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Nützlinge «Schweizer Bauer»: Wann spricht man per Definition von einem Nützling? Jana Collatz: Eine formelle De- finition gibt es eigentlich nicht. In unserer Arbeit sind dies vor allem Makroorganismen zur Schädlingsbekämpfung. Wir sprechen von Prädatoren, also Räubern, die Schädlinge fres- sen. Oder von Parasitoiden wie Schlupfwespen, die ihre Eier in Schädlinge legen. Aber auch Herbivoren zur Unkrautbe- kämpfung zählen dazu. Kann ein Nützling auch zum Schädling werden? Das kommt ganz selten vor. Bei ein bis zwei Prozent der Freiset- zungen weltweit kam es zum Fressen oder Parasitieren von Arten, die nicht das Ziel der Be- kämpfung waren. Zu Schäden, die sich auf die ganze Population ausgewirkt haben, noch viel sel- tener. Problematisch wurde bei- spielsweise der Asiatische Mari- enkäfer, der Nichtzielgruppen frisst und zu einer Konkurrenz für einheimische Marienkäfer wurde. Aber das sind wirklich sehr wenige im Vergleich zu er- folgreichen Beispielen. Sie nehmen Risikoabwägun- gen vor. Was beinhalten diese? Eines vorab: Wenn ein Schäd- ling sich ausbreitet, unternimmt man etwas. Der Landwirt setzt Nützlinge ein, oder er bekämpft ihn chemisch. Beides kann Ne- benwirkungen haben. Die Frage ist oft, wie lange ein Schaden an- Biologin Jana Collatz sucht mit ihrem Team nach Nützlingen bei- spielsweise gegen die Kirschessigfliege oder die Marmorierte Baumwanze. Bis diese für die Praxis einsetzbar sind, ist es meist ein weiter Weg. INTERVIEW: ROBERT ALDER dauert. Es kann erwünscht sein, dass ein Nützling lange präsent ist oder auch nicht. Je nach dem ist es wichtig, ob er den Winter überlebt. Generell passen sich Populationen von Nützlingen denen der Schädlinge an. Wenn sie nichts mehr zu fressen haben, werden auch sie weniger. Selten und kurzzeitig kann es soge- nannte Spill-over-Effekte geben, wo Nützlinge auf etwas anderes losgehen, wenn nicht mehr ge- nügend Schädlinge da sind. In neuerer Zeit treten bisher unbekannte Schädlinge bei uns auf. Wie entdeckt man neue Nützlinge? Ja, wenn wir Waren auf der gan- zen Welt hin- und herschippern sowie durch die Reisetätigkeit, aber auch durch die Klimaver- änderung werden neue Schäd- linge verbreitet. Dann muss man sich mit den Herkunftsländern austauschen oder dort hingehen, um zu untersuchen, wie sich Nützling wie Schädling dort ver- hält, an welchen Lebensbedin- gungen er sich orientiert. Viel- leicht gibt es spezialisierte Nütz- linge im Herkunftsland. Ande- rerseits können einheimische Nützlinge den neuen Schädling auch angreifen. Das hängt davon ab, wie spezialisiert diese sind. Schlupfwespen sind spezialisier- ter als die meisten Prädatoren. Bei einigen untersuchen wir den Mageninhalt, um zu sehen, was sie gefressen haben. Das ist eine Sisyphusarbeit, denn spätestens nach 48 Stunden ist nicht mehr nachvollziehbar, was sie alles intus haben. Wie verlässlich sind ausländi- sche Forschungsgrundlagen? Das kommt auf die Länder an. Deutschland oder Holland sind mit der Schweiz vergleichbar. Spannende Forschung läuft zum Beispiel auch in Kenia. Eine gute Zusammenarbeit pflegen wir mit China, wo gegenseitig ein Inte- resse besteht und wo zum Teil ähnliche Klimabedingungen wie bei uns herrschen. Es gibt aber schon Länder, wo man viel wei- ter vorne beginnen muss. Wenn ein exotischer Schädling auftaucht, wie bekommt man den entsprechenden Nützling physisch und rechtzeitig? Man kann Forscher im Land an- fragen, wo Schädling und Nütz- ling herkommen, um einige Ex- emplare zu bekommen. Wenn ein Land das Nagoya-Protokoll zur Verhinderung der Bio-Pira- terie unterzeichnet hat, muss man dessen korrekte Umsetzung beachten. Im nächsten Schritt müssen die Tiere in die Quaran- täne-Klimakammer. Man stellt Versuche an, um zu schauen, ob der Nützling nicht etwa selbst mit