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Sek. I+II 69. Jahrgang Sonderausgabe August 2018 WOCHENSCHAU GELD UND GELDPOLITIK Politik und Wirtschaft im Unterricht © Wochenschau Verlag, Frankfurt/M.

WOCHENSCHAU DIE NEUEN THEMENHEFTE...69. Jahrgang Sonderausgabe August 2018 Sek. I+II WOCHENSCHAU GELD UND GELDPOLITIK Politik und Wirtschaft im Unterricht Titel_2018_RZ_NEU.indd 13

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Sek. I+II69. Jahrgang Sonderausgabe August 2018

WOCHENSCHAU

GELD UND GELDPOLITIK

Politik und Wirtschaft im Unterricht

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© Wochenschau Verlag, Frankfurt/M.

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I N H A LT

Geld und Geldpolitik

T H E M E N H E F T E

Michael Schiff

4 Bargeld, Buchgeld oder Bitcoin – Was ist Geld?

Die Geschichte des Geldes ist eine Geschichte des Wandels, zu dem auch neue Trends wie Kryptowährungen gehören. Im Beitrag wird sowohl der Nutzen des Geldes als auch der Unter-schied zwischen den Begriffen Geld und Währung deutlich erklärt.

Franz Conrads

12 Ist Bares noch Wahres? Zur Zukunft des Bargelds

Euro-Bargeld ist noch immer das meist-verwendete Zahlungsmittel im Alltag der Deutschen. Ausgehend von aktuel-len Statistiken zur Bargeldnutzung dis-kutiert der Autor die Vor- und Nachteile der Nutzung von Bargeld.

Rainer Naser

18 Wie kommt das Geld in die Welt?

Ohne Geld funktioniert eine Wirtschaft nicht. Doch wie kommt Geld in Umlauf? Ist es die Zentralbank oder sind es die Geschäftsbanken, die Geld schaffen? Der Beitrag klärt auf, dass Geschäfts-banken nicht als reine Finanzvermittler agieren. Nein, sie schaffen selbst aktiv Geld. Dabei wird das Zusammenspiel zwischen Geschäftsbanken und Noten-bank genau erläutert: Denn Zentralban-ken steuern im Normalfall nicht die Menge der Liquidität, die sie den Ban-ken zur Verfügung stellen, sondern den Preis dafür.

Jürgen Hirsch

28 Die Unabhängigkeit der Geldpoli-tik von demokratisch gewählten Regierungen

Die Stabilität einer Währung ist wirt-schaftspolitische Aufgabe des Staates. Weshalb entscheidet aber in keinem entwickelten Industriestaat die demo-kratisch gewählte Regierung über die angemessene staatliche Geldpolitik? Der Beitrag beantwortet die Frage, weshalb es stattdessen unabhängige Zentralbanken gibt, die zudem keiner direkten demokratischen Kontrolle durch die Volksvertretung unterliegen.

Harald Loy

34 Der Euro als Motor der europäischen Integration?

Wie war das nochmal mit der europäi-schen Integration? Der Euro war nicht das ursprüngliche Ziel des Integrations-prozesses. Er ist aber mit der Zeit zu einem Instrument für diesen Prozess geworden. In diesem Beitrag erklärt der Autor, wie der Prozess der europäi-schen Integration verlief, welche Stand-punkte ihn beeinflussten und wie die Integrationskraft des Euro heute disku-tiert wird.

Markus Altmann

40 Das Eurosystem und die Rolle der Bundesbank darin

Die Einführung des Euro 1999 stellte für die Bundesbank eine Zäsur dar. Aus der Alleinverantwortung für die D-Mark wurde eine Mitverantwortungfür den Euro. Der Autor erläutert in diesem Zusammenhang grundlegendeEntscheidungsprozesse und wichtigePrinzipien des Zusammenspiels derna tionalen Zentralbanken der Euro- Länder. Dabei geht er auch auf dieRolle der EZB innerhalb des Euro-systems ein.

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GELD UND GELDPOLITIK

Das Sonderheft Geld und Geldpolitik ist ein Koope rationsprojekt des Wochenschau Verlags mit der Deutschen Bundesbank. Bestellen Sie dieses Heft kostenlos und versand kostenfrei, bei Lieferung an die Adresse Ihrer Institution oderSchule auch im Klassen- oder Gruppenarbeitssatz.

Sek. I+II69. Jahrgang Sonderausgabe August 2018

WOCHENSCHAU

GELD UND GELDPOLITIK

Politik und Wirtschaft im Unterricht

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3I N H A LT

Moritz Schneemann

76 Die Währungsunion in Zeiten der Krisen

Der europäische Währungsraum feiert

am 1. Januar 2019 sein 20-jähriges

Bestehen. Er steht allerdings seit nun

schon 11 Jahren unter dem Eindruck

verschiedener Krisen. Vor diesem Hin-

tergrund blickt der Text auf diese Kri-

sen, legt ihre Ursachen dar und zeigt

aus stabilitätsorientierter Perspektive

Wege auf, um die Währungsunion

dauerhaft zu festigen.

Albrecht Sommer

68 Wie wirkt die „klassische“ Geldpolitik?

Notenbanken versuchen, ihr primäres Ziel

der Preisstabilität durch den gezielten Ein-

satz geldpolitischer Instrumente zu errei-

chen. Das zentrale Instrument der Geld-

politik ist der Zinssatz, zu dem das Zentral-

bankgeld bereitgestellt wird. Änderungen

dieses Zinssatzes beeinflussen die Wirt-

schaftsdynamik und in letzter Konsequenz

die Preisentwicklung.

Thomas Schneider

62 Die geldpolitische Strategie des Eurosystems

Wenn EZB-Präsident Draghi vor die Pres-

se tritt, sind es die Aussagen über die

Höhe der Leitzinsen oder die Beschlüsse

zu den Wertpapierankaufprogrammen,

die ein Medienecho hervorrufen. Hier

lernen die Leser_innen, auf welcher

Grundlage geldpolitische Entscheidun-

gen getroffen werden.

Christian Hecker

54 Vom Wert stabilen Geldes

Stabiles Geld bedeutet, dass das Preis-

niveau stabil bleibt. Aber warum ist

Preisstabilität in einer Volkswirtschaft

von essenzieller Bedeutung? Warum

erfüllt stabiles Geld eine elementare

wirtschaftliche, gleichzeitig aber auch

eine wichtige soziale Funktion? Der

Text beantwortet, warum Preisstabilität

das Ziel euro päischer Geldpolitik ist.

Tobias Pohl

84 Niedrige Zinsen – Fluch oder Segen?

Seit einigen Jahren sind die Zinssätze im

Euroraum auf einem Rekordtief. Für Ein-

lagen erhalten Anleger_innen auf ihrem

Bankkonto praktisch keine Zinsen mehr.

Dieser Beitrag illustriert die Ursachen

dieses Zinstiefs und erläutert die Kon-

sequenzen für Verbraucher_innen, Unter-

nehmen, Banken und öffentliche Haus-

halte.

Thorsten Eistert

88 Die Politik der „quantitativen Lockerung“

Anleihekäufe im Rahmen der „quanti-

tativen Lockerung“ bestimmen die Wahr-

nehmung der Geldpolitik in der euro-

päischen Öffentlichkeit. Leser_innen

erfahren hier Grundlegendes über

diese Politik, ihre Auswirkungen und

die Risiken, die mit ihr einhergehen.

Julia von Borstel, Dirk Gerlach

46 Wie wird Inflation gemessen?

Inflationsraten sind volkswirtschaftlich

bedeutende Indikatoren, die die Ent-

wicklung des Geldwerts und der Kauf-

kraft beschreiben. Für die Geldpolitik

sind sie meist die zentrale Zielgröße.

Aber wie wird eigentlich die Inflation

gemessen? Was bedeutet der Verbrau-

cherpreisindex und wer ist für dessen

Messung zuständig?

94 GLOSSAR

Das Glossar ist eine Unterstützung für

die Leser_innen. Es erklärt zentrale

Fachbegriffe und ist zum Nachschlagen

beim Lesen gedacht.

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4 G E L D U N D G E L D P O L I T I KW O C H E N S C H AU S E K . I + II

Bargeld, Buchgeld oder Bitcoin –Was ist Geld?

Michael Schiff

Michael Schiff

ist Diplom-Volkswirt. Er studierte an der

Universität Trier. Für die Deutsche Bundes-

bank arbeitet er seit 2012 und leitet den

Stab des Präsidenten der Hauptverwaltung

in Rheinland-Pfalz und dem Saarland.

Gebrauchen kann es jeder und selten hat man genug davon, aber warum nutzt der Mensch überhaupt ein so abstraktes Medium, das wir heute Geld nennen? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, hilft ein kleines mathematisches Gedankenspiel. Man stelle sich eine einfache Tauschwirtschaft in einer steinzeit-lichen Siedlung vor. Fünf landwirtschaftliche Güter werden dort hergestellt und unter den Einwohner_innen gegeneinander getauscht. Da es kein Geld gibt, werden die Preise der einzelnen Güter jeweils in Einheiten der anderen Güter ausgedrückt. Der volks-wirtschaftliche Fachbegriff hierfür lautet „relative“ Preise. Insgesamt existieren in diesem Beispiel zehn direkte Tauschbeziehungen oder formal dargestellt:

In einem überschaubaren Wirtschaftssystem kann die Tauschwirtschaft ohne Geld durchaus funktionie-ren. Jeder kennt jeden und die Güteranzahl ist ge-ring. Aber schon bei zehn angebotenen Produkten erhöht sich die Anzahl der möglichen Tauschrela-tionen auf 45. Auch kostet das Finden von geeigneten Tauschpartner_innen erheblich mehr Zeit, sobald die Personenanzahl in einer Volkswirtschaft wächst und die Menschen einander nicht mehr kennen. Wie

findet man in einer solchen geldlosen Tauschwirt-schaft die Person, die genau das anbietet, was man selbst sucht? Und wo ist gerade jene Person, die das benötigt, was man selbst anbietet? Ist kein direkter Tausch möglich, sind manchmal lange Tauschketten nötig, bis jede Person bekommt, was sie braucht. In einem komplexen Wirtschaftssystem ist Handel mit-

tels Warentausch also schlicht nicht darstellbar. Die Tauschwirtschaft steht einer zunehmenden Speziali-sierung und Arbeitsteilung im Wege und damit auch dem technologischen und ökonomischen Fortschritt.Durch die Verwendung von Geld gelang es, diese Hürde zu nehmen und den Handel effizienter zu ge-stalten. So verfügt heute jede Ware und jede Dienst-leistung über eine Tauschbeziehung zu einem univer-sellen Tauschmittel – dem Geld. In unserem Beispiel mit insgesamt fünf Gütern reduzieren sich dadurch die Tauschbeziehungen von zehn auf fünf.Im Beispiel mit den zehn Gütern wird der Nutzen des Geldes noch deutlicher: Hier sinkt die Anzahl von zuvor 45 Tauschrelationen auf nur noch zehn, näm-lich auf zehn in Geldeinheiten ausgedrückte Preise.

Denken wir an Geld, haben wir instinktiv Geldscheine und Münzen vor Augen. Dabei ist im Euroraum die Geldmenge, die auf den Bankkonten liegt und über die wir mit dem Griff zur Giro- oder Kreditkarte ver-fügen können, gut zehnmal größer als die umlaufende Bargeldmenge. Während Banknoten, Münzen und Bankguthaben wohlvertraute Erscheinungsformen von Geld sind, erregen sog. Kryptowährungen derzeit große öffentliche Aufmerksamkeit und stellen den neuesten „Trend“ in Sachen Geldwesen dar. Die Geschichte des Geldes ist somit eine Geschichte des Wandels. Seine Erscheinungsformen unterliegen seit Jahrtausenden steten Veränderungen. Im Folgenden geht es sowohl um den Nutzen des Geldes als auch um den Unterschied zwischen den Begriffen Geld und Währung. Abschließend wird eine Brücke zu moder-nen Geldformen des Internetzeitalters geschlagen.

Die Tauschwirtschaft steht einer zuneh­menden Spezialisierung und Arbeitsteilung

im Wege und damit auch dem techno­logischen und ökonomischen Fortschritt.

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x: Anzahl der Tauschbeziehungen n: Anzahl der Güter

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WA S I S T G E L D ? 5

Mittels Geld tauscht man also nicht mehr Ware ge-gen Ware, sondern Ware gegen Geld und anschlie-ßend wieder Geld gegen Ware.Die Höhe des jeweiligen Austauschverhältnisses, also der Preis, wird durch das Verhältnis von Güterange-bot und Güternachfrage geprägt; also der relativen Knappheit des Gutes. Der Preis macht Waren und Dienstleistungen für alle Marktteilnehmer_innen vergleichbar. Ein funktionierendes Geldsystem ist die  Voraussetzung für eine arbeitsteilige, komplexe Ökonomie sowie für die Mehrung wirtschaft lichen Wohlstands.

Geldfunktionen

Damit ist bereits eine wesentliche Funktion des Gel-des identifi ziert: Es ist in erster Linie Transaktions-/Tauschmittel oder einfach ausgedrückt Zahlungsmit-tel. Die Funktion als Zahlungsmittel setzt voraus, dass das Geld von allen gleichermaßen akzeptiert wird.

Gleichzeitig dient Geld auch als Recheneinheit. Vor-aussetzung für die Nutzung als Recheneinheit ist eine ausreichende Teilbarkeit des Geldes. Die dritte Funktion von Geld leitet sich mittelbar aus seiner Tauschfunktion ab. Geld ermöglicht nicht nur sofor-tige Transaktionen, sondern auch Anschaff ungen zu einem späteren Zeitpunkt. Kann ein Produkt heute

nicht erworben werden, so können Mittel zurückge-legt und in der Zukunft verwendet werden. Voraus-setzung für diese sog. Wertaufbewahrungsfunktion ist die Wertstabilität des Geldes. Steigen die Preise für Güter und Dienstleistungen beispielsweise an, verlieren Ersparnisse an realer Kaufkraft und die  Wertaufbewahrungsfunktion des Geldes wird gemindert.Vereinfacht gesagt erfüllt Geld drei Funktionen: Es ist Transaktions- bzw. Zahlungsmittel, Recheneinheit und Wertaufbewahrungsmittel. Umgekehrt gilt auch: All das, was diese drei Funktionen erfüllt, ist wiederum Geld. Geld ist also nicht an eine bestimm-te Erscheinungsform gebunden, sondern kann viele Formen annehmen. Wie ein Blick in die Geschichte zeigt, fungierten z. B. Kauri-Schnecken, Salzbarren, Felle oder auch Zigaretten in verschiedenen Zeiten als Geld.

Geld ist Zahlungsmittel, Recheneinheit und Wertaufbewahrungsmittel.

Bei einer geldfreien Tauschbörse in Florida (2010) tauscht eine Frau Kleidung gegen Kleidung.

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Im Vergleich zu einer geldlosen Tauschwirtschaft vereinfacht der Einsatz von Geld die Tauschbeziehungen der einzelnen Handelnden enorm.

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lagAnzahl der Tauschbeziehungen bei fünf Gütern

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Geld, Schulden und Vertrauen stehen im Zentrum unseres Geldsystems Geld als universelles Tauschmittel unterliegt seit Jahr-tausenden vielfältigen Veränderungen. Aus dem Na-tural- und Warengeld und den ersten Münzen aus Edelmetall hat sich unser modernes Geldsystem mit Banknoten aus Papier, Münzen und Giral-/Buchgeld, also Guthaben auf Konten, entwickelt. Im Mittel-punkt steht dabei das Streben nach einer möglichst effi zienten Erfüllung der drei Geldfunktionen. Insbe-sondere das schnelle und sichere Abwickeln von Transaktionen war und ist ein Treiber des Fort-schritts.Egal ob es sich um eine historische Münze, die heuti-ge Banknote oder um Giralgeld dreht, eine entschei-dende Gemeinsamkeit weisen alle akzeptierten Geld-formen auf: Vertrauen ist die grundlegende Voraus-setzung für jedes Geldsystem. Ob nun das Vertrauen in den Silbergehalt einer Münze im Mittelalter, das Vertrauen in die Notenbank, für Preisstabilität einzu-treten, oder das Vertrauen in die Banken, Zahlungen vornehmen zu können. Vertrauen war und ist sowohl Voraussetzung als auch Anker einer jeden anerkann-ten Geldform.Die hohe Bedeutung von Vertrauen wird ersichtlich, sobald man sich den inneren Wert modernen Geldes vor Augen führt. Vernachlässigt man die Herstel-lungskosten einer Banknote oder Münze, die im Be-reich von einigen Cent liegen, beträgt der innere Wert schlicht null! „Heutiges Geld ist durch keinerlei Sachwerte mehr gedeckt. Banknoten sind bedruck-

tes Papier (…), Münzen sind geprägtes Metall“, so Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundes-bank (Weidmann 2012). Ist Vertrauen einmal verloren, so verliert Geld schluss-endlich seine Akzeptanz als Zahlungsmittel. Die dras-tische Geldentwertung während der Hyperinfl ation im Herbst 1923 ist hierfür ein mahnendes histori-sches Beispiel in der deutschen Geschichte. Dazu zählt aber auch die Erfahrung in den Nachkriegsjah-ren, als die Menschen ersatzweise auf die schon kurz erwähnte „Zigarettenwährung“ zurückgriff en.

Abseits des inneren Wertes stellt die Geldforderung der einen Person für die andere, also für die Gegensei-te, bilanziell immer auch eine Schuld dar. Zentralbank-geld, also Bargeld sowie Guthaben auf Konten bei der Zentralbank, ist eine Forderung der Eigen tümer_innen gegenüber der Zentralbank. Davon zu unterscheiden ist das Buch- oder auch Giralgeld auf Konten bei Kre-ditinstituten (vgl. zu dieser Unterscheidung den Bei-trag „Wie kommt das Geld in die Welt?“). Dieses macht den wesentlichen Teil der Eurogeldmenge aus. So stellt eine Einlage auf einem Girokonto, also das Kontoguthaben der Bankkund_innen, gleichzeitig eine Verbindlichkeit der Geschäft sbank gegenüber ih ren Kund_innen dar.

Was die drei Geldfunktionen erfüllt, kann vielleicht als Geld genutzt werden, doch

erst eingebettet in eine staatliche Ordnung wird es zur Währung.

Die Funktionen des Geldes im Überblick

Zahlungsmittel Recheneinheit Wertaufbewahrungsmittel

Geld erleichtert den Waren-tausch.

Auch Finanztransaktionen wie die Vergabe von Krediten sind möglich.

Güterwerte lassen sich in einer Bezugsgröße ausdrücken und vergleichen.

Geld fungiert als Wertmaßstab.

Gelderwerb und Geldausgabe können zeitlich auseinanderfallen.

Sparen ist möglich.

Um diese Funktionen erfüllen zu können, muss der Gegenstand, der als Geld verwendet wird, gut teilbar, wertbeständig und allgemein akzeptiert sein.

I Quelle: Deutsche Bundesbank I

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Elemente der staatlichen Geldordnung

Gesetze und staatliche Institutionen sorgen für die Stabilität und Sicherheit des Geldes und damit für das nötige Vertrauen in unser Geld. In diesem Zu-sammenhang unterstreichen die Europäischen Ver-träge und das Bundesbankgesetz die Zahlungsmittel-funktion des Euro. Sie legen fest, dass einzig Euro-Banknoten das gesetzlich und unbeschränkt gültige Zahlungsmittel im Euroraum sind. Bezahlvorgänge können also immer mit Banknoten beglichen wer-den, sofern keine andere Zahlungsform ausdrücklich vereinbart wurde. Damit sind sie ein universelles Zahlungsmittel mit umfassender Akzeptanz, dessen Fälschung polizeilich verfolgt und schwerwiegend bestraft wird.Daneben unterhält das Eurosystem eine eigene Zah-lungsverkehrsinfrastruktur, die für das Funktionieren des unbaren Zahlungsverkehrs und damit für die ge-samte Volkswirtschaft essentiell ist. Eine leistungsfä-hige technische Infrastruktur für unbare Zahlungen stellt das Rückgrat heutiger Finanz- und Wirtschaft s-systeme dar. Alan Greenspan, der frühere Vorsitzen-de der US-Zentralbank, sagte in diesem Zusammen-hang einmal: „Wenn jemand der US-Wirtschaft wirk-lichen Schaden zufügen wollte, müsste er diese Zahlungssysteme ausschalten. (…), die wirtschaft li-che Aktivität im ganzen Land bräche binnen kürzes-ter Zeit völlig zusammen“ (Greenspan 2007, S. 14).Das staatliche Ziel, die Wertaufbewahrungsfunktion des Geldes sicherzustellen, spiegelt sich insbesonde-re im geldpolitischen Mandat des Eurosystems wider. Dessen vorrangiges Ziel ist es, Preisstabilität im Eu-roraum zu gewährleisten, um somit die Kaufkraft des Geldes zu sichern. Auch weil Geschäft sbanken Schöpfer von Buchgeld sind (vgl. den Beitrag „Wie kommt das Geld in die Welt?“), werden sie staatlich reguliert und beaufsichtigt. Offi zielle Währungen wie der Euro sind also nicht nur durch das Erfüllen der drei Geldfunktionen gekenn-zeichnet, sondern sie sind in eine staatliche Ordnung eingebettet. Mit anderen Worten: Was die drei Geld-funktionen erfüllt, kann vielleicht als Geld genutzt werden, es ist damit aber nicht bereits zwangsläufi g eine Währung. Es ist das hoheitlich geordnete Geld-wesen eines Staates oder Währungsgebiets, das aus Geld eine offi zielle Währung wie Euro, US-Dollar oder Yen macht. Dies unterscheidet offi zielle Währungen von anderen Geldarten wie z. B. sog. Regionalgeld – eine Geldart,

mit der ausschließlich in teilnehmenden Geschäft en einer bestimmten Region gezahlt werden kann. Wesentliches Ziel einer Regionalwährung ist es, die Konsumausgaben in einer Region zu stimulieren. Da-her unterliegen sie meist einem systemischen Wert-verlust. Die wohl bekannteste Regionalwährung in Deutschland ist der sog. Chiemgauer (vgl. Deutsche Bundesbank 2013).

Wie wir bezahlen, bestimmen wir

Die Art, wie wir über unsere Währung verfügen, un-terliegt einem stetigen Wandel. Insbesondere die Verbreitung von Kredit- und Girokarten sowie der wachsende Einfl uss von E-Commerce haben in den letzten Jahren zur stärkeren Nutzung unbarer Zah-

Auch die Regiomark RheinMosel soll regionales Wirtschaften fördern. Sie zirkuliert parallel zum Euro.

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Art. 128 (ex-Artikel 106 EGV)(1) Die Europäische Zentralbank hat das aus-schließliche Recht, die Ausgabe von Euro-Bank-noten innerhalb der Union zu genehmigen. DieEuropäische Zentralbank und die nationalenZentralbanken sind zur Ausgabe dieser Bank-noten berechtigt. Die von der EuropäischenZentralbank und den nationalen Zentralbankenausgegebenen Banknoten sind die einzigenBanknoten, die in der Union als gesetzliches Zah-lungsmittel gelten.

VERTRAG ÜBER DIE ARBEITSWEISE DER EUROPÄISCHEN UNION

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8 G E L D U N D G E L D P O L I T I KW O C H E N S C H AU S E K . I + II

lungsinstrumente geführt. Am „Point of Sale“, der die klassische Ladenkasse im Einzelhandel und Zah-lungen an Privatpersonen und Dienstleister sowie In-terneteinkäufe umfasst, wird zwar immer noch in knapp drei Viertel aller Fälle bar bezahlt, jedoch seit Längerem mit abnehmender Tendenz (vgl. Deutsche Bundesbank 2018, S. 8). Dieser Trend wird sich vor-aussichtlich in den nächsten Jahren fortsetzen.Wie die Bevölkerung zahlt, ob bar oder unbar, sollten die Konsument_innen beim Griff in ihr Portemonnaie selbst entscheiden. Bargeld und unbare Zahlungen weisen unterschiedliche Vor- und Nachteile auf, die auch individuell unterschiedlich gewichtet werden. Langfristig werden sich die Zahlungsinstrumente durchsetzen, die dem Kunden einen objektiven Vor-teil verschaff en. Die fortschreitende Digitalisierung und der Siegeszug des Internets fördern dabei neue Formen des Bezahlens sowie des Geldes. So kann das Smartphone als Legitimationsmittel eingesetzt werden und per App oder über Internetbezahlverfah-ren können Rechnungen insbesondere bei Online-käufen beglichen werden. Bei diesen Instrumenten wird jedoch weiterhin früher oder später das bekann-te, staatlich regulierte Bankkonto belastet. Letztlich handelt es sich beim Bezahlen z. B. mit Smartphone

bisher also vornehmlich um neue Zugangswege zum bargeldlosen Bezahlen. Gleichzeitig hat das Internet auch die Entstehung sog. Kryptowährungen ermög-licht; dies eröff net gänzlich neue Perspektiven abseits der staatlichen Geldordnung.

Bitcoin: Währung, Geld oder nichts von beidem?

Die bekannteste und nach Marktkapitalisierung größ-te Kryptowährung ist der Bitcoin. Sie basiert auf einem neunseitigen Konzeptpapier, das unter dem Pseudo-nym Satoshi Nakamoto 2008 veröff entlicht wurde. Die genaue Autorenschaft ist bis heute ungeklärt.Das technische Fundament, auf dem Bitcoin und viele andere Kryptowährungen basieren, wird als „Blockchain“-Technologie bezeichnet. Bei dieser handelt es sich um ein Verzeichnis aller jemals mit Bitcoins durchgeführten Transaktionen. Dieses Ver-zeichnis wird nicht durch eine zentrale Instanz, son-dern durch alle Teilnehmer_innen des Netzwerks verwaltet und eingesehen. Neue Transaktionen wer-den durch sog. „Miner“ in Blöcke verpackt und an die Blockchain angehängt. Hierfür werden die Miner

Vergleich der Geldformen anhand der Geldfunktionen

Transaktionsfunktion Wertaufbewahrungsfunktion Währung oder Geld?

EURO Banknoten unbe-schränkt gesetzliches Zahlungsmittel: Akzeptanz von Giralgeld sehr weit verbreitet

Geldpolitik sorgt für Preisstabi-lität; beaufsichtigtes Banken-system

Erfüllung der Geldfunktionen; offi zielle Währung im Rahmen der staatlichen Geldordnung

Regionalgeld Ausschließlich in bestimmten Regionen nutzbar; Umtausch-kosten

Meist mit systemischem Wertverlust („Schwundgeld“)

Äußerst eingeschränkte und rein regionale Form des Geldes

„Kryptowährungen“, hier: Bitcoin

Kaum Akzeptanz-stellen; geringes Transaktionsvolumen

Hohe Kursschwankungen; Hacker-Überfälle auf Bitcoin-Börsen

Fungiert eher als Spekulati-onsobjekt

Bonusmeilen, Treuepunkte etc.

Nur bei speziellen Anbietern; selektives Produkt/Prämien-angebot

Meist mit Verfallsdatum, dadurch Zwang der zeitnahen Einlösung

Erfüllung der beiden Geldfunktionen sehr eingeschränkt; Bonuspunkte beeinfl ussen gegebenenfalls Zahlungsart (z. B. Kredit-karten)

I Quelle: M. Schiff. Auf die Funktion als Recheneinheit wurde verzichtet I

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WA S I S T G E L D ? 9

mit Bitcoins entlohnt – die einzige Möglichkeit, wie Bitcoins bis zu einer Obergrenze von 21 Millionen Stück geschaff en werden können. Um einen neuen Block zu generieren, müssen die Miner per Algorith-mus eine Zahl (Hash) fi nden, die bestimmte mathe-matische Voraussetzungen erfüllt. Dieser Prozess ist zeit- und energieaufwendig. Da in die Erstellung ei-nes Blocks immer auch Informationen aus den vorhe-rigen Blöcken eingehen, kann eine erfolgreiche Mani-pulation der Blockchain nur dann erfolgen, wenn ab dem Manipulationszeitpunkt alle nachfolgenden Blö-cke neu generiert werden. Dies ist aufgrund des be-schriebenen Aufwands zur Erstellung faktisch un-möglich. Ein solches Verfahren benötigt keine Zent-ralbank und auch keine Geschäft sbanken, die eine Infrastruktur bereitstellen. Der Reiz des Bitcoins liegt also in der Erschaff ung einer Geldform, die ohne staatliche Kontrolle oder ein privates Bankensystem auskommt. Handelt es sich hierbei aber wirklich um Geld oder – wie der Begriff „Kryptowährung“ suggeriert – gar um eine Währung? Der zweite Teil der Frage ist recht einfach zu beantworten: Es gibt keine gesetzliche Grundlage, keine staatliche Regulierung, die die Sta-

Die Blockchain-Technologie

I © Grafik: welt-sichten, Ausgabe Juni 6-2018, S. 18/19 (www.welt-sichten.org) I

bilität und Akzeptanz von Bitcoins gewährleistet. Da-mit handelt es sich nicht um eine Währung im Sinne einer klassischen Geldordnung. Diese Feststellung überrascht nun keineswegs, ist es doch erklärtes Ziel der Bitcoin-Anhänger_innen, ein netzwerkbasiertes, dezen trales Geld zu schaff en und sich von der etab-lierten staatlichen Währungsordnung zu lösen. Wenn er nun schon keine Währung darstellt, ist der Bitcoin zumindest Geld? Die erste Funktion des Gel-des, die Transaktions-/Zahlungsmittelfunktion, er-füllt der Bitcoin nur sehr eingeschränkt. Zum einen ist seine Akzeptanz als Zahlungsmittel äußerst gering, da es kaum Verkaufsstellen gibt, an denen tatsäch-lich mit Bitcoin bezahlt werden kann. Zum anderen ist das weltweite Transaktionsvolumen im Vergleich zu etablierten Zahlungsformen vernachlässigbar ge-ring. So wurden 2017 pro Tag Bitcoins im Wert von durchschnittlich knapp 1 Mrd. Euro bewegt. Das Zah-lungsverkehrssystem des Eurosystems „TARGET 2“ wickelte 2017 hingegen Zahlungen im Volumen von 1.700 (!) Mrd. Euro pro Tag ab. Neben der äußerst eingeschränkten Transaktionsfunktion ist auch die Wertaufbewahrungsfunktion kritisch zu hinterfra-gen. So ist der Börsenkurs des Bitcoins hochvolatil

Der Block wird an alleNetzwerkmitgliedererkmitglieder

verschickt

A möchte eine Transaktion an B durchführen,

z.z. B. Geld überweisenDie Mitglieder überprüfefef n,,

ob die Transaktion ok ist

Alle Informformf ationen zu einer tionen zu einer Transaktion bilden

einen sogenannten Block

A B

Die Transaktion ist durchgeführt.

B sieht z. B., dass das Geldvon A bei ihm on A bei ihm

anangekommen ist

Der Block kann nun zur Blockchain hinzugefügt wwerden. Diese dient als

unauslöschbaresund transparentes Archivchiv

derder Transaktionansaktion

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10 G E L D U N D G E L D P O L I T I KW O C H E N S C H AU S E K . I + II

HINWEISE FÜR DEN UNTERRICHT

VORSCHLAG: Die Entstehung und die Funktionen von Geld lassen sich spielerisch erschließen. Beispielhaft hierfür ist das Inselspiel, in dem Schüler_innen sich auf eine abgeschiedene Insel versetzen und Produktions- und Handelspraktiken entwickeln. → Das Beispiel einer konkreten Umsetzungfi nden Sie im WOCHENSCHAU-Basisheft „Wirtschaft “ (Heft -Nr. 12317, S. 12).

Foto und Schaubild auf S. 5 dieses Beitrags laden zur Diskussion der Frage „Welche wirtschaft lichen, sozialen und kulturellen Folgen hätte ein Leben ohne Geld?“ ein. Diese Frage lässt sich auch handlungsorientiert umsetzen, indem Sie bspw. mit Schüler_innen der Sekundarstufe I einen Tauschmarkt organisieren. Dieser Tauschmarkt kann einmal mithilfe von Geld und einmal durch Tausch von Sachgegenständen durchgeführt werden.

Weiterführende LiteraturDuwendag, Dieter et al. 1999: Geldtheorie und Geldpolitik in Europa. Berlin.Deutsche Bundesbank 2017: Geld und Geldpolitik. Frankfurt am Main. Deutsche Bundesbank 2017: Die Rolle von Banken, Nichtbanken und Zentralbank im Geld-schöpfungsprozess. In: Monatsbericht April 2017. Frankfurt am Main.Deutsche Bundesbank 2017: Forschungspro-jekt Blockchain. In: Monatsbericht September 2017. Frankfurt am Main.Rösl, Gerhard 2006: Regionalwährungen in Deutschland – Lokale Konkurrenz für den Euro? In: Deutsche Bundesbank: Diskussions-papier Reihe 1: Volkswirtschaft liche Studien Nr. 43/2006. Frankfurt am Main. Thiele, Carl-Ludwig 2018: Finger weg von Bitcoin! In: Frankfurter Allgemeine Sonntags-zeitung vom 4.2.2018, S. 32.Thiele, Carl-Ludwig 2018: Hat das Bargeld eine Zukunft ? Rede für das Forum Bundesbank vom 28.2.2018.

und seine Schwankungsintensität liegt deutlich über dem Niveau großer Aktienindizes oder bekannter Währungspaare wie dem USD/EUR. Daneben fi nden immer wieder Hacker-Überfälle auf Betreiber von Bitcoin-Börsen statt, die die Wertaufbewahrungs-funktion zusätzlich untergraben. Folglich handelt es sich bei Kryptowährungen, an-ders als der Name suggeriert, weder um Währun-gen noch lassen sich, nach kritischer Analyse, die klassischen Geldfunktionen wiederfi nden. Somit ist auch die Bezeichnung „Währung“ für Bitcoin und Co. missverständlich und irreführend. Aus diesem Grund nutzt die Bundesbank stattdessen den Be-gri� „Krypto-Token“ (Token: auf Deutsch „Wertmar-ke“, im Bereich der IT aber auch „Identitätsbeweis“), da dieser Ausdruck Funktion und Hintergrund des Phänomens Bitcoin besser beschreibt. Bitcoins sind also weder eine Währung noch kann man sie im täglichen Umgang als Zahlungsmittel verwenden, vielmehr sind sie hochspekulative Anlageobjekte mit entsprechenden Verlustrisiken für die Investo-ren. Vor diesen möglichen Totalverlustrisiken war-nen ö� entliche Institutionen wie die Deutsche Bun-desbank oder die Europäische Zentralbank (EZB).Die zugrunde liegende Blockchain-Technologie weist hingegen großes Potenzial auf. Derzeit laufen eine Vielzahl von Projekten und Studien, die sich mit der zukün� igen Anwendbarkeit der Blockchain-Technolo-gie beschä� igen. So entwickelt beispielsweise die Deutsche Bundesbank gemeinsam mit der Deutschen Börse einen Blockchain-Prototypen, um die Vorausset-zungen für die Blockchainnutzung bei Wertpapier-transaktionen besser verstehen zu lernen. Die Weiter-entwicklung der Blockchain-Technologie bleibt span-nend und wird sicherlich auch in den nächsten Jahren die Marktteilnehmer_innen beschä� igten.

Literaturverzeichnis Blockchain.info: Bitcoin-Statistiken vom 13.2.2018 (blockchain.info/de/stats) Zugri� vom 10.7.2018.Deutsche Bundesbank 2013: Teuer und männlich: Regionalwäh-rungen in Deutschland, Themenbeitrag vom 26.6.2013 (bundes-bank.de) Zugri� vom 4.5.2018.Deutsche Bundesbank 2018: Zahlungsverhalten in Deutschland 2017. Frankfurt am Main.Greenspan, Alan 2007: Mein Leben für die Wirtscha� . Frankfurt am Main.Nakamoto, Satoshi 2008: Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System (bitcoin.org/bitcoin.pdf) Zugri� vom 10.7.2018.Weidmann, Jens 2012: Begrüßungsrede anlässlich des 18. Kolloqui-ums des Instituts für bankhistorische Forschung (IBF) am 18.9.2012. Papiergeld – Staatsfi nanzierung – Infl ation. Traf Goethe ein Kern-problem der Geldpolitik?

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Im Geldmuseum wird die Welt des Geldes erlebbar. Wie wird Bargeld hergestellt, was ist Buchgeld, wie funktioniert Geldpolitik und was macht eigentlich eine Zentralbank? Welche Rolle spielt Geld in der globalisierten Welt?

Prägnante Ausstellungsstücke, attraktive Rauminszenierungen sowie mehr als 60 Medienstationen mit Spielen und interaktiven Informationen machen das Geldmuseum zu einem einzigartigen Lern- und Erlebnisort.www.geldmuseum.de

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© Wochenschau Verlag, Frankfurt/M.

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12 G E L D U N D G E L D P O L I T I KW O C H E N S C H AU S E K . I + II

Ist Bares noch Wahres? Zur Zukunft des Bargelds

Franz Conrads

Franz Conrads

ist Diplom-Volkswirt und arbeitet als

Stabsleiter in der regi-onalen Bundesbank-Hauptverwaltung in

Hessen. Davor war er Analyst bei der

Dresdner Bank (heute Commerzbank).

„Cash is King“ – Bargeld nach wie vor zentrales ZahlungsmittelEuro-Bargeld hat seinen festen Platz im Alltag der Menschen. Und jedes Jahr wird mehr und mehr da-von in Umlauf gebracht. So haben die Zentralbanken

des Eurosystems bis Ende 2017 Banknoten und Mün-zen im Wert von fast 1,2 Billionen Euro emittiert. Das ist fünfmal mehr als zum Zeitpunkt der Bargeldein-führung 2002. Der Umlauf von Euro-Münzen beläuft sich dabei gerade mal auf 28 Mrd. Euro. Demnach ist das Bargeld – zumindest wertmäßig gesehen – vor allem „Papiergeld“ (genau genommen bestehen die Geldscheine gar nicht aus Papier, sondern aus Baum-wolle).Vom gesamten Banknotenumlauf des Eurosystems wurden 653 Mrd. Euro, also über die Hälft e, von der Deutschen Bundesbank emittiert (vgl. Deutsche Bun-desbank 2018a, S. 37). Damit entfallen rein rechne-risch auf jeden Bundesbürger Banknoten im Wert von über 7.700 Euro. Allerdings befi ndet sich davon nur ein kleiner Teil in den Geldbörsen oder den heimi-schen Tresoren. Nach Schätzungen der Bundesbank dürft en bis zu 70 Prozent des von der Bundesbank in Umlauf gebrachten Bargelds Deutschland verlassen haben, sei es in Form von Reiseausgaben, als Bar-geldmitnahmen ausländischer Arbeitnehmer_innen oder im Rahmen internationaler Bargeldtransaktio-nen (sog. Sortengeschäft e). Etwa 20 Prozent der deutschen Banknotenemissionen werden nach den Bundesbank-Schätzungen als Bar-reserven im Inland gehortet (vgl. Deutsche Bundes-bank 2018a, S. 50). Auch wenn die Menschen in Um-fragen hierüber nicht immer off en sprechen, scheint die Wertaufbewahrung ein ganz zentraler Verwen-dungszweck für Bargeld zu sein. Dies gilt gerade in

Euro-Bargeld ist noch immer das meistverwendete Zahlungsmittel im Alltag der Deutschen. Auch als Mittel der Wertaufbewahrung erfreut es sich großer Beliebtheit. In jüngster Zeit geraten Banknoten und Münzen aber zunehmend in die Diskussion. Das liegt weniger daran, dass alternative bargeldlose Bezahlformen allmählich immer stärker genutzt werden. Vielmehr verunsichern Vorschläge zur Einschränkung der Bar-geldnutzung bis hin zur kompletten Bargeldabschaffung die Verbraucher_innen. Hat das Bargeld also bald schon ausgedient? Ausgehend von aktuellen Zahlen zur Bargeldnutzung wird im Folgenden dargelegt, welche Vor- und Nachteile es hat, Bargeld zu nutzen. Da viele Menschen in Deutschland das Bargeld unver-ändert wertschätzen, ist es wahrscheinlich, dass es bei uns auch in absehbarer Zukunft eine wichtige Rolle spielen wird.

Der Blick in die BrieftascheSo viel Bargeld trägt jede_r Bürger_in der Eurozone durchschnittlich bei sich

I Grafik: dpa 27737; Quelle: Esslink 2017 I

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unsicheren Zeiten, in denen die Bevölkerung Bargeld dem Halten von Einlagen bei einer Geschäft sbank vor-zieht. So hatten auf dem Höhepunkt der Finanzkrise im Oktober 2008 die Auszahlungen von 500-Euro-Banknoten auff ällig stark zugenommen. Das Wertauf-bewahrungsmotiv dürft e aber auch im derzeitigen Niedrigzinsumfeld ausgeprägt sein, weil die sog. Op-portunitätskosten der Bargeldhaltung (d. h. die „Kos-ten“ der Bargeldhaltung infolge entgangener Bankzin-sen) gegenwärtig sehr gering sind.Nur knapp 10 Prozent des „deutschen“ Banknoten-umlaufs werden also tatsächlich als Zahlungsmittel für Einkäufe und Ausgaben im Inland verwendet. Diese sog. Transaktionskasse speist den Bargeld-kreislauf in Deutschland, an dem neben Banken, Werttransporteuren, Handel und Bevölkerung auch die Bundesbank beteiligt ist. Die 35 Filialen der Bun-desbank bringen nicht nur neue Scheine und Mün-zen in Umlauf, sondern sie prüfen auch, ob die um-laufenden Banknoten echt und umlauff ähig sind. Insgesamt 15 Milliarden Scheine durchlaufen dabei jedes Jahr die Banknotenprüfmaschinen der Bun-desbank.Ihre enge Einbindung in den Bargeldkreislauf ist ein Grund dafür, warum die Bundesbank regelmäßig un-tersucht, wie sich das Zahlungsverhalten der Deut-schen entwickelt. Eine seit 2008 im Dreijahresab-stand durchgeführte repräsentative Umfrage liefert dabei wichtige Erkenntnisse zum Verhältnis von ba-

rem und unbarem Bezahlen. Wenig überraschend ist im Laufe der vergangenen Dekade ein geringer, aber kontinuierlicher Wandel hin zu alternativen, bargeld-losen Zahlungsformen auszumachen (vgl. Abb. „An-teil von Zahlungsinstrumenten nach Umsatz“). Gemäß der jüngsten Befragung im Jahr 2017 ist Bar-geld aber noch immer das mit Abstand dominieren-de Zahlungsmittel an der Ladenkasse. Und auch am sog. „Point of Sale“, zu dem nicht nur die klassische Ladenkasse im Einzelhandel, sondern auch Zahlun-gen an Privatpersonen und Dienstleister sowie Inter-neteinkäufe zählen, machen Barzahlungen immer noch rund drei Viertel aller Transaktionen aus. Dabei werden Kleinstbetragszahlungen bis 5 Euro fast aus-schließlich bar bezahlt. Bei Zahlungen bis zu 50 Euro ist Bargeld zumindest das überwiegende Zahlungs-mittel. Bei größeren Summen werden bargeldlose Zahlungsformen bevorzugt. Entsprechend belief sich der wertmäßige Anteil des Bargelds an allen Ausga-ben auf rund 48 Prozent (vgl. Deutsche Bundesbank 2018b, S. 24). Erstmals lag der Anteil damit unter der 50-Prozent-Schwelle. Gegenüber der letzten Erhebung im Jahr 2014 haben Kartenzahlungen wertmäßig deutlich zugelegt. Mit Debit-Karten (vor allem der Girocard) und Kreditkar-ten wurden als zweithäufi gster Zahlform immerhin 40 Prozent des gesamten Ausgabevolumens bezahlt (2014: 33 Prozent). Das größte Wachstum verzeich-neten dabei kontaktlose Karten, auch wenn ihr Anteil

Banknotenumlauf im Eurosystem

I Quelle: Deutsche Bundesbank I

0

200

400

600

800

10001000

12001200

2002 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 2018

Eurosystem

davon: Deutschland

Kumulierte Nettoemissionen

Mrd €Mrd. €

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insgesamt erst gut 1 Prozent ausmacht. Internetzahl-verfahren wie Paypal oder Paydirekt wiederum profi-tieren vom stark wachsenden Online-Handel und konnten ihren Anteil auf zuletzt knapp 4 Prozent er-höhen.Noch sind es weiterhin vor allem die bekannten Zahl-verfahren wie Debit- und Kreditkarten, gegenüber denen das Bargeld von Jahr zu Jahr etwas an Boden verliert. Innovationen wie Smartphone- oder Inter-net-Bezahlverfahren dürften mit der Zeit aber immer bekannter werden. Auch dürfte die sehr technikaffi-ne junge Generation zu deren weiterer Verbreitung beitragen, da sie für neue Zahlmethoden wesentlich aufgeschlossener ist als die Älteren. Eine besondere Bedeutung spielen zunehmend die von einigen Kre-ditinstituten bereitgestellten Apps, mit denen per Smartphone Zahlungen in Echtzeit vorgenommen werden können. Am Ende wird es aber darauf an-kommen, auf welche Akzeptanz die neuen Zahlungs-instrumente auf Seiten des Einzelhandels stoßen. So oder so ist absehbar, dass Änderungen im Zahlungs- und Konsumverhalten die Bedeutung des Bargelds allmählich weiter vermindern werden. Dennoch dürf-te Euro-Bargeld trotz der Vielzahl stark beworbener Substitute auf absehbare Zeit in der Gunst der Bevöl-kerung ganz oben bleiben.

