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Das Ruhrgebiet ist europäische Kulturhauptstadt 20�0 und die
Städte im Ruhrgebiet und auch das Ruhrbistum sind als Orte
der Begegnung besonders im Blick.
Bei den hier vorgestellten geistlichen Impulsen treffen die Erd-
verbundenheit und Bodenständigkeit biblischer Erzählungen
auf das alltägliche Leben im Ruhrgebiet.
Wer übt, hofft. Dieser Satz stammt vom Jesuitenpater Alex
Lefrank. Ich möchte diesen Satz gerne umdrehen und den
geistlichen Impulsen voranstellen: Wer hofft, übt. Das gilt
nicht nur für körperliche Prozesse, bei denen der eine oder die
andere übend darauf hofft, doch ein wenig schneller, gelen-
kiger, schlanker oder stärker zu werden.
Wer darauf hofft, dass Gott sein Leben begleitet und dass sein
Leben gelingt, der ist angewiesen auf das Üben. Nicht nur,
weil Gott dem Menschen die Freiheit zum Ja und zum Nein
geschenkt hat, sondern auch, weil es menschlich ist, in den
Anforderungen des Alltags Gottes Stimme zu überhören und
die Zeichen seiner Gegenwart zu übersehen.
Diese geistlichen Impulse sind eine Einladung, an Alltagsorten
des Ruhrgebietes Gott bewusst zu begegnen und den Boden,
auf dem man steht, als ‚heiligen Boden’ wahrzunehmen.
Dazu werden Ihnen beispielhaft fünf Standorte angeboten,
kombiniert mit fünf Kernaussagen christlichen Daseins.
„Wo du stehst, ist heiliger Boden“ Exodus 3,5
Ingelore Engbrocks
�
1.Standortist heiliger Boden
Wo du stehst,Zur Zeit, als Gott, der Herr, Erde und Himmel machte,
gab es auf der Erde noch keine Feldsträucher und wuchsen
noch keine Feldpflanzen; denn Gott, der Herr, hatte es auf
die Erde noch nicht regnen lassen, und es gab noch keinen
Menschen, der den Ackerboden bestellte;
aber Feuchtigkeit stieg aus der Erde auf und tränkte die
ganze Fläche des Ackerbodens.
Da formte Gott, der Herr, den Menschen aus Erde vom
Ackerboden und blies in seine Nase den Lebensatem. So
wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen.
Dann legte Gott, der Herr, in Eden, im Osten, einen Garten
an und setzte dorthin den Menschen, den er geformt hatte.
Gott, der Herr, nahm also den Menschen und setzte ihn in
den Garten von Eden, damit er ihn bebaue und hüte.
Genesis 2,4b-8.15
geschaffen Das Fundament gläubigen Lebens ist das Sich-versichern des-
sen, was trägt und uns hält.
‘Search for the secrets you hide’ singt die Gruppe M People
in einem Lied; frei übersetzt heißt das: „Geh dir selbst auf die
Spur; in dir sind wunderbare Geheimnisse verborgen“. Wer
die Bibel aufschlägt und Gottes Wort liest, dem eröffnet sich
schon auf den ersten Seiten die Botschaft: Das größte und
kostbarste Geheimnis, das Menschen in sich tragen, ist ihre
Geschöpflichkeit und ihre Ebenbildlichkeit Gottes.
Zwei Schöpfungsberichte finden sich im Buch Genesis di-
rekt hintereinander. Der zweite, hier abgedruckte Bericht ist
der ältere. Er beschreibt sehr haptisch die Erschaffung des
Menschen: Aus Erde vom Ackerboden wird er von Gott selbst
geformt. Und seine Lebendigkeit erhält er dadurch, dass Gott
diesem Wesen aus Erde seinen Lebensatem, d.h. seine Lebens-
kraft einhaucht. Herkunftsaussagen sind immer auch Wesens-
aussagen. Der Mensch ist ganz nahe verbunden mit dem Bo-
den, auf dem er steht. Seine Form und Gestalt sind Zeichen der
Kreativität Gottes. Das menschliche Dasein hat seinen Urgrund gesc
haff
en
2 Modell des Mondes in der Ausstellung STERNSTUNDEN im Gasometer Oberhausen.
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in Gott; die Beziehung Gott – Mensch ist die erste und wich-
tigste Grundbeziehung des Menschen. Durch seinen Atem ist
er in seiner Lebendigkeit verbunden mit dem lebendigen Gott.
Diese theologische Aussage in einer der frühesten Schriften der
Bibel verdeutlicht, mit welcher Würde der Mensch ausgestattet
ist. Aber sie sagt gleichzeitig aus, dass der Mensch ein irdisch-
begrenztes Wesen ist. Im hebräischen Originaltext wird die
Erdverbundenheit des Menschen besonders deutlich:
Ackerboden heißt adama; Mensch heißt adam.
Der Atem Gottes ist die verwandelnde Kraft für das aus Erde
gestaltete Wesen Mensch. Der Psalm 8 beschreibt das Staunen
derjenigen, die den Menschen im Bezug zum Weltall sehen und
sich dabei der Menschenwürde nachhaltig bewusst werden:
Seh‘ ich den Himmel, das Werk deiner Finger, Mond undSterne, die du befestigt: Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst, des Menschen
Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn nur wenig
geringer gemacht als Gott, hast ihn mit Herrlichkeit und
Ehre gekrönt. Psalm 8,4-6
… einen ‚Sinnenspaziergang’ machen: Eine Stunde lang spazieren gehen und alles bewusst wahrneh-
men, was die Natur bietet und was die Sinne spüren.
