die Abgabe erreicht worden ist, är-gert die Institute vor allem eins: „Wirkommen nie in den Genuss desFonds, müssen aber einbezahlen.Zusammen mit den Aufwendun-gen für den eigenen Sicherungs-fonds ergibt sich daraus eineDoppelbelastung für jedes Insti-tut“, macht Gerhard Schorr,Verbandsdirektor beim Baden-Württembergischen Genos-senschaftsverband, klar. ImSparkassenlager wird diesgenauso gesehen.

Es ist auch noch nichteindeutig geregelt, nachwelchen Risikofaktorendie Abgabe für Institutemit einer Bilanzsum-me ab einer Milliarde

und Auslandsbanken vonjetzt auf nachher aus demStaub machten“, sagt erüber die Zeit nach 2008während der Finanz-marktkrise. So habenzum Beispiel die baden-württembergischenSparkassen ihre Kre-dite an den Mittel-stand seit 2008um 13 Prozentauf heuterund 50

I m Alltag führen sie als Rivalen in ihrenMarktgebieten einen gesunden Wett-streit um die Kunden. Doch wenn es um

die Verteidigung des Drei-Säulen-Modells inder deutschen Kreditwirtschaft gegenüberder Europäischen Union geht, ziehen Spar-kassen und Genossenschaftsbanken aneinem Strang – etwa beim Gerangel um dieeuropäische Bankenabgabe.So haben die beiden Institutsgruppen

gegenüber Brüssel – mit Unterstützung derBundesregierung – eine gemeinsame Strate-gie vertreten, als es bis Ende Oktober bei derEU-Kommission um die Ausgestaltung einesgemeinsamen europäischen Fonds zur Ab-wicklung von Banken gegangen ist. Von den55 Milliarden Euro, die von 2016 bis 2023 zurAbwicklung maroder Institute von der eige-nen Branche zur Verfügung gestellt werden,müssen nun die deutschen Banken 15,4 Mil-liarden Euro aufbringen. Davon entfällt mit85 Prozent der Löwenanteil auf die großenBanken.Sparkassen und Genossenschafts-

banken wird dagegen angerechnet,dass sie bereits ein eigenes, funk-tionierendes Institutssiche-rungssystem unterhalten. Au-ßerdem wird ihr Risikofak-tor als geringer erachtet.Darüber hinaus wur-den für Banken miteiner Bilanzsum-me von weni-ger als einerMi l l i a rde

Euro Pau-schalbeträgevon 1000 bis50 000 Euro verein-bart. Nationalen Be-hörden wie der deut-schen Bundesanstalt fürFinanzdienstleistungsauf-sicht (Bafin) wird ein gewisserSpielraum eingeräumt, indem sieetwa diese Schwelle auf bis zu dreiMilliarden Euro anheben können. DenBetrag allerdings, den die kleinen Bankendann weniger bezahlen, muss die Bafin beianderen, größeren Instituten eintreiben.Bedeutet die Einigung auf eine Formel

bei der Bankenabgabe also einen Sieg fürSparkassen und Genossenschaftsbanken?Mitnichten, heißt es aus beiden Instituts-gruppen unisono. „Die Genossenschafts-banken haben die Finanzmarktkrise nichtverursacht, und sie haben auch als einzigeBankengruppe Deutschlands die Hilfe desSteuerzahlers nicht in Anspruch nehmenmüssen“, sagt dazu der Präsident des Baden-Württembergischen Genossenschaftsver-bands (BWGV), Roman Glaser.Ins gleiche Horn stößt Peter Schneider,

der Präsident des SparkassenverbandsBaden-Württemberg. „Wir Sparkassen ha-ben gemeinsam mit den Genossenschafts-banken die Kreditfinanzierung unsererWirtschaft gesichert, während sich die Groß-

An einem Strang

EZB EU-KOMMISSION BAFINSTRESSTESTEUROPA BILANZSUMMEREGULIERUNGBUNDESBANK DREI-SÄULEN-MODELL

FINANZKRISE

FINANZWIRTSCHAFT IM SÜDWESTEN 27November 2014

Kommt auch ein Stresstest für kleine Banken? Foto: dpa

S p a r k a s s e n u n d G e n o s s e n s c h a f t s b a n k e n ü b e n d e n S c h u l t e r s c h l u s s

HETEROGENERBANKENMARKT

Foto

:Patricia

Sigerist

SICHER HAT MAN HEIMATLIEBE AUCH HIER IN BADEN-WÜRTTEMBERG ERFUNDEN.@ Nirgendwo können Erfinder so gut arbeiten – und leben. Die L-Bank trägt dazu bei: Wir fördern das Inno-

vationsklima mit verschiedenen Programmen für mittelständische Unternehmen. Und die Lebensqualität mit

Maßnahmen für Familien, für die Infrastruktur und den Klimaschutz. Damit auch in Zukunft viele Erfindungen aus

Baden-Württemberg um die Welt gehen – und die Erfinder hier bleiben. Näheres unter www.l-bank.de

Page 25: Wirtschaft in Baden-Württbemberg

FINANZWIRTSCHAFT IM SÜDWESTEN28 November 2014

Honorar-Anlageberater und Honorar-Finanzanlagenberater dürfen keine Provisionen von Produktanbietern oder anderen behalten. Das soll sie unabhängiger machen. Foto: Viorel Sima/Fotolia

desanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht(Bafin) zu unterstellen. Das sei im aktuellenGesetz nicht vorgesehen. „Diese Sonder-behandlung widerspricht sowohl demGrundsatz des Anlegerschutzes als auch derWettbewerbsgleichheit, da die Honorar-Fi-nanzanlagenberater allein der weniger spe-zialisierten Gewerbeaufsicht unterliegen.“Deutschland hat beim Thema Honorar-

beratung im Vergleich zu anderen LändernNachholbedarf. Bei vielen europäischenNachbarn ist die Honorarberatung sehr vielweiter vorangeschritten. So hat beispielswei-se die britische Finanzaufsicht Provisionenim Finanzvertrieb bereits im Januar 2013komplett verboten. Und das in den Nieder-

landen zunächst nur fürVersicherungen gelten-de Provisionsverbotwurde zum 1. Januar2014 auf sämtliche Fi-

nanzprodukte ausgeweitet. Auch in Skandi-navien gibt es bereits seit zehn Jahren einNettoprämiensystem, kombiniert mit Hono-raren.Bisher gibt es in Deutschland noch we-

nig Interesse der Kunden beim Thema Hono-rarberatung. Massentauglich ist das Modellalso derzeit nicht. Zumal Kunden für die Be-ratung zahlen müssen, auch wenn sie ihrGeld gar nicht anlegen wollen. Aber es be-steht die Chance, dass das Thema an Fahrtaufnimmt. Wenn Verbrauchern klar wäre,wie viel Provision sie für eine vermeintlicheBeratung tatsächlich zahlen, würden sie fest-stellen, dass die Honorarberatung in denmeisten Fällen günstiger ist, heißt es bei Ver-braucherschützern. Oliver Schmale

