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Wirtschaftsmacht China Vom Entwicklungsland zur Supermacht
Steffen Kroll
30.03.2012
Gymnasium Sedanstraße, Sozialwissenschaften (Leistungskurs I), Lehrkraft: D. Fehler
Inhalt: Seite:
Einleitung
1.) „China 2030“ – Die Weltbank ruft das Reich der
Mitte zu umfangreichen Reformen auf 1
Hauptteil
2.) Strukturen wirtschaftlicher Entwicklung in China
2.1) Die Entstehung 2
2.2) Kontrollierter Wettbewerb 4
2.3) Menschenrechtspolitik als Beispiel 5
wirtschaftsgeleiteter chinesischer
„Kriegskunst“
2.4) Technologieparasitismus 7
3.) Chinas Weg in die Zukunft
3.1) Auslöser des Reformwillens
3.1.1) Exogene Faktoren 8
3.1.2) Endogene Faktoren 8
3.2) Umstrukturierung 9
Fazit
4.) „China 2030“ – eine Erfolgsgeschichte? 12
Anhang
1
1.) Einleitung: “China 2030”1 – Die Weltbank ruft das Reich der Mitte zu
umfangreichen Reformen auf
Mit einer Wachstumsprognose von 8,25%2 und dem Titel „Exportweltmeister 2011“
durch einen Außenhandelsüberschuss von 160Mrd. US-$3 könnte man als Europäer
vorschnell auf die Idee kommen, Chinas Wirtschaft würde nach wie vor mit großen
Schritten voranschreiten. Doch sind diese Zahlen eher Anzeichen dafür, dass dem
roten Riesen bald der Treibstoff für seinen auf Quantität optimierten Wirtschafts-
motor knapp werden könnte, sollten keine weitreichenden Schritte zur Stabilisierung
in die Wege geleitet werden.
Bis jetzt konnte seit 2004 eine jährliche, reale Zunahme des BIP von über 9%
ausnahmslos erreicht bzw. überschritten werden, das Maximum lag 2007 bei knapp
12%. Selbst während der Finanzkrise 2008/’09 hielt es sich über besagter Grenze und
so schien 2010 alles überwunden zu sein.4
Das Szenario, das chinesische und westliche Wirtschaftsexperten gleichermaßen
vorherzusehen glauben, veranlasste allerdings die Weltbank der chinesischen
Regierung und Wirtschaftselite in Beijing in einem umfassenden Bericht ein Wort
der Warnung auszusprechen:
„China needs to shift from factor input-driven to efficiency driven growth, from
direct state intervention to more reliance on markets and entrepreneurship, and from
the absorption of technologies to innovation, while simultaneously correcting
economic imbalances and social disharmonies.”5
In den Medien wird über das Schwellenland in Wirtschaftsthemen oft nur sehr
punktuell berichtet, z.B. wenn einer großen deutsche Firma eine Übernahme
bevorsteht, neue Zahlen zu Inflation, Wachstum oder Export vorliegen, oder China
an internationalen politischen Entscheidungsprozessen beteiligt ist. Verknüpfungen
zwischen den einzelnen Berichterstattungen gehen dabei nur selten über das
Wirtschaftseinmaleins hinaus. Dem gegenüber scheint häufig eine gewisse
Ohnmacht der Industrienationen - bzw. in Umweltfragen oft nur der EU - bei
politischen Kontroversen herausgestellt zu werden.
1Research Report der Weltbank, veröffentlicht am 27.2.2012: “China 2030: Building a Modern,
Harmonious, and Creative High-Income Society”.
(http://www.worldbank.org/en/news/2012/02/27/china-2030-executive-summary) 2 Korrigierte BIP-Wachstumsprognose des IWF für China im Jahr 2012 ³ Zeitschrift Der Spiegel (Online) - Artikel vom 5.1.2012 4 www.indexmundi.com (Quelle: CIA-Factbook) 5 Supporting Report N°1 (zugehörig zum Research Report „China 2030“ der Weltbank, s.o.), Seite 91
2
Dies sind die Impulse, die die (zweigeteilte) Leitfrage dieser Arbeit formen. Welche
wirtschaftspolitischen Besonderheiten verhalfen China zu seiner heutigen
Vormachtstellung in der Weltwirtschaft und welche Veränderungen könnten wir in
den nächsten Jahren auf dem Weg vom Schwellenland zur Industrienation bei der
Volksrepublik beobachten? Und welche Chancen bieten sich dabei den westlichen
1ationen (speziell der EU), ihre eigenen Positionen auf dem internationalen Parket
besser vertreten zu können? Es soll also im Weiteren zuerst eine Analyse der
momentanen Situation bzw. dem Entwicklungsprozess der chinesischen Wirtschaft
erfolgen und dann vor dem Hintergrund allgemeinen Gültigkeitsanspruch erhebender
Theorien zur Globalisierung und Liberalisierung der Märkte sowie der bereits
erwähnten Prognose der Weltbank und aktuellen Beispielen der Versuch
unternommen werden, mögliche zukünftige Entwicklungen in diesem aufstrebenden
Staat zu skizzieren.