… den eigenen Atem wahrnehmen: Ohne eigenes Zutun und ohne Anstrengung wirkt Gott konti-
nuierlich in jedem Menschen das Wunder des Lebens. Einatmen
bedeutet Empfangen des Lebensatmens, bedeutet belebt und
gestärkt werden. Ausatmen bedeutet loslassen und frei werden
für ein neues Beschenkt-Werden.
… sich die Aussage von Psalm 8 zusagen lassen, indem man die drei Verse in die Ich-Form setzt: (Was bin ich, dass du an mich denkst…)
Der Bibeltext macht in seiner Universalität deutlich, dass alle
Menschen – jede und jeder Einzelne - von Gott geschaffen,
geliebt und gewollt sind. Und er macht deutlich, dass wir Men-
schen hinein genommen sind in die Wertschätzung und die
Sorge füreinander. Die Handwerkerinnung nutzt diese christli-
che Überzeugung selbstbewusst für ein Werbeplakat, wenn sie
schreibt: „Am Anfang waren Himmel und Erde; den Rest haben
wir gemacht.“
Gott umarmt uns mit der Wirklichkeit, schreibt der �94� getö-
tete Jesuitenpater Alfred Delp. Die Wirklichkeit der Menschen
hier im Ruhrgebiet ist Lebendigkeit durch Wandel. Oder ist
es umgekehrt? Wandelt sich das Ruhrgebiet kontinuierlich
wegen der Lebendigkeit der Menschen, die hier wohnen? Was
Ursache und was Wirkung ist, ist wahrscheinlich gar nicht zu
definieren. Leben, Lebendigkeit und Wandel gehören für mich
jedenfalls untrennbar zusammen. Die Wirklichkeit unseres
Lebens mit seinen Veränderungen und auch den kontinuier-
lichen Elementen sind unsere je individuelle Möglichkeit, Gott
zu begegnen.
In kleinen Schritten kann man sich die Schöpfung
mehr und mehr bewusst machen. Man kann …
… die beiden folgenden Botschaften auf zwei Zettel schreiben und beide Botschaften einmal täglich lesen. Die Botschaften lauten: �. „Für dich allein hat Gott die Welt erschaffen“
2. „Du bist nur Asche und Staub“
... den abendlichen Sternenhimmel betrachten
… einen Ort in der Nähe aufsuchen, an dem man neulernen kann, über die Schöpfung zu staunen.
…den Tag abschließen mit dem Gebet der liebenden Aufmerksamkeit. Wie es geht, zeigt der Text auf der nächsten Seite.
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gerufen
Gebet der liebenden Aufmerksamkeit /
Revision du jour
1
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5
2
4
6
�. Sich bewusst machen: Gott ist gegenwärtig; er schaut mich und meinen Tag liebevoll an, und lädt mich ein, das Gleiche zu tun.
2. Rückblickend den Tag ansehen:Liebevoll und aufmerksam alle Gedanken und Gefühle zulassen, ohne zu bewerten oder zu verurteilen.
�. Gott danken: Für das, was geschenkt wurde und gut getan hat; danken auch für scheinbar Selbstverständliches.
4. Sich Versöhnen: Ungeordnetes, Unfertiges, Unversöhntes und Konfliktbela-denes Gott hinhalten, damit er es wandeln und ordnen kann.
�. Vorausschauen:Auf das, was mich erwartet, Begegnungen und Aufgaben des nächsten Tages.
�. Abschließen:Mit dem Kreuzzeichen oder dem Vaterunser.
Menschen, die regelmäßig im Gebet der liebenden Aufmerk-
samkeit auf den Tag schauen, machen die Erfahrung, dass sich
ihr Alltag ändert, dass sie achtsamer, präsenter, verständnis-voller, dankbarer, versöhnter und zukunftsfähiger leben.
Er sagte zu mir: Stell dich auf deine Füße, Menschensohn;
ich will mit dir reden.
Als er das zu mir sagte, kam der Geist in mich und stellte mich
auf die Füße. Und ich hörte den, der mit mir redete. Ezechiel 2,1f
2.Standortist heiliger Boden
Wo du stehst,
� Stilleben A40 / Autobahnbrücke in Essen
8 9
An dem zweiten ‚Standort’ kommt die immer neu notwendige
Entscheidung und Herausforderung in den Blick, auf die erfah-
rene Zuwendung Gottes zu antworten.
Die Textstelle stammt aus dem Buch Ezechiel. Nach einer
Vision der Herrlichkeit Gottes bekommt der Prophet den
Auftrag, dem Volk Israel sowohl Gerichtsandrohung als auch
Heilsverheißung zu bringen. Bevor er jedoch diesen Auftrag
bekommt, holt ihn der Geist Gottes von der visionären Schau
zurück in die Realität mit den Worten: „Stell dich auf deine
Füße, Menschensohn.“ Ez 2,1
Vergleicht man die Berufungserzählungen der großen Prophe-
ten Jesaja und Jeremia mit Ezechiel, dann fällt auf, dass von
Ezechiel kein Erschrecken berichtet wird wie von Jesaja; er
macht auch keine Einwände wie Jeremia. Fest auf dem Boden
verankert nimmt er Gotteswort auf - die Bibel berichtet, daß
er es verzehrt - und er lässt sich in den Dienst nehmen. Der
Geist Gottes ist es, der Ezechiel auf die Füße stellt. Und erst
gerufenin Verbindung mit dem Boden, der ihn trägt, kann er nun die
Stimme Gottes auch in ihrer Bedeutung wahrnehmen. Der
Name Ezechiel bedeutet: Gott ist stark / Gott macht stark. Ich
denke, was diesen Propheten so stark macht, ist dreierlei: sei-
ne Offenheit für Gottes Geist, seine Bodenhaftung und seine
Bereitschaft zum Hören auf Gottes Wort.