Euro. Der Anlageberater muss Provisionenoffenlegen. Nach der Erfahrung von Ver-braucherschützern steckt der Teufel aber imDetail. Denn die Provisionen sind nicht im-mer transparent. Die Kreditinstitute sehenunter anderem die strikte Trennung vonHonorarberatung und Beratung auf Provi-sionsbasis kritisch. Dies werde in der Praxiskleinere und mittlere Institute aufgrundmangelnder Ressourcen zu einer Entschei-dung „entweder – oder“ zwingen. Bei derKreditwirtschaft erwartet man offensicht-lich, dass sich nicht viel ändern wird. Denn:„Nunmehr ist es an den Kunden zu entschei-den, ob sich diese Art der Anlageberatungim Markt durchsetzt“, heißt es in einer Stel-lungnahme.Für die Breite des

Marktes werde die Ver-mittlung auf Provi-sionsbasis bevorzugt,erklärt der Deutsche Sparkassen- und Giro-verband. In der genossenschaftlichen Ban-kengruppe seien gegenwärtig keine Tenden-zen absehbar, die auf eine organisatorischeUmstellung der Kundenberatung auf eineHonorar-Anlageberatung hindeuteten, er-klärt auch der Bundesverband DeutscherVolksbanken und Raiffeisenbanken. „Esbleibt abzuwarten, ob sich die Beratunggegen Honorar im deutschen Markt über-haupt etablieren wird.“Die Kreditwirtschaft bemängelt Folgen-

des an der neuen Regelung: Leider habe esder Gesetzgeber versäumt, nicht nur die beiden Banken angesiedelten Honorar-Anlage-berater, sondern auch die (freien) Honorar-Finanzanlagenberater der Aufsicht der Bun-

ne Provisionen von Produktanbietern oderanderen behalten, deren Finanzprodukte sievermitteln. Banken und Sparkassen müssendie Beratungssysteme organisatorisch strikttrennen. Wer als Honorarberater tätig ist,wird in ein öffentliches Register eingetragenund darf dann nicht mehr auf Provisions-basis arbeiten.Durch Falschberatung entstehen den

Verbrauchern jährlich Schäden in Milliar-denhöhe. Die Quirin Bank mit ihrer Nieder-lassung in Stuttgart bietet seit 2007 Hono-rarberatung in Stuttgart an. Sie betreut 1000Kunden mit einem Volumen von rund 300Millionen Euro, wie eine Sprecherin berich-tet. Ein dauerhaftes Beratungsmandat rech-ne sich ab einem Anlagevolumen von100 000 Euro, im Schnitt legten die Kundenjedoch das Dreifache an. Das erste Gesprächdiene dem gegenseitigen Kennenlernen,dauere ungefähr eineinhalb Stunden und seifür den Kunden kostenlos. „Die weiteren Ge-spräche führen in der Regel zur Eröffnungeines Depots, das mit circa einem Prozentdes Depotwertes pro Jahr transparent ver-gütet wird.“Das neue Gesetz in Deutschland gilt

nicht für alle Finanzprodukte, sondern nurfür Wertpapiere und Vermögensanlagen.Ausgenommen sind beispielsweise Kapital-lebensversicherungen, Bausparpläne oderSpareinlagen. Eine verbraucherfreundlicheRundumberatung ist somit nach Auffassungder Verbraucherschützer nicht möglich.Doch wie hoch ist eigentlich das Honorar?Eine Gebührenordnung gibt es nicht. Häufigwird pro Stunde abgerechnet, der Branchezufolge sind es derzeit im Schnitt etwa 150

D as Thema Anlageberatung ist einheißes Eisen. Der Hauptvorwurf derVerbraucherschützer an die Berater:

sie verkaufen ihren Kunden nicht immer dasfür sie passende Finanzprodukt, sondernsolche, bei denen sie hohe Provisionen er-halten. Die Bundesregierung will die Bera-tung gegen Honorar stärken. Seit AnfangAugust ist das sogenannte Honorar-Anlage-beratungsgesetz in Kraft. Was es tatsächlichbringt, ist jedoch umstritten. „Die Honorar-Anlageberatung ist derzeit noch unzurei-chend geregelt“, moniert Niels Nauhauservon der Verbraucherzentrale Baden-Würt-temberg. Weder sei sichergestellt, dass die

Qualifikationder Berateraus re i chendsei, noch seiderzeit einefunktionieren-de Aufsicht si-chergestel l t ,die Fehlbera-tung sanktio-nieren könne.Der Grund

für das Gesetzist ganz pro-

fan gewesen: mögliche Fehlanreize im Zugeder provisionsbasierten Beratung, so dasBundesfinanzministerium. Anleger seien oftschlecht beraten und die Risiken bestimm-ter Produkte verschleiert worden. Es gibtneben der Anlageberatung auf Provisions-basis künftig eine gesetzliche Regelung fürsogenannte Honorar-Anlageberater und Ho-norar-Finanzanlagenberater. Sie dürfen kei-

Ein NischenangebotP r o v i s i o n s u n a b h ä n g i g e B e r a t u n g s p i e l t b i s l a n g k e i n e g r o ß e R o l l e

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GESETZ ANLEGERSCHUTZÖFFENTLICHES REGISTER

GEWERBEAUFSICHT ANLAGE

M an kann ihn getrost als Experten inSachen Schwabentum bezeichnen.In seinen Büchern, Reden oder