„Nur Bares ist Wahres“ – Warum Bargeld auch weiterhin geschätzt wird

Aufgrund seiner zahlreichen Vorteile ist wenig ver-wunderlich, dass für viele Menschen unverändert gilt: „Nur Bares ist Wahres“. So gibt nur Bargeld als einziges gesetzliches Zahlungsmittel den Bürgern die absolute Sicherheit, jederzeit frei und unabhängig über ihr Geld verfügen zu können. Bargeld gestattet es zudem allen Bevölkerungskreisen, am Wirtschafts-leben teilzunehmen, selbst wenn sie keinen vollen Zugang zu bargeldlosen Zahlungsmitteln haben (z. B. Personen ohne Girokonto). Dies gilt auch für Kinder, die mit Bargeld den Umgang mit Geld lernen. Trotz des manchmal zeitraubenden Kramens nach Klein- und Wechselgeld an den Einzelhandelskassen schät-zen die meisten Verbraucher_innen Bargeld als einfa-ches, sicheres und schnelles Zahlungsmittel. Eine Barzahlung genießt außerdem den „Zug-um-Zug“-Vorteil: Weder Verkäufer_innen noch Käufer_innen einer Ware oder Dienstleistung müssen in Vorleis-tung treten. Beim Kauf und Verkauf teurer Waren (z. B. Gebrauchtwagen) kann man so dem Risiko der

Insolvenz einer Vertragsseite aus dem Wege gehen. Wer für seine Käufe überwiegend Banknoten und Münzen nutzt, hat in der Regel auch sein Ausgaben-verhalten besser im Griff. Laut der jüngsten Umfrage der Bundesbank zum Zahlungsverhalten in Deutsch-land schätzen über zwei Drittel der Befragten diesen Aspekt als wichtig ein. Dagegen verschulden sich eher diejenigen, die häufig mit Karte bezahlen. Ein weiterer Vorzug: Im Vergleich zu anderen Zah-lungsmitteln kommt Bargeld ohne technische Infra-struktur aus. Fällt flächendeckend der Strom oder das Mobilfunknetz aus, ist der bare Zahlungsverkehr ge-sichert und überdies gegen Cyberattacken gefeit. So legt die Bundesregierung der Bevölkerung in ihrem Zivilschutzkonzept auch ausdrücklich nahe, für den Krisen- und Katastrophenfall neben Lebensmitteln und Getränken auch ausreichend Bargeld zu Hause vorzuhalten. Last but not least: Wer mit Banknote und Münze zahlt, bleibt anonym und hinterlässt an der Ladenkasse keine Datenspuren. Bei einem ge-meinsamen Konto kann so beispielsweise das Über-raschungsgeschenk an den Partner geheim gehalten werden. Ganz generell kann mit Bargeld das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ausgeübt werden. Die Kehrseite ist natürlich, dass diese Anony-mität auch zu illegalen Aktivitäten missbraucht wer-den kann.Es gibt noch weitere Nachteile des Bargelds. So kos-tet das Bargeldsystem einiges. Geldscheine müssen gedruckt und Münzen geprägt werden. Werttrans-porter befördern die wertvolle Fracht dann durch die

Lande. Banken lagern das Bargeld in Tresoren, zah-len Versicherungsprämien und müssen ihre Geldau-tomaten bestücken. Allerdings sind auch elektroni-sche Bezahlverfahren nicht zum Nulltarif zu haben. Berechnungen des Eurosystems zeigen, dass die Kos-ten pro Transaktion im Handel beim Bargeld deutlich niedriger liegen als beispielsweise bei Giro- oder Kre-ditkarten (vgl. Krüger/Seitz 2014, S. 57). Erst wenn es sich um hohe Kaufsummen handelt, schneiden Karten besser ab als Bargeld. Auch wird angeführt, dass man als Privatperson einer falschen Banknote aufsitzen kann. Dieses Risiko ist in Deutschland mit seiner gut funktionierenden Falschgeldprävention al-lerdings äußerst gering.

Mit Bargeld kann das Recht auf informatio­nelle Selbstbestimmung ausgeübt werden.

Diese Anonymität kann jedoch auch zu illegalen Aktivitäten missbraucht werden.

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„Bargeld ist das Blut in den Adern der Kriminalität“ — Wie gefährlich ist das Bargeld?

Trotz der vielen Vorteile des Bargelds haben zuletzt Vorschläge an Fahrt aufgenommen, die auf ein Zu-rückdrängen der Bargeldnutzung oder gar auf eine Abschaff ung des Bargelds hinauslaufen. Dahinter stehen Bargeldskeptiker_innen, die ganz unter-schiedlichen Bereichen in Wirtschaft und Gesellschaft zugeordnet werden können. Im Kern geht es dabei um zwei ernst zu nehmende Vorwürfe: Zum einen erleichtere das Bargeld die Finanzierung vieler krimi-neller Machenschaft en. Zum anderen behindere Bar-geld eine eff ektive Geldpolitik in Zeiten lang anhal-tend niedrigen Infl ationsdrucks. Was ist von diesen Argumenten zu halten?Wenn es um den Vorwurf der Finanzierung illegaler Aktivitäten geht, so wird regelmäßig eine Aussage der früheren Polizeipräsidentin von Stockholm, Carin Göt-blad, zitiert, die einmal sagte: „Bargeld ist das Blut in den Adern der Kriminalität“. Dahinter steht die Vermu-tung, dass insbesondere Banknoten mit hohen Nenn-werten illegalen Aktivitäten wie Schwarzarbeit, Steu-erhinterziehung, Geldwäsche bis hin zur Terrorfi nan-zierung Vorschub leisten. Je stärker man die Bargeld-verwendung einschränke, so die Überlegung, desto eher werde es gelingen, den dahinter stehenden Ge-setzesbrechern das Handwerk zu legen.

Diese Argumentation klingt auf den ersten Blick lo-gisch, hat aber zwei große Schwächen. Zum einen sind bis heute keine aussagekräft igen Untersuchun-gen bekannt, die den unterstellten Wirkungszusam-menhang „weniger Bargeld führt zu weniger Krimi-nalität“ bestätigen können – zumal auch im unbaren Bereich Betrug und Diebstahl möglich sind. Zum an-deren stellt sich die Frage, ob nicht jemand, der krimi-nell handeln möchte, mit relativer Leichtigkeit auf andere unbare Finanzierungswege ausweichen kann. Denkbar ist beispielsweise, dass sich Schwarz-arbeiter_innen ebenso gut in Fremdwährung, Natu-ralien oder Kryptowährungen bezahlen lassen könn-ten. Und beim Schwarzgeld oder der Steuerhinterzie-hung ist es bereits heute so, dass undeklarierte private Vermögen überwiegend nicht in bar in Treso-ren, sondern auf Konten in Steueroasen aufbewahrt werden. So verständlich und richtig es also ist, dass die Politik mit ganzer Kraft Kriminalität verfolgt, be-stehen doch berechtigte Zweifel, ob die Einschrän-kung der Bargeldnutzung ein geeignetes Mittel da-für ist.Unbeschadet der zweifelhaft en Stichhaltigkeit der Ar-gumente werden aber durchaus konkrete Politikoptio-nen in diese Richtung diskutiert. Eine hiervon wurde auch bereits umgesetzt. So hat der EZB-Rat im Mai 2016 mehrheitlich beschlossen, ab Ende 2018 keine 500-Euro-Banknoten mehr herzustellen und auszuge-ben. Die Bundesbank lehnte diesen Beschluss zwar ab, konnte ihn aber nicht ganz verhindern. Immerhin

Anteil von Zahlungsinstrumenten nach Umsatz

1 Ohne Kontaktlos.Die Angaben sind in % angegeben, gemäß Zahlungstagebuch der Umfrageteilnehmer_innen.I Quelle: Deutsche Bundesbank I

1 Ohne Kontaktlos

Angaben in %, gemäß Zahlungstagebuch

53,2

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2014

2014

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2014

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2017

24,327,6

5,16,3

3,9

4,4

0,1

1,1

5,3

5,6

3,0

2,4

2,8

3,7

2,5

1,2

Internetbezahlverfahren

Debitkarte mit Unterschrift

Debitkarte1) mit PIN

Lastschrift

Überweisung

Sonstige

Kontaktloskarte

Kreditkarte1)

Barzahlung

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konnte sie erreichen, dass die bereits ausgegebenen 500-Euro-Banknoten ihre Gültigkeit als Zahlungs- undWertaufbewahrungsmittel behalten. Zudem hat derEZB-Rat klargestellt, dass der Beschluss nicht den Ein-stieg in die Bargeldabschaff ung bedeute und er sichweiter klar zum Bargeld bekenne.Ebenfalls mit dem Argument der Kriminalitäts-bekämpfung begründet wird ein Vorschlag der

Europäischen Kommission, Bargeldzahlungen über 5.000 Euro zu verbieten. Hohe Summen könnten dann nur noch über nachvollziehbare Konto- und Bankverbindungen transferiert werden. In der EU haben bereits einige EU-Länder nationale Bargeld-obergrenzen eingeführt. Aber auch in diesen Fällen sind keine belastbaren Untersuchungen darüber bekannt, dass eine Bargeldobergrenze zu weniger Kriminalität führe.

„The curse of cash“ – Schadet Bargeld der Eff ektivität der Geldpolitik?

Eine weitere Facette der aktuellen Diskussion um das Bargeld ist der Vorstoß einiger internationaler Öko-nom_innen, die mit dem geforderten Verbot von Bar-

geld die Wirksamkeit der Geldpolitik erhöhen wollen. So argumentiert der renommierte US-Ökonom Ken-neth Rogoff in seinem Buch „The curse of cash“ (Fluch des Bargelds), die Existenz von Bargeld verhin-dere, dass Notenbanken deutlich negative Zinsen auf breiter Front durchsetzen könnten. Genau dies sei in wirtschaft lichen Krisenzeiten aber notwendig, um die Konjunktur zu stimulieren und damit auch den gewünschten Preisauft rieb zu gewährleisten. Solange es Bargeld gibt, können die Bürger_innen etwaigen Negativzinsen auf Kontoguthaben stets ausweichen, indem sie sich ihre Bankguthaben bar auszahlen lassen und das Geld dann beispielsweise zu Hause aufbewahren. Gäbe es aber kein Bargeld mehr, dann könnten – so die Befürworter_innen die-ser Idee – mittels Negativzinsen wirksame Anreize für die Verbraucher_innen geschaff en werden, ihre Guthaben aus Angst vor Wertverlust auszugeben, um somit die Wirtschaft anzuregen.Ganz abgesehen davon, dass die Verbraucher_innen infolge der durch den Negativzins entwerteten Bank-guthaben mehr sparen und damit ganz anders als erwartet reagieren könnten: Die Bargeldabschaff ung wäre eine unverhältnismäßige Antwort auf eine ge-ringe Wirtschaft sdynamik. Dieser liegen nämlich in der Regel verkrustete Strukturen und Defi zite in der Wirtschaft spolitik zugrunde. Eine noch expansivere Geldpolitik stößt vor einem solchen Hintergrund aber ins Leere. Nur über Reformen lässt sich das Wirt-schaft swachstum dauerhaft erhöhen. Außerdem würde die Entscheidung, das Bargeld komplett abzu-schaff en, schwerwiegende verfassungsrechtliche Fra-gen aufwerfen. Denn die Existenz von Euro-Bankno-ten und -Münzen als gesetzliches Zahlungsmittel ist in den Europäischen Verträgen fest verankert. Im Übrigen gilt es auch immer abzuwägen, inwieweit eine Bargeldeinschränkung die Freiheitsrechte der le-gitimen Nutzer_innen von Bargeld unverhältnis-mäßig beschneidet.

Die Bürger_innen sollen selbst entscheiden können, auf welche Art sie bezahlen wollen

Die jüngste Befragung der Bundesbank hat ergeben, dass 88 Prozent al ler Bundesbürger_innen auch in Zukunft mit Bargeld bezahlen wollen (vgl. Deutsche Bundesbank 2018b, S. 9). Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund sollen nach Auff assung von EZB und Bundesbank alle Menschen die Freiheit haben, so zahlen zu können, wie sie es möchten. Damit diese

Ob die stärkere Kontrolle der Bargeld­nutzung­Kriminalität reduziert, ist nicht nachgewiesen. Dennoch gibt es Politik­

vorschläge in diese Richtung.

Es gibt immer mehr Optionen, wie man bezahlen kann. Sogar Kleingeldbeträge lassen sich mittlerweile bargeldlos zahlen.

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Weiterführende LiteraturDeutsche Bank Research 2017: Bargeld, Freiheit und Verbrechen: Bargeld in der digitalen Welt. Frankfurt am Main.Deutsche Bundesbank 2018: 4. Bargeldsymposi-um. Tagungsband. Frankfurt am Main.Krüger, Malte/Seitz, Franz 2017: Der Nutzen von Bargeld. Frankfurt am Main.

Wahlfreiheit weiter besteht, sollte das Bargeld weder in seiner Nutzung weiter eingeschränkt noch ganz abgeschafft werden. Denn schon der Volksmund weiß, dass das Vertrauen in die Währung beim Bar-geld beginnt. Dies gilt für den Euro umso mehr, denn das gemeinsame Bargeld ist sichtbarster Ausdruck des europäischen Einigungsprozesses. Die Bundes-bank setzt sich deshalb auch weiterhin dafür ein, dass ausreichend und qualitativ hochwertiges Bar-geld zur Verfügung steht.Zusammengefasst kann man sagen, dass Bargeld vie-le Vorzüge als Zahlungs- und Wertaufbewahrungs-mittel hat. Es wird auch weiterhin eine wichtige Rolle im Zahlungsmix der Deutschen spielen. Seine Bedeu-tung wird aufgrund des Vordringens neuer Zahlver-fahren und veränderter Zahlungsgewohnheiten der Jüngeren allerdings weiter sukzessive zurückgehen. Die Wirksamkeit einer gesetzlich eingeschränkten Bargeldnutzung zur Kriminalitätsbekämpfung muss erst noch belegt werden. Geldpolitische Argumente für die Abschaff ung des Bargelds können nicht über-zeugen. Bürger_innen sollen weiterhin frei entschei-den können, ob sie bar oder unbar zahlen wollen.

LiteraturverzeichnisDeutsche Bundesbank 2018a: Monatsbericht März. Frankfurt am Main. Deutsche Bundesbank 2018b: Zahlungsverhalten in Deutschland 2017. Vierte Studie über die Verwendung von Bargeld und unbaren Zahlungsinstrumenten. Frankfurt am Main.Esslink, Henk/Hernandez, Lola 2017: The use of cash by households in the euro area. ECB Occasional Paper Series. Frankfurt am Main.Krüger, Malte/Seitz, Franz 2014: Kosten und Nutzen des Bargelds und unbarer Zahlungsinstrumente. Frankfurt am Main. Mersch, Yves 2018: Warum Europa auch in Zukunft Bargeld braucht.Gastbeitrag für „Project Syndicate“. Frankfurt am Main. Rogoff , Kenneth 2016: The curse of cash. Princeton.Thiele, Carl-Ludwig 2018: Bargeld im Fokus der jüngeren Entwick-lungen. Rede beim 4.  Bargeldsymposium der Deutschen Bundes-bank. Frankfurt am Main.

HINWEISE FÜR DEN UNTERRICHTWerden wir auch in Zukunft noch mit Bargeld zahlen? Diese Frage wird in jüngster Zeit nicht nur in Fachkreisen oft gestellt. Mit Banknoten und Münzen haben in unserer Gesellschaft so gut wie alle – auch die Schüler_innen – zu tun. Nun scheint das Bargeld jedoch von zwei Entwicklungen bedroht: zum einen vom Vordringen alternativer Zahlformen, zum anderen von öff entlichen Bestrebungen, die Bargeldnutzung einzuschränken, um hierdurch etwa das Bekämpfen von Kriminalität und Terrorismus zu erreichen. Für eine sachgerechte Erörterung im Schulunterricht wird im hiesigen Beitrag thematisiert, warum das Bargeld als Zahlungs- und Wertaufbewahrungsmittel weiterhin sehr beliebt ist und welche Gründe für, aber möglicherweise auch gegen das Bargeld sprechen.

VORSCHLAG: Diskutieren Sie mit den Schüler_innen auf Grundlage des Beitrags Pro- und Kontra-Positionen zur gegenwarts- und schüler_innenorientierten Frage „Sollte das Bargeld abgeschafft werden?“. Als Format für eine solche Diskussion bietet sich „Jugend debattiert“ an. Zum Ablauf und den entspre-chenden Regeln vgl. www.jugend-debattiert.de.

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Wie kommt das Geld in die Welt?

Rainer Naser

Dr. Rainer Naser

ist Diplom-Volkswirt und hat an der FU

Berlin studiert. Von 1992 bis 1997 war

er wissenschaftlicher Mitarbeiter. Seit 1997

arbeitet er in der Bundesbank. Er ist

stellv. Leiter des Stabs des Präsidenten an der

Hauptverwaltung in Berlin und

Brandenburg. Notenbanken emittieren ZentralbankgeldZentral für das Verständnis des Geldentstehungsprozes-ses in modernen staatlichen Geldverfassungen ist eine trennscharfe Unterscheidung zwischen dem Geld, das die Zentralbanken (synonym: Notenbanken) emittieren, und dem durch das Bankensystem geschaffenen („ge-schöpften“) Geld. Werden die beiden Geldbegriffe durcheinandergebracht, folgen daraus falsche Rück-schlüsse. Dies hat spätestens die Finanzkrise gezeigt. Nicht wenige Kommentator_innen hatten angesichts der Ausweitung der durch die Notenbanken bereitge-stellten Liquidität das Gespenst hoher Inflationsraten an die Wand gemalt (vgl. die Aussagen von Thomas Straubhaar in FOCUS Online 2009). Doch bedeutet ein Anstieg des Geldes, das die Zentralbanken den Ge-schäftsbanken zur Verfügung stellen, nicht automatisch eine mit inflationären Risiken verbundene Zunahme derjenigen Geldmenge, die von den Nichtbanken (wie Unternehmen oder privaten Haushalten) gehalten wird. Zunächst soll deswegen ein genauerer Blick auf das von Notenbanken geschöpfte Geld geworfen werden.Zentralbanken besitzen üblicherweise das Notenmo-nopol. Im Euroraum sind nur die Europäische Zentral-bank (EZB) und die nationalen Notenbanken berech-tigt, Euro-Banknoten auszugeben. Die Zuständigkeit für die Münzausgabe, das sog. Münzregal, liegt bei den Regierungen der Mitgliedstaaten. In Umlauf ge-bracht wird das Münzgeld aber auch durch die No-tenbanken des Eurosystems, indem sie es den Regie-

rungen abkaufen. Um sicherzustellen, dass das Euro-system durch die Münzausgabe nicht die Kon trolle über den Bargeldumlauf im Euroraum verliert, unter-liegt dieser Ankauf von Münzen der Genehmigung durch den EZB-Rat.Wie kommt das Bargeld nun in Umlauf? Wenn eine Privatperson Bargeld braucht, hebt sie es typischer-weise am Geldautomaten ab. Aber wie kommen die Banken an das Bargeld? Sie benötigen dazu Gutha-ben auf einem Konto bei der Zentralbank. Die Ge-schäftsbanken können über diese auch als Bankreser-ven (oder „Liquidität“) bezeichneten Guthaben jeder-zeit „auf Sicht“ verfügen. Ruft eine Bank bei der Notenbank Bargeld ab, um ihre Kassenbestände für den Kundenverkehr aufzufüllen, wird im gleichen Ausmaß ihr Zentralbankkonto belastet. Bargeld und Sichtguthaben der Geschäftsbanken bei der Noten-bank sind jederzeit ineinander umtauschbar und so-mit ein und dieselbe ökonomische Kategorie. Da bei-des nur unter Mitwirkung der Notenbank entsteht, spricht man von Zentralbankgeld.

Wie erhalten die Banken nun ihr Guthaben bei der No-tenbank? Prinzipiell gibt es zwei Wege, auf denen dies

Ohne Geld funktioniert eine Wirtschaft nicht. Doch wie kommt Geld in Umlauf? Ist es die Zentralbank oder sind es die Geschäftsbanken, die Geld schaffen? Obgleich für das Verständnis von Geldpolitik grund-legend, gibt es bereits bei diesen scheinbar einfachen Fragen weitverbreitete Fehleinschätzungen. Bezo-gen auf Geschäftsbanken wird häufig unterstellt, dass diese als reine Finanzvermittler agierten, somit lediglich Ersparnisse von ihren Kunden einsammelten, um diese dann als Kredite weiterzureichen. Geschäftsbanken sind aber nicht einfach passive Weitervermittler von Ersparnissen, sondern sie schaffen selbst aktiv Geld. Mit Blick auf Zentralbanken begegnet man nicht selten der Fehlvorstellung, dass diese unmittelbar die Geldversorgung der Geschäftsbanken und darüber deren Geldschöpfung steuern würden. Zentralbanken steuern aber im Normalfall nicht die Menge der Liquidität, die sie den Banken zur Ver-fügung stellen, sondern den Preis dafür.

Zentralbankgeld besteht aus dem umlaufenden Bargeld sowie den Sichtguthaben der Geschäfts-banken bei der Zentralbank.

ZENTRALBANKGELD

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geschehen kann. Der eine ist Schöpfung von Zentral-bankgeld – hier in der Form von Buchgeld – durch Kre-ditgewährung seitens der Notenbank. Im Falle des Eu-rosystems war dies bis zum Ausbruch der Finanzkrise nahezu der ausschließliche Weg. Über ihre Refi nanzie-rungsgeschäft e stellt das Eurosystem den Geschäft s-banken Zentralbankgeld für eine bestimmte Dauer zur Verfügung (zu den geldpolitischen Instrumenten vgl. Deutsche Bundesbank 2017, S. 192 ff .). Die Geschäft s-banken müssen im Gegenzug dafür einen Zins zahlen und Sicherheiten beim Eurosystem hinterlegen. So-wohl für die Notenbank als auch die Geschäft sbank hat sich durch ein solches Refi nanzierungsgeschäft die Bilanz verlängert. Der Zunahme an Forderungen (Kre-dit der Notenbank an die Geschäft sbank, Zentralbank-guthaben der Geschäft sbank, jeweils links im obigen T-Konto) steht eine Zunahme der Verbindlichkeit (je-weils rechts im T-Konto) gegenüber. Nach Ende der Laufzeit des Refi nanzierungsgeschäft es tilgt die Bank ihren Refi nanzierungskredit bei der No-tenbank zulasten ihres Bestandes an Zentralbankgeld. Die Zentralbankgeldmenge sinkt wieder (Zentralbank-geldvernichtung), sofern kein entsprechendes An-

schlussgeschäft getätigt wird. Anschlussgeschäft e stel-len sicher, dass das Bankensystem weiterhin über die benötigte Liquidität verfügt. Allerdings können sich die Refi nanzierungskosten im Falle einer Änderung der Leitzinssätze für die Banken erhöhen oder verringern.Die prinzipiell zweite Möglichkeit der Zentralbank-geldschöpfung ist, dass die Notenbank den Kreditin-stituten durch Ankäufe von Vermögensaktiva (z. B. Devisen, Gold, oder Anleihen) dauerhaft Liquidität zur Verfügung stellt. In diesem Fall fi ndet in der Bi-lanz des Kreditinstituts ein Aktivtausch statt: Dem Rückgang von Vermögensaktiva durch den Verkauf

an die Notenbank steht eine Zunahme von Zentral-bankguthaben gegenüber (vgl. das T-Konto auf S.  20). Im Unterschied zur Schöpfung von Zentral-bankgeld auf dem Kreditwege, bei dem mit Auslau-fen des Geschäft es dem Markt die Liquidität wieder entzogen wird, bleibt hier das geschaff ene Zentral-bankgeld so lange im System, wie die Notenbank die erworbenen Vermögensaktiva hält.Seitdem die EZB im Jahr 2015 ihre großvolumigen Wertpapierankaufprogramme begonnen hat, ist dies die dominierende Form, über die im Euroraum Zent-ralbankgeld geschaff en wird. Historisch gesehen handelt es sich aber bei der Zentralbankgeldschöp-fung durch den Ankauf von Vermögensaktiva um nichts Ungewöhnliches. So ist bei der US-amerikani-schen Notenbank der Ankauf von Staatsanleihen der traditionelle Weg, über den Liquidität bereitgestellt wird (vgl. Ruckriegel und Seitz 2006). Und auch bei der Bundesbank dominierte der Ankauf von Aktiva über lange Zeiträume. Im Bretton-Woods-System (1944 – 1973) – einem System fester Wechselkurse – war sie verpfl ichtet, den US-Dollar, wenn dieser an den Devisenmärkten zur Schwäche neigte, durch An-kauf gegen Bezahlung in D-Mark zu stützen. Aus die-ser Zeit stammen auch die hohen Gold- und US-Dol-larreserven der Bundesbank. Beide Formen der Zentralbankgeldschöpfung haben gemeinsam, dass sie „aus dem Nichts“ erfolgen. Die Notenbank kann gleichsam mit einem Federstrich Zentralbankgeld schöpfen, da sie das gesetzliche Mo-nopol dazu hat. Aus ihrer Sicht handelt es sich bei den Reserven der Geschäft sbanken um eine Verbind-lichkeit. Dass dem so ist, lässt sich daran ersehen, dass die Geschäft sbanken ihre Sichtguthaben bei der Notenbank jederzeit in Bargeld umtauschen können. Auch können sie damit jederzeit Verbindlichkeiten bei einer anderen Geschäft sbank durch Übertragung dieser Reserven begleichen.Zentralbankgeld ist wie dargestellt eine Verbindlich-keit der Notenbank. Allerdings handelt es sich um

Zentralbankgeldschöpfung erfolgt „aus dem Nichts“.

Zentralbankgeldschöpfung durch Kreditvergabe

Bank 1

+100 Sichtguthaben bei Zentralbank (Zentralbankguthaben)

Verbindlichkeit +100bei Zentralbank

Zentralbank

+100 Kredit an Bank 1

Sichteinlage +100 Bank 1

I Quelle: Deutsche Bundesbank I

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eine Verbindlichkeit der ganz besonderen Art, da  Zentralbankgeld als Buchgeld nur in Banknoten umgetauscht werden kann. Anders als noch im 19. Jahrhundert besteht keine Verpfl ichtung seitensder Notenbanken, diese Banknoten in Gold oder Silber umzutauschen. Auch ist es nicht durch andereVermögenswerte gedeckt. Man spricht in diesemZusammenhang in Anlehnung an einen englischspra-chigen Begriff von Fiatgeld (fi at money).Einen entscheidenden Schlag hatte der sog. Gold-standard bereits im ersten Weltkrieg erhalten. DieVersuche, ihn in der Zwischenkriegszeit wiederher-zustellen, dürft en nicht zuletzt für die große Depression mitverantwortlich gewesen sein. DerWirtschaft shistoriker Barry Eichengreen (1992)spricht in diesem Zusammenhang von „goldenenFesseln“ („Golden Fetters“). Nur eine Minderzahlvon Ökonomen würde sich deshalb heute noch fürdie Deckung von Zentralbankgeld durch die eineoder andere Form von Vermögensaktiva ausspre-

chen. Historisch gesehen hatte freilich die Goldbin-dung von Währungen eine wichtige Funktion, näm-lich Vertrauen in die Wertstabilität von Papier- oder auch Buchgeld sicherzustellen.Die Erfahrung hat gezeigt, dass Deckungsvorschrif-ten für die Werterhaltung des Geldes nicht zwingend erforderlich sind. Geldwertstabilität meint dabei nicht mehr ein festes Umtauschverhältnis von Bank-noten zu Edelmetallen. Stattdessen geht es um Preis-

stabilität, d. h. dass mit einem bestimmten Betrag an Euro heute und morgen die gleiche Menge an Gü-tern erworben werden kann. Dieses Vertrauen in die Wertstabilität einer Währung ist, wie viele histori-sche Beispiele zeigen, aber nicht automatisch gege-ben, sondern muss durch eine auf Preisstabilität aus-gerichtete, glaubwürdige Geldpolitik sichergestellt werden.

Geldmengenbegriff e

Wie am Anfang bereits betont wurde, sind die Be-griff e Zentralbankgeldmenge und Geldmenge streng voneinander zu unterscheiden. Während Zentralbankgeld auf das umlaufende Bargeld sowie die Zentralbankguthaben und Kassenbestände des Bankensektors bei der Notenbank abstellt, bezieht sich die Geldmenge auf diejenigen Geldbestände, die von den privaten Nichtbanken als Zahlungsmit-tel eingesetzt werden können oder die sich in ver-gleichsweise kurzer Zeit in Zahlungsmittel umwan-deln lassen. Bei dieser Geldmengenabgrenzung wird auf die Zahlungsmittelfunktion des Geldes ab-gestellt und somit auf seinen Zusammenhang zur gesamtwirtschaft lichen Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen.Banknoten als gesetzliche Zahlungsmittel und Mün-zen qualifi zieren sich damit eindeutig als Geld. Je-doch bildet Bargeld nur einen Bruchteil des Geldum-laufs zu Zahlungszwecken, der überwiegende Teil entfällt auf sog. Buch- oder Giralgeld, d. h. auf Gut-haben der Nichtbanken auf ihren Konten bei den Geschäft sbanken. Zwar handelt es sich bei Giralgeld nicht um ein gesetzliches Zahlungsmittel, allerdings ist es im Wirtschaft sleben die allgemein anerkannte

Zentralbankgeldschöpfung durch Ankauf von Vermögensaktiva

Zentralbankgeld ist eine Verbindlichkeit der Notenbank – als „fi at money“ ist es jedoch

nicht durch Vermögenswerte gedeckt.

Bank 1

-100 Rückgang von Aktiva

(z. B. Staatsanleihen)

+100 Sichtguthaben bei Zentralbank

(Zentralbankguthaben)

Zentralbank

+100 Erwerb von Aktiva

(z. B. Staatsanleihen)

Sichteinlage +100Bank 1

I Quelle: Deutsche Bundesbank I

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Geldmenge und Zentralbankgeld

Die einzige Überschneidungsmenge ist das Bargeld in den Händen der Nichtbanken.

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Form, mit der Verbindlichkeiten beglichen werden, womit es sinnvollerweise zur Geldmenge zu rechnen ist.Damit ist man bei der engsten Defi nition der Geld-menge angelangt, dem Geldmengenaggregat M1.

Es bezeichnet das Geld, über das jederzeit verfügt werden kann. M1 umfasst das Bargeld in den Hän-den von Nichtbanken und deren Sichteinlagen (Giro-guthaben) bei den Banken. Nicht zu M1 zählen die Bargeldbestände der Geschäft sbanken.Kurzfristige Spar- und Termineinlagen auf dem Spar-buch bzw. dem Tagesgeldkonto lassen sich relativ zügig in Sichteinlagen auf dem Girokonto umwan-deln und stehen damit vergleichsweise zeitnah für Zahlungszwecke zu Verfügung. Weiter gefasste Geldmengenaggregate wie M2 und M3 beziehen

kurzfristige Spar- und Termineinlagen sowie andere Bankeinlagen mit relativ geringer Laufzeit oder Kün-digungsfrist wegen ihrer „Liquiditätsnähe“ in die Geldmengendefi nition mit ein. Längerfristige Einla-gen im Bankensystem, wie etwa Termineinlagen mit einer Laufzeit von mehr als zwei Jahren oder Sparein-lagen mit einer Kündigungsfrist von mehr als drei

Monaten, werden hingegen nicht zur Geldmenge gerechnet, sondern zum sog. Geldkapital.Wie ist nun die Beziehung zwischen Zentralbank-geld und der Geldmenge in seinen unterschiedli-chen Abgrenzungen? Vorstellen muss man sich die-se als zwei weitgehend getrennte Geldmengen, nämlich das Buchgeld der Notenbank, das sich in-nerhalb des Bankensystems bewegt, und das Buch-geld der Geschäft sbanken, das sich aus dem Zusam-menspiel von Banken und Nichtbanken ergibt. Zent-ralbankgeld und Geldmengenaggregate M1 bis M3 berühren sich nur über die Bargeldhaltung der Nichtbanken (vgl. das Schaubild „Geldmenge und Zentralbankgeld“). Der Grund hierfür ist denkbar einfach: Geschäft s-banken können ihre Guthaben bei der Notenbank privaten Nichtbanken nicht auf deren Girokonten übertragen. Private Nichtbanken bräuchten hierfür ebenso ein Konto bei der Notenbank. Ein solches

Längerfristige Einlagen im Bankensystem werden nicht zur Geldmenge gerechnet, sondern zum sogenannten Geldkapital.

Die engste Geldmengenabgrenzung M1 um-fasst das Bargeld in den Händen der Nicht-banken sowie deren Sichtguthaben bei den Ge-schäft sbanken.Die weiter gefassten Geldmengenaggregate M2 und M3 enthalten zusätzlich noch kurzfristige Einlagen wie z. B. Spareinlagen mit einer Kün-digungsfrist von bis zu drei Monaten und Ter-mineinlagen mit einer Laufzeit von bis zu zwei Jahren, die sich relativ zügig in Zahlungsmittel umwandeln lassen.

GELDMENGE

I Quelle: Deutsche Bundesbank I

Buchgeld der Banken in Händen der Nichtbanken

Kassenbestände der Geschäfts-banken und ihre Guthaben bei der Zentralbank

Bargeldhaltung der Nichtbanken

Buchgeld der Banken in Händen der Nichtbanken Zentralbankgeld

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Konto haben aber außer dem Staat nur die Geschäfts-banken. Das unterscheidet sie auch von allen ande-ren finanziellen Unternehmen mit bankähnlichen Dienstleistungen (vgl. McLeay, Radia und Thomas 2014a, S. 16). Zentralbankgeld in der Form von Buch-geld zirkuliert (jenseits der Kontoführung der Noten-bank für den Staat) nur zwischen Notenbank und Geschäftsbanken und innerhalb des Geschäftsban-kensystems. In die Hände von privaten Nichtbanken gelangt es daher nur, wenn diese Bargeld abheben. Heben Kunden Bargeld von den Geschäftsbanken ab, reduzieren sich deren Kassenbestände und letztend-lich damit deren Sichtguthaben bei der Notenbank. Neben anderen Gründen (siehe weiter unten) zwingt dies die Geschäftsbanken in die Refinanzierung durch die Notenbank. Dieser Refinanzierungsbedarf gibt der Zentralbank einen wichtigen Einflusshebel auf das Kre-ditvergabeverhalten der Banken. Allerdings kann eine Notenbank nicht einfach durch eine Erhöhung der Zentralbankgeldmenge die Geldmenge in den Hän-den der Nichtbanken erhöhen. Letzteres setzt voraus, dass die Geschäftsbanken in Interaktion mit den Nicht-banken ihr Aktivgeschäft ausweiten und darüber zu-sätzliches Buchgeld schöpfen.

Kredit­ und Giralgeldschöpfung der Geschäftsbanken

Ein Großteil der Zahlungen innerhalb einer Volks-wirtschaft erfolgt über die Umbuchung von Sicht-einlagen von einem Bankkonto zu einem anderen. So werden Sichtguthaben von Konten der Arbeitge-ber_innen auf die der Arbeitnehmer_innen, von Konten der Mieter_innen auf die der Vermieter_in-nen oder vom Konto der Autokäufer_innen auf das der Autoverkäufer_innen übertragen. Aber wie ent-steht dieses Buchgeld bei den Geschäftsbanken? Der Prozess läuft ganz analog zur Schöpfung von Zentralbankgeld durch die Notenbank: Das Buchgeld der Banken entsteht entweder durch Kreditvergabe oder durch den Ankauf von Vermögensaktiva der Nichtbanken. Entsprechend entsteht das Buchgeld der Nichtbanken auf den Konten bei den Geschäfts-banken in einem reinen Buchungsakt. Dafür benötigt die geldschöpfende Bank keine Einlagen von Nicht-banken oder Reserven von der Notenbank. Zur Illus-tration des Vorgangs seien hier die Buchungssätze dargestellt. Veränderungen von Forderungen wer-den dabei jeweils auf der Aktivseite (links im T-Konto) verbucht, Veränderungen von Verbindlichkeiten auf der Passivseite (rechts).

Im Beispiel hier gewährt eine Bank 1 ihrem Kunden A einen Kredit in Höhe von 500 und schreibt ihm die-sen Kreditbetrag als Sichteinlage gut. Mit der Sicht-einlage ist neues Buchgeld entstanden. Durch aktive Kredit- und Geldschöpfung hat sich die Bankbilanz verlängert. Bank 1 hat nun eine zinseinbringende Forderung gegenüber dem Kunden  A. Gleichzeitig ist sie damit aber ihm gegenüber eine Verbindlichkeit eingegangen. Über die so geschaffene Einlage kann Kunde A im Rahmen des Überweisungsverkehrs jederzeit verfügen.

Der quantitativ bedeutendste Posten der Giralgeld-schöpfung ist die Kreditvergabe. Banken vergeben aber nicht nur Kredite, sondern halten im größeren Umfang auch Vermögenswerte. Erwirbt nun eine Bank Aktien von einer Nichtbank, hier von einem Pensionsfonds in Höhe von 500, so schreibt sie den entsprechenden Gegenwert dem_der Verkäufer_in auf dem Konto gut. Wiederum ist neues Giralgeld entstanden, über das der Pensionsfonds jederzeit verfügen kann.Das von der Bank neu geschaffene Geld ist aus ihrer Sicht eine Verbindlichkeit. Eine Bank muss jederzeit die Fähigkeit haben, sie zu bedienen. Die britische Zentralbank, die Bank of England, drückt dies bildlich mit dem Akronym „IOU“ aus, „I owe you“ oder „ich schulde Ihnen“ (McLeay, Radia und Thomas 2014a, S. 6). Falsch ist deswegen auch die Vorstellung, Ban-

ken würden als reine Finanzintermediäre lediglich die Ersparnisse ihrer Kund_innen dazu verwenden, Kre-dite auszugeben. Die Einlagen auf der Passivseite ei-ner Geschäftsbank, seien es Sicht-, Termin- oder Spar-einlagen, stellen Verbindlichkeiten einer Bank zu ei-nem bestimmten Zeitpunkt dar. Als solche können sie gar nicht wie ein Beutel voller Goldmünzen an

Bank 1

+500 Kredit an Kunde A (5%, Laufzeit 5 Jahre)

+500 Kauf von Aktien eines Pensionsfonds

Sichteinlage des +500 Kunden A (0%, täglich fällig)

Sichteinlage +500 eines Pensionsfonds(0%, täglich fällig)

Das Buchgeld der Banken entsteht durch Kreditvergabe oder durch den Ankauf von

Vermögensaktiva bei Nichtbanken.

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Kreditnehmer_innen weitergereicht werden (Mc-Leay, Radia und Thomas 2014b, S.  16). Sie stellen Verpfl ichtungen der Geschäft sbanken dar, die durch die aktive Kredit- und Geldschöpfung zunächst nicht berührt werden. Hingegen erhöht sich – wie geschil-dert – durch die Geldschöpfung der Geschäft sban-ken die Summe der Einlagen (Verbindlichkeiten) im Bankensystem.

Was begrenzt die Buchgeldschöpfung der Banken?

Das Giralgeld der Geschäft sbanken entsteht zwar wie Zentralbankgeld durch einen reinen Buchungs-akt. Es gibt aber einen entscheidenden Unterschied. Anders als Notenbanken müssen die Geschäft sban-ken in einem Medium zahlungsfähig sein, das sie nicht selbst schaff en können, nämlich Zentralbank-geld. Der strukturelle Zentralbankgeldbedarf des Ge-schäft sbankensystems „zwingt die Geschäft sbanken in die Notenbank“.Ein Grund, warum Geschäft sbanken Zentralbank-geld benötigen, wurde bereits genannt: Bargeldab-hebungen der Kund_innen. Darüber hinaus nutzen viele Notenbanken, so auch das Eurosystem, ein zu-

sätzliches Instrument, um die Geschäft sbanken in die Refi nanzierung bei der Notenbank „hineinzu-zwingen“. Die Notenbanken verpfl ichten die Ge-schäft sbanken dazu, einen bestimmten Prozentsatz ihrer Kundeneinlagen als sog. Mindestreserve auf ihrem Zentralbankkonto und somit in Form von Zen-tralbankgeld bei ihr zu halten (vgl. Deutsche Bun-desbank 2017, S. 195 ff .). Das heißt, Geschäft sban-ken müssen einen bestimmten Betrag ihrer Zentral-bankgeldguthaben, dessen exakte Höhe sich aus dem Einlagengeschäft bestimmt, als Mindest reserve deklarieren.Schließlich benötigen Geschäft sbanken Zentralbank-geld für die Abwicklung des bargeldlosen Zahlungs-verkehrs. Zentralbankguthaben sind das Zahlungs-mittel der Geschäft sbanken untereinander. Ihre Be-deutung für Geschäft sbanken kann ganz analog zur Funktion gesehen werden, die Girokontoguthaben für Nichtbanken haben. Genauso wie Nichtbanken ihre Verbindlichkeiten durch die Überweisung von

Sichtguthaben tilgen, werden Forderungen der Ban-ken untereinander durch die Übertragung von Zent-ralbankguthaben beglichen.Die Rolle von Zentralbankguthaben im Zahlungsver-kehr lässt sich in Fortsetzung des obigen Buchungs-beispiels illustrieren. Die Bank 1 muss davon ausge-hen, dass der Kunde A über sein Giroguthaben verfü-gen wird, da er für den Kredit einen Zinssatz, hier in Höhe von 5 Prozent, zahlen muss, während er für seine Sichteinlage nichts erhält. Beispielsweise han-dele es sich um einen Autokäufer, der die ihm einge-räumte Kreditsumme dazu verwendet, dem Autover-käufer B 500 Euro zu bezahlen.Problemlos wäre es für die Bank 1, wenn neben Kunde A auch der Kunde B ein Girokonto bei ihr unterhielte. In der obigen Bilanz würde dies ledig-lich bedeuten, dass die Sichteinlage des Kunden A durch die des Kunden B ersetzt würde. Für die Ge-schäft sbank selbst wäre dieser Vorgang liquiditäts-neutral, es fl össe also kein Zentralbankgeld ab, so-lange Kunde B über dieses nun ihm zugefl ossene Geld nicht verfügt. In der Regel wird aber der Kunde B sein Konto bei ei-ner anderen Bank haben, hier die Bank 2. Mit der Überweisung von A wandert nun die Sichteinlage von Bank 1 zu Bank 2. Die Geldmenge hat sich dadurch nicht geändert. Allerdings ist die jederzeit abrufbare Verbindlichkeit nun bei der Bank 2. Sie wird diese Verbindlichkeit nur dann akzeptieren, wenn sie von

Bank 1

+ 500 Kredit an Kunde A

– 500 Sichtguthaben bei Zentralbank

Sichteinlage + 500des Kunden A

Sichteinlage – 500 des Kunden A

Bank 2

+ 500 Sichtguthaben bei Zentralbank

Sichteinlage + 500 des Kunden B

Zentralbank

Sichteinlage - 500 der Bank 1Sichteinlage + 500 der Bank 2

Geschäft sbanken benötigen Zentral­bankgeld für die Abwicklung des bargeld­

losen Zahlungsverkehrs.

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Bank 1 dafür etwas erhält, z. B. eine Forderung gegen-über der Notenbank, also Zentralbankgeld.Im fortgeführten Beispiel erfolge die Verrechnung zwischen Bank 1 und Bank 2 somit über Zentralbank-konten: Bank 1 transferiert 500 Euro Kontoguthaben bei der Notenbank an Bank 2. Die Reserven der ers-ten Bank sind damit gesunken, die der zweiten um den gleichen Betrag gestiegen. Würde der Kunde B den vollen Betrag bar abheben, könnte die Geschäft s-bank 2 ihn aus den gestiegenen Zentralbankgutha-ben vollständig bedienen. Dies verdeutlicht noch mal den Charakter des Giralgeldes der Geschäft sbanken als eine jederzeit zu bedienende Verbindlichkeit ge-genüber ihren Kund_innen.Wie das Buchungsbeispiel zeigt, muss die Geschäft s-bank 1 damit rechnen, dass sie durch die Kreditge-währung im Überweisungsverkehr Zentralbankgut-haben verliert. Dennoch ist die aktive Geldschöp-fung nicht daran gebunden, dass die Geschäft sbank zum Zeitpunkt der Kreditvergabe über eine entspre-chende Überschussreserve bei der Notenbank ver-fügt, also über ein Zentralbankguthaben, das über die Mindestreserveerfordernisse und die im Kun-denverkehr üblichen Bargeldabhebungen hinaus-geht.In der Regel wird die Bank bei der Kreditvergabe auch nicht prüfen, ob sie über genügend Zentral-bankgeld verfügt, um die Mittelabfl üsse im Zah-lungsverkehr bedienen zu können (vgl. Werner 2014). Sie muss allerdings über die Möglichkeit verfügen, sich gegebenenfalls schnell Zentralbank-geld beschaff en zu können. Unterschreitet das Zen-tralbankkonto einer Geschäft sbank wegen Bar-

geldabfl üssen bzw. Reserveabfl üssen im Zuge des Überweisungsverkehrs die Mindestreserveerfor-dernis, kann sie sich Zentralbankgeld von anderen Geschäft sbanken auf dem sog. Geldmarkt beschaf-fen – sofern sie über eine erstklassige Bonität oder hinreichende Kreditsicherheiten verfügt, wie z. B. Bundesanleihen. In diesem Fall würde beispielswei-se Bank 2 der Bank 1 einen Kredit gewähren und ihr im Gegenzug dafür Zentralbankgeld überwei-sen.Eine Möglichkeit, die der Geschäft sbank immer of-fensteht, ist die Teilnahme an den wöchentlichen Re-

fi nanzierungsgeschäft en des Eurosystems (vgl. Deut-sche Bundesbank 2017, S. 198 ff .). Für die bereitge-stellte Liquidität verlangt das Eurosystem aber ent-sprechende hochwertige Kreditsicherheiten. Entsteht ein sehr kurzfristiger Zentralbankgeldbedarf, kann die Bank einen Übernachtkredit beim Eurosystem über die sog. Spitzenrefi nanzierungsfazilität aufneh-men. Dafür wird jedoch neben Sicherheiten auch ein höherer Zinssatz als bei den regulären Refi nanzie-rungsgeschäft en verlangt. Als Langfriststrategie kann die Geschäft sbank versuchen, über ihr Einla-gengeschäft zusätzliche Kunden zu gewinnen, wo-mit ihr im bargeldlosen Zahlungsverkehr Reserven zufl össen.Die Tatsache, dass Geschäft sbanken aktiv mit einem Buchungsakt Geld schöpfen können, bedeutet nicht, dass sie unbegrenzt ihr Aktivgeschäft ausweiten kön-nen. Eine Begrenzung der Kreditvergabe ergibt sich bereits durch die Nachfrageseite. Die Initiative bei der Kreditvergabe geht, was aus dem Buchungsbeispiel nicht ersichtlich wird, von den Nichtbanken aus, die eine Finanzierung nachfragen. Ob Kreditangebote einer Bank letztendlich wahrgenommen werden, hängt u. a. von den Bankkonditionen, der Rentabili-tät des Investitionsprojekts oder den Einkommens-perspektiven der Konsument_innen ab. Somit beein-fl ussen letztendlich die Erwartungen über die ge-samtwirtschaft liche Entwicklung maßgeblich die Kreditnachfrage.

Geschäft sbanken prüfen bei der Kredit­vergabe nicht, ob sie genügend Zentral­bankgeld haben, um eventuelle Mittel­

abfl üsse bedienen zu können. Sie müssen allerdings die Möglichkeit haben, sich

gegebenenfalls Zentralbankgeld beschaff en zu können.

Übernimmt eine Bank eine Verbindlichkeit einer anderen Bank im Überweisungsverkehr ihrer beider Kund_innen, bekommt sie dafür eine Gegenleistung, bspw. Zentralbankgeld.