Hin und wieder höre ich bei meiner Arbeit skeptische Stim-
men, die bezweifeln, dass Spiritualität hilfreich sein könnte,
wenn man in der Arbeitswelt seinen Mann / seine Frau stehen
muss. Ich bin sicher: Spiritualität leben – also ein Leben mit
Gottes Geist zu führen - erschöpft sich nicht im Anzünden
einer Kerze und im Schaffen einer geistlichen Wohlfühlat-
mosphäre. Spiritualität holt nicht weg von der Umwelt, von
den eigenen Aufgaben und den Menschen, mit denen man zu
tun hat. Spiritualität ist ein gläubiger Umgang mit der Rea-
lität: eine geisterfüllte und offene Begegnung mit dem, was
Gott als Lebensfeld für jede und jeden bereithält und was den
eigenen Alltag ausmacht. Und dazu gehören auch schwierige
oder ermüdend-langweilige Arbeiten; dazu gehören berufliche
Kontakte, in der Mitmenschlichkeit nicht für jede/n selbstver-
ständlich ist und die eigene Entschiedenheit zum Guten immer
wieder herausgefordert wird. Dazu gehören natürlich auch
private Beziehungen zum Partner / zur Partnerin, zu Familien-
mitgliedern und zu Freunden, die vom Scheitern bedroht sind
und dann der Heilung bedürfen.
Diese Direktheit
des Ezechiel, der
„nicht lange fa-
ckelt“, wie man im
Ruhrgebiet sagt,
ist vielleicht das,
was die Menschen
hier auszeichnet:
Wenn etwas ‚dran‘ ist, dann macht man es halt. Ohne viel
Aufhebens – so wie Ezechiel, der uns zeigt, wie Entschieden-
heit geht. Wahlmöglichkeiten haben die meisten Menschen
täglich zahlreiche; entschieden leben wird aber oft verhindert
durch die Macht der Gewohnheit, durch das Streben nach
Perfektion, durch die unüberschaubare Vielfalt der Optionen
und die Angst vor den Konsequenzen; man fällt nahezu in eine
Entscheidungsparalyse. Geistliches Leben realisiert sich im
klaren und entschiedenen Umgang mit den eigenen Wahl-
möglichkeiten, im Schritt vom Konjunktiv zum Indikativ. Mose
beschreibt sie mit folgenden Worten: „Hiermit lege ich dir
heute das Leben und das Glück, den Tod und das Unglück vor.
Wähle also das Leben, damit du lebst.“ Dtn 30,15.19a
�0 ��
Abends die eigenen, auch die kleinen Entscheidungen Revue
passieren lassen: Welche hat mir gut getan?
Welche würde ich am liebsten rückgängig machen?
Die Aufmerksamkeit darauf richten, in welchen Situationen
des Alltags sich Angst und Ablehnung einschleichen oder auch
heftig auftreten. Sie können ein Signal dafür sein, dass hier für
mich eine Entscheidung ansteht.
Wenn eine größere Entscheidung ansteht, versuchen, sie
mit Hilfe der �0-�0-�0 – Regel zu prüfen: Welche Auswir-
kungen hat diese Entscheidung: a) nach �0 Minuten, b) nach
�0 Monaten und c) nach �0 Jahren?
Kleine Schritte sind es, durch die man
Entschiedenheit üben kann:
Sich eine Viertelstunde lang dem schweigenden Hören
hingeben. Wenn sich dabei immer wieder störende Gedanken
einstellen, dann hilft vielleicht folgendes Bild: Man geht durch
den Schwall der alltäglichen Gedanken hindurch wie durch
einen Wasserfall, weil man weiß, dass dahinter kostbare und
wohltuende Ruhe wartet.
Dem Wunderwerk der eigenen Füße einmal besondere Auf-
merksamkeit zukommen lassen:
Vielleicht an einem geeigneten Ort einmal �� Minuten barfuss
laufen?
Was ist nun jetzt?
Wo sind auf einmal die Stangen,
an denen die wünschende Nase sich wetzt?
Was soll er nun anfangen?
Er schnuppert neugierig und scheu.
Wie ist das alles vor ihm so weit
und so wunderschön neu!
Aber wie schrecklich die Menschheit schreit!
Und er nähert sich geduckt
einem fremden Gegenstande. -
Plötzlich wälzt er sich im Sande,
weil ihn etwas juckt.
Kippt ein Tisch. Genau wie Baum.
Aber eine Peitsche knallt.
Und der Bär flieht seitwärts, macht dann halt.
Und der Raum um ihn ist schlimmer Traum.
Lässt der Bär sich locken. Doch er brüllt.
Lässt sich treiben, lässt sich fangen.
