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Wirtschaft neu denken Präzisionsgüterindustrie und Digitalisierung Das Innovationspotenzial der Wirtschaftsregion Zürich

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Wirtschaft neu denkenPräzisionsgüterindustrieund DigitalisierungDas Innovationspotenzial der Wirtschaftsregion Zürich

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Autoren:Kai GramkeDr. Georg KloseDr. Anna-Marleen PlumeJohann Weiss

Wirtschaft neu denkenPräzisionsgüterindustrieund DigitalisierungDas Innovationspotenzial der Wirtschaftsregion Zürich

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Die Schweizer Prognos AG berät seit 1959 europaweit Entscheidungsträger aus Politik und Wirtschaft in Zukunftsfragen.

Auf Basis neutraler Analysen und fundierter Prognosen entwickeln Experten in Basel, Berlin, Bremen, Brüssel, Düsseldorf, München und Stuttgart praxisnahe Entscheidungsgrundlagen und Zukunftsstrate-gien für Unternehmen, öffentliche Auftraggeber und internationale Organisationen.

IMPRESSUM

Herausgeber:Prognos AGHenric Petri-Strasse 9CH - 4010 BaselTelefon +41 61 32 73 310Telefax +41 61 32 73 300E-Mail: [email protected]

Geschäftsführer:Christian Böllhoff

Satz und Layout:Prognos AG, Tina Schneidenbach

Druck:buysite ag, www.buysite.ch

©2014 Prognos AGAlle Rechte vorbehalten.

Presseanfragen:Greater Zurich Area AGLimmatquai 1228001 Zürich Telefon +41 44 254 59 59Telefax +41 44 254 59 54E-Mail: [email protected]

Zürcher HandelskammerSelnaustrasse 328022 ZürichTelefon +41 44 217 40 50Telefax +41 44 217 40 51E-Mail: [email protected]

Dieses Werk, einschliesslich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ausser-halb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung von Prognos unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für eine kommerzielle Weiterverwendung der Daten, Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Syste-men. Die Aufnahme in den öffentlichen Leihverkehr von Bibliotheken bleibt ausgeschlossen.

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03PRÄZISIONSGÜTERINDUSTRIE UND DIGITALISIERUNG

Inhalt

Vorwort 1

Einleitung 3

1. Die Erkenntnisse im Überblick 5

2. Die Entwicklung der Präzisionsgüterbranche 7

2.1. Präzisionsgüter in der Schweiz 8

2.2. Präzisionsgüter auf den Weltmärkten 12

2.3. Präzisionsgüter in der Region Zürich 15

3. Die Bedeutung des technischen Fortschritts am Beispiel der Digitalisierungstechnologien 19

3.1. Weltweite Entwicklung der Digitalisierungstechnologien 21

3.2. Die Bedeutung der Digitalisierungstechnologien für die Branchen 22

3.3. Digitalisierungstechnologien in der Region Zürich 27

4. Präzisionsgüter und Digitalisierungstechnologien in der Region Zürich 31

5. Herausforderungen für die Region Zürich 33

Anhang 37

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04 PRÄZISIONSGÜTERINDUSTRIE UND DIGITALISIERUNG

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1PRÄZISIONSGÜTERINDUSTRIE UND DIGITALISIERUNG

Liebe Leserinnen und Leser

Die Zürcher Handelskammer (ZHK) setzt sich für einen attraktiven Wirtschafts-raum Zürich ein. Sie bereitet damit gewissermassen das Terrain, welches der Greater Zurich Area (GZA) im Ausland als Verkaufsargument dienen kann. Es ist für uns von Interesse, was die Qualität dieses Standortes ausmacht und wie wir diese zusätzlich fördern können. Bekannt ist, dass «klassische» Standort-faktoren wie ein wettbewerbsfähiges Steuerniveau, ein liberaler Arbeitsmarkt oder stabile rechtliche Rahmenbedingungen eine bedeutende Rolle spielen. Wenn man aktuelle politische Diskussionen verfolgt, wird jedoch klar, dass diese zunehmend unter Druck geraten.

Mit Blick darauf und mit dem Ziel, Aussagen über die zukünftige Wettbe-werbsfähigkeit unseres Standortes machen zu können, haben die ZHK und die GZA deshalb gemeinsam die vorliegende Studie in Auftrag gegeben. Die-se soll aus unserer Sicht insbesondere Aussagen und Erkenntnisse liefern, die es uns erlauben, unsere Forderungen für einen attraktiven Standort an die Politik mit einer wissenschaftlichen Grundlage zu untermauern. Wir wol-len aufzeigen, auf welchen Qualitäten wir aufbauen können, worin sich unser Standort gegenüber anderen differenziert und wie wir diesbezüglich noch besser werden können.

Als wertvoll erachten wir dabei vor allem auch die Inputs von diversen Spezi-alisten, welche aufgrund ihrer Leistungen in Wirtschaft, Forschung und Wis-senschaft belegen, dass unser Standort zu den innovativsten weltweit ge-hört. Sie zeigen jedoch auch deutlich auf, wo wir Handlungsbedarf haben. Der Standort Zürich hat ein grosses Potential, es gilt aber, dieses auszuschöpfen und nicht auf dem Erreichten auszuruhen.

Die nun vorliegenden Ergebnisse und Erkenntnisse geben uns ein Instrumen-tarium in die Hand und die Möglichkeit, entsprechende Forderungen in die politischen Prozesse einzuspeisen. Die Zürcher Handelskammer wird sich auf dieser Grundlage dafür einsetzen, dass wir die Stärken unseres Standortes pflegen sowie die Schwächen erkennen und weiterentwickeln. Nur so können wir die Basis auch für zukünftigen wirtschaftlichen Erfolg erhalten.

Wir wünschen Ihnen in diesem Sinne eine interessante und erkenntnisreiche Lektüre.

Dr. Regine Sauter

Direktorin Zürcher Handelskammer

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2 PRÄZISIONSGÜTERINDUSTRIE UND DIGITALISIERUNG

Geschätzte Leserinnen und Leser

Die Innovationsfähigkeit eines Wirtschaftsraums bemisst sich auch an der Attraktivität des Standortes für Unternehmen mit hoher Wertschöpfung – in-ländischen wie ausländischen. Standortmarketing steht heute im globalen Wettbewerb der Metropolitanregionen. Asiatische Regionen erstarken, euro-päische holen auf.

Der Wirtschaftsraum Zürich hat sich zu einem europäischen Topstandort für zukunftsgerichtete, innovative und nachhaltige Unternehmen entwickelt. Da-bei behauptet sich die Greater Zurich Area als weltweiter Innovationsstandort, obwohl andere punkto Direktinvestitionen vorn liegen und ebenfalls attraktive Rahmenbedingungen aufweisen.

Was aber heisst Innovation, was beinhaltet sie? Wer als innovatives Unterneh-men an der Weltspitze stehen will, benötigt höchstqualifizierte Arbeitskräfte. Dabei ist die räumliche Nähe von Forschung, Entwicklung und Produktion bedeutungsvoll. Die Forschungsintensität und der Einsatz modernster Digi-talisierungstechnologien müssen gewährleistet sein. Deshalb ist die Präzi-sionsgüterindustrie für die Innovationsfähigkeit der Greater Zurich Area eine Schlüsselbranche. Die Greater Zurich Area bietet die nötigen Standortbedin-gungen. Industrien der Präzisionsgüter sind innert weniger Jahre zu einer der wichtigsten Branchen der Schweiz herangewachsen.

Die vorliegende Studie dokumentiert die Innovationsfähigheit des Wirtschafts-standortes Zürich und die entsprechenden Interdependenzen: Die Präzisions-güterindustrie profitiert von der Nähe der ansässigen IT-Unternehmen sowie von hervorragenden Bildungs- und Forschungseinrichtungen im Bereich der digitalen Technologien. Der Industriezweig illustriert, wie Schweizer KMUs, internationale Firmen und die internationale Forschungsgemeinschaft ge-meinsam dafür sorgen, dass die Greater Zurich Area einer der innovativsten Wirtschaftsräume Europas bleibt.

Um auch in Zukunft an der Spitze stehen und den Standortvorteil als inno-vationsfähiger Wirtschaftsraum halten und ausbauen zu können, braucht es Anstoss von aussen und den Willen, uns ständig verbessern zu wollen. Ge-zieltes Standortmarketing, das auf Qualität, Nachhaltigkeit und strategische Erneuerung ausgerichtet ist, spielt dabei eine tragende Rolle.

Ich wünsche Ihnen viel Lesevergnügen.

Sonja Wollkopf Walt

Geschäftsführerin Greater Zurich Area AG

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3PRÄZISIONSGÜTERINDUSTRIE UND DIGITALISIERUNG 3

Einleitung

Einleitung

Die Studie beschreibt zwei Erfolgsgeschichten, die eine zentrale Bedeutung für den Wohlstand und die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz haben. Zum einen handelt es sich um die Präzisionsgüterindustrie, die sich, gemessen an der Produktion in den letzten Jahren, neben der Pharmabranche zum wichtigsten Industriezweig der Schweiz entwickelt hat. Zum anderen um die Digitalisierungstechnologien, die sowohl für sich genommen, als auch als Querschnittstechnologie eine zentrale Rolle für Wachstum und Wohlstand der Schweiz spielen.

Die Studie, die sich auf die zentralen Indikatoren „Industrielle Basis“ und „In-novationskraft“ konzentriert, verdeutlicht, dass die Zukunft der Schweizer Produktion in der intelligenten Vernetzung von Innovations- und Produktions-prozessen liegt. Neben der technischen Verflechtung gewinnt die räumliche Nähe zwischen Innovation und Produktion zunehmend an Bedeutung. Nur so lässt sich die fortschreitende Komplexität von Forschungs- und Produktions-prozessen in Wettbewerbsvorteile ummünzen.

Die Region Zürich weist in diesem Zusammenhang beste Standortbedingun-gen auf. Die Präzisionsgüterindustrie profitiert von der Nähe zu den zahlrei-chen hier ansässigen IT-Unternehmen sowie den hervorragenden Bildungs- und Forschungseinrichtungen im Bereich digitaler Technologien.

Die Präzisionsgüterbranche steht stellvertretend für eine besondere Fähigkeit und ein internationales Alleinstellungsmerkmal der Schweiz, das in allen Bran-chen zu finden ist: Präzision. Kombiniert mit einer hohen Forschungsintensität im Bereich der Digitalisierung – der zentralen Querschnittstechnologie – weist die Branche die Richtung für die industrielle Zukunft der Schweiz.

Die vorliegende Studie wurde von zahlreichen Experten der Präzisionsgüterin-dustrie sowie aus dem Forschungs- und IT-Umfeld begleitet. Die gewonnenen Erkenntnisse wurden mit den Experten diskutiert, fundiert und verifiziert. Wir möchten uns an dieser Stelle für ihre Mitarbeit und ihr Engagement bedanken.

Präzisionsgüter und Digitalisierung – zwei Erfolgsgeschichten der Schweiz

Wettbewerbsvorteile durch Vernetzung und räumliche Nähe

Präzisionsgüter profitieren in der Region Zürich von den zahlreichen IT-Unternehmen

Präzision ist das Alleinstellungsmerkmal der Schweiz

Dank an die Experten

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4 PRÄZISIONSGÜTERINDUSTRIE UND DIGITALISIERUNG4

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5PRÄZISIONSGÜTERINDUSTRIE UND DIGITALISIERUNG 5

Die Erkenntnisse im Überblick

1. Die Erkenntnisse im Überblick

Die Präzisionsgüterbranche ist sehr heterogen und setzt sich aus Herstellern von medizintechnischen Geräten, Mess- und Kontrollinstrumenten, optischen Geräten, Prozesssteuerungsanlagen und Uhren zusammen.

Wichtige Wachstumstreiber der Medizintechnik sind die demografische Alte-rung in den wichtigsten industriellen Absatzländern sowie die expandieren-den Gesundheitsmärkte in den Schwellenländern.

Die wachsende Mittelschicht in den Schwellenländern ist ein zentraler Treiber der Nachfrage der Uhrenindustrie. Die Mess- und Regelungstechnik ist Trei-ber für Produktivitätsfortschritte in anderen Branchen. Neben vielen ande-ren Einsatzmöglichkeiten kommt ihren Produkten eine gewichtige Rolle in der Verbesserung industrieller Prozesse zu.

Mit insgesamt 88‘000 Beschäftigten arbeiten in der Präzisionsgüterbranche rund 15 % aller Industriebeschäftigten der Schweiz (2011). Damit ist die Prä-zisionsgüterindustrie neben den Metallerzeugnissen (15 %) und dem Maschi-nenbau (14 %) einer der drei beschäftigungsintensivsten Industriezweige der Schweiz.

Der Anteil der Präzisionsgüter an der gesamten Industrieproduktion der Schweiz beläuft sich auf über 15 %. Darüber hinaus ist die Branche für 16 % der gesamten Exporte und 14 % der gesamten Forschungsaktivitäten verant-wortlich. Damit ist die Präzisionsgüterindustrie neben der Pharmabranche die zweitwichtigste Branche der Schweiz hinsichtlich Forschung, Produktion und Export.