Sprüchen ist Manfred Rommel tief in dieGründe der schwäbischen Seele eingetaucht.Und so konstatierte der Politiker, der von1974 bis 1996 Oberbürgermeister seiner Ge-burtsstadt Stuttgart war, einst in der ihm soeigenen trocken-ironischen Art: „Der Schwa-be tut so, als sei er arm, aber er ist beleidigt,wenn andere ihm das glauben.“ Damitbrachte Rommel das Dilemma jenes Volks-stamms im Südwesten, den der erste Bun-despräsident der Republik, Theodor Heuss,als den „kompliziertesten, gewiss aber denspannungsreichsten unter den deutschenStämmen“ bezeichnete, treffend auf denPunkt: Über Geld reden, das ist nicht so dasDing des Schwaben an und für sich. Viel-leicht ist es das Ding der Reigschmeckten,sprich der Zugezogenen, die so gerne mit„Mein Auto, mein Haus, meine Yacht“ ange-ben. Wie erklärte doch einst eine von Nor-den eingereiste Geschichtslehrerin denSchülern eines schwäbischen Gymnasiumsin unbekümmert rheinischem Frohsinn:„Die schwäbische Dame trägt den Pelz nachinnen, außen sieht man nur den abgewetz-ten Trenchcoat.“ Ob sich danach Eltern be-schwert haben, istnicht überliefert.Doch ob Urteil

oder Vorurteil,klar ist, Würt-temberg gehör-te einst zu denärmsten Gegen-den. Und Armutgebiert Spar-samkeit – sowiebei den Schwa-ben insbesonderedie klangvollenPrämissen „Nix ver-komme lasse!“ und„Auf sei Sach ufpasse“,

was auf Hochdeutsch so viel bedeutet wie„Verwerte gefälligst alle Reste“ und „Gib achtauf dein Hab und Gut“. Wenige Wörter, diezeigen, dass der Schwabe auch sprachlichökonomisch zu agieren weiß. Manche nen-nen es maulfaul. Wie auch immer, es gibtkaum einen Dialekt, in dem man sich mit sowenigen Silben einen Abend lang unterhal-ten kann. Nach Peter-Michael Mangold, Au-tor eines Online-Lexikons für Schwäbischsind das: Ha noi – Ha no – Awa – Au no.Sind die Ressourcen knapp, muss man

sie halt schonen. Wer wenig hat, schaut zu-dem, was er daraus machen kann. Und sowurde aus dem Schwabenland das sprich-wörtliche Ländle der Tüftler und Erfinder.Vieles, was heute im Haushalt steht oderdurch die Straßen tuckert, stammt aus demSüdwesten. Und obschon die Schwaben Neu-em – wie auch den Reigschmeckten – zu-nächst durchaus skeptisch gegenüberstehenkönnen, an Fortschritt sind sie stets interes-siert. Freilich nur, wenn er es wert ist oderwirklich ein solcher ist. Womöglich willeinen jemand reinlegen!Angesichts dieser Befindlichkeiten der

schwäbischen Seele wird deutlich, warumder Schwabe selten oder ungern über denMammon oder gar über Finanzprodukte

schwätzt: Wem schon seit Jahr-hunderten vererbt wird, „seiSach“ zusammenzuhalten,wer mit vier Wortpaaren aus-kommt und dabei mit einer gu-ten Prise Skepsis gesegnet ist,der wird nicht am Stammtischund schon gar nicht beimBankberater seine finanziellenKarten nonchalant auf denTisch legen. Die richtig Rei-chen der Welt halten es schonseit Jahrhunderten mit dem –ohne Zweifel von den ausgewan-

derten Schwaben abgeguckten –Motto: „Über Geld spricht man nicht,man hat es“. peix

Ha noi – Ha no –Awa – Au noW a r u m S c h w a b e n u n g e r nü b e r G e l d s p r e c h e n

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Page 26: Wirtschaft in Baden-Württbemberg

der Bundesanstalt für Finanzdienstleis-tungsaufsicht, sieht dies anders. „Ich glaubenicht, dass das Beratungsprotokoll dazu ge-führt hat, dass die Banken die Leute nichtmehr beraten. Zudem ist Beratung ja nichtper se gut. Wir wollen gute Beratung“, soBirnbaum. „Und wenn sich Institute zurück-ziehen, kann das auch daran liegen, dass sienicht genug qualifiziertes Personal haben.“

Dass die entstandene Situation in derAnlageberatung keine befriedigende ist,hat auch die Bundesregierung erkannt.„Das Beratungsprotokoll werden wirim Hinblick auf die praktikable Hand-habung prüfen“, heißt es dazu im Ko-alitionsvertrag. Und nun scheint Bun-desjustizminister Heiko Maas Ernstzu machen. Ab-schaffen will erdie Protokollezwar nicht, abersie sollten künftig„ihrer Funktiongerecht werden“.Dabei werden imGrunde zwei Än-derungsansätzeverfolgt. Zum einen wird erwogen, denschieren Umfang der Protokolle ein-zuschränken. Zum anderen könnte esmehr Fälle geben, in denen man aufdas Protokoll verzichten darf.Grundsätzlich geht es bei der

Debatte auch um die Frage, inwieweitder Staat unter dem Etikett des Anle-gerschutzes künftig in die Anlageent-scheidungen des Einzelnen eingreifensoll und darf. So sieht der Entwurf desKleinanlegerschutzgesetzes etwa dieMöglichkeit eines Werbeverbots fürbestimmte Geldanlagen in allgemeinenMedien vor, die keine Wirtschaftsbe-richterstattung betreiben. Als alarmie-rend sieht hier Christoph Boschan, Ge-schäftsführer der Börse Stuttgart Holding,das dahinterstehende Leitbild des in Finanz-fragen unmündigen Bürgers, dem bestimm-te Medieninhalte vorzuenthalten seien, dersich aber zugleich verstärkt eigenständigum seine Altersversorgung kümmern solle.„Der Ruf nach dem Staat ist populär, abereine pauschale Befreiung von der eigenenSorgfaltspflicht kann es nicht geben“, sagtBoschan. Vor diesem Hintergrund führt keinWeg an mehr Bildung der Verbraucher in Fi-nanzfragen vorbei. „Besser als Verbote sindalle Initiativen, die die Selbstverantwortungder Privatanleger fördern“, so Boschan. Alsnachhaltigste Maßnahme in diesem Sinneist die Entscheidung der Landesregierungzu werten, an allen allgemeinbildendenSchulen das Fach „Wirtschaft Berufs- undStudienorientierung“ einzuführen. spe

gar nicht mehr beraten“, so Burghof. Gün-ther Birnbaum, Abteilungspräsident Be-

reich Wertpapieraufsicht und As-set-Management bei

protokollen klingt nach einer tollen Idee,hat aber vor allem einen Effekt:Menschen mit geringemVermögen werden