Angsterfüllt und hasserfüllt
Wünscht er sich nach seines Käfigs Stangen.
Joachim Ringelnatz
Bär aus dem Käfig
entkommen
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bewegt
3.Standortist heiliger Boden
Wo du stehst,
Eines Tages trieb Mose das Vieh über die Steppe hinaus und
kam zum Gottesberg Horeb.
Dort erschien ihm der Engel des Herrn in einer Flamme, die
aus einem Dornbusch emporschlug. Er schaute hin:
Da brannte der Dornbusch und verbrannte doch nicht. ...
Als der Herr sah, dass Mose näher kam, um sich das anzuse-
hen, rief Gott ihm aus dem Dornbusch zu: Mose, Mose!
Er antwortete: Hier bin ich.
Der Herr sagte: Komm nicht näher heran! Leg deine Schuhe
ab; denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden. Ex 3,2.4f
Die Überschrift über die geistlichen Impulse – „Wo du stehst,
ist heiliger Boden“ - ist ein Satz aus dem Buch Exodus, der
am dritten Standort im Mittelpunkt der Betrachtung steht.
Die Bibel erzählt von Mose, der mitten am Tag während seiner
Arbeit beim Hüten der Ziegen und Schafe eine Begegnung
mit Gott am brennenden Dornbusch erlebt. Als er sich dem Ort
nähert, wird ihm gesagt, dass er die Schuhe ausziehen soll; mit
bloßen Füßen – ungeschützt und verletzlich – wird Mose offen
und sensibel für den Auftrag Gottes. Gott offenbart sich ihm,
nennt ihm seinen Namen: Ich bin da. Mit dieser Zusage schickt
er Mose los, das Volk Israel zu befreien.
Wer sich von Gott geschaffen weiß und sich von ihm gerufen
fühlt, der lässt sich von ihm auch bewegen. Denn Gottes Geist
führt zur Begegnung, er drängt zur Konkretion. Gottes Liebe
zum Menschen zeigt sich dadurch, dass Gottes Geist Gestalt
annehmen will in dem, was Menschen sind, was sie schaffen
und bewegen.
bewegtGott wird erfahrbar in den Menschen, die ihre Talente ein-
setzen und entfalten. Ich glaube, er wird in guten Kochre-
zepten, in spannenden Romanen und in menschenfreundlicher
Architektur ebenso erfahrbar wie in Kunst und Musik und in
der caritativen Fürsorge für Menschen aneinander. Er wird an
Arbeitsplätzen, Flughäfen, Bahnhöfen und Einkaufsstraßen
ebenso spürbar wie in Kirchen, Altenheimen und Kindergärten.
Erich Zenger führt in seinem Buch ‚Der Gott der Bibel‘ vier
Aspekte des Naheseins Gottes aus. Wenn Gott nahe ist, dann
ist er zuverlässig nahe, er ist aber gleichzeitig für uns Men-
schen unverfügbar. Gott ist in seiner Gegenwart unbegrenzt
und ausschließlich da für die Menschen. Wer sich im Alltag
auf die Suche nach der Gegenwart Gottes macht, darf sicher
sein: ER macht seine Gegenwart nicht davon abhängig, ob
Menschen ihn bemerken oder nicht. Gott macht seine Ge-
genwart und sein Wirken auch nicht davon abhängig, ob
sie in menschliche Pläne passen oder ob sie gewünscht oder
erwartet werden. Vielleicht kann gerade das bei geistlichen
�2 Impressionen von der Halde Prosper Haniel in Bottrop
�4 ��
Übungen zum Erkennungsmerkmal werden, dass Gott da wirkt,
wo die eigenen Pläne gestört werden. Die Unbegrenztheit der
Gegenwart Gottes zeigt sich auch dadurch, dass es keine zeit-
lichen, räumlichen oder institutionellen Grenzen gibt, die Gott
hindern könnten. Und wer sein Leben in die Hand Gottes legt,
kann nicht noch ein Netz oder doppelten Boden einbauen, um
in schwierigen Zeiten eine Hintertür zu haben.
Wer sich auf die unplanbare Gegenwart Gottes einlassen kann,
der erlebt aber vielleicht auch, dass Problemlösungen oder
Konfliktbearbeitungen nach dem win-win-Prinzip verlaufen
können: Es muss neben dem Gewinner nicht zwangsläufig
Verlierer geben - beide Seiten können durch Veränderungen
gewinnen.
Gott bewegt uns Menschen, er beauftragt und schickt los; er
hält für jeden und jede Einzelne die verschiedensten Aufgaben
bereit. Aber er stärkt Menschen auch für ihre Aufgaben, gibt
ihnen das auf den Weg mit, was sie brauchen. Das wird beson-
ders deutlich in der Geschichte des Elija im Buch der Könige:
Elija werden seine Aufgaben zu viel, er will sich zurückziehen.
Wörtlich heißt es im Buch der Könige:
Er ging eine Tagereise weit in die Wüste hinein. Dort setzte
er sich unter einen Ginsterstrauch und wünschte sich den
Tod. Er sagte: Nun ist es genug, Herr. Nimm mein Leben;
denn ich bin nicht besser als meine Väter. Dann legte er sich
unter den Ginsterstrauch und schlief ein. Doch ein Engel
rührte ihn an und sprach: Steh auf und iss! Als er um sich
blickte, sah er neben seinem Kopf Brot, das in glühender
Asche gebacken war, und einen Krug mit Wasser. Er aß und
trank und legte sich wieder hin. Doch der Engel des Herrn
kam zum zweiten Mal, rührte ihn an und sprach: Steh auf
und iss! Sonst ist der Weg zu weit für dich. Da stand er auf,
aß und trank und wanderte, durch diese Speise gestärkt,
vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Gottesberg Horeb.