Während der Anteil der Industrieländer an der globalen Produktion der Präzi-sionsgüterindustrie zwischen 2000 und 2012 von 90 % auf 70 % gesunken ist, konnte die Schweiz ihren Anteil gegen den globalen Trend deutlich ausbauen. Mittlerweile beträgt ihr Weltproduktionsanteil 8 % (2000: 5 %).

Als wesentlicher Erfolgsfaktor im internationalen Wettbewerb der Präzisions-güter gilt die Forschungsintensität. Während die Forschungsanteile anderer Industrieländer seit 2000 abgenommen haben, steigerte die Schweiz ihren globalen Forschungsanteil in der Präzisionsgüterindustrie von 1 % (2000) auf 3 % (2012).

Eine hohe und steigende Forschungsintensität ist Grundvoraussetzung für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Branche in der Schweiz. Sie beugt Verlagerungs- und off-shoring Aktivitäten vor.

Der intensive globale Wettbewerb geht grundsätzlich einher mit dynamischen technologischen Fortschritten, kürzeren Produkt-Lebenszyklen und einer zunehmenden Integration verschiedener Technologien. Innovationsbemü- hungen werden dabei kostspieliger und riskanter, und es entsteht mehr Be-darf an interdisziplinärer Forschung und Entwicklung.

Die zentralen Wachstumstreiber dabei sind die digitalen Technologien. Dazu zählen die Computertechnologie, die digitale Kommunikation, Halbleiter, IT für

Präzisionsgüterbranche beinhaltet Medizin- und Messtechnik sowie Uhren

Treiber sind der demografische Wandel, …

… die Nachfrage der Schwellenländer und der technische Fortschritt

Präzisionsgüterbranche mit 15 % der Industriebeschäftigung

In Forschung, Produktion und Export zweitwichtigste Branche nach Pharma

Schweiz baut ihren Produktionsanteil gegen den Trend aus

Gestiegener Weltforschungsanteil der Schweiz als wesentlicher Erfolgsfaktor

Hohe Forschungsintensi-tät bestes Mittel gegen Verlagerung

Der globale Wettbewerb wird intensiver, risiko-reicher und kostspieliger

Digitalisierung als zentraler Treiber

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6 PRÄZISIONSGÜTERINDUSTRIE UND DIGITALISIERUNG6

Managementaufgaben sowie audio-visuelle Technologien. Die Digitalisierung der Produktion ist in den vergangenen 20 Jahren mit teils enormem Tempo vorangeschritten. Keine Branche kommt heute noch ohne Produkte und Pro-duktionsprozesse mit hohen Digitalisierungsanteilen aus.

Mittlerweile beträgt der Anteil digitaler Technologien an den gesamten tech-nologischen Grundlagen aller Branchen über 23 %. Einen besonders grossen Einfluss haben die Digitalisierungstechnologien auf die Präzisionsgüterindus-trie. Hier liegt der Anteil der Digitalisierungstechnologien an den insgesamt verwendeten Technologien im Produktionsprozess bei über 55 %.

Die Zukunftsfähigkeit der Präzisionsgüterindustrie hängt somit stark von der bestmöglichen Nutzung der Digitalisierungstechnologien entlang der gesam-ten Wertschöpfungskette ab. Die Komplexität der Produktion und das Innova-tionsniveau erfordern es, Forschungsaktivitäten und Produktion räumlich zu konzentrieren. Die Nähe zur universitären Forschung sowie zu spezialisierten IT-Unternehmen ermöglicht wertvolle Wissensspillover, die zukünftig wichti-ger sein werden als heute.

Insbesondere die Präzisionsgüterindustrie kann von dieser technologischen Verbundenheit profitieren. In keiner anderen Industriebranche ist der Einfluss der Digitalisierung so ausgeprägt und insbesondere in der Region Zürich fin-den Unternehmen die zunehmend wichtigere Ko-Lokation von IT und Indust-rie d.h. von Innovations- und Produktionsprozessen. Dies ermöglicht hier die Bildung moderner hybrider Wertschöpfungsnetzwerke.

Gut 40 % der Beschäftigten in den Unterbranchen Medizin-, Mess- und Steu-erungstechnik sowie rund ein Drittel der Forschungsaktivitäten in den Quer-schnittstechnologien rund um die Digitalisierung entfallen auf die Region Zürich. Damit besitzt die Region Zürich beste Voraussetzungen, um im inter-nationalen Wettbewerb mit einer immer engeren Verzahnung von Forschung und Produktion bestehen zu können.

Der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit und der mit ihr generierte Wohlstand set-zen permanente Innovationen voraus. Neben dieser offensichtlichen Aufgabe identifiziert die Studie folgende Probleme und Herausforderungen für die Re-gion Zürich:

• Die Rekrutierung von hochqualifizierten Arbeitskräften stellt für die Bran-che eine immer grösser werdende Herausforderung dar.

• Das durchgehend hohe Wohlstandsniveau ist ein Hemmnis für Gründer-geist und Eigeninitiative.

• Die mangelnde Risikobereitschaft von Investoren hemmt die Finanzierung insbesondere von Start-ups.

• Engere Kooperationen zwischen Hochschulen, Unternehmen und dem Finanzplatz könnten die Innovationsdynamik stärken.

Präzisionsgüterbranche am stärksten von Digitalisierung durchdrungen

Räumliche Konzentration von Forschung und Produktion entscheidend für den Erfolg

Beste Voraussetzungen in der Region Zürich

Region Zürich mit hohem Anteil bei Beschäftigung und Forschung

Neben Chancen auch Risiken

Fachkräfte

Gründergeist

Finanzierung

Kooperation

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7PRÄZISIONSGÜTERINDUSTRIE UND DIGITALISIERUNG 7

Die Entwicklung der Präzisionsgüterbranche

2. Die Entwicklung der Präzisionsgüterbranche

„In der Präzisionsgüterbranche geht es einerseits um präzise herge-stellte Produkte, anderseits aber auch um das präzise Herstellen von Produkten. Die Schweiz gehört zu denen, welche die begehrtesten hochpräzisen Teile herstellen, aber auch zur Herstellung von Teilen die präzisesten Prozesse sicherstellen können.“

Patrick Roth, Geschäftsführer Präzisionscluster Schweiz

Die Präzisionsgüterindustrie ist eine sehr heterogene Branche und beinhaltet mit medizintechnischen Geräten, Mess- und Kontrollinstrumenten, optischen Geräten, Prozesssteuerungsanlagen und Uhren eine Reihe sehr unterschied-licher Produkte (Box 2-1).

Die ausgeprägte Heterogenität der Branche hat zur Folge, dass ihre Subbran-chen unterschiedlichen Trends unterliegen, die deren jeweilige Zukunftspers-pektiven bestimmen. Jede Sparte hat ihre eigene Wettbewerbssituation und eigenen Wachstumstreiber. So ist bei der Medizintechnik der demografische Wandel, der mit einer spürbaren Alterung der Gesellschaft in der westlichen Welt einhergeht, eine wichtige Determinante. Zudem profitiert der Bereich von den expandierenden Gesundheitsmärkten in den aufstrebenden Schwel-lenländern. Die wachsende Mittelschicht in den Schwellenländern ist für die

Box 2-1

Definition der Präzisionsgüterindustrie

Die Präzisionsgüterbranche basiert auf der Branche der Medizin-, Mess- und

Steuerungstechnik. In der allgemeinen Systematik der Wirtschaftszweige (NOGA

2008) des Bundesamts für Statistik sind die einzelnen Elemente der Branche wie

folgt abgegrenzt:

• Herstellung von Mess-, Kontroll-, Navigations- u. ä. Instrumenten und Vor-

richtungen; Herstellung von Uhren (265)

• Herstellung von Bestrahlungs- und Elektrotherapiegeräten und elektromedi-

zinischen Geräten (266)

• Herstellung von optischen und fotografischen Instrumenten und Geräten

(267)

• Herstellung von medizinischen und zahnmedizinischen Apparaten und Ma-

terialien (325)

Nicht Teil der so definierten Präzisionsgüterbranche sind zahnärztliche Laborato-

rien und die Herstellung von Brillen.

In der alten Wirtschaftszweigsystematik (NOGA 2002) ist die gesamte Präzisions-

güterbranche offiziell als „Herstellung von medizinischen Geräten, Präzisionsinstru-

menten; optischen Geräten und Uhren“ (33.1) abgegrenzt.

Präzisionsgüter als heterogene Branche

Wachstumstreiber demografischer Wandel, Nachfrage der Schwellenländer und technischer Fortschritt

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8 PRÄZISIONSGÜTERINDUSTRIE UND DIGITALISIERUNG8

Schlüsselbranche der Schweiz mit zunehmender Bedeutung

Produktionsanteil bei 15 %

International wettbewerbsfähig

Schweizer Uhrenhersteller ein wichtiger Wachstumstreiber. Die Mess- und Regelungstechnik ist Treiber für Produktivitätsfortschritte in zahlreichen an-deren Branchen. Ihr kommt eine wichtige Rolle bei der Optimierung industri-eller Prozesse zu.

2.1. Präzisionsgüter in der Schweiz

„Historisch gesehen hat die Schweiz eine grosse Rolle in den Prä-zisionsgütern gespielt, denken Sie an die Uhrenindustrie und die Messinstrumente. Uns liegt Genauigkeit und Präzision im Blut. Es wird auch zukünftig ein Wachstumsmarkt sein, denn wir werden die Welt mit immer mehr Sensoren durchsetzen.“

Dr. Matthias Kaiserswerth, Vice President and Director, IBM Research - Zurich

Die Präzisionsgüterindustrie ist eine Schlüsselbranche der Schweizer Indus-trie und basiert historisch auf der Uhrenindustrie. Die Bedeutung der Prä-zisionsgüter für die Schweizer Gesamtwirtschaft hat seit der Jahrtausend-wende deutlich zugenommen. Der Wirtschaftszweig entwickelte sich in den vergangenen Jahren zur zweitwichtigsten Branche des verarbeitenden Ge-werbes nach der Pharmaindustrie. Mit Hilfe des Prognos Welthandelsmodells (Box 2-2) kann diese Entwicklung anhand der Indikatoren Forschung, Produk-tion und Exporte detailliert nachgezeichnet werden.

Der Anteil der Präzisionsgüter an der Gesamtproduktion des verarbeitenden Gewerbes beläuft sich mittlerweile auf über 15 %. Damit gehört die Branche zu den wenigen Gewinnern der seit 2000 zu beobachtenden Konzentration der Schweizer Produktion auf wenige Branchen: Die Präzisionsgüterindustrie steigerte ihren Produktionsanteil in nur 12 Jahren um fast 5 Prozentpunkte (Abbildung 2-1).

Abbildung 2-1: Anteil der wichtigsten Branchen an der Gesamtproduktion im verarbeitenden Gewerbe der Schweiz, 2000 und 2012

Die dynamische Entwicklung in den vergangenen Jahren zeigt, dass die Unter-nehmen der Schweizer Präzisionsgüterindustrie international sehr konkurrenz-fähig und erfolgreich sind. Denn der Wettbewerb in der Branche wird vor allem über Qualität und Produktinnovationen ausgetragen, nicht über den Preis.

in %

Pharma

Präzisionsgüter

Nahrungsmittel

Maschinenbau

Chemie

0 5 10 15 20

n 2012 n 2000 Quelle: Prognos Welthandelsmodell 2014 © Prognos 2014

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9PRÄZISIONSGÜTERINDUSTRIE UND DIGITALISIERUNG 9

Die Entwicklung der Präzisionsgüterbranche

Somit wird deutlich: Ein wichtiger Erfolgsfaktor der Schweiz ist seit jeher die hohe Innovationsfähigkeit gekoppelt mit der konsequenten Spezialisierung auf Know-how-intensive Produkte – die Präzisionsgüterindustrie gehört zu den forschungsintensivsten Branchen weltweit. Gemessen wird die Forschungs-intensität als Verhältnis von Forschungsausgaben und Produktionsvolumen. Im globalen Durchschnitt rangiert die Präzisionsgüterindustrie mit einem Wert von 8 % an zweiter Stelle nach der Pharmaindustrie (Abbildung 2-2).

Erfolgsfaktor Forschungsintensität

Box 2-2

Datengrundlage - das Prognos-Welthandelsmodell

Um die internationale Verflechtung so detailliert wie möglich abbilden zu können,

hat Prognos ein Welthandelsmodell entwickelt. Grundlage sind die Handelsströ-

me zwischen den wichtigsten Industrie- und Schwellenländern für 3‘121 Güter-

gruppen für den Zeitraum 1995 bis 2012. Zusätzlich wurden die Informationen

durch die jeweiligen nationalen Produktionsstrukturen der betrachteten Länder

im Zeitverlauf ergänzt. Die Gütergruppen wurden darüber hinaus einer der insge-

samt 27 Branchen des primären und sekundären Sektors zugeordnet.