S eit der Gesetzgeber 2010 damit begon-nen hat, die Bankberatung immerstrenger zu regulieren, hat der Papier-

kram bei den Beratungsgesprächen massivzugenommen. Seitenweise müssen Bera-tungsprotokolle erstellt werden, was lautDeutschem Aktieninstitut (DAI) dazu ge-führt hat, dass manche Bankberater schonvon Aktien abraten würden. Jedenfalls ha-ben sich einer DAI-Studie zufolge knapp15 Prozent aller Finanzhäuser, die früher inder Aktienberatung tätig gewesen sind, ausdem Geschäft zurückgezogen. Versuche mitTestkunden haben zudem ergeben, dass dieHoffnung, die Beratung werde sich durchdie Protokolle verbessern, eine Illusion war.„In den vergangenen Jahren wurde die

Beratung kaputtreguliert – und gleichzeitigauch der Anlegerschutz“, sagt dazu MarcTüngler, Hauptgeschäftsführer der Deut-schen Schutzvereinigung für Wert-papierbesitz. Beratungsprotokolledienten in ihrer jetzigen Form nichtden Anlegern, sondern der Befreiungder Banken von Haftungsrisiken. Sohat seit Einführung der Protokollekein Anleger mehr einen Prozess we-gen Falschberatung der Bank gewon-nen. „Die Beratungsprotokolle sindschlichtweg eine Katastrophe“, resü-miert Tüngler.Dorothea Mohn, Leiterin des Teams Fi-

nanzen beim Bundesverband der Ver-braucherzentralen, stimmt Tünglers Schluss-folgerungen zu, setzt sich aber zugleichdafür ein, dem Instrument des Beratungs-protokolls noch eine Chance zu geben:„Wenn Protokolle sinnvoll sein sollen, dannbedarf es einer stärkeren Standardisierung.“Falls auch dies nicht ausreiche, sei ein ande-rer Weg nötig: „Ich glaube, dass wir früheroder später zu einem Provisionsverbot kom-men werden“, sagte Mohn kürzlich.Das Beispiel Beratungsprotokoll macht

deutlich, dass die Regulierungsdebatte ein-mal mehr um die Frage nach einer Balancezwischen ausreichendem Anlegerschutz undden Folgen eines Übermaßes an Regulierungkreist. So weist Hans-Peter Burghof, Inhaberdes Lehrstuhls für Bankwirtschaft und Fi-nanzdienstleistung an der Universität Ho-henheim, auf die Gefahren einer zu hohenRegulierungsintensität hin: „Maßhalten isthier enorm wichtig. Extreme sind selten diebeste Lösung“, sagt er. Bei jedem staatlichenEingriff gelte es zu prüfen, ab wann denMenschen damit nicht mehr gedient werde.In einzelnen Bereichen sei dieser Punktlängst überschritten. Als Beispiele nenntBurghof die umfangreichen Dokumente zurInformation von Kapitalanlegern, die nie-mand mehr lese, wie er sagt, sowie die Anla-geberatung. „Die Einführung von Beratungs-

Zu viel PapierA n d e r R e g u l i e r u n g d e r A n l a g e b e r a t u n g s c h e i d e n s i c h d i e G e i s t e r

WERBEVERBOT ANLEGERWERTPAPIERAUFSICHTVERBRAUCHER PROTOKOLLVERANTWORTUNG LEITBILD

KOALITIONSVERTRAG

FINANZWIRTSCHAFT IM SÜDWESTEN 29November 2014

D ie neue Finanzmarktrichtlinie derEU-Kommission gaukelt zwar vor,den Wertpapierhandel stärker zu re-

gulieren. In Wahrheit aber wird nur an eini-gen außerbörslichen Handelssystemen et-was nachgebessert, wo bisher nichts regu-liert war. Damit bringt die überarbeiteteFinanzmarktrichtlinie Mifid II (Markets inFinancial Instruments Directive) nach Über-zeugung der Börse Stuttgart nur die zweit-beste Lösung für den Anleger. Zwar werdenneue nicht oder nur schwach regulierte Han-delsplattformen, die seit Einführung der Mi-fid I 2007 erst entstanden sind, in Ansätzenetwas stärker reguliert als bisher. Aber derSchutz der Anleger und die Funktion desKapitalmarkts werden nicht auf das Niveauregulierter Märkte zurückgeführt. Ergo: Auf-träge von Privatanlegern werden weiterhinhäufig an nicht regulierten Märkten und da-mit auch im Schattenreich intransparenterDark Pools ausgeführt, ohne dass es denAuftraggebern immer klar ist.Wertpapier-Orders von Privatanlegern

sollten aber aus Sicht der Börse grundsätz-lich an einem regulierten Markt wie der Bör-se ausgeführt werden. „Nur dort gibt es den

Schutz und die Verläss-lichkeit einer un-a b h ä n g i g e nHandelsüber-wachung so-wie die Vorzü-ge einer neu-

tralen Preisermittlung und einervollständigen Transparenz“, sagt ChristophBoschan, Geschäftsführer der Börse StuttgartHolding.Außerdem wird mit der Mifid II der

Wettbewerb zwischen börslichen, also regu-lierten, und nicht oder kaum reguliertenWertpapierhandelssystemen unter unglei-chen Bedingungen fortgesetzt. Währendeine Börse eine Handelsüberwachung odereine Zulassungsstelle aufrechterhalten undfür eine lückenlose Vor- und Nachhandels-transparenz sorgen muss, existieren fürnicht regulierte Märkte keine derartigenVorgaben, oder sie sind nur rudimentärvorhanden. Dadurch sind regulierte Börsenteurer als nicht regulierte Plattformen wieMultilateral Tradings Facilities, systemati-sche Internalisierer und der klassischeaußerbörsliche Handel. Das „regulatorischeGepäck“, wie Boschan es nennt, das die tra-ditionellen Börsen dadurch mit sich herum-tragen, macht nach seiner Schätzung 70 Pro-zent der Betriebskosten einer Börse aus.Die Börse Stuttgart hat auf den Trend zu

mehr außerbörslichem Handel reagiert, in-dem sie im April Cats-OS, das außerbörs-liche Handelssystem der Citigroupfür den Zertifikatehandel, erwor-ben hat. An der neuen FirmaBörse Stuttgart Cats hältdie Citigroup jedocheine Minderheit.T. Spengler

Im SchattenreichA u ß e r b ö r s l i c h e r H a n d e l n i m m t z u

Foto: rdnzl/Fotolia

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:Max

Kova

lenko

Das verbindet mich mit meiner Bank. Als Unternehmer packe ich überall mit an. Darum schätze ich einen Partner, der den Mittelstand kennt und mich in allen Belangen aktiv begleitet. Von der Finanzierung über die Risikoabsicherung bis zur Nachfolgeregelung. Und was verbindet Sie mit Ihrer Bank?