2.) Hauptteil: Analyse der chinesischen Wirtschaft
2.1) Die Entstehung
Seit den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts zielte die Volksrepublik China mit
einer Planwirtschaft in Form von Fünf-Jahres-Plänen auf möglichst hohes Wachstum
ab. Der kommunistische Mao Zedong als damaliges Regierungsoberhaupt wollte in
dem Agrarland mit verschiedenen Kampagnen wie Dem großen Sprung nach vorn
(1958-´61) durch die Bildung von Zwangskommunen und der Kollektivierung der
Ernten für Aufschwung sorgen. Gleichzeitig sollte so die Autarkie der Nation und
intranational der Provinzen hergestellt werden. Doch das Vorhaben scheiterte,
hauptsächlich an den unrealistisch hohen Anforderungen des Staates an das Volk. In
der darauf folgenden großen Hungersnot 1958, ´59 starben Schätzungen nach
zwischen 10 Mio. und 45 Mio. Menschen6. Gleichzeitig waren die aufgebauten
Industrieanlagen weiterhin abhängig von finanziellen Mitteln sowie technischem
Know-How der Sowjetunion, die ihre eigenen Sorgenkinder hatte. Paradox dazu
wirkt die Tatsache, dass das Land trotz allen wirtschaftlichen und politisch,
ideologischen Krisen offiziell ein Wachstumsplus von durchschnittlich über 6%
einfuhr. Dazu sei anzumerken, dass das BIP der VR China auf eine andere Art und
6 http://www.chinafokus.de/nmun/2_ii_b.php
3
Weise berechnet wurde: Es fließen nur kommerzielle Leistungen aus Industrie und
Handwerk ein, nicht aber Dienstleistungen oder Eigenverbrauch der Bauern.7 Dies
wird einer rein quantitativen Expansion in verschiedenen Industriezweigen wie
Rohstoffgewinnung (z.B. Kohle, Eisenerz) zugeschrieben, in denen sich das
Investitionsvolumen erhöhte.
1976, nach dem Tod Mao Zedongs, kam Deng Xiao Ping als Nachfolger Maos in der
Kommunistischen Partei Chinas an die Macht und veranlasste einige Reformen, die
in ihrem Charakter die Distanzierung zur früheren wirtschaftlichen Ideologie deutlich
machten. Die Zwangskommunen wurden aufgelöst und den Bauern wurde wieder
gestattet, überschüssige Ernteerträge auf freien Märkten zu eigenen Preisen zu ver-
kaufen. Zudem wurden in Küstenregionen sogenannte Sonderwirtschaftszonen
eingerichtet. Darunter versteht man „ein abgegrenztes, meist physisch gesichertes
Gebiet innerhalb des Wirtschaftsraumes eines Staates, für das zoll-, steuer- und
andere rechtliche Sonderbestimmungen und administrative Vergünstigungen gelten
für Güter, die nicht in den inländischen Warenverkehr gebracht werden.“8 Man bot
also ausländischen Unternehmen an, kostengünstig in bestimmten Städten oder
Landstrichen in China zu produzieren, solange die produzierte Ware das Land auch
wieder verließ. Was blieb waren neue Fabriken, neue Arbeitsplätze, ein Zufluss von
Devisen und – darin unterschied sich China von den meisten anderen
Entwicklungsländern – durch sehr strikte Bestimmungen, was den Aufbau neuer
Firmenverbände im eigenen Land betrifft und ein gesundes Maß an Geduld, die
ständige Kontrolle über die neu gewonnenen Investoren. Zu Beginn der
Marktöffnung konnte ein Unternehmen nur partizipieren, indem es mit einer
chinesischen Firma ein Joint Venture einging, also mit einem gemeinsamen Vertrag
eine neue Person im juristischen Sinne wurde und durch eine Mindestbeteiligung
beide Seiten für Gewinn und Verlust eintraten. Auf diese Weise erwarb die
chinesische Seite mit der Zeit Fachwissen und moderne Verfahrenstechniken in
verschiedensten Bereichen, ohne dafür selbst viele Ressourcen aufwenden zu
müssen. Investitionskapital wurde stattdessen in Subventionierungsprogramme,
hauptsächlich zur Exportsteigerung der lokalen Industrie, verlagert.