Um bei Analysen Aussagen über den Charakter einer Gütergruppe und eine mög-

lichst genaue Differenzierung nach Verwendungskomponenten vornehmen zu

können, wurden die Produktgruppen überdies in Vorleistungs-, Konsum-, oder

Investitionsgüter eingeteilt. Diese Zuordnungen ermöglichen eine genaue Unter-

suchung und Beurteilung der Wertschöpfungsstrukturen sowie deren Entwick-

lungen im Betrachtungszeitraum.

Mit Hilfe von zwischengelagerten Berechnungen über die Anzahl der weltweit

angemeldeten landes- und jahrspezifischen Patente erhielten die Warengruppen

Forschungsintensitäten. Mit Hilfe von diversen bestehenden und selbst konzipier-

ten Umsteigeschlüsseln bzw. Konkordanz-Tabellen wurde unter anderem eine Zu-

teilung auf 32 verschiedene Technologiegruppen möglich.

Mithilfe des Welthandelsmodells lässt sich die Entwicklung der Präzisionsgüterin-

dustrie und der darunter liegenden Produktgruppen für den Zeitraum 1995 bis 2012

darstellen. Das Modell erlaubt umfassende Aussagen und quantitative Darstellun-

gen und kann in weitergehenden Analysen zudem eine Vielzahl von Erkenntnissen

bezüglich der globalen Wirtschaftsbeziehungen, Welthandelsanteile, Wertschöp-

fungsstrukturen sowie der internationalen Arbeitsteilung in Fertigung und For-

schung liefern.

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10 PRÄZISIONSGÜTERINDUSTRIE UND DIGITALISIERUNG10

Forschungsanteil bei 14 %

Schweiz bietet gutes Umfeld für Präzisionsgüterbranche

Exportanteil bei 16 %

Abbildung 2-2: Branchen mit den global höchsten Forschungsintensitäten, 2012

Für Forschung und Entwicklung setzte die Schweizer Präzisionsgüterindustrie bereits in den vergangenen Jahren erhebliche Ressourcen ein und erhöhte ihre Forschungsausgaben im Vergleich zur Gesamtindustrie des Landes zwi-schen 2000 und 2012 weit überdurchschnittlich auf mittlerweile 14 %. In der Schweiz fliessen derzeit, mit Ausnahme der Pharmaindustrie, in keine andere Branche mehr Forschungsgelder als in die Präzisionsgüterindustrie. Im Jahr 2000 rangierte die Branche gemessen an den absoluten Aufwendungen für Forschung und Entwicklung lediglich auf dem vierten Rang (Abbildung 2-3).

Abbildung 2-3: Anteil der forschungsstärksten Branchen an den gesamten Forschungsausga-ben im verarbeitenden Gewerbe der Schweiz, 2000 und 2012

Der Markt für Präzisionsgüter ist stark segmentiert und durch einen hohen Spezialisierungsgrad charakterisiert. Das Marktumfeld führt zu einer Stär-kung der bestehenden traditionellen Schweizer KMU-Landschaft. Gleichzei-tig ermöglichen erst die flexiblen kleinen und mittleren Unternehmen die Tech-nologieführerschaft. Wendigen KMU gelingt es erwiesenermassen häufiger, sich auf die Herstellung von anspruchsvollen Speziallösungen und Nischen-produkten zu konzentrieren.

Dies belegen auch die Ausfuhrzahlen. Die Branche konnte ihre Exporte seit dem Jahr 2000 deutlich stärker ausweiten als die Gesamtwirtschaft. Ihr Anteil am Gesamtexport der Industrie belief sich im Jahr 2012 auf 16 %. Die Präzi-sionsgüterindustrie nimmt damit bei den Ausfuhrzahlen den zweiten Platz der Schweizer Industriebranchen ein (Abbildung 2-4).

in %

Pharma

Präzisionsgüter

Luft- und Raumfahrt

Rundfunktechnik

Automobilbau

0 2 4 6 8

Quelle: Prognos Welthandelsmodell 2014 © Prognos 2014

10 12

in %

Pharma

Präzisionsgüter

Maschinenbau

Chemie

Nahrungsmittel

0 10 20 30 40

n 2012 n 2000Quelle: Prognos Welthandelsmodell 2014 © Prognos 2014

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11PRÄZISIONSGÜTERINDUSTRIE UND DIGITALISIERUNG 11

Die Entwicklung der Präzisionsgüterbranche

Abbildung 2-4: Anteil der exportstärksten Branchen an der gesamten Ausfuhr im verarbei-tenden Gewerbe der Schweiz, 2000 und 2012

Die beiden wichtigsten Exportmärkte für die Schweizer Präzisionsgüterindust-rie sind traditionell die Vereinigten Staaten und Deutschland. Über ein Drittel der Branchenausfuhr entfiel im Jahr 2012 auf diese beiden Länder. Auf dem dritten Rang befindet sich mittlerweile China. Im Jahr 2012 gingen 9 % der Exporte in die Volksrepublik. Auf die Gruppe der übrigen Schwellenländer (im Wesentli-chen Russland, Indien, Brasilien, Argentinien, Chile, Mexiko und Südafrika) so-wie der mittelosteuropäischen Länder entfielen im gleichen Jahr ebenfalls 9 % der Präzisionsgüterausfuhr. Diese Zahlen verdeutlichen die mittlerweile enorme Bedeutung des chinesischen Marktes für die Schweizer Präzisionsgüterindus-trie (Abbildung 2-5). Eine bedeutende Rolle als Absatzmarkt spielen darüber hinaus die grösseren westeuropäischen Volkwirtschaften sowie Japan.

Abbildung 2-5: Anteile der wichtigsten Exportmärkte der Schweizer Präzisionsgüterindust-rie, 2000, 2004, 2008 und 2012

In ausgewählten Produktgruppen sind China und die übrigen Schwellenländer bzw. die mittelosteuropäischen Länder noch wesentlich wichtiger. Insbeson-dere für die Hersteller von Mikroskopen, von Geräten zum Messen, Prüfen, Kontrollieren, von Prüfgeräten oder von chemischen oder physikalischen Un-tersuchungen besitzt diese Ländergruppe mittlerweile eine erhebliche Be-deutung als Exportmarkt (Abbildung 2-6).

Vereinigte Staaten, Deutschland und China wichtigste Märkte

Anteil der Schwellenländer in bestimmten Produkten höher

in %

Pharma

Präzisionsgüter

Maschinenbau

Chemie

Nichteisenhaltige Metalle

0 10 20 30 40

n 2012 n 2000Quelle: Prognos Welthandelsmodell 2014 © Prognos 2014

in %

100

80

60

40

20

0

2000 2004 2008 2012

n Vereinigte Staaten n Deutschland n China n Frankreich n Japan n Italien n Niederlanden Vereinigtes Königreich n Übrige Industrieländer n Schwellenländer/MOELQuelle: Prognos Welthandelsmodell 2014 © Prognos 2014

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12 PRÄZISIONSGÜTERINDUSTRIE UND DIGITALISIERUNG12

Bedeutung der Branche steigt

Umfeld der Schweiz positiv für die Entwicklung der Branche

Produktion: Schweiz steigert den Weltanteil gegen den Trend

Abbildung 2-6: Anteil der Exporte in die Schwellenländer bzw. nach MOEL, in ausgewählten Produktgruppen der Präzisionsgüterindustrie, 2000 und 2012

Im vergangenen Jahrzehnt konnte die Branche ihre relative Bedeutung noch-mals deutlich steigern – sowohl gemessen an ihrem Anteil am Produktionsvo-lumen als auch an den Forschungsausgaben und der Ausfuhr.

Die Präzisionsgüterindustrie profitiert zum einen von der schweiztypischen Branchenstruktur mit vielen kleinen und mittleren Unternehmen und deren hoher Wettbewerbsfähigkeit. Zum anderen zahlt sich gerade in einer so for-schungsintensiven Branche aus, dass die Schweiz weltweit zu den Volkswirt-schaften mit den höchsten Investitionen in Forschung und Entwicklung zählt.

2.2. Präzisionsgüter auf den Weltmärkten

„Die Bedeutung der Messtechnik nimmt immer weiter zu. Wir sind in wachsenden Märkten daheim. Die Qualitätsansprüche an Produkte wer-den immer höher und das kann man nur mit Messtechnik realisieren.“

Rolf A. Sonderegger, Präsident & CEO, Kistler Group

Das vorangegangene Kapitel hat gezeigt, dass die Präzisionsgüterindustrie ihre relative Bedeutung in der Schweiz seit der Jahrtausendwende deutlich ausbaute. Im gleichen Zeitraum konnte die Schweizer Präzisionsgüterindus-trie auch ihre Position auf dem Weltmarkt stärken. So nahm der Anteil der Schweiz an der globalen Produktion in der Branche zwischen 2000 und 2012 von 5 % auf 7 % zu, während die Anteile der übrigen Industrieländer aufgrund der massiven Ausweitung des Produktionsvolumens der Schwellenländer deutlich von 90 % auf 70 % zurückgingen (Abbildung 2-7). Besonders star-ke Einbussen mussten etwa die Vereinigten Staaten mit 14 Prozentpunkten und Japan mit 6 Prozentpunkten hinnehmen. Grösster Gewinner unter den

in %

Messen, Prüfen od. Kontrollieren

Mikroskope

Prüfgeräte

Chemische od. physikalischeUntersuchungen

Fernrohre, Laser etc.

Optische Fasern

Zähler, Tachometer etc.

Linsenzubehör

Uhren

n 2012 n 2000Quelle: Prognos Welthandelsmodell 2014 © Prognos 2014

0 10 20 305 15 25 35

Page 18: Wirtschaft neu denken Präzisionsgüterindustrie und ......Wirtschaft neu denken Präzisionsgüterindustrie und Digitalisierung Das Innovationspotenzial der Wirtschaftsregion Zürich

13PRÄZISIONSGÜTERINDUSTRIE UND DIGITALISIERUNG 13

Die Entwicklung der Präzisionsgüterbranche

Weltexportanteil steigt auf 7 %

Weltforschungsanteil steigt auf 3 %

Schwellenländern ist China mit einem Anteilsgewinn von 18 Prozentpunkten.

Abbildung 2-7: Anteil an der globalen Produktion bei Präzisionsgütern, Schweiz und Länder-gruppen, 2000 bis 2012

Ihren Anteil auf dem globalen Exportmarkt konnte die Schweiz im gleichen Zeitraum ebenfalls steigern. Zwischen 2000 und 2012 stieg der Weltmarktan-teil von 6 % auf 7 % (Abbildung 2-8). Die Entwicklung der globalen Ausfuhr zeigt darüber hinaus, dass der Aufholprozess der Schwellenländer auf den globalen Exportmärkten ein deutlich langsameres Tempo aufweist als beim Aufbau der Produktionskapazitäten zur Herstellung von Präzisionsgütern.

Abbildung 2-8: Anteil an der globalen Ausfuhr bei Präzisionsgütern, Schweiz und Länder-gruppen, 2000 bis 2012

Langfristig kann der Erfolg einer solch innovationsorientierten Branche wie der Präzisionsgüterindustrie nur durch einen hohen Stellenwert von Forschung und Entwicklung gesichert werden. Die Schweiz hat ihren Anteil an den glo-balen Forschungsausgaben in den vergangenen Jahren von 1 % im Jahr 2000 auf 3 % im Jahr 2012 gesteigert. Weltweit haben Industrieländer zugunsten der aufstrebenden Schwellenländer hier Einbussen erlitten (Abbildung 2-9).

in %

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80

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0

2000 2004 2008 2012

n Schwellenländer n Industrieländer ohne Schweiz n SchweizQuelle: Prognos Welthandelsmodell 2014 © Prognos 2014

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2000 2004 2008 2012

n Schwellenländer n Industrieländer ohne Schweiz n SchweizQuelle: Prognos Welthandelsmodell 2014 © Prognos 2014

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14 PRÄZISIONSGÜTERINDUSTRIE UND DIGITALISIERUNG14

Innovationskraft als Wettbewerbsvorteil

Erfolgreich durch Offenheit - Vorleistungs-importe aus China nehmen zu

Schwellenländer dynamisch aber 80 % der Vorleistungen weiterhin aus Industrieländern

Abbildung 2-9: Globale Anteile an den Forschungsausgaben in der Präzisionsgüterindustrie, Schweiz und Ländergruppen, 2000 bis 2012

Die gestiegene Forschungstätigkeit in der Schweizer Präzisionsgüterindustrie zeigt in Kombination mit der zunehmenden globalen Bedeutung der Bran-che, dass hohe Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen eine zentrale Grundvoraussetzung für erfolgreiche Industrien in wohlhabenden Volkswirt-schaften darstellen. Für Länder wie die Schweiz, mit im globalen Vergleich hohen Lohnkosten, ist eine starke Innovationskraft für den Erhalt der interna-tionalen Wettbewerbsfähigkeit von zentraler Bedeutung.