SÜDWESTBANK AG, Rotebühlstraße 125, 70178 Stuttgart��������������� ���������������������������������������������������������������

Immer.Pragmatisch?

Werte verbinden.

Page 27: Wirtschaft in Baden-Württbemberg

D er Mittelstand ist das Rückgrat derWirtschaft im Südwesten. Die großeMehrheit dieser rund 500 000 Be-

triebe beschäftigt weniger als 250 Mitarbei-ter; fast die Hälfte der im Mittelstand Be-schäftigten arbeiten in Unternehmen mitzehn bis 250 Mitarbeitern. Und vor diesemHintergrund spielt die Finanzierung immereine besondere Rolle. „Es ist wichtig, dassdiese Unternehmen ihre Betriebe voranbrin-gen können und an ausreichend Finanzie-rungen kommen“, sagt eine Sprecherin derBürgschaftsbank. Diese und die Mittelstän-dische Beteiligungsgesellschaft (MBG) sowiedie L-Bank und die Kreditanstalt für Wieder-aufbau (KfW) helfen den Unternehmen mitspeziellen Fördertöp-fen, um an Geld zukommen. Oftmals gehtes darum, Nachteileauszugleichen, die dieKleinen bei der Finanzierung gegenüberbörsennotierten Unternehmen haben.Alle Förderinstitute arbeiten mit den

Kreditinstituten vor Ort zusammen, wie dieSprecherin erläutert. Denn: „Es gilt dasHausbankprinzip. Das heißt, der Unterneh-mer muss zuerst zu seiner Hausbank unddort sein Vorhaben vorstellen.“ Ist die Haus-bank überzeugt, dann ist eine wichtige Hür-de genommen. Die Geschäftsidee oder eineInvestition muss sich also rechnen. DerUnternehmer muss nämlich nicht nur Zin-sen und Tilgung zahlen, sondern auch vonseinem Vorhaben leben können.Die Bürgschaftsbank Baden-Württem-

berg kann den Angaben zufolge höchstenseine Bürgschaft in Höhe von 1,25 Millionen

Euro übernehmen. Das Gleiche gilt für dieMBG: Bei ihr ist der Höchstbeteiligungs-betrag ebenfalls 1,25 Millionen Euro. Doch esgibt gleichfalls noch ein anderes Angebot,bei dem es um viel kleinere Summen geht.Es handelt sich um das Programm Mikro-mezzanin, eine Kleinstbeteiligung zwischen10 000 und 50 000 Euro. „Das Programmrichtet sich an junge Gründer sowie anUnternehmen, die vielleicht aufgrundihrer Herkunft oder persönlichen Situa-tion keinen Zugang zu einer Finanzie-rung hätten“, beschreibt die Sprecherindie Zielgruppe. Wenn die Wirtschaft nichtso rund läuft, steigt die Nachfrage nachBürgschaften. „Aktuell merken wir, dass die

Unternehmen sich stra-tegisch mit eigenkapi-talähnlichen Mittelneindecken in Form derstillen Beteiligungen

der MBG Baden-Württemberg“, so die Spre-cherin weiter. Denn Eigenkapital sei Krisen-vorsorge.Der größte Geldgeber der heimischen

Wirtschaft im Land ist die L-Bank. Das För-derinstitut unterstützt mit seinen Finanzie-rungsangeboten jährlich mehr als 6000etablierte Unternehmen. Hinzu kommenzwischen 2500 und 3000 Existenzgründun-gen. So werden jedes Jahr rund 9000Arbeitsplätze durch geförderte mittelständi-sche Unternehmen und rund 4000 durchExistenzgründer geschaffen. Im ersten Halb-jahr flossen 1,5 Milliarden Euro an die Wirt-schaft in Baden-Württemberg.Mit mehr als einer Milliarde Euro finan-

zierte die L-Bank Investitionen von 3000

etablierten Unternehmen. Für 1400 Grün-dungsvorhaben flossen 232 Millionen Euro.430 landwirtschaftliche Betriebe wurdenmit 76 Millionen Euro gefördert. Damit be-wegen sich die Ergebnisse zum Halbjahr

2014 leicht unterhalb dessehr hohen Vorjahres-niveaus, wobei 2013ein Rekordjahr fürdie Wirtschaftsför-derung war.

Für seine Finanzierungsvorhaben nutztder Mittelstand vorrangig klassische Förder-kredite. Die nachfragestärksten Programmesind dabei die Wachstumsfinanzierung, die2012 gestartete „Energieeffizienzfinanzie-rung – Mittelstand“ sowie die Investitions-finanzierung. Schwerpunkte der nachfra-genden Unternehmen seien Investitionen inAnlagen und Gebäuden vor allem mit demZiel des Kapazitätsausbaus. Insbesonderewenn es um neue Produktionsanlagen oder

Gebäude geht, setzen die Unterneh-men dabei immer häufiger aufLösungen, die nachhaltig denEnergieverbrauch der neuenMaschine oder Werkshallesenken. Deshalb gibt es

auch Liquiditätskredite zur Betriebsmittel-finanzierung.Die Nachfrage hängt vom wirtschaft-

lichen Umfeld ab. In den Zeiten der Finanz-marktkrise und der anschließenden wirt-schaftlichen Schwächeperiode waren es eherLiquiditätskredite, die verstärkt nachgefragtwurden. Diese bieten eine Kombination ausZinsverbilligung und Risikoübernahme undwurden vor allem zur Betriebsmittelfinan-zierung genutzt. Und in der aktuellen Phasewerden den Angaben zufolge vor allemWachstumskredite und Energieeffizienz-finanzierungen nachgefragt. „Besonders mitden Finanzierungen energetischer Vorhabenverbessern die Unternehmen ihre Wettbe-werbsfähigkeit und entlasten die Umwelt“,wie die Sprecherin erläutert. Oliver Schmale