1 Kön 19,3-8
Was für Elija galt, gilt für jeden Menschen heute. Für die
Aufgaben, die Gott für jeden und jede ausgesucht hat, stellt er
auch genügend Zeit und Kraft zur Verfügung. Wenn Zeit und
Kraft fehlen, ist das ein ernst zu nehmendes Signal dafür, dass
man sich möglicherweise vom Willen Gottes entfernt.
Und wer sich bemüht um eine erhöhte Aufmerksamkeit im
Alltag, der / die kann die Gegenwart Gottes immer häufiger
wahrnehmen, auch und gerade an Orten, an denen man ihn
nicht vermutet hat. Die abgebildete Halde Prosper Haniel
in Bottrop verbindet die Arbeitswelt der Menschen in geni-
aler Weise mit ihrer Religiosität und mit der Möglichkeit zu
Freizeit und Entspannung. Ich denke, es ist einer der Orte im
Ruhrgebiet, die ganz unspektakulär auf die Gegenwart Gottes
hinweisen.
Dem Pastor einer Gemeinde fiel ein alter, bescheiden wir-
kender Mann auf, der jeden Mittag die Kirche betrat und sie
kurz darauf wieder verließ. So fragte er ihn eines Tages, was
er denn in der Kirche tue. Der antwortete: „Ich gehe hinein,
um zu beten.“ Als der Pastor verwundert sagte, dass er doch
gar nicht lange genug drin sei, um wirklich beten zu können,
meinte er: „Ich kann kein langes Gebet sprechen, aber ich
komme jeden Tag um zwölf und sage: ‚Jesus, hier ist
Johannes.’ Dann warte ich eine Minute, und er hört mich.“
Einige Zeit später musste Johannes ins Krankenhaus. Ärzte und
Schwestern stellten bald fest, dass er auf die anderen Pati-
enten einen heilsamen Einfluss hatte. Die Nörgler nörgelten
weniger, und die Traurigen konnten auch mal lachen.
„Johannes“, sagte die Stationsschwester irgendwann, „die
Männer sagen, du hast diese Veränderung bewirkt. Immer
bist du gelassen, fast heiter.“ „Dafür kann ich nichts“, meinte
Johannes, „das kommt durch meinen Besucher.“ Doch niemand
Zwölf Uhr mittags
�� ��
hatte bei ihm je einen Besucher gesehen, keine Verwandten
und auch keine Freunde. „Dein Besucher?“, fragte die Schwes-
ter. „Er kommt jeden Mittag um zwölf. Er tritt ein, steht am
Fußende meines Bettes und sagt: ‚Johannes, hier ist Jesus’.“
Quelle unbekannt
4.Standortist heiliger Boden
Wo du stehst,In einzelnen Schritten lässt sich die
Aufmerksamkeit üben, zum Beispiel:
Eine Woche lang an verschiedenen Ort einen kurzen Moment
innehalten und sich selbst die Worte der Bibel zusagen: „Wo du
jetzt stehst, ist heiliger Boden.“ z.B. in der Warteschlange beim
Einkaufen, in meiner Wohnung, im Fitnesscenter, …
Ändert sich dadurch etwas?
Einen Ort aussuchen, an dem man sich mit Gott verabre-
det. Vielleicht gelingt es ja, anstelle eines einmaligen Treffens
ein regelmäßiges tägliches Treffen mit Gott zu arrangieren.
In den eigenen vier Wänden einen Ort bereiten, an dem man
ein regelmäßiges kurzes Zusammensein mit Gott kultiviert.
Morgens am offenen Fenster, barfuss auf dem Boden
stehend, den Tag empfangen.
begr
enzt
Solarzellen an der Friedenskirche in Herten
�8 �9
Am frühen Morgen begab sich Jesus wieder in den Tempel.
Alles Volk kam zu ihm. Er setzte sich und lehrte es.
Da brachten die Schriftgelehrten und die Pharisäer eine
Frau, die beim Ehebruch ertappt worden war. Sie stellten sie
in die Mitte und sagten zu ihm: Meister, diese Frau wurde
beim Ehebruch auf frischer Tat ertappt.
Mose hat uns im Gesetz vorgeschrieben, solche Frauen zu
steinigen. Nun, was sagst du?
Mit dieser Frage wollten sie ihn auf die Probe stellen, um
einen Grund zu haben, ihn zu verklagen. Jesus aber bückte
sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde.
Als sie hartnäckig weiterfragten, richtete er sich auf und
sagte zu ihnen: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als
erster einen Stein auf sie.
Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde.
Als sie seine Antwort gehört hatten, ging einer nach dem
anderen fort, zuerst die Ältesten. Jesus blieb allein zurück
mit der Frau, die noch in der Mitte stand.
Er richtete sich auf und sagte zu ihr: Frau, wo sind sie ge-
blieben? Hat dich keiner verurteilt?
Sie antwortete: Keiner, Herr. Da sagte Jesus zu ihr: Auch ich
verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht
mehr!