7 http://de.wikipedia.org/wiki/Volksrepublik_China#Wirtschaft 8 http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/sonderwirtschaftszone.html
4
2.2) Kontrollierter Wettbewerb
China schaffte es, die sonst für ein Entwicklungsland mit hohen Wachstumsraten
typische Bildung bestimmter Symptome, wie ein hohes Handelsdefizit in Folge eines
großen Kapitalimports, zu vermeiden, indem es seine Märkte - dem Beispiel Japans
folgend – nicht dem freien Wettbewerb ‚zum Fraß vorwarf‘, sondern ein Modell
verfolgte, das R. Bernstein und R.H. Munro „staatlichen Kapitalismus“9 nannten und
das der VR viele Möglichkeiten zur Verzerrung des eigentlich möglichst
unbeschränkten Wettbewerbs der Globalisierung einbrachte. Angefangen bei der
künstlichen Erhaltung des Renminbi-Dollar-Wechselkurses, erst durch
Devisenmarktinterventionen seitens der chinesischen Zentralbank, später durch eine
offizielle Kopplung, und der staatlich unterstützten Ausweitung der Billig-Export-
Industrie, und endend bei innenpolitischen Maßnahmen, wie z.B. Import-
substitutionen in der Automobilindustrie, bei der ausländische Produktionsstätten
gezwungen wurden, in ihrem Fertigungsprozess Primärgüter aus der VR zu
verwenden. „Vor Inkrafttreten der chinesischen Autopolitik verzeichnete [Amerika]
in [seinem] bilateralen Autohandel einen Überschuss von 521 Millionen Dollar.
[1995, Zwei Jahre später] ergab sich ein Defizit von 454 Millionen Dollar.“10 Hinter
solchen Zwängen steckten meist das Anheben der Importzölle oder das Verändern
nichttarifärer Handelshemmnisse auf (für die produzierenden Firmen) unrentable
hohes Niveau – allerdings jeweils nur für eine kleine Auswahl an Gütern.
Für den Beitritt Chinas zur WTO (World Trade Organisation) 2001 musste das Land
einige Lockerungen in ihren Marktbeschränkungen vornehmen. So ist es mittlerweile
unter anderem durchaus möglich, dass ein Investor bzw. ein Unternehmen einen
komplett eigenständigen Betrieb aufbauen kann, allerdings nicht, ohne von der
Regierung vorher genauen Untersuchungen unterzogen worden zu sein. Die
Lizenzen für sogenannte Wholly Foreign-Owned Enterprises (Unternehmen in
vollständigem Auslandsbesitz) werden nicht allein für die bloße Fähigkeit, ein
solches Unterfangen finanziell und verwaltungstechnisch zu meistern, vergeben.
Solche Unternehmen müssen auch "positiv zur Entwicklung der chinesischen
9 R. Bernstein und R.H. Munro – „Der kommende Konflikt mit China“ S.172 10 Bernstein & Munro, a.a.O., S. 177, zitieren den Leiter der Sonderkommission für Handel der AFL-CIO 1996
5
Wirtschaft beitragen"11, also im Falle z.B. ideologischer Differenzen zwischen dem
ursprünglichen Herkunftsland und der Kommunistischen Partei eine China-
freundliche Position zu vertreten oder zumindest unparteiisch zu bleiben. Firmen
ohne konsensuale Haltung wurde/wird der Zugang zum chinesischen Markt deutlich
erschwert oder auch komplett versperrt, aufgrund des starken Andrangs auf das
produktionskostengünstige Land hemmten solche Entscheidungen das Wachstum der
Wirtschaft aber nicht. 2004, drei Jahre nach Öffnung des Marktes für solche Projekte
umfassten diese schon 2/3 der Gesamtinvestitionen. Der ‚diktatorische‘ Einfluss der
Partei ist nachwievor ungebrochen und das leitet über zu dem letzten Beispiel
chinesischer Wirtschaftspolitik im Etablierungsprozess. Wenn man eine Arbeit über
die Volksrepublik China verfasst, wird man - zumindest in den westlichen Nationen -
nur selten um einen Bezug zu dem Thema Menschenrechte herum kommen.