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Umgekehrt wird auch nicht jede Kreditnachfrage be-friedigt. Voraussetzung dafür ist, dass aus Sicht der Bank die erwarteten Zinseinkünft e die mit der Kredit-vergabe verbundenen Kosten übersteigen. So müs-sen die Zinsen auch die Möglichkeit eines Kreditaus-falls miteinbeziehen. Wegen dieses Ausfallrisikos unterziehen Banken Kund_innen einer genauen Kreditwürdigkeitsprüfung.Die Höhe der mit der Kreditvergabe zusammenhän-genden Kosten hängt neben dem allgemeinen Perso-nal- und Verwaltungsaufwand in erster Linie von der Höhe der Refi nanzierungskosten der Bank ab. Im obigen Buchungsbeispiel sind diese nur in der Aus-gangssituation der anfänglichen Kredit- und Geld-schöpfung Null. Sobald der Kunde A bzw. der Pensi-onsfonds über ihre zinslose Sichteinlage verfügen, fl ießt das selbst geschaff ene Buchgeld ab und es ent-steht für die Bank 1, sofern sie nicht über hinreichend Überschussreserven in Form von Zentralbankgeld verfügt, ein Refi nanzierungsbedarf. In der Fortsetzung des Beispiels werde der Refi nanzie-rungsbedarf dadurch gedeckt, dass Bank 2 der Bank 1 einen täglich kündbaren Tagesgeld-Kredit einräumt (im Beispiel nicht grafi sch dargestellt). Für die Bank 1 haben sich damit die Refi nanzierungskosten von an-fänglich Null auf den zwischen den Banken vereinbar-ten Tagesgeldzinssatz erhöht. Die Bank 1 würde sich aber nicht auf diese Form der kurzfristigen Refi nanzie-rung verlassen. Da Kredite üblicherweise eine längere Laufzeit mit fester Zinsbindung aufweisen, würde dies für die Bank 1 nämlich ein erhebliches Zinsänderungs-risiko bedeuten, kann sich der Zins für täglich fällige Interbankenkredite doch jederzeit ändern. Sollte eine Bank etwa wegen fauler Kredite außerdem Rentabili-tätsschwierigkeiten bekommen, könnte sich zum Zins-änderungsrisiko das Risiko einer fehlenden Anschluss-refi nanzierung dazugesellen.

Banken versuchen typischerweise, diese Risiken über ihre Einlagenpolitik zu begrenzen. Gelänge es der Bank 1 über das Angebot eines attraktiven Zinses den Kunden B der Bank 2 zu überzeugen, für einen längeren Zeitraum, z. B drei Jahre, sein Geld bei ihr anzulegen, würde ihr über ihr Einlagengeschäft Liqui-dität zufl ießen. Gleichzeitig hätte sie über die länger-fristige Form der Refi nanzierung ihr Zinsänderungs-risiko verringert.

Über ihre Einlagenpolitik versuchen Banken, das Risiko von Zinsänderungen und das

Liquiditätsrisiko zu verringern.

Als Konsequenz der Entscheidung des Kunden B, sein Geld längerfristig anzulegen, hat sich auch die Geldmenge wieder verringert, da die zu M1 bis M3 zählenden Sichteinlagen nun abgenommen haben. Die Geldmengenentwicklung hängt somit nicht nur von der Kreditvergabe der Banken, sondern auch von den Anlageentscheidungen der Nichtbanken ab.Im Beispiel hier ist aus der ursprünglichen Sichteinla-ge des Kunden A nun eine längerfristige Einlage des Kunden B geworden. Am Ende des Prozesses sieht es damit so aus, als ob die Bank 1 ihren ursprünglichen Kredit in Höhe von 500 (hier im Kasten, da übertra-gen aus dem vorhergehenden Schaubild) über die Ersparnisse des Kunden B fi nanziert hätte. Allerdings war der Ausgangspunkt für die Bilanzverlängerung die ursprünglich aktive Buchgeldschöpfung der Bank 1 infolge der Kreditgewährung, und zwar – wie dar-gestellt – ohne dass sie hierbei auf irgendwelche Kundenersparnisse zurückgegriff en hätte.Aus Sicht der kreditnehmenden Unternehmen und Haushalte bedeutet die aktive Geldschöpfung, dass sie Mittel zur Finanzierung ihrer Investitionen und Konsumausgaben erhalten. Ein Teil der künft igen Er-träge oder der künft igen Einkommen der betreff en-den Unternehmen und Haushalte muss dann dazu dienen, den Kreditbetrag einschließlich eingegange-ner Zinsverpfl ichtungen zu tilgen. Insofern ist die ak-tive Buchgeldschöpfung ein Vorschuss auf künft ige Einnahmen und damit künft ige Ersparnisse.Da die Kredit- und Geldschöpfung der Banken mit etlichen Risiken verbunden ist, haben Banken einen intrinsischen Anreiz, Vorsicht walten zu lassen. Den-

Bank 1

+ 500 Kredit an Kunde A

– 500 Sichtguthabenbei Zentralbank

+ 500 Sichtguthabenbei Zentralbank

Termineinlage + 500 (3 Jahre) des Kunden B

Bank 2

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noch können Anreizprobleme, die sich z. B. aus einer impliziten staatlichen Garantie (too-big-to-fail) erge-ben, oder eine zu optimistische Einschätzung ökono-mischer Perspektiven dazu führen, dass Banken zu hohe Risiken eingehen, was letztendlich auch zu ei-ner Gefährdung der Finanzstabilität führen kann. Es ist Aufgabe der Bankenregulierung, solchen Risiken entgegenzuwirken. Elemente dieser Regulierung sind Eigenkapital- und Liquiditätsvorschriften, die ei-ner übermäßigen, mit steigenden Finanzmarktrisiken verbundenen Kreditvergabe entgegenwirken.

Notenbanken betreiben Zinspolitik

Im Fokus der Geldpolitik stehen die Risiken, die sich aus einer übermäßigen oder auch einer zu zurückhal-tenden Kreditvergabe des Bankensystems für die Preisstabilität ergeben. Das Monopol der Zentral-bankgeldschöpfung versetzt das Eurosystem in die Lage, auf die Buchgeldschöpfung der Geschäftsban-ken Einfluss zu nehmen. Entscheidendes Instrument ist dabei der Leitzinssatz, und nicht, wie noch immer häufig unterstellt, die von der Notenbank bereitge-stellte Menge an Zentralbankgeld. Generell ist die Zentralbankgeldmenge keine Steue-rungsgröße von Notenbanken. Sie ist eine endogene Größe, die sich aus den dezentralen Einzelentschei-dungen der Banken und Nichtbanken ergibt. Ent-schließen sich Banken im konjunkturellen Auf-

schwung ihr Kreditgeschäft auszuweiten und fragen die Kund_innen auch mehr Kredite nach, startet der Kredit- und Geldschöpfungsprozess ohne Mitwir-kung der Notenbank. Mit der Geldmengenexpansion entsteht ein zusätzlicher Bedarf an Zentralbankgeld für das Bankensystem als Ganzes, da damit der Bar-geldbedarf und die zu erfüllende Mindestreserve zu-nehmen (Deutsche Bundesbank 1995, S. 92). Dieser zusätzliche Zentralbankgeldbedarf ist in der kurzen Frist gegeben und muss von der Notenbank bedient werden, will sie nicht riskieren, dass an und für sich wirtschaftlich gesunde Banken durch ihre Geldpolitik in eine Liquiditätskrise geraten. Entgegen der weit-verbreiteten Vorstellung, dass die Notenbank die Zentralbankgeldmenge und darüber die Geldmenge steuert, ist die Kausalität gerade umgekehrt: Sie geht von der Kreditvergabe über die Geldmenge zum Zen-tralbankgeld. Oder um es mit den Worten Charles

Goodharts (1994) zu sagen: „Virtually every moneta-ry economist believes that the central bank can con-trol the monetary base (Zentralbankgeldmenge) … Almost all those who have worked in a central bank believe that this view is totally mistaken.“Will die Notenbank aus Gründen der Preisstabilität Einfluss auf das Kredit- und Geldmengenwachstum sowie letztendlich auf die Realwirtschaft und Inflati-on nehmen, erfolgt dies in Normalzeiten über die Änderung der geldpolitischen Leitzinssätze. Indem die Zentralbank die Refinanzierungskosten der Ban-ken festlegt und deren wahrscheinlichen Verlauf sig-nalisiert, bestimmt sie das Niveau der kurzfristigen Geldmarktsätze und beeinflusst darüber die mittel- und längerfristigen Zinsen und schließlich die Real-wirtschaft und die Inflationsrate (vgl. den Beitrag „Wie wirkt die ‚klassische‘ Geldpolitik?“). Im Zuge der Finanzkrise hat das Eurosystem nicht nur seinen Leitzinssatz auf Null gesenkt, sondern über die Ankäufe staatlicher und privater Wertpapiere die Ausstattung des Bankensystems mit Zentralbankgeld massiv ausgeweitet. Aber auch hier geht es nicht um die Steuerung der Zentralbankgeldmenge, sondern um die Beeinflussung des Zinsgefüges, nachdem die Leitzinsen an ihre untere Grenze gestoßen sind (vgl. den Beitrag „Die Politik der ‚quantitativen Locke-

Anreizprobleme können dazu führen, dass Ge-schäftsbanken zu hohe Risiken eingehen. Es ist Aufgabe der Bankenregulierung, einer zu ho-hen Risikoübernahme der Geschäftsbanken, die letztendlich die Stabilität des Finanzsystems ge-fährden kann, entgegenzuwirken.

BANKENREGULIERUNG

Entscheidendes Instrument, um die Kredit­vergabe der Geschäftsbanken zu beein­flussen, ist der Leitzinssatz und nicht die

Menge an Zentralbank geld.

EZB hält Leitzins auf Rekordtief – Banken bekommen frisches Zentralbankgeld weiterhin zu null Prozent Zinsen. (...) Im Kampf gegen niedrige Inflation und Konjunktur-schwäche hat die Notenbank ihre Geldschleusen weit geöffnet. Erst im Dezember (2016) verlängerte sie ihr seit März 2015 laufendes Kaufprogramm für Staatsanleihen und Unternehmenspapiere um weitere neun Monate bis mindestens Ende 2017 (...). I SPIEGEL ONLINE vom 9.3.2017 I

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Weiterführende Literatur

Bindseil, Ulrich 2004: The Operational Target of Monetary Policy and the Rise and Fall of Reserve Position Doctrine. European Central Bank. Working Paper Series No 372. Juni 2004.Deutsche Bundesbank 2017: Die Rolle von Banken, Nichtbanken und Zentralbank im Geldschöpfungsprozess. Monatsbericht April 2017, S. 15 – 36.Görgens, Egon/Ruckriegel, Karlheinz/Seitz, Franz 2006: Geldbasis, Geldmenge, Zinssatz: Irrungen, Wirrungen. In: Wirtschaft swissen-schaft liches Studium: WiSt: Zeitschrift für Studium und Forschung 35 (7), S. 412 – 414.Goodhart, Charles Albert Eric 2009: The Continuing Muddles of Monetary Theory: A Steadfast Refusal to Face Facts. In: Economica 76 (s1), S. 821 – 830.

HINWEISE FÜR DEN UNTERRICHT

Jeder Mensch hat täglich mit Geld zu tun, aber kaum jemand macht sich normalerweise Gedanken, wie das Geld in Umlauf kommt. Um es mit den Worten von Kurt Tucholsky zu sagen: „Woher das Geld kommt, ist unbekannt. Es ist eben da bzw. nicht da – meist nicht da.“

Bereits die Leitfrage dieses Beitrags eignet sich als kontroverses und problemorientiertes Unterrichts-thema. Nicht zuletzt hat sich mit der Finanzkrise gezeigt, dass irreführende Vorstellungen über das Zusammenspiel von Notenbank und Geschäft s-banken in der Gesellschaft bestehen. Typische Headlines in der Wirtschaft spresse waren: „Draghi erhöht die Geldmenge“ oder „Hohe Infl ation kommt“. Solche Aussagen beruhten u. a. auf einer prinzipiellen Konfusion bezüglich unterschiedlicher Geldmengenbegriff e (nämlich dem Geld, das die Notenbank emittiert, und dem Buchgeld, das die Geschäft sbanken schöpfen).

VORSCHLAG: Recherchieren Sie mit den Schüler_innen Überschrift en aus Zeitungen und Medien zu den geldpolitischen Maßnahmen und dekonstruieren Sie gemeinsam diese Aussagen.

rung‘“). Und eines sollte klar sein: Die Notenbank setzt nur geldpolitische Impulse. Wie stark Kredite und Geldmenge wachsen, hängt letztendlich von den Entscheidungen der Nichtbanken und Geschä� s-banken ab.

LiteraturverzeichnisDeutsche Bundesbank 1995: Die Geldpolitik der Bundesbank. Frankfurt am Main.Deutsche Bundesbank 2017: Geld und Geldpolitik. Frankfurt am Main.Eichengreen, Barry 1992: Golden Fetters: The Gold Standard and the Great Depression 1919–1939. NBER Series on Long-term Factors in Economic Development.FOCUS Online 2009: Star-Ökonom rechnet mit Horror-Infl ation. In: FOCUS Online vom 20.2.2009 (focus.de) Zugri� vom 10.7.2018.Goodhart, C. 1994: What Should Central Banks Do? What Should Be Their Macroeconomic Objectives and Operations? The Economic Journal, S. 104.Ruckriegel, Karlheinz/Seitz, Franz 2006: Die operative Umsetzung der Geldpolitik: Eurosystem, Fed und Bank of England. Wirtscha� s-dienst 2006, S. 540 – 544.McLeay, Michael/Radia, Amar/Thomas, Ryland 2014a: Money in the modern economy: an introduction. Bank of England Quarterly Bulletin 2014 Q1, S. 4 – 13.McLeay, Michael/Radia, Amar/Thomas, Ryland 2014b: Money crea-tion in the modern economy. Bank of England Quarterly Bulletin 2014 Q1, S. 14 – 27.Tucholsky, Kurt 1931: Kurzer Abriß der Nationalökonomie.   In: Gerold-Tucholsky, M. und Raddatz, F. J. (Hg.): Kurt Tucholsky. Ge-sammelte Werke. Bd. 9. Reinbek bei Hamburg 1975, S. 287 – 289.Werner, Richard A. 2014: Can Banks individually create money out of nothing – The Theories and the Empirical Evidence. In: Internati-onal Review of Financial Analysis 36, S. 1 – 19.

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Jürgen Hirsch

Die Unabhängigkeit der Geldpolitik von demokratisch gewählten RegierungenEine der zentralen wirtschaftspolitischen Aufgaben des Staates ist es, die Stabilität der eigenen Währung zu sichern und somit deren Kaufkraft zu erhalten. Weshalb entscheidet dann aber weder in Deutschland noch in einem anderen entwickelten Industriestaat die demokratisch gewählte Regierung über die für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes jeweils angemessene Geldpolitik? Weshalb gibt es stattdessen von den Parlamenten unabhängige Zentralbanken? Weshalb findet in diesem speziellen Politikbereich keine direkte demokratische Kontrolle durch die Volksvertretungen statt?

Dr. Jürgen Hirsch

ist Diplom-Volkswirt. Er studierte an der

Eberhard-Karls-Universität Tübingen,

wo er 1992 auch promovierte. Seit

2003 leitet er den Stab des Präsidenten

der Bundesbank-Hauptverwaltung in

Baden-Württemberg.

Die Frage nach dem Sinn der Zentralbankunabhän-gigkeit hat besondere Brisanz, da nicht zuletzt der Deutschen Bundesbank immer wieder vorgeworfen wurde, mit ihrer Geldpolitik quasi sklavisch dem „Fe-tisch“ der Preisstabilität gehuldigt zu haben. Hierbei habe die Bundesbank zu D-Mark-Zeiten ohne Rück-sicht auf dadurch ausgelöste Rezessionen, steigende Staatsdefizite und Millionen von Arbeitslosen oftmals dogmatische Entscheidungen getroffen (vgl. bei-spielsweise Herrmann 2018) – sie sei quasi eine Art „Staat im Staat“ gewesen.Wie ist es vor dem Hintergrund dieser Vorwürfe zu begründen, dass auch das Eurosystem, also die Euro-päische Zentralbank (EZB) mit den derzeit 19 natio-nalen Notenbanken der Euro-Mitgliedsländer, seit seiner Gründung im Januar 1999 unabhängig von Weisungen des Europäischen Rats, der Europäischen Kommission, des Europäischen Parlaments sowie na-tionaler Institutionen ist? Was spricht – gerade in de-mokratisch verfassten Staaten – für eine unabhängi-ge Währungsbehörde?

Vertrauen ist die Voraussetzung für die Akzeptanz von Geld

Heutiges Geld – also Bargeld und Buchgeld – besitzt keinen eigenen Materialwert. Es bezieht seine Akzep-tanz allein aus dem Vertrauen in seine Werthaltig-keit, also aus dem Vertrauen der Menschen darin, dieses Geld auch zukünftig unter zumindest annä-hernd gleichen Bedingungen für Käufe einsetzen zu können. Dieses Vertrauen wird dabei nicht dadurch gesichert, dass das Geld vom Staat ausgegeben wird;

maßgeblich ist vielmehr die glaubwürdige Stabilitäts-orientierung der Geldpolitik. Damit kommen wir zur entscheidenden Frage: Wie hängen die Glaubwür-digkeit der Geldpolitik und die Unabhängigkeit der geldpolitischen Institution zusammen?Um diese Frage zu beantworten, hilft ein kurzer Blick zurück. Zentralbanken mit Funktionen, wie wir sie heute kennen, entstanden Mitte des 19. Jahrhun-derts. Bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges wa-ren die Währungen der überwiegenden Mehrheit

der sich entwickelnden Industriestaaten an den Gold-standard gebunden, das heißt, die Währungen konn-ten in einem festen Verhältnis in Gold umgetauscht werden. Der Umfang einer (eventuellen) gesetzlich verankerten Zentralbankunabhängigkeit war deshalb eher unerheblich: Die monetäre Expansion hing im Grundsatz von den verfügbaren Goldreserven ab, weshalb letztlich kaum geldpolitischer Entschei-dungsspielraum der einzelnen Zentralbanken be-stand. Die Begrenztheit der wirtschaftlich ausbeutba-ren Goldvorkommen stellte die Knappheit des Geldes und somit die Glaubwürdigkeit der am Goldstandard teilnehmenden Zentralbanken sicher.Mit dem Ersten Weltkrieg endete der Goldstandard: Viele Regierungen – nicht zuletzt die Regierung des Deutschen Reichs – übernahmen die Kontrolle über die Geldschöpfung und setzten die Notenpresse zur

Zentralbanken mit Funktionen, wie wir sie heute kennen, entstanden Mitte des 19.

Jahrhunderts. Ihr Handlungsspielraum war zunächst durch den Goldstandard begrenzt.

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Kriegsfi nanzierung ein. Die Folge waren stark anstei-gende Infl ationsraten. Dieses Szenario wiederholte sich im und nach dem Zweiten Weltkrieg in ähnlicher Weise. Und auch der Siegeszug der keynesianischen Theorie sorgte dafür, dass die Geldpolitik in der zwei-ten Hälft e des letzten Jahrhunderts zunehmend in den Dienst der Staatsfi nanzierung gestellt wurde.

Die Notenpresse als Lösung staatlicher Finanzierungsprobleme?

Die Motive der Regierenden, möglichst direkt auf die Geldschöpfungsmöglichkeiten der Zentralbank zuzu-greifen, sind off ensichtlich. So sehen sich Finanzminis-ter_innen in der Regel Ausgabenwünschen ihrer Kabi-nettskolleg_innen gegenüber, die die Finanzierungs-möglichkeiten durch Steuern oder Abgaben deutlich übersteigen. Als weitere Finanzierungsquelle kommt in diesem Fall prinzipiell auch die staatliche Kreditauf-nahme bei Banken oder am Kapitalmarkt in Betracht, doch die öff entliche Verschuldung ist in vielen Ländern bereits relativ hoch. Dann liegt es für Regierungen oft -mals nahe, den „bequemen Ausweg“ mittels Finanzie-rung durch die Notenpresse zu wählen, falls er – etwa aufgrund einer an Weisungen gebundenen Zentral-bank – möglich ist.Hinzu kommt, dass die längerfristigen Folgen – hö-here Infl ationsraten und damit steigender Kaufkraft -verlust – einem hochverschuldeten Staat oft mals gar nicht ungelegen kommen, denn hohe Infl ationsraten mindern bei gegebenen nominalen Verbindlichkeiten die reale Schuldenlast. Zudem sinkt bei gegebenem Nominallohn der Reallohn der Arbeitnehmer_innen. Damit wird Arbeit für die Unternehmen billiger und es werden tendenziell mehr Arbeitnehmer_innen ein-gestellt. Der Staat schlägt aus seiner Sicht sozusagen „mehrere Fliegen mit einer Klappe“.

Überraschungsinfl ation und Zeitinkonsistenz

Es gibt allerdings eine entscheidende Bedingung da-für, dass Regierungen – zumindest kurzfristig – tat-sächlich von höheren Infl ationsraten profi tieren: die Geldentwertung darf nicht vollständig von den Wirt-schaft ssubjekten vorhergesehen werden. Denn in diesem Falle (sog. rationaler Erwartungen) würden die Gläubiger_innen entsprechend der erwarteten höheren Infl ationsrate einen höheren Nominalzins fordern, um für den vorhersehbaren Kaufkraft verlust

entschädigt zu werden. Ähnlich ist es mit den erhofft positiven Wirkungen auf Konjunktur und Arbeits-markt: sobald die Arbeitnehmer_innen entsprechend der erwarteten höheren Infl ationsrate einen höheren Nominallohn durchsetzen, bleiben allein die negati-ven Eff ekte der Infl ation: unter anderem zunehmen-de Unsicherheit, verzerrte Konsum- und Investitions-entscheidungen sowie Kapitalfl ucht.Die von einer höheren Infl ationsrate erhofft en „positiven“ Wirkungen ergeben sich also nur im Falle der Täuschung der übrigen Wirtschaft ssubjekte durch die geldpolitischen Entscheidungsträger_in-nen! Diese Problematik wird in der Wissenschaft als „Zeitinkonsistenz geldpolitischer Entscheidungen“ bezeichnet. Im Kern geht es darum, dass für Politi-ker_innen ein Anreiz zur Realisierung einer höheren als der eigentlich gesellschaft lich optimalen Infl ati-onsrate besteht, sobald eine bestimmte Infl ationser-wartung in die Entscheidungen der Wirtschaft ssub-jekte eingefl ossen ist – wenn also beispielsweise Nominallohn und Nominalzins für die Produktions-faktoren Arbeit und Kapital bereits ausgehandelt bzw. vertraglich festgelegt sind.Die Wirtschaft ssubjekte werden sich durch derartige Maßnahmen in der Regel nur kurzfristig oder nur we-nige Male bzw. immer seltener täuschen lassen, sie werden „aus Erfahrung klug werden“ – also sog. adaptive Erwartungen entwickeln. Deshalb überwie-gen langfristig aufgrund der nachziehenden Zinsstei-gerungen und Lohnerhöhungen per Saldo die nega-tiven Infl ationseff ekte. Ungeachtet dessen besteht für politische Entscheidungsträger_innen besonders vor Wahlen der Anreiz, mittels überraschend expansi-ver Geldpolitik ihre Wahlchancen zu steigern. Regie-rungen neigen insofern dazu, politische Konjunktur-zyklen zu erzeugen.

Geldpolitische Lehren aus der Geschichte

Die Historie hat gezeigt, dass sich nicht wenige Re-gierungen ihrer Schulden real weitgehend entledigt haben, indem sie geldpolitisch sehr expansiv agierten bzw. eine sehr expansive Geldpolitik erzwangen. In-folge der hierdurch ausgelösten hohen Infl ationsra-ten wurde in manchen Fällen die eigene Währung sogar vollständig ruiniert (vgl. beispielsweise einige lateinamerikanische Länder in den 1980er-Jahren mit mehreren 1000 Prozent Infl ation pro Jahr). Im Lichte dieser Erfahrungen ist man im Laufe des 20. Jahrhun-derts in vielen westlichen Industrieländern zu der

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Überzeugung gelangt, die Geldpolitik aus dem „normalen“ politischen Entscheidungsprozess auszu-gliedern und einer von politischen Einfl üssen weitge-hend unabhängigen Notenbank zu übertragen. In Deutschland geschah dies insbesondere vor dem Hin-tergrund der Währungsreformen 1923 und 1948, in anderen Staaten nach den Stagfl ationserfahrungen (also dem Zusammentreff en von wirtschaft licher

Stagnation und Infl ation) der 1970er- und 1980er-Jahre. Als eine der ersten Zentralbanken verfügte die Deutsche Bundesbank seit ihrer Gründung im Jahr 1957 über ein hohes Maß an Unabhängigkeit. In den letzten Jahrzehnten sind Gesetzgeber rund um den Globus diesem Beispiel – in unterschiedlichem Um-fang – gefolgt.Während in der geldtheoretischen Diskussion instituti-onelle Fragestellungen lange Zeit im Schatten des Rich-tungsstreits zwischen Keynesianern und Monetaristen standen, ist man sich heute auch in der Wissenschaft weitgehend einig, dass die eleganteste Möglichkeit, das Glaubwürdigkeitsproblem zeitinkonsistenter Geld-politik zu lösen, darin besteht, die geldpolitische Ent-scheidungsgewalt auf eine unabhängige Zentralbank

zu übertragen, die ausschließlich auf das Ziel der Preis-stabilität verpfl ichtet wird.

Ebenen der Zentralbankunabhängigkeit

Die Unabhängigkeit der Notenbank beinhaltet dabei unterschiedliche Aspekte:

Institutionelle Unabhängigkeit: die Zentralbank kann den Kurs ihrer Politik autonom festlegen, es gibt keine Weisungsbefugnisse der Regierung oder einer sonstigen Institution bezüglich der Aus-richtung der Geldpolitik.

Personelle Unabhängigkeit: die führenden Positi-onen in der Zentralbank können nicht willkürlich von der jeweiligen Regierung besetzt, die geldpoli-tisch verantwortlichen Personen können nicht nach Belieben abberufen werden.

Funktionelle bzw. operative Unabhängigkeit: die Notenbank kann über die Wahl der Strategien und Instrumente frei entscheiden, um Preisstabili-tät zu gewährleisten.

Finanzielle Unabhängigkeit: die Notenbank kann frei über ihr Budget entscheiden und über ihre Geldmittel verfügen.

Von Bedeutung für die tatsächliche Unabhängigkeit der Zentralbank ist auch der gesetzliche Rang der Un-abhängigkeit. Je höher die Hürde für die Legislative,

Im Laufe des 20. Jahrhunderts ging man in vielen westlichen Industrieländern dazu über,

die Geldpolitik aus dem „normalen“ politi­schen Entscheidungsprozess auszugliedern.

Notenbankunabhängigkeit und durchschnittliche Inflation bzw. durchschnittliches reales Wirtschaftswachstum, 1955 – 1988

I Quelle: Alesina, Summers 1993 I

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Änderungen an der gesetzlichen Stellung der Zentral-bank vorzunehmen, desto größer die faktische Un-abhängigkeit. So stärkt es die Position der Noten-bank, wenn ihre Unabhängigkeit und ihr Mandat in der Verfassung verankert sind.

Empirische Befunde

Dass der Zusammenhang zwischen Notenbankunab-hängigkeit und Geldwertstabilität kein theoretisches Konstrukt ist, zeigen empirische Studien (vgl. Grilli, Masciandaro, Tabellini 1991; Cukierman 1992; Cukierman, Webb, Neypati 1992; Alesina, Summers

1993; Klomp, de Haan 2010). Diese belegen, dass mit zunehmendem Grad der Autonomie einer Notenbank sowohl die durchschnittliche Infl ationsrate als auch die Volatilität der Infl ationsraten in der Regel abneh-men – und zwar ohne erkennbare Kosten in Form geringeren realen Wachstums oder stärkerer konjunk-tureller Schwankungen (vgl. die beiden Abbildungen zur „Notenbankunabhängigkeit“). Auch wenn die er-mittelten Korrelationen nicht zweifelsfrei den Beweis für eine Kausalität liefern, so spricht doch sehr viel dafür, dass eine größere Unabhängigkeit der Noten-bank einen sog. „free lunch“ ermöglicht – einen hö-heren Grad der Zielerfüllung der Zielgröße „Preisstabi-lität“ ohne Beeinträchtigung anderer Zielvariablen: „Having an independent central bank is almost like having a free lunch; there are benefi ts but no appa-rent costs in terms of macroeconomic performance“ (Grilli, Masciandaro und Tabellini 1991, S. 375).

Zentralbankunabhängigkeit in der Kritik

Ungeachtet ihrer stabilitätspolitischen Vorteile reißt die Kritik am Status der Zentralbankunabhängigkeit nicht ab. So wird teils bemängelt, dass den Noten-banken hierdurch ein unangemessen großer Hand-lungsspielraum gewährt werde. Insbesondere wird die Frage gestellt, inwieweit die Unabhängigkeit ei-ner mit Exekutivgewalt ausgestatteten Institution mit den Prinzipien eines demokratischen Rechtsstaats vereinbar ist.

Hierbei handelt es sich um eine Diskussion, die durch-aus zu Recht geführt wird. So stellt die Unabhängig-keit der Zentralbank in demokratischen Ordnungen in der Tat auf den ersten Blick einen Fremdkörper dar. Die Exekutive muss sich in einer Demokratie gegenüber den Wähler_innen bzw. den gewählten Parlamentari-er_innen verantworten. Konstitutiv für Notenbankau-tonomie ist jedoch gerade der Verzicht auf die Wei-sungsbefugnis von Hoheitsträger_innen. Damit scheint ein wesentlicher Politikbereich der demokrati-schen Kontrolle entzogen und die Notenbankunab-hängigkeit gegen das Demokratieprinzip zu versto-ßen. Dies bedeutet im Umkehrschluss: Die Unabhän-gigkeit der Zentralbank muss gesondert begründet werden. Ihre Ratio liegt darin, dass sie sowohl nach wissenschaft licher Erkenntnis als auch nach prakti-scher Erfahrung eine wichtige Voraussetzung für dau-erhaft stabiles Geld ist.

Enge Mandatsauslegung und Rechenschaft spfl icht

Die Unabhängigkeit der Notenbank ist kein Freibrief, um selbst defi nierte Ziele „aller Art“ zu verfolgen. Sie ist weder Selbstzweck noch Blankovollmacht, sondern soll sicherstellen, dass die Geldpolitik möglichst ohne störende externe Einfl üsse stabilitätsorientiert handeln kann. Deshalb muss der unabhängigen Notenbank im Gegenzug zur gewährten Unabhängigkeit ein klares und eng begrenztes Mandat zugewiesen werden, für welches sie die Verantwortung trägt. Nur innerhalb dieses Mandats kann sie selbständig und frei agieren. Unabhängigkeit und enge Mandatsauslegung sind folglich zwei Seiten derselben Medaille.In vielen Staaten hat sich eine erweiterte Rechen-schaft spfl icht („Accountability“) als Gegengewicht zur stärkeren Unabhängigkeit der Notenbanken her-ausgebildet: so müssen die Zentralbanken beispiels-weise den Grad der Erfüllung ihres Endziels, das je-weilige geldpolitische Konzept wie auch die aktuellen

geldpolitischen Maßnahmen off enlegen, begründen und erläutern (Transparenzgebot). Dabei steigt die Wirksamkeit der Rechenschaft spfl icht mit der Klarheit der Zielvorgabe. Um die Überprüfbarkeit der Geldpo-

Damit Parlament und Öff entlichkeit die Angemessenheit der Geldpolitik zeitnah

einschätzen können, ist die Transparenz des Entscheidungsprozesses wichtig.

Vieles spricht dafür, dass eine größere Zentralbankunabhängigkeit zu

mehr Preisstabilität führt.

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litik durch Außenstehende zu erleichtern, sollte im Falle mehrerer Ziele eine eindeutige Rangordnung vorliegen. Vor diesem Hintergrund erscheint es sinn-voll, Preisstabilität als eindeutiges Primärziel vorzuge-ben, zumal sich die Zielerreichung vergleichsweise leicht kontrollieren lässt.Aufgrund der langen Wirkungsverzögerungen bei der Übertragung geldpolitischer Impulse ist eine Er-folgskontrolle der Zentralbank anhand der realisier-ten Inflationsraten nicht sofort möglich. Umso wich-tiger ist deshalb die Transparenz des geldpolitischen Entscheidungsprozesses, damit Parlament und Öf-fentlichkeit die Angemessenheit der Geldpolitik zeitnah einschätzen können – etwa durch die Veröf-fentlichung regelmäßiger Berichte zur Wirtschaftsla-ge und zur Geldpolitik, die Durchführung von Pres-sekonferenzen oder die Publikation von Sitzungs-protokollen.

Unabhängigkeit des Eurosystems

Die Geschichte lehrt, dass die Geldwertstabilität be-droht ist, wenn eine Regierung die Zentralbank für politische Zwecke einspannen kann. Deshalb sind im EU-Vertrag die Unabhängigkeit der EZB und der na-tionalen Zentralbanken des Eurosystems festge-schrieben. Dabei ist das Eurosystem in mehrfacher Hinsicht unabhängig. Die institutionelle Unabhängig-keit ist dadurch gesichert, dass keine nationale oder internationale Institution dem Eurosystem Weisun-gen erteilen darf. Zur personellen Unabhängigkeit trägt die lange Amtszeit der Mitglieder des EZB-Rats bei. Zudem ist das Eurosystem finanziell und funktio-nell unabhängig: es kann frei über seine Geldmittel verfügen und eigenständig über die Wahl der Strate-gien und Maßnahmen entscheiden. Politischem Druck beugt auch vor, dass es dem Eurosystem per Gesetz verboten ist, öffentlichen Einrichtungen im Euro-Raum Kredit zu gewähren (Verbot der „monetä-ren Staatsfinanzierung“). Gerade weil die Zentralbanken des Eurosystems poli-tisch unabhängig sind, sind sie zur Offenheit ver-pflichtet: So muss die EZB jährlich einen Bericht über die aktuellen geldpolitischen Maßnahmen und deren Wirkungen vorlegen. Darüber hinaus steht der EZB-Präsident im Europäischen Parlament, im ECOFIN-Rat sowie bei Pressekonferenzen regelmäßig Rede und Antwort. Zudem hat der EZB-Rat das Mandat des Maastrichter Vertrags, nämlich Preisstabilität zu ge-währleisten, durch eine quantitative Definition von Preisstabilität präzisiert und die Eckpfeiler seiner

geldpolitischen Strategie bekanntgegeben und aus-führlich begründet.Festzuhalten bleibt, dass das grundsätzliche Primat der Politik bzw. des Volkssouveräns auch im Falle der Notenbankunabhängigkeit erhalten bleibt. Die ge-setzlich oder verfassungsmäßig eingerichtete Unab-hängigkeit kann auch wieder aufgehoben werden. Insofern müssen Zentralbanken sowohl die Politik wie auch die Öffentlichkeit permanent mit Transpa-renz, Offenheit und erfolgreicher Politik überzeugen.

Stabilitätsbewusstsein der Bevölkerung relevant

Dies leitet über zur Frage, ob die empirisch ermittelte, negative Korrelation zwischen Inflation und Noten-bankunabhängigkeit nicht doch – zumindest zum Teil – auf einen dritten Faktor zurückzuführen sein könnte, nämlich die Stabilitätskultur bzw. das Stabili-tätsbewusstsein einer Gesellschaft. Und auch hier liefert die Empirie relativ eindeutige Belege. So zei-

gen Meinungsumfragen der Europäischen Kommissi-on beim Vergleich von neun EU-Ländern für die Jahre 1976 bis 1993: je ausgeprägter das Stabilitätsbe-wusstsein der Bevölkerung, desto unabhängiger die Zentralbank und umso niedriger die Inflation. Auch unabhängige Notenbanken können eine auf Geld-wertstabilität zielende Politik auf lange Sicht nur dann betreiben, wenn in breiten Kreisen der Bevölke-rung eine Präferenz für stabiles Geld besteht. Oder um mit Otmar Issing zu sprechen, dem ehemaligen

Je ausgeprägter das Stabilitätsbewusstsein der Bevölkerung, desto unabhängiger die

Zentralbank und umso niedriger die Inflation.

Art. 130 (Auszug): (W)eder die Europäische Zen-tralbank noch eine nationale Zentralbank (darf) Weisungen von (…) Regierungen der Mitgliedstaa-ten (…) einholen oder entgegennehmen. Die (...) Regierungen (…) verpflichten sich, diesen Grund-satz zu beachten und nicht zu versuchen, (…) Be-schlussorgane der Europäischen Zentralbank oder der nationalen Zentralbanken (…) zu beeinflussen.

VERTRAG ÜBER DIE ARBEITSWEISE DER EUROPÄISCHEN UNION

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Weiterführende LiteraturBlinder, Alan S. 1999: Central Bank Credibility: Why Do We Care? How Do We Build It?. NBER Working Paper 7161.Cargill, Thomas F./O’Driscoll, Gerald P. 2013: Measuring Central Bank Independence, Policy Implications, and Federal Reserve Indepen-dence. mimeo.Eijffi nger, Sylvester C. W./Haan, Jakob de 1996: The Political Economy of Central-Bank Indepen-dence. Special Papers in International Econo-mics Nr. 19. Princeton, New Jersey.Stiglitz, Joseph E. 1998: Central Banking in a Democratic Society. In: De Economist, 146 (2), S. 199 – 226.Temple, Jonathan 1998: Central bank indepen-dence and infl ation: good news and bad news. In: Economics Letters 61 (2), S. 215 – 219.

HINWEISE FÜR DEN UNTERRICHT

Die Unabhängigkeit von Zentralbanken steht auch heute noch in der Kritik. Weshalb ist die Geldpolitik nicht der demokratischen Kontrolle durch Parlamente unterworfen? Zumal sie doch – so die Kritiker_innen – durch weniger„dogmatische“, nicht allein auf Preisstabilitätfi xierte Ausgestaltung viel mehr für Beschäft i-gung und Wirtschaft swachstum tun könnte!

Der Beitrag argumentiert, dass diese Kritik zu kurz greift . Er stellt stabile Preise und eine solide Währung als Grundvoraussetzungen für eine nachhaltige wirtschaft liche Prosperität dar. Stabilitätsorientierte Geldpolitik werde deutlich erleichtert, wenn die geldpolitischen Entschei-dungsträger_innen den tagespolitischen Einfl üssen entzogen und – mit engem Mandat ausgestattet – vorrangig auf die Zielgröße „Preisstabilität“ verpfl ichtet werden.

VORSCHLAG: Im Unterricht kann die Zentral-bankunabhängigkeit zunächst deskriptiv behandelt werden. Ausgehend von der Grafi k auf S. 30 kann dies in Form eines Länderver-gleichs erfolgen. Daraufhin lässt sich die These des Beitrags in der Klasse in einer Pro-Kontra- Debatte oder Talkshow diskutieren. Die Leitthese dafür ist: „Die Unabhängigkeit einer Zentralbank ist (nicht) legitim und effi zient, weil …“

→ Ein detailliert ausgearbeiteter Unterrichtsvor-schlag für eine rollenbasierte Grundsatzdiskussi-on über zentrale wirtschaft spolitische Zielefi ndet sich in Heinz Jacobs (Hg.): Methoden-bewusster Ökonomieunterricht, Schwalbach/Ts.2010. In diesem Vorschlag wird auch dasProblem von Mandat und politischer Legitima-tion aufgegriff en.

Chefvolkswirt der Bundesbank und der EZB: „Jede Gesellscha� hat letztlich die Infl ationsrate, die sie ver-dient und im Grunde auch will“ (Issing 1992).

Literaturverzeichnis Alesina, Alberto/Summers, Lawrence H. 1993: Central bank inde-pendence and macroeconomic performance: some comparative evidence. In: Journal of Money, Credit and Banking 25 (2), S. 151 – 162.Cukierman, Alex 1992: Central Bank Strategy, Credibility and Inde-pendence: Theory and Evidence. Cambridge, Mass.Cukierman, Alex/Webb, Steven B./Neyapti, Bilin 1992: Measuring the independence of central banks and its e� ects on policy out-comes. The World Bank Economic Review 6 (3), S. 353 – 398.Grilli, Vittorio et al. 1991: Political and monetary institutions and public fi nancial policies in the industrial countries. In: Economic Poli-cy 13, S. 341 – 392.Herrmann, Ulrike 2018: Der Staat im Staat – die Bundesbank. SWR2-Essay vom 12. März 2018.Issing, Otmar 1992: Unabhängigkeit der Notenbank und Geldwert-stabilität. Rede auf der Jahresfeier der Akademie der Wissenschaf-ten und der Literatur in Mainz. In: Deutsche Bundesbank. Auszüge aus Presseartikeln. Nr. 79 vom 10.11.1992, S. 1 – 8.Klomp, Jeroen/Haan, Jakob de 2010: Infl ation and Central Bank In-dependence: A Meta-Regression Analysis. In: Journal of Economic Surveys 24 (4), S. 593 – 621.Marsh, David 1992: Im Herzen der Macht. In: Die Zeit vom 25.9.1992 (zeit.de) Zugri� vom 10.7.2018.Welteke, Ernst 2000: Politische Unabhängigkeit der Notenbanken als Voraussetzung für stabiles Geld. In: Theilacker, Bertram (Hg.): Banken und Politik. Innovative Allianz für die Zukun� . Frankfurt am Main, S. 23 – 46.

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34 G E L D U N D G E L D P O L I T I KW O C H E N S C H AU S E K . I + II

Die Idee der europäischen IntegrationDie Idee der europäischen Integration ist die Folge-wirkung zweier Weltkriege. Nach Millionen Toten und der Auft eilung Europas zwischen Interessen-sphären der USA und der Sowjetunion sollten neue Wege beschritten werden. Um den mühsam errun-genen Frieden für die Zukunft zu erhalten und um Europa wieder zu Geltung und Wohlstand zu verhel-fen, traten Politiker_innen wie Jean Monnet, Robert Schuman und Konrad Adenauer für einen Neustart der politischen Beziehungen zwischen den bedeuten-den europäischen Nationen ein. Insbesondere die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich sollten dabei Modell für eine europäische Zukunft stehen, in der Kriege und übersteigerter Nationalis-mus überwunden werden sollten. Als geeignetes Mittel der Wahl erschien dafür anfangs die wirt-schaft liche Integration, die monetäre Integration kam später hinzu.

Die Rolle der monetären Integration

Der lange Weg zum Euro führte über einen Diskurs zwischen zwei politökonomischen Denkschulen. Beide Ansätze hatten das Ziel, die europäische Inte-gration zu fördern und unumkehrbar zu machen, wollten dabei aber unterschiedliche Wege beschrei-ten. Die sog. Ökonomisten vertraten den Stand-punkt, dass eine Währungsunion nur als abschlie-ßende Krönung einer politischen Union denkbar sei. Daher werden sie der „Krönungstheorie“ zugeord-

net. Ihre Vertreter_innen wollten vor der Einfüh-rung einer supranationalen Geld- und Währungspo-litik Konvergenz auf zentralen wirtschaft lichen Ge-bieten erreicht haben. Zudem sollten wirksame politische Instanzen etabliert werden, die eine ge-meinsame Wirtschaft spolitik ermöglichten. Die

„Monetaristen“ hingegen wollten eine andere Rei-henfolge. Für sie sollte eine einheitliche Währung nicht bedingungslos, aber doch möglichst früh ein-geführt werden, um im Anschluss als „Lokomotive

Der Euro als Motor der europäischen Integration?

Harald Loy

Dr. Harald Loy

ist Diplom-Volkswirt und hat an der Uni-

versität Essen studiert. Seit 1993 arbeitet er bei der Bundesbank.

Seit 2003 ist er im Stab der Präsidentin

der Bundesbank Hauptverwaltung in

Düsseldorf tätig.

Die Frage nach den Wirkungen des Euro auf die europäische Integration muss im Zusammenhang mit seiner historischen, politischen und wirtschaftlichen Entstehungsgeschichte betrachtet werden. Die gemeinsame europäische Währung war nicht das primäre Ziel der Gründer der Europäischen Union (EU) und ihrer Vorläufer. So kann der Euro weder als Beginn noch als Endpunkt der europäischen Integration gelten, sondern vielmehr als Instrument auf dem Weg dorthin – der Euro war und ist somit im Kern ein politisches Projekt. Wie der Integrationsprozess verlief, welche Standpunkte ihn beeinflussten und welche Form die Diskussion um die Integrationskraft des Euro heute annimmt, erklärt der Autor im folgenden Artikel.

„Die EWG ist (…) ein politischer Vertrag, der bezweckt, (…) über die Gemeinsamkeit der Wirtschaft zu einer politischen Integration

Europas zu kommen.“ Konrad Adenauer,

Rede vor dem CDU­Bundesparteivorstand am 9.11.1959

Bundeskanzler Konrad Adenauer (links) im März 1957 bei der Unterzeichnung der Römischen Verträge.

© F

oto:

dpa

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35D E R E U R O A L S M O T O R D E R E U R O P Ä I S C H E N I N T E G R AT I O N ?

der Integration“ weitere wirtschaft liche und politi-sche Schritte nach sich zu ziehen. Dies ist der Grund, warum dieser Ansatz als „Lokomotivtheorie“ be-zeichnet wird. Beide alternativen Ansätze beein-fl ussten die Entstehung der gemeinsamen europäi-schen Währung.