Die Präzisionsgüterindustrie der Schweiz hat es in den vergangenen Jahren verstanden, ihre Produkte und Lösungen den sich verändernden Anforde-rungen erfolgreich anzupassen. Beispielsweise hat die Branche ihre Kosten-struktur und damit ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit dadurch opti-miert, dass sie Komponenten und Vorleistungen vermehrt aus dem Ausland bezieht. So spielt mittlerweile China eine herausragende Rolle als Lieferant von Vorleistungsgütern für die Schweizer Uhrenindustrie. Die Hersteller von Zählern und Tachometern sowie die Anbieter von Geräten zum Messen, Prü-fen und Kontrollieren haben andere strategische Entscheidungen getroffen und weiteten ihre Vorleistungsbezüge sowohl aus China als auch aus den mittelosteuropäischen Ländern und den übrigen Schwellenländern deutlich aus. Insgesamt steigerte die Schweizer Präzisionsgüterindustrie den Import von Vorleistungsgütern zwischen 2000 und 2012 um knapp 200 %.

Die internationale Verflechtung der Schweizer Präzisionsgüterbranche zeigt eine deutliche Verschiebung der Vorleistungsbezüge von den Industrie- zu den Schwellenländern. Mittlerweile kommen 17 % aller Vorleistungen allein aus China. Die Anteilsgewinne der Schwellenländer gingen zum grossen Teil zulasten der relativen Bedeutung von Deutschland und Frankreich. Italien, Frankreich und die Niederlande, die ebenfalls eine wichtige Rolle als Vorleister für die Schweizer Präzisionsgüterindustrie spielen, konnten ihre Anteile stabil halten (Abbildung 2-10). Obwohl die Bedeutung der Schwellenländer und ins-besondere Chinas in den vergangenen Jahren stark gewachsen ist, kamen auch im Jahr 2012 noch über 80 % der Vorleistungsgüter für die Branche aus den westlichen Industrieländern.

in %

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80

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0

2000 2004

n Schwellenländer n Industrieländer ohne Schweiz n SchweizQuelle: Prognos Welthandelsmodell 2014 © Prognos 2014

2008 2012

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15PRÄZISIONSGÜTERINDUSTRIE UND DIGITALISIERUNG 15

Die Entwicklung der Präzisionsgüterbranche

Abbildung 2-10: Bezug von Vorleistungsgütern der Schweizer Präzisionsgüterindustrie nach Ländern und Ländergruppen, 2000, 2004, 2008 und 2012

2.3. Präzisionsgüter in der Region Zürich

„Die Präzisionsgüter sind eine Stärke der Schweiz, neben dem Ge-biet um Jura, Neuchâtel und Biel insbesondere in der Region Zürich bis nach Österreich und in die Bodenseeregion. Wir haben die ganze Breite von der Mechanik über die Elektronik bis zur IT-Steuerung – das ist international einmalig.“

Gian-Luca Bona, Direktor EMPA

Mit insgesamt 88‘000 Beschäftigten arbeiten rund 15  % aller Industriebe-schäftigten der Schweiz in der Präzisionsgüterbranche (2011). Damit sind die Präzisionsgüter neben den Metallerzeugnissen (15 %) und dem Maschinen-bau (14 %) eine der drei wichtigsten Industriebranchen der Schweiz.

Die bedeutendste Region für die Hersteller von Präzisionsgütern ist die Regi-on Jura. Insgesamt entfallen auf diese Region rund 22 % der Beschäftigung in der Branche. Danach folgen die Regionen Zürich und Genfersee mit jeweils 20 % der Beschäftigten. Knapp zwei Drittel der Beschäftigten in der Präzisi-onsgüterindustrie arbeiten in diesen drei Regionen. Ähnlich ist die räumliche Verteilung der Unternehmen – auch hier entfallen zwei Drittel auf die drei ge-nannten Regionen.

88‘000 Beschäftige in der Schweiz

Zwei Drittel der Beschäftigten in den Regionen Zürich, Jura und Genf

in %

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0

2000 2004 2008 2012

n Schwellenländer/MOEL n China n Deutschland n Frankreich n Italien n Vereinigte Staaten n Niederlande n Übrige IndustrieländerQuelle: Prognos Welthandelsmodell 2014 © Prognos 2014

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16 PRÄZISIONSGÜTERINDUSTRIE UND DIGITALISIERUNG16

Box 2-3

Definition der Regionen der Präzisionsgüterindustrie

Es gibt vielfältige Definitionen der Regionen in der Schweiz, die sich prinzipiell

nach dem Betrachtungs- bzw. Analysezweck richten. So stehen geografische

Abgrenzungen in Konkurrenz zu funktionalen, d.h. zu politischen oder wirtschaft-

lichen Abgrenzungen, die sich u. a. über den intraregionalen Austausch, die Er-

reichbarkeit oder Pendlerbewegungen definieren.

Zudem ist die Abgrenzung auch eine Frage der Verfügbarkeit der notwendigen

Daten bezogen auf die Fragestellung. In diesem Sinne können und müssen sich

Definitionen von Regionen je nach Verfügbarkeit der Daten und der bestmögli-

chen Ebene zur Beantwortung der Forschungsfragen unterscheiden. Zulasten der

Vergleichbarkeit mit anderen Studien aber zugunsten der bestmöglichen Beant-

wortung der vorliegenden Fragestellung wurde die folgende Definition gewählt:

• Region Zürich: Zürich, Aargau, Schaffhausen, Schwyz, Thurgau, Zug

• Region Ostschweiz: Appenzell-Innerhoden, Appenzell-Ausserrhoden, Gla-

rus, Graubünden, St. Gallen

• Region Basel: Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Solothurn

• Region Bern: Bern, Freiburg, Luzern, Obwalden

• Region Genfersee: Genf, Vaud

• Region Jura: Jura, Neuchâtel

• Region Tessin: Tessin

Die Definition orientiert sich primär an wirtschaftlichen Kriterien und soll die

Schwerpunkte der Präzisionsgüterbranche abbilden. Dabei muss die Definition

auch den Besonderheiten der Unterbranchen (Uhren vs. Medizin- und Messtech-

nik) Rechnung tragen. In diesem Sinn wurde die Region Jura (Jura, Neuchâtel)

getrennt ausgewiesen. Gleiches gilt für die Regionen Genfersee und Basel.

Aufgrund der Verfügbarkeit der Daten wird primär auf der kantonalen Ebene dif-

ferenziert. Dies führt zu Unschärfen hinsichtlich der regionalen Zugehörigkeit

der Kantone Solothurn und Aargau. Während Solothurn aufgrund der Branchen-

struktur gleich drei Regionen zugeordnet werden kann (Basel, Bern, Jura), ist der

Kanton Aargau aufgrund seiner wirtschaftlichen Verflechtungen sowohl Basel als

auch Zürich zuweisbar.

Um eine bestmögliche Verknüpfung der Wirtschaftsregionen mit den Technolo-

gieregionen (Kapitel 3) zu erreichen, wurden die Regionen Zürich und Ostschweiz

erweitert. Der Kanton Thurgau wurde der Region Zürich zugeordnet und bildet

die Verknüpfung zwischen den im Ausland wohnenden Forschern im westlichen

Teil des Bodensees und Zürich. Die Ostschweiz beinhaltet den Kanton Graubün-

den, der zusammen mit St. Gallen die Region mit dem grenznahen Österreich

verknüpft.

Page 22: Wirtschaft neu denken Präzisionsgüterindustrie und ......Wirtschaft neu denken Präzisionsgüterindustrie und Digitalisierung Das Innovationspotenzial der Wirtschaftsregion Zürich

17PRÄZISIONSGÜTERINDUSTRIE UND DIGITALISIERUNG 17

Die Entwicklung der Präzisionsgüterbranche

Die Bedeutung der Branche ist gemessen an der Beschäftigung in den einzel-nen Regionen sehr hoch. In den Regionen Genfersee (17‘600), Jura (19‘800) und Tessin (4‘300) ist sie die wichtigste Industriebranche, in der Region Basel (9‘500) kommt sie an zweiter Stelle nach der Pharmaindustrie und in der Re-gion Zürich (17‘000) an dritter Stelle nach dem Maschinenbau und den Metall-erzeugnissen (Abbildung 2-11).

Abbildung 2-11: Regionale Verteilung der Beschäftigten der Präzisionsgüterbranche, Anteile, 2011

Von der Gesamtbeschäftigung in der Präzisionsgüterbranche entfällt gut die Hälfte (47‘000) auf die Uhrenindustrie, rund 22‘000 Beschäftigte auf die Me-dizintechnik und 19‘000 Beschäftige auf die Mess- und Steuerungstechnik.

Obwohl sich die Präzisionsgüterindustrie sehr stark auf die drei Regionen Zürich, Jura und Genfersee konzentriert, sind innerhalb der Branche weitere Konzentrationstendenzen zu beobachten. Zwei Drittel der Gesamtbeschäftig-ten in der Uhrenindustrie (31‘500) sind in den Regionen Genfersee und Jura konzentriert. In der Mess- und Steuerungstechnik sowie der Medizintechnik arbeiten 40 % der Beschäftigten in der Region Zürich (Abbildung 2-12).

Quelle: Arbeitsstätten und Beschäftigte, Bundesamt für Statistik 2014 © Prognos 2014

Präzisionsgüter in den Regionen Genf, Jura und Tessin wichtigste Industriebranche

Uhrenbranche für Hälfte der Beschäftigung verantwortlich

Uhrenbranche mehrheitlich in den Regionen Genf und Jura, Mess- und Medizin-technik in Region Zürich

Page 23: Wirtschaft neu denken Präzisionsgüterindustrie und ......Wirtschaft neu denken Präzisionsgüterindustrie und Digitalisierung Das Innovationspotenzial der Wirtschaftsregion Zürich

18 PRÄZISIONSGÜTERINDUSTRIE UND DIGITALISIERUNG18

Abbildung 2-12: Regionale Verteilung der Beschäftigten der Unterbranche Medizin-, Mess- und Steuerungstechnik, Anteile, 2011

Der Grossteil der Unternehmen der Präzisionsgüterbranche geht historisch auf Entwicklungen der Uhrenindustrie zurück. In den letzten Jahren setzte eine neue Entwicklung ein: Während die Uhrenindustrie weiterhin stark in den Regionen Genfersee und Jura vertreten ist, bildeten die Medizintechnik sowie die Mess- und Steuerungstechnik ihren Schwerpunkt in der Region Zürich.

Quelle: Arbeitsstätten und Beschäftigte, Bundesamt für Statistik 2014 © Prognos 2014

Mess- und Medizintechnik emanzipiert sich

Page 24: Wirtschaft neu denken Präzisionsgüterindustrie und ......Wirtschaft neu denken Präzisionsgüterindustrie und Digitalisierung Das Innovationspotenzial der Wirtschaftsregion Zürich

19PRÄZISIONSGÜTERINDUSTRIE UND DIGITALISIERUNG 19

Die Bedeutung des technischen Fortschritts

3. Die Bedeutung des technischen Fortschritts am Beispiel der Digitalisierungstechnologien

„Technologie ist alles, sowohl im Produkt als auch in der Produktion.“

Rolf A. Sonderegger, Präsident & CEO, Kistler Group

Die Fortschritte der Informations- und Kommunikationstechnologie sowie die rasante Entwicklung des Internets und seiner Anwendungen führen zu tiefgrei-fenden Umbrüchen in Wirtschaft und Gesellschaft. Dies ermöglicht einzigarti-ge Chancen für nachhaltiges Wachstum und vielfältige neue Beschäftigungs-möglichkeiten. Die Digitalisierung der Wirtschaft ist der Innovationsmotor des 21. Jahrhunderts.

Die Digitalisierung bewirkt einen Automatisierungsschub und stellt einen Quantensprung in der Informationsverarbeitung dar. Sie führt zu mehr Effizi-enz und höherer Flexibilität der Wirtschaft und ermöglicht damit höhere Pro-duktivität. Dadurch entstehen zusätzliche Arbeitsplätze und mehr Wohlstand. Sie fördert neue Wertschöpfungsketten, die vom Kleinstbetrieb bis zum glo-bal agierenden Unternehmen in neue Produkte und Dienstleistungen umge-setzt werden können.

In der Industrie steht die digitale Vernetzung von Produkten und Produktions-prozessen im Mittelpunkt. Wertschöpfungsketten werden optimiert oder neu gestaltet und neue innovative Geschäftsmodelle werden entstehen.

Die Schweizer Industrie insgesamt wie auch die Präzisionsgüterbranche haben sich mit Investitionen in Forschung und Entwicklung auf die Zukunft in einem intensivierten globalen Wettbewerb ausgerichtet, der durch einen zunehmend dynamischen technologischen Fortschritt, kürzere Produkt-Le-benszyklen und die verstärkte Integration verschiedener Technologien ge-kennzeichnet ist. Die für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit notwendigen Innovationen werden kostspieliger und riskanter. Gleichzeitig entsteht ein wachsender Bedarf an interdisziplinärer Forschung und Entwicklung.

Weniger als früher gibt es heute eine typische Schlüsseltechnologie. Der technische Wandel vollzieht sich in allen Bereichen und Technikfeldern, und die einzelnen Gebiete entwickeln sich immer stärker in gegenseitiger Abhän-gigkeit und Vernetzung.