2.3) Menschenrechtspolitik als Beispiel wirtschaftsgeleiteter chinesischer
„Kriegskunst“
In diesem Fall soll der Konflikt der US-Regierung unter Bill Clinton Anfang der
1990er Jahre genauer betrachtet werden. Dass in der Volksrepublik China seit Mao
Zedong außerparteiliche Oppositionsgruppierungen, genauso wie freie Gewerk-
schaften von der KP nicht geduldet wurden und noch immer nicht werden, bringt seit
je her politischen Zündstoff in die Beziehungen zwischen den westlichen,
demokratisch geprägten Staaten und der autoritären Führungsebene in China,
genauso wie Territorialansprüche seitens der Volksrepublik an Taiwan und Tibet.
Nach einem der traurigen Höhepunkte, dem Tian’anmen-Massaker 1989, bei dem
eine ursprünglich durch Studenten organisierte Demokratiebewegung unter Einsatz
des Militärs blutig niedergeschlagen wurde, bezog Bill Clinton schon im Wahlkampf
um die Präsidentschaftswahl 1992 mit scharfer Kritik an der zurückhaltenden
Reaktion der Vorgängerregierung unter Bush eindeutig Stellung. Nach der
gewonnenen Wahl machte er sein Versprechen wahr, indem er der VR mit
Aberkennung der Meistbegünstigtenklausel drohte, sollten sich die Umstände im
Bezug auf verschiedene Bereiche der Menschenrechte nicht bis Ende des Jahres 1993
verbessern. „Meistbegünstigtenklausel“ ist hier leicht irreführend, es handelte sich
dabei um ein Zugeständnis, dass allen größeren Handelspartnern ausgesprochen
11 http://www.china9.de/wirtschaft/unternehmensformen.php
6
wurde und dessen Inhalt sich mit der Importzollregelung befasste.12 Der Ausschluss
hätte allerdings gravierende Folgen für beide Länder gehabt. Zum einen wäre China
sein größter Exportmarkt durch extrem erhöhte Zölle weitgehend versperrt worden,
andererseits hätte Amerika durch eine sehr wahrscheinlich ähnlich ausfallende
Reaktion Chinas sich selbst vom am stärksten wachsenden Markt der Welt abge-
schnitten. Clinton stellte die USA vor eine schwierige Wahl, die ihnen jedoch durch
geschickte Lobby-Arbeit seitens der Volksrepublik in amerikanischen Wirtschafts-
kreisen weitgehend aus der Hand genommen wurde - und zum doppelten Sieg des
kommunistischen Staates führte. Bernstein und Munro berichten, dass nach Ablauf
der Frist 1994 das Tempo für neue Geschäftsverträge im sino-amerikanischen
Handel plötzlich beträchtlich anzog und die chinesische Regierung gleichzeitig in
Anleihen im Gesamtwert von einer Milliarde Dollar auf dem US-Finanzmarkt
investierte. Bedeutende Firmen wie Ford, Microsoft, IBM und Boeing die, wie
allgemein bekannt war, in regen Verhandlungen um chinesische Joint-Ventures oder
Auftragsvergaben standen, sprachen sich schließlich alle entschieden gegen eine
solch heftige Intervention aus.13 Am Ende knickte Clinton ein und erklärte, dass die
Meistbegünstigtenklausel vorerst auch für China weiter bestehen bliebe. Die
Volksrepublik nutze die in diesem Fall größte Schwäche der globalisierten, an dem
Konzept der freien Marktwirtschaft ausgerichteten Welt: Antriebsmotor sind und
bleiben Wachstum und Produktivität. Das Geld der international agierenden
Investoren und Unternehmen fließt zumeist dorthin, wo der größte Gewinn erwartet
wird. Und in diesem Punkt war kein konkurrenzfähiges Konzept eines sich
demokratisierenden Chinas oder gar eines gänzlichen Verzichts auf den profitablen
Wirtschaftsboom im fernen Osten denkbar. Ganz im Sinne Sun Zis Ausspruch, „[…];
die höchste Stufe der Kriegskunst liegt darin, den Widerstand des Feindes ohne
Kampf zu brechen.“14, gelang es China, die Pläne des ‚Feindes USA‘ zu
unterminieren und der Regierung den nötigen Rückhalt für einen solch
schwerwiegenden Schritt zu nehmen.