Mit dieser systematischen Herangehens-weise haben sich Leicht und seine drei Haus-banken zügig auf ein Finanzierungsmodellfür beide Investitionsprojekte verständigt,so dass sich die Projekte rasch realisieren lie-ßen. Der Bau der automatischen Bauteile-fertigung wurde, nachdem das erste Bankge-spräch im November 2011 stattfand, im Sep-tember 2014 fertig gestellt. Bei demAusstellungs- und Schulungszentrum vonLeicht dauerte es 27 Monate bis zur Fertig-stellung im Oktober 2014. In beiden Fällenwurde eine Finanzierung mit 80 ProzentFremdkapital durch die Bankpartner ge-wählt.„Die Beispiele stehen für klassische bila-

terale Unternehmenskredite“, sagt SiegfriedStangohr, Vorsitzender der Geschäftsleitung

für das MarktgebietWürttemberg bei derCommerzbank. Alledrei Hausbanken ha-ben jeweils ein Drittel

finanziert, und alle wussten voneinander.„Wir spielen mit offenen Karten“, betontWaldenmaier. Seit der Kreditvergabe redetLeicht quartalsmäßig mit seinen Hausban-ken über die Entwicklung des Unterneh-mens und hält diese auf dem Laufenden.Stangohr betont im Verhältnis zwischen

Banken und mittelständischen Firmen-kunden die Bedeutung des kooperativenUmgangs miteinander. „Man sollte sichauch mal frühzeitig warnen, bevor etwasanbrennt – so wie in einer Ehe“, sagt er. Dazuzählten eben auch mal unangenehme The-men. Wenn man aber offen darüber rede,würde dies nur wieder die Vertrauens-bildung stärken, so sein Resümee. spe

bisherige Investitionsvolumen in der Di-mension von jährlich drei bis vier MillionenEuro gelegen hatte. Bei einem Umsatz in derGrößenordnung von 99 Millionen Euro imJahr 2014 stelle eine Investition von elf Mil-lionen Euro doch einen kräftigen Schluckaus der Pulle dar, wie Waldenmaier sagt. Imselben Zeitraum folgte der Bau eines neuenAusstellungs- und Schulungszentrums inHöhe von sechs Millionen Euro.„Da ist es wichtig, dass die Banken einen

gut kennen, damit man sich rasch verstän-digen kann“, sagt er, der die frühzeitigeIntegration der Finanzierungspartner in dieStrategieüberlegungen von Leicht als Basisfür eine zügige Realisierung eines solchenProjekts ansieht. „Die Abstimmung des ma-ximalen Volumens, die Klärung alternativerFinanzierungsmodelleund die Klärung dergenerellen Bereitschaft,sich zu engagieren“,zählt der Leicht-Chef indiesem Kontext auf. Als Nächstes folgten Ge-spräche mit Banken und Wirtschaftsprüfernüber die steuerlichen Aspekte.Als Erfolgsfaktoren für eine gelungene

Investition nennt Waldenmaier seitens desMittelständlers die Einbeziehung erfahrenerGesprächspartner mit Kenntnis des Marktesund Kreativität im Umgang mit Finanzie-rungsmodulen. Außerdem gelte es, steuer-liche Klarheit über das Vorhaben zu gewin-nen. Darüber hinaus müsse ein zuverlässigerFinanzplan ausgearbeitet und Klarheit überdie Finanzierungskosten gewonnen werden.Und schließlich sei es nützlich, langjährigeBeziehungen und Mandate mit kompeten-ten Gesprächspartnern aufzubauen.

zurückhaltend. Die gewachsenen Verbin-dungen zu den angestammten Hausbankenund die damit verbundene Verlässlichkeitwiegen eben doch schwerer als ein paarBasispunkte weniger bei den Kreditkondi-tionen.Hinzu kommt, dass man bei Leicht einen

Informationsaustausch mit den Bankpart-nern pflegt, der häufig über das reine Finan-zierungsgespräch hinausgeht – etwa überdie Zinsentwicklung oder neue Produkte.Und gerade weil die Banker aufgrund derlangjährigen Geschäftsbeziehung wüssten,wie das Unternehmen aufgestellt sei, kämendiese von sich aus immer wieder auf eigeneLösungsvorschläge, sagt Waldenmaier. „Au-ßerdem“, betont er, „brauchen wir Sicherheitvon Anfang an. Sprich, wir müssen uns aufdie mündlichen Zusagen der Banker verlas-sen können.“Das heißt für ihn, die Gesprächspartner

seitens der Bank müssen nach seinen Erwar-tungen fachlich kompetent und mit Hand-lungsvollmacht ausgestattet sein, so dass siedie gemachten Zusagen auch im eigenenHaus durchsetzen können. „Es muss dasgesprochene Wort gelten“, macht Walden-maier klar, auch wenn dieses Motto im Ge-schäftsleben vielfach an Bedeutung verlorenhabe. Leicht versuche sich daran zu halten,weshalb das Unternehmen auch wenigRechtsstreitigkeiten habe.So hat der Küchenhersteller auch seine

jüngste Wachstumsfinanzierung mit dembewährten Trio aus Großbank, Kreisspar-kasse und Genossenschaftsbank unter Dachund Fach gebracht. Elf Millionen Euro galtes 2013 und 2014 für eine automatische Bau-teilefertigung zu stemmen, nachdem das

I n aller Regel pflegen die baden-würt-tembergischen Mittelständler enge Be-ziehungen zu mehr als einer Hausbank.

Aufgrund der globalen Ausrichtung derUnternehmen ist darunter immer auchmindestens ein ebenfalls international aus-gerichteter Bankpartner zu finden. Darüberhinaus aber bleiben die Unternehmen gerneauch den Instituten treu, mit denen sie großgeworden sind: Genossenschaftsbanken undSparkassen.Exemplarisch dafür steht die Leicht

Küchen AG in Waldstetten im Ostalbkreis,die bereits seit 20 Jahren mit einem festen

Stamm von drei Kre-ditinstituten zusam-menarbeitet – „unddas auf Augenhöhe“,wie der Vorstands-vorsitzende StefanWaldenmaier be-tont. Als internatio-naler Partner agiertbei der Firma Leicht,die einen Export-anteil von 60 Pro-zent aufweist, die

Commerzbank. Des Weiteren hat sich Leichtauf die Kreissparkasse Ost-Alb und dieVolks- und Raiffeisenbank SchwäbischGmünd als Hausbanken festgelegt. „Ent-scheidend ist, dass man sich gut kennt undeine langjährige Vertrauensbasis aufgebauthat“, sagt Waldenmaier.Und auch wenn hin und wieder andere