Johannes 8,2-11
Wer auf dem Boden steht und geht, wird auf Grenzen sto-
ßen. Grenzen zu spüren ist meistens nicht angenehm: Eigene
Grenzen irritieren und manchmal haben sie das Potential zu
demotivieren; eigene Grenzüberschreitungen verdrängt man
gerne aus dem Bewusstsein. Fremde Grenzen und Grenzüber-
schreitungen dagegen werden umso genauer wahrgenom-
men und umso schärfer kritisiert. Die heutige Stelle aus dem
Johannesevangelium erzählt davon.
Jesus steht zwischen zwei Konfliktparteien. Er soll sagen, was
richtig und falsch ist. Er soll Stellung beziehen für das Gesetz
und gegen die Verfehlung. Der Evangelist fügt hinzu, dass es
anscheinend nicht nur um die reine Sachfrage geht, sondern
darum, Jesus auszuspielen. Er soll sich positionieren zwischen
seiner liebenden Fürsorge für Menschen in Bedrängnis und Not
und seiner Gesetzestreue. Seine Reaktion: „Er bückte sich und
schrieb mit dem Finger auf die Erde.“ Was er wohl schrieb?
Einige Exegeten haben darüber schon gemutmaßt. Ebenso
spannend ist aber auch die Frage: Warum zieht er sich auf
begrenztdiese Weise erst mal aus dem Spannungsfeld heraus und erdet
sich? Ist es nur ein kurzes ‚Sich-sammeln’? Will er sich in der
angespannten Situation eine kleine Auszeit verschaffen? Ein
wenig erinnert es auch an die Angewohnheit vieler Menschen,
bei unangenehmen Telefonaten oder in Stresssituationen alles
in Reichweite liegende Papier mit üppiger Ornamentik zu
versehen, weil man unbewusst ein Ventil für angesammelte
Anspannung sucht.
Aber vielleicht ist doch noch etwas anderes in Jesu Han-
deln. Ob seine Erdung eine Deeskalationsmaßnahme ist? Die
Aufmerksamkeit wird von den Konfliktparteien weggeholt und
hingeführt zu dem, was Basis für alle Anwesenden ist: der Bo-
den unter den Füßen. Ob Jesus hier selbst an eine Grenze ge-
kommen ist? Ob ihm vielleicht in diesem Moment klar wurde:
Mit den Pharisäern ist ein offenes Gespräch in dieser Situation
nicht möglich, zu sehr wähnen sie sich auf der richtigen, der
gerechten Seite. Jesu Alternative ist es, sie auf den Boden ihrer
eigenen Realität und Schuldhaftigkeit zu holen.
�8
20 2�
Die Pharisäer stehen zunächst fest auf dem Boden des Ge-
setzes, anscheinend aber nur im Blick auf die Frau. Ihre Grenze
ist die Buchstabentreue zum Mosaischen Gesetz. Wenn man
auf den anderen kritischer schaut als auf sich selbst, wenn
eine differenzierte Wahrnehmung der Situation nicht mehr
stattfindet und nur noch die Kategorien gut und böse bzw.
Recht und Unrecht gelten, wenn man den Kontakt zur eigenen
Realität verliert, dann können Konflikte schnell eskalieren.
Jesus öffnet diese Grenze und hilft ihnen bei einem klaren
Blick auf eigene Grenzüberschreitungen, deutlich, aber nicht
unbarmherzig. Blamage und Bloßstellung gehören nicht dazu.
Und die Frau? Engere Grenzen kann ein Mensch wahrschein-
lich nicht erfahren, als zuerst öffentlich bloßgestellt zu sein
und in dieser Situation dann noch mit der Furcht zu kämpfen,
sein Leben zu verlieren. Zuerst scheint es, als sei sie nur das
Objekt für einen Rechtsstreit. Dann aber rettet Jesu Deeska-
lationsmaßnahme nicht nur ihr Leben, sondern schenkt ihr
auch eine neue Würde und Freiheit zurück mit den schlichten
Worten: „Geh – sündige nicht mehr.“ Sie selbst darf ihr Leben
und ihre Freiheit neu gestalten.
Die Bibelstelle verdeutlicht: Gesetze werden nicht aufgehoben,
sie sind nicht überflüssig. Grenzen geben dem Leben eine klare
Linie, auch wenn sie im Alltag manchmal hinderlich oder lästig
erscheinen.
Und wer es lernt, die eigenen Grenzen wahrzunehmen, wer es
schafft, diese Grenzen wahr sein zu lassen, der kann wachsen:
nicht nur an den eigenen Grenzüberschreitungen, sondern auch
an den gesetzten Grenzen.
„Nun lass mal fünfe gerade sein“ sagt man im Ruhrgebiet. Das
bedeutet: Man kennt die Regeln und Gesetze für ein gelingendes
Miteinander, aber man kann ihnen auch um des Lebens willen
situativ Weite geben. Denn Regeln und Gesetze sind nicht dazu
da, das Leben einzubetonieren. Mit dieser Haltung gegen sich
und andere entwickelt man im Alltag eine kreative Kraft der
Versöhnung: Eine Versöhnung mit sich selbst, mit den eigenen
Grenzen und mit denen, deren Grenzen man erfahren hat und an
denen man sich immer noch wundreibt. Auf diese Weise wird die
Klarheit nicht verwischt, aber es bleibt Flexibilität, die lebendig
sein lässt. Oder, biblisch gesprochen: Gesetz und Vergebung
haben gemeinsam Geltung und geben Standfestigkeit.