Die Demütigung Amerikas ließ die Menschenrechtsfrage zwar nicht aus den Köpfen
der Menschen verschwinden, aber es war eine deutliche Warnung an alle anderen
Staaten. China würden sich im Falle eines gezielt schädigenden Verhaltens ihm
12 R. Bernstein und R.H. Munro – „Der kommende Konflikt mit China“, S. 126 13 a.a.O., S.135-157 14 Sun Zi (chinesischer General, Stratege, Philosoph, ca. 500 v.Chr.), „Die Kunst des Krieges“
7
gegenüber, welche Motivation auch immer das Fundament dieses Angriffes bilden
würde, gut zu Verteidigen wissen und zwar nicht in der Rolle des in die Ecke
Gedrängten, sondern in der des raffinierten Gegenspielers, der den „Aggressor“ auf
verschiedenen Ebenen zu attackieren weiß. So ist es nicht verwunderlich, dass viele
Regierungen auf Klagen von Menschenrechtsorganisationen, z.B. im Zusammenhang
mit einem bevorstehenden Besuch in Beijing, eher verhalten reagieren und lieber die
kurz anhaltende öffentliche Entrüstung der Medien ertragen, als die für notwendig
erachteten Handelsverträge – wie jüngst Angela Merkel bei Verhandlungen um die
sogenannten Seltenen Erden - in Gefahr zu bringen.
2.4) Technologieparasitismus
Es ist wohl einer der am häufigsten ausgesprochenen Vorwürfe gegenüber China und
eine der größten Gefahren für den freien Weltmarkt. Chinesische Unternehmen
beschaffen sich, teils auf legalem, teils auf illegalem Weg die neusten Innovationen
und fortschrittlichsten Technologien von überall aus der Welt, um dann, mit
Unterstützung aus der Staatskasse, die Absatzmärkte der führenden Nationen mit
preisgünstigeren Alternativen zu den teuren Waren aus der Binnenproduktion zu
überschwemmen. Allerdings ist das Klischee der chinesischen Investorengruppe, die
mit der Digitalkamera auf Messen im Ausland heimlich alles abfotografiert nicht
mehr zeitgemäß. Investoren aus der VR spielen stattdessen aus ihrer Position heraus
oftmals den Retter für sich in wirtschaftlicher Schieflage befindende Firmen, kaufen
diese auf, und nehmen sie in den nächsten Jahren systematisch auseinander; erst
werden Fachkräfte abgeworben, dann folgen Produktion und Entwicklung. Die
Folgen, die ein solches Vorgehen haben kann, sind derzeit im Bereich der
Solaranlagen/Solarmodule zu beobachten. Früher ein klares Wirtschaftsfeld der
westlichen Industrienationen, haben in Amerika sechs große Solarfirmen aus der Not
einer drohenden Insolvenz heraus eine Petition eingereicht, die auf chinesische
Solarprodukte Importzölle von über einhundert Prozent fordert, weil diese durch
unlautere Mittel (gemeint sind hier besonders billige Kredite von Staat und Banken)
mit Dumpingpreisen den Wettbewerb extrem verzerren.15 Ein solch aggressives
Vorgehen führt aufgrund des steigenden Gegendrucks von Seiten der Politik und der
ansässigen Wirtschaft nicht mehr automatisch und ausschließlich zu einer
15 http://www.n-tv.de/wirtschaft/USA-schieben-China-Riegel-vor-article5820431.html
8
verbesserten Lage chinesischer Unternehmen durch Expansion, sondern kann im
Gegenteil eher zu einer Verschlechterung beitragen, da die bedrohten Staaten mit
verschärften protektionistischen Handelsbeschränkungen reagieren werden, sobald
die Gefahr des Verlusts die Toleranzgrenze, deren Höhe durch die eigenen Vorteilen
und Abhängigkeiten in China definiert ist, überschritten wird.
3.) Chinas Weg in die Zukunft
3.1) Auslöser des Reformwillens
3.1.1) Exogene Faktoren
Zu der erhöhten Gegenwehr der Handelspartner gegen China kommen der Rückgang
von Kapitalimporten ins, und ebenso sinkenden Exporten aus dem Reich der Mitte,
die beide den schwächelnden Wirtschaften im Westen zuzuschreiben sind.