Institute versuchen würden, sich mit Dum-pingpreisen für den Hersteller hochwertigerKüchen schön zu machen, ist dieser ge-genüber solchen Lockvogelangeboten sehr

WACHSTUM FINANZIERUNG

UMSATZ HAUSBANK KREDIT

MITTELSTAND INVESTITION

PROJEKT FREMDKAPITALVOLLMACHT EXPORT

BASISPUNKTE VERTRAUEN

ZEITGLEICH WACHSENUND INVESTIEREN

KLEINSTBETEILIGUNGENALS OPTION

FINANZWIRTSCHAFT IM SÜDWESTEN30 November 2014

Es gilt dasgesprocheneWortD i e L e i c h t K ü c h e n A G a r b e i t e t e n g m i t d r e iH a u s b a n k e n z u s a m m e n . S t a t t d e r s t ä n d i g e nS u c h e n a c h e t w a s b e s s e r e n K r e d i t k o n d i t i o n e ns i n d d e m M i t t e l s t ä n d l e r d e r l a n g j ä h r i g eK o n t a k t u n d d i e V e r l ä s s l i c h k e i t w i c h t i g e r .

Nachfrage auf hohem NiveauF ö r d e r a n g e b o t e g i b t e s i n B a d e n - W ü r t t e m b e r g f ü r j e d e U n t e r n e h m e n s g r ö ß e

Foto: N-Media-Images/Fotolia

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Page 28: Wirtschaft in Baden-Württbemberg

W ertbeständig und zeitlos: Goldhat schon seit jeher eine beson-dere Faszination auf die Men-

schen ausgeübt. Seit mehr als 3000 Jahrenwird das Edelmetall als Wertaufbewah-rungsmittel genutzt. Als einzige Währung,die seitdem noch Bestand hat, konnte Goldsämtlichen politischen und wirtschaftlichenKrisen trotzen und ist nicht von inflatio-närer Geldpolitik betroffen.„Allein die Tatsache, dass Gold ein selte-

ner Rohstoff und nicht beliebig reproduzier-bar ist, macht ihn kostbar und wertvoll“, er-läutert Patrick Scheerer, Niederlassungs-leiter der Degussa Goldhandel mit Sitz inStuttgart. In vielen Kul-turen sei Gold vor al-lem ein Zeichen vonMacht und schon alleindadurch heiß begehrtgewesen. Gold ist einesder ersten Metalle, dasdurch die Menschenbearbeitet worden ist.Denn dies geht mitmechanischen Hilfs-mitteln einfach von-statten, und außerdemkorrodiert das Edelmetall mit der warmenAusstrahlung nicht.Die Gewinnung des Goldes, das zusam-

men mit Kupfer eines der wenigen farbigen

Metalle ist, haben Wissenschaftler seit derfrühen Kupferzeit entwickelt. Zunächst istGold unter anderem zur Herstellung vonSchmuck verwendet worden. Der bislang äl-teste dokumentierte Fund von Goldschmuckist auf das Jahr 4600 vor Christus datiert. Imbulgarischen Warna wurden mehrere Tau-send Objekte aus dem glänzenden Metall ineinem Gräberfeld als entsprechende Grab-beigabe gefunden.Sowohl die Ägypter als auch die Römer

waren von Gold fasziniert. Seine Bedeutungals Zahlungsmittel ist natürlich auch nichtzu unterschätzen. In der Neuzeit trieb dieGier nach dem gelben Rohstoff die euro-

päischen Seemächtewie England, Spanienoder Portugal an, ihrenBedarf zu decken, in-dem sie in Mittel- undSüdamerika wütetenund dann das Edel-metall nach Europabrachten.Als Seefahrer das

Edelmetall mitbrach-ten, spielten auchAbenteuerlust und das

Streben nach Reichtum eine große Rolle.„Nicht umsonst hat der Begriff Goldgräber-stimmung Eingang in den allgemeinenSprachgebrauch gefunden“, erklärt Scheererweiter. Auch große Funde lockten immerwieder große Menschenmassen an. In die-sem Zusammenhang ist beispielsweise derkalifornische Goldrausch im Jahre 1849 undder Goldrausch des Jahres 1897 am FlussKlondike in Alaska zu nennen.Auch viele Währungen waren in der Ver-

gangenheit aus Goldmünzen oder an dasEdelmetall gebunden. Die Bindung des US-Dollar wurde erst 1971 aufgehoben. Auch inder Industrie ist der Stoff seit jeher gefragtund zu einem unverzichtbaren Rohstoffgeworden: Mobilfunk, Computertechnik,Raumfahrt, Medizin. Das sind Bereiche desLebens, die für den modernen Menschen mitam wichtigsten sind. Auch bei Zukunftstech-nologien spielt Gold eine wichtige Rolle:Die Nanotechnologie kann nicht auf diesesMaterial verzichten. Oliver Schmale

Faszination GoldN i c h t n u r a l s G e l d a n l a g e g e e i g n e t

Redaktion: STZW SonderthemenR. Abel, I. Dalcolmo, M. Vogel

Produktion: M. Morlok

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IMPRESSUM

Wertvolles Edelmetall Foto: Bundesbank

Start. Einen weiteren Lehrstuhl mit demSchwerpunkt Unternehmensfinanzierunggibt es an der Uni Stuttgart. Hinzu kommenAngebote an der Uni Tübingen sowie denFachhochschulen Nürtingen, Reutlingenund Pforzheim sowie die Akademien derSparkassen-Gruppe und der Genossen-schaftsbankenin Baden-Würt-temberg.Dass es so

manche Absol-venten dieserKeimzellen fürjunge Finanz-experten in ihrerfrühen, ambitio-nierten Lebens-phase eher indie Finanzzent-ren der Welt als nach Stuttgart ziehe? Ge-schenkt, meint Burghof. Das sei ja auch keinFehler, sondern bilde vielmehr die Grund-lage für eine weitere Vernetzung von Stutt-gart aus in alle Welt. Die Region könnte da-gegen mit ihrer hohen Lebensqualität derOrt sein, wo man seine Kinder aufwachsensehen will. „Denn Stuttgart ist nicht unbe-dingt der Ort, von dem man zwingend wie-der wegwill“, sagt Burghof und verweist aufeine sehr hohe Lebensqualität mit einem im-mer noch „fantastischen Preis-Leistungs-Verhältnis“. Bankern müssten hier allerdingsauch Karriereperspektiven geboten werden –sowohl finanziell als auch mit Blick auf dieMöglichkeiten zur Weiterentwicklung. „Einelebendige Finanz-Community kann dazubeitragen, dass ein Spitzenbanker, der vonaußerhalb kommt, nicht den Eindruck ge-winnt, in der Wüste gelandet zu sein“, machtBurghof klar. Thomas Spengler