Parasiten befallen ist und ob sie sich in konstanter Qualität züchten oder vermehren lassen. Weiter folgen Biosicherheitsab- klärungen, wo sichergestellt wird, dass die Art keine Schäden in der Umwelt verursacht. Ist dies alles positiv, kann man die Zulassungsbewilligung beantra- gen. Wer erteilt diese Bewilligung? Aufgrund der Pflanzenschutz- verordnung ist dies das Bundes- amt für Landwirtschaft (BLW), wenn es sich um einen Einsatz in der Landwirtschaft handelt, das Bundesamt für Umwelt (Bafu) gibt ebenfalls eine Stellungnah- me ab. Ausserhalb der Landwirt- schaft ist das Bafu aufgrund der Freisetzungsverordnung zustän- dig. Alles, was nicht zugelassen ist, darf nicht kommerziell ver- marktet oder eingesetzt werden. Wichtig zu wissen: Jedes Land hat separate Regelungen. Welches sind aktuell die heiss- esten «Hotspots»? Die Kirschessigfliege (KEF) macht den Obst- und Beerenpro- duzenten schon länger Sorgen. Wir arbeiten mit einheimischen und aus Japan eingeführten Schlupfwespen, die die KEF be- kämpfen. Dann läuft ein Projekt mit der Samuraiwespe, einem na- türlichen Feind der Marmorier- ten Baumwanze. Dieser Schäd- ling ist sehr divers und legt seine Eier in Früchte, aber auch in Ge- müse wie Peperoni. Die Wanze kam vor einigen Jahren aus Asi- en. Letztes Jahr wurde die Samu- raiwespe um Zürich gesehen. Sie ist wohl auf dem gleichen Weg wie die Wanze eingeschleppt worden Deshalb machen wir in diesem Sommer einen Versuch in der Region Zürich. Gibt es Probleme, wenn Sie Nützlinge züchten wollen? Ja, alle, die Sie sich vorstellen können. Nur weil bei uns 100 Tierchen schlüpfen, heisst das noch lange nicht, dass dies auch für eine Firma grosstechnisch machbar ist. Diets kann eine Fra- ge der Dichte sein, die Stress aus- löst. Oder wenn Kleinigkeiten wie beispielsweise das Licht nicht optimal passt, vermehren sie sich nicht. Dann müssen wir ja nicht nur den Nützling, sondern als Grundlage auch den Schädling haben. Bei diesen können sich dieselben Probleme zeigen. Da haben Sie Nützlinge, aber zu we- nig Schädlinge oder umgekehrt. Solche Erkenntnisse sind wert- voll, wenn man einen Schädling erwartet, der schon nahe der Landesgrenzen ist und wir den Nützling schon bereit haben, be- vor der Schädling grossen Scha- den anrichtet. Jana Collatz (40) hat in Bio- logie doktoriert und arbeitet seit 2013 an der Forschungs- anstalt Agroscope in Recken- holz ZH in der Gruppe Biosi- cherheit. Sie hat sich intensiv mit Schlupfwespen befasst. Neben der Nützlingsfor- schung, die zum Ziel hat, neue Erkenntnisse zu gewinnen, ist sie in internationalen Gremi- en beteiligt, lehrt an der ETH und betreut Nachwuchswis- senschaftler, die beispielswei- se aus China und Kuba kom- men. Weiter beurteilt sie Dos- siers von Organismen, die neu für den Schweizer Markt zu- gelassen werden sollen und gibt Expertisen zuhanden des Bundesamts für Landwirt- schaft oder des Bundesamts für Umwelt ab. ral ZUR PERSON «Bereits in den 1920er-Jahren boomte weltweit das Geschäft mit Nützlingen. Dann kamen ab 1935 schwierige Zeiten und der Zweite Weltkrieg», weiss Jana Collatz von Agroscope Recken- holz ZH. Ab 1960 kam der Boom der synthetischen Pflan- zenschutzmittel, die mit einer grossen Systematik eingesetzt wurden. Nach 1970 traten die ersten IP-und Bio-Pioniere in Erscheinung. Komplementäre und komplexe Systeme erhiel- ten Aufschwung. Auch die For- schung hakte in diesem Bereich wieder vermehrt ein. Über die Zeit wurden die Erfolge besser. Heute finden Nützlinge längst nicht nur in der Bio-Ecke An- wendung, sondern gehören zum Alltag. Finden die damaligen Er- kenntnisse heute noch eine An- wendung? «Die Encarsia for- mosa, eine Erzwespe zur Be- kämpfung der Weissen Fliege, ist noch heute der verbreitetste Nützling im Gewächshaus. Auf der anderen Seite würde man Versuche mit Agakröten, wie sie Die