Gleichzeitig ist abzusehen, dass selbst bei einer Besserung der Situation, eine
Rückkehr zu alten Verhältnissen eher unwahrscheinlich ist. Diese exogenen Faktoren
bilden die offensichtlichste Ursache der Verlangsamung des Wirtschaftswachstums
der VR. Die Reaktion darauf ist das Eintreten eines typischen Symptoms von
Schwellenländern auf dem Sprung zu dem Status eines Hochlohnlandes. Der
Schwerpunkt des wirtschaftlichen Treibens wird von quantitativer Expansion auf
stabilitätsorientierte Integration in ausländische Märkte und den Aufbau eines in
seinen grundlegenden Strukturen autarken Binnenmarktes verschoben. Das 30 Jahre
währende Konzept des auslandsorientierten Wirtschaftsaufbaus weicht so nun
langsam einem neuen Ansatz, der einige Reformen mit sich bringt, aber Chinas
Spitzenposition unter den Wirtschaftsnationen deshalb noch keiner großen Gefahr
aussetzt.
3.1.2) Endogene Faktoren
Die akuteste Gefahr für das Land sieht die VR selber in sozialen Ungleichheiten im
Bezug auf die Verteilung des wachsenden Wohlstandes, z.B. großen Diskrepanzen in
der sozialen Sicherung der arbeitenden Bevölkerung, was zu Unmut in den mittleren
und unteren Schichten führt, die sich unterdrückt fühlen und immer häufiger für ein
gerechteres, freieres und demokratischeres China protestieren. Und obwohl China
2004 bereits einen Artikel zur „Errichtung und Vervollständigung des Sozial-
9
versicherungssystems“16 in die Verfassung aufgenommen hat, klingen die
Demonstrationen und Aufrufe zum Widerstand nicht ab. Ohne hier näher auf
anhaltende Themen wie die Internetzensur, oder das Auftreten der VR bei Protest-
kundgebungen und Demonstrationen als aggressiver Polizeistaat eingehen zu
können, lässt sich auch eine wirtschaftliche Ursache identifizieren: Die dem hohen
Wachstum anhaftende hohe Inflationsrate, die bei vielen alltäglichen Gütern, wie
Lebensmitteln (2011 ca. 11%) über dem Gesamtdurchschnitt (2011 ca. 6%17) liegt,
setzt viele Arbeiter nach wie vor massiv unter Druck. Die chinesische Regierung
reagierte in den letzten 2 Jahren schließlich verstärkt auf den hohen Geldwertverlust
und erhöhte z.B. in einem dreiviertel Jahr fünfmal den Leitzins und neunmal die
Untergrenze für Kapitalreserven bei Banken um überschüssiges Geld
abzuschöpfen.18 Die Reaktionsbereitschaft stieg allerdings nicht aufgrund eines
plötzlichen Stimmungswechsels in der Partei an. Vielmehr lässt sich eine
Verbindung zum Arabischen Frühling herstellen. Ursachen für den Beginn der
dortigen Proteste finden viele Überschneidungen in der VR und so bekommen die
Mächtigen Angst vor Ansteckungen mit dem „arabischen Virus.“19 Eine
Stabilisierung des Landes durch ein funktionierendes und umfangreiches
Sozialsystem und eine Wirtschaft mit organischem Wachstum20 wird wahrscheinlich
zum Abkühlen der Stimmung beitragen.
3.2) Umstrukturierung
Was erwartet die Welt also bei der Vorstellung einer Neuausrichtung der
chinesischen Wirtschaft? Als Anzeichen könnten neuere getätigte Investitionen und
Aufkäufe dienen. Der Kauf des Pkw-Schließsystem-Herstellers Kiekert AG durch
einen chinesischen Automobilzulieferer zum Beispiel: Der Chinese hat als
Strategischer Investor nicht die Absicht, die Firmenpolitik maßgeblich zu
beeinflussen und das Unternehmen, das derzeit Weltmarktführer in seinem Bereich
ist, möglichst bald zu sezieren, sondern hat diesen Kauf getätigt, um über eine
erwiesenermaßen krisensichere Anlagequelle einen leichteren Zugang zum
16 Frederike Wesner (im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung), „Soziale Sicherung in der VR China – Bestandsaufnahme und Perspektiven“, Seite 2f. 17 http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,768370,00.html 18 http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,773355,00.html 19 Eine häufig in den Medien zitierte Metapher, deren Ursprung mir fremd blieb. 20 Organisches Wachstum: Nachhaltig orientiertes Wachstum aus eigener Kraft (Quelle: http://www.net-promoter.de/organisch-wachsen.php)
10
europäischen und amerikanischen Markt zu finden, im Austausch aber auch Kiekert
selbst die Möglichkeit gibt, in den asiatischen Markt zu expandieren.21 Neu sind also
das weitaus weniger aggressive Vorgehen und das Koalieren mit starken
Unternehmen, statt dem Ausschlachten gefallener Branchengrößen. Die positiven
Effekte für die chinesische Seite sind damit zwar insgesamt kleiner, aber in ihrer Art
und Weise eine geeignetere, weil allgemein durch Politik und Wirtschaftskonkurrenz
akzeptierte Grundlage für Marktintegration und den qualitativen Aufbau von
Geschäftsverbindungen.