Wichtige Wegmarken auf dem Weg zu einer gemeinsamen europäischen Währung

1944: Im Juli 1944 trafen sich hochrangige Vertre-tungen der späteren Siegermächte des Zweiten Welt-kriegs zu einer Konferenz im US-amerikanischen Bret-ton Woods, um gemeinsam die Währungsordnung der Nachkriegszeit zu beschließen („Bretton-Woods-System“). Vereinbart wurde ein System fester Wech-selkurse mit dem US-Dollar als Ankerwährung. Wirt-schaft spolitische Koordinierung war nicht Bestandteil der Regelungen. Änderungen der Wechselkurse wa-

ren nur bei fundamentalen Leistungsbilanzungleich-gewichten möglich. Im Jahr 1952 trat die Bundesre-publik Deutschland dem System bei. Da das Bretton-Woods-System anfänglich gut funktionierte, war eine engere monetäre Integration in Europa zunächst nicht vordringlich.1957: Die Regierungsvertreter Belgiens, der Bundes-republik Deutschland, Frankreichs, Italiens, Luxem-burgs und der Niederlande unterzeichneten 1957 die Römischen Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschaft sgemeinschaft (EWG) und der Europäi-schen Atomgemeinschaft (EURATOM); außerdem wurde die 1951 gegründete Europäische Gemein-schaft für Kohle und Stahl (EGKS) ausgebaut. Es wur-de ein Währungsausschuss zur Koordinierung der Währungspolitik im Gemeinsamen Markt gegrün-det, in dem die Regierungen, die Notenbanken und die Kommission vertreten waren.1962: Der Wirtschaft s- und Finanzausschuss des Eu-ropäischen Parlaments (EP) veröff entlichte 1962 den nach seinem Verfasser benannten „van-Cam-pen-Bericht“, der Schritte zu einer engeren Koordi-nation der Geld- und Währungspolitik empfahl. Ins-besondere auf deutscher Seite stießen diese Vor-schläge auf wenig Gegenliebe (vgl. Bernholz 1998,

S. 786). Nach zwei Jahren intensiver politischer Dis-kussionen fasste der Rat mit der Gründung des Aus-schusses der Notenbank-Gouverneure (GA) den-noch einen perspektivisch bedeutsamen institutio-nellen Beschluss. 1969: Die Kommission legte Anfang 1969 auf Initia-tive ihres Vizepräsidenten Raymond Barre ein Memo-randum für mehr wirtschaft s- und währungspoliti-sche Zusammenarbeit vor („Barre-Plan“). Die Krö-nungstheorie stand Pate für den Barre-Plan. Im selben Jahr auft retende Währungsturbulenzen ga-ben jedoch den Anhängern der Lokomotivtheorie Auft rieb und führten bei den Regierungen zu einem Umdenken. Eine engere währungspolitische Zusam-menarbeit sollte in einem überarbeiteten Ansatz mehr Gewicht im Integrationsprozess erlangen.1970: Diesem Ansinnen der Staats- und Regierungs-chefs kam der von einer Expertenkommission unter Vorsitz des luxemburgischen Premierministers Pierre Werner im Jahr 1970 vorgelegte „Werner-Plan“ nach (vgl. Danescu 2016, S. 52 ff .). Dieser empfahl, eine Währungsunion stufenweise in drei Schritten bis Ende 1980 zu schaff en. Das parallele Fortschreiten von Währungsunion und Integrationsschritten stellte einen Kompromiss zwischen Monetaristen und Öko-nomisten dar. Der Europäische Rat stimmte dem Plan 1971 zu. Als kurz darauf das Bretton-Woods-System schrittweise zerfi el und die Ölkrise ausbrach, konnte aber zwischen den europäischen Regierungen keine Einigkeit über die angemessenen geld- und wirt-schaft spolitischen Maßnahmen erzielt werden. An-fang 1974 wurde der Übergang zur zweiten Stufe abgesagt und damit faktisch das Ende des Werner-Plans besiegelt.1972: Mit einer Abwertung des US-Dollar und größe-ren Schwankungsbreiten wurde ein letzter Versuch zur Rettung des Bretton-Woods-Systems unternom-men. Um Wechselkursschwankungen zu reduzieren,

führten die Gemeinschaft sstaaten einen Europäi-schen Wechselkursverbund ein. Es handelte sich da-bei um ein bilaterales Interventionssystem, um ge-meinsame Wechselkurspolitik mit engen Bandbrei-ten zu betreiben. Bald traten weitere Staaten dem Verbund bei. Er blieb aber instabil, da die Wirtschaft s-

„Europa entsteht durch die Währung oder gar nicht.“ Jacques Rueff , 1950

„Zwischen souveränen Ländern kann die monetäre Annäherung nur schrittweise und

parallel zur Annäherung der Wirtschaft spolitiken erfolgen.“

Pierre Werner, 1970

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36 G E L D U N D G E L D P O L I T I KW O C H E N S C H AU S E K . I + II

entwicklung und -politiken nicht hinreichend homo-gen waren.1973: Nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems 1973 zeigten sich die Staaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft bezogen auf die Wirtschafts-, Finanz- und Geldpolitik gespalten. Einem Hartwährungsblock aus D-Mark, dänischer Krone, niederländischem Gulden und belgisch/lu-xemburgischem Franc standen die floatenden Wäh-rungen Großbritanniens, Irlands, Frankreichs und Italiens gegenüber.1979: Auf erneut französisch-deutsche Initiative hin trat das Europäische Wechselkurssystem (EWS)

1979 in Kraft, das feste, bei Bedarf jedoch anpas-sungsfähige Wechselkurse beinhaltete. Einerseits ging es hierbei um ein höheres Maß an Wechsel-kursstabilität in der Europäischen Gemeinschaft. Für den damaligen deutschen Bundeskanzler Helmut Schmidt waren andererseits aber auch die besonde-re außenpolitische Rolle Deutschlands im geteilten Europa und die Dominanz des US-Dollar Motivation für ein neues Wechselkurssystem. Vereinbart wur-den schließlich bilaterale Schwankungsbreiten von in der Regel ± 2,25 Prozent, innerhalb derer sich die einzelnen Wechselkurse mithilfe von Devisenmarkt-interventionen bewegen konnten. Interventions-pflichten und Liquiditätshilfen sollten das Einhalten der Bandbreiten glaubwürdig machen, solange eine

stabilitätsorientierte Geldpolitik nicht gefährdet wurde. Als Rechnungseinheit diente die Korbwäh-rung European Currency Unit (ECU). Das EWS erleb-te verschiedene Krisen und Austritte, bildete aber letztlich den Vorläufer des heutigen Wechselkurs-mechanismus II (WKM II).1989: Eine Arbeitsgruppe der nationalen Zentralban-ken unter Führung des Kommissionspräsidenten Jac-ques Delors veröffentlichte im April 1989, sechs Mona-te vor dem Fall der Berliner Mauer, den sog. Delors-Bericht. Darin wurde ein dreistufiger Fahrplan für die Schaffung der Europäischen Wirtschafts- und Wäh-rungsunion beschrieben. In der ersten Stufe ab 1.7.1990 wurde der Kapitalverkehr liberalisiert sowie die Zusammenarbeit der Zentralbanken und die wirt-schaftliche Konvergenz verbessert. 1994 begann das Europäische Währungsinstitut, der Vorläufer der Euro-päischen Zentralbank (EZB), mit seiner Arbeit. Strittig blieb in dem Bericht das geldpolitische Mandat der künftigen Zentralbank. Ab 1999 sollte der Euro als ge-meinsame Währung eingeführt werden. Der Delors-Plan wurde vom Europäischen Rat gebilligt.1992: Der auf dem Delors-Bericht aufbauende Vertrag von Maastricht schuf 1992 die Rechtsgrundlage für die Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung, den Euro. Der Delors-Bericht definierte Kon-vergenzkriterien als Voraussetzung für den Beitritt zum gemeinsamen Währungsraum („Maastricht-Kri-terien“) (vgl. Europäisches Währungsinstitut 1998). Die finanzpolitische Eigenverantwortung der Einzel-staaten blieb, ergänzt um die Nichthaftungsklausel für Verbindlichkeiten anderer Staaten, erhalten. Die EZB wurde nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank gestaltet, also mit weitreichender geldpolitischer Un-abhängigkeit und dem vorrangigen Ziel der Preisstabi-lität. Ergänzt wurden diese Bestimmungen um das Verbot der monetären Staatsfinanzierung durch das Eurosystem: Staatsschulden dürfen nicht mithilfe der Banknotenpresse finanziert werden. Bei den Verhand-lungen setzten sich die Anhänger der Lokomotivtheo-rie durch: Die Währungsunion wurde ohne politische Union gegründet. Zwar wurde eine gewisse Konver-genz durch die Maastricht-Kriterien vorgeschrieben. Realwirtschaftliche Kriterien blieben dabei jedoch un-berücksichtigt und institutionelle Reformschritte der Europäischen Union gab es nicht.1997: Mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) wurde ein Versuch unternommen, die Rege-lungen zu den öffentlichen Finanzen des Maastricht-Vertrages zur dauerhaften Pflicht aller Mitglieder des Euroraums machen. Die Fiskalregeln und ihre Imple-mentierung wurden später wiederholt angepasst.

„Die Währungsunion ist ein großer Irrtum, der Europa nicht eint, sondern spaltet.“

Lord Dahrendorf, 1995

Preisstabilität: Inflationsrate max. 1,5 Prozent-punkte über dem Durchschnitt der drei preissta-bilsten Länder

Stabile öffentliche Finanzen• Staatsverschuldung max. 60% des BIP• Haushaltsdefizit max. 3% des BIP

Wechselkursstabilität: 2 Jahre spannungsfreie Teilnahme am WKM II innerhalb der verabre-deten Bandbreiten

Langfristige Zinsen max. 2 Prozentpunkte über dem Durchschnitt der drei preisstabilsten Länder

MAASTRICHT-KRITERIEN

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Während der Fokus des Maastricht-Vertrags auf ei-nem Haushaltsdefi zit in Höhe von maximal 3 Prozent des BIP lag, ist das mittelfristige Ziel des Stabilitäts- und Wachstumspakts ambitionierter, da dieser im Grundsatz einen strukturell ausgeglichenen Haushalt fordert. Dieses mittelfristige Ziel wird ab einem struk-turellen Defi zit von höchstens 0,5  Prozent des BIP grundsätzlich als erfüllt angesehen. In Ländern mit einer Schuldenquote von unter 60 Prozent des BIP darf der strukturelle Haushaltssaldo bis -1 Prozent des BIP betragen (vgl. Bundesbank 2017, S. 31). Der strukturelle Haushaltssaldo ist dabei ein um konjunk-turelle und Einmaleff ekte bereinigtes Maß für die Dif-ferenz zwischen Einnahmen und Ausgaben des Staates. Allerdings wurden die Möglichkeiten einer fl exiblen Handhabung zulasten einer strikten Regel-auslegung immer größer (vgl. Deutsche Bundesbank 2017, S. 29).1999: Am 1. Januar 1999 wurde der Euro als Buch-geld in elf EU-Staaten eingeführt und die Geldpolitik im Euroraum unter dem Dach der EZB vergemein-schaft et. Die Maastricht-Kriterien erfüllten zu diesem Zeitpunkt allerdings nur drei Staaten (Frankreich, Lu-xemburg, Finnland). Alle anderen Staaten, darunter auch Deutschland, waren zu hoch verschuldet. 2001: Griechenland trat dem Euro bei. Wie sich erst später herausstellte, lagen die tatsächlichen Haus-haltsdefi zite durchgehend höher als die maximal er-laubten 3 Prozent des BIP.

2002: Der Euro wurde mit der Bargeldeinführung zum 1. Januar 2002 alleiniges gesetzliches Zahlungsmittelin zwölf EU-Staaten. Bis zum heutigen Tage traten sie-ben weitere Länder der Währungsunion bei.(Zu diesen Wegmarken vgl. Directorate-General 2005und Bernholz 1998.)

Gemischte Konvergenzergebnisse

Entgegen vieler Befürchtungen im Vorfeld der Euro-Einführung blieb die innere Kaufkraft der Gemein-schaft swährung mit einer jahresdurchschnittlichen Infl ationsrate von 1,7 Prozent im Euroraum zwischen 1999 und 2017 sehr stabil (vgl. Europäische Zentral-bank 2018). Die Entwicklung der öff entlichen Finan-

zen kann hingegen wenig zufriedenstellen. Das zu-nehmend politische Agieren der Europäischen Kom-mission, die wachsende Komplexität der fi nanz -politischen Vorgaben und letztlich der fehlende poli-tische Wille verschiedener Mitgliedstaaten zur Haushaltsdisziplin führten zu einer zu fl exiblen, ver-handlungsabhängigen Auslegung der Fiskalregeln

„Durch die gemeinsame Währung ist die europäische Einigung unumkehrbar

geworden.“ Helmut Kohl, 2002

BIP pro Kopf **EWU(19) = 100

Arbeitslosenquotein % der Erwerbs-

personen

Struktureller HH-Saldo***in % des BIP

DE KrisenländerSüdeuropas

MOE-Staaten DE Krisenländer

SüdeuropasMOE-Staaten DE Krisenländer

SüdeuropasMOE-Staaten

1998 111 94 43 9,4 12,5 12,0 -2,5 -3,5 -3,9

2007 107 93 61 8,5 7,3 7,3 -0,8 -2,4 -4,4

2018 116 85 74 3,6 12,9 6,9 +0,9 -1,9 -1,3

Makroökonomische Indikatoren für ausgewählte Mitgliedstaaten des Euroraums*

* DE = Deutschland; Krisenländer Südeuropas = Griechenland, Italien, Portugal, Spanien, Zypern; MOE-Staaten = Estland, Lettland, Litauen, Slowenien, Slowakei; ** Einkommen kaufkraftbereinigt; *** Bereinigung um konjunkturelle Schwankungen und seit 2010 zusätzlich um Ein-maleffekte. Gewichtung der Länder entsprechend Bevölkerungszahl. I Quelle: Berechnungen des Autors, Datastream, AMECO-Datenbank der Europäischen Kommission (2018) I

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38 G E L D U N D G E L D P O L I T I KW O C H E N S C H AU S E K . I + II

zulasten ihrer Bindungswirkung. Im Ergebnis wurden die regulären quantitativen Ziele und Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspakts häufig verfehlt und die Anreize für eine solide Fiskalpolitik traten in den Hintergrund. Deutlich wird dies nicht nur an den mehrheitlich weit über 60 Prozent (bezogen aufs Bruttoinlandsprodukt, BIP) gestiegenen Schulden-quoten, sondern auch bei den laufenden Defiziten.Der strukturelle Haushaltssaldo soll nach den Regeln des SWP und des seit 2013 geltenden Fiskalpakts in Ländern mit einer Schuldenquote von mehr als 60 Pro-zent einen Wert von  0,5 Prozent pro Jahr (ebenfalls bezogen aufs BIP) nicht unterschreiten (siehe die Ta-belle „Makroökonomische Indikatoren“). Deutschland hält diese Grenze seit 2012 ein. Die Krisenländer Süd-europas sind auch im Jahr 2018 mit -1,9 Prozent noch weit davon entfernt. Angesichts tendenziell wieder steigender Kapitalmarktzinsen und der hohen Schul-denquoten dieser Staaten ist dies bedenklich. In den

Staaten Mittel- und Osteuropas (MOE), die zwischen 2007 und 2015 den Euro einführten, verbesserten sich die Haushaltssalden seit 2007. Gleichwohl werden auch hier die Vorgaben des Fiskalpaktes im Durch-schnitt noch nicht eingehalten.Ein gemischtes Bild zeigt auch die Entwicklung der realwirtschaftlichen Konvergenz (gemessen am BIP pro Kopf). Zwischen Deutschland und den Krisenlän-dern Europas lief die wirtschaftliche Entwicklung nach Ausbruch der Finanzkrise 2007 sogar deutlich auseinander. Die Länder in Mittel- und Osteuropa zeigten hingegen in den letzten Jahren einen spürba-ren wirtschaftlichen Aufschwung, welcher durch die Krisenjahre nur kurz beeinträchtigt wurde. Zwischen den Regionen unterhalb der Nationalstaatsebene blieben ebenfalls große Wohlstandsunterschiede.Auch bei der Arbeitslosenquote ist seit Einführung des Euro keine Konvergenz auf niedrigem Niveau festzustellen. Deutschland konnte zwar seine Ar-beitslosenquote mehr als halbieren, die Entwicklung in Südeuropa war jedoch gegenläufig. Während dort vor der Krise die Arbeitslosigkeit vor allem im Zuge eines kreditfinanzierten Sonder-Booms verringert werden konnte (der dann z. B. in Spanien in eine Im-mobilienpreisblase mündete), stieg die Arbeitslosen-

quote mit der Finanz- und Staatsschuldenkrise in ein-zelnen Ländern zeitweise auf über 25  Prozent an. Immerhin greifen die in der Zwischenzeit eingeleite-ten Reformen allmählich und bewirkten zuletzt einen Rückgang. Die osteuropäischen Eurostaaten konnten ihre Arbeitslosigkeit im gesamten Zeitraum hingegen nachhaltig verringern. Die Verarbeitung der Krise ge-lang dort wesentlich besser.

Der Beitrag des Euro zur europäischen Integration

Der Euroraum soll auch ohne politische Union eine Stabilitätsunion darstellen. Als eine Art Minimalkoor-dinierung und Ersatz für die fehlende wirtschaftspoli-tische Steuerung dienen gemäß Maastricht-Vertrag verschiedene Regelungen: das Verbot der monetären Staatsfinanzierung; die Verpflichtung des Eurosys-tems auf das Ziel der Preisstabilität; die Konvergenz-kriterien als Bedingungen für den Euro-Beitritt; die finanzpolitische Eigenverantwortung der Mitglied-staaten, korrespondierend hierzu die Nicht-Haftung für fremde Staatsschulden („No-Bail-Out-Klausel“); ergänzend die Verfahren zur Stärkung der Haushalts-überwachung durch den Stabilitäts- und Wachstum-spakt und später durch den Fiskalpakt.Die Anhänger der Lokomotivtheorie hatten sich mit der Einführung des Euro im Jahr 1999 eine Sogwir-kung hin zu mehr europäischer Integration und öko-nomischer Konvergenz auf höherem Niveau erhofft. Fast 20 Jahre später fällt diesbezüglich das Urteil je-doch ernüchternd aus. Verteilungsfragen und soziale Spannungen prägen in den letzten Jahren die politi-schen Debatten, während europakritische Parteien an Zulauf gewinnen – in Staaten ohne und mit Euro. Öko-nomisch betrachtet sehen wir wirtschaftliche Konver-genz nur in Teilen Europas. Beim Thema ordnungspo-litischer Grundkonzeptionen und geldpolitischer Über-zeugungen kommt es nur sehr langsam zu einer Annäherung, abzulesen an unterschiedlichen Interpre-tationen über das geldpolitische Mandat der EZB oder über die finanzpolitischen Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Längst nicht überall wird die Auffas-sung geteilt, dass politisches Handeln und finanzpoliti-sche Haftung einander bedingen.Worin aber liegt nun der Integrationsbeitrag des Euro? Die Währungsunion bot seit den 1960er- Jahren eine Perspektive mit wirtschaftspolitisch dis-ziplinierender und zugleich symbolischer Kraft. Lan-ge Zeit war die Gemeinschaftswährung ein Magnet der europäischen Integration. Die Anziehungskräfte

„Von einer dauerhaft stabilen Wirtschafts­ und Währungsunion werden wir alle

profitieren. Sie wird (...) letztlich unseren Wohlstand hier in Europa sichern.“

Jens Weidmann, 2018

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Weiterführende LiteraturMarsh, David 2009: Der Euro. Hamburg. Rödder, Andreas 2014: Wunschkind Euro. In: Fazit – das Wirtschaft sblog vom 12.1.2014 (blogs.faz.net/ – Zugriff vom 9.3.2018).Weidmann, Jens 2012: Der Euro verlangt eine Stabilitätsunion. In: Süddeutsche Zeitung vom 26.6.2012.

HINWEISE FÜR DEN UNTERRICHT

Für die Unterrichtsbehandlung der Bedeutung des Euro für den europäischen Integrationspro-zess bietet sich die Arbeit mit einer Zeitleiste an. Unterscheiden Sie bei der Zeitleiste zwischen politischen und wirtschaft lichen Integrationsschritten. Die Klasse kann anschlie-ßend die Meilensteine vor dem Hintergrund diskutieren, ob sie zu mehr oder weniger politischer oder wirtschaft licher Integration geführt haben.

VORSCHLAG: Weitere anregende Fragestel-lungen zur grundlegenden Diskussion können lauten:Was sind die Vor- und Nachteile einer gemein-samen Währung? Sollte ein Land den Euro verlassen dürfen? Wie können und sollten weitere Schritte der europäischen Integration aussehen?

Möglich ist auch eine Fishbowl-Diskussion zur Frage „Die Einführung einer Fiskalunion – Mehr europäische Solidarität oder Gefähr-dung der Eurozone?“ Mit diesem Verfahrenwird die Interaktion der Gruppe aktiviert, indemGruppensprecher_innen nicht frontal vor derGruppe vortragen, sondern die Ergebnisse ineinem Innenkreis vorstellen.

→ Eine vorbereitete Fishbowl-Diskussion fi ndenSie im WOCHENSCHAU-Themenheft „EU II:Wirtschaft und Soziales“ (Heft -Nr. 2517). Einevorbereitete Talkshow zur Frage „Ist der EuroEuropas Zukunft “? bietet das WOCHENSCHAU-Basisheft „Wirtschaft “ (Heft -Nr. 12317).

e rlahmten nach Bestehen der Konvergenzprüfung jedoch erheblich. Seitdem fehlt das einigende Ziel ei-ner greifbaren höheren Integrationsstufe, zumal sich auch in vielen Bevölkerungen zunehmend Skepsis mit Blick auf weitere Integrationsschritte breitmacht.Die Gemeinscha� swährung mit dem Eurosystem als tragender Institution ist dennoch ein Anker für seine Mitgliedstaaten, weil die Kosten des Austritts enorm hoch sind. Der Euro bindet die Mitgliedstaaten so en-ger an die Europäische Union. Der „Grexit“ (in der Ö� entlichkeit diskutierter Austritt Griechenlands aus der Währungsunion) fand nicht statt, der „Brexit“ (Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europä-ischen Union) hingegen ist beschlossen. Gerade in Krisenzeiten wächst für die Länder des Euroraums auch der Druck für Reformen und weitere Integra-tionsschritte, ersichtlich am Beispiel der Europäischen Bankenunion.In den letzten Jahrzehnten vollzog sich Europas Inte-gration keineswegs immer geradlinig. Die Währungs-union hatte in diesem Prozess die Rolle eines Motors eingenommen. Dieses Kapitel im Buch über Europas Zusammenwachsen ist geschrieben. Die Seiten über die weitere integrationspolitische Perspektive Euro-pas sind hingegen noch zu füllen.

Literaturverzeichnis Bernholz, Peter 1998: Die Bundesbank und die Währungsintegrati-on in Europa. In: Deutsche Bundesbank (Hg.): Fünfzig Jahre Deut-sche Mark: Notenbank und Währung in Deutschland seit 1948. München. Danescu, Elena 2016: Neubewertung des Werner-Berichts vom 8. Oktober 1970 im Zuge der Ö� nung der Pierre-Werner-Familienar-chive (cvce.eu/de) Zugri� vom 9.3.2018.Deutsche Bundesbank 2017: Zur Ausgestaltung und Umsetzung der europäischen Fiskalregeln. Monatsbericht Juni 2017, S. 29 – 45.Directorate-General for Economic and Financial A� airs 2005: To-wards economic and monetary union (EMU). A chronology of major decisions, recommendations or declarations in this fi eld. Occasional Paper Nr. 13. Brüssel.Europäische Kommission 2018. AMECO-Datenbank. Datenstand Mai 2018.Europäisches Währungsinstitut 1998: Konvergenzbericht. Nach Ar-tikel 109j des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemein-scha� vorgeschriebener Bericht. Frankfurt am Main.Europäische Zentralbank 2018: Infl ation Dashboard (ecb.europa.eu) Zugri� vom 9.3.2018.Konrad-Adenauer-Sti� ung e.V./Archiv für Christlich-Demokratische Politik 2013: Konrad Adenauer und die Europäische Integration. Be-gleithe� zur Ausstellung (konrad-adenauer.de) Zugri� vom 3.5.2018.Lord Ralf Dahrendorf im „Spiegel-Gespräch“ 1995: „Alle Eier in ei-nen Korb“. In: Der Spiegel Nr. 50/1995, S. 27 – 33.Weidmann, Jens 2018: Gibt es ein Patentrezept für eine stabilere Währungsunion? Rede in Linz am 5.7.2018.

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Das Eurosystem als gemeinsamer Rahmen für den Euro

Schon recht früh begann in Europa die Idee für eine gemeinsame Währung zu reifen. Bis zur tatsächli-chen Umsetzung war es allerdings ein langer Weg. Vom ersten Vorschlag (vgl. hierzu auch den Beitrag „Der Euro als Motor der europäischen Integration?“) bis hin zur Einführung des Euro als Buchgeld im Jahr 1999 vergingen fast 30 Jahre. In 2002 folgte dann die Ausgabe des Euro-Bargelds. Dadurch wurde die gemeinsame Währung erstmals konkret „greifbar“. Mittlerweile nutzen rund 340 Millionen Menschen in 19 Ländern den Euro.Mit der Einführung der Gemeinschaftswährung ging die Verantwortung für die Geldpolitik im Euroraum auf das Eurosystem über. Dieses besteht aus der EZB und den nationalen Zentralbanken der Euro-Mit-gliedsländer. Es umfasst neben der Bundesbank so-mit z. B. auch die Banque de France, De Nederland-sche Bank und die Banca d‘Italia. Das Eurosystem ist nicht zu verwechseln mit dem Europäischen System der Zentralbanken (ESZB). In diesem sind neben dem Eurosystem auch alle nationalen Zentralbanken der Nicht-Euro-Länder der Europäischen Union (EU) vertreten.Grundsätzlich sollen alle Länder der EU den Euro einführen. Von dieser Regel sind nur Dänemark und Großbritannien ausgenommen. Aktuell hat der Er-weiterungsprozess der Währungsunion allerdings an Dynamik verloren. Neben der teils fehlenden Bei-

trittsreife potenzieller Kandidaten dürfte das auch an den Erfahrungen aus der europäischen Staats-schuldenkrise liegen. Ein Verzicht auf die eigene Währung scheint vor diesem Hintergrund für einige Nicht-Euro-Länder weniger attraktiv zu sein, zumal eine gewisse Unsicherheit hinsichtlich anstehender struktureller Reformen der Wirtschafts- und Wäh-rungsunion besteht.

Entscheidungen trifft der EZB­Rat

Das wichtigste Gremium im Eurosystem ist der EZB-Rat. Er ist für die Mehrheit aller Entscheidungen zu-ständig, insbesondere aber für die Beschlüsse zur Geldpolitik. So bestimmt der EZB-Rat über die Höhe der Leitzinssätze oder beschließt den Einsatz weiterer geldpolitischer Instrumente. Vorrangiges Ziel der

Geldpolitik ist es, Preisstabilität zu gewährleisten. Ge-bildet wird der EZB-Rat aus dem EZB-Präsidenten, den weiteren Mitgliedern des EZB-Direktoriums so-wie den Präsident_innen der nationalen Zentralban-ken der Euro-Länder – also auch dem Bundesbank-präsidenten.Die Mitglieder des EZB-Rats üben ihr Stimmrecht ad personem aus. Sie vertreten also nicht die Interessen

Das Eurosystem und die Rolle der Bundesbank darin

Markus Altmann

hat einen Master-Abschluss in Volks-

wirtschaftslehre und trat im Jahr 2006 in die Bundesbank ein.

Seit 2015 ist er für die ökonomische Bildung

der Bundesbank in Sachsen und Thürin-

gen zuständig.

Die Einführung des Euro im Jahr 1999 brachte weitreichende Veränderungen für Verbraucher_innen, Unternehmen und nicht zuletzt für die nationalen Zentralbanken mit sich. Aus der Alleinverantwortung der Bundesbank für die Stabilität der D-Mark wurde eine Mitverantwortung für die Stabilität des Euro. Dieser Artikel beschreibt das Zusammenspiel der nationalen Zentralbanken (NZBen) der Euro-Länder und der Europäischen Zentralbank (EZB) innerhalb des Eurosystems. Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen grundlegende Entscheidungsprozesse und wichtige Prinzipien. Eine Darstellung der Aufgaben der Bundes-bank, sowohl im Kontext der Währungsunion als auch in der Rolle als deutsche Zentralbank, rundet die Ausführungen ab.

Die Mitglieder des EZB­Rats vertreten nicht die Interessen ihres Heimatlandes,

sondern stimmen im Sinne des gesamten Währungsraums ab.

Markus Altmann

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41DA S E U R O S Y S T E M U N D D I E R O L L E D E R B U N D E S B A N K

ihres Heimatlandes, sondern sollen als unabhängige Fachleute im Sinne des gesamten Währungsraums abstimmen. Ein Großteil der Entscheidungen wird nach dem Prinzip „one member, one vote“ getroff en. Demnach hat die Stimme des Bundesbankpräsiden-ten genau das gleiche Gewicht wie z. B. das Votum des maltesischen Zentralbankpräsidenten. Auch in diesem Prinzip kommt die gemeinschaft liche Verant-wortung der Mitglieder des EZB-Rats für das Handeln des Eurosystems zum Ausdruck.Eine Änderung im Abstimmungsmodus ergab sich im Jahr 2015 mit dem Beitritt Litauens zur Währungs-union. Mit nunmehr 19 Mitgliedsländern wurde die Stimmabgabe auf ein Rotationsverfahren mit zwei Gruppen umgestellt. Danach teilen sich die fünf größten nationalen Zentralbanken vier Stimmen. Auf die übrigen 14 entfallen elf Stimmen. Die Mitglieder des Direktoriums behalten ihr Stimmrecht. Aufgrund dieser Regelung sind einige Präsident_innen der nati-onalen Zentralbanken zeitweise nicht an den Ent-scheidungen im EZB-Rat beteiligt. Die Bundesbank gehört zu den fünf größten nationalen Zentralban-ken. Sie setzt alle fünf Monate bei der Stimmenabga-be aus. Davon unberührt nehmen alle Zentralbank-präsident_innen an den EZB-Ratssitzungen teil und besitzen ein Rederecht. Anfangs wurde befürchtet, dass kontroverse Entscheidungen in Sitzungen ge-troff en würden, bei denen die größten Kritiker_innen über kein Stimmrecht verfügen. Diese Befürchtung hat sich in der Realität nicht bestätigt.Einzig die Entscheidungen über das EZB-Kapital, zur Gewinnverteilung und zu den Währungsreserven werden nach dem sog. Kapitalanteil und ohne Betei-ligung des Direktoriums getroff en. Als Kapitalanteil wird der voll eingezahlte Anteil jedes Mitgliedslandes am Grundkapital der EZB bezeichnet. Je mehr Men-

schen in einem Land leben und je höher die Wirt-schaft skraft dieses Landes ist, desto größer ist der Kapitalanteil. Aufgrund dieser Abgrenzung verfügt die Bundesbank mit ca. 25,6 Prozent über den größ-ten Kapitalanteil an der EZB.

Wer leitet die EZB?

An der Spitze der EZB steht das Direktorium. Es ist ver-gleichbar mit dem Vorstand eines Unternehmens. Das EZB-Direktorium führt die laufenden Geschäft e und vertritt die EZB nach außen. Darüber hinaus legt es die Tagesordnung für die Sitzungen des EZB-Rats fest und bereitet diese Treff en vor. Das Direktorium besteht aus dem EZB-Präsidenten, einem Vizepräsidenten und vier weiteren Mitgliedern. Ernannt werden die Mitglieder des Direktoriums durch den Europäischen Rat mit qua-lifi zierter Mehrheit. Ihre Amtszeit ist auf acht Jahre begrenzt, eine erneute Kandidatur ist ausgeschlossen. Hierdurch soll sichergestellt werden, dass die Direktori-umsmitglieder ihre Amtsführung nur an den Interes-sen der gemeinsamen Währung ausrichten und sich nicht vom persönlichen Bestreben einer Wiederernen-nung leiten lassen.

Unabhängigkeit und Dezentralität –zwei Grundpfeiler des Eurosystems

Die Unabhängigkeit der EZB ist von zentraler Bedeu-tung für das Eurosystem. Im Kern steht dabei die Un-abhängigkeit des EZB-Rats von politischen Weisun-gen (institutionelle Unabhängigkeit). Hinzu kommen die personelle, die funktionelle und die fi nanzielle Unabhängigkeit. Gerade die Erfahrungen der Vergan-genheit haben gezeigt: Politisch unabhängige Noten-

Europäisches System der Zentralbanken

I Quelle: Deutsche Bundesbank I

Eurosystem

Europäische Zentralbank (EZB)

– der Teilnehmerländer amEuro-Währungsgebiet

– der Nicht-Teilnehmerländeram Euro-Währungsgebiet

Nationale Zentralbanken (NZBen)

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banken sind besser in der Lage, Preisstabilität zu ge-währleisten, als weisungsabhängige Notenbanken.Wegen dieser umfassenden Unabhängigkeit sieht sich die EZB aber teilweise mit dem Vorwurf kon-frontiert, ohne entsprechende demokratische Legi-timation zu agieren. Speziell in Zeiten der Niedrig-zinspolitik und des umfangreichen Ankaufs von Staatsanleihen werden von einigen Kritiker_innen stärkere Kontrollmechanismen gefordert. Im Inter-esse der Preisstabilität lautet die Antwort auf diese Kritik aber nicht, die Unabhängigkeit einzuschrän-ken. Stattdessen muss die Antwort lauten: Das Eu-rosystem legt ihr gesetzliches Mandat eng aus und unterlässt alle Maßnahmen, die sich im Graubereich des Mandats befi nden.Ein weiterer bedeutsamer Grundsatz des Eurosys-tems ist das Dezentralitätsprinzip. Es regelt die Auf-gabenverteilung zwischen EZB und nationalen Zent-ralbanken. Mit der Einführung des Euro gingen geld- und währungspolitische Kompetenzen von den

nationalen Zentralbanken auf das Eurosystem über. Ist es allerdings möglich und sachgerecht, so sollen die nationalen Zentralbanken die dem Eurosystem übertragenen Geschäft e durchführen. Lediglich zent-rale Aufgaben sind auf gemeinschaft licher Ebene durch die EZB wahrzunehmen. Ein Blick auf die Geld-

politik verdeutlicht diese Aufgabenverteilung. Wäh-rend der EZB-Rat die geldpolitische Ausrichtung für den Euroraum festlegt, setzt die Bundesbank die geldpolitischen Beschlüsse in Deutschland um. In die-sem Zusammenhang sorgt sie z. B. dafür, dass die deutschen Banken Zugang zu Zentralbankgeld ha-ben. Seine Rechtfertigung fi ndet die Aufgabenvertei-lung in der föderalen Struktur des Eurosystems. Zu-dem sprechen praktische Gründe wie beispielsweise die Kenntnis der jeweiligen Landessprache oder das

Während der EZB­Rat die geldpolitische Ausrichtung für den Euroraum festlegt,

setzt die Bundesbank diese geldpolitischen Beschlüsse in Deutschland um.

Politisch abhängige Notenbanken sind in der Geschichte immer wieder dazu herangezogen worden, die Ausgaben ihres Staates durch Geld-drucken zu fi nanzieren. So hat die Weimarer Republik nach dem Ersten Weltkrieg als Konse-quenz einer exzessiven monetären Staatsfi nan-zierung im Jahr 1923 eine Hyperinfl ation erlebt. Diese hat sich tief ins kollektive Gedächtnis der Deutschen eingebrannt. Doch muss man gar nicht so weit in die Vergangenheit blicken. Auch ein Beispiel aus der jüngeren Geschichte zeigt die schädlichen Folgen monetärer Staatsfi nan-zierung. Die Banca d’Italia musste von 1975 bis 1981 italienische Staatsanleihen kaufen. Im Zuge dessen stieg die Infl ationsrate in Italien zeitweise auf über 20 Prozent. Zur selben Zeit belief sich die Teuerungsrate in Deutschland auf etwa 5 Prozent.

MONETÄRE STAATS-FINANZIERUNG MIT FOLGEN

Der EZB-Rat entscheidet im Rotationsverfahren

2. Gruppe11 rotierende

Stimm rechte für die „anderen“ Länder

1. Gruppe4 rotierende Stimm-rechte für die5 „größten“ Länder

EZB-Direktorium6 dauerhaft e Stimmrechte

Insgesamt21

Stimmrechte

Beispiel mit 20 Mitgliedstaaten

I Quelle: Deutsche Bundesbank I

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43DA S E U R O S Y S T E M U N D D I E R O L L E D E R B U N D E S B A N K

institutionelle Wissen um die nationalen Finanzmärk-te für das Dezentralitätsprinzip.

Die Kerngeschäft sfelder der Deutschen Bundesbank

Das Dezentralitätsprinzip spannt den Bogen zur kon-kreten Rolle der Bundesbank. Zusätzlich zu ihren Auf-gaben im Rahmen des Eurosystems erfüllt sie als Zen-tralbank Deutschlands nationale Aufgaben. Insge-samt ergeben sich daraus fünf Kerngeschäft sfelder: die Geldpolitik, das Finanz- und Währungssystem, die Bankenaufsicht, das Bargeld und der unbare Zah-lungsverkehr.Die geldpolitischen Entscheidungen stehen hierbei zweifellos im Zentrum des Zentralbankhandelns. Daher ist die Geldpolitik weiterhin das zentrale Ge-schäft sfeld der Bundesbank – nicht trotz, sondern gerade wegen der gemeinsamen Verantwortung der Zentralbanken des Eurosystems für die Stabilität des Euro. Eine eigenständige sowie qualitativ hoch-wertige Analyse gesamtwirtschaft licher und mone-tärer Zusammenhänge ist für die Bundesbank un-abdingbare Voraussetzung, damit ihr Präsident an den Diskussionen und Entscheidungen im EZB-Rat angemessen mitwirken kann.Wie bereits erwähnt, gehört zu den Aufgaben der Bundesbank ebenso die operative Umsetzung der geldpolitischen Beschlüsse. Dazu zählt neben der Ab-wicklung der Refi nanzierungsgeschäft e seit 2015 auch die Durchführung der Anleihekäufe im Rahmen der quantitativen Lockerung (Quantitative Easing –

QE, vgl. hierzu auch den Beitrag „Die Politik der ‚quantitativen Lockerung‘“). Zudem ist die Bundes-bank für die Kommunikation der gemeinschaft lichen Geldpolitik in Deutschland verantwortlich. In diesem Zusammenhang bietet sie neben vielfältigen Ver-anstaltungen und Vorträgen ein umfangreiches An-gebot an Materialien in der ökonomischen Bildung an. Insbesondere Lehrkräft en und jüngeren Bevölke-rungsgruppen sollen so aktuelle geldpolitische Ent-wicklungen zugänglich gemacht und das Bewusstsein für den Wert stabilen Geldes geschaff en werden.Stabilitätsorientierung ist nicht nur in der Geldpolitik von großer Bedeutung. Nur ein stabiles und funktio-nierendes Finanz- und Währungssystem kann die ihm zugedachten volkswirtschaft lichen Funktionen

erfüllen. Ein mahnendes Beispiel für die Auswirkun-gen von Störungen im Finanzsystem liefert die letzte globale Finanzkrise. Um solche Fehlentwicklungen frühzeitig erkennen und geeignete Gegenmaß-nahmen ergreifen zu können, analysiert die Bundes-bank fortlaufend die Entwicklungen im Finanz- und Währungssystem. Im Fokus steht dabei eine ganz-heitliche Betrachtung. Demnach werden vor allem generelle Marktentwicklungen und ihre Auswirkungen

Kerngeschäftsfelder der Deutschen Bundesbank

Die Geldpolitik ist weiterhin das zentrale Geschäft sfeld der Bundesbank – nicht trotz, sondern gerade wegen der gemeinsamen

Verantwortung der Zentralbanken des Eurosystems für die Stabilität der gemein­

samen Währung.

I Quelle: Deutsche Bundesbank I

Kommunikation, Forschung, Statistik,internationale Kooperation, wirtschaft spolitische Analyse

Finanz- und Währungs-

system

Banken-aufsicht Geldpolitik Bargeld

Unbarer Zahlungs-verkehr

Deutsche BundesbankStabilität sichern

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44 G E L D U N D G E L D P O L I T I KW O C H E N S C H AU S E K . I + II

auf eine Vielzahl von Akteuren im Finanzsektor un-tersucht. Wegen der übergeordneten Perspektive wird diese Art der Aufsicht auch makroprudenzieller Ansatz genannt. Die Ergebnisse ihrer Untersuchun-gen veröff entlicht die Bundesbank einmal jährlich in ihrem Finanzstabilitätsbericht. Außerdem bringt sie ihre Expertise in verschiedene nationale und interna-tionale Gremien ein.Ein wichtiger Bestandteil des Finanzsystems sind Ban-ken. Angesichts der großen Bedeutung müssen sie besondere Gesetze und Regeln befolgen. Im Vorder-grund der Bankenregulierung steht die Stabilität der einzelnen Institute. Dieser Ansatz wird als mikropru-denzielle Aufsicht bezeichnet. Die Einhaltung der Vorgaben wird in Deutschland durch die Bundes-bank, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs-aufsicht (BaFin) und die EZB überwacht. Im Rahmen ihres Kerngeschäft sfeldes Bankenaufsicht führt die Bundesbank die laufende Kontrolle der Banken durch und prüft ihre Geschäft stätigkeit vor Ort. Die BaFin ist hauptsächlich für die hoheitliche Durchsetzung der Regeln verantwortlich. Seit 2014 beaufsichtigt die EZB die systemrelevanten Banken im Euroraum. Dazu gehören auch große deutsche Institute. Damit trägt die Bankenaufsicht der zunehmenden Internati-onalisierung dieser Banken Rechnung. Hier ist die Bundesbank im Rahmen internationaler Prüfungs-teams aber weiterhin an der Aufsicht beteiligt.Außerdem ist die Bundesbank für den reibungslosen Ablauf des baren und unbaren Zahlungsverkehrs in Deutschland verantwortlich. Ohne einen funktionie-renden Zahlungsverkehr wäre der effi ziente Aus-tausch von Gütern und Dienstleistungen nicht denk-bar. Denn praktisch jede wirtschaft liche Transaktion ist mit der Durchführung einer Zahlung verbunden. Über den Betrieb und die Überwachung von Zah-lungsverkehrssystemen kommt die Bundesbank ih-rem gesetzlich verankerten Sorgeauft rag für den un-baren Zahlungsverkehr nach. Dafür arbeitet sie eng mit der EZB und den anderen nationalen Zentralban-ken des Eurosystems zusammen. Gemeinsam betrei-ben sie auch die TARGET2-Plattform. Dieses Großbe-tragszahlungssystem für eilbedürft ige Individualzah-lungen dient zudem der Abwicklung der geld po liti-schen Geschäft e.Das Vertrauen in den Euro wird aber nicht nur durch den unbaren Zahlungsverkehr sichergestellt. Es be-ginnt vielmehr beim Bargeld. Während die EZB ge-meinsam mit den nationalen Zentralbanken das Banknotendesign und die Sicherheitsmerkmale des Euro-Bargelds festlegt, sorgt die Bundesbank für eine hohe Qualität der umlaufenden Banknoten und

Münzen in Deutschland. Über ihre Filialen verteilt sie das Bargeld an den Handel und die Banken, zieht Falschgeld aus dem Verkehr und ersetzt beschädigte Scheine und Münzen. Auch hier kommt somit das Dezentralitätsprinzip zur Anwendung. Da die EZB über keine eigenen Filialen verfügt, obliegen die ope-rativen Aufgaben im Bargeldbereich den nationalen Zentralbanken.

LiteraturverzeichnisDeutsche Bundesbank 2016: Notenbank für Deutschland. Frankfurt am Main.Deutsche Bundesbank 2017: Geld und Geldpolitik. Frankfurt am Main.Europäische Zentralbank 2011: Durchführung der Geldpolitik im Euro-Währungsgebiet. Frankfurt am Main.Görgens, Egon/Ruckriegel, Karlheinz/Seitz, Franz 2014: Europä-ische Geldpolitik: Theorie – Empirie – Praxis. Konstanz/München.

HINWEISE FÜR DEN UNTERRICHT

Wenn von den geldpolitischen Entscheidungen im Euroraum die Rede ist, wird fast immer von den Beschlüssen der EZB gesprochen. Dabei ist es nicht die EZB, sondern der EZB-Rat, der diese Entscheidungen trifft . Im EZB-Rat sind sowohl die Präsident_innen der nationalen Zentralban-ken der Euro-Länder als auch das EZB-Direktori-um vertreten. Denn ähnlich wie die Europäische Union ist das Eurosystem – der Verbund aus den nationalen Zentralbanken der Euro-Länder und der EZB – dezentral aufgebaut. Die dezentrale Struktur wirkt sich auch auf die Aufgabenverteilung aus. So unterhält die EZB z. B. keine eigenen Filialen zur Bargeldbearbei-tung. Diese Aufgabe kommt vielmehr den nationalen Zentralbanken zu, in Deutschland also der Bundesbank. Das Wissen um den institutionellen Aufbau des Eurosystems bildet die Grundlage für den Einstieg in die Thematik Geldpolitik.

VORSCHLAG: Im Unterricht kann dieses Wissen über die Erstellung eines Steckbriefs der EZB erarbeitet werden. Daraufhin können die Schüler_innen die EZB mit anderen ihnen bekannten Institutionen der EU oder auch ande-ren Zentralbanken vergleichen. Ein verglei-chender Gesichtspunkt kann beispielsweise ihre demokratische Legitimation sein (vgl. den Beitrag „Die Unabhängigkeit der Geldpolitik von demokratisch gewählten Regierungen“). ©

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Das Angebot zur ökonomischen BildungWas ist Geld? Wie kommt es in die Wirtschaft?

Welche Rolle spielen Banken und Zentralbanken dabei?

Die Deutsche Bundesbank bietet Schulen ein kostenloses Angebot

rund um die Themen Geld, Währung und Zentralbank:

– Materialien für den Schulunterricht für alle Schulstufen

– Vorträge für Schulklassen

– Lehrerfortbildung

– umfangreiches Angebot im Internet

– Workshops und Führungen im Geldmuseum

(www.geldmuseum.de)

www.bundesbank.de/bildung | [email protected]

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46 G E L D U N D G E L D P O L I T I KW O C H E N S C H AU S E K . I + II

Julia von Borstel

ist Diplom-Volkswirtin. Sie studierte an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. 2004 trat sie in die

Bundesbank ein und ist seit 2015 im Stab

des Präsidenten, Hauptverwaltung in Bremen, Niedersach-

sen und Sachsen-Anhalt.

Dirk Gerlach

ist Diplom-Volkswirt. Er studierte an der Philipps-Universität

Marburg und trat 1994 in die Bundes-

bank ein. Seit 2002 ist auch er im Stab des

Präsidenten, Hauptver-waltung in Bremen, Niedersachsen und

Sachsen-Anhalt.

Infl ation, Defl ation und Co. – Abgrenzungen

Ein Viertel der Deutschen weiß mit dem Begriff „Infl a-tion“ nichts anzufangen, so das Ergebnis einer jün-geren Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung (vgl. GfK 20171). Dies ist nicht nur für die Geldpolitik eine Herausforderung, sondern deutet auch darauf hin, dass jedem Vierten grundlegende Kenntnisse fehlen, um in fi nanziellen Dingen kompetent selbst entscheiden zu können.Erschwerend kommt hinzu, dass Begriff e wie Infl ation, Defl ation und Infl ationsrate oft uneinheitlich und unpräzise verwendet werden. Daher hier zunächst zur Klarstellung: Als Infl ation (von lat. infl atio „Schwel-lung“, „Anschwellen“) wird ein anhaltender Anstieg des Preisniveaus bezeichnet, dabei erfasst die Infl ati-

onsrate den prozentualen Anstieg des Preisniveaus zwischen zwei Zeitpunkten. Einen anhaltenden Rück-gang des Preisniveaus nennt man hingegen Defl ation. Nimmt die Infl ationsrate für einige Zeit kontinuierlich ab, bleibt aber positiv, wird von abnehmender Infl ation oder Disinfl ation gesprochen.Wichtig ist, zwischen Veränderungen der relativen Preise und des Preisniveaus zu unterscheiden. In einer Marktwirtschaft signalisieren Preise die relative Knapp-heit eines Gutes; Änderungen der relativen Preise, also des Verhältnisses der Güterpreise zueinander, sind daher ein zentrales Element der marktwirtschaft lichen Koordination. Preisanstiege einzelner Güter bewirken im Normalfall, dass von diesen mehr produziert und weniger konsumiert wird. Ändern sich hingegen alle Preise in eine Richtung, verschiebt sich also das allge-meine Preisniveau, beeinträchtigt dies die Signalfunk-tion der Preise. Dadurch werden die Ressourcen der

Wie wird Infl ation gemessen? Inflationsraten sind volkswirtschaftlich bedeutende Indikatoren, die die Entwicklung des Geldwerts und der Kaufkraft beschreiben. Sie spielen beispielsweise bei Lohnverhandlungen eine Rolle und damit auch für Renten- oder Sozialhilfeanpassungen, bisweilen auch bei Mieterhöhungen. Für die Geldpolitik sind sie meist die zentrale Zielgröße. Aber wie wird eigentlich Inflation gemessen? Was versteckt sich hinter dem Konzept eines Verbraucherpreisindex, hinter Warenkorb und Wägungsschema, und wer ist für die Mes-sung zuständig? Der folgende Artikel erläutert die Inflationsmessung in Deutschland. Thematische Anknüpfungspunkte im Unterricht ergeben sich dabei insbesondere bei der Darstellung des Preismecha-nismus, der Behandlung des wirtschaftspolitischen Zielsystems und der Geldpolitik.