Arbeit mit Nützlingen ist keineswegs Neuland. Bereits vor 100 Jahren wurde intensiv mit Nütz- lingen gearbeitet. ROBERT ALDER in Australien gemacht wurden heute nie wieder machen», er- klärt Jana Collatz. In den Laborräumen von Ag- roscope sind kleinere und grös- sere Gefässe aufgereiht. In eini- gen sind Beeren oder Gemüse ausgelegt. «Wir müssen die Nahrungsgewohnheiten ken- nen. Bei der Erforschung der Kirschessigfliege legten wir infi- zierte Früchte ins Freie, um zu sehen, ob die Schlupfwespen Eier darin abgelegt haben.» In einem Raum riecht es nach Es- sig. In den Gefässen tummeln sich braune Kleininsekten, Kirschessigfliegen. «Ich rieche das gar nicht mehr», sagt Col- latz mit einem Lächeln im Ge- sicht. Ein anderer Raum ist mit einer Schleuse ausgestattet. Diese soll verhindern, dass im Laborraum befindliche Tier- chen ins Freie gelangen können. Denn was in der EU erlaubt ist, muss es in der Schweiz nicht auch sein. Und umgekehrt. Da- zu braucht es ein Bewilligungs- verfahren nach der Pflanzen- schutzverordnung. Für den Ein- satz in der Praxis ist das Bun- desamt für Landwirtschaft (BLW) und für die Eintrag der Freisetzungsverordnung das Bundesamt für Umwelt (Bafu) zuständig. Die European and Mediterranean Plant Protection Organization Organisation (EPPO) erstellt Richtlinien für die Beurteilung der Biosicher- heit von Makroorganismen. Wenn ich Nützlinge einsetze, möchte ich, dass sie ihre Wir- kung möglichst effizient ent- falten. Worauf muss ich ach- ten? Jana Collatz erklärt das so: Am Anfang steht eine gute Beobachtung, gekoppelt mit Wissen und Erfahrung. Oft stellt man nicht sofort eine sichtbare Wirkung fest im Ge- gensatz zu einem Insektizid, wo die Tierchen fast schon während dem Spritzen auf den Boden fallen. Deshalb gelte es, Nützlinge frühzeitig einzuset- zen, nicht erst, wenn schon ein Riesenschaden da ist. Will ich eine rasche Wirkung oder stre- be ich eine Kontrolle entspre- chend dem Saisonverlauf an? Man müsse das System im Griff haben und gut kennen. Das heisst auch abschätzen können, wie sich eine Situation entwickeln könnte. Wie viele Nützlinge soll ich aussetzen? Dazu muss ich wissen, welche Bedingungen ich bieten könne, damit sich die Nützlinge auch wohlfühlen. Es gibt nicht weni- ge, die neben dem Schädling auch auf eine Zuckerquelle an- gewiesen sind. Diese können beispielsweise profitieren, wenn sie Blütenpflanzen fin- den, die sie mögen. Auch müs- WIE ICH DEN GRÖSSTEN ERFOLG HABE se man die Lebensgewohnhei- ten kennen. So bräuchten vie- le Arten auch Verstecke. «So leben Nützlinge länger und vermehren sich auch besser.» Es gibt Nützlinge, die sind sehr genügsam. Trichogram- ma Schlupfwespen beispiels- weise breiten sich in einem be- grenzten Umkreis aus, ver- gleichbar mit einem Pestizid. Auch Nematoden sind wenig mobil und deren Wirkungsfeld ist klar eingegrenzt. Anders bei fliegenden Arten, die weder an einer Grundstücksgrenze, ge- schweige an Landesgrenzen Halt machen. Wichtig zu wis- sen sei auch, ob ein Nützling ebenfalls Feinde wie Frassräu- ber hat. Oder sonst etwas, das ihn schädigen könnte. Zum Beispiel Nebenwirkungen, wenn ich daneben noch ein Pflanzenschutzmittel spritze. Nicht zu vergessen sei das Postrelease-Monitoring, das längere Beobachten im Nach- gang. Gibt es doch unerwarte- te Nebenwirkungen? An wel- chen Stellschrauben soll noch gedreht werden, um eine ange- passte Lösung zu erreichen? Wertvoll ist ein Erfahrungs- austausch mit Berufskollegen und der Wissenschaft. ral 16 •DOSSIER Samstag, 27. Juni 2020 Wissen ist Macht, auch bei Nützlingen Die Forschung hat schon 100 Jahre Erfahrung Biologin Jana Collatz forscht aktiv an der Bekämpfung der Kirschessigfliege. (Bild: ral) Die Erforschung der Lebensgewohnheiten von Nützlingen und Schädlingen ist oft eine aufwändige Sisyphusarbeit. (Bild: Robert Alder)