Was die chinesische Regierungsseite betrifft, so bedeutet ein Umdenken dieser Art
natürlich auch allgemeine wirtschaftspolitische Konsequenzen. Denn „die
Weltmarktintegration erlaubt den Nationalstaaten nur eine weltmarktkonforme
Wirtschaftspolitik“.22 Die Möglichkeiten für die VR, durch fiskalpolitische
Maßnahmen eigene Unternehmen beim globalen Konkurrenzkampf zu unterstützen,
wird mit zurückgehender Liquidität, zumindest in dem Maße, in dem es bisher
geschieht, nicht mehr realisierbar. Dort setzt der Research Report China 2030 der
Weltbank an. Man darf bei den folgenden Forderungen allerdings nicht außer Acht
lassen, dass die Weltbank in gewisser Weise auch eine eigene Meinung vertritt, die
sehr konsensual zu der Ideologie der westlichen Wirtschaftsform ist. Es soll also
nicht als die einzige Lösung anzusehen sein, ist aber in großen Teilen eben durch den
Zwang zur Integration in die westliche, freie Marktwirtschaft und natürlich den
politischen Einfluss dieser Organisation mehr als bloßes Vertreten einer bestimmten
Position.
Die basalen Forderungen liegen in der Deregulierung, Liberalisierung und
Privatisierung, also den Grundpfeilern des bisherigen Globalisierungsmechanismus.
Besonders im Finanzsektor hätte China noch viel aufzuholen, um den Geldfluss im
eigenen Land auch ohne Staatskosten stabilisieren zu können. Außerdem sollte sich
ein größerer Service- und Entwicklungszweig auf dem Binnenmarkt entwickeln um
die landeseigene Konjunktur auf allen Ebenen durch sich selbst zu stützen. Die
Weltbank stellt die These auf, dass China seine Märkte stärker für ausländische
Investoren und Unternehmen öffnen sollte, um weiterhin auf dem bisherigen Niveau
21 Kiekert-Pressemitteilungen (http://www.kiekert.com/de/newspresse.html , Fernsehbeitrag in der WDR-Lokalzeit) 22 Prof. Dr. Eckart Koch – „Globalisierung der Wirtschaft – Über Weltkonzerne und Weltpolitik“, Seite 113
11
wettbewerbsfähig bleiben zu können. In einem allgemein freieren Markt würde sich
bald die allokative Effizienz (allocative efficency) auch für den Binnenmarkt erhöhen
und so zu weiteren Wachstumsquellen beitragen. Über allem steht das organische
Wachstum, aber auch die Anpassung an die politische Herangehensweise der
westlichen Welt. Dieses Szenario erfreut mit Sicherheit viele Regierungen, die bisher
gegen das große China mit politischen Forderungen eher auf verlorenem Posten
standen. Zum Beispiel die ständigen Versuche der EU, dem Rest der Welt den
Umweltschutz näher zu bringen, die zumeist ins leere liefen und von Ländern wie
USA, Kanada und China mit dem Verweis auf Wirtschaftlichkeit und
Konkurrenzfähigkeit kategorisch abgelehnt wurden. Denn ein Vorschlag der
Weltbank ist der Umweltschutz als neues, großes Gebiet der Innovationen, das China
mit wirtschaftlichen Argumenten Nachhaltigkeit und auch sozialpolitische
Maßnahmen durch Smogbekämpfung schmackhaft macht.
Was soll also in Zukunft Chinas politische Hauptaufgabe sein. Zum einem verlangt
niemand von der VR, sofort alle Beschränkungen fallen zu lassen. Die Schritte der
nächsten Jahre werden ganz klar möglichst risikofreies Abbauen der stärksten
regulierenden Elemente und der durchdachte Aufbau einer verbesserten chinesischen
Binnenwirtschaft inklusive Grundsicherung der Bevölkerung und Angleichung der
verschiedenen Provinzen im Bereich der Sozialpolitik sein. Ganz nach Prof. Dr.
Koch nähert sich die VR dann einer neuen Rolle als Nationalstaat an: „Der moderne
Staat legitimiert sich vorrangig aus dem Einsatz seines Machtmonopols zugunsten
der gesellschaftlichen Wohlfahrts- und Wohlstandesmehrung.“23
Außerdem trifft die VR natürlich ebenfalls Sicherungsmaßnahmen, die bei einer
zunehmenden Liberalisierung bessere Ausgangsbedingungen schaffen sollen.