Julia von Borstel, Dirk Gerlach

(Real-)Lohnentwicklung und Inflation

Für Lohnverhandlungen sind Inflationsraten ein wichtiger Faktor, da erst der „Reallohn“, der die Inflation miteinbezieht, Auskunft über den tat-sächlichen Zugewinn oder Verlust an Kaufkraft gibt.

-2,0

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2008 200920092009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018

Verä

nder

ung

zum

Vor

jahr

esze

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in %

Reallohnindex Nominallohnindex Verbraucherpreisindex

I Quelle: Statistisches Bundesamt. © WOCHENSCHAU Verlag I

© Wochenschau Verlag, Frankfurt/M.

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47W I E W I R D I N F L AT I O N G E M E S S E N ?

Volkswirtschaft möglicherweise nicht optimal auf die Produktion der einzelnen Güter aufgeteilt und es ent-stehen gesamtwirtschaft liche Kosten.Bereits die Messung der Preisentwicklung bringt – jenseits der ökonomischen Debatte um stabile Preise als wirt-schaft spolitisches Ziel – einige Schwierigkeiten mit sich. Was ist zu messen und wie genau kann dies erfolgen?

Infl ationsmessung – Warenkorb, Wägungsschema und Preisindex

Aufgrund der Vielzahl von Gütern in einer Volkswirt-schaft kann die Ermittlung der Infl ation nur näherungs-weise gelingen. In der Regel wird hierzu auf die Berech-nung eines Preisindex anhand einer am durchschnittli-chen Ausgabeverhalten aller Verbraucher_innen gemessenen, repräsentativen Auswahl von Gütern zurückgegriff en, dem sog. Warenkorb (vgl. Clement et al. 2013; Frenkel et al. 2003 und 2016). In Deutschland ist das Statistische Bundesamt für die Preisstatistik und damit die Ermittlung der Infl ationsrate verantwortlich. Es beobachtet für den geläufi gsten Preis-index, den Verbraucherpreisindex (VPI), monatlich die Preise von mehr als 600 Güterarten – von Akkuschrau-bern über frische Brötchen, Herrenhemden und Kino-

besuchen bis hin zur Zulassung für Kraft fahrzeuge.2 Für die Gruppe der Nahrungsmittel sind exemplarisch die einzelnen Güterarten in der Tabelle „Verbraucherpreise für Nahrungsmittel“ dargestellt. Die Preise der jeweiligen Güter werden dabei entweder per Stichprobe in ein-zelnen Geschäft en oder aber zentral ermittelt, beispiels-weise mithilfe des Internets oder auf Basis von Versand-hauskatalogen. Auf diese Weise werden mehr als 300.000 Einzelpreise durch die Statistiker_innen erfasst. Relevant sind jeweils die Anschaff ungspreise inklusive Mehrwert- und Verbrauchssteuern. Dabei ist absehbar, dass die bislang weitgehend manuelle Preiserfassung zukünft ig vermehrt digital erfolgen wird. So kommen etwa in Norwegen schon heute Scannerdaten aus dem Einzelhandel zum Einsatz, die es ermöglichen, deutlich mehr Transaktionsdaten als beim manuellen Ansatz zu berücksichtigen.

Zu einer einzigen Kennzahl zusammengefasst werden die unterschiedlichen Preisentwicklungen für all diese

Preisänderungen der Güter im Warenkorb werden vom Statistischen Bundesamt erfasst und mithilfe des Wägungsschemas zu einer

einzigen Kennzahl verdichtet.

Eine Gütergruppe im Detail: Verbraucherpreise für Nahrungsmittel

Gewichtung 2010

Veränderung

2016 gegenüber 2015

2016 gegenüber 2012

‰ %

90,52 +0.8 +7.2

Brot und Getreideerzeugnisse 17,35 +0.6 +5.8

Fleisch und Fleischwaren 20,76 +0.4 +4.3

Fisch und Fischwaren 3,65 +3.3 +10.4

Molkereiprodukte und Eier 14,33 -3.2 +3.5

  Molkereiprodukte 12,76 -4.4 +3.2

 Eier 1,57 +8.0 +6.4

Speisefette und Speiseöle 2,59 +2.1 +3.1

darunter:

  Butter 1,26 +2.9 +5.9

  Margarine 0,64 0.2 -4.8

Obst 8,76 +3.6 +16.4

Gemüse 11,26 +3.7 +11.9

Zucker, Marmelade, Honig und andere Süßwaren

7,54 +0.8 +8.0

Nahrungsmittel, anderweitig nicht genannt 4,28 +1.1 +4.7

I Quelle: Statistisches Bundesamt 2017a, S. 99 I

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48 G E L D U N D G E L D P O L I T I KW O C H E N S C H AU S E K . I + II

Güterarten mithilfe des „Wägungsschemas“. Dieses weist den Güterarten das Gewicht des durchschnittli-chen Ausgabeverhaltens der Konsumenten zu.3 Wäh-rend der Warenkorb laufend aktualisiert wird, wird das Wägungsschema selbst in der Regel nur alle fünf Jahre auf Basis der Einkommens- und Verbrauchsstich-probe angepasst. Ebenfalls durch das Statistische Bundesamt erhoben, beinhaltet diese unter anderem detaillierte Angaben zu den Konsumausgaben von etwa 60.000 privaten Haushalten in Deutschland. Das seit 2013 für den VPI angewandte Wägungsschema fi ndet sich in der Abbildung „Gewichtung verschie-dener Gütergruppen im VPI“.Sind die Veränderungen der Preise erhoben, wird der Gesamtwert der im Warenkorb befi ndlichen Waren im Basisjahr mit demjenigen im Berichtsjahr verglichen. Hierfür kommen grundsätzlich unterschiedliche Index-berechnungen infrage. Sie unterscheiden sich insbe-sondere darin, wie sie mit dem Problem umgehen, dass sich im Zeitablauf Mengenverschiebungen beim Kon-sumverhalten ergeben. Um diesen Faktor auszu-schalten, lässt sich entweder das Mengengerüst des Basisjahres (Laspeyres-Index) oder das des Berichts-jahres (Paasche-Index) zugrunde legen. Details zur Berechnung der geläufi gsten Indizes fi nden sich in dem Kasten auf der rechten Seite. In Deutschland wird für den Verbraucherpreisindex ein Preisindex nach Laspeyres berechnet. Speziell im Kontext der europäischen Integration bedeutsam ist auch die internationale Vergleichbarkeit der nationalen Preismessungen. Auf Basis der für den

nationalen VPI erhobenen Preisdaten wird vom Statis-tischen Bundesamt seit 1997 somit auch ein EU-weit weitgehend einheitlicher Verbraucherpreisindex, der harmonisierte Verbraucherpreisindex (HVPI), für Deutschland berechnet.4 Der deutsche HVPI geht dabei in den von der Europäischen Statistikbehörde Eurostat erhobenen HVPI für den Euroraum ein, der den zentralen Indikator zur Beurteilung der gesamt-wirtschaft lichen Preisentwicklung und damit die Ziel-größe der gemeinsamen europäischen Geldpolitik darstellt. Dabei berücksichtigen die europäischen Sta-tistiker_innen den Anteil der deutschen Konsumaus-gaben an denen des Euroraums insgesamt; die natio-nalen Daten fl ießen somit mit unterschiedlicher Gewichtung in den HVPI ein.

Herausforderungen für die Infl ationsmessung

Wirtschaft licher Wandel in der Produktion oder beim Vertrieb, aber auch Veränderungen der Präferenzen der Konsument_innen beinhalten naturgemäß Her-ausforderungen für die Preisstatistik. Die Infl ations-

Die Preismessung wird durch neue Produkte und geänderte Produktqualitäten erschwert. Daneben verändern sich auch die Konsum-

gewohnheiten der privaten Haushalte.

Gewichtung verschiedener Gütergruppen im Verbraucherpreisindex (VPI)

Wohnung, Wasser, Energie31,7%

Verkehr13,5%

Freizeit, Kultur,Unterhaltung11,5%

Nahrungsmittel, alkoholfreie Getränke10,3%

Andere Waren undDienstleistungen

7,0%

Einrichtungsgegenstände5,0%

Bekleidung, Schuhe4,5%

Hotel, Gastronomie4,5%

Gesundheit 4,4%

Alkoholische Getränke,Tabakwaren 3,7%

Nachrichtenübermittlung 3,0%Bildung 0,9%

I Quelle: Deutsche Bundesbank I

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49W I E W I R D I N F L AT I O N G E M E S S E N ?

rate kann mithilfe des oben geschilderten Verfahrens ohne größere Anpassungen nur berechnet werden, wenn die beobachteten Produkte im Zeitablauf unverändert und in gleicher Qualität vorliegen. Der technische Fortschritt führt jedoch dazu, dass viele Produkte stetig weiterentwickelt und neue erfunden werden. Daher kann man zahlreiche Dinge nach einer gewissen Zeit nicht mehr in ihrer ursprünglichen Form oder gar nicht mehr kaufen. Anders als das Wägungsschema wird daher der Warenkorb regel-mäßig angepasst.Ein methodisches Kernproblem ist die Bereinigung für den Fall, wenn sich die Produktmerkmale im Zeitablauf verändern. Die Statistiker_innen müssen dann zwi-schen der reinen Preiserhöhung aufgrund einer gestie-genen Knappheit oder allgemeinen Teuerung und derjenigen unterscheiden, die auf die verbesserte Produktgüte zurückgeht. Dazu wird der durch die

Qualitätsänderung hervorgerufene Preisunterschied abgeschätzt und – weil dieser ja keinen Kaufkraft ver-lust darstellt – bei der Berechnung des Verbraucher-preisindex herausgerechnet. Ohne die beschriebene Qualitätsbereinigung bei der Preismessung würden sich Verbesserungen der Güterqualität in den Preis-indizes voll niederschlagen.5

Eine Möglichkeit besteht darin, sog. hedo nische Ver-fahren zu nutzen, die die Preise als Funktion bestimmter Produktmerkmale schätzen. So wird bei-spielsweise ein Computer durch folgende Merkmale charakterisiert: Arbeitsspeicher, Prozessor und die Größe der Festplatte. Der Teil der Preisänderung im Vergleich zur Vorperiode, der nur die bessere Ausstat-tung refl ektiert, wird bei der Infl ationsberechnung herausgerechnet. Aktuell kommt diese Art der Quali-tätsbereinigung in Deutschland für PCs, Tablets und Gebrauchtwagen zum Einsatz.

Indizes fassen die Information einer Vielzahl von Variablen zu einer Kennzahl zusammen. Im Fall der Infl ationsberechnung wird hierfür der Wert aller Güter des Warenkorbs im Berichtsjahr mit dem Güterwert im Basisjahr verglichen. Hierfür kommen im Wesentlichen drei Preisindizes infrage: der Preisindex nach Étienne Laspeyres PL,t, nach Hermann Paasche PP,t oder ein Kettenindex (vgl. Frenkel et al. 2016).Gehen wir von n Gütern im Warenkorb aus, die so-wohl im Basisjahr b als auch im Berichtsjahr t in der Menge x zum Preis p erworben wurden, so ergibt sich der Index nach Laspeyres folgendermaßen:

(1)

Für den Preisindex nach Laspeyres werden die Prei-se von heute mit den Mengen des Basisjahres ge-wichtet und dem Wert des Warenkorbs im Basisjahr gegenübergestellt. Je weiter das Basisjahr in der Vergangenheit liegt, desto weniger spiegelt der Las-peyres-Index die aktuellen Konsumgewohnheiten wider und verliert entsprechend an Aussagekraft .

Anders ist es bei dem Preisindex nach Paasche. Er legt den jeweils aktuellen Warenkorb zugrunde:

(2)

(1) 𝑃𝑃𝐿𝐿,𝑡𝑡 =∑ 𝑝𝑝𝑖𝑖,𝑡𝑡𝑥𝑥𝑖𝑖,𝑏𝑏𝑛𝑛𝑖𝑖=1

∑ 𝑝𝑝𝑖𝑖,𝑏𝑏𝑥𝑥𝑖𝑖,𝑏𝑏𝑛𝑛𝑖𝑖=1

.

(2) 𝑃𝑃𝑃𝑃,𝑡𝑡 =∑ 𝑝𝑝𝑖𝑖,𝑡𝑡𝑥𝑥𝑖𝑖,𝑡𝑡𝑛𝑛𝑖𝑖=1

∑ 𝑝𝑝𝑖𝑖,𝑏𝑏𝑥𝑥𝑖𝑖,𝑡𝑡𝑛𝑛𝑖𝑖=1

.

(1) 𝑃𝑃𝐿𝐿,𝑡𝑡 =∑ 𝑝𝑝𝑖𝑖,𝑡𝑡𝑥𝑥𝑖𝑖,𝑏𝑏𝑛𝑛𝑖𝑖=1

∑ 𝑝𝑝𝑖𝑖,𝑏𝑏𝑥𝑥𝑖𝑖,𝑏𝑏𝑛𝑛𝑖𝑖=1

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(2) 𝑃𝑃𝑃𝑃,𝑡𝑡 =∑ 𝑝𝑝𝑖𝑖,𝑡𝑡𝑥𝑥𝑖𝑖,𝑡𝑡𝑛𝑛𝑖𝑖=1

∑ 𝑝𝑝𝑖𝑖,𝑏𝑏𝑥𝑥𝑖𝑖,𝑡𝑡𝑛𝑛𝑖𝑖=1

.

Bei der Verwendung eines Paasche-Index sind streng genommen die Werte der Indexreihe un-tereinander nicht vergleichbar, nur jeder einzelne Wert mit dem zugrunde liegenden Basisjahr. Des-halb hat sich zur Infl ationsberechnung in Deutsch-land der Laspeyres-Index durchgesetzt.

Eine weitere Möglichkeit besteht in der Ver-wendung eines Kettenindex, wie er in Deutsch-land beim Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) und in der Volkswirtschaft lichen Gesamt-rechnung (VGR) zur Anwendung kommt. Die Be-rechnung des Kettenindex erfolgt in zwei Schrit-ten: Zunächst wird ein Preisindex nach Laspeyres oder Paasche für jeden einzelnen Zeitpunkt zum je-weiligen Vorjahr berechnet. Anschließend werden in einem zweiten Schritt die Indizes „verkettet“.Hierfür wird der Wert im Basisjahr mit der Preis-änderung multipliziert, wobei das Basisjahr, in diesem Fall Referenzjahr genannt, typischerweise auf 100 normiert wird. Die daraus resultierenden Kettenindizes haben den Vorteil, dass sie jeweils aktuelle Konsumgewohnheiten zugrunde legen. Ein wesentlicher Nachteil besteht jedoch darin, dass einzelne Untergruppen des Index sich nicht zwangsweise zum Gesamtindex addieren müssen und der Index an dieser Stelle somit gewisse Inkon-sistenzen aufweist.

UNTERSCHIEDLICHE VERFAHREN ZUR INDEXBERECHNUNG

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50 G E L D U N D G E L D P O L I T I KW O C H E N S C H AU S E K . I + II

Eine weitere Herausforderung stellt die Qualitäts-bereinigung bei Produkten dar, die durch „schöpferi-sche Zerstörung“ gänzlich vom Markt verschwinden, wie beispielsweise der Kassettenrecorder, der durch den CD-Spieler ersetzt wurde. In einem solchen Fall müssen für die vorher im Warenkorb befi ndlichen Produkte Alternativen am Markt gesucht werden, die in etwa mit dem vorherigen Produkt vergleichbar sind. Dies kann nicht algorithmenbasiert geschehen, sondern erfordert ein fachkundiges Urteil der Statis-tiker_innen. Neben solchen Änderungen der Produktqualität und Güterpalette stellen überdies Veränderungen auf der Vertriebsebene die Preisstatistiker_innen vor Heraus-forderungen. So können insbesondere beim Kauf im Internet die Preise für unterschiedliche Handels-, Liefer- und Bezahlverfahren variieren und somit die Preisin-formation beeinträchtigen. Soweit möglich, werden auch diese Preisunterschiede mithilfe passender Berei-nigungsverfahren herausgerechnet (vgl. Statistisches Bundesamt 2017b, S. 5). Kein Messproblem im engeren Sinn, aber eine Deu-tungsfalle ergibt sich daraus, dass naturgemäß die von einzelnen Wirtschaft sakteuren wahrgenommene Preisentwicklung von der ausgewiesenen Teuerungs-rate abweichen kann („gefühlte Infl ation“). Dies war beispielsweise zum Zeitpunkt der Euro-Bargeldeinfüh-rung der Fall, als die Bevölkerungsmehrheit hohe Preis-steigerungen mutmaßte (Teuro-Debatte), während die amtliche Statistik das nicht erkennen ließ (vgl. Deut-

sche Bundesbank 2002). Da die persönlichen Konsum-muster in der Regel nicht dem durchschnittlichen Ausgabeverhalten entsprechen, das im Warenkorb abgebildet wird, können Preisanstiege einzelner Güter in der persönlichen Wahrnehmung überwiegen. Dies sagt jedoch nur wenig über den allgemeinen Preistrend aus.

Fazit: Wird „richtig“ bzw. „das Richtige“ gemessen?

Auf Basis etablierter Verfahren liefert die deutsche Preisstatistik vielfältige Informationen über die Preis-niveauentwicklung. Überzogene Ansprüche hinsicht-lich der Infl ationsmessung sind aber unangemessen: Die „wahre“ Infl ationsrate gibt es nicht. Die vorge-stellten Verfahren zur Infl ationsmessung mitsamt den Bereinigungen um Produkt- und Qualitätsunter-schiede können nur eine Annäherung an den tat-sächlichen Kaufkraft verlust privater Haushalte dar-stellen. Im Rahmen dieser Restriktionen lässt sich jedoch davon ausgehen, dass „richtig gemessen“ wird im Sinne von: möglichst korrekt (vgl. Europäi-sche Zentralbank 2014). Eine weitergehende Frage ist, inwieweit „das Richtige“ gemessen wird. Ob also die in der Regel im Vorder-grund stehenden Verbraucherpreisindizes wirtschaft s-politisch der beste Indikator für die Kaufkraft ent-wicklung bzw. die angemessenste Zielgröße für eine

Preisanstieg in der Eurozone

BelgienÖsterreich

Malta

EstlandLitauen

PortugalDeutschland

Finnland

Frankreich

Lettland

Niederlande

Griechenland

Luxemburg

Italien

Irland

Slowenien

Spanien

Slowakei

Zypern

07 09 11 13 1715

0

2,72,72,72,72,73

2

1

0

1,51,5

0,30,3

3,3

3,7 %

+ 2,2+ 2,2+ 2,2%

12248 Globus©

*HarmonisierterVerbraucherpreisindex (HVPI)

Anstieg 2017 gegenüber 2016 in ProzentVeränderung der Verbraucher-preise* jeweils gegenüber demVorjahr in Prozent

3,72,9

2,22,2

2,12,0

1,71,61,6

1,41,31,31,3

1,21,1

0,80,7

0,3

I Quelle: Eurostat I

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51W I E W I R D I N F L AT I O N G E M E S S E N ?

Notenbank sind. Andere Messgrößen werden in diesem Zusammenhang ebenfalls diskutiert bzw. bereits genutzt. Wegen der tendenziell „übertriebenen Signale“, die von besonders schwankungsanfälligen Preisen (z. B. für Energie und Nahrungsmittel) für die Geldpolitik ausgehen, wird deshalb die um stark schwankende Güterpreise bereinigte sog. Kernrate als ergänzende Infl ationskennziff er herangezogen. Aller-dings sind auch weitere Kernraten denkbar, die bei-spielsweise auch die Preisentwicklungen von Reisen und Bekleidung herausrechnen, da diese zuletzt eben-falls große Schwankungen aufwiesen (vgl. hierzu Deutsche Bundesbank 2017). Mit Blick auf unterschwellige Infl ationsrisiken rücken zudem z. B. Vermögenspreise ins Bild. Aktien- und Anleihenpreise werden allerdings bei allen hier darge-

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gezielter eingesetzt werden als die makroökonomisch wirkenden geldpolitischen Instrumente (sozusagen „Skalpell“ versus „Vorschlaghammer“).Neben der hier dargestellten Infl ationsmessung lassen sich insbesondere aus Finanzmarktpreisen (Termin-zinsen o. ä.) wesentliche Erkenntnisse über die zukünft ig erwartete Infl ation ermitteln. Entsprechende Kennzahlen sind für Zentralbanken vor dem Hinter-grund einer verzögerten Wirkungsweise geldpoliti-scher Maßnahmen ebenfalls von großer Bedeutung (vgl. Deutsche Bundesbank 2015).

Anmerkungen1 Ein ähnliches Bild zeichnet eine internationale Vergleichs-

studie zur fi nanziellen Allgemeinbildung von Erwachsenen (vgl. OECD 2017). Knapp 30 Prozent der teilnehmenden Deutschen verstanden nicht, wie Infl ation die Kaufkraft beeinfl usst. Im Quervergleich schneidet Deutschland mit diesem Wert noch gut ab.

2 Neben denjenigen für Verbraucher_innen beziehen sich andere Preisindizes auf die Ebene der Erzeuger_innen, des Groß - sowie des Außenhandels. Detailliert beschrieben werden alle Preisstatistiken des Statistischen Bundesamtes unter www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Gesamtwirt-schaft Umwelt/Preise/Preise.html

3 Im Unterschied hierzu misst der sog. Defl ator des Brutto-inlandprodukts (BIP-Defl ator) die Preisentwicklung aller im Inland produzierten Endgüter, nicht nur die der im Warenkorb berücksichtigten Güter; die ausgewiesenen Raten können mithin voneinander abweichen (z. B. hat eine Preiserhöhung bei Importgütern nur Auswirkungen auf den VPI, nicht aber den BIP-Defl ator).

4 Die Vorgehensweise unterscheidet sich nicht wesentlich vom VPI. Allerdings wird der HVPI als Kettenindex erhoben; ent-sprechend fi ndet eine jährliche Anpassung des Wägungssche-mas statt. Unterschiede im Warenkorb selbst ergeben sich z. B. aus der Vernachlässigung selbst genutzten Wohneigentums im HVPI, welches im VPI durch Mietäquivalente berücksichtigt wird, sowie der Kfz-Steuer und -zulassungsgebühren und der Ausgaben für Glücksspiele.

5 Frühere Studien, wie z. B. der sog. Boskin-Report von 1996 in den USA, stellten eine Überzeichnung der tatsächlichen Infl ation durch den offi ziell ausgewiesenen Wert fest (vgl. Gordon 2006); in Deutschland hatte der Preisindex für die Lebenshaltung die tatsächliche Infl ation zumindest leicht, nach manchen Schätzungen um bis zu einem ¾ Prozent-punkt pro Jahr zu hoch ausgewiesen (vgl. Hoff mann 1998). Ein verbesserter Umgang mit den verzerrenden Faktoren lässt mittlerweile von einem nur noch geringen Schätzfeh-ler ausgehen.

stellten Arten der Infl ationsmessung nicht berücksich-tigt. Auch Immobilienpreise fl ießen nur indirekt durch die Ausgaben für Mieten in den für die Geldpolitik des Eurosystems relevanten HVPI ein. Dennoch sind Ver-mögenspreise für die Geldpolitik nicht irrelevant. Soweit sich Vermögenspreisänderungen auf die Preis-aussichten auswirken, muss darauf reagiert werden. Ihre Entwicklung wird z. B. im Rahmen der Zwei-Säulen-Strategie des Eurosystems (vgl. den Beitrag „Die geldpolitische Strategie des Eurosystems“) genau analysiert, auch wenn sie nicht in der zentralen geld-politischen Zielgröße erfasst sind. Die Fokussierung des Eurosystems auf die Verbraucherpreise verdeut-licht die große Bedeutung, die der Erhalt der Kaufkraft privater Haushalte für die Geldpolitik hat.In welchem Maß die Geldpolitik Vermögenspreise berücksichtigen sollte, wird in Zentralbanken und der Wissenschaft bereits seit Längerem diskutiert. So fi ndet seit der Finanzkrise eine Politik des Gegensteu-erns („Leaning against the wind“) breitere Unterstüt-zung. Vor der Krise herrschte die Meinung vor, die Zentralbanken könnten gegen Übertreibungen auf den Vermögensmärkten geldpolitisch nicht adäquat vorgehen. Stattdessen seien sie erst nach dem Platzen einer Preisblase gefordert („Mop up“-Ansatz oder sog. „Greenspan-Put“). Mit den nach der Finanzkrise in vielen Ländern geschaff enen makroprudenziellen Instrumenten stehen Aufsichtsbehörden mittlerweile häufi g Möglichkeiten zur Verfügung, um frühzeitig Finanzkrisen entgegenzuwirken. Diese Instrumente umfassen sowohl Warnungen vor Übertreibungen, beispielsweise in Finanzstabilitätsberichten, als auch direkte Eingriff e in die Geschäft stätigkeit (z. B. Ober-grenzen für das Kreditvolumen-Immobilienwert- Verhältnis bei Wohnungsbaukrediten). Im Falle von Übertreibungen auf einzelnen Finanzmärkten oder Regionen können diese Maßnahmen in der Regel viel

„Warum schätzen Ökonom_innen die Infl ation bis auf ein Zehntelpro-zent genau?“

„Sie wollen zeigen, dass sie Humor haben!“ (Quelle: JokEc)

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53W I E W I R D I N F L AT I O N G E M E S S E N ?

Weiterführende LiteraturDuwendag, Dieter 2000: Geldwert und Infl ation. In: Hagen, Jürgen von/Stein, Johann Heinrich von (Hg.): Obst/Hintner. Geld-, Bank- und Börsenwesen. Handbuch des Finanzsys-tems. 40. Aufl age, Stuttgart, S. 107 – 110.Lippe, Peter von der 1996: Wirtschaft sstatistik. 5., völlig neubearb. u. erw. Aufl age. Stuttgart, S. 401 – 447. Winker, Peter 2017: Empirische Wirtschaft sfor-schung und Ökonometrie, 4. akt. u. erg. Aufl . Berlin, S. 50 – 61.

HINWEISE FÜR DEN UNTERRICHT

Der Beitrag enthält grundlegende Begriff serläu-terungen, die im Lehrplan sowohl in der Sekundarstufe I als auch der Sekundarstufe II wichtig sind, so z. B. relative Preise und Preisniveau. Auch verschiedene Vorgehenswei-sen und Probleme bei der Messung von Infl ation werden anschaulich dargelegt. Somit bietet er nicht nur eine Grundlage für das Themenfeld Geldpolitik, sondern ist darüber hinaus auch für das Politikfeld Sozialpolitik relevant.

VORSCHLAG: Im Unterricht lassen sich Lebensweltbezüge, bspw. zur Lohnentwick-lung, herstellen. Die Grafi k auf S. 46 dieses Beitrags stellt einen möglichen Ausgangspunkt zu einer entsprechenden Diskussion dar. Auch der Textauszug aus der Wirtschaft sWoche (S. 51), der sich auf das Statistische Bundesamt und die regelmäßigen Zahlen, die durch das Bundesamt bekannt gegeben werden, bezieht, eignet sich als Unterrichtsmaterial. Ferner können die vielen weiteren aktuellen Statistiken direkt im Unterricht eingesetzt werden.

→ Weiteres Unterrichtsmaterial für die Sekun-darstufe I fi ndet sich beispielsweise in HeinzJacobs (Hg.): Ökonomie im Schulalltag,Schwalbach/Ts. 2018. Kapitel 3 bietet modulari-sierte Unterrichtsbeispiele, die darauf abzielen,dass Schüler_innen selbsttätig Wirtschaft sent-scheidungen unter Einbeziehung von Preisän-derungen wahrnehmen und treff en. Damitkönnen sie sich auf ihre zukünft ige Rolle alsArbeitnehmer_in oder Arbeitgeber_in, Hausbe-sitzer_in oder Mieter_in vorbereiten. In denUnterrichtsbeispielen bestimmen die Schüler_in-nen ihren individuellen Warenkorb anhandeigener Kaufentscheidungen und vergleichenanschließend die eigenen Konsumausgaben mitden vorher statistisch ermittelten.

Literaturverzeichnis Clement, Reiner/Terlau, Wiltrud/Kiy, Manfred 2013: Angewandte Makroökonomie. Makroökonomie, Wirtscha� spolitik und nachhal-tige Entwicklung mit Fallbeispielen. 5. Aufl age, München, S. 304 – 313.Deutsche Bundesbank 2002: Die Verbraucherpreise beim Übergang von der DM auf den Euro. In: Deutsche Bundesbank: Monatsbericht Juli 2002, Frankfurt am Main, S. 15 – 24.Deutsche Bundesbank 2015: Infl ationserwartungen: Neuere Instru-mente, aktuelle Entwicklungen und wesentliche Einfl ussfaktoren. In: Deutsche Bundesbank: Monatsbericht Juni 2015, Frankfurt am Main, S. 45 – 60. Deutsche Bundesbank 2017: Zur Volatilität der klassischen Kernrate in Deutschland. In: Deutsche Bundesbank: Monatsbericht Novem-ber 2017. Frankfurt a, Main, S. 52 – 54.Europäische Zentralbank 2014: Verbraucherpreisindizes: Potenzielle Messprobleme. In: EZB: Monatsbericht April 2014. Frankfurt am Main, S. 46 – 48. Frenkel, Michael/John, Klaus Dieter/Fendel, Ralf 2016: Volkswirt-scha� liche Gesamtrechnung. 8. Aufl age, München, S. 109 – 126.Frenkel, Michael/Pierdzioch, Christian/Stadtmann, Georg 2003: Probleme der Infl ationsmessung. In: WISU – Das Wirtscha� sstudi-um 32 (4), S. 538 – 544. Gesellscha� für Konsumforschung 2017: Finanzwissen und Finanz-planungskompetenz der Deutschen. Umfrage im Au� rag des Ban-kenverbands (bankenverband.de) Zugri� vom 10.7.2018.Gordon, Robert J. 2006: The Boskin Commission Report: A Retro-spective One Decade Later. NBER Working Paper Nr. 12311, Juni 2006. Cambridge, MA. Ho� mann, Johannes 1998: Probleme der Infl ationsmessung in Deutschland. In: Deutsche Bundesbank: Diskussionspapier Nr. 1/98. Frankfurt am Main.OECD 2017: G20/OECD INFE Report on Adult Financial Literacy in G20 countries.Statistisches Bundesamt 2017a: Preisentwicklung 2016. In: Statisti-sches Bundesamt. WISTA Wirtscha� und Statistik 2/2017. Wiesba-den.Statistisches Bundesamt 2017b: Preise – Verbraucherpreisindizes für Deutschland. In: Jahresbericht 2016. Wiesbaden.

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54 G E L D U N D G E L D P O L I T I KW O C H E N S C H AU S E K . I + II

Dr. Christian Hecker

ist Diplom-Volkswirt. 2008 schloss er seine

Promotion an der Uni-versität Kassel ab. Seit 2010 ist er stellvertre-

tender Leiter des Stabs des Präsidenten der

Bundesbank-Hauptver-waltung in Hamburg,

Mecklenburg-Vorpom-mern und Schleswig-

Holstein.

Was Preisstabilität bedeutet – und was nichtOb man sich mit dem Geld im Portemonnaie oder den Ersparnissen auf der Bank viel oder wenig kaufen kann, hängt nicht von dem Betrag ab, der auf der Banknote aufgedruckt oder auf dem Bankkonto ange-spart wurde. Wie viel das Geld tatsächlich wert ist, bemisst sich allein daran, welche Waren und Dienst-leistungen man dafür kaufen kann. Der Wert des Geldes liegt also in seiner Kaufkraft, die wiederum von den Preisen abhängt. Je höher die Preise, desto geringer die Kaufkraft eines gegebenen Geldbetrags.In einer Marktwirtschaft sollen sich die Preise der ein-zelnen Güter möglichst frei nach oben und unten bewegen können. Dies gilt deshalb, da Preisverände-rungen eine maßgebliche Signal- und Lenkungsfunk-tion zukommt. Preise zeigen an, ob ein Gut knapp oder reichlich vorhanden ist, ob es stark oder schwach nachgefragt wird (Signalfunktion beweglicher Preise). Preisbewegungen ergeben sich aus dem Zusammen-spiel von Angebot und Nachfrage: Wird ein Gut bei gleichbleibendem Angebot stärker als zuvor nachge-fragt, steigt dessen Preis. Geht die Nachfrage hin-gegen zurück, sinkt der Preis. Der Preis sinkt auch dann, wenn bei konstanter Nachfrage das Angebot zunimmt. Wird das Angebot hingegen kleiner, dann geht der Preis nach oben, sofern alle sonstigen Fak-toren unverändert bleiben.Anbieter und Nachfrager reagieren auf solche Preissig-nale, indem sie ihre Investitions- und Konsumentschei-dungen daran ausrichten (Lenkungsfunktion beweg-licher Preise). Das heißt, Unternehmen passen ihre Produktion im Lichte der Preisänderungen entspre-chend an. Konkret: Steigt beispielsweise der Preis eines

Gutes aufgrund erhöhter Nachfrage deutlich an, so werden bestehende Anbieter ihre Produktion aus-weiten, gleichzeitig kommen Wettbewerber mit ergän-zendem Angebot hinzu. Der Preismechanismus sorgt in einer Marktwirtschaft somit dafür, dass die Anbieter diejenigen Güter produzieren, für die es eine kaufkräf-tige Nachfrage gibt. Auch Nachfrager reagieren auf Preisänderungen: Steigt der Preis eines Gutes an, wei-chen sie beim Einkauf häufig auf günstigere Waren

und Dienstleistungen aus. Sinkt hingegen der Preis (wie etwa bei Sonderangeboten), kaufen sie in der Regel mehr von dem betreffenden Produkt.Damit Preisänderungen die jeweiligen Angebots- und Nachfragebedingungen richtig widerspiegeln und der Preismechanismus seine Signal- und Lenkungsfunktion erfüllen kann, muss jedoch das Preisniveau – also der Durchschnitt aller Preise – möglichst stabil sein. Nur dann lassen sich die Preissignale möglichst unver-fälscht als Knappheitsindikator interpretieren.

„Stabil“ heißt jährlicher Preisanstieg von unter, aber nahe 2 Prozent

Um die Veränderung des Preisniveaus zu messen, verwendet man im Euroraum den sog. Harmoni-sierten Verbraucherpreisindex (HVPI). Aus Sicht des EZB-Rates ist Preisstabilität dann gegeben, wenn die mit dem HVPI gemessene Inflationsrate im Euroraum

Vom Wert stabilen Geldes„Stabiles Geld ist nicht alles, aber ohne stabiles Geld ist alles andere nichts.“ Dieser Satz, der dem ehema-ligen Wirtschafts- und Finanzminister Karl Schiller (1911 – 1994) zugeschrieben wird, bringt den Nutzen der Geldwertstabilität auf den Punkt. Stabiles Geld bedeutet, dass das Geld seine Kaufkraft im Zeitablauf behält, mit anderen Worten: dass das Preisniveau stabil bleibt. Aber warum ist Preisstabilität von essen-zieller Bedeutung in einer Volkswirtschaft? Warum erfüllt stabiles Geld eine elementare wirtschaftliche, gleichzeitig aber auch eine wichtige soziale Funktion? Der folgende Text beleuchtet diese Fragen und zeigt damit die Gründe auf, warum die europäische Geldpolitik vorrangig darauf ausgerichtet ist, Preisstabilität im Euroraum zu gewährleisten.

Wie viel das Geld tatsächlich wert ist, bemisst sich allein daran, welche Waren und

Dienstleistungen man dafür kaufen kann.

Christian Hecker

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55V O M W E R T S TA B I L E N G E L D E S

unter 2 Prozent pro Jahr liegt (vgl. Deutsche Bundes-bank 2017, S. 157 f. bzw. den Beitrag „Die geldpoli-tische Strategie des Eurosystems“). Darüber hinaus hat der EZB-Rat klargestellt, dass er bei seinem Streben nach Preisstabilität konkret darauf abzielt, die Preis-steigerungsrate mittelfristig bei unter, aber nahe 2 Prozent zu halten. Der Grund für die Orientierung an einem mittelfristigen Zeithorizont liegt darin, dass geldpolitische Maßnahmen oft erst nach Monaten wirken.Auf den ersten Blick überrascht, dass der EZB-Rat auf eine leichte Preissteigerungsrate abzielt und nicht eine Preissteigerungsrate von null anstrebt. Dafür gibt es mehrere Gründe. So begegnet eine leicht positive Preissteigerungsrate eventuellen Messfehlern beim HVPI, die dazu führen könnten, dass die tatsächliche Infl ation etwas niedriger ist als die gemessene. Zudem bietet eine leicht positive Preissteigerung auch einen Sicherheitsabstand gegen eine defl atorische Entwicklung, da Defl ation der Volkswirtschaft ebenso schadet wie Infl ation und zudem mit geldpolitischen Mitteln schwerer zu bekämpfen ist. Denn während die Zentralbank ihre Leitzinsen unbegrenzt erhöhen kann, kann sie sie nur auf 0 Prozent senken oder allenfalls bis leicht in den negativen Bereich. Eine Infl ationsrate im Euroraum von durchschnittlich knapp 2 Prozent stellt zudem sicher, dass auch Euro-Länder, in denen die Infl ationsrate vom Durchschnitt etwas nach unten abweicht, nicht gleich in eine Defl a-tion geraten.

Welche Gründe sprechen für das Ziel der Preisstabilität?

Der im Jahr 1992 geschlossene Vertrag von Maastricht bestimmt, dass das vorrangige Ziel der gemeinsamen Geldpolitik darin besteht, Preisstabilität im Euroraum zu gewährleisten (seit 2010 Artikel 127 AEUV, Abs. 1). Der Grund für diese eindeutige Ausrichtung liegt darin, dass Preisstabilität eine entscheidende Voraussetzung für das reibungslose Funktionieren der Marktwirtschaft , für nachhaltiges Wirtschaft swachstum und für die Ver-meidung problematischer Verteilungskonfl ikte ist. Ver-schiedene Krisenerfahrungen des 20. Jahrhunderts veranschaulichen diese Zusammenhänge eindrucksvoll. So hatte sich in diversen Wirtschaft s- und Währungs-krisen wiederholt gezeigt, welche gravierenden öko-nomischen und sozialen Konsequenzen ein Verlust der Preisstabilität nach sich ziehen konnte. Dies galt sowohl für Phasen der Infl ation als auch der Defl ation (vgl. zum Folgenden u. a. Deutsche Bundesbank 2017, S. 159 – 161, sowie Europäische Zentralbank 2011).

Negative Wirkungen der Infl ationDer Begriff „Infl ation“ bezeichnet einen über mehrere Perioden anhaltenden, übermäßigen Anstieg des Preis-niveaus, der mit einem entsprechenden Verlust der Kaufkraft des Geldes einhergeht. Die Abbildung „Kaufkraft verlust durch Infl ation“ zeigt, welcher Kaufkraft verlust mit Infl ationsraten in ver-

Kaufkraftverlust durch InflationDie Höhe der Infl ationsrate bestimmt den realen Wertverlust des Geldes (Kaufkraft verlust) über die Jahre.

I Quelle: Bundesbank I

2018 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 68

0

10

20

30

40

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60

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90

100

8%

6%

4%

3%

Euro

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schiedener Höhe verbunden ist. So sind beispielsweise 100 Euro bei einer jährlichen Inflationsrate von 4 Pro-zent nach 10 Jahren real (d. h. in Gütereinheiten gemessen) nur noch so viel wert wie knapp 68 Euro heute. Nach 50 Jahren erhält man dafür nur noch Güter im heutigen Gegenwert von 14 Euro. Deutlich wird außerdem, dass bereits kleine Steigerungen der Inflationsrate, die auf den ersten Blick unproblema-tisch erscheinen, über längere Zeiträume zu deutlich größeren Kaufkraftverlusten führen können.Die Auswirkungen der Inflation sind sowohl aus öko-nomischer Sicht als auch unter sozialen Gesichts-punkten problematisch. Auf der einen Seite verzerrt Inflation die Preisbildung an den Märkten. Sie behin-dert hierdurch die Signal- und Lenkungsfunktion des Preismechanismus und somit den zentralen Steue-rungsmechanismus der Marktwirtschaft. Kommt es nämlich zur Inflation, können Verbraucher_innen und Anbieter_innen nicht mehr unterscheiden, ob der Anstieg eines Preises auf die Veränderung von Angebot und Nachfrage nach diesem Gut oder statt-dessen auf einen inflationären Prozess zurückzuführen ist. Dies macht es für alle Betroffenen schwieriger, auf Preisänderungen richtig zu reagieren. Inflation führt also zu erhöhter Unsicherheit sowohl beim Pro-duzieren als auch beim Konsumieren – teure Fehl-

entscheidungen können die Folge sein. Bei Inflation werden volkswirtschaftliche Ressourcen fehlgelenkt und es kommt zu dementsprechenden gesamtwirt-schaftlichen Wohlfahrtseinbußen.Darüber hinaus kann Inflation mit unerwünschten Umverteilungswirkungen bei Einkommen und Ver-mögen verbunden sein. Treten unerwartete Preisstei-gerungen auf, werden Sparer_innen benachteiligt und Schuldner_innen begünstigt. So verlieren die Guthaben der Sparer_innen an Kaufkraft. Inflation erschwert dadurch den Vermögensaufbau breiter Bevölkerungs-schichten und führt auch dazu, dass die Kaufkraft der privaten Altersvorsorge erodiert. Hierdurch werden zugleich Anreize zur Ersparnisbildung gemindert, und die Attraktivität der privaten Vorsorge sinkt.Demgegenüber werden Schuldner_innen tendenziell begünstigt, da ihre nominal fixierten Verbindlichkeiten in realer Betrachtung abnehmen. Dadurch entstehen zugleich Anreize für eine höhere Schuldenaufnahme

Inflation erschwert den Vermögens aufbau breiter Bevölkerungsschichten und führt

auch dazu, dass die Kaufkraft der privaten Altersvorsorge erodiert.

zwecks Finanzierung von Sachwerten wie Immobilien. Eine derartige kreditfinanzierte „Flucht in Sachwerte“ führt aus volkswirtschaftlicher Sicht ebenfalls zu Wohl-fahrtsverlusten, da hierdurch Ressourcen fehlgeleitet werden, die in einem inflationsfreien Umfeld besser anderweitig investiert worden wären. Im Extremfall kann eine „Flucht in Sachwerte“ zu Preisblasen – bei-spielsweise am Immobilienmarkt – führen, welche die Stabilität des Finanzsystems gefährden.Die Erfahrung lehrt auch, dass Inflation typischerweise zulasten sozial schwächerer Bevölkerungsschichten geht, die den negativen Wirkungen der Inflation kaum ausweichen können. Vor allem Bezieher_innen fester Einkommen wie Renten oder Sozialleistungen sind oft-

mals benachteiligt, da ihre Bezüge in der Regel nicht so schnell angepasst werden, wie der Geldwert abnimmt. Durch Inflation werden auch Steuerzahler _innen benachteiligt, da sie der sog. kalten Progression ausge-setzt sind. Dies bedeutet, dass sie in einem Steuer-system, das auf nominale Größen abzielt, auch auf rein inflationsbedingte Einkommenszuwächse höhere Steu-ersätze bezahlen müssen, ohne dass sich ihr reales Einkommen erhöht hätte.

Negative Wirkungen der DeflationAber auch ein dauerhaft sinkendes Preisniveau ist gesamtwirtschaftlich schädlich. Denn auch dann – spiegelbildlich zur Inflation – wird die Signalwirkung der Preise verzerrt und es kann zu unerwünschten Umverteilungseffekten zwischen Gläubiger_innen und Schuldner_innen kommen. Von Deflation spricht man im Falle eines anhaltenden Rückgangs des Preisniveaus in einer wirtschaftlichen Krisensituation. Sie ist für eine Volkswirtschaft besonders schädlich und uner-wünscht. Zwar profitieren im ersten Moment die Ver-braucher_innen und Sparer_innen vordergründig von einem Rückgang der Preise. Allerdings kann diese Entwicklung dazu führen, dass Konsumausgaben in Erwartung weiter sinkender Preise in die Zukunft ver-lagert werden. Dadurch können Unternehmen gezwungen werden, ihre Produktion einzuschränken, verbunden mit Arbeitsplatzverlusten und Einkommens-rückgängen bei den Beschäftigten. Dies kann im Extremfall zu einer gesamtwirtschaftlichen Abwärts-spirale führen, bei der sich Preis- und Lohnsenkungen,

Im Extremfall kann eine „Flucht in Sachwerte“ zu Preisblasen – beispielsweise

am Immobilienmarkt – führen, welche die Stabilität des Finanzsystems gefährden.

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Produktionsrückgänge und Arbeitslosigkeit gegen-seitig verstärken.Außerdem kann sich in einer Defl ation die reale Schul-denlast von Unternehmen, aber auch von Immobilien-besitzenden deutlich erhöhen und am Ende sogar zu einer Überschuldung führen. Der Grund: Während in einer Defl ation die Preise für die von den Unternehmen angebotenen Güter zurückgehen und die Löhne ten-denziell sinken, bleiben die Rückzahlungsbeträge für Kredite unverändert. Die reale Belastung bestehender Rückzahlungsverpfl ichtungen nimmt somit zu. Eine solche Entwicklung kann zu vermehrten Insolvenzen und einem Anstieg der notleidenden Kredite in den Bilanzen von Banken führen, was wiederum die Sta-bilität des Finanzsystems gefährden kann.Eine Defl ation gilt deshalb als besonders problematisch, da sie von der Zentralbank schwieriger zu bekämpfen ist als eine Infl ation. Dies rührt daher, dass der zinspo-litische Spielraum der Notenbank nach unten begrenzt ist. Konkret: die Leitzinssätze können im Normalfall nicht deutlich unter null Prozent gesenkt werden. Andernfalls riskiert die Notenbank, dass die Geldhal-tenden ihre Sichtguthaben zumindest teilweise vom Konto abheben und somit durch Bargeld substituieren, für das keine negativen Zinsen erhoben werden können.

Historische Infl ations- und Defl ationserfahrungen im 20. Jahrhundert in Europa

Ein Blick in die Geschichte des 20. Jahrhunderts zeigt, dass die Preisstabilität in Europa immer wieder verfehlt wurde und dass diese Phasen einzelne Länder bisweilen nicht nur in schwere Wirtschaft skrisen, sondern auch in gesellschaft liche und politische Krisen gestürzt haben. Ein eklatantes Beispiel dafür war die Hyperinfl ation in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg, die breite Bevölkerungsschichten um ihre Ersparnisse brachte.Anfang der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts führte die massive Geldschöpfung zwecks Finanzie-rung von Staatsausgaben zu einem exorbitanten Anstieg der Infl ationsraten. Die Preise stiegen so schnell, dass im Herbst 1923 für ein Brot oder ein Ei viele Milliarden Mark bezahlt werden mussten. Große Teile der Bevölkerung, die auf die Sicherheit ihrer Spar-einlagen oder Staatsanleihen vertraut hatten, verloren nahezu alles, während diejenigen, die Unternehmen und Immobilien besaßen, ihre Vermögen teilweise sogar vergrößern konnten (vgl. bspw. Taylor 2013). Die verheerende Hyperinfl ation erschütterte dauerhaft das Vertrauen in die Institutionen der neu gegrün-

deten Republik. Diese Entwicklung war eine Ursache dafür, dass die Nationalsozialisten im Jahre 1933 die Macht ergreifen konnten (siehe dazu die Aussage von Thomas Mann auf S. 58). Auch in den ersten Jahren nach dem Zweiten Welt-krieg war man von einer stabilen Geldordnung weit

Wertlose Geldscheine kreativ verwertet: Die Hyperinflation in Deutschland bietet Kindern neues Baumaterial.