Wissen ist Macht, auch bei Nützlingen · ist oder auch nicht. Je nach dem ist es wichtig, ob er den Winter überlebt. Generell passen sich Populationen von Nützlingen denen der

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Page 1: Wissen ist Macht, auch bei Nützlingen · ist oder auch nicht. Je nach dem ist es wichtig, ob er den Winter überlebt. Generell passen sich Populationen von Nützlingen denen der

Nützlinge

«Schweizer Bauer»: Wannspricht man per Definition voneinem Nützling?Jana Collatz: Eine formelle De-finition gibt es eigentlich nicht.In unserer Arbeit sind dies vorallem Makroorganismen zurSchädlingsbekämpfung. Wirsprechen von Prädatoren, alsoRäubern, die Schädlinge fres-sen. Oder von Parasitoiden wieSchlupfwespen, die ihre Eier inSchädlinge legen. Aber auchHerbivoren zur Unkrautbe-kämpfung zählen dazu.

Kann ein Nützling auch zumSchädling werden?Das kommt ganz selten vor. Beiein bis zwei Prozent der Freiset-zungen weltweit kam es zumFressen oder Parasitieren vonArten, die nicht das Ziel der Be-kämpfung waren. Zu Schäden,die sich auf die ganze Populationausgewirkt haben, noch viel sel-tener. Problematisch wurde bei-spielsweise der Asiatische Mari-enkäfer, der Nichtzielgruppenfrisst und zu einer Konkurrenzfür einheimische Marienkäferwurde. Aber das sind wirklichsehr wenige im Vergleich zu er-folgreichen Beispielen.

Sie nehmen Risikoabwägun-gen vor. Was beinhalten diese?Eines vorab: Wenn ein Schäd-ling sich ausbreitet, unternimmtman etwas. Der Landwirt setztNützlinge ein, oder er bekämpftihn chemisch. Beides kann Ne-benwirkungen haben. Die Frageist oft, wie lange ein Schaden an-

Biologin Jana Collatzsucht mit ihrem Teamnach Nützlingen bei-spielsweise gegen dieKirschessigfliege oder dieMarmorierte Baumwanze.Bis diese für die Praxiseinsetzbar sind, ist esmeist ein weiter Weg.