tur im Land“, fügt er hinzu. Außerdem ist inder Region eine Reihe sehr agiler Vermö-gensberater und -verwalter aktiv. Als „nochsteigerungsfähig“ bezeichnet Burghof indes-sen die Sichtbarkeit der Versicherungswirt-schaft, die am Finanzplatz auch eine sehr be-deutende Rolle spielt.Den Finanzplatz selbst charakterisiert

der Professor als klein, aber sehr lebendig.Es werde extrem viel kommuniziert, unteranderem über die Plattformen, die StuttgartFinancial geschaffen habe. „Die Börse ist si-cher ein Kulminationspunkt, die als neutraleInstanz ihre Rolle als Diskussionsforumwahrnimmt. Auch die Bausparkassen ent-wickeln derzeit ihre ganz eigene Kultur inStuttgart. All das wirkt gemeinschaftsbil-dend“, sagt Burghof, der genügend Expertiseauf beiden Seiten, der Finanz- und der Real-wirtschaft, in der Region Stuttgart erkennenkann. Während Frankfurt vor allem durchdas Geschäft zwischen Finanzintermediärencharakterisiert werde, sei es in Stuttgart dieenge Verbindung zwischen Finanz- undRealwirtschaft, die den hiesigen Finanzplatzpräge. „Daher sind unsere Banker in Stutt-gart näher dran am Kunden“, so BurghofsÜberzeugung.Dass sich die Institute am FinanzplatzStuttgart dennoch ständig neu erfinden,davon ist Burghof überzeugt, „so wie esdie Stuttgarter Börse immer wiedergetan hat, weil es schwer ist, neuesGeschäft nach Stuttgart zu holen“.Das sei kaum planbar. „Daher soll-

ten wir in erster Linie versuchen, dasvorhandene Geschäft in Stuttgart zu hal-ten und gleichzeitig eine große Offenheitfür Innovationen zu schaffen“, macht er klar.So diene die Arbeit der Initiative StuttgartFinancial auch der Bestandssicherung gegenalle Zentralisierungstendenzen. „Aber im-merhin, im Gegensatz zu früher reden dieSchwaben seit geraumer Zeit darüber, wassie zu bieten haben“, so Burghofs Resümee.Im Gegensatz zu früher ist Burghof in-

zwischen mit dem Angebot an finanzwirt-schaftlichen Lehrstühlen in der Region zu-frieden. „Das kann sich mittlerweile sehenlassen“, sagt er und verweist allein für dieUniversität Hohenheim auf sechs Lehrstüh-le, die sich im engeren Sinne mit Finanzwirt-schaft beschäftigen. Ein siebter ist derzeitausgeschrieben – eine von der Sparkas-sen-Gruppe geförderte Stiftungspro-fessur zum Retail-Banking. Außer-dem geht mit dem „Master in Fi-nance“ der Uni Hohenheim indiesem Wintersemesterder erste berufsbeglei-tende universitäreMasterstudiengang indiesem Bereich an den

nanzszene spiele in einer anderen Liga, den-noch gibt es laut Burghof am FinanzplatzStuttgart eine agile lokale Szene, in der dieAkteure ständig gemeinsame Projekte undnicht zuletzt Karrieren entwickelten. Hinzukommt in seinen Augen das Engagementzahlreicher Funktionsträger, die dem Fi-nanzplatz ein Gesicht geben.Gerade weil der Platz nicht eine solche

Größe wie Frankfurt oder London aufweist,liegt nach Burghofs Überzeugung eine derStärken in seiner Überschaubarkeit. Durchdie Arbeit, die die Initiative Stuttgart Finan-cial leiste, seien die Akteure gut vernetzt,sagt er, der selbst im Beirat dieser Initiativesitzt. „Ansonsten haben wir hier eine ganzeReihe von Perlen zu bieten – wie etwa einelebendige Börse, die immer innovativ gewe-sen ist und ein Schaufenster für den Finanz-platz darstellt“, so Burghof. Und auch wennsie eine schwierige Phase durchschreite, seiimmer noch die größte Landesbank der Re-publik in Stuttgart beheimatet. Darüber hi-naus gibt es mit der L-Bank das größtedeutsche Förderinstitut, das in den Au-gen Burghofs ein sehr stimmiges Kon-zept verfolgt. „Und nicht zu verges-sen die ausgeprägteBausparkul-

D ie Region Stuttgart ist für ihrenSchwerpunkt in der gewerblichenIndustrie wohlbekannt. Aber ist

Stuttgart denn auch ein Finanzplatz?„Selbstverständlich, schließlich gibt eshier eine lebhafte Finanz-Communi-ty“, konstatiert Hans-Peter Burg-hof, Professor und Inhaber desLehrstuhls für Bankwirtschaftund Finanzdienstleistun-gen an der UniversitätHohenheim. Klar,Frankfurt sei zwarviel größer alsStuttgart unddie europäi-sche Fi-

Agile lokale SzeneB a n k e r d e r R e g i o n p u n k t e n m i t g r o ß e r N ä h e z u m K u n d e n

NETZWERK LEBENSQUALITÄT

COMMUNITY REALWIRTSCHAFTKARRIERE LEHRSTUHLFINANZPLATZ SCHAUFENSTERINNOVATION HOCHSCHULENBAUSPAREN AKADEMIENSPITZENKRÄFTE OFFENHEIT

Prof. Dr. Hans-Peter Burghof istInhaber des Lehr-stuhls für Bank-wirtschaft undFinanzdienstleis-tungen an derUniversität Ho-henheim. Außer-dem ist er Ge-schäftsführer der

Stiftung Kreditwirtschaft an der Univer-sität Hohenheim, Leiter und Mitglied inführenden akademischen Vereinigungenund Börsenrat der Börse Stuttgart. red

Prof. Dr. Hans-Peter Burghof

ZUR PERSON

FINANZWIRTSCHAFT IM SÜDWESTEN 31November 2014

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