Oh sage, Dichter, was du tust?
- Ich rühme.
Aber das Tödliche und Ungetüme,
wie hältst Du’s aus, wie nimmst Du’s hin?
- Ich rühme.
Aber das namenlose, Anonyme,
wie rufst du’s, Dichter, dennoch an?
- Ich rühme.
Woher dein Recht, in jeglichem Kostüme,
in jeder Maske wahr zu sein?
- Ich rühme.
Und dass das Stille und das Ungestüme
wie Stern und Sturm dich kennen?
- weil ich rühme.
Rainer Maria Rilke
Für Leonie Zacharias
22 2�
gesendet5.Standortist heiliger Boden
Wo du stehst,
Unterwegs sah Jesus einen Mann, der seit seiner Geburt
blind war. Da fragten ihn seine Jünger: Rabbi, wer hat
gesündigt? Er selbst? Ober haben seine Eltern gesündigt,
so dass er blind geboren wurde? Jesus antwortete: Weder
er noch seine Eltern haben gesündigt, sondern das Wirken
Gottes soll an ihm offenbar werden. Wir müssen, solange
es Tag ist, die Werke dessen vollbringen, der mich gesandt
hat; es kommt die Nacht, in der niemand mehr etwas tun
kann. Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der
Welt. Als er dies gesagt hatte, spuckte er auf die Erde;
dann machte er mit dem Speichel einen Teig, strich ihn
dem Blinden auf die Augen und sagte zu ihm: Geh und
wasch dich in dem Teich Schiloach! Schiloach heißt über-
setzt: Der Gesandte. Der Mann ging fort und wusch sich.
Und als er zurückkam, konnte er sehen. Johannes 9,1-7
ganz konkret den Raum wahrnimmt, in dem man
sich gerade befindet, einschließlich der schützenden und
begrenzenden Wände.
vom Fenster oder einem anderen geeigneten Ort aus in
die Weite schaut.
sich an befreiende Momente des Alltags erinnert.
sich selbst und anderen Befreiung und Freiheit schenkt,
wenn man eine konkrete Schuld nicht länger nachträgt.
… seine eigenen Grenzen wahrnimmt:
Welche der Grenzen hilft mir, meine eigene Lebendigkeit zu
spüren? Mit welcher Grenze bin ich (noch) unversöhnt?
Der Umgang mit Grenzen lässt sich in
kleinen Schritten üben, indem man...
22 Weltkulturerbe Zeche Zollverein in Essen
24 2�
Auch die fünfte und letzte biblische Betrachtung lenkt die
Aufmerksamkeit noch einmal hin zu dem Boden, auf dem wir
stehen.
In der Perikope aus dem Johannesevangelium wird ein Blinder
durch Jesus geheilt. Zwei Hilfsmittel nimmt Jesus dazu: Erde
und Speichel. Bleibe ich auf der Bildebene dieser Bibelstelle,
dann ist der erste Gedanke: Nicht schön, auf welche Wei-
se diese Heilung vor sich geht. Schmutz von der Erde, mit
Speichel angerührt – wer möchte das schon so ohne weiteres
im Gesicht haben? Betrachtet man jedoch die Bilder mit und
in ihrem Bedeutungshintergrund, dann öffnen sich mehrere
Dimensionen: Speichel austauschen zwischen zwei Menschen,
das verliert das ungute Gefühl, wenn ganz viel Liebe mit dabei
ist. Für ein liebendes Paar ist so ein inniger Kontakt selbst-
verständlich, und auch zwischen kleinen Kindern und Eltern:
wenn eine Mutter oder ein Vater beherzt das klebrige Gesicht
eines Babys abschlecken, regt das die Zuschauenden vermut-
lich zum Schmunzeln an und das Baby stört es meistens nicht.
gesendetUnd das zweite Element dieser Heilungsgeschichte ist die Erde
– der Boden, auf dem der Blinde steht.
Am ersten Standort wurde an dieser Stelle der frühe Schöp-
fungsbericht der Bibel betrachtet, in dem beschrieben wird,
dass wir Menschen genau aus dieser Erde gemacht sind. Die
Heilungsgeschichte von Schiloach sagt mir: Zum Heilwerden,
zum Sehen und Erkennen, zur Wandlung und Veränderung
braucht man eine liebevolle Rückgebundenheit an eigene
Wurzeln und an die eigene Herkunft.