INTERVIEW: ROBERT ALDER

dauert. Es kann erwünscht sein,dass ein Nützling lange präsentist oder auch nicht. Je nach demist es wichtig, ob er den Winterüberlebt. Generell passen sichPopulationen von Nützlingendenen der Schädlinge an. Wennsie nichts mehr zu fressen haben,werden auch sie weniger. Seltenund kurzzeitig kann es soge-nannte Spill-over-Effekte geben,wo Nützlinge auf etwas andereslosgehen, wenn nicht mehr ge-nügend Schädlinge da sind.

In neuerer Zeit treten bisherunbekannte Schädlinge beiuns auf. Wie entdeckt manneue Nützlinge?Ja, wenn wir Waren auf der gan-zen Welt hin- und herschippernsowie durch die Reisetätigkeit,aber auch durch die Klimaver-

änderung werden neue Schäd-linge verbreitet. Dann muss mansich mit den Herkunftsländernaustauschen oder dort hingehen,um zu untersuchen, wie sichNützling wie Schädling dort ver-hält, an welchen Lebensbedin-gungen er sich orientiert. Viel-leicht gibt es spezialisierte Nütz-linge im Herkunftsland. Ande-rerseits können einheimischeNützlinge den neuen Schädlingauch angreifen. Das hängt davonab, wie spezialisiert diese sind.Schlupfwespen sind spezialisier-ter als die meisten Prädatoren.Bei einigen untersuchen wir denMageninhalt, um zu sehen, wassie gefressen haben. Das ist eineSisyphusarbeit, denn spätestensnach 48 Stunden ist nicht mehrnachvollziehbar, was sie allesintus haben.

Wie verlässlich sind ausländi-sche Forschungsgrundlagen?Das kommt auf die Länder an.Deutschland oder Holland sindmit der Schweiz vergleichbar.Spannende Forschung läuft zumBeispiel auch in Kenia. Eine guteZusammenarbeit pflegen wir mitChina, wo gegenseitig ein Inte-resse besteht und wo zum Teilähnliche Klimabedingungen wiebei uns herrschen. Es gibt aberschon Länder, wo man viel wei-ter vorne beginnen muss.

Wenn ein exotischer Schädlingauftaucht, wie bekommt manden entsprechenden Nützlingphysisch und rechtzeitig?Man kann Forscher im Land an-fragen, wo Schädling und Nütz-ling herkommen, um einige Ex-emplare zu bekommen. Wenn

ein Land das Nagoya-Protokollzur Verhinderung der Bio-Pira-terie unterzeichnet hat, mussman dessen korrekte Umsetzungbeachten. Im nächsten Schrittmüssen die Tiere in die Quaran-täne-Klimakammer. Man stelltVersuche an, um zu schauen, obder Nützling nicht etwa selbstmit Parasiten befallen ist und obsie sich in konstanter Qualitätzüchten oder vermehren lassen.Weiter folgen Biosicherheitsab-klärungen, wo sichergestelltwird, dass die Art keine Schädenin der Umwelt verursacht. Istdies alles positiv, kann man dieZulassungsbewilligung beantra-gen.

Wer erteilt diese Bewilligung?Aufgrund der Pflanzenschutz-verordnung ist dies das Bundes-amt für Landwirtschaft (BLW),wenn es sich um einen Einsatz inder Landwirtschaft handelt, dasBundesamt für Umwelt (Bafu)gibt ebenfalls eine Stellungnah-me ab. Ausserhalb der Landwirt-schaft ist das Bafu aufgrund derFreisetzungsverordnung zustän-dig. Alles, was nicht zugelassenist, darf nicht kommerziell ver-marktet oder eingesetzt werden.Wichtig zu wissen: Jedes Landhat separate Regelungen.