Die digitalen Technologien sind ein zentraler Treiber im Sinne von Quer-schnittstechnologien. Zu den digitalen Technologien zählen die Computer-technologie, die digitale Kommunikation, Halbleiter, IT für Managementauf-gaben sowie audio-visuelle Technologien. Diese Kernbereiche der digitalen Technologien diffundieren in andere Technologiefelder und kommen in vielen Branchen zur Anwendung. Ziel der vorliegenden Analyse ist es, diese Diffu-sion in andere Technologiefelder und damit den Querschnittscharakter der digitalen Technologien bestmöglich abzubilden.

Digitalisierung: Innovationsmotor des 21. Jahrhunderts

Mehr Wohlstand und Beschäftigung durch Digitalisierung

Vernetzung von Produkten und Produktionsprozessen

Wettbwerb wird intensiver, risikoreicher und kostspieliger

Digitalisierung ist nicht die Schlüsseltechnologie, sondern …

… die wichtigste Querschnittstechnologie

Page 25: Wirtschaft neu denken Präzisionsgüterindustrie und ......Wirtschaft neu denken Präzisionsgüterindustrie und Digitalisierung Das Innovationspotenzial der Wirtschaftsregion Zürich

20 PRÄZISIONSGÜTERINDUSTRIE UND DIGITALISIERUNG20

Messung der Digitalisierung über Patente

Die globale Entwicklung im Bereich der digitalen Technologien in den vergan-genen Jahren lässt sich mithilfe einer Patentanalyse erfassen und darstellen. Patente sind ein zentraler Indikator des technischen Wissens von Unterneh-men. Die vorliegende Analyse verwendet dabei Patente, die nach den Vorga-ben des Patent Cooperation Treaty (PCT) vergeben wurden. Diese Vorgaben

Box 3-1

Wie messen wir Digitalisierung?

Die Erfassung der Kernbereiche digitaler Technologien (Computertechnologie,

digitale Kommunikation, Halbleiter, IT für Managementaufgaben sowie audio-vi-

suelle Technologien) basiert auf einer umfangreichen Patentanalyse. Die Analyse

verläuft in mehreren Teilen:

1. Abgrenzung der Kernbereiche der Digitalisierung

Die Kernbereiche der Digitalisierung wurden mit Hilfe der internationalen Patent-

klassifikation und der Zuordnung von Patentklassen zu 35 Technologiebereichen

bestimmt. Die Entwicklung der Anzahl der jährlich angemeldeten weltweiten

Patente im Kernbereich der digitalen Technologien zeigt die Bedeutung dieser

Technologien.

2. Messung der Diffusion des digitalen Wissens

Um die Diffusion der digitalen Technologien in die Wissensbestände der Unter-

nehmen abzuschätzen, werden unterschiedliche Analysen durchgeführt.

a. Patentanalysen zu Kookkurrenzen von Patentklassen

Patente werden in der Regel mehreren Patentklassen zugeordnet. Die Analy-

se des gemeinsamen Vorkommens (Kookkurrenz) von Patentklassen erlaubt

es, die Diffusion digitaler Technologien nachzuzeichnen. Wenn beispielswei-

se ein Patent sowohl medizinischen als auch digitalen Technologien zuge-

ordnet worden ist, wird es im Sinne der Kookkurrenz erfasst und den digita-

len Technologien zugeordnet.

b. Computerlinguistische Verfahren

Die inhaltlichen Beschreibungen aller weltweit zwischen 2000 und 2011 an-

gemeldeten Patente werden mit Hilfe computerlinguistischer Verfahren analy-

siert. Es werden Gruppen von Begriffen identifiziert, die für den Fachkontext

digitaler Technologien spezifisch sind und mittlerweile in Beschreibungen von

Patenten mit anderem technologischen Schwerpunkt diffundiert sind.

3. Digitalisierungsanteile nach Wirtschaftsbereichen

Auf der Grundlage der obigen Diffusion der Digitalisierung wird mit Hilfe eines

Umsteigeschlüssels die Übertragung der Digitalisierungsanteile auf die Wirt-

schaftszweige vorgenommen. Der sich daraus ergebende Digitalisierungsanteil

einer Branche gibt Aufschluss darüber, wie hoch der Anteil an Patentanmeldun-

gen mit Digitalisierungstechnologien gemessen an allen eingereichten Patenten

innerhalb eines Wirtschaftsbereichs ist.

Page 26: Wirtschaft neu denken Präzisionsgüterindustrie und ......Wirtschaft neu denken Präzisionsgüterindustrie und Digitalisierung Das Innovationspotenzial der Wirtschaftsregion Zürich

21PRÄZISIONSGÜTERINDUSTRIE UND DIGITALISIERUNG 21

Die Bedeutung des technischen Fortschritts

Ansatz zur Analyse der Diffusion digitaler Patente

Starke Dynamik bis zur New-Economy-Blase, danach stetiges Wachstum

stellen sicher, dass die Patenterteilung international gültigen Standards ge-nügt und damit eine internationale Vergleichbarkeit gewährleistet ist.

Um die Diffusion der Digitalisierung in andere Technologien zu erfassen, geht die Analyse über die reine Betrachtung der digitalen Patente hinaus:

• Da Patente in der Regel mehreren Patentklassen zugeordnet werden, erlaubt die Analyse des gemeinsamen Vorkommens (Kookkurrenz) von Patentklassen die Nachzeichnung der Diffusion digitaler Technologien in andere Technologien.

• Mit Hilfe computerlinguistischer Verfahren werden die inhaltlichen Be-schreibungen aller weltweit zwischen 2000 und 2011 angemeldeten Pa-tente auf Begriffe analysiert, die für den Fachkontext digitaler Technolo-gien spezifisch sind und mittlerweile in Beschreibungen von Patenten mit anderem technologischen Schwerpunkt diffundiert sind.

3.1. Weltweite Entwicklung der Digitalisierungstechnologien

Insgesamt ist die Anzahl der weltweit angemeldeten Patente und damit die Forschung und Entwicklung im Bereich der Digitalisierungstechnologien im betrachteten Zeitraum 1990 bis 2011 stark gestiegen. Insbesondere in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre ist ein massiver Anstieg zu verzeichnen (Ab-bildung 3-1). In den 2000er Jahren schwächte sich das Wachstum spürbar ab, wofür sich zwei massgebende Gründe identifizieren lassen. Zum einen hatten die digitalen Technologien ein bereits hohes Niveau erreicht, wodurch sich mehrstellige Zuwachsraten schwieriger realisieren liessen. Zum anderen reagierten Unternehmen in wirtschaftlich unsicheren Zeiten in der Regel mit Ausgabenkürzungen. Insbesondere die Etats für Forschung und Entwicklung fielen oft kurzfristigen Einsparungen zum Opfer. Als Nachwirkung des Platzens der New-Economy-Blase im Jahr 2000 stagnierte in den darauf folgenden Jahren die Zahl der Patentanmeldungen im Bereich digitaler Technologien. Das Muster wiederholte sich nach dem Ausbruch der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 und dem Einsetzen der europäischen Staatsschulden-krise 2010.

Abbildung 3-1: Anzahl der PCT-Patente, die ganz oder anteilig in den Kernbereich digitale Technologien fallen, 1990 bis 2011

© Prognos 2014

in Tsd.

40

35

30

25

20

15

10

5

019951990 2000 20112005

Page 27: Wirtschaft neu denken Präzisionsgüterindustrie und ......Wirtschaft neu denken Präzisionsgüterindustrie und Digitalisierung Das Innovationspotenzial der Wirtschaftsregion Zürich

22 PRÄZISIONSGÜTERINDUSTRIE UND DIGITALISIERUNG22

Patentaktivitäten unterliegen Schwankungen

Schwerpunkte Computer-technologien und digitale Kommunikation

Digitalisierungsgrad der Branchen steigt

In den einzelnen Technologiebereichen zeigen sich unterschiedliche Entwick-lungsphasen. Auf die Computertechnologie entfielen im Beobachtungszeit-raum die meisten PCT-Patente. Insbesondere in den 1990er Jahren sowie zwischen 2004 und 2007 nahm die Forschung in diesem Bereich stark zu. In den letzten Jahren des Betrachtungszeitraums ging die Forschungstätigkeit gemessen an den Patentanmeldungen wieder etwas zurück (Abbildung 3-2).

Die zweithöchste Zahl an Patentanmeldungen entfiel über die Jahre hinweg auf den Technologiebereich digitale Kommunikation. Dieser Bereich konnte vor allem zum Ende der 1990er und gegen Ende der 2000er Jahre zulegen. Einen sehr kontinuierlichen Anstieg zeigen die Bereiche Halbleitertechnologi-en sowie die audio-visuellen Technologien. Eine etwas abweichende Entwick-lung weisen die Patentanmeldungen im Bereich IT für Managementaufgaben auf. Dieser Bereich erreichte im Jahr 2001 seinen Höhepunkt. Im Anschluss ging die Zahl der Patente wieder spürbar zurück und stagnierte danach.

Abbildung 3-2: Anzahl von PCT-Patenten mit mindestens einer Patentklasse aus dem Kernbe-reich digitaler Technologien, 1990 bis 2011

3.2. Die Bedeutung der Digitalisierungstechnologien für die Branchen

„Die Digitalisierung aller Arbeitsprozesse und Produkte schreitet voran. In absehbarer Zeit wird es kaum noch Produkte mit einem gewissen Komplexitätsgrad geben, die nicht digitalisiert sind. Die Präzisionsindustrie wird hier eine Vorreiterrolle spielen.“

Patrick Roth, Geschäftsführer Präzisionscluster Schweiz

Die stärker werdende Rolle der Digitalisierungstechnologien als zentraler Wachstumstreiber für die Industrie lässt sich nicht nur an der steigenden Anzahl von Patenten in den einzelnen Digitalisierungsbereichen ablesen. Sie zeigt sich insbesondere am spürbaren Anstieg des Digitalisierungsgrads in den einzelnen Wirtschaftsbereichen.

Digitale Technologien (gesamt) IT für Managementaufgaben Digitale Kommunikation Computertechnologie Halbleiter Audio-visuelle Technologien (Auswahl)

© Prognos 2014

Anzahl PCT-Patente in Tsd.

40

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20

15

10

5

0

1990 20112000

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23PRÄZISIONSGÜTERINDUSTRIE UND DIGITALISIERUNG 23

Die Bedeutung des technischen Fortschritts

Definition Digitalisierungsgrad

Digitalisierungsgrad steigt auf 23 %

Digitalisierung findet in allen Branchen statt, aber …

Der Digitalisierungsgrad einer Branche lässt sich als Anteil der Patentanmel-dungen mit Digitalisierungsanteil an der Gesamtheit aller Patentanmeldungen in dieser Branche definieren (Box 3-1).

Über alle Wirtschaftsbereiche erhöhte sich der Digitalisierungsgrad zwischen 1991 und 2011 von knapp 16 % auf knapp 23 %. Wiederum war in den 1990er Jahren der Anstieg besonders stark und schwächte sich im Anschluss, nach dem Ende der New-Economy-Euphorie, spürbar ab (Abbildung 3-3).

Abbildung 3-3: Entwicklung des durchschnittlichen Digitalisierungsanteils in allen Wirt-schaftsbereichen, 1991 bis 2011

Die Digitalisierung der Produktion ist über alle Branchen hinweg in den ver-gangenen 20 Jahren mit teils enormem Tempo vorangeschritten. Keine Bran-che kommt heute noch ohne Produkte und Produktionsprozesse mit hohen Digitalisierungsanteilen aus.

Abbildung 3-4: Anteil der Digitalisierungstechnologien an den insgesamt verwendeten Tech-nologien im Produktionsprozess nach Branchen, 2011

© Prognos 2014

in %

24

22

20

18

16

14

12

1019951991 2000 20112005

in %

Präzisionsgüter

Elektrische Ausrüstungen

Druckerzeugnisse

Metallerzeugnisse

Maschinenbau

Textilindustrie

Glas und Keramik

Automobilbau

Chemische Industrie

© Prognos 2014

0 10 20 30 40 50 60

Page 29: Wirtschaft neu denken Präzisionsgüterindustrie und ......Wirtschaft neu denken Präzisionsgüterindustrie und Digitalisierung Das Innovationspotenzial der Wirtschaftsregion Zürich

24 PRÄZISIONSGÜTERINDUSTRIE UND DIGITALISIERUNG24

… Präzisionsgüterbranche am stärksten betroffen

Digitalisierungseinflüsse vielfältig

Mess- und Steuerungs-technik zentral für eine vernetzte Produktion

„Industrie 4.0“ als Fernziel

Aufräge steuern sich selbst in der intelligenten Fabrik

Messtechnik als Voraussetzung für neue intelligente Produktion

Einzelne Branchen sind oft noch deutlich stärker von den Umwälzungen im Zuge der digitalen Transformation betroffen als es die gesamtwirtschaftlichen Zahlen verraten. Unter allen Industriebranchen ist kein Wirtschaftsbereich stärker digitalisiert als die Präzisionsgüterindustrie. Hier entfielen im Jahr 2011 über 55 % aller Patentanmeldungen auf die beschriebenen Digitalisierungs-technologien (Abbildung 3-4).