Eine Heilungsgeschichte mit Erde und Spucke - alltagstaug-
licher geht es eigentlich nicht mehr. Denn beides ist nahezu
jederzeit verfügbar. Und beides steht auch jedem Menschen
zur Verfügung. Man braucht weder große Reichtümer noch
eine besondere Begabung, um sie nutzen zu können. Offene
Augen und ein liebevoller Blick helfen bei dem, was der Kir-
chenvater Augustinus das Wichtigste nennt: „Unsere Aufgabe
in diesem Leben ist nichts anderes, als das Auge des Herzens
zu heilen, mit dem Gott gesehen wird.“
Das Ruhrgebiet – die Kulturhauptstadt 20�0 – hat viele Orte
der Wandlung. Im ‚Pott’ werden hässliche alte Industriegebäu-
de doch noch mal genauer angeschaut und mit liebevollem
Blick wird der Wert dieses Gebäudes oder Ortes für die Region
wahrgenommen. Alles, was dort an Arbeit geleistet wurde,
wird in Erinnerung gehalten und wie die Prägekraft der Orte
für das Ruhrgebiet ins Bewusstsein geholt. Und nicht selten
wird dann eine gute neue Verwendung für diese ‚locations‘
gefunden: Da werden alte Tanks zu Tauchschulen, Gasome-
ter beherbergen den größten Mond, den es auf der Erde gibt,
Kohlewaschanlagen bergen ein Museum, Abraumhalden geben
das Freizeitgefühl des bergischen Landes und alte Kokereien
werden Abenteuerspielplätze mit einem enormen Potential
fürs Verstecken spielen. Was dabei an die Heilungsgeschichte
erinnert? Es ist die Haltung, in der man versöhnt zurück-
schauen kann und dadurch Kraft für Innovation und Wandel
gewinnt: Schau auf das, was dich durchs Leben getragen hat
und was dir Halt und einen festen Stand gibt. Schau auf deine
Herkunft und deine Wurzeln, aber mit Zuneigung und Liebe,
mit Offenheit und Wertschätzung für die Möglichkeiten und
die Grenzen. Lass dort Verwandlung geschehen, wo sie sich
entwickeln will, und geh als Verwandelte/r in die Welt.
Vielleicht kann diese Heilungsgeschichte Ihnen in dieser Zeit
zum persönlichen Begleiter werden und dabei helfen, sich los-
zulösen von der Strömung eines kollektiven Pessimismus und
einer Mentalität des Jammerns, die das Land und die Region
immer wieder mal durchstreift. Sie kann befreien von blinden
Flecken, von ausbrennender Selbstüberschätzung und einem
lähmendem Mangel an Selbstbewusstsein. Und sie kann die
Augen und das Herz öffnen:
Dafür, wo die eigene Lebensgeschichte noch auf Versöh-
nung wartet - wo Menschen auf Zuwendung warten – wo
man selbst Dinge gestalten und verändern kann – wo Neues
entgegenkommt - wo man als Christ Lebensfreude spüren und
weiterschenken kann.
Wo du stehst, ist heiliger Boden.
Wenn Sie durch die Kulturhauptstadt 20�0 gehen, stärken Sie
sich und die, denen Sie begegnen, mir dieser Botschaft!
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Nicht müde werden
Nicht müde werden
sondern dem Wunder
leise
wie einem Vogel
die Hand hinhalten.
Hilde Domin, Nicht müde werden.
Aus: dies. Gesammelte Gedichte
© S. Fischer Verlag GmbH,
Frankfurt am Main 1987
Erde in die Hand nehmen und sie durch die Finger rieseln
lassen.
Etwas einpflanzen – in einem Blumentopf oder im Garten.
Sich bei einem Spaziergang durch die Natur in Erinnerung
rufen, wann man Wandel und Veränderung im eigenen Leben
gespürt hat.
Eigene Lebensbereiche anschauen, in denen Veränderung
jetzt gut täte. Mit Gelassenheit und Zuversicht das anschau-
en, was man gerne an sich selbst verwandelt hätte.
In den nächsten Tagen eine unangenehme oder lästige
Aufgabe mit Liebe und Aufmerksamkeit erledigen.
Gott, unser Vater,
du Schöpfer des Himmels und der Erde,
wir loben dich und wir preisen dich.
Groß bist du in allem,
was durch deine Güte und Kraft
an Gutem und Schönem
hier bei uns im Ruhrgebiet
entstanden und gewachsen ist.
Unter dem Wirken deines Geistes
hat der christliche Glaube
tiefe Spuren in der Kultur
unserer Städte und unseres Landes
hinterlassen.
Bewege die Künstler unserer Tage,
in der Sprache von Farbe und Form,
von Musik und Tanz, von Theater und Spiel,
von Skulptur und Architektur
Zeugen des Lebens und Propheten der Zukunft zu sein.
Gebet im Jahr der Kulturhauptstadt 2010
Halte deine schützende Hand
über die vielen Vorhaben der RUHR 20�0
mit ihren Besuchern von nah und fern,
mit ihren Begegnungen mitten im Alltag
und mit ihren Festen und Feiern.
Öffne die Herzen, Gedanken und Hände
der Menschen hier und überall auf der Erde
zu einem gewaltfreien Miteinander
der Kulturen und Religionen,
der Rassen und Nationen.
Lass mittendrin die Botschaft des Evangeliums
lebendig werden und alle die Einladung
zur Versöhnung, zur Gerechtigkeit
und zur Bewahrung der Schöpfung annehmen.
Der Geist deiner Liebe und deines Friedens
bestimme unser Leben.
Amen
Gerd Belker
Schritte, den heiligen Boden
wahrzunehmen…
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Impressum
Herausgeber: Exerzitienreferat Bistum Essen, Dahler Höhe 29,
4�2�9 Essen, Telefon: (02 0�) 49 00 �22, Telefax: (02 0�) 49 00 ��9
E-Mail: [email protected], www.bistum-essen.de
Erarbeitet von Ingelore Engbrocks
Erstabdruck als Exerzitien im Alltag im: RUHRWORT. Zeitung für das Bistum Essen
Redaktionelle Bearbeitung: Dr. Magdalena Musial
Foto Seite 2: Wolfgang Völz, Gasometer Oberhausen GmbH
Foto Seite �, �2, �� : Privat
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