Welches sind aktuell die heiss-esten «Hotspots»?Die Kirschessigfliege (KEF)macht den Obst- und Beerenpro-duzenten schon länger Sorgen.Wir arbeiten mit einheimischenund aus Japan eingeführtenSchlupfwespen, die die KEF be-kämpfen. Dann läuft ein Projektmit der Samuraiwespe, einem na-türlichen Feind der Marmorier-ten Baumwanze. Dieser Schäd-ling ist sehr divers und legt seineEier in Früchte, aber auch in Ge-müse wie Peperoni. Die Wanzekam vor einigen Jahren aus Asi-en. Letztes Jahr wurde die Samu-raiwespe um Zürich gesehen. Sieist wohl auf dem gleichen Wegwie die Wanze eingeschleppt

worden Deshalb machen wir indiesem Sommer einen Versuch inder Region Zürich.

Gibt es Probleme, wenn SieNützlinge züchten wollen?Ja, alle, die Sie sich vorstellenkönnen. Nur weil bei uns 100Tierchen schlüpfen, heisst dasnoch lange nicht, dass dies auchfür eine Firma grosstechnischmachbar ist. Diets kann eine Fra-ge der Dichte sein, die Stress aus-löst. Oder wenn Kleinigkeitenwie beispielsweise das Licht nichtoptimal passt, vermehren sie sichnicht. Dann müssen wir ja nichtnur den Nützling, sondern alsGrundlage auch den Schädlinghaben. Bei diesen können sichdieselben Probleme zeigen. Dahaben Sie Nützlinge, aber zu we-nig Schädlinge oder umgekehrt.Solche Erkenntnisse sind wert-voll, wenn man einen Schädlingerwartet, der schon nahe derLandesgrenzen ist und wir denNützling schon bereit haben, be-vor der Schädling grossen Scha-den anrichtet. ●

Jana Collatz (40) hat in Bio-logie doktoriert und arbeitetseit 2013 an der Forschungs-anstalt Agroscope in Recken-holz ZH in der Gruppe Biosi-cherheit. Sie hat sich intensivmit Schlupfwespen befasst.Neben der Nützlingsfor-schung, die zum Ziel hat, neueErkenntnisse zu gewinnen, istsie in internationalen Gremi-en beteiligt, lehrt an der ETHund betreut Nachwuchswis-senschaftler, die beispielswei-se aus China und Kuba kom-men. Weiter beurteilt sie Dos-siers von Organismen, die neufür den Schweizer Markt zu-gelassen werden sollen undgibt Expertisen zuhanden desBundesamts für Landwirt-schaft oder des Bundesamtsfür Umwelt ab. ral

ZUR PERSON

«Bereits in den 1920er-Jahrenboomte weltweit das Geschäftmit Nützlingen. Dann kamen ab1935 schwierige Zeiten und derZweite Weltkrieg», weiss JanaCollatz von Agroscope Recken-holz ZH. Ab 1960 kam derBoom der synthetischen Pflan-zenschutzmittel, die mit einergrossen Systematik eingesetztwurden. Nach 1970 traten dieersten IP-und Bio-Pioniere inErscheinung. Komplementäreund komplexe Systeme erhiel-ten Aufschwung. Auch die For-schung hakte in diesem Bereichwieder vermehrt ein. Über dieZeit wurden die Erfolge besser.Heute finden Nützlinge längstnicht nur in der Bio-Ecke An-wendung, sondern gehören zumAlltag.

Finden die damaligen Er-kenntnisse heute noch eine An-wendung? «Die Encarsia for-mosa, eine Erzwespe zur Be-kämpfung der Weissen Fliege,ist noch heute der verbreitetsteNützling im Gewächshaus. Aufder anderen Seite würde manVersuche mit Agakröten, wie sie

Die Arbeit mit Nützlingenist keineswegs Neuland.Bereits vor 100 Jahrenwurde intensiv mit Nütz-lingen gearbeitet.

ROBERT ALDER

in Australien gemacht wurdenheute nie wieder machen», er-klärt Jana Collatz.

In den Laborräumen von Ag-roscope sind kleinere und grös-sere Gefässe aufgereiht. In eini-gen sind Beeren oder Gemüseausgelegt. «Wir müssen dieNahrungsgewohnheiten ken-nen. Bei der Erforschung derKirschessigfliege legten wir infi-zierte Früchte ins Freie, um zusehen, ob die SchlupfwespenEier darin abgelegt haben.» In

einem Raum riecht es nach Es-sig. In den Gefässen tummelnsich braune Kleininsekten,Kirschessigfliegen. «Ich riechedas gar nicht mehr», sagt Col-latz mit einem Lächeln im Ge-sicht. Ein anderer Raum ist miteiner Schleuse ausgestattet.Diese soll verhindern, dass imLaborraum befindliche Tier-chen ins Freie gelangen können.