Die besondere Bedeutung der Digitalisierung für die Präzisionsgüter lässt sich anhand der vielfältigen Einflüsse erklären. Zum einen erlaubt die Digitalisie-rung die Vernetzung der Produktionsprozesse, zum anderen erlaubt sie eine umfassende Individualisierung der Produkte und der nachgelagerten Dienst-leistungen.

Mess- und Steuerungstechnik

Die Mess- und Steuerungstechnik wird massiv von der Veränderung der Pro-duktionsprozesse beeinflusst und beeinflusst ihrerseits die Dynamik und den Grad der Veränderung selbst, da sie Kern und Voraussetzung für die vernetzte Produktion ist.

Die heutige Bedeutung und zukünftige Entwicklung kann mit dem Konzept „Industrie 4.0“ verdeutlicht werden, das die Digitalisierung der Produktion als den vierten evolutionären Schritt der industriellen Entwicklung beschreibt. Nach Dampfmaschine, Fliessband und der Computerisierung von Arbeits-plätzen folgt nun die Einbindung innovativer Internettechnologien in die Ferti-gung von Produkten.

Die fortschreitende Entwicklung der Informations- und Kommunikationstech-nik wird langfristig zu einer Industrieproduktion führen, die aus intelligenten, sich selbst steuernden Objekten besteht. Aufträge steuern sich selbststän-dig durch ganze Wertschöpfungsketten, buchen ihre Bearbeitungsmaschinen und ihr Material und organisieren ihre Auslieferung zum Kunden. Möglich ge-macht wird die Vernetzung dieser dezentralen intelligenten Systeme durch die flächendeckende und bezahlbare Verfügbarkeit der technischen Infra-struktur in Form von industriell einsetzbaren (Funk-) Internetverbindungen. Logisch werden die Systeme durch die konsequente Anwendung von dezent-ralen Steuerungsprinzipien wie Multiagentensystemen gekoppelt, die sich am schon lange propagierten „Internet der Dinge“ orientieren. Dies ermöglicht die Integration von realer und virtueller Welt. Produkte, Geräte und Objekte mit eingebetteter Software wachsen zu verteilten, funktionsintegrierten und rückgekoppelten Systemen zusammen.

Entscheidend für „Industrie 4.0“ sind vor allem Technologien mit Sensorik (Messung und Kontrolle einer Veränderung im System) und Aktorik (Erzeu-gung einer Bewegung im System) mit eingebetteter Intelligenz, die die Mess- und Steuertechnik zur Verfügung stellen wird. Nur so ist es für Produkte möglich, ihre Umgebung wahrzunehmen und mit dieser zu interagieren. Auch die drahtlose Kommunikation wie der Breitband-Mobilfunk oder RFID (Radio Frequency Identification) spielen eine wichtige Rolle. Des Weiteren sind se-mantische Beschreibungen von Diensten und Fähigkeiten wichtig, die eine Interaktion von Produktstücken und Maschinen auf intelligente Art und Weise gewährleisten. Mit „Plug and Produce“ wird es ermöglicht, dass Maschinen

Page 30: Wirtschaft neu denken Präzisionsgüterindustrie und ......Wirtschaft neu denken Präzisionsgüterindustrie und Digitalisierung Das Innovationspotenzial der Wirtschaftsregion Zürich

25PRÄZISIONSGÜTERINDUSTRIE UND DIGITALISIERUNG 25

Die Bedeutung des technischen Fortschritts

Medizintechnik und Ge-sundheitsdienstleistungen

Vernetzung und Individualisierung der Behandlung

Vertikale und horizontale Vernetzung

Individuelle Therapieverfahren

Uhren und „Internet der Dinge“

Smart-Watches mit vielfältigen Zusatzfunktionen

ihr Umfeld automatisch erkennen und sich mit anderen Maschinen vernetzen und miteinander kommunizieren können. Dadurch gelingt der Austausch von Informationen über Aufträge, Auslastung und optimale Fertigungsparameter.

Medizintechnik

Im Gesundheitswesen wirkt neben der Digitalisierung der Produktion auch der Trend zur effizienten, hochwertigen, schnelleren aber auch kostensensi-tiven Erbringung von Gesundheitsdienstleistungen, so dass neben medizini-schen Prozessen auch betriebliche und organisatorische Prozesse nachhaltig verändert werden.

Bezogen auf die Medizintechnik im Besonderen, kann die zunehmende Digi-talisierung in zweifacher Hinsicht wirken. Zum einen im Bereich der stärkeren Vernetzung der medizinischen Geräte und zum anderen im Bereich der Indivi-dualisierung der Behandlungsmethoden.

Die Vernetzung der medizinischen Geräte erfolgt einerseits horizontal, d. h. verschiedenste Geräte werden mit Hilfe digitaler Schnittstellen vernetzt und verbessern den Datenfluss der Geräte untereinander. Anderseits erfolgt die Vernetzung auch vertikal, indem sie die Verknüpfung der medizinischen Geräte mit den gesamten Krankenhaussystemen und den Patientenakten ermöglicht. Somit können beispielsweise Medizinprodukte für bildgebende Verfahren (Ul-traschallgeräte, Computertomographen, Röntgengeräte, etc.) elektronische Informationen untereinander austauschen. Bild- und Videodaten werden aber auch als Befunde in OP-Berichte oder Krankenakten übernommen werden.

Zudem ermöglicht die Digitalisierung weitere individuellere Behandlungsme-thoden und Therapieverfahren. Die Einbeziehung individueller Daten des Pa-tienten in Diagnose, Therapie und Nachsorge bietet grosse Chancen für eine verbesserte Patientenversorgung. Dies kann z. B. zur Herstellung spezieller Endoprothesen führen, die mit einer individuellen, für den Patienten ausge-wählten Arzneimittel-Kombination beschichtet sind. Andere Beispiele sind IT-unterstützte, personalisierte Medikamentenabgabesysteme oder individuell ergonomisch angefertigte Implantate und chirurgische Instrumente auf Basis von Bilddaten des Patienten.

Uhrenindustrie

Auch die Uhrenindustrie wird von der Digitalisierung erfasst, wobei weniger die Produktion als das Produkt und dessen Vernetzung mit dem „Internet der Dinge“ im Mittelpunkt des Wandels steht. Aus heutiger Sicht ist unklar, ob sich die Schweizer Uhrenindustrie dem Trend aufgrund ihrer mehrheitlichen Positionierung im Luxussegment entziehen kann bzw. will. Viel wird davon abhängen, ob die Uhrenindustrie – zumindest im Massengeschäft – digita-len Zusatznutzen bieten kann, wie beispielsweise Gesundheitsinformationen über Sensoren, ohne ihren modischen Markenkern zu verlieren.

Sogenannte Smart-Watches werden neben den bereits genannten Gesund-heitsinformationen weiteren Zusatznutzen aus der Vernetzung mit dem „In-ternet der Dinge“ bieten können. Dazu gehört neben der Verknüpfung mit

Page 31: Wirtschaft neu denken Präzisionsgüterindustrie und ......Wirtschaft neu denken Präzisionsgüterindustrie und Digitalisierung Das Innovationspotenzial der Wirtschaftsregion Zürich

26 PRÄZISIONSGÜTERINDUSTRIE UND DIGITALISIERUNG26

Risiko auch im Hochpreissegment

Auswirkungen auf Schweizer Uhrenindustrie noch unklar

Systemlösungen zur Reduktion von Schnittstellen …

… ermöglichen effizientere und sichere Prozesse

Mobiltelefonen (Mail, Telefon), die Hausautomation, Zugangskontrolle, mobile Zahlungssysteme und grundsätzliche Mobilitätsaspekte wie Navigation bzw. die Integration mit öffentlichen und privaten Verkehrsmitteln. Die Schwächen der heutigen Smart-Watches wie Batterielaufzeit oder Miniaturisierung sind grundsätzlich technisch lösbar und somit nur eine Frage der Zeit.

Neben der offensichtlichen Frage, ob Smart-Watches traditionelle Uhren im ähnlichen Preissegment verdrängen werden, ist ebenfalls ungeklärt, ob zu-künftig der weiter zunehmende Zusatznutzen der Smart-Watches klassische Kauf- und Nutzenargumente (Status, Prestige, persönlicher Geschmack, Stil) für Schweizer Luxusmarken in den Hintergrund drängen werden.

Der grundsätzliche Trend zur Digitalisierung der weltweiten Uhrenindust-rie wird davon unbenommen sein. Eine traditionelle Branche wird mit einem Markt konfrontiert, der durch disruptive Technologien geprägt ist, auf innova-tiver Software aufbaut und von zwei führenden Systemen geprägt ist (Apple iOS und Google Android/Wear). Für die Schweizer Uhrenindustrie stellt sich die Frage, ob sie diesen Trend aktiv gestalten kann, soll und will.

Übergreifende Bedeutung von Systemlösungen, Normierungen und Sicherheit

Übergreifend können durch die Digitalisierung Lösungen erarbeitet werden, die in allen betrachteten Industriezweigen ähnlich wirken. Primär ist darun-ter der Trend vom Produkt- zum Systemanbieter zu verstehen. Sowohl in der Mess- und Steuerungstechnik als auch in der Medizintechnik steigt die Nach-frage nach System- oder Prozesslösungen. Diese bieten das Potenzial, die Effizienz der Produktion bzw. der Behandlungen zu erhöhen, indem verschie-dene Funktionseinheiten eines technischen Systems bzw. Organisationsein-heiten in der Versorgung geeignet verknüpft werden. Ein zentraler Vorteil liegt ferner darin, dass Teilsysteme kombiniert bzw. konfiguriert werden können und somit flexibler als Einzellösungen einsetzbar sind. Die zunehmende Mo-dularisierung ermöglicht zudem individuelle Anpassungen für den Anwender.

Zudem minimieren Systemlösungen das Problem oftmals fehlender Normen und Standards. Beispielsweise sind Produkte der Medizintechnik mit prop-rietären d. h. herstellerspezifischen Schnittstellen ausgerüstet, die nicht zu anderen Herstellern passen und nicht vernetzt werden können. Systeme re-duzieren die Schnittstellen, minimieren fehleranfällige Medienbrüche und er-möglichen effizientere Prozessabläufe. Nicht zuletzt erhöhen Systemlösun-gen die Sicherheit der Produktionsanlagen und der Daten.

Page 32: Wirtschaft neu denken Präzisionsgüterindustrie und ......Wirtschaft neu denken Präzisionsgüterindustrie und Digitalisierung Das Innovationspotenzial der Wirtschaftsregion Zürich

27PRÄZISIONSGÜTERINDUSTRIE UND DIGITALISIERUNG 27

Die Bedeutung des technischen Fortschritts

Grossteil der IT-Forschung in der Region Zürich

Grenzregionen werden berücksichtigt

3.3. Digitalisierungstechnologien in der Region Zürich

„Die Region Zürich ist der Standort, an dem das IT Know-How der Schweiz konzentriert ist.“

Dr. Matthias Kaiserswerth, Vice President and Director, IBM Research - Zurich

Die Forschungskompetenz im Bereich der Digitalisierungstechnologien der Region Zürich ist besonders ausgeprägt. Rund ein Drittel der gesamten Akti-vitäten der Schweiz in diesen Technologien erfolgt in der Region Zürich. Damit liegt Zürich deutlich vor den anderen Regionen der Schweiz.

Die regionale Verteilung wird anhand der Wohnorte der in den Patenten ge-nannten Forscher vorgenommen. Damit wird sichergestellt, dass die regiona-le Forschungsleistung im Vordergrund steht und nicht – wie üblich in Auswer-tungen dieser Art – der Hauptsitz des anmeldenden Unternehmens. Zudem wurden grenzüberschreitende Forschungsaktivitäten berücksichtigt, sofern sie für Schweizer Unternehmen getätigt wurden (Box 3-2).

Box 3-2

Definition der Regionen für Digitalisierungstechnologien

Die regionale Verteilung der Patentanmeldungen im Bereich der Digitalisierungs-

technologien erfolgt nach einem geringfügig anderen Muster als im Bereich der

Präzisionsgüterbranche.

Die Berechnungen basieren auf Patentanmeldungen im Bereich der Digitalisie-

rungstechnologien im Zeitraum 2000-2012. Die regionale Verteilung wird anhand

der Wohnorte der in den Patenten genannten Forscher vorgenommen. Damit

wird sichergestellt, dass die regionale Forschungsleistung im Vordergrund steht

und nicht – wie üblich in Auswertungen dieser Art – der Hauptsitz des anmelden-

den Unternehmens.

Zudem wurden grenzüberschreitende Forschungsaktivitäten berücksichtigt, so-

fern sie für Schweizer Unternehmen getätigt wurden. D. h. Forscher wohnhaft

im grenznahen Deutschland von Lörrach bis Freiburg wurden ebenso der For-

schungsregion Basel zugerechnet wie Forscher wohnhaft im Elsass. Gleiches

gilt für das grenznahe Frankreich bezogen auf die Forschungsregion Genfersee,

die westliche Bodenseeregion im Fall der Forschungsregion Zürich, die östliche

Bodenseeregion sowie das grenznahe Österreich bezogen auf die Region Ost-

schweiz, das grenznahe Frankreich bezogen auf die Forschungsregion Jura und

die italienische Grenzregion rund um das Tessin.

Die Regionen sind anhand der in den Patentinformationen angegebenen Post-

leitzahlen in den Adressen der beteiligten Forscher gruppiert. Damit ist eine fei-

nere Definition der Regionen möglich als der für die Präzisionsgüterbranche ver-

wende Ansatz auf kantonaler Ebene. Die Unterschiede zeigen sich insbesondere

im Kanton Aargau, der in dieser Verteilung zum Teil der Region Basel und zum

Teil der Region Zürich zugeordnet wurde, während er in der Branchensicht aus-

schliesslich der Region Zürich zugeordnet worden ist.

Page 33: Wirtschaft neu denken Präzisionsgüterindustrie und ......Wirtschaft neu denken Präzisionsgüterindustrie und Digitalisierung Das Innovationspotenzial der Wirtschaftsregion Zürich

28 PRÄZISIONSGÜTERINDUSTRIE UND DIGITALISIERUNG28

Grenznahes Ausland für Region Basel und Genf wichtiger als für Zürich

Regionen Zürich und Genf vereinen die Hälfte der IT-Forschungskapazität der Schweiz

Die regionale grenzüberschreitende Integration ist unterschiedlich stark aus-geprägt. Während in der Region Basel und im Tessin zwischen 20  % und 25 % der Forscher im Bereich der digitalen Technologien im grenznahen Aus-land wohnen, sind es in den übrigen Regionen jeweils weniger als 10 %. In der Region Zürich wohnen weniger als 3 % der Forscher im grenznahen Ausland. Diese Anteile sind seit dem Jahr 2000 stabil, was auch bedeutet, dass die grenzüberschreitende Forschung im Beobachtungszeitraum nicht gestiegen ist. Gesamthaft über alle 35 Technologien gerechnet, steigt der Anteil der For-scher im grenznahen Ausland in allen untersuchten Regionen leicht an, d. h. die Forschung in den digitalen Technologien ist stärker auf die Schweiz kon-zentriert als in anderen Technologien.

Die Region Zürich hat mit 30 % den weitaus grössten Anteil der Forschung in den digitalen Technologien. Neben der Region Zürich bildet die Region Genfersee (17 %) den zweiten Schwerpunkt der Digitalisierungstechnologi-en. Zusammen vereinen beide Regionen fast die Hälfte der gesamten For-schungskapazität der Schweiz im Bereich der digitalen Technologien auf sich (Abbildung 3-6). Die Regionen Jura, Bern und Basel liegen mit Anteilen zwi-schen 11 % und 12 % gleichauf.

Abbildung 3-5: Die Schweiz nach Forschungsregionen

© Prognos 2014

82

68

69

76

74

67

66

19

37

30

31

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7036

35

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56

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24 20

26

33 34

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61

86

492562

64

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91

96

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4451

4657

5253

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9295

84

83815450

43

4229

14

1211

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75

7273

93

Page 34: Wirtschaft neu denken Präzisionsgüterindustrie und ......Wirtschaft neu denken Präzisionsgüterindustrie und Digitalisierung Das Innovationspotenzial der Wirtschaftsregion Zürich

29PRÄZISIONSGÜTERINDUSTRIE UND DIGITALISIERUNG 29

Die Bedeutung des technischen Fortschritts

Forschungsregion Genf stark vom CERN getrieben

Abbildung 3-6: Regionale Verteilung der Patentanmeldungen nach Wohnort und Erfinder, 2000 bis 2012, kumuliert

Insgesamt zeigt sich in dieser Betrachtung, dass die Forschungsregion Zürich den Schwerpunkt in den digitalen Technologien in der Schweiz bildet. Dabei ist noch zu berücksichtigen, dass ein Grossteil der Innovationsaktivitäten der zweitplatzierten Region Genfersee aus dem CERN stammt, dessen Aktivitä-ten grösstenteils in den Bereich Grundlagenforschung fallen und damit nicht in erster Linie auf industrielle Anwendung zielen.

Quelle: Arbeitsstätten und Beschäftigte, Bundesamt für Statistik 2014 © Prognos 2014

Page 35: Wirtschaft neu denken Präzisionsgüterindustrie und ......Wirtschaft neu denken Präzisionsgüterindustrie und Digitalisierung Das Innovationspotenzial der Wirtschaftsregion Zürich

30 PRÄZISIONSGÜTERINDUSTRIE UND DIGITALISIERUNG30

Page 36: Wirtschaft neu denken Präzisionsgüterindustrie und ......Wirtschaft neu denken Präzisionsgüterindustrie und Digitalisierung Das Innovationspotenzial der Wirtschaftsregion Zürich

31PRÄZISIONSGÜTERINDUSTRIE UND DIGITALISIERUNG 31

Präzisionsgüter und Digitalisierungstechnologien in der Region Zürich

4. Präzisionsgüter und Digitalisierungstechnologien in der Region Zürich

„Software alleine kann man überall auf der Welt entwerfen. Die Zukunft liegt für uns in den integrierten Systemen, in der intelli-genten Kombination von Digitalisierung und Präzisionsgütern. Die räumliche Nähe ist dabei sehr wichtig, denn man kann engere und vertrauensvollere Beziehungen aufbauen. Es ist ein Standortvorteil in Zürich, dass man etwas Neues ausprobieren kann, beispielsweise zwischen Industrie und Hochschule zu wechseln, ohne den Wohnsitz wechseln zu müssen.“

Dr. Matthias Kaiserswerth, Vice President and Director, IBM Research - Zurich

Der technologische Fortschritt ist in den Industrieländern der zentrale Wachs-tumstreiber. Neue Technologien diffundieren heute weltweit schneller als früher. Einzelne Länder bzw. Unternehmen werden technologisch bedingte Wettbewerbsvorteile immer nur kurzfristig innehaben und müssen ihren Vor-sprung beständig durch Innovationen wieder erarbeiten bzw. absichern.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass

• ein intensiver globaler Wettbewerb einher geht mit dynamischen techno-logischen Fortschritten, kürzeren Produkt-Lebenszyklen und einer zuneh-menden Integration verschiedener Technologien;

• Innovationsbemühungen dabei kostspieliger und riskanter werden und gleichzeitig ein grösserer Bedarf an interdisziplinärer Forschung entsteht.

Die Analyse hat gezeigt, dass technologischer Fortschritt immer stärker mit der zunehmenden Digitalisierung der industriellen Produktionsprozesse ein-hergeht. Insbesondere die Präzisionsgüterindustrie zeichnet sich durch eine weit überdurchschnittliche Durchdringung mit digitalen Technologien aus. Keine andere Industriebranche wird so stark von digitalen Technologien transformiert.

Ein zentrales Charakteristikum der Präzisionsgüterindustrie in und um Zü-rich ist die räumliche Nähe von Produktion und Forschung. Trotz des hohen Lohnniveaus in der Schweiz ist die Produktion von Präzisionsgütern hier hoch profitabel. Dies belegen deutlich die in der jüngeren Vergangenheit spürbar gestiegenen Weltmarktanteile der Schweiz bei Produktion oder Export.

Die Zukunftsfähigkeit der Präzisionsgüterindustrie hängt stark von der best-möglichen Nutzung der Digitalisierungstechnologien entlang der gesamten Wertschöpfungskette ab. Die Komplexität der Produktion und das Innovati-onsniveau erfordern es, Forschungsaktivitäten und Produktion räumlich zu konzentrieren. Die Nähe zur Grundlagenforschung sowie zu spezialisierten IT-Unternehmen ermöglicht wertvolle Wissensspillover, die zukünftig eher noch wichtiger sein werden als heute.

Wettbewerbsvorteile nur kurzfristig - Technologien weltweit verfügbar

Der globale Wettbewerb wird intensiver, risiko-reicher und kostspieliger

Technischer Fortschritt von Digitalisierung getrieben

Region Zürich mit hoher Wettbewerbsfähigkeit

Räumliche Konzentration von Forschung und Produktion notwendig

Page 37: Wirtschaft neu denken Präzisionsgüterindustrie und ......Wirtschaft neu denken Präzisionsgüterindustrie und Digitalisierung Das Innovationspotenzial der Wirtschaftsregion Zürich

32 PRÄZISIONSGÜTERINDUSTRIE UND DIGITALISIERUNG32

Ein entscheidender Vorteil der Ko-Lokation von Produktion und Forschung ist die erhöhte Reaktionsgeschwindigkeit der oft hochspezialisierten Unterneh-men auf die sich zunehmend schneller ändernden Bedürfnisse ihrer Kunden. Bei den hier häufig komplexen Produktionsprozessen ist die räumliche Nähe der Forschung zur Produktion ein wichtiger Vorteil für die Umsetzungsge-schwindigkeit von Innovationen.

Insbesondere die Präzisionsgüterindustrie kann von dieser technologischen Verbundenheit profitieren. In keiner anderen Industriebranche ist der Einfluss der Digitalisierung so ausgeprägt und insbesondere in der Region Zürich fin-den die Unternehmen die zunehmend wichtige Ko-Lokation von IT und In-dustrie d. h. von Innovations- und Produktionsprozessen. Dies ermöglicht die Bildung moderner hybrider Wertschöpfungsnetzwerke.

Reaktions- und Umsetzungsgeschwindig-keit höher

Region Zürich besitzt alle Voraussetzungen

Page 38: Wirtschaft neu denken Präzisionsgüterindustrie und ......Wirtschaft neu denken Präzisionsgüterindustrie und Digitalisierung Das Innovationspotenzial der Wirtschaftsregion Zürich

33PRÄZISIONSGÜTERINDUSTRIE UND DIGITALISIERUNG 33

Herausforderungen für die Region Zürich

5. Herausforderungen für die Region Zürich

Investitionen in neues technisches Wissen und neue technische Innovationen haben eine ausgeprägte struktur- und wachstumsprägende Kraft – sie zer-stören Bestehendes und schaffen zugleich Neues. Diese Prozesse sind be-einflussbar und steuerbar. Eine Wirtschaftsregion kann über ihre strategische Ausrichtung definieren, welcher Weg der für sie effektivste ist.

Die vorliegende Analyse am Beispiel der Präzisionsgüter und der Digitalisie-rung hat gezeigt, dass die Schweiz und insbesondere Zürich beste Voraus-setzungen besitzen, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. Aber wie überall, so gibt es auch hier Chancen und Risiken.

Die folgenden Fragen und Ansatzpunkte zu ihrer Beantwortung ergaben sich im Laufe der Studienerstellung, standen aber nicht im direkten Zusammen-hang mit der zentralen Fragestellung. Sie haben über den analysierten Zu-sammenhang hinaus allgemeine Gültigkeit und deshalb sollten sie im Sinne der oben genannten Notwendigkeit, das Erreichte immer wieder neu zu erar-beiten, Anlass zu weiterführenden Überlegungen sein.

Sicherung des Fachkräftebedarfs

„Als mittelständisches Unternehmen muss ich mich von der Vorstellung verabschieden, für die Spezialisten und Spitzenkräfte attraktiv zu sein.“

Rolf A. Sonderegger, Präsident und CEO, Kistler Group

Die strukturellen Veränderungen der Produktionsprozesse, die damit einher gehende zunehmende Forschungsintensität und die beschriebene Digita-lisierung der Produktion setzt eine hohe und umfassende Qualifikation der Beschäftigten voraus. Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammen-hang die so genannten MINT-Berufe (Mathematik, Informatik, Naturwissen-schaften und Technik). Die letzten Jahre haben gezeigt, dass das Angebot an MINT-Fachkräften trotz gestiegener Absolventenzahlen in den MINT-Berei-chen mit der Nachfrage nicht Schritt halten konnte.

Im Verlauf der Studienerstellung wurde mehrfach die mangelnde Verfügbar-keit der MINT-Fachkräfte kritisiert. Dabei ist unklar, ob der Fachkräftemangel vornehmlich kleine und mittlere Unternehmen betrifft, ob er regional unter-schiedlich wirkt und ob er grundsätzlich struktureller Natur ist.

Grundsätzlich ist jedoch festzuhalten, dass die Verfügbarkeit von techni-schem Humankapital für eine exportorientierte kleine Volkswirtschaft im glo-balen Standortwettbewerb der Wissensgesellschaften elementar ist.

Die Massnahmen gegen den drohenden MINT-Fachkräftemangel sind viel-fältig. Jedes Unternehmen wird aufgrund seiner spezifischen Anforderungen an den zu besetzenden Arbeitsplatz eigene Massnahmen entwickeln müs-sen, die von der Steigerung der Attraktivität des eigenen Unternehmens, über

Innovation schafft Neues und führt zu …

… Chancen und Risiken

Vielfältige Ansatzpunkte

Fachkräftelücke in MINT-Berufen

Auswirkungen noch unklar

Verfügbarkeit von Fachkräften ist Grundvoraussetzung

Unternehmen müssen Massnahmen entwickeln, …

Page 39: Wirtschaft neu denken Präzisionsgüterindustrie und ......Wirtschaft neu denken Präzisionsgüterindustrie und Digitalisierung Das Innovationspotenzial der Wirtschaftsregion Zürich

34 PRÄZISIONSGÜTERINDUSTRIE UND DIGITALISIERUNG34

lebensphasenorientierte Personalpolitik und Weiterbildungsmassnahmen bis zu alters- und alternsgerechter Arbeitsplatzgestaltung reichen.

Auf einer übergeordneten Ebene müssen Massnahmen zur Steigerung der At-traktivität der MINT-Berufe ergriffen werden. Hier kann sowohl die Wirtschaft als auch die Politik im Bildungsbereich tätig werden, um den Nachwuchs bereits im jungen Alter für Naturwissenschaften und Technik zu begeistern, Abbrecher-quoten zu reduzieren oder junge Mädchen für diese Berufe zu interessieren.

Zudem muss sichergestellt sein, dass genügend Fachkräfte aus dem Ausland den Weg in die Schweiz und in die Region finden. Die befragten Experten sind sich dahingehend einig, dass die Zuwanderung einen zentralen Hebel zur Fachkräftesicherung darstellt. In der Vergangenheit wurde dieser Weg erfolg-reich beschritten und gerade in den letzten Jahren konnte eine starke Zuwan-derung von ausländischen Spezialisten beobachtet werden. Vor dem Hinter-grund der Abstimmungsergebnisse bezüglich der Einwanderungsinitiative zu Beginn des Jahres, aber auch dem zunehmenden Fachkräftemangel in den Herkunftsländern (insbesondere Deutschland) müssen die Anstrengungen er-höht werden. Hier muss sich die Region Zürich noch stärker als attraktive und offene Region präsentieren.

Stärkung des Gründergeistes

„Wir sind ein bisschen träge geworden. Es fehlt oft der Drang, un-ternehmerisch tätig zu sein oder die Welt verbessern zu wollen. Die Studierenden wollen die Prüfungen bestehen und einen Job bekom-men.“

Philipp Ackermann, Visual Computing Lab, ZHAW

„Unter unseren Gründern sind überproportional viele Leute aus dem Ausland, die vielleicht etwas hungriger auf den wirtschaftlichen Er-folg sind.“

Matthias Hölling, Leiter Spin-off Programm, ETH Transfer

Ein von allen Befragten angesprochenes Thema betrifft die persönliche Mo-tivation der Berufseinsteiger: das hohe Wohlstandsniveau in der Schweiz und insbesondere in Zürich würde den Gründergeist und die Eigeninitiative bremsen. Dahinter steht die Befürchtung, dass der Innovationsgeist der Ge-sellschaft erlahmen könnte. Zudem wurde geäussert, dass sich ausländische Studenten und Gründer stärker engagieren würden und insgesamt stärker motiviert sind.

Unklar bleibt, ob diese Bestandsaufnahme auf alle Berufsanfänger zutrifft oder speziell auf die Gründerszene. Beide Aspekte sind jedoch wichtig für die Innova-tionskraft in der Region Zürich. Gerade im Bereich der Digitalisierung entstehen technische Fortschritte bis hin zu Paradigmenwechsel zu einem grossen Teil in Start-Ups. Diese Start-Ups entwickeln sich entweder zu grösseren eigenstän-digen Unternehmen oder werden von solchen Unternehmen übernommen. In beiden Fällen entstehen Arbeitsplätze und Wertschöpfung am Standort.

… aber auch die Politik kann Beitrag leisten

Zuwanderungspotezial unklar

Wohlstand hemmt Eigeninitiative

Start-Ups wichtig für Innovationskraft

Page 40: Wirtschaft neu denken Präzisionsgüterindustrie und ......Wirtschaft neu denken Präzisionsgüterindustrie und Digitalisierung Das Innovationspotenzial der Wirtschaftsregion Zürich

35PRÄZISIONSGÜTERINDUSTRIE UND DIGITALISIERUNG 35

Herausforderungen für die Region Zürich

Motivation, Bildung und Kreativität sind die Rohstoffe der Schweiz

Ausländische Gründer mit mehr Potenzial

Internationale Strahlkraft der Region Zürich wichtig

Schnelligkeit als Wettbewerbsvorteil

Kooperation als Hol- oder Bringschuld?

Räumliche Nähe als Voraussetzung für Beschleunigung

Innovationspark Dübendorf als nächster Schritt, …

Sofern die Analyse auf die Berufsanfänger im Allgemeinen zutreffen soll-te, wird die Herausforderung grösser. In der ansonsten ressourcenarmen Schweiz sind neben der Bildung die Kreativität und die grundsätzliche Moti-vation der Beschäftigten die zentralen Rohstoffe, um die internationale Wett-bewerbsfähigkeit zu erhalten.

Ein weiterer Ansatzpunkt ist die genannte stärkere Motivation der ausländi-schen Studierenden und Berufsanfänger, die bereits mit ihrer Wanderungs-bereitschaft ein hohes Mass an Flexibilität und Motivation gezeigt haben. Sie stellen die Mehrheit der Start-Up Gründer und leisten somit einen hohen In-novationsbeitrag. Darüber hinaus sind sie auch als bereits integrierte Berufs-anfänger für Unternehmen interessant.

Die Schweiz und insbesondere die Region Zürich sind demzufolge noch stär-ker auf Impulse aus dem Ausland angewiesen, als es die reine MINT-Debatte zeigt. Das legt den Schluss nahe, dass der internationale Geist und der kos-mopolitische Charakter von Zürich grundlegend sind, um die Innovationskraft zu sichern.

Beschleunigung des Innovationsprozesses

„Im Innovationspark Dübendorf wollen wir die gesamte Wertschöp-fungskette abbilden und die Akteure nahe zusammenbringen. So be-kommen wir Geschwindigkeit in die Prozesse und schaffen mit Pro-dukten und Dienstleistungen den Weg von der Hochschule zum Markt.“

Bruno Sauter, Amtschef, Amt für Wirtschaft und Arbeit, Zürich

Ein zentraler Erfolgsfaktor im Wettbewerb ist die Schnelligkeit. Es wird be-mängelt, dass die Zeitspanne von der Innovation zur Produktion im Vergleich zur internationalen Konkurrenz zu lang sei und entsprechend zu Lasten der potenziellen Marktanteile ginge.

Im Verlauf der Studienerstellung wurde die Schnittstelle zwischen Hochschule und Unternehmen als undurchlässig kritisiert. Insbesondere seitens der Unter-nehmen scheint es Unwissenheit hinsichtlich der breiten Innovationskompeten-zen der Hochschulen zu geben. Die Kommunikation der Forschungsergebnisse oder die Kooperationsanbahnung wurde häufig als einseitige „Bringschuld“ der Hochschulen beschrieben, weniger als „Holschuld“ der Unternehmen.

Hierfür mag es vielfältige Gründe geben. Oftmals werden Innovationen oder Produktivitätsfortschritte in Unternehmen auch durch die Organisation des Ar-beitsprozesses beeinflusst, manchmal möglicherweise sogar mehr als durch den technologischen Fortschritt im engeren Sinn. Ohne auf dafür notwendige Veränderungen in der Organisation von Arbeit und Produktion in einem ar-beitsteiligen System sowie im Management von Unternehmen näher eingehen zu wollen: wesentlich für die Beschleunigung der Innovationsprozesse ist die räumlichen Nähe der beteiligten Akteure.

Ein wichtiger Schritt ist der geplante Innovationspark Dübendorf. Dieser setzt sich u. a. zum Ziel, die beteiligten Akteure enger zusammen zu bringen und Abstimmungsprozesse zu beschleunigen.

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36 PRÄZISIONSGÜTERINDUSTRIE UND DIGITALISIERUNG36

… aber weitere Akteure müssen integriert werden

Geringe Risikobereitschaft in der Finanzierung

Chance Venture Capital

Wissensdefizite vorherrschend

Zuwenig Geld oder zuwenig Ideen?

Drei Standortvorteile: Forschung, Produktion, Finanzierung

Aus übergeordneter Sicht ist die bessere Koordination der Akteure zentral. Ziel muss es sein, alle Akteure stärker zu koordinieren, ohne dirigistisch ein-zugreifen. Neben der Forschung und den produzierenden Unternehmen sind jedoch weitere Akteure notwendig, wie beispielsweise die Finanzwirtschaft.

Stärkere Integration des Finanzplatzes Zürich

„Wir müssen die Industrie, die naturwissenschaftliche Basis und die Finanzdienstleistungen wieder stärker verknüpfen. Wir brauchen das Wechselspiel zwischen der ETH, der HSG und dem Finanzplatz Zürich.“

Gian-Luca Bona, Direktor EMPA

Der zukünftige Wohlstand muss zu einem erheblichen Mass aus immer neuen Innovationen im Zusammenspiel von Wissenschaft und Wirtschaft entstehen. Eine zentrale Rolle spielen dabei die Start-Ups. Als ein Nachteil gegenüber der Gründerszene in den USA wurde im Laufe der Studie die fehlende Risi-kobereitschaft potenzieller Investoren in der Region Zürich genannt. Die Fi-nanzierung und damit die Realisierung von Start-Ups würden vielfach an der mangelnden Risikobereitschaft scheitern. Zwar hätte man auf dem Finanz-platz Zürich im Prinzip die richtigen Akteure vor Ort, deren Engagement würde sich jedoch in Grenzen halten.

In diesem Zusammenhang ist noch offen, welche Akteure prinzipiell als Inves-toren in Frage kommen können. Traditionelle Banken tätigen ihre Investitionen zum grössten Teil in weniger risikobehafteten Bereichen. Somit richtet sich der Blick auf klassisches Venture Capital. Wenn es gelingt, den Finanzplatz und die dort ansässige „Entrepreneurial“-Gesellschaft stärker mit der Start-Up-Szene zu verknüpfen, könnte eine Dynamik erzeugt werden, die diesen Nachteil gegenüber den USA und anderen Ländern verkleinert.

Unklar ist gegenwärtig, was Venture Capital zu leisten in der Lage ist und wie man diese Aktivitäten stärken kann. Noch gibt es auf allen Seiten Wissensdefizite hinsichtlich Art und Umfang der Finanzierung bzw. finanzierungswürdiger Ideen.

Die Venture Capital-Szene selbst gibt zu bedenken, dass es mittlerweile mehr Kapital als unterstützungswürdige Ideen gibt, was wiederum für Notwendig-keit der Stärkung des bereits angesprochenen Gründergeistes sprechen wür-de. Die Start-Up-Szene spricht von Finanzierungslücken insbesondere in der Startphase der Projekte.

In jedem Fall dürfte eine stärkere Koordination aller beteiligten Akteure un-ter Einbezug des Finanzplatzes die Wettbewerbsfähigkeit der Region Zürich deutlich stärken und die Region hätte ihre drei zentralen Standortvorteile ver-knüpft: Forschung, Produktion und Finanzierung.

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37PRÄZISIONSGÜTERINDUSTRIE UND DIGITALISIERUNG 37

Anhang

Anhang

Im Rahmen dieser Studie wurden Interviews mit folgenden Experten aus den Bereichen Wirtschaft, Forschung und Politik geführt:

• Dr. Philipp Ackermann, Informatik-Dozent im Schwerpunkt Human Infor-mation Interaction, ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissen-schaften, Institut für angewandte Informationstechnologie

• Dr. Mauro Dell‘ Ambrogio, Staatssekretär, Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI

• Marc P. Bernegger, Unternehmer und Technologie-Pionier (TBC)

• Prof. Dr. Gian-Luca Bona, Direktor Empa

• Daniel Gutenberg, General Partner VI Partners (TBC) • Dr. Matthias Hölling, ETH transfer • Dr. Matthias Kaiserswerth, Vice President and Director, IBM Research – Zurich • Patrick Roth, Geschäftsführer, Präzisionscluster • Bruno Sauter, Amtschef/Generaldirektor Amt für Wirtschaft und Arbeit

des Kantons Zürich • Rolf A. Sonderegger, President & CEO, Kistler Group

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38 PRÄZISIONSGÜTERINDUSTRIE UND DIGITALISIERUNG38

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Die ZHK versteht sich als Bindeglied zwischen Staat und Wirtschaft und setzt sich für liberale und markwirtschaft-lich geprägte Rahmenbedingungen ein, um die Positio-nierung unserer Wirtschaft im Inland und auf den Welt-märkten zu fördern.www.zhk.ch

Als internationale Ansprechpartnerin für Promotion und Marketing des Wirtschaftsraums Greater Zurich Area ver-mittelt die Greater Zurich Area AG (GZA) zwischen an-siedlungswilligen internationalen Unternehmen und loka-len Ansprüchen und Interessen.www.greaterzuricharea.com