Anschaulich für solche Maßnahmen ist ein Abkommen mit dem Nachbarstaat Japan.
Haben in den letzten Jahren alle westlichen Staaten noch Beschwerde darüber
geäußert, dass die chinesische Zentralbank die Kopplung an den Dollar nicht schnell
genug aufhebe, die sich allerdings weiterhin nur zu Anpassungen im sehr kleinen
Prozentbereich hat hinreißen lassen, so sind jetzt viele Regierungen besorgt, denn in
dem Devisenvertrag der beiden reichsten Länder Asiens geht es um die Möglichkeit,
23 Prof. Dr. Eckart Koch – „Globalisierung der Wirtschaft – Über Weltkonzerne und Weltpolitik“, Seite 115
12
ihre Währungen ohne den bisher notwendigen Umweg über die (noch) wichtigste
Währung der Welt zu handeln. China, das zuvor massiv in amerikanische – und auch
in europäische – Staatsanleihen investiert hat, um die Währungen dieser
Wirtschafsträume stabil zu halten, reagiert damit wohl auf die Taktik Amerikas,
aufgrund der hohen Schuldenlast regelmäßig große Mengen der Leitwährung einfach
nachzudrucken. Es macht sich selbst also in Anbetracht der bevorstehenden
‚wirtschaftlichen Emanzipation‘ auch unabhängig von politischen Entscheidungen
der, der Schuldenlast unterlegen scheinenden, USA. Dies ist ein großer Schritt zur
Etablierung des asiatischen Marktes als neues Investitionszentrum, weil es eine allein
auf der Wirtschaftskraft Chinas beruhende Garantie für eine stabile Währung
anstrebt, auf dem Weg dahin, aber durch sehr langsame Lockerung des ¥ - $ -
Wechselkurses nicht seine bisherigen größten Vorteile einfach über Bord wirft und
die Produktionskosten für die etablierte Auslandswirtschaft niedrig hält.
4.) Fazit: China 2030 - eine Erfolgsgeschichte?
Der Umgang mit China ist in keinerlei Hinsicht ein leichtes oder vorhersehbares
Unterfangen. Die in dieser Arbeit aufgeführten Beispiele, Argumente und Analysen
können nur an der Oberfläche dessen kratzen, was sich in der jüngeren
Vergangenheit, der Gegenwart und in der Zukunft im fernen Osten abspielt. Der
Versuch, Strategien offenzulegen und alte und neue Ziele gegenüberzustellen, sowie
die Bedeutung hinter dem offensichtlichen Wandlungsprozess herauszuarbeiten – das
China z.B. eben nicht der Absturz droht, wenn von niedrigeren Wachstumszahlen
oder einem geringeren Außenhandelsüberschuss die Rede ist, sondern dass das
kalkulierte Ereignisse sind, für die bereits Reaktionsstrategien vorliegen – soll die
Grundlage für ein differenzierteres Bild der VR China schaffen, als es oft durch
öffentliche Wahrnehmung der Fall ist. Für die westlichen Nationen zeichnen sich mit
dem Strukturwandel in China insofern positive Änderungen ab, als dass das Land
sich wahrscheinlich selbst zu Sozialreformen und wirtschaftlicher Liberalisierung
zwingt, somit also den westlichen Werten annähert – wenn auch aus z.T. anderen
Gründen. China wird allerdings wahrscheinlich auch nach umfangreichen
Reformationen seine Vormachtstellung in der Weltwirtschaft behaupten können. Die
westlichen Industrienationen sind dagegen zu sehr mit eigenen Krisen beschäftigt
und können der Entwicklung aus eigener wirtschaftlicher Kraft nicht viel
entgegensetzen – vielleicht aber durch geschickte politische Aktionen.
Literaturverzeichnis:
1.) Bernstein, Richard & Munro, Ross H., „Der kommende Konflikt mit China – Das
Reich der Mitte auf dem Weg zur neuen Weltmacht“, 1997, Wilhelm Heine Verlag,
München
2.) Friedrich, Stefan, „China und die Europäische Union – Europas weltpolitische Rolle
aus chinesischer Sicht“, 2000, Institut für Asienkunde, Hamburg
3.) Prof. Dr. Koch, Eckart, „Globalisierung der Wirtschaft – Über Weltkonzerne und
Weltpolitik“, 2000, Verlag Franz Vahlen, München