Denn was in der EU erlaubtist, muss es in der Schweiz nichtauch sein. Und umgekehrt. Da-

zu braucht es ein Bewilligungs-verfahren nach der Pflanzen-schutzverordnung. Für den Ein-satz in der Praxis ist das Bun-desamt für Landwirtschaft(BLW) und für die Eintrag derFreisetzungsverordnung dasBundesamt für Umwelt (Bafu)zuständig. Die European andMediterranean Plant ProtectionOrganization Organisation(EPPO) erstellt Richtlinien fürdie Beurteilung der Biosicher-heit von Makroorganismen. ●

Wenn ich Nützlinge einsetze,möchte ich, dass sie ihre Wir-kung möglichst effizient ent-falten. Worauf muss ich ach-ten? Jana Collatz erklärt dasso: Am Anfang steht eine guteBeobachtung, gekoppelt mitWissen und Erfahrung. Oftstellt man nicht sofort einesichtbare Wirkung fest im Ge-gensatz zu einem Insektizid,wo die Tierchen fast schonwährend dem Spritzen auf denBoden fallen. Deshalb gelte es,Nützlinge frühzeitig einzuset-zen, nicht erst, wenn schon einRiesenschaden da ist. Will icheine rasche Wirkung oder stre-be ich eine Kontrolle entspre-chend dem Saisonverlauf an?

Man müsse das System imGriff haben und gut kennen.Das heisst auch abschätzenkönnen, wie sich eine Situationentwickeln könnte. Wie vieleNützlinge soll ich aussetzen?Dazu muss ich wissen, welcheBedingungen ich bieten könne,damit sich die Nützlinge auchwohlfühlen. Es gibt nicht weni-ge, die neben dem Schädlingauch auf eine Zuckerquelle an-gewiesen sind. Diese könnenbeispielsweise profitieren,wenn sie Blütenpflanzen fin-den, die sie mögen. Auch müs-

WIE ICH DEN GRÖSSTEN ERFOLG HABE

se man die Lebensgewohnhei-ten kennen. So bräuchten vie-le Arten auch Verstecke. «Soleben Nützlinge länger undvermehren sich auch besser.»

Es gibt Nützlinge, die sindsehr genügsam. Trichogram-ma Schlupfwespen beispiels-weise breiten sich in einem be-grenzten Umkreis aus, ver-gleichbar mit einem Pestizid.Auch Nematoden sind wenigmobil und deren Wirkungsfeldist klar eingegrenzt. Anders beifliegenden Arten, die weder aneiner Grundstücksgrenze, ge-schweige an LandesgrenzenHalt machen. Wichtig zu wis-sen sei auch, ob ein Nützlingebenfalls Feinde wie Frassräu-ber hat. Oder sonst etwas, dasihn schädigen könnte. ZumBeispiel Nebenwirkungen,wenn ich daneben noch einPflanzenschutzmittel spritze.

Nicht zu vergessen sei dasPostrelease-Monitoring, daslängere Beobachten im Nach-gang. Gibt es doch unerwarte-te Nebenwirkungen? An wel-chen Stellschrauben soll nochgedreht werden, um eine ange-passte Lösung zu erreichen?Wertvoll ist ein Erfahrungs-austausch mit Berufskollegenund der Wissenschaft. ral

16 • DOSSIER Samstag, 27. Juni 2020

Wissen ist Macht, auch bei Nützlingen

Die Forschung hat schon 100 Jahre Erfahrung

Biologin Jana Collatz forscht aktiv an der Bekämpfung der Kirschessigfliege. (Bild: ral)

Die Erforschung der Lebensgewohnheiten von Nützlingen und Schädlingen ist oft eineaufwändige Sisyphusarbeit. (Bild: Robert Alder)