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Der exorbitante Preisanstieg erschütterte das Vertrauen vieler Deutscher in die Institutionen der Weimarer Republik.

I Quelle: Deutsche Bundesbank I

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entfernt, ein Zustand, der erst mit der Währungsre-form 1948 beendet werden konnte. Aufgrund staat-licher Preisfestsetzungen und Warenrationierungen schlug sich der Infl ationsdruck jedoch nicht in einer off enen Infl ation nieder. Stattdessen erlebte die Bevöl-kerung eine „zurückgestaute Infl ation“, d. h. es gab für das Geld zu den offi ziell festgesetzten Preisen kaum noch Waren zu kaufen. Stattdessen fl orierten

die Schwarzmärkte, auf denen Güter zu deutlich erhöhten Preisen oder im Tausch gegen andere Güter („Zigarettenwährung“) angeboten wurden. Die Erfahrung eines zweimaligen Währungszusam-menbruchs innerhalb weniger Jahrzehnte wurde in Deutschland Teil des „kollektiven Gedächtnisses“ und führte dazu, dass sich in breiten Bevölkerungsschichten eine ausgeprägte Infl ationsaversion bildete, die bis

Thomas Mann zur Infl ation in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg„Eine echte Infl ation ist die schlimmste der Revolutionen. (…) Denn die Enteignung und Neu-verteilung des Besitzes, welche eine Infl ation im Gefolge hat, geschieht ohne jedes System und ohne jede Gerechtigkeit. Da gilt nichts mehr als ein zynisches „Rette sich wer kann!“ Aber bloß die Allermächtigsten und neben ihnen die Findigsten und Frechsten, allerlei hergelaufenes Gesindel, Hyänen des Wirtschaft slebens, können sich retten. Es verliert die Masse derer, die der hergebrachten Ordnung vertraute; die Uneingeweihten und Unschuldigen; die Alten, deren Arbeit in der Vergangenheit liegt; die Tätigen, die mit realen Sachen, aber nicht mit Geld zu arbeiten gewohnt sind. Ein solches Erlebnis ist Gift für die Moral einer Nation. Es geht ein ge-rader Weg von dem Wahnsinn der deutschen Infl ation zum Wahnsinn des Dritten Reiches.“ Thomas Mann (1983 [1942]), S. 370.

Deflation in Deutschland, Großbritannien und Frankreich zwischen 1929 und 1933

I Quellen: Statistisches Jahrbuch des Deutschen Reiches, Ausgabe 1938, Kapitel VIII Preise, S. 310; Office for National Statistics; Villa (1996) I

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Quellen: Statistisches Jahrbuch des Deutschen Reiches, Ausgabe 1938, Kapitel VIII Preise, S. 310; ONS für Ver-

einigtes Königreich; Villa (1996) für Frankreich.

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heute anhält. Diese Wertschätzung der Bevölkerung für stabiles Geld erleichtert es der Deutschen Bundes-bank, konsequent für Preisstabilität einzutreten.In der Geschichte des vergangenen Jahrhunderts fi ndet sich mit der Weltwirtschaft skrise ab 1929 auch ein einschneidendes Beispiel für eine Defl ation. Damals entstanden im Zuge einer globalen ökonomischen Depression in allen entwickelten Volkswirtschaft en der Welt defl ationäre Abwärtsspiralen aus sinkenden Preisen und Löhnen und einer schrumpfenden Wirt-schaft sleistung. Unternehmen reagierten auf Nachfra-gerückgänge mit Preissenkungen und Produktionsein-schränkungen, welche die Krise weiter verschärft en. Dadurch ging die Wirtschaft sleistung in Deutschland zwischen 1928 und 1933 um fast 20 Prozent zurück und die Arbeitslosenquote stieg auf etwa 30 Prozent an. In anderen europäischen Ländern erreichte der Wirtschaft seinbruch ähnliche Ausmaße. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es in Europa nicht mehr zu solch ausgeprägten Phasen instabilen Geldes. Gleichwohl stellten sich in einzelnen Ländern wie Ita-

lien oder Großbritannien in den 1970er- und 1980er- Jahren Infl ationsraten im zweistelligen Bereich ein, die gleichzeitig mit einer deutlichen Abwertung der betroff enen Währungen verbunden waren.

Geldpolitik im Zielkonfl ikt zwischen Beschäft igung und Preisstabilität?

In den 1960er-Jahren entstand die Vorstellung, die Wirtschaft spolitik könne einen negativen bzw. inversen Zusammenhang zwischen Infl ation und Arbeitslosigkeit ausnutzen, der in der Vergangenheit häufi g beobachtet worden war (vgl. zum Folgenden u. a. Blanchard/Illing 2014, S. 250 – 281). Der Hinter-grund dafür war eine Untersuchung des neuseelän-dischen Ökonomen Alban Phillips (1958), der fest-stellte, dass in der britischen Geschichte hohe Infl ationsraten regelmäßig mit niedrigen Arbeitslo-senquoten einhergingen und umgekehrt. Diese Beobachtung führte unter anderem bei vielen Poli-tiker_innen zu der Annahme, dass man zwischen verschiedenen Kombinationen von Infl ation und Arbeitslosigkeit auswählen könne.In der Folgezeit stellte sich allerdings heraus, dass der beobachtete inverse Zusammenhang zwischen Infl a-tion und Arbeitslosigkeit, die sog. Phillips-Kurve, nicht so stabil war wie ursprünglich angenommen. Die

Inflationsraten in Europa seit 1950

I Quellen: nationale Statistikämter I

Der zweimalige Währungszusammenbruch innerhalb weniger Jahrzehnte führte zu einer

ausgeprägten Infl ationsaversion in breiten Teilen der deutschen Bevölkerung.

Quellen: Statistics Netherland, Istat, ONS, Destatis. * Bis 1991 Preisindex für die Lebenshaltung von 4-Perso-

nen-Haushalten von Arbeitern und Angestellten mit mittlerem Einkommen, ab 1992 VPI.

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Vor dem Hintergrund der Krisenerfahrungen der vergangenen Jahre wurde bisweilen die Forderung erhoben, die Zentralbanken sollten eine höhere In-fl ation anstreben. So postulierte beispielsweise der US-amerikanische Ökonom Paul Krugman (2014) Infl ationsziele im Bereich von 4  Prozent pro Jahr. Krugmans Hauptargument stellte darauf ab, dass das gegenwärtig weitverbreitete Infl ationsziel von 2  Prozent den Zentralbanken unter Umständen nicht genügend Spielraum biete, um Defl ations-gefahren durch Leitzinssenkungen wirksam zu bekämpfen, da die Leitzinsen im Normalfall nicht (weit) in den negativen Bereich gesenkt werden könnten. Dies bedeute gleichzeitig, dass der für Konsum- und Investitionsentscheidungen maßgeb-liche Realzins – vereinfacht gesagt: der nominale Zinssatz abzüglich der erwarteten Infl ationsrate – wegen der „zu geringen Infl ation“ ebenfalls nicht weit genug gesenkt werden könne, um der Volks-wirtschaft den erwünschten expansiven Impuls zu geben.Bei genauerem Hinsehen sprechen jedoch verschie-dene Argumente gegen die Forderung nach „etwas mehr“ Infl ation als im Normalfall. Zum einen ist die zugrunde liegende These fraglich, die Geldpolitik wäre bei der Abwehr defl ationärer Entwicklungen aufgrund einer „zu niedrigen Ausgangsinfl ation“ handlungsunfähig. Die geldpolitischen Maßnahmen zahlreicher Notenbanken im Zusammenhang mit der „quantitativen Lockerung“ (vgl. den Beitrag „Die Politik der ‚quantitativen Lockerung‘“) belegen, dass

die Zentralbanken sehr wohl imstande sind, auch beim Erreichen der „Nullzins-Grenze“ weitere expan-sive Impulse zu geben (vgl. bspw. Deutsche Bun-desbank 2016b), obwohl diese unkonventionellen Maßnahmen aufgrund ihrer Risiken keine perfekte Alternative zu Zinssenkungen sind.Zum anderen gilt, dass bereits eine Anhebung des Infl ationsziels auf 4  Prozent pro Jahr mittelfristig mit erheblich stärkeren Kaufkraft verlusten verbun-den wäre, als man auf den ersten Blick vielleicht vermuten würde (siehe Abbildung „Kaufkraft ver-lust durch Infl ation“). Die dauerhaft en Kosten ei-ner höheren Infl ation müssen deshalb abgewogen werden gegen den vorübergehenden positiven Eff ekt eines größeren geldpolitischen Handlungs-spielraums. Bei dieser Abwägung ist auch zu be-rücksichtigen, dass ein höheres Infl ationsziel das Preissetzungsverhalten der Unternehmen verän-dern würde: Die relative Bedeutung der erwarteten Infl ationsentwicklung würde steigen und diejenige der Güternachfrage sinken. Da die Geldpolitik vor allem über die Steuerung der Nachfrage wirkt, müsste sie im Ergebnis auf wirtschaft liche Entwick-lungen zinspolitisch aggressiver reagieren. Hiermit ginge ein Teil des gewonnenen Handlungsspiel-raums wieder verloren, während die Kosten der Infl ation bestehen blieben (vgl. Deutsche Bundes-bank 2018, S. 40 – 44). Außerdem steigern höhere Infl ationsraten die Gefahr einer Entankerung von Infl ationserwartungen, wenn die Geldpolitik nicht aggressiver auf Infl ation reagiert (vgl. Deutsche Bundesbank 2018, S. 45 – 49).Schließlich wäre es im Hinblick auf die langfristige Glaubwürdigkeit der Geldpolitik und das Vertrauen der Öff entlichkeit kontraproduktiv, wenn Zentral-banken Infl ationsziele kurzfristig verändern wür-den (vgl. Deutsche Bundesbank 2011, S. 64 f.). So könnte in diesem Falle niemand glaubwürdig aus-schließen, dass je nach den politischen Gegeben-heiten weitere Änderungen erfolgen oder sogar das Ziel der Preisstabilität komplett fallengelassen wird. Eine solche Vorstellung könnte die Infl ations-erwartungen in der Bevölkerung bereits heute an-steigen lassen, wodurch eine auf das Sichern der Geldwertstabilität ausgerichtete Geldpolitik erheb-lich erschwert würde.

AKTUELLE DISKUSSIONEN ZUR ERHÖHUNG DES INFLATIONSZIELS

Der Ökonom Paul Krugman argumentiert für ein Inflationsziel

von 4 Prozent. Dies soll Notenbanken mehr Spielraum für Leitzins-

senkungen geben.

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Phillips-Kurve konnte somit auch nicht für die erhofft e Tauschmöglichkeit von „mehr Infl ation gegen weniger Arbeitslosigkeit“ ausgenutzt werden. So ergaben sich in den 1970er-Jahren in verschiedenen Volkswirt-schaft en regelmäßig Konstellationen, in denen hohe Infl ationsraten mit hohen Arbeitslosenquoten zusam-menfi elen (sog. Stagfl ation).Eine Erklärung dafür lag darin, dass die Marktak-teur_innen mittelfristig ihr Verhalten änderten, sobald sie die Infl ationierungspolitik der Zentralbank durchschauten und nicht länger Preisstabilität erwar-teten (sog. „Lucas-Kritik“, vgl. Lucas 1976). Um mit Infl ation überhaupt noch Beschäft igungseff ekte erzielen zu können, musste die Infl ationsrate regel-mäßig höher ausfallen, als etwa von den Tarifpar-teien erwartet. Denn nur die „Überraschungsinfl a-tion“ (vgl. S. 29) war noch in der Lage, die Reallöhne zu senken und das Einstellen zusätzlicher Arbeits-kräft e attraktiv zu machen. Darauf reagierten die Tarifparteien, indem sie beim Abschluss von Tarifver-trägen von vornherein höhere Infl ationserwartungen zugrunde legten. Am Ende mussten die Notenbanken nicht nur die erwartete höhere Infl ation generieren, sondern diese sogar noch übertreff en, wollten sie positive Beschäft igungseff ekte erzielen. Wiederkeh-rende Überraschungsinfl ation führte also zu einer Aufwärtsspirale steigender Löhne und Preise, ohne am Ende dauerhaft positive Beschäft igungseff ekte zu erzielen.Die Erfahrung hat folglich gezeigt, dass der systemati-sche Versuch, durch eine expansive Geldpolitik mit entsprechend höheren Infl ationsraten die Arbeitslosig-keit dauerhaft zu senken, letztlich nur zu einem anhal-tenden Anstieg der Infl ation führt. Die kurzfristig beschäft igungsfördernden Wirkungen höherer Infl a-

tionsraten lösen sich regelmäßig rasch wieder auf, wäh-rend die permanenten Kosten der Infl ation bestehen bleiben. Aktuelle Forschungen zur Phillips-Kurve beziehen daher unter anderem die Erwartungsbildung mit ein (vgl. Deutsche Bundesbank 2016a). Dabei bestätigt sich regelmäßig empirisch, dass langfristig kein Ziel-konfl ikt zwischen der Stabilität des Preisniveaus und niedriger Arbeitslosigkeit vorliegt, sondern – im Gegenteil – Preisstabilität eine maßgebliche Voraus-

Erfahrungsgemäß führt eine expansive Geldpolitik mit dem Ziel, Arbeitslosigkeit

abzubauen, nicht dazu, dass dieses langfristig realisiert wird.

HINWEISE FÜR DEN UNTERRICHT

VORSCHLAG: Der Beitrag, der einen histo-rischen Überblick schafft , kann als Ausgangs-punkt dienen, um mit den Schüler_innen auch aktuelle Beispiele von Infl ationen zu recher-chieren. Sie können sich anhand der Beispiele mit sozialen und wirtschaft lichen Auswirkungen von Infl ation auseinandersetzen. In jüngster Zeit waren und sind beispielsweise Venezuela und Argentinien mit überaus hohen Infl ationsraten konfrontiert.

setzung für Wachstum und Vollbeschä� igung dar-stellt (vgl. bspw. Tödter/Manzke 2007). Als Fazit und mit Blick auf die negativen Folgen von Infl ation oder Defl ation kann man somit festhalten: Stabiles Geld nützt allen! Daher leistet eine Geldpo-litik, die sich vorrangig am Ziel der Preisstabilität ori-entiert, hierdurch den besten Beitrag zu Wachstum, Beschä� igung und sozialer Gerechtigkeit.

LiteraturverzeichnisBlanchard, Olivier/Illing, Gerhard 2014: Makroökonomie. München. Deutsche Bundesbank 2011: Konsequenzen für die Geldpolitik aus der Finanzkrise. In: Monatsbericht März 2011, S. 55 – 71.Deutsche Bundesbank 2016a: Die Phillips-Kurve als Instrument der Preisanalyse und Infl ationsprognose in Deutschland. In: Monats-bericht April 2016, S. 31 – 46. Deutsche Bundesbank 2016b: Zu den gesamtwirtscha� lichen Aus-wirkungen der quantitativen Lockerung im Euro-Raum. In: Monats-bericht Juni 2016, S. 29 – 54. Deutsche Bundesbank 2017: Geld und Geldpolitik. Frankfurt am Main. Deutsche Bundesbank 2018: Zinsuntergrenze, angestrebte Infl ati-onsrate und die Verankerung von Infl ationserwartungen. In: Monatsbericht der Deutschen Bundesbank. Juni 2018, S. 31 – 52. Europäische Zentralbank 2011: Preisstabilität: Warum ist sie für dich wichtig? Frankfurt am Main. Krugman, Paul 2014: Infl ation Targets Reconsidered – Dra� Paper for ECB Sintra Conference. Mai 2014 (online.ercep.com) Zugri� vom 10.7.2018. Lucas, Robert E. 1976: Econometric Policy Evaluation: A Critique, Carnegie-Rochester Conference Series on Public Policy. Band 1, S. 19 – 46. Mann, Thomas 1983: Über mich selbst. Autobiographische Schrif-ten [Erstverö� entlichung 1942]. Frankfurt am Main. Phillips, Alban W. 1958: The Relation between Unemployment and the Rate of Change of Money Wage Rates in the United Kingdom 1861–1957. In: Economica 25 (100), S. 283 – 299. Taylor, Frederick 2013: Infl ation. Der Untergang des Geldes in der Wei-marer Republik und die Geburt eines deutschen Traumas. München. Tödter, Karl-Heinz/Manzke, Bernhard 2007: The welfare e� ects of infl ation: a cost-benefi t perspective. Deutsche Bundesbank Discus-sion Paper Series 1. Nr. 33/2007.Villa, Pierre 1996: France in the Early Depression of the Thirties. Cen-tre d‘études prospectives et d‘informations internationales (CEPII). Working Paper Nr. 1996-06.

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62 G E L D U N D G E L D P O L I T I KW O C H E N S C H AU S E K . I + II

Thomas Schneider

ist Diplom-Volkswirt. 2009 in die Bundes-

bank eingetreten, war er anfangs in der Ban-kenaufsicht tätig. Seit

2016 ist er im Stab des Präsidenten der Bundesbank-Haupt-

verwaltung in Bayern für die ökonomische

Bildung zuständig.

Eine geldpolitische Strategie strukturiert die Analyse der Notenbank

Zu den Hauptzielen einer Notenbank (synonym: Zen-tralbank) gehört die Steuerung der Preisentwicklung in einer Marktwirtschaft. Möglich ist diese Steuerung jedoch nur indirekt über den Einsatz geldpolitischer Instrumente. Hinzu kommt, dass die Übertragung der geldpolitischen Impulse mit – vorab nur schwer abschätzbaren – Wirkungsverzögerungen verbunden ist. Es besteht mithin ein beträchtliches Maß an Unsi-cherheit, wann und wie stark sich Entscheidungen der Notenbank auf das Preisniveau auswirken. Um in diesem unsicheren Umfeld glaubwürdig und stringent handeln zu können, nutzen die meisten Notenbanken eine geldpolitische Strategie als konzeptionelles Gerüst für ihre geldpolitischen Entscheidungen. Oder anders ausgedrückt: Die Strategie dient Notenbanken als eine Art „Kompass“, um die Geldpolitik auf ein klar defi-niertes Ziel auszurichten und um Hindernisse auf dem Weg dorthin frühzeitig zu erkennen.Die Strategie erfüllt dabei eine Doppelrolle (vgl. Deut-sche Bundesbank 2017, S. 187 ff.). Sie strukturiert nicht nur die Analyse und das operative Vorgehen einer Notenbank (Wirkung nach innen), sondern liefert gleichzeitig einen Rahmen, um geldpolitische Entschei-dungen konsistent gegenüber der Öffentlichkeit zu erläutern (Wirkung nach außen). Eine geldpolitische

Strategie öffentlich zu machen und für die Kommuni-kation zu nutzen, hilft Außenstehenden, die geldpoliti-schen Entscheidungen nachvollziehen und bewerten zu können. Dies erhöht den Druck auf die Notenbank, sich an ihr gesetztes Ziel zu halten, und stärkt die Glaub-würdigkeit der von ihr verfolgten Geldpolitik.

Die Zwei-Säulen-Strategie des Eurosystems als „pragmatischer“ Ansatz

Es gibt letztlich nicht die eine, „richtige“ geldpolitische Strategie. Die von Zentralbanken eingesetzten Strate-gien unterscheiden sich zum Teil erheblich und ergeben sich aus den Rahmenbedingungen im jewei-ligen Währungsraum sowie der genauen Zielsetzung der Notenbank. Wichtige Strategiekonzepte sind bei-spielsweise die „direkte Inflationssteuerung“ (im Fach-jargon Inflation Targeting genannt), die Geldmengen-steuerung1, die Wechselkurssteuerung oder der sog.Multi-Indikatoren-Ansatz (vgl. Görgens/Ruckriegel/Seitz 2014, S. 122 – 209, sowie Deutsche Bundesbank 1998, S. 33 – 47).Für das Eurosystem wurde seinerzeit die geldpolitische Strategie auf pragmatische Art und Weise entwickelt. Es war Konsens, die erprobte und erfolgreiche Geld-mengensteuerung der Bundesbank einzubeziehen. Allerdings war im Vorfeld der Währungsunion unklar, ob die Beziehung zwischen Geldmenge und Inflation

Die geldpolitische Strategie des Eurosystems: Auf welcher Basis fällt der EZB-Rat seine Entscheidungen? Wenn EZB-Präsident Draghi im Anschluss an die geldpolitischen Sitzungen des EZB-Rats vor die Presse tritt, sind es die Aussagen über die Höhe der Leitzinsen sowie – seit einiger Zeit – die Beschlüsse zu den Wert-papierankaufprogrammen, die ein besonderes Medienecho hervorrufen. Auf welcher Grundlage aber werden die geldpolitischen Entscheidungen getroffen? Wenig verwunderlich stützt sich der EZB-Rat nicht auf starre Formeln und Regeln, die in einer Art mechanischem Verfahren eine ganz konkrete Entscheidung „auswerfen“. Die geldpolitischen Entscheidungen werden aber auch nicht „aus dem Bauch heraus“ gefällt. Sie folgen vielmehr einem klaren Konzept oder besser: einer geldpolitischen Strategie. Wie sieht die Stra-tegie des Eurosystems aus, aus welchen Elementen besteht sie und wozu ist sie überhaupt nötig?

Thomas Schneider

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im neuen, größeren Währungsraum hinreichend stabil sein würde. Daher wurde der Geldmengenansatz um Aspekte der direkten Infl ationssteuerung ergänzt. Die so entwickelte „Zwei-Säulen-Strategie“ des Eurosys-tems nahm also Bestandteile bekannter geldpolitischer Strategien auf und führte diese zusammen. Mit dieser „neuen“ Strategie, die der besonderen Situation der Währungsunion Rechnung trägt, wurde ein breiter und robuster Ansatz gewählt, um alle infl ationsrele-vanten Daten im neuen Währungsraum einbeziehen und bewerten zu können.

Erstes Element der Strategie:Quantitative Defi nition von Preisstabilität

Die Zwei-Säulen-Strategie des Eurosystems setzt sich aus verschiedenen Elementen zusammen. Das erste Element besteht darin, quantitativ zu defi nieren, was unter Preisstabilität zu verstehen ist. Der EZB-Rat sieht Preisstabilität im Euroraum als gegeben an, wenn der jährliche Anstieg des Harmonisierten Verbraucher-preisindex (HVPI) auf mittlere Sicht unter 2 Prozent gegenüber dem Vorjahr liegt. Beim Streben nach Preis-stabilität zielt der EZB-Rat mit seinen geldpolitischen Maßnahmen dann konkret darauf ab, die Infl ations-rate unter, aber nahe 2 Prozent zu halten (vgl. Euro-päische Zentralbank 2018).Preisstabilität soll nicht zwingend zu jedem Zeitpunkt, sondern „auf mittlere Frist“ gewährleistet werden. Hierbei wird bewusst darauf verzichtet, der Formulie-rung „auf mittlere Sicht“ einen konkreten zeitlichen Horizont zuzuordnen. Hierin kommt die allgemein geteilte Auff assung zum Ausdruck, dass die Geldpo-litik die Infl ationsentwicklung aufgrund der (schwer einschätzbaren) Zeitverzögerung geldpolitischer Maß-nahmen nicht kurzfristig feinsteuern kann.Es mag auf den ersten Blick überraschen, dass der EZB-Rat eine moderate Infl ation als optimal erachtet und nicht etwa 0 Prozent Infl ation anvisiert. Hierfür gibt es allerdings gute Gründe. Mit einer angestrebten Infl ationsrate von „unter, aber nahe 2 Prozent“ ist ein gewisser Sicherheitsabstand zur Defl ation gegeben. Der Grund für diesen „Puff er“: Eine Defl ation geldpo-litisch zu bekämpfen, ist ungleich schwieriger als das Vorgehen gegen Infl ation, da der Spielraum „nach unten“ für die Notenbank begrenzt ist. Sie kann den Leitzins nicht dauerhaft und deutlich unter die Nulllinie absenken. Um die Geldpolitik dann weiter zu lockern, müsste sie unkonventionelle Maßnahmen ergreifen. Jedoch ist z. B. der Ankauf von Staatsanleihen mit

schädlicheren Nebenwirkungen verbunden als eine Senkung des Leitzinses.Gleichzeitig begegnet eine moderat positive Infl ati-onsrate dem Umstand, dass die gemessene Infl ation die tatsächliche Infl ation aufgrund gewisser Unschär-fen bei der Preismessung tendenziell leicht überzeich-net (vgl. hierzu den Beitrag „Wie wird Infl ation gemes-sen?“). Eine Infl ationsrate von 0 Prozent anzustreben,

birgt dann die Gefahr, dass sich beim Erreichen der Nullinfl ation die tatsächliche Infl ationsrate bereits im negativen Bereich bewegt.Schließlich trägt eine leicht positive Infl ationsrate auch der heterogenen wirtschaft lichen Entwicklung in der Währungsunion Rechnung. Der EZB-Rat richtet seine Geldpolitik bekanntermaßen an der Preisentwicklung des gesamten Euroraums aus. Die wirtschaft lichen Unterschiede sorgen dafür, dass einige Länder höhere und andere Länder geringere nationale Infl ations-raten aufweisen. Eine durchschnittliche Infl ation im Euroraum von 0 Prozent anzustreben, würde zwin-gend bedeuten, dass einige Mitgliedsländer negative Infl ationsraten haben müssten, wenn in anderen Län-dern das Preisniveau steigt.Die Ausrichtung der Geldpolitik auf eine moderate Infl ationsrate „unter, aber nahe 2  Prozent“ ist im Übrigen nicht in erster Linie aus einer wissenschaft li-chen Theorie abgeleitet, sondern hat sich auch durch Erfahrungen und empirische Analysen als sinnvolle Höhe herausgestellt. Eine solche Ausrichtung verfolgt das Eurosystem nicht exklusiv. Auch etliche andere Notenbanken streben explizit oder implizit eine Infl a-tionsrate von (ungefähr) 2 Prozent an.

Zweites Element der Strategie: Umfassende Analyse von Preisrisiken anhand zweier Ansätze bzw. Säulen

Das zweite Element der Strategie besteht darin, die-jenigen Faktoren umfassend und systematisch zu analysieren, von denen Risiken für die Preisstabilität ausgehen können. Dieser Analyse liegen zwei einander ergänzende Ansätze zugrunde, die sog.

Es mag auf den ersten Blick überraschen, dass der EZB-Rat eine moderate Infl ation als

optimal erachtet und nicht etwa 0 Prozent Infl ation anvisiert.

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zwei Säulen der Strategie. Mit der „wirtschaft lichen Analyse“ macht sich das Eurosystem ein Bild über die kurz- und mittelfristigen Infl ationsaussichten; im Rahmen der „monetären Analyse“ stehen längerfris-tige Infl ationstrends aus der Geldmengen- und Kre-ditentwicklung im Mittelpunkt der Betrachtung. Mit diesem „Zwei-Säulen-Ansatz“ soll sichergestellt werden, dass bei der Bewertung von Risiken für die Preisstabilität alle relevanten Informationen heran-gezogen und unterschiedliche Sichtweisen ange-messen berücksichtigt werden.

Wirtschaft liche Analyse: Breit fundierte Beurteilung der kurz- und mittelfristigen Risiken für die PreisstabilitätDie erste Säule der Analyse stützt sich auf eine Vielzahl gesamtwirtschaft licher und fi nanzieller Faktoren. Mit

dieser „wirtschaft lichen Analyse“ macht sich das Euro-system ein umfassendes und fundiertes Bild über die kurz- und mittelfristigen Infl ationsrisiken. Hierzu zählen Indikatoren, die die konjunkturelle Entwicklung auf-zeigen (z. B. Industrieproduktion, Auft ragseingänge in der gewerblichen Wirtschaft , Kapazitätsauslastung etc.) und Daten zur binnenwirtschaft lichen Kostensi-tuation (v. a. Löhne und Lohnverhandlungen) sowie zur außenwirtschaft lichen Lage (Wechselkurs, Roh-stoff -, insbesondere Ölpreise). Ferner liefern Finanzmarktpreise und entsprechende Umfragen Anhaltspunkte für die Infl ationserwar-tungen von Wirtschaft und Bevölkerung. Dieser Blick nach vorne – auf die Infl ationserwartungen – ist für eine Notenbank besonders wichtig. Denn das Ausmaß an Preissteigerungen, das Bevölkerung und Wirtschaft erwarten, hat maßgeblichen Einfl uss auf die später

Inflation und langfristige Inflationserwartungen im Euroraum

I Quelle: EZB I1 Harmonisierter Verbraucherpreisindex (HVPI), Vierteljahresdurchschnitte, Veränderung gegenüber Vorjahr.2 Vierteljährliche Umfrageergebnisse des Survey of Professional Forecasters der EZB zur erwarteten inflationsrate in 4 bis 5 Jahren.Deutsche Bundesbank

Ist es dem Eurosystem gelungen, in den bislang 19 Jahren seines Bestehens sein Versprechen der Geldwertstabilität einzulösen? Zur Erfolgskontrolle lohnt ein Blick in den Rückspiegel.

Die jährliche Teuerungsrate im Euroraum lag von 1999 bis 2017 bei durchschnittlich 1,7 Prozent. Gemessen hieran ist der Euro noch stabiler, als es die D-Mark gewesen ist. Im Zeitraum 1948 bis 1998 lag die jahres-durchschnittliche Teuerungsrate der D-Mark bei 2,7 Prozent – ein Wert, zu dem jedoch auch zwei „Ölpreis-schocks“ in den 1970er-Jahren und der Wiedervereinigungsboom mit entsprechend hohen Infl ationsraten beitrugen. Die 340 Millionen Bürger_innen in den 19 Ländern des Euro-Währungsraums leben also in einem Gebiet mit einer höchst stabilen Währung.

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Quelle: EZB. 1 Harmonisierter Verbraucherpreisindex (HVPI), Vierteljahresdurchschnitte, Veränderung gegen-

über Vorjahr. 2 Vierteljährliche Umfrageergebnisse des Survey of Professional Forecasters der EZB zur erwarte-

ten Inflationsrate in 4 bis 5 Jahren.

langfristigeInflations-erwartungen 2)

Inflation 1)

in %

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65D I E G E L D P O L I T I S C H E S T R AT E G I E D E S E U R O S Y S T E M S

tatsächlich realisierte Infl ation. Rechnen die Menschen etwa mit deutlich steigenden Verbraucherpreisen, dann werden sie unter anderem versuchen, als Aus-gleich für den erwarteten Kaufkraft verlust höhere Löhne zu vereinbaren. Dies wiederum erhöht die Pro-

duktionskosten der Unternehmen, die dann ihrerseits versuchen werden, diese gestiegenen Kosten über höhere Preise an ihre Kunden weiterzugeben.Die Geldpolitik ist daher stets darauf ausgerichtet, die Infl ationserwartungen auf dem Niveau zu stabilisieren, das mit Preisstabilität vereinbar ist. Dies kann sie durch einen glaubwürdigen Stabilitätskurs und die Ausrich-tung auf ein öff entlich verkündetes Stabilitätsziel aktiv beeinfl ussen. Fest verankerte Infl ationserwartungen, wie wir sie seit Beginn der Währungsunion tatsächlich vorfi nden (siehe Grafi k „Infl ation und langfristige Infl a-tionserwartungen“), unterstützen das Eurosystem

Infl ationserwartungen sind für Notenbanken besonders wichtig, denn das von der

Bevölkerung und der Wirtschaft erwartete Ausmaß an Preissteigerungen hat

maßgeblichen Einfl uss auf die später tatsächlich realisierte Infl ation.

maßgeblich bei der Erfüllung seiner Aufgabe. Sie sind gleichzeitig ein wichtiger Gradmesser für die Glaub-würdigkeit der Geldpolitik.Im Rahmen der wirtschaft lichen Analyse kommt den „gesamtwirtschaft lichen Projektionen“, die die EZB viermal im Jahr veröff entlicht, eine besondere Rolle zu. Zweimal im Jahr (jeweils im Juni und Dezember) erstellt das Eurosystem – also die Fachleute der EZB gemeinsam mit denjenigen aus den nationalen Noten-banken der Euro-Länder – solche Projektionen. Die Fachleute der EZB bringen diese Projektionen dann jeweils im März und September auf den aktuellen Stand. Die Projektionen liefern ein zusammenhän-gendes Bild sowohl der aktuellen als auch der voraus-sichtlichen Entwicklung der Wirtschaft im Euroraum. Im Zentrum stehen Vorausschätzungen zur gesamt-wirtschaft lichen Leistung (dem Bruttoinlandsprodukt) und der Verbraucherpreisentwicklung. Die Projekti-onen basieren immer auch auf einer Reihe von Annahmen (z. B. zur Ölpreisentwicklung und zum Wechselkurs). Daher sind sie als Einschätzung, aber nicht als verbindliche, punktgenaue Vorhersage zu verstehen. Gleichwohl geben die Projektionen dem EZB-Rat wertvolle Hinweise und spielen somit eine wichtige, wenn auch nicht die allein entscheidende Rolle für geldpolitische Entscheidungen.

Die Zwei-Säulen-Strategie des Eurosystems als Grundlage geldpolitischer Entscheidungen

Geldpolitische Strategie des Eurosystems

Vorrangiges Ziel: Preisstabilität(Preissteigerungsrate unter, aber nahe 2%)

WechselseitigeÜberprüfung

EZB-Rat tri� geldpolitische Entscheidungen auf der Grundlage einer einheitlichen Gesamtbeurteilung der Risiken für die

tätilibatssierP

1. SäuleWirtscha�licheAnalyse

Analyse wirtscha�licher Entwicklungen und Schocks

2. SäuleMonetäreAnalyse

Analysemonetärer Trends

Gesamtheit der zur Verfügung stehenden Informationen

(Zwei-Säulen-Strategie)

I Quelle: Deutsche Bundesbank I

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66 G E L D U N D G E L D P O L I T I KW O C H E N S C H AU S E K . I + II

Monetäre Analyse: Längerfristige Infl ations-trends aus der GeldmengenentwicklungUm ein möglichst vollständiges Bild zu erhalten, wird die wirtschaft liche Analyse um eine zweite Säule, die monetäre Analyse, ergänzt. Hier berücksichtigt die Notenbank, dass es nur dann zu anhaltenden Preis-steigerungen kommen kann, wenn der Anstieg der Preise durch eine entsprechende Geldvermehrung „fi nanziert“ wird. Dieser Zusammenhang eröff net der Geldpolitik Analysemöglichkeiten, die über den kurz- bis mittelfristigen Betrachtungszeitraum der wirtschaft lichen Analyse hinausgehen. Das Euro-system beobachtet daher laufend die Entwicklung der breit defi nierten Geldmenge M3 sowie die Kre-ditentwicklung als wichtigste Einfl ussgröße der Geld-menge. Da nicht auszuschließen ist, dass es kurzfris-tige Änderungen im Geldmengenwachstum gibt, die aber nicht infl ationswirksam werden, konzentriert sich das Eurosystem auf den langfristigen Zusammen-hang beider Größen. Die monetäre Analyse unter-mauert damit die Mittel- bis Langfristorientierung der Notenbank.

Wechselseitige Gegenprüfung beider SäulenWirtschaft liche und monetäre Analyse decken jeweils eine bestimmte Sichtweise der Infl ationsentstehung ab. Während die wirtschaft liche Analyse kurz- bis mit-

telfristige, insbesondere konjunkturelle Infl ationsri-siken aufdeckt, dient die längerfristig angelegte mone-täre Analyse auch dazu, die Ergebnisse der wirtschaft -lichen Analyse zu überprüfen. Diese Gegenprüfung („cross checking“) verringert die Gefahr, dass die Geldpolitik relevante Informationen bei der Bewertung künft iger Risiken für die Preisstabilität übersieht.

Zwei-Säulen-Strategie hat sich bislang bewährt

Die Zwei-Säulen-Strategie des Eurosystems hat sich in den knapp zwei Jahrzehnten der Währungsunion als verlässliches Instrument für die Notenbank erwiesen. Hierbei ist es wichtig zu verstehen, dass die geldpoli-tische Strategie keine „mechanische Übung“ darstellt, bei der man zu Beginn des Analyseprozesses Daten eingibt und am Ende quasi automatisch eine bestimmte geldpolitische Entscheidung erhält. Es gibt mithin keinen Algorithmus bzw. kein festes Gewich-tungsschema, mit dem die verschiedenen Einfl ussfak-toren auf die Preisentwicklung „verarbeitet“ werden. Vielmehr müssen die einzelnen Indikatoren – für sich und im Zusammenspiel – bewertet werden. Diese Bewertung fi ndet im EZB-Rat statt, in dem unter-schiedliche Sichtweisen und Schlussfolgerungen auf-

Projektionen beeinflussen geldpolitische Entscheidungen

Die gesamtwirtschaftlichen Projektionen liefern ein zusammenhängendes Bild sowohl von der aktuellen als auch der voraussichtlichen Entwicklung der Wirtschaft. Auch die Verbraucherpreisentwicklung wird vorausgeschätzt.

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67D I E G E L D P O L I T I S C H E S T R AT E G I E D E S E U R O S Y S T E M S

einandertreff en und diskutiert werden. Hinzu kommt, dass sich die Bedeutung von Indikatoren – je nachdem, in welchem Umfeld die Notenbank agiert – auch ändern kann. In der Krise mögen Indikatoren an Gewicht gewonnen haben, die in „Normalzeiten“ unter Umständen weniger wichtig waren. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass im EZB-Rat intensiv dis-

kutiert und nicht immer alle Entscheidungen im Kon-sens gefällt werden.Die geldpolitische Strategie des Eurosystems hat mitt-lerweile verschiedene Zyklen durchlaufen. Als Ergebnis kann man festhalten, dass sie sich als praxistauglich und robust erwiesen hat. Mithilfe der Strategie war es dem EZB-Rat also möglich, auch ganz unterschiedlichen geldpolitischen Herausforderungen zu begegnen. Zum Beispiel wurde in den vergangenen Jahren das Ziel einer Infl ationsrate von knapp 2 Prozent mitunter deutlich – nach unten – verfehlt. Vor diesem Hintergrund gab die Strategie klare Signale vor, die Geldpolitik expansiver auszurichten, weshalb der EZB-Rat zunächst konventi-onelle und später vor allem unkonventionelle geldpoli-tische Maßnahmen beschloss. Selbst in geldpolitisch schwierigen Phasen wurde die Strategie nicht „ausge-hebelt“, sondern sie hat sich als Analyse- und Kommu-nikationsrahmen bewährt.

Anmerkungen1 Der Geldmengensteuerung liegt die Annahme zugrunde,

dass zwischen Geldmenge und Preisentwicklung ein langfristiger Zusammenhang besteht, den die Notenbank für sich nutzen kann. Die Verwendung der Geldmenge als Zwischenziel erlaubt eine frühzeitige geldpolitische Reaktion, weil man Fehlentwicklungen nicht erst in der Infl ationsrate, sondern oft mals schon an der Zwischen-größe erkennen kann. Die Geldmengensteuerung wurde durch die Deutsche Bundesbank maßgeblich mitgeprägt, die diese Strategie zwischen 1975 und 1998 verfolgte.

Es kann nur dann zu anhaltenden Preisstei-gerungen kommen, wenn der Anstieg der Preise durch eine entsprechende Geldver-

mehrung „fi nanziert“ wird.

HINWEISE FÜR DEN UNTERRICHT

VORSCHLAG: Ausgehend von diesem Beitrag kann eine Sitzung des EZB-Rates simuliert werden. Ein unterrichtspraktischer Arbeitsauf-trag kann lauten: „Entwerfen Sie jeweils ein Szenario für die ökonomischen Indikatoren in der Europäischen Union bei (a) einer Leizinssen-kung, (b) -erhöhung und (c) -beibehaltung auf gegenwärtigem Niveau.“

Die Schüler_innen ermitteln hierbei, welche Auswirkungen das jeweilige Szenario auf ökonomische Indikatoren wie Wirtschaft s-wachstum, Arbeitslosigkeit, Exporte oder die Höhe des Euro-Dollar-Wechselkurses hat. Mit dem Simulationsspiel Mopos, welches auf der Homepage der Schweizerischen Nationalbank (www.iconomix.ch) heruntergeladen werden kann, lässt sich eine solche Simulation im Unterricht gut durchführen.

LiteraturverzeichnisGörgens, Egon/Ruckriegel, Karlheinz/Seitz, Franz 2014: Europä-ische Geldpolitik: Theorie – Empirie – Praxis. 6. Aufl age. Konstanz, S. 122 – 209.Deutsche Bundesbank 1998: Geldpolitische Strategien in den Län-dern der Europäischen Union. Monatsbericht Januar 1998, S. 33 – 47.Deutsche Bundesbank 2017: Geld und Geldpolitik. Frankfurt am Main.Europäische Zentralbank 2018: Strategy (ecb.europa.eu/mopo/stra-tegy/html/index.en.html) Zugri� vom 6.4.2018.

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68 G E L D U N D G E L D P O L I T I KW O C H E N S C H AU S E K . I + II

Dr. Albrecht Sommer

ist Diplom-Volkswirt. Auf sein Studium an der FU Berlin folgte

eine Promotion, die er 1990 abschloss. Im sel-

ben Jahr trat er in die Bundesbank ein und ist seit 2002 im Stab des Präsidenten der

Bundesbank-Hauptver-waltung in Berlin und

Brandenburg.

Der Geldmarkt als Ansatzpunkt für die Geldpolitik

Weltweit ist die überwiegende Mehrheit der Noten-banken vorrangig dafür verantwortlich, Preisstabilität zu sichern. Einen direkten Einfluss auf die Preissetzung von Unternehmen und damit letztlich auf das gesamt-wirtschaftliche Preisniveau besitzen die Zentralbanken jedoch nicht. Sie müssen ihr (End-)Ziel auf indirektem Wege erreichen. Aufgabe der Geldpolitik ist, durch den gezielten Einsatz der geldpolitischen Instrumente die Wirtschaft auf einen mit Preisstabilität vereinbaren Pfad zu führen. Das Vorgehen erfolgt dabei in drei Stufen. Zunächst werden aus dem geldpolitischen Instrumentenkasten diejenigen Instrumente ausge-wählt, die unter den gegebenen Bedingungen grund-sätzlich geeignet sind, das Endziel „Preisstabilität“ zu erreichen. In einem nächsten Schritt wird dasjenige Instrument bestimmt, mit dem sich das Endziel in Bezug auf Genauigkeit, Geschwindigkeit und mögli-chen Nebenwirkungen am effizientesten erreichen lässt. Zuletzt wird dann über den konkreten Einsatz des ausgewählten geldpolitischen Instruments ent-schieden.Ansatzpunkt für die Geldpolitik ist der Bedarf der Geschäftsbanken an Zentralbankgeld (häufig spricht man auch von (Zentralbank-)Liquidität oder Reserven). Das von den Geschäftsbanken benötigte Zentralbank-geld wird diesen in „geldpolitischen Normalzeiten“ über einen Kredit im Rahmen von Refinanzierungsge-schäften (Euroraum) oder durch den Ankauf von Aktiva (US Federal Reserve Bank) zur Verfügung gestellt (vgl. den Beitrag „Wie kommt das Geld in die Welt?“). Der hierbei den Geschäftsbanken in Rech-

nung gestellte Zinssatz – und nicht die zur Verfügung gestellte Menge an Zentralbankgeld – ist das zentrale geldpolitische Instrument, mit dem heutzutage alle bedeutenden Notenbanken versuchen, eine stabilitäts-konforme Preisentwicklung zu gewährleisten. Im Euro-system ist dies der Hauptrefinanzierungssatz für Kre-dite mit einer Laufzeit von einer Woche (vgl. Geld und Geldpolitik 2017, S. 198 ff.).Preisstabilität wird heutzutage von der Mehrzahl der Notenbanken so definiert, dass die Inflationsrate eine bestimmte Höhe nicht übersteigt. Im Euroraum soll die Inflationsrate mittelfristig unter 2 Prozent betra-gen. Konkret strebt der EZB-Rat eine Rate von unter, aber nahe 2 Prozent an. Um die Preisentwicklung in

diese Richtung zu bringen bzw. sie dort zu halten, muss die Zentralbank ihren Leitzins auf einem Niveau festlegen, welches in einer mit Preisstabilität zu ver-einbarenden gesamtwirtschaftlichen Entwicklung mündet.Eine zielgerichtete Geldpolitik setzt somit Kenntnisse über den sog. Transmissionsmechanismus voraus, d. h. die Gesamtheit der Prozesse, welche die Übertragung geldpolitischer Entscheidungen (Zinssatzänderung) auf die Preisentwicklung (und gegebenenfalls andere volkswirtschaftliche Größen) beschreiben.

Wie wirkt die „klassische“ Geldpolitik?Notenbanken versuchen, ihr primäres Ziel der Preisstabilität durch den gezielten Einsatz geldpolitischer Instrumente zu erreichen. Das zentrale Instrument der Geldpolitik ist der Zinssatz für das Bereitstellen von Zentralbankgeld. Änderungen dieses Zinssatzes beeinflussen über verschiedene Kanäle die Wirtschaftsdy-namik und in letzter Konsequenz die Preisentwicklung. Gute Kenntnisse der verschiedenen Übertragungs-wege sind eine zentrale Voraussetzung, um die richtigen, d. h. auf das Stabilitätsziel ausgerichteten geld-politischen Entscheidungen zu treffen. In diesem Beitrag werden die wichtigsten „Transmissionskanäle“ beschrieben und in Hinsicht auf ihre Bedeutung für die Ausrichtung der Geldpolitik diskutiert.

Der den Geschäftsbanken in Rechnung gestellte Zinssatz ist das zentrale geldpoli­tische Instrument, mit dem heutzutage alle

bedeutenden Notenbanken versuchen, eine stabilitätskonforme Preisentwicklung

zu gewährleisten.

Albrecht Sommer

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69W I E W I R K T D I E „ K L A S S I S C H E “ G E L D P O L I T I K ?

Um die angemessene „Dosis“ des Instrumenten-einsatzes zu bestimmen, ist es wichtig,

die Relevanz der Prozesse für die jeweilige Volks-wirtschaft,

die zeitlichen Verzögerungen und die Sensitivität der Übertragungsmechanismen auf Zinsänderungen zu bewerten.

Geldpolitik setzt bei der Nachfrage der Banken nach Zentralbankgeld anAusgangspunkt der verschiedenen geldpolitischen Wirkungsketten ist der von der Notenbank festgelegte Zinssatz (also der Preis) für die Bereitstellung von Zen-tralbankgeld. Dieser Zinssatz fungiert als Referenz-größe für die Zinssätze am Interbankenmarkt (Geld-markt), wo Zentralbankgeld in Form von Kontogutha-ben zwischen den Geschäft sbanken gehandelt wird. Entspricht die von der Notenbank bereitgestellte Menge an Zentralbankgeld der Nachfrage im Banken-system, werden die Geldmarktzinsen in der Regel nahe beim Refi nanzierungssatz liegen und damit den geldpolitischen Impuls in der gewünschten Weise auf den Geldmarkt übertragen. Entsprechend muss die Notenbank versuchen, den Geschäft sbanken dieje-nige Menge an Zentralbankgeld zur Verfügung zu stellen, die beim herrschenden Refi nanzierungssatz nachgefragt wird. Man spricht auch von einer neu-

tralen Liquiditätsbereitstellung. Der Zinssatz, den sich Banken für die kurzfristige Überlassung von Zentral-bankgeld in Rechnung stellen, ist das operative Ziel der Geldpolit ik.1 Trotz der am Bedarf orientierten Bereitstellung von Zentralbankgeld, können Geschäft sbanken überra-schend mit einem Zu- bzw. Abfl uss an Zentralbank-geld konfrontiert sein. Für diese Fälle eröff net das Eurosystem den Banken jederzeit die Möglichkeit, überschüssige Liquidität auf einem speziellen Konto bei den nationalen Zentralbanken zu „parken“ bzw. sich fehlende Mittel für einen Tag („über Nacht“) beim Eurosystem zu leihen. Die in der sog. Einlagefa-zilität deponierten Gelder sind verzinst, wobei der Satz üblicherweise unter dem Hauptrefi nanzierungs-satz liegt. Umgekehrt liegt der Zinssatz der sog. Spit-zenrefi nanzierungsfazilität über dem Hauptrefi nan-zierungssatz.

Die Zinssätze der beiden „ständigen Fazilitäten“ bilden die Unter- bzw. Obergrenze für die kurzfristigen Geld-marktzinssätze, beispielsweise den Tagesgeldsatz (Euro Overnight Index Average (EONIA)).2 Keine Geschäft s-bank wird überschüssige Gelder an eine andere Bank zu einem Zinssatz verleihen, der unter dem Einlagezins-satz liegt. Umgekehrt wird kein Institut bei einer ande-ren Bank Gelder zu einem über dem Spitzenrefi nanzie-rungssatz liegenden Zinssatz aufnehmen. Durch den Zinskorridor ist die maximale Schwankungsbreite der Geldmarktzinsen bestimmt und damit eine enge Anbindung der Geldmarktsätze an den Hauptrefi nan-zierungssatz garantiert. Üblicherweise werden daher bei einer Leitzinsänderung nicht nur der Hauptrefi nan-zierungssatz, sondern auch die Sätze der beiden stän-digen Fazilitäten in die gleiche Richtung angepasst (vgl. Schaubild „Notenbankzinsen und Geldmarktsatz“).

Das komplexe Gefl echt der Übertragung geldpolitischer Maßnahmen Mit der Steuerung der Geldmarktzinssätze durch die Zentralbank beginnt die Übertragung des geldpoliti-schen Impulses auf den Finanzsektor und in der Folge auf die Realwirtschaft . Die Übertragungswege sind vielfältig und in ihrer quantitativen und zeitlichen Wir-kung von der jeweiligen Wirtschaft slage, aber auch von den wirtschaft lichen Strukturen einer Volkswirt-schaft abhängig. Im Folgenden sollen zunächst die wichtigsten Transmissionskanäle beschrieben und anschließend ihre Bedeutung für die Wirkung der europäischen Geldpolitik untersucht werden.Transmissionskanäle werden üblicherweise nach der zentralen Schlüsselgröße unterschieden, die für die Wirkung auf die Endzielvariable (Infl ationsrate) ent-scheidend ist. Als wichtigste Übertragungswege in dem komplexen Gefl echt ökonomischer Wirkungszu-sammenhänge haben sich der Zins-, der Erwartungs- und der Wechselkurskanal erwiesen.3

Zinskanal

Der im Euroraum wichtigste Übertragungskanal – der Zinskanal – beschreibt, wie sich eine Änderung des Refi -nanzierungssatzes auf die langfristigen Zinsen in einer Volkswirtschaft und in der Folge auf Wachstum, Beschäft igung und Infl ation auswirkt. Mit anderen Wor-ten: Dreht die Zentralbank an der „Leitzinsschraube“, wird dies sämtliche Zinssätze in der Volkswirtschaft beeinfl ussen und entsprechende Folgen für Investitions-, Konsum- und Sparentscheidungen haben. Dies wiede-rum wirkt sich auf die gesamtwirtschaft liche Dynamik und in der Folge auch auf die Preisentwicklung aus.

Ausgangspunkt der verschiedenen geldpo­litischen Wirkungsketten ist der von der

Notenbank festgelegte Zinssatz für die Bereit­stellung von Zentralbankgeld.

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70 G E L D U N D G E L D P O L I T I KW O C H E N S C H AU S E K . I + II

Die grundlegende Verbindung von kurz- und langfris-tigen Zinssätzen wird in der sogenannten „Erwartungs-theorie der Zinsstruktur“ thematisiert. Diese Theorie besagt, dass abgesehen von Liquiditäts- und Risikoer-wägungen eine wiederholte Geldanlage in kurzfristige Vermögentitel die gleiche Gesamtverzinsung (Rendite) erbringen sollte wie eine einmalige Anlage in einem längerfristigen Finanzinstrument über den gleichen Zeitraum. Sollte eine der beiden Investitionsalternativen eine höhere Rendite versprechen, würde diese durch Umschichtungen der Anleger_innen zu Gunsten der ertragreicheren Anlage eliminiert. Jedoch sind die bei der Wiederanlage geltenden Zinssätze für kurzfristige Anlagen zum Zeitpunkt der ersten Investition noch nicht bekannt. Anleger_innen bzw. Banken müssen daher Erwartungen über die zukünft ig geltenden Marktzins-sätze bilden, um den Ertrag dieser Investitionsalter-native einschätzen zu können. Der Renditevergleich zwischen kurz- und langfristigen Anlagen wird somit entscheidend durch die Zinserwartungen der Marktteil-nehmer_innen beeinfl usst. Da die kurzfristigen Zinsen – wie oben beschrieben – weitgehend durch die Noten-bankpolitik bestimmt werden, sind die Investor_innengehalten, Erwartungen über den zukünft igen Kurs der Geldpolitik zu bilden. Rechnen die Marktakteur_innendamit, dass die Notenbank ihre geldpolitischen Zügellockert und die Zinsen der Refi nanzierungskredite nach unten schleust, wird der Ertrag kurzfristiger Anlagen in der Zukunft sinken. Die hierdurch in aller Regel ausge-lösten Umschichtungen in langfristige Anlagen lassenderen Kurse steigen, sodass ihre Rendite – gleichgerich-

tet zum Sinken des Leitzinssatzes – ebenfalls sinkt (zu dem inversen Zusammenhang zwischen Anleihekursen und Marktrendite vgl. den entsprechenden Infokasten im Beitrag „Die Politik der ‚quantitativen Lockerung‘“).

Geldpolitik ist immer auch KommunikationspolitikDamit die Notenbanken den gewünschten Einfl uss auf die langfristigen Zinssätze erzielen, müssen sie die Erwartungen der Marktakteur_innen über den zukünf-tigen zinspolitischen Kurs in einer Weise steuern, die den eigenen Intentionen entspricht. Voraussetzung hierfür ist eine klare Kommunikationspolitik, die es den Marktteilnehmer_innen erlaubt, das weitere Vorgehen der Zentralbank weitgehend zu antizipieren. Entspre-chend groß ist der Aufwand, den die Notenbanken betreiben, um ihr Handeln für außenstehende Beobach-tende verständlich und transparent zu gestalten.4 Möchte die Notenbank beispielsweise die Konjunktur stimulieren, genügt es nicht, den Notenbankzinssatz zu senken. Darüber hinaus muss sie den Märkten signali-sieren, wie lange die Zinssätze auf dem niedrigen Niveau verharren werden oder ob sie noch weiter gesenkt wer-den sollen. In letzterem Fall wird – unter sonst gleichen Umständen – der Rückgang der Zinssätze für länger-fristige Anlagen noch kräft iger ausfallen.

Die Wirkung einer Leitzinssenkung im ZinskanalEine Leitzinssenkung wird einerseits zu einem Rück-gang der Zinsen für Bankeinlagen führen, da Banken kein Interesse mehr daran haben, zu den ursprüng-lich höheren Zinsen Einlagen einzuwerben. Banken

Notenbankzinsen und Geldmarktsatz

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1 Tageswerte. 2 Festzinssatz beim Mengentender bzw. marginaler Zuteilungssatz beim Zinstender.

Einlagefazilität

SpitzenrefinanzierungsfazilitätHauptrefinanzierungsgeschäfte 2)

Tagesgeldsatz 1) (EONIA)

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71W I E W I R K T D I E „ K L A S S I S C H E “ G E L D P O L I T I K ?

geben also Leitzinsänderungen in der Regel gleich-gerichtet an ihre Kund_innen im Einlagengeschäft weiter. Andererseits ist durch den gesunkenen Leit-zinssatz auch mit einem Abwärtsdruck auf die Ren-diten von sehr liquiden, d. h. häufi g gehandelten Wertpapieren, wie beispielsweise Staatsanleihen, zu rechnen. In der Folge erscheinen die weniger liquiden und riskanteren Unternehmensanleihen für Anle-ger_innen nun attraktiver, da diese Anleihen gegen-über Staatsanleihen eine vergleichsweise hohe Ver-zinsung bieten. Dies führt zu einer erhöhten Nach-frage nach Unternehmensanleihen, sodass deren Kurse nun ebenfalls steigen bzw. deren Renditen sinken. Letztlich wird sich der Zinsrückgang sukzes-sive auf eine breite Palette von Anleihen an den Kapi-talmärkten übertragen.Sinkende Renditen für festverzinsliche Wertpapiere steigern wiederum die Attraktivität von Aktien. Die Nachfrage nach Aktien zieht an und die Kurse an den Börsen gehen nach oben. Im Ergebnis ist es nunmehr für Unternehmen preiswerter, sich entweder durch die Ausgabe von Aktien oder durch die Emission von Anleihen zu fi nanzieren. Entsprechend wird die Nach-frage nach Bankkrediten tendenziell abnehmen. Um ein Wegbrechen des Kreditgeschäft s zu vermeiden, werden die Banken die Zinssätze für Ausleihungen an Unternehmen, aber auch für alle sonstigen Kreditar-ten, wie beispielsweise für Hypothekar- und Konsu-mentenkredite, zurücknehmen.5 Als Folge der Leitzins-senkung werden daher die Kosten einer Kreditauf-nahme auf breiter Front sinken.Bei weitgehend unveränderten Preis- und Absatzerwar-tungen sollte mit dem Rückgang der langfristigen Zins-sätze sowohl die Nachfrage nach Ausrüstungsgütern und Maschinen als auch nach Immobilien zunehmen. Ferner ist anzunehmen, dass mit sinkenden Kreditzin-sen die Käufe langlebiger Konsumgüter (beispielsweise Möbel oder Waschmaschinen) zunehmen. Der expan-sive geldpolitische Kurs wird somit in einem Anstieg

der volkswirtschaft lichen Gesamtnachfrage münden.Die Unternehmen werden auf die gestiegene Nach-frage mit einem Abbau ihrer Lagerbestände und – soweit sie von dauerhaft höheren Verkäufen über-zeugt sind – mit einer Ausweitung der Produktion reagieren. Mit dem Anziehen der Produktion sind ein

Anstieg der Beschäft igung und ein Rückgang der Arbeitslosigkeit verbunden. Da der gestiegene Bedarf an Arbeitskräft en die Verhandlungsmacht der Gewerkschaft en stärkt, werden die Löhne tendenziell stärker steigen. Kommt es zu Lieferengpässen, wer-den auch die Preise für Vorprodukte anziehen. Hält der Nachfrageboom an, werden die Unternehmen

versuchen, die gestiegenen Produktionskosten auf die Verkaufspreise zu überwälzen. Die Infl ationsrate beginnt zu steigen. Damit ist der über den Zinskanal wirkende Transmissionsprozess gesunkener Noten-bankzinsen auf die Infl ationsrate vollendet (siehe Schaubild „Zinskanal“, S. 72).

Erwartungskanal

Die Erwartungen über den zukünft igen Kurs der Geldpolitik und die daraus resultierende Infl ationsrate beeinfl ussen auch ganz unmittelbar die Höhe der gegenwärtigen Zinsen. Um diesen Umstand zu ver-stehen, muss man sich verschiedene Zusammen-hänge klarmachen. Ausgangspunkt der Betrachtung ist, dass die in Geldeinheiten gemessene Rendite einer Finanzinvestition – abgesehen von möglichen Kursgewinnen – durch den vereinbarten Zins, auch Nominalzins genannt, bestimmt wird. Wie hoch der hiermit verbundene reale Ertrag der Finanzanlage, d. h. der Zugewinn an Kaufkraft ist, zeigt sich aller-dings erst, wenn die Preisentwicklung über die Lauf-zeit der Anlage in der Kalkulation berücksichtigt wird. Dies geschieht, indem vom Nominalzinssatz die über die Laufzeit erwartete durchschnittliche Infl ationsrate abgezogen wird. Dieser „infl ationsbereinigte“ Zins-satz wird auch Realzins genannt; er bestimmt letzt-lich die Spar- und Investitionsentscheidungen vonHaushalten und Unternehmen. Wird eine zukünft igdeutlich steigende Infl ationsrate erwartet, dann wer-den Anleger_innen bereits heute einen entsprechend höheren Nominalzins verlangen, um für die erwartete Geldentwertung entschädigt zu werden und sich den gewünschten Realzins zu sichern.Das entgegengesetzte Kalkül gilt aus der Sicht derSchuldner_innen. Der reale Schuldendienst einer Kre-ditverbindlichkeit ergibt sich erst, wenn der Kreditzinsum die erwartete Infl ationsrate bereinigt wird. Entspre-

Als Folge der Leitzinssenkung sinken die Kosten einer Kreditaufnahme, was wiederum

einen Anstieg der volkswirtschaft lichen Gesamtnachfrage erwarten lässt.

Hält der Nachfrageboom an, werden die Unternehmen versuchen, die gestiegenen Produktionskosten auf die Verkaufspreise

zu überwälzen.

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72 G E L D U N D G E L D P O L I T I KW O C H E N S C H AU S E K . I + II

chend nimmt die reale Schuldenlast einer bestehenden Verbindlichkeit mit steigenden Preisen ab. Ein sinkender Realzins wird daher unter sonst gleichen Umständen zu mehr Investitionen, steigender Beschäft igung und höherem Wachstum führen. Im Lichte der geschilder-ten Zusammenhänge wird deutlich, dass die Infl ations-

erwartungen Einfl uss auf die Konsum-, Anlage- und Investitionsentscheidungen der privaten Haushalte und Unternehmen haben. Diese Erwartungen zu beeinfl us-sen, ist ein wichtiger Hebel der Geldpolitik. Konkret bedeutet dies, dass Zentralbanken darauf zielen, durch eine glaubwürdige Stabilitätsorientierung die Infl ationserwartungen auf einem stabilitätskon-formen Niveau zu verankern bzw. dorthin zu lenken. Gelingt es, die Infl ationserwartungen auf dem Ziel-wert zu fi xieren, wird in den langfristigen Nominalzin-sen lediglich die Zielinfl ationsrate eingepreist, nicht jedoch die Furcht vor einer übermäßig hohen Infl ation. An gut verankerten Infl ationserwartungen ändert auch eine geldpolitisch bedingte Leitzinssenkung nichts, sofern diese die Glaubwürdigkeit der Stabili-tätsorientierung nicht unterminiert. Unter diesen

Bedingungen geht eine Senkung der Notenbankzinsen mit einem Rückgang der Nominal- und der Realzinsen einher und die Leitzinssenkung hat den gewünschten expansiven Eff ekt.Rechnen Anleger_innen und Geschäft sbanken jedoch damit, dass die Zentralbank auch eine über der Ziel-größe liegende Infl ationsrate toleriert, ist im Nach-gang einer Zinssenkung mit einem Anstieg der Infl a-tionserwartungen und entsprechend höheren Nomi-nalzinsforderungen bzw. Kreditzinsen zu rechnen, um für den erwarteten Kaufkraft verlust entschädigt zu werden. In diesem Fall würde der Rückgang der Noten-bankzinsen durch einen Anstieg der Infl ationserwar-tungen und damit auch der Nominal- und Realzinsen konterkariert, sodass die Transmission der geldpoliti-schen Lockerung misslingt.6 Dies unterstreicht, wie wichtig die Verankerung der Infl ationserwartungen auf Höhe der Zielinfl ation für die Effi zienz der Geld-

politik ist. Entsprechend groß ist der Aufwand, den Zentralbanken betreiben, um ihre Stabilitätsorientie-rung auch im Fall einer temporären Zielverfehlung unter Beweis zu stellen.

WechselkurskanalEine Zinsänderung durch die Notenbank beeinfl usst nicht nur die Ertragsraten inländischer Vermögenstitel. Sie wirkt sich auch auf die Vorteilhaft igkeit von Anla-gen in unterschiedlichen Währungsräumen aus. Eine Zinssenkung im Inland wird Finanzinvestor_innen veranlassen, Gelder aus dem heimischen Währungs-gebiet in andere Währungsräume zu verlagern. Der-artige Kapitalbewegungen führen in der Tendenz zu einer Aufwertung der ausländischen und somit zu einer Abwertung der heimischen Währung, d. h. der Preis der heimischen Währung gemessen in ausländi-schen Währungseinheiten nimmt ab. Entsprechend sinkt der in ausländischer Währung ausgezeichnete Preis heimischer Exportgüter, was die ausländische Nachfrage anregen sollte. Darüber hinaus verteuert die Abwertung Importe aus dem Ausland, wodurch heimische Anbieter einen preislichen Wettbewerbs-vorteil erlangen. Im Ergebnis wirkt die Abwertung wie ein kleines Konjunkturprogramm, wobei sich der Saldo im Außenhandel „verbessert“. Die außenwirtschaft li-che Belebung des heimischen Wirtschaft swachstums wird den Preisauft rieb tendenziell beschleunigen (siehe

Glaubwürdigkeit ist das wichtigste Kapital der Notenbanken.

Ein wichtiger Hebel der Geldpolitik ist es, die Infl ationserwartungen auf einem

stabilitätskonformen Niveau zu verankern bzw. dorthin zu lenken.

Zinskanal

I Quelle: Deutsche Bundesbank I

Geldpolitik in NormalzeitenZinsen für Zentralbankgeld beeinflussen Geldschöpfung der Banken

19.12.2017

Christiane Engellandt-Kranen, Deutsche Bundesbank, HV BBB

Kreditzinsen der Bankkunden:

Anleiherenditen:

Notenbank setzt Refinanzierungssatz:

Refinanzierung der Banken:

Einlagezinsen der Bankkunden:

Kreditnachfrage der Nicht-Banken:

Investitionen und Konsum-nachfrage:

Preise (Inflationsrate):

↓ Senkung

↓ günstiger

↓ sinken

↓ sinken

↓ sinken

↑ steigt

↑ steigt

↑ steigen

↑ Erhöhung

↑ teurer

↑ steigen

↑ steigen

↑ steigen

↓ sinkt

↓ sinkt

↓ sinken

Zinskanal

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73W I E W I R K T D I E „ K L A S S I S C H E “ G E L D P O L I T I K ?

Schaubild „Wechselkurskanal“). Zudem sorgt die abwertungsbedingte Verteuerung importierter Ver-brauchsgüter ganz unmittelbar für einen Anstieg der inländischen Infl ationsrate.7

Umgekehrt werden bei einer Zinserhöhung und einer Aufwertung der heimischen Währung Exporte teurer und Importe billiger. Der inländische Preisauft rieb wird damit sowohl durch die abnehmende ausländische Nachfrage nach (teureren) inländischen Produkten als auch durch die in heimischer Währung nunmehr billi-geren Importe gedämpft .

Volkswirtschaft liche Strukturen beeinfl ussen die Transmissionskanäle

Die Transmission geldpolitischer Impulse wird sowohl durch strukturelle Besonderheiten der Volkswirtschaft als auch durch die wirtschaft liche Lage beeinfl usst. Während die Übertragung zinspolitischer Maßnah-men auf die kurzfristigen Geldmarktzinsen in allen Ländern mit entwickelten Finanzsystemen ohne Ver-zögerung erfolgt, ergeben sich bei der Durchwirkung auf die langfristigen Zinssätze beträchtliche Unter-schiede.Für den zeitlichen Verlauf der Übertragung spielt die durchschnittliche Zinsbindungsfrist der Kredite eine wichtige Rolle. In Ländern mit kürzeren Zinsbindungs-fristen und einer stärkeren Bedeutung variabel verzins-licher Kredite werden sich geldpolitische Impulse deutlich schneller auf die Kreditzinsen und damit auf die Kreditvergabe übertragen als in Ländern mit einer ausgeprägten „Langfristkultur“. Deutschland gehört dabei zu denjenigen Ländern mit sehr langen Zinsbin-dungsfristen, wohingegen beispielsweise in Spanien variable verzinsliche Kredite eine größere Rolle spielen.

Weiterhin hat auch die konjunkturelle Lage einen wich-tigen Einfl uss auf die Wirkungsweise der klassischen Geldpolitik. Ist die Arbeitslosigkeit zu Beginn der geld-politischen Lockerung sehr hoch, wird einige Zeit ver-gehen, bis sich die Zinssenkung auf die Infl ationsrate überträgt. Denn in diesem Fall wird es länger brau-chen, bis sich die verbesserte Konjunktur auch in deut-lich höheren Lohnsteigerungen niederschlägt. Ferner

ist zu berücksichtigen, dass die Investitionsbereitschaft vornehmlich durch die zukünft igen Ertragsaussichten und weniger durch das aktuelle Zinsniveau bestimmt wird. In einer von Kaufzurückhaltung geprägten kon-junkturellen Lage werden die Unternehmen daher auch bei sehr niedrigen Zinsen ihre Investitionen nur wenig erhöhen.Auch der Grad der Verschuldung im privaten Sektor spielt für die Wirksamkeit des Zinskanals eine wichtige Rolle. So hat die jüngste Finanzkrise gezeigt, dass die Wirksamkeit der Zinspolitik durch eine hohe Verschul-dung im privaten Sektor geschwächt wird. Bereits hoch verschuldete private Haushalte und Unterneh-men werden auch bei sehr niedrigen Zinsen davon absehen, zusätzliche Kredite aufzunehmen. Entspre-chend fällt die Belebung der gesamtwirtschaft lichen Nachfrage merklich geringer aus und die durch eine Finanzkrise ausgelöste Rezession wird nur sehr lang-sam überwunden.Aus dem oben gesagten wird deutlich, dass zinspoli-tische Maßnahmen in ihrer Wirkung von einer Vielzahl von Faktoren abhängen, auf die eine Zentralbank kei-nen Einfl uss hat. Entsprechend schwierig ist es, ihre Wirksamkeit bzw. die Wirkungsverzögerungen ver-lässlich zu prognostizieren. Die Mehrheit der empiri-schen Analysen kommt gleichwohl zu dem Ergebnis, dass die Durchwirkung zinspolitischer Maßnahmen auf die Preisentwicklung (Infl ationsrate) mit einer Ver-zögerung von zwei bis vier Jahren erfolgt. Diese Befunde sind allerdings im Lichte sich dynamisch ent-wickelnder Volkswirtschaft en immer wieder auf ihre Aktualität zu überprüfen.

Wechselkurskanal

LeitzinsenLeitzinsen

ImportpreiseImportpreise

Euro-Wechsel-kursEuro-Wechsel-kurs

ImporteImporte ExporteExporte

WachstumWachstum

InflationInflation

I Quelle: Deutsche Bundesbank I

Deutschland gehört zu den Ländern mit sehr langen Zinsbindungsfristen, weshalb sich hier geldpolitische Impulse nicht ganz

so schnell auf Kreditzinsen und Kredit­vergabe auswirken.

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74 G E L D U N D G E L D P O L I T I KW O C H E N S C H AU S E K . I + II

Fazit

Die Übertragung geldpolitischer Maßnahmen auf die Preisentwicklung erfolgt über eine Vielzahl von Kanä-len, die sich gegenseitig in ihrer Wirkung verstärken, aber auch – bei einer ungenügenden Verankerung der Infl ationserwartungen – neutralisieren können. Die Stärke und Geschwindigkeit der Prozesse werden dabei nicht nur durch die strukturellen Gegebenheiten des Finanzsektors der Volkswirtschaft bestimmt. Die Wirksamkeit einer zinspolitischen Maßnahme kann auch in Abhängigkeit von der jeweiligen konjunktu-rellen Lage sehr unterschiedlich ausfallen. Zudem wird die Durchwirkung geldpolitischer Maßnahmen durch das Auft reten wirtschaft licher Störungen (beispiels-weise eines überraschenden Anstiegs der Rohstoff -preise) überlagert. Es bleibt bei der schon 1961 von dem Nobelpreisträger Milton Friedman geäußerten Einschätzung, dass Geldpolitik mit langen und varia-blen Verzögerungen wirkt. Zentralbanken sind daher bestrebt, einen stetigen und berechenbaren Kurs zu fahren, der es erlaubt, sich ändernden gesamtwirt-schaft lichen Gegebenheiten Rechnung zu tragen. Ein Credo der Geldpolitik ist dabei unumstritten: Je glaub-würdiger eine Notenbank ihre Ziele verfolgt, umso geringer können die geldpolitischen Eingriff e ausfal-len, ohne an Wirksamkeit zu verlieren. Entsprechend wichtig ist es für die Geldpolitik, einen Rahmen zu schaff en, der Klarheit, Eff ektivität und Glaubwürdig-keit ihres Handelns garantiert.

Anmerkungen1 Die US Federal Reserve Bank versucht explizit, den Zinssatz für

Übernachtkredite am amerikanischen Geldmarkt auf das ge-wünschte Niveau bzw. in einen Zielkorridor zu schleusen. Die EZB hat zwar nicht explizit gemacht, welcher der Geldmarkt-zinsen für unterschiedliche Laufzeiten als operatives Ziel dient. Üblicherweise wird jedoch der Tagesgeldsatz (Euro Overnight Index Average (EONIA)) als Referenzgröße verwendet.

2 Der EONIA ist ein mit den tatsächlich getätigten Umsätzen am Interbankenkreditmarkt gewichteter Durchschnittszins-satz für Übernachtkredite. Die Berechnung basiert auf den Angaben, die täglich von 30 ausgewählten Geschäft sbanken an die EZB gemeldet werden.

3 Zu den weiteren, hier nicht diskutierten Übertragungskanä-len vgl. die Literaturempfehlungen.

4 Kommunikationspolitische Instrumente sind ausformulierte geldpolitische Strategien, regelmäßige Publikationen, Presse-konferenzen, Reden einschließlich der Verwendung von Schlüsselwörtern oder -sätzen.

5 Die Bankkreditzinsen könnten bereits nach dem Rückgang der Zinsen für Geldmarktanlagen bzw. Bankeinlagen leicht nachgeben, sofern die Banken die gesunkenen Kosten der Liquiditätsbeschaff ung an ihre Kreditkunden weitergeben.

6 Im Extremfall könnte es sogar zu einem Anstieg der Realzin-sen kommen, der die expansive Ausrichtung der Geldpolitik in ihr Gegenteil verkehrt.

7 Allerdings kommt der unmittelbare Eff ekt auf die heimische Infl ationsrate nur dann voll zum Tragen, wenn die auslän-dischen Anbieter die Verteuerung ihrer Produkte in Kauf nehmen und keine Preissenkung – dann allerdings zu Lasten ihrer Gewinnmarge – vornehmen.

Weiterführende LiteraturBernanke, Ben S. 2007: The Credit Channel of Monetary Policy in the Twenty-fi rst Century. Conference, Federal Reserve Bank of Atlanta, Atlanta, Georgia.Deutsche Bundesbank 2017: Geld und Geldpoli-tik. Frankfurt am Main.Gerdesmeier, Dieter 2011: Geldtheorie und Geldpolitik: Eine praxisorientierte Einführung. 4. Aufl age. Frankfurt am Main.Gischer, Horst/Herz, Bernhard/Menkhoff , Lukas 2011: Geld, Kredit und Banken: Eine Einführung. 3. Aufl age. Berlin/Heidelberg.Görgens, Egon/Ruckriegel, Karlheinz/Seitz, Franz 2013: Europäische Geldpolitik: Theorie – Empirie – Praxis. 6. Aufl age. Konstanz/München.

HINWEISE FÜR DEN UNTERRICHT

VORSCHLAG: Die geldpolitischen Transmissi-onskanäle können Bestandteil eines Unter-richts sein, der darlegt, wie zinspolitische Maßnahmen der Zentralbank das Zinsniveau in einer Volkswirtschaft und darüber die Real-wirtschaft und die Infl ationsentwicklungen beeinfl ussen. Die Schüler_innen können die Wirkungsketten etwa in einem Schaubild grafi sch darstellen. Diskutieren ließe sich auch, wie die Notenbank mit ihrer Zinspolitik den Wechselkurs beeinfl usst. Anschließend kann die Wirkung von Wechselkursände-rungen auf andere ökonomische Größen wie Importe, Exporte oder das Wirtschaft swachs-tum analysiert werden.

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WA S I S T G E L D ? 75

zentrale Themenhefte für politische und

ökonomische Fortbildung

Verschaffen Sie sich mit den WOCHENSCHAU-Sonderheften einen Überblick, worüber in Fachdidaktik, Fachwissenschaft und Praxis diskutiert wird: www.wochenschau-verlag.de/sonderhefte

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76 G E L D U N D G E L D P O L I T I KW O C H E N S C H AU S E K . I + II

Euroraum seit längerem unter dem Eindruck der Krisen

Mit Blick auf die vergangenen mehr als zehn Jahre sollte man zwischen drei Krisen unterscheiden (vgl. Deutsche Bundesbank 2017, S. 107 ff.). Die erste – eine Banken- und Finanzkrise – brach im Sommer 2007 in den USA aus und griff dann auch auf Europa über. Grund für diese Krise war unter anderem eine zu laxe Vergabe von Immobilienkrediten an bonitätsschwache US-amerikanische Schuldner („Subprime“-Kredite). Hinzu kam die umfangreiche Nutzung neuartiger Finanzinstrumente, mit denen Kreditrisiken reduziert und breiter gestreut werden sollten. Erhebliche Bedeu-tung erlangten in diesem Zusammenhang solche Ins-trumente, mit denen viele Einzelkredite gebündelt und dann zu neuen Wertpapieren mit unterschiedlichen Kreditausfallrisiken verpackt wurden. Tatsächlich wur-den die Kreditrisiken hiermit häufig aber nicht – wie

Die Währungsunion in Zeiten der Krisen: Die Entwicklung im Euroraum seit 2007 Am 1. Januar 2019 wird die Währungsunion bereits ihren 20. Geburtstag feiern. Der Euro hat sich in diesem Zeitraum in den inzwischen 19 Mitgliedsländern als gemeinsame Währung etabliert. In den Geldbörsen von nahezu 340 Millionen Menschen im Euroraum ist er seit 2002 in Form von Banknoten und Münzen das „gemeinsame Europa zum Anfassen“. Zum vollständigen Bild zählt jedoch genauso, dass der Währungs-raum seit nun schon 11 Jahren unter dem Eindruck verschiedener Krisen steht. Vor diesem Hintergrund blickt der vorliegende Text auf diese Krisen, legt ihre Ursachen dar und zeigt aus stabilitätsorientierter Perspektive Wege auf, um die Währungsunion dauerhaft zu festigen.

Moritz Schneemann

Moritz Schneemann

ist Diplom-Volkswirt und arbeitet seit 2002

bei der Bundesbank. Nach beruflichen

Stationen in Frankfurt und Singapur ist er

seit 2015 in der öko-nomischen Bildung in der Bundesbank-

Zentrale tätig. eigentlich erhofft – gemindert. Sie wurden stattdessen oftmals nur an andere Finanzmarktteilnehmer_innen weitergereicht, wo sich diese Risiken teils bedrohlich konzentrierten.Die Finanzkrise erreichte im September 2008 einen Höhepunkt, als die US-amerikanische Investmentbank Lehman Brothers Insolvenz anmelden musste, ein Ereignis, das weit ins internationale Finanzsystem aus-strahlte. Auch in Deutschland mussten Banken mit umfangreichen Steuergeldern gerettet werden, um einen möglichen Kollaps des Finanzsystems zu verhin-dern. Zum Jahreswechsel 2008/09 erfasste in der Folge dieses „Lehman-Schocks“ eine tiefgreifende Unsicherheit auch die übrige Wirtschaft. Es kam zu einer zweiten Krise, in diesem Fall einer Wirtschafts-krise. In deren Verlauf brach in vielen Ländern rund um den Globus die Wirtschaftstätigkeit scharf ein. So ging zum Beispiel die gesamtwirtschaftliche Leistung in Deutschland im Jahr 2009 um 5,6 Prozent gegen-über dem Vorjahr zurück. Hierbei handelte es sich um den bei weitem stärksten Wirtschaftseinbruch seit der Gründung der Bundesrepublik. Und auch in anderen Euro-Ländern sank die Wirtschaftsleistung stark. Das führte in einigen Ländern unter anderem zu erhebli-chen Kreditausfällen und zu einem starken Rückgang der Immobilienpreise. Daher wurden auch dort Banken zulasten der Steuerzahler_innen gerettet, um weitere negative Auswirkungen auf die Volkswirtschaft mög-lichst gering zu halten. Diese Rettungsmaßnahmen führten aber zum Beispiel Irland an die Grenzen seiner finanziellen Leistungsfähigkeit. Bei anderen Ländern, wie besonders bei Griechenland und Portugal, beka-men die Anleger_innen Zweifel an der Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen, weil die ohnehin hohen

Beginnend 2007 mit der von den USA aus-gehenden Immobilien- und Finanzkrise, gefolgt 2009 von der Wirtschaftskrise, an die sich 2010 die bis heute schwelende Staatsschulden- und Bankenkrise anschloss: Die Geldpo litik im Euro-raum agiert nun schon seit mehr als 10 Jahren unter dem Eindruck von Krisen. Als Reaktion ergriff das Eurosystem verschiedene, teils auch unkonventionelle Maßnahmen, um die Krisen-symptome zu lindern.

KRISENPHASEN

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77I N Z E I T E N D E R K R I S E N

Staatsschulden aufgrund des Wirtschaft seinbruchs nochmals kräft ig stiegen. Der Rückgang der Steuer-einnahmen und der Anstieg der Ausgaben für die Arbeitslosenunterstützung verschlechterten die Lage der öff entlichen Haushalte massiv. Im Jahr 2010 erwuchs deshalb im Euroraum die dritte Krise, eine Staatsschulden- und Bankenkrise.Um die stabilitätsgefährdenden Auswirkungen dieser Krise für den Euroraum zu begrenzen, schnürten die Euro-Länder und der Internationale Währungsfonds (IWF) im Jahr 2010 verschiedene „Rettungspakete“ in Form von Hilfskrediten (vgl. zu den einzelnen Rettungs-programmen Deutsche Bundesbank 2017, S. 169 ff .). Im Gegenzug verpfl ichteten sich die Regierungen der Krisenländer zu weitreichenden Reformen, die das Ziel hatten, die Staatsverschuldung zu verringern, das Ban-kensystem grundlegend zu sanieren und nachhaltiges Wirtschaft swachstum zu fördern.Auch das Eurosystem – bestehend aus der Europä-ischen Zentralbank (EZB) und den nationalen Zentral-banken der Euro-Länder – reagierte seinerzeit mit einer ganzen Reihe von Maßnahmen. Hierzu zählten eine sehr expansive Geldpolitik in Form ausgesprochen niedriger Leitzinssätze, großvolumige längerfristige Refi nanzierungsoperationen und verringerte Anforde-rungen an die geldpolitischen Sicherheiten. Hinzu kamen unkonventionelle Schritte wie etwa der im Jahr 2010 begonnene Ankauf von Staatsanleihen (also von Staatsschulden) bestimmter Krisenländer (sog. Secu-rities Markets Programme, SMP). Darüber hinaus erklärte EZB-Präsident Mario Draghi Ende Juli 2012, dass die EZB bereitstehe, im Rahmen ihres Mandats alles zu tun, was nötig sei, um den Euro zu bewahren. Diese Aussage mündete im September 2012 in ein (bislang nicht aktiviertes) Programm, das Ankäufe von Staatsanleihen in notfalls unbegrenztem Umfang umfasst (sog. Outright Monetary Transactions, OMT) (zu Details der genannten Programme vgl. Deutsche Bundesbank 2017, S. 213 ff .).

Ankaufprogramme mit kritischen Wirkungen

Sowohl das SMP- als auch das OMT-Programm wurden von der Bundesbank sehr kritisch gesehen, da sie letzt-lich dazu führen, dass länderspezifi sche Kreditausfall-risiken über die Zentralbankbilanz vergemeinschaft et werden. Eine solche Haft ungsübernahme sollte jedoch nicht durch die Eurosystem-Zentralbanken erfolgen, da es sich bei diesen von der Idee her um unpolitische Institutionen handelt. Falls es politisch gewollt ist,

Kreditausfallrisiken einzelner Länder gemeinschaft lich zu tragen, sollte diese Entscheidung stattdessen von

den dazu legitimierten nationalen Parlamenten und Regierungen getroff en werden.

Zentralbanken häufi g im Zentrum der Aufmerksamkeit

Nicht zuletzt wegen dieser unkonventionellen Maß-nahmen werden Zentralbanken inzwischen in Teilen der Politik, der Öff entlichkeit und der Presse oft als diejenigen Akteure angesehen, die die Instrumente und Mittel hätten, um Krisen und deren Folgen notfalls im Alleingang zu begegnen. Eine solche Sichtweise birgt jedoch die Gefahr, die tatsächlichen Möglichkei-ten zu überschätzen. Ein ehemaliges Mitglied des EZB-Rats hielt hierzu einmal treff end fest: „Ungeachtet ihrer eindrucksvollen fi nanziellen Feuerkraft (…) befi n-den sich in dem Arsenal einer Zentralbank keine Wun-derwaff en“ (Orphanides 2013, S. 18). Der Umstand, dass die Zentralbanken seit geraumer Zeit häufi g im Zentrum des öff entlichen Interesses stehen, kollidiert darüber hinaus auch mit der sinnvollen Vorstellung, wonach Geldpolitik eine weitgehend unpolitische Auf-gabe sein sollte, die nur wenig öff entliches Interesse auf sich ziehen möge. Mervyn King, der ehemalige

Die Ankaufprogramme gehen mit Risiken einher.

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Ankaufprogramme für Anleihen bergen die Gefahr, dass länderspezifi sche

Kreditausfallrisiken über die Zentralbank­bilanz vergemeinschaft et werden.

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78 G E L D U N D G E L D P O L I T I KW O C H E N S C H AU S E K . I + II

Gouverneur der britischen Zentralbank, sagte mit Blick auf den gewünschten Zustand der Geldpolitik einmal lapidar: „Eine erfolgreiche Zentralbank sollte langwei-lig sein“ (King 1997, S. 14). Mit anderen Worten: Ihren Zweck erfüllt die Geldpolitik dann optimal, wenn die möglichst geräuschlose Arbeit der Zentralbank nur wenig öff entliches Interesse auf sich zieht und sich die Menschen keine Sorgen um ihre Währung und deren Stabilität machen müssen. So wie es gegenwärtig aussieht, wird jedoch noch einige Zeit vergehen, bis die Geldpolitik im Euroraum zu diesem erstrebenswer-ten, „langweiligen“ Zustand zurückkehren kann. Denn die Krise und die Anpassungsmaßnahmen der Mit-gliedstaaten haben ihren Teil dazu beigetragen, dass der Preisdruck im gemeinsamen Währungsraum in den vergangenen Jahren sehr niedrig war. Das hat dazu geführt, dass das Eurosystem ein großvolumiges Anleihekaufprogramm aufgelegt hat, mit dem es seit März 2015 in großem Stil insbesondere Staatsanleihen kauft (sog. quantitative Lockerung, vgl. den Beitrag „Die Politik der ‚quantitativen Lockerung‘“). Durch

diese Ankäufe wird die für die dauerhaft e Stabilität der Währungsunion so wichtige Grenze zwischen Geldpolitik und Fiskalpolitik immer mehr verwischt. Dies gilt ungeachtet des Umstands, dass dieses Pro-gramm nur für einen sehr kleinen Teil der Käufe das Teilen möglicher Verluste vorsieht. Jedoch kann der zinssenkende Eff ekt des Ankaufprogramms zu der Illusion führen, die öff entlichen Finanzen der Mitglieds-länder wären dauerhaft tragfähig, eine Einschätzung, die der Währungsunion aus stabilitätsorientierter Sicht langfristig gesehen nicht guttut.

Einheitliche Geldpolitik, dezentrale Finanzpolitik

Um die Staatsschuldenkrise im Euroraum zu verstehen, ist es wichtig, sich ein Konstruktionsprinzip der Wäh-rungsunion in Erinnerung rufen. Im Euroraum gibt es auf der einen Seite die für alle Euro-Länder einheitliche Geldpolitik des Eurosystems. Auf der anderen Seite ist

Ankaufprogramme des Eurosystems während der Finanz- und Staatsschuldenkrise im Überblick*

I Quelle: Deutsche Bundesbank I

* Zu den Ankaufprogrammen im Rahmen der „quantitativen Lockerung“ siehe die Tabelle auf S. 90.

Ankaufpro-gramm

Start Ende Volumina in EUR (max.)

Ziel

Covered Bond Purchase Programme 1(auch: CBPP1)

07/2009 06/2010 60 Mrd. Ankauf von gedeckten Schuldverschreibungen, um dieses Marktsegment zu stützen, das für die Refi nanzierung der Banken von großer Bedeutung ist und von der Finanzkrise in besonderem Maße betroff en war.

Securities Markets Programme(auch: SMP)

05/2010 09/2012 219 Mrd.(Stand zum31.12.2012)

Ankauf von Anleihen bestimmter Euro-Staaten, um Störungen im geldpolitischen Transmis-sonsmechanismus entgegenzuwirken.

Covered Bond Purchase Programme 2(auch: CBPP2)

11/2011 10/2012 16 Mrd.(ursprüng-liches Ziel: 40 Mrd.)

Ankauf von gedeckten Schuldverschreibun-gen, um die Refi nanzierungsbedingungen für Kreditinstitute und Unternehmen zu lockern und Kreditinstitute dazu anzuhalten, die Kre-ditgewährung an Kunden aufrechtzuerhalten und auszuweiten.

Outright Monetary Transactions (auch: OMT)

09/2012 off en off en (Programm bisher nicht aktiviert)

Ankauf von Anleihen bestimmter Euro-Staaten, um einen angemessenen monetären Trans-missionsprozess und die Einheitlichkeit der Geldpolitik sicherzustellen. Voraussetzung: Betreff ender Staat unterwirft sich Aufl agen im Rahmen eines EFSF-/ESM-Programms (Konditionalität).

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79I N Z E I T E N D E R K R I S E N

jedoch die jeweilige nationale Finanzpolitik in der Ver-antwortung der 19 Mitgliedstaaten geblieben. Jedes Land entscheidet selbst über seine Staatsausgaben und einnahmen, gleichfalls auch über seine Wirtschaft spo-litik. Diese Mischung aus Zentralität und Dezentralität wurde bewusst gewählt, weil bereits in den 1990er-Jahren die Bereitschaft gering war, über die Geldpolitik hinaus auch in anderen Politikbereichen auf staatliche Souveränität zu verzichten.Dieses Nebeneinander von zentraler Geldpolitik und dezentraler Finanzpolitik kann jedoch zu einem imma-nenten Verschuldungsanreiz führen. Grundsätzlich gilt, dass Länder mit höheren Schulden beim Leihen von Geld höhere Risikoprämien bieten müssen, sprich höhere Zinssätze, als Länder mit geringeren Schulden. Was für einen privaten Schuldner gilt, trifft also auch

auf Staaten zu: Je höher der Schuldenstand, desto schlechter ist in der Regel die Kreditwürdigkeit und desto höher ist wiederum der Zinssatz, den potenzielle Geldgeber verlangen. Dieser Mechanismus funktioniert jedoch in einer Währungsunion nur bedingt, wenn die Finanzmärkte davon ausgehen, dass die Gemeinschaft einem Mitgliedsland aushelfen werde, falls dieses in fi nanzielle Schwierigkeiten gerät. Diese Annahme führt dann in der Regel dazu, dass ein hochverschuldetes Land deutlich niedrigere Zinsen auf seine Staatsschul-den bezahlen muss, als wenn es für diese Schulden alleine geradestehen müsste. In der Währungsunion und bei Annahme eines solchen Beistandsverbunds besteht also ein gewisser Fehlanreiz, der eine übermä-ßige Verschuldung einzelner Mitgliedsländer begünsti-gen kann. Durch eine übermäßige Staatsverschuldung kann jedoch die Geldpolitik unter politischen Druck geraten, allzu hohe Schulden durch niedrige Zinsen und schließlich durch „etwas mehr Infl ation“ erträglicher zu machen – und zwar zulasten seines vorrangigen Ziels der Geldwertstabilität.

Währungsunion als Stabilitätsunion konzipiert

Den Architekten der Währungsunion war diese Prob-lematik durchaus bewusst. Genau deswegen hatten sie Vorkehrungen getroff en, die verhindern sollten, dass sich die einzelnen Mitgliedstaaten zu stark ver-

schulden. Ihren Niederschlag fanden diese Vorkehrun-gen im 1992 geschlossenen Vertrag von Maastricht, der bis heute das Fundament der Währungsunion darstellt. Mit dem Vertrag von Maastricht wurden konkrete Verschuldungsgrenzen eingeführt, die Teil der sog. Maastricht-Kriterien sind: Jedes Land sollte demnach pro Jahr ein öff entliches Defi zit in Höhe von maximal 3 Prozent seiner Wirtschaft sleistung machen können. Zusätzlich sollten die gesamten Staatsschul-den eines Landes nicht höher als 60 Prozent seiner gesamtwirtschaft lichen Leistung sein. Hinzu kam der 1997 geschlossene Stabilitäts- und Wachstumspakt, der noch weitergreift und grundsätzlich den staat-lichen Haushaltsausgleich oder leichte Überschüsse fordert. Der Maastricht-Vertrag enthält zudem die Nichthaft ungsklausel, der zufolge weder die Europä-ische Union noch die einzelnen Mitgliedstaaten für die Schulden eines anderen Mitgliedslandes haft en. Zusätzlich zu den Verschuldungsgrenzen und dem Haft ungsausschluss wurde den Zentralbanken des Eurosystems verboten, den Mitgliedstaaten Kredit zu geben, also Staatsschulden über die Banknotenpresse zu fi nanzieren (Verbot der „monetären Staatsfi nanzie-rung“). Finanzpolitische Eigenverantwortung der Mit-gliedsländer, solide Staatsfi nanzen und eine vorrangig auf das Sichern der Kaufkraft ausgerichtete Geldpoli-tik machen also das Fundament der Währungsunion aus, die somit als Stabilitätsunion konzipiert wurde.

Krise legte Schwachstellen off en

Allerdings fehlte den genannten fi nanzpolitischen Regeln in der Währungsunion letztlich der nötige Biss. Im Ergeb-nis wurde den zu hohen Haushaltsdefi ziten und Schul-denständen verschiedener Mitgliedsstaaten im Vorfeld der Krise nicht genügend entgegengewirkt. Der durch den Maastricht-Vertrag errichtete Ordnungsrahmen der Währungsunion hatte also in Hinsicht auf die öff entli-

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Federführend bei der europäischen Geldpolitik, nicht jedoch bei der jeweiligen Finanzpolitik der Euro-Länder: Mario Draghi, seit 2011 Präsident der Europäischen Zentralbank.

Das Nebeneinander von zentraler Geldpolitik und dezentraler Finanzpolitik kann zu einem

immanenten Verschuldungsanreiz führen.

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80 G E L D U N D G E L D P O L I T I KW O C H E N S C H AU S E K . I + II

chen Finanzen der Mitgliedsländer deutliche Schwach-stellen. Hinzu kam: Durch erhebliche Schiefl agen in den Bankensystemen einzelner Mitgliedsländer in Kombina-tion mit den anschließenden Bankenrettungsaktionen wurde die Finanzlage auch solcher Staaten massiv belas-tet, die zuvor nicht übermäßig verschuldet waren (so zum Beispiel Irland und Spanien). Strauchelnde Banken belasteten die Staatsfi nanzen teils dramatisch.

Die Krise hat aber auch noch weitere Schwachstellen off engelegt. So hatten es die Krisenländer nach Ein-führung des Euro versäumt, für solide und dauerhaft wachstumsfördernde Wirtschaft sstrukturen zu sor-gen. Stattdessen hatten sich nationale wirtschaft liche Fehlentwicklungen in diesen Ländern über die Jahre hinweg zu erheblichen Problemen ausgeweitet. Kon-kret bedeutete dies: In einigen der späteren Krisenlän-der nutzten Unternehmen und Privatpersonen den Umstand, dass die Zinssätze für Kredite mit dem Ein-tritt in die Währungsunion massiv sanken, oft mals dafür, sich deutlich stärker zu verschulden, anstatt sich fi nanziell auf stabilere Füße zu stellen. Häufi g wurde

das geliehene Geld dann für Konsumzwecke einge-setzt, dies schob das Wirtschaft swachstum anfangs deutlich an. Dieser niedrigzinsbedingte „Sonder-boom“ war jedoch nicht nachhaltig, da das Geld oft -mals nur wenig produktiv verwendet wurde. Zum Beispiel befeuerten die Kredite und Kapitalzufl üsse in Irland und Spanien vor allem Immobilienpreisblasen. Zusätzlich stiegen die Löhne in den heutigen Krisen-ländern viele Jahre lang erheblich stärker als die Pro-duktivität, was die Lohnstückkosten deutlich nach oben trieb. Im Ergebnis verschlechterte sich die preis-liche Wettbewerbsfähigkeit der späteren Krisenländer nach dem Eintritt in die Währungsunion kontinuierlich, was die Position dieser Länder im Außenhandel deut-lich schwächte.

Finanzpolitische Eigenverant­wortung der Euro­Länder stärken

Die betroff enen Euro-Länder führten insbesondere zu Beginn der Krise zahlreiche Reformen durch, um die strukturellen Ursachen der geschilderten Fehlentwick-lungen zu bekämpfen. Ungeachtet dessen sind noch erhebliche Anstrengungen nötig. Dies gilt sowohl auf Ebene der einzelnen Mitgliedstaaten als auch auf EU-Ebene. In diesem Zusammenhang ist es nötig, dass die

Staatsverschuldung im Euroraum

Die Kredite und Kapitalzufl üsse in Irland und Spanien befeuerten vor allem

Immobilienpreisblasen.

I Quelle: Europäische Kommission, AMECO-Datenbank. Grafik: Deutsche Bundesbank I

Quelle: Europäische Kommission, AMECO-Datenbank. Die hier verwendete Angabe der Europäischen Kom-

mission zum Schuldenstand im Euroraum insgesamt enthält auch die Kreditvergabe zwischen Euro-Staaten.

* Gemäß Maastricht-Abgrenzung (umfasst Gebietskörperschaften und Sozialversicherungen).

1999 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17

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Jahresendwerte, in % des jeweiligen BIP

EuroraumDeutschlandFrankreichItalienSpanienGriechenlandIrland

Gemäß Maastricht-Abgrenzung (umfasst Gebietskörperschaft en und Sozialversicherungen)

Die hier verwendete Angabe der Europäischen Kommission zum Schuldenstand im Euroraum insgesamt enthält auch die Kreditvergabe zwischen Euro-Ländern.

Jahresendwerte, in % des jeweiligen BIP

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81I N Z E I T E N D E R K R I S E N

betroff enen Mitgliedstaaten ihre öff entlichen Haushalte und Bankensysteme durchgreifend und dauerhaft in Ordnung bringen. Ferner gilt es, wirtschaft liche Struk-turreformen weiterhin entschlossen umzusetzen, um wettbewerbsfähiger zu werden und um neue Kräft e für Wachstum und Beschäft igung zu entfalten. Und alle Mitglieder sollten daran mitwirken, den Ordnungs-rahmen der Währungsunion zu festigen und in sich stimmig auszugestalten.

Balance von Handeln und Haft en für Ordnungsrahmen essenziell

Um den Ordnungsrahmen und somit die gesamte Statik des Euroraums dauerhaft zu stärken, sollte ein zentrales Prinzip wieder mehr Beachtung fi nden: Das Prinzip der Eigenverantwortung, auch Haft ungsprinzip genannt. „Wer den Nutzen hat, muss auch den Scha-den tragen“, so brachte Walter Eucken, einer der geis-tigen Väter der sozialen Marktwirtschaft , vor mehr als 65 Jahren die Ratio dieses Prinzips auf den Punkt (Eucken 1952, S. 279). Handeln und Haft en – in ande-ren Worten: die Entscheidungshoheit und das Einste-hen für die Folgen – gehören als Begriff spaar zusam-men und bedingen einander, es sind die zwei Seiten derselben Medaille. Das Haft ungsprinzip ist auch in einer Marktwirtschaft von zentraler Bedeutung und bildet die Grundlage für vorsichtiges, verantwortungs-volles und längerfristig orientiertes Handeln, das am Ende nicht auf Kosten anderer geht.Gemünzt auf die Statik der Europäischen Währungs-union bedeutet dies, dass die Hoheit über die getrof-fenen fi nanz- und wirtschaft spolitischen Entscheidun-gen wieder stärker mit der Haft ung für die eintreten-den Konsequenzen verknüpft werden sollte (vgl. Weidmann 2016). Ein Blick auf die Entwicklungen der zurückliegenden Jahre zeigt nämlich, dass die geldpo-

litischen Sondermaßnahmen und die staatlichen „Ret-tungspakete“ die gemeinschaft liche Haft ung aller Mitgliedstaaten für fi nanz- und wirtschaft spolitische Fehlentwicklungen in einzelnen Mitgliedsländern erheblich ausgeweitet haben. Hingegen wurden die Kontrollmöglichkeiten auf Gemeinschaft sebene nicht in gleichem Maße verstärkt. Dieser Mittelweg aus zunehmend vergemeinschaft eter Haft ung bei gleich-zeitig nichtvergemeinschaft eter Entscheidungshoheit ist jedoch kein dauerhaft tragfähiger Weg, um die Währungsunion zu festigen. Erforderlich ist stattdes-sen, den in der Vergangenheit oft gedehnten oder gar missachteten Verschuldungsgrenzen wieder mehr Bindungskraft zu verschaff en – nicht etwa um ihrer selbst willen, sondern um der stabilitätspolitischen Voraussetzungen der gemeinsamen Währung willen.

Stimmige Reformvorschläge und Beachtung des Haft ungsprinzips

Im Lichte der Tatsache, dass die Symptome der Ban-ken- und Staatsschuldenkrise nachgelassen haben, wird gegenwärtig wieder intensiv darüber diskutiert, wie die Währungsunion bzw. die Europäische Union insgesamt weiterentwickelt werden könnten. Konkret im Gespräch ist unter anderem, wie der im Oktober 2012 als Krisenreaktion geschaff ene Europäische Sta-bilitätsmechanismus (ESM, vgl. Deutsche Bundesbank 2017, S. 169 ff .) weiterentwickelt werden soll. Auch wird diskutiert, ob ein europäischer Finanzminister Sinn ergäbe und welche Aufgaben und Befugnisse mit einem solchen Posten einhergingen. Ein umfang-reicheres, europäisches Gemeinschaft sbudget ist eben-falls in der Diskussion. Um sich nicht in den Details der Reformvorschläge zu verlieren und um stattdessen in der Reformdiskussion sinnvolle Wege von Holzwegen zu unterscheiden, ist eine Frage essenziell: Passen die gemachten Vorschläge in einen schlüssigen Ordnungsrahmen, der das Funda-ment sowohl der Währungsunion als auch der Euro-päischen Union insgesamt festigt? Das entscheidende Baumaterial eines solchen tragfähigen Fundaments ist der schon skizzierte Gleichlauf von Handeln und Haf-ten. Das Haft ungsprinzip ist somit die entscheidende Messlatte, um die aktuell diskutierten Vorschläge auf ihre Tauglichkeit und Tragfestigkeit zu prüfen. Reform-vorschläge, die im Ergebnis dazu führen, dass Handeln und Haft en weiter auseinanderfallen, werden weder die Währungsunion noch die Europäische Union ins-gesamt dauerhaft stabilisieren. Das Prinzip der fi nanz-politischen Solidität und Eigenverantwortung der Mit-

Der Grundsatz der Eigenverantwortung – auch Haft ungsprinzip genannt – bedeutet: Wer den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen. Für selbst getroff ene Entscheidungen anschließend auch einstehen zu müssen, ist die Grundlage für verantwortungsvolles Handeln, das nicht auf Ko-sten anderer geht. Handeln und Haft en sind so-mit die zwei Seiten derselben Medaille und ein wichtiges Prinzip sowohl der Marktwirtschaft als auch der Währungsunion.

HANDELN UND HAFTEN

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82 G E L D U N D G E L D P O L I T I KW O C H E N S C H AU S E K . I + II

gliedsländer war der Grundkonsens während der Aufbauarbeiten zur Währungsunion. Es ist auch heute noch im Grundsatz geeignet, Handeln und Haft en in Übereinstimmung zu bringen.Ein alternativer, entgegengesetzter Vorschlag wäre derjenige, eine Fiskalunion zu schaff en, bei der mehr gemeinschaft liche fi nanzielle Haft ung einherginge mit einer gemeinschaft lichen Haushaltskontrolle durch die europäische Ebene. Jedoch verspricht ein solcher Ansatz angesichts der politischen Realitäten wenig Aussicht auf Erfolg. Obwohl die Diskussion über die Weiterentwicklung der Währungsunion wieder stärker an Fahrt aufgenommen hat, sind konkrete Vorschläge selten, Souveränität nach Brüssel abzutreten. Bei nüch-terner Betrachtung scheinen auch heute weder die Regierungen noch die Parlamente oder die Bevölke-rungen in den Mitgliedsländern der Währungsunion bereit, fi nanzpolitische Souveränität mit anderen Mitgliedstaaten oder mit der europäischen Ebene zu teilen.

Geldpolitik nicht mit Erwartungen überfrachten und überfordern

Die Zentralbanken haben in den vergangenen Jahren mit zahlreichen unkonventionellen Mitteln der Politik Zeit verschafft , um die Krisen zu überwinden. Hier-durch gerieten sie zunehmend in den Fokus. „Seit der Krise erwarten (die Märkte und die Ö� entlichkeit) von den Zentralbanken, dass sie die Wirtschaft lenken, Vollbeschäft igung wiederherstellen, für ein hohes Wachstum sorgen, Preisstabilität gewährleisten und das Finanzsystem narrensicher machen“, so umriss es die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), die in Basel ansässige „Zentralbank der Zentralbanken“ (Bank für Internationalen Zahlungsausgleich 2016, S. 26).In diesem Zusammenhang darf jedoch nicht vergessen werden, dass die Geldpolitik bestenfalls Krisensymp-tome zu lindern vermag, soweit sie die Folgen eines Wirtschaft seinbruchs dämpfen kann. Sie kann die eigentlichen Krisenursachen aber nicht beseitigen. Das können nur die Regierungen und Parlamente der Mit-gliedstaaten. Daher darf die Geldpolitik auch nicht als „Wunderheiler“ missverstanden und hinsichtlich ihrer Möglichkeiten mit Erwartungen überfrachtet und somit im Ergebnis überfordert werden. „Die Geldpolitik – der viel zu lange zu viel aufgebürdet wurde – muss Teil der Antwort sein, sie kann aber nicht die ganze Antwort sein“ (Bank für Internationalen Zahlungsausgleich 2015, S. 9). Mit anderen Worten: Ein realistischer Blick

darauf, was die Geldpolitik leisten bzw. nicht leisten kann, bringt die tatsächlich geforderten Politikbereiche stärker in die Verantwortung, um Krisen dauerhaft zu überwinden und das Entstehen neuer Krisen zu verhin-dern. Mit einem solch nüchternen Blick beugt man gleichzeitig enttäuschten Hoff nungen bezüglich der – letztendlich begrenzten – Möglichkeiten der Geld-politik vor.

LiteraturverzeichnisBank für Internationalen Zahlungsausgleich 2015: Wird das Un-denkbare allmählich zum Normalfall? In: 85. Jahresbericht. Basel.Bank für Internationalen Zahlungsausgleich 2016: Wenn die Zu-kunft zur Gegenwart wird. In: 86. Jahresbericht. Basel.Deutsche Bundesbank 2017: Geld und Geldpolitik. Frankfurt am Main.Eucken, Walter 1952: Grundsätze der Wirtschaft spolitik. Tübingen.King, Mervyn 1997: The Infl ation Target fi ve years on. Rede an der London School of Economics am 29. Oktober 1997.Orphanides, Athanasios 2013: Is Monetary Policy Overburdened? Working Paper Nr. 435 der Bank für Internationalen Zahlungsaus-gleich (BIZ). Basel.Weidmann, Jens 2016: In Vielfalt geeint: Zur Verantwortung der Länder und Regionen in der Währungsunion. Rede am 5. Dezember 2016. München.

HINWEISE FÜR DEN UNTERRICHT

„Eine erfolgreiche Zentralbank sollte langweilig sein“ – so lautet ein Bonmot im Kontext der Geldpolitik. Langweilig waren Zentralbanktätig-keit und Geldpolitik im Lichte der Krisen in den vergangenen mehr als zehn Jahren im Euro-raum jedoch keineswegs. So prominent wie wohl nur selten zuvor werden seitdem Maßnah-men, Möglichkeiten und Grenzen der Geldpoli-tik auch in der breiteren Öff entlichkeit disku-tiert. Im Kern geht es um die Frage: Was kann und was soll das Eurosystem (nicht) leisten, um dazu beizutragen, die Währungsunion dauer-haft zu festigen?

VORSCHLAG: Diese Frage bietet vielfältige Anknüpfungspunkte für einen Unterricht zur Geldpolitik in der Sekundarstufe II, in dem sich sowohl grundsätzliche Zusammenhänge vermitteln als auch aktuelle Diskussionen aufgreifen lassen. Der vorliegende Beitrag eignet sich dabei bereits als Unterrichtsmaterial.

→ Entsprechende Unterrichtseinheiten fi nden Sie beispielsweise im WOCHENSCHAU-Themenheft „EU II: Wirtschaft und Soziales“ (Heft -Nr. 2517, Kapitel 5 „Europa in der Wirtschaft skrise“).

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... ein Begriff für politische Bildung

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www.wochenschau-verlag.de @ wochenschau-verwww.facebook.com/wochenschau.verlag

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84 G E L D U N D G E L D P O L I T I KW O C H E N S C H AU S E K . I + II

Tobias Pohl

ist Diplom-Volkswirt und verantwortet als

Abteilungsleiter in der Zentrale der Deut-schen Bundesbank die Bereiche ökonomische Bildung, Informations-

management und Geldmuseum.

Geldpolitik reagiert auf fallende Infl ationsraten

Beginnend im Jahr 2011 nahm der Preisdruck im Euroraum stark ab. In der Folge fi el die Infl ationsrate deutlich unter die vom EZB-Rat angestrebte Marke von unter, aber nahe 2 Prozent und erreichte zeitweilig sogar leicht negative Werte. Darauf reagierte der EZB-Rat zunächst mit Zinssenkungen.Die Sorge vor einer defl ationären Abwärtsspirale aus sinkenden Preisen und fallenden Löhnen bewog den EZB-Rat dann im Jahr 2014 dazu, den Leitzinssatz auf

nahezu 0 Prozent und den Einlagensatz sogar in den negativen Bereich zu senken (vgl. Grafi k S. 70).Außerdem wurde ein umfangreiches, bis heute betrie-benes Anleihekaufprogramm gestartet mit der Absicht, die geldpolitische Ausrichtung über die massive Leitzins-senkung hinaus noch weiter zu lockern (vgl. den Beitrag „Die Politik der ‚quantitativen Lockerung‘“). Dies alles dient dem Ziel, das Zinsniveau auch am langen Ende der Zinsstrukturkurve, also zum Beispiel für Anleihen mit zehnjähriger Restlaufzeit, zu senken, um die Kreditver-gabe anzukurbeln und die wirtschaft liche Entwicklung zu fördern. Damit soll mittelfristig die Infl ationsrate im Euroraum wieder in die Nähe von 2 Prozent steigen.

Niedrige Zinsen – Fluch oder Segen?Seit einigen Jahren sind die Zinssätze im Euroraum auf einem Rekordtief. Für Einlagen erhalten Anleger_innen auf ihrem Bankkonto praktisch keine Zinsen mehr. Auch die Kreditzinssätze sind ausgesprochen niedrig. Dieser Artikel erklärt und illustriert die Ursachen dieses Zinstiefs und erläutert die Konsequenzen für Verbraucher_innen, Unternehmen, Banken und öffentliche Haushalte. Diskutiert werden die Vor- und Nachteile eines niedrigen Zinsniveaus. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der ultra-lockeren Geldpolitik, die eine Folge des gedämpften Inflationsdrucks ist. Beschrieben wird zum Schluss der Weg zu einer Nor-malisierung der Geldpolitik und wieder positiven Zinssätzen.

Verbraucherpreise im Euroraum

Tobias Pohl

I Quelle: Eurostat. Grafik: Deutsche Bundesbank I

Gemäß Harmonisiertem Verbraucherpreisindex (HVPI)

Quelle: Eurostat. * Gemäß Harmonisiertem Verbraucherpreisindex (HVPI).

2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018

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Veränderung gegenüber Vorjahr in %

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85N I E D R I G E Z I N S E N – F L U C H O D E R S E G E N ?

Auch wenn es Hinweise darauf gibt, dass die Wertpa-pierkäufe des Eurosystems dazu beigetragen haben, die Infl ationsrate im Euroraum anzuheben, ist die ultra-lockere Geldpolitik durchaus umstritten. Denn das niedrige Zinsniveau hat doch erhebliche Auswirkungen für die Wirtschaft . Alle sind betroff en: Verbraucher_innen, Unternehmen, Banken und öff entliche Haus-halte (vgl. zur kontroversen Diskussion z. B. Häring 2018 und Sinn 2016).

Das niedrige Zinsniveau betrifft alle

So fragen sich immer mehr Menschen, ob sich Spa-ren bei extrem niedrigen Zinssätzen für Einlagen überhaupt noch lohnt. Diese Sorgen sind verständ-lich, doch der nominale Zinsbetrag auf dem Konto-auszug ist allein nicht entscheidend. Wesentlich ist die Kaufkraft entwicklung des angesparten Geldver-mögens. Diese bestimmt sich nach der realen Ren-dite, also dem, was übrig bleibt, wenn man die Infl a-tionsrate vom Zinssatz abzieht. Ersparnisse erbringen bei 3 Prozent Zinsen und 3 Prozent Infl ation genauso hohe reale Erträge wie bei 0 Prozent Zinsen und 0 Prozent Infl ation. Berücksichtigt man dann aber noch, dass die Sparer_innen bei 3 Prozent Zinsen teilweise noch Steuern zahlen müssen, dann verlieren die Ersparnisse der Anleger_innen sogar an Kauf-kraft , wenn die Infl ationsrate ebenfalls bei 3 Prozent liegt.In einer längerfristigen Betrachtung sieht man im Übri-gen, dass die reale Verzinsung auf besonders liquide und sichere Spareinlagen in Deutschland in den ver-gangenen 20 Jahren immer mal wieder so niedrig war wie zuletzt. Berücksichtigt man dann noch die Steu-ern, die in der Vergangenheit auf die positiven Nomi-nalzinsen gezahlt werden mussten, ist die derzeitige Situation nicht so außergewöhnlich.Es gab immer mal wieder Zeiten mit einer negativen realen Rendite. Zwischen 1971 und 1994 war die reale Verzinsung von Spareinlagen privater Haushalte in Deutschland sogar häufi ger negativ als positiv. Doch die Deutschen haben ihr Geldvermögen nicht nur auf Bankkonten. Mehr als die Hälft e des Geldvermögens privater Haushalte besteht aus Ansprüchen gegenüber Versicherungen und aus Wertpapieren mit einer insge-samt höheren realen Rendite als auf den Bankkonten. Von großer Bedeutung für die Wirkung geldpolitischer Maßnahmen ist die Entwicklung der Kreditzinsen der Banken. Sie sind in Folge der expansiven Geldpolitik auch deutlich gefallen. Die Zinssätze für Kredite sind über alle Laufzeiten zurzeit sehr niedrig. Größere Inves-titionen für Unternehmen, aber auch ein Hauskauf

oder die Anschaff ung eines neuen Autos lassen sich daher günstig fi nanzieren.

Niedrige Kreditzinsen entlasten öff entliche Haushalte

Von den niedrigen Kreditzinsen profi tieren vor allem die größten Schuldner, die Staaten. Das allgemein niedrige Zinsniveau hat die öff entlichen Haushalte massiv entlas-tet. Verglichen mit dem Zinsniveau von 2007 haben die Euro-Länder zusammengenommen bereits deutlich über eine Billion Euro an Zinsen gespart, dies entspricht knapp 9 Prozent der Wirtschaft sleistung des gesamten Euro-raums (vgl. Deutsche Bundesbank 2017).

Banken sehen sich gesunkener Zinsmarge gegenüber

Für die Banken ist das niedrige Zinsniveau eine große Herausforderung. Üblicherweise erzielen Banken einen großen Teil ihrer Erträge aus der Zinsmarge. Das ist der Unterschied zwischen den niedrigeren Zinssätzen, die die Banken ihren Kund_innen für das zumeist kurzfris-tig angelegte Geld bezahlen und den höheren Zinssät-zen, die die Banken von ihren Kund_innen für die zumeist längerfristig vergebenen Kredite verlangen. Zwar erhalten die Banken nun unbegrenzt Geld vom Eurosystem für 0 Prozent und sie zahlen ihren Kund_innen auch kaum noch Zinsen für Einlagen. Doch die Kreditzinsen sind ebenfalls sehr stark gesunken. Im Ergebnis ist die Zinsmarge der Banken deutlich gefallen. Je länger das Niedrigzinsumfeld anhält, umso größer werden die Belastungen der Banken, denn mit dem Auslaufen alter, noch höher verzinster Kredite sinkt die Zinsmarge weiter. Banken müssen daher ihre Kosten verringern und neue Ertragsquellen fi nden. In der Praxis versuchen sie vor allem, ihre Gebühren zu erhöhen und die Erträge aus Provisionsgeschäft en zu steigern.

Zurück zur NormalitätMittlerweile ist das Wirtschaft swachstum im Euroraum so stark wie seit zehn Jahren nicht mehr und auch die Beschäft igung hat einen neuen Höchststand erreicht. Doch trotz der verbesserten Wirtschaft slage ist der Preisdruck im Euroraum immer noch vergleichsweise gering, so dass sich der EZB-Rat einig ist, dass eine expansive Geldpolitik weiterhin erforderlich ist.Mit der anhaltenden konjunkturellen Aufwärtsbewe-gung wird aber auch der Preisdruck wieder zunehmen.

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86 G E L D U N D G E L D P O L I T I KW O C H E N S C H AU S E K . I + II

Reale Verzinsung von Einlagen in Deutschland

Reale Rendite der privaten Haushalte in Deutschland

I Quelle: Deutsche Bundesbank I

I Quelle: Deutsche Bundesbank I

1991 92 93 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17

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Schuldverschreibungen

Investmentfondsanteile

Aktien

Ansprüche gegenüber Versicherungen

Bargeld und Einlagen

%-Punkte

Gesamtrendite (% p.a.)

* Gewichtet gemäß Anteil am Geldvermögen.

Infl ationsbereinigt, bis 1999 mit dem Preisindex für die Lebenshaltung aller privaten Haus-halte, ab 2000 mit dem VPI

1967 70 75 80 85 90 95 00 05 10 15 18

* Inflationsbereinigt, bis 1999 mit dem Preisindex für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte, ab 2000 mit

dem VPI. 1 Zinsen sind nicht volumengewichtet, Neugeschäft. 2 Zinsen sind mit dem jeweiligen Volumen ge-

wichtet, Bestandsgeschäft. 3 Einlagen mit Kündigungsfrist bis 3 Monate. 4 Festgelder mit vereinbarter Lauf-

zeit von 1 Monat, von 50.000 EUR bis unter 500.000 EUR.

4

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SichteinlagenSpareinlagen 3)

Termineinlagen(Laufzeit bis 1 Jahr)

Gemäß Bundesbank-Zinsstatistik1)

Termineinlagen(Laufzeit über 2 Jahre)

Gemäß harmonisierterMFI-Zinsstatistik2)

SichteinlagenSpareinlagenTermineinlagen 4)

Sparbriefe(Laufzeit 4 Jahre)

in %, monatlich

Gewichtet gemäß Anteil am Geldvermögen

1 Zinsen sind nicht volumengewichtet, Neugeschäft . 2 Zinsen sind mit dem jeweiligen Volumen gewichtet, Bestandsgeschäft . 3 Einlagen mit Kündigungsfrist bis 3 Monate. 4 Festgelder mit vereinbarter Laufzeit von 1 Monat, von 50.000 EUR bis unter 500.000 EUR.

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87N I E D R I G E Z I N S E N – F L U C H O D E R S E G E N ?

Bereits jetzt sind die Produktionskapazitäten im Euroraum weitgehend ausgelastet. Es ist davon aus-zugehen, dass eine weitere Verbesserung der Lage am Arbeitsmarkt auch zu höheren Lohnabschlüssen und damit zu einem größeren Preisauft rieb führen wird. Deshalb sagen die Prognosen des Eurosystems auch einen allmählichen Anstieg der Infl ationsrate im Euroraum hin zur angestrebten Rate von unter, aber nahe 2 Prozent voraus.Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, auch die unerwünschten Nebenwirkungen der ultra-lockeren Geldpolitik im Blick zu behalten. Wer trotz des niedri-gen Zinsniveaus eine höhere Rendite erzielen will, muss dafür im Allgemeinen auch höhere Risiken eingehen.

Sobald die Preisaussichten es erlauben, sollte die expansive Geldpolitik graduell und

verlässlich zurückgeführt werden.

HINWEISE FÜR DEN UNTERRICHT

Welche Vor- und Nachteile ergeben sich aus einem niedrigen Zinsniveau für unterschiedliche Akteure wie Unternehmen, öff entliche Haus-halte und Verbraucher_innen? Welchen Einfl uss hat die Infl ationsentwicklung auf die reale Rendite?

→ Eine Pro-Kontra-Debatte zur expansivenGeldpolitik der EZB und ihren ökonomischenFolgen und Verteilungseff ekten fi nden Sie auchin der im Wochenschau Verlag herausgege-benen Zeitschrift POLITIKUM Nr. 2/2016 „DasFinanzkapital“ (S. 56 – 67).

Hierdurch kann es zu Übertreibungen in einzelnen Vermögensmärkten kommen, etwa auf den Immobi­lien­ oder Aktienmärkten. Die Preissteigerungen an diesen Märkten spiegeln dann nicht mehr die realen Wertsteigerungen der zugrunde liegenden Immobilien oder Unternehmen, sondern nur noch die hohe Nach­frage der Anleger_innen, die einzig aus der Erwartung immer weiter steigender Preise gespeist wird. Eine solche Preisblase kann schnell platzen, wenn die Erwartungen der Anleger_innen auf weitere Wertstei­gerungen enttäuscht werden, weil beispielsweise die Zinsen für Bankeinlagen wieder steigen. Die Finanz­krise hat gezeigt, dass das Platzen einer Immobilien­preisblase vor allem dann problematisch ist, wenn die Immobilien in starkem Umfang kreditfi nanziert sind und die Banken in einem Wirtschaft sabschwung mit hohen Kreditausfällen konfrontiert sind. Gefordert sind aber auch die Finanzminister_innen. Sie müssen die öff entlichen Haushalte auf eine längerfristig solide Basis stellen, indem sie die öff entliche Verschuldung reduzieren, um genügend Spielraum zu haben, wenn sich das Zinsumfeld normalisieren oder die wirtschaft ­liche Lage wieder eintrüben sollte. Sobald die Preisaussichten es erlauben, sollte die expan­sive Geldpolitik graduell und verlässlich zurückgeführt werden, um wieder zu einer geldpolitischen Normali­sierung mit dann positiven Zinssätzen zu kommen.

LiteraturverzeichnisDeutsche Bundesbank 2017: Zur Entwicklung der staatlichen Zins­ausgaben in Deutschland und anderen Ländern des Euroraums. In: Monatsbericht Juli 2017, S.  35 ff . (bundesbank.de) Zugriff vom 12.3.2018.

Häring, Norbert 2018: Wer ist schuld am Niedrigzins? In: Handels­blatt vom 22.1.2018 (handelsblatt.com) Zugriff vom 12.3.2018.Sinn, Hans­Werner 2016: Säkulare Stagnation, schöpferische Zer­störung – und selbst produziertes Siechtum. In: Wirtschaft swoche vom 2.9.2016, S. 31.

Weiterführende LiteraturDeutsche Bundesbank 2017: Finanzstabilitäts­bericht 2017, S. 7–12 (bundesbank.de) Zugriff vom 12.3.2018.Dombret, Andreas 2017: Niedrigzinspolitik der EZB – Fluch oder Segen für Wirtschaft , Verbraucher und Banken? Rede in Witten beim Sparkassengesprächsforum am 1.2.2017 (bundesbank.de) Zugriff vom 12.3.2018.Deutsche Bundesbank 2018: Geschäft sbericht 2017. Frankfurt am Main, S. 12 – 22 (bundes­bank.de) Zugriff vom 12.3.2018. Deutsche Bundesbank 2018: Geldvermögens­bildung und Außenfi nanzierung in Deutsch­land im dritten Quartal 2017. Pressenotiz vom 17.1.2018 (bundesbank.de) Zugriff vom 12.3.2018.Landmann, Oliver et al. 2014: Niedrige Zinsen – esamtwirtschaft liche Ursachen und Folgen.In: Wirtschaft sdienst 94 (9), S. 611 – 630.Weidmann, Jens 2018: Dankesrede anlässlich der Verleihung „Freiheitspreis der Medien“ in Rottach­Egern am 12.01.2018 (bundesbank.de) Zugriff vom 12.3.2018.

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Thorsten Eistert

ist Diplom-Kaufmann. 2001 in die Bundes-

bank eingetreten, arbeitet er seit 2012

im Bereich „Öko-nomische Bildung, Geldmuseum“ der

Bundesbank-Zentrale in Frankfurt am Main. Quantitative Lockerung – Gründe,

Begrifflichkeit und Zielsetzung

Die Finanz- und Staatsschuldenkrise führte zu einer ausgeprägten wirtschaftlichen Schwäche im Euroraum, die mit sehr niedrigen Inflationsraten einherging. Des-halb kam im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB-Rat) die Sorge auf, der Euroraum könne im Extremfall in eine gefährliche Abwärtsspirale aus sinkenden Prei-sen und Löhnen, also eine Deflation, rutschen. Da der Leitzinssatz für die Hauptrefinanzierungsgeschäfte des Eurosystems bis Ende 2014 bereits fast auf null abge-senkt worden war, konnte er praktisch nicht mehr weiter gesenkt werden. Aber auch in solch einem Fall bleibt die Geldpolitik handlungsfähig, um den Risiken einer zu lange anhaltenden Phase zu geringer Preis-steigerungsraten zu begegnen. So gingen die Zentral-banken des Eurosystems dazu über, in großem Stil Vermögenswerte anzukaufen, ab März 2015 vor allem Staatsanleihen.Dieser großvolumige Ankauf von Wertpapieren hat zwei wesentliche Effekte: Zum einen wird beim Ankauf dieser Vermögenswerte Zentralbankgeld geschaffen, die Menge (Quantität) des Zentralbankgeldes nimmt also zu. Dies kommt in der immensen Ausweitung der Noten-bankbilanz des Eurosystems zum Ausdruck. Zum ande-ren sinken im Zuge der gestiegenen Nachfrage nach Wertpapieren die längerfristigen Zinssätze, was dem Effekt einer Leitzinssenkung – normalerweise als geldpolitische Lockerung bezeichnet – ähnelt. Aus die-sen beiden Effekten leitet sich der Begriff „quantitative Lockerung“ ab.Der Mechanismus läuft vereinfacht dargestellt wie folgt ab (siehe Schaubild „Wirkungszusammen-

hänge“): Durch die hohe zusätzliche Nachfrage der Zentralbanken nach (Staats-)Anleihen steigen deren Preise (Anleihekurse). Dies reduziert im Gegenzug die jeweilige Anleiherendite – also das kombinierte Anla-geergebnis aus Zinserträgen und Kursgewinnen/ -ver-lusten (siehe Infokasten „Zum Zusammenhang von Anleihekurs und Rendite“, S. 91). Von den rückläufi-gen Anleiherenditen geht dann auch ein Abwärts-druck auf die Kredit- und Einlagezinsen der Banken aus; die Finanzierungsbedingungen der Unternehmen und privaten Haushalte verbessern sich also. Im Gegensatz zur konventionellen Geldpolitik, die lediglich an den kurzfristigen Geldmarktzinsen ansetzt, zielen die Anleihekäufe direkt auf die längerfristigen Zinssätze. Wie auch bei den Leitzinssenkungen im Rahmen der Refinanzierungsgeschäfte soll es der Wirt-schaft über niedrigere (längerfristige) Zinssätze erleich-

tert werden, Finanzmittel aufzunehmen, um damit Investitionen zu finanzieren und die Nachfrage anzu-kurbeln (vgl. Deutsche Bundesbank 2017, S. 214 ff.). Dies soll den Inflationsdruck erhöhen, sodass sich im Ergebnis die Inflationsrate wieder dem angestrebten Niveau von unter, aber nahe 2 Prozent annähert.Zudem führt das niedrigere Zinsniveau in der Ten-denz dazu, dass Kapital in Länder abfließt, in denen das Zinsniveau höher ist. Solche Kapitalabflüsse las-sen den Wert der heimischen Währung gegenüber anderen Währungen sinken. Diese sog. Abwertung der eigenen Währung stimuliert wiederum das

Die Politik der „quantitativen Lockerung“ – Worum geht es und welche Ziele werden damit verfolgt?Seit fast vier Jahren bestimmt das Eurosystem mit seinen Anleihekäufen im Rahmen seiner Politik der quantitativen Lockerung die Wahrnehmung der Geldpolitik in der europäischen Öffentlichkeit. Selten zuvor wurde im Euroraum über Geldpolitik derart intensiv berichtet und diskutiert. Bis Ende Juni 2018 haben die Zentralbanken des Euroraums Anleihen im Wert von rund 2,5 Billionen Euro gekauft. Doch was ist diese Politik der quantitativen Lockerung (Quantitative Easing, QE) überhaupt? Wie wirkt sie und welche Risiken ergeben sich daraus? Antworten auf diese Fragen liefert dieser Beitrag.

Die Geldpolitik bleibt auch dann handlungs­fähig, wenn der Leitzins praktisch nicht

mehr weiter gesenkt werden kann.

Thorsten Eistert

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Programme zum Ankauf von Vermögenswerten

Die quantitative Lockerung im Euroraum umfasst ver-schiedene Programme zum Ankauf von Vermögenswer-ten, die unter dem Namen „Asset Purchase Programme“ (APP) zusammengefasst werden (vgl. Tabelle „Ankauf-programme des Eurosystems im Überblick“). Im Zentrum steht der im März 2015 begonnene Ankauf von Staatsanleihen aus dem Euroraum im Rahmen des Public Sector Purchase Programme (PSPP, Programm zum Ankauf von Wertpapieren des öff entlichen Sektors). Auf dieses entfällt mit mehr als 80 Prozent des Ankaufvolumens der mit Abstand größte Anteil der Wertpapierkäufe (Europäische Zentralbank 2018).

Exportgeschäft , da inländische Waren für das Aus-land billiger werden. Exportvorteile zu gewinnen ist zwar lediglich als Begleiteff ekt der lockereren Geld-politik zu sehen, aber auch dies belebt die Binnen-konjunktur und erhöht damit tendenziell die Infl a-tionsrate, zumal die Abwertung auch dazu führt, dass die aus dem Ausland eingeführten Waren teurer werden.Der wesentliche Unterschied zwischen der quantitati-ven Lockerung und den „normalen“ Refi nanzierungs-geschäft en einer Notenbank besteht darin, dass mit-tels QE die längerfristigen Zinsen – wie zuvor beschrie-ben – direkt über die Anleihemärkte beeinfl usst werden. Bei den „normalen“ geldpolitischen Operati-onen hingegen werden die kurzfristigen Zinsen gesteuert, die sich in der Folge auf die längerfristigen Zinsen auswirken sollen.

Wirkungszusammenhänge bei Wertpapier käufen im Rahmen der quantitativen Lockerung

Legende: Pfeil nach oben (Symbol) = steigt/ steigen, Pfeil nach unten (Symbol) = sinkt/ sinken

I Quelle: Deutsche Bundesbank I

Bankzinsen

Allgemeines Zinsniveau

WechselkurseKapitalmarktzinsen

Nachfrage nach KreditenGeldmenge

Nachfrage auf Gütermärkten

Löhne Importpreise

Inländische Preise

Preisentwicklung

Ankauf von Staatsanleihen

Staatsanleihenbestandin Zentralbankbilanz

StaatsanleihenkurseStaatsanleihenrenditen

Signal: Leitzinsen bleiben für längere Zeit niedrig

Vermögenspreise

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Im Juni 2018 beschloss der EZB-Rat, den Nettoer-werb von Vermögenswerten im Rahmen des APP nach September 2018 bis zum Jahresende auf mo-natlich 15 Milliarden Euro zu reduzieren und danach enden zu lassen. Voraussetzung hierfür ist, dass die dann verfügbaren Daten die mittelfristigen Infl ati-onsaussichten des EZB-Rats bestätigen. Auch im An-schluss an das Ende der Nettoanleihekäufe sollen die Tilgungsbeträge aus fälligen, im Rahmen des APP erworbenen Wertpapieren für längere Zeit wie-der angelegt werden.

Regelungen für die Staatsanleihekäufe und die Verteilung möglicher Verluste

Um eine direkte Staatsfi nanzierung durch das Eurosys-tem auszuschließen, werden die Staatsanleihen nur

am Sekundärmarkt gekau� . Dies ist der Markt, auf dem bereits emittierte Anleihen zwischen den Inves-tor_innen gehandelt werden, z. B. eine Börse. Werden Anleihen hingegen direkt von den Emittent_innen ge-kau� , spricht man vom Primärmarkt. Es muss deshalb eine bestimmte Karenzzeit abgewartet werden, bevor eine neu emittierte Staatsanleihe gekau� werden darf. Zugleich darf das Ankaufvolumen jeweils ein

Drittel einer Emission und der gesamten Anleihen eines Euro-Landes nicht übersteigen. Darüber hinaus müssen die Staaten über eine gewisse Mindestbonität verfügen. Deshalb ist der Ankauf griechischer Staats-

Ankaufprogramme des Eurosystems im Überblick

Aktiv: Asset Purchase Programme (APP)

Ankauf-programm

Start Ende Volumina in EUR (max.)

Ziel

Covered Bond Purchase Programme 3(auch: CBPP3)

10/2014

Mindes-tens bis September 2018 (bis nachhaltige Änderung der Infl a-tionsrate erkennbar)

Monatlich60 Mrd.,von April 2016 bis März 2017monatlich80 Mrd., seit Januar 2018 mo-natlich 30 Mrd.

Ankauf von gedeckten Schuldverschreibungen und for-derungsbesicherten Wertpapieren (ABS), um im Verbund mit gezielten längerfristigen Refi nanzierungsgeschä� en den monetären Transmissionsprozess zu verbessern und die Kreditversorgung der Wirtscha� im Euroraum zu erleichtern.Asset-Backed

Securities Purchase Programme(auch: ABSPP)

11/2014

Public Sector Purchase Programme(auch: PSPP)

03/2015 Ankauf von Anleihen der Euro-Staaten (mit Ausnahme Griechenlands) sowie anderer europäischer Institutionen nach einem festgelegten Schlüssel und mit besonderen Regeln für die Verteilung von Gewinnen und Verlusten aus diesen Ankäufen. Ziel: Den Risiken einer zu lange anhaltenden Phase niedriger Infl ation zu begegnen und so die Erfüllung des Mandats Preisstabilität zu gewähr-leisten.

Corporate Sector Purchase Pro-gramme (auch: CSPP)

06/2016 Ankauf von auf Euro lautenden Investment-Grade-Anleihen von Unternehmen (ohne Banken) aus dem Euro-Währungsgebiet. Ziel: Das Durchwirken der Wertpapierkäufe des Eurosystems auf die Finan-zierungsbedingungen in der Realwirtscha� weiter zu stärken.

I Quelle: Deutsche Bundesbank I

Eine direkte Staatsfi nanzierung durch das Eurosystem ist nicht erlaubt.

Staatsanleihen dürfen nur am Sekundärmarkt gekau� werden.

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anleihen momentan nicht gestattet, da diese sich seit 2016 im regelmäßigen Überprüfungsprozess befi nden (vgl. Europäische Zentralbank 2015).80 Prozent der Ankäufe im Rahmen des Staatsanlei-hekaufprogramms (PSPP) werden von den nationa-len Zentralbanken durchgeführt. Hierbei konzentrie-ren sie sich auf öff entliche Anleihen ihres Heimat-landes. Der Ankaufbetrag jeder nationalen Zentralbank bemisst sich nach ihrem Anteil am voll eingezahlten Grundkapital der EZB. Das bedeutet zum Beispiel, dass auf die Bundesbank derzeit rund 25,6 Prozent dieser Anleihekäufe entfallen, während es für die Banque de France 20 Prozent und für die Banca d’Italia 17,5 Prozent sind. Sollten hierbei Ver-luste auft reten, werden diese von den nationalen Zentralbanken selbst getragen. Die restlichen 20 Prozent des Ankaufvolumens setzen sich aus einem Anteil der EZB an den angekauft en Vermögenswer-ten in Höhe von 10 Prozent zusammen, wobei sich auch die EZB bei ihren Käufen an den Kapitalanteilen orientiert, und aus Ankäufen von Wertpapieren europäischer Institutionen in Höhe von ebenfalls 10 Prozent. Hierbei potenziell auft retende Verluste wer-den gemeinschaft lich getragen (Europäische Zent-ralbank 2017). Somit unterliegen 20 Prozent der Ankäufe von Vermögenswerten im Rahmen des PSPP dem Prinzip der Risikoteilung, während die Risikoteilung für 80 Prozent der erworbenen Titel ausgeschlossen ist.

Notwendigkeit der quantitativen Lockerung seinerzeit umstritten

Schon zu Beginn der Ankaufprogramme war umstrit-ten, ob das Szenario einer drohenden Defl ation tat-sächlich hinreichend realistisch war. Denn der verhält-nismäßig starke Rückgang der Preissteigerungsrate im Verlauf der Jahre 2012 bis Anfang 2015 war zum Großteil auf gesunkene Rohölpreise zurückzuführen. Ein sinkender Ölpreis wirkt in ölimportierenden Län-dern jedoch tendenziell konjunkturstimulierend und ist

somit typischerweise nicht der Vorbote eines gesamt-wirtschaft lich schädlichen allgemeinen Preisrückgangs. Ergänzend kommt hinzu: Viele Euro-Länder verzeich-neten vor Ausbruch der Staatsschuldenkrise einen drastischen Verlust ihrer preislichen Wettbewerbsfä-

Schon zu Beginn der Ankaufprogramme war umstritten, ob das Szenario einer drohenden

Defl ation hinreichend realistisch war.

Festverzinsliche Anleihen sind an Anleihemärkten gehandelte Wertpapiere mit festem Nominalwert und festgelegter Laufzeit, Verzinsung und Rück-zahlung. Sie werden auch Schuldverschreibung oder Rentenpapier genannt. Über die Emission ei-ner Anleihe beschaff en sich Emittent_innen Fremd-kapital, ohne einen klassischen Bankkredit aufneh-men zu müssen. Die Emittent_innen sind meist Staaten oder Unternehmen. Der_die Käufer_in der Anleihe (Gläubiger_in) überlässt dem_der Emit-tent_in (Schuldner_in) den Kaufbetrag (Nominal-wert) und erhält im Gegenzug in der Regel feste Zinszahlungen (sog. Kupons) sowie am Ende der Laufzeit den geliehenen Betrag zurück. Die Höhe der festen Zinszahlungen hängt maßgeblich von der Bonität, d. h. der Zahlungsfähigkeit und -be-reitschaft , der jeweiligen Emittent_innen ab: Je schlechter deren Kreditwürdigkeit ist, desto höher ist in der Regel der zu zahlende Zinssatz. Da Anlei-hen täglich an Börsen gehandelt werden, können sie von Anleger_innen auch nach der Emission ge-kauft bzw. vor Laufzeitende (Rückzahlungstermin) verkauft werden. Der Anleihekurs (Preis) ergibt sich aus Angebot und Nachfrage und weicht dann in der Regel vom Emissionskurs ab.Die Rendite, also die Gesamtverzinsung, einer An-leihe ergibt sich aus zwei Komponenten: Zum ei-nen erhalten Käufer_innen eine feste Zinszahlung, zum anderen kann die Rendite durch Kursgewinne oder -verluste erhöht oder vermindert werden.Beim Halten bis zum Ende der Laufzeit ergeben sich Kursgewinne dann, wenn die Käufer_innen ihre jeweilige Anleihe zu einem Preis unterhalb des Nominalwerts gekauft haben („unter pari“). Am Ende der Laufzeit erhalten sie mehr zurück als sie investiert haben. So erhöht sich ihre Rendite. Wenn die Käufer_innen ihre jeweilige Anleihe zu einem Preis über dem Nominalwert gekauft haben („über pari“), erhalten sie am Laufzeitende weniger ausge-zahlt als sie investiert haben, realisieren einen Kurs-verlust und vermindern ihre Rendite. Bei Kauf und Verkauf einer Anleihe vor Endfälligkeit gilt der glei-che Zusammenhang, jedoch ist hier die Diff erenz zwischen Kauf- und Verkaufspreis entscheidend.Als Faustformel für den Zusammenhang zwischen Anleihekursen und Gesamtverzinsung (Rendite) gilt somit: Je höher die Kurse beim Kauf der Anlei-hen, desto geringer die Rendite – und umgekehrt.

ZUM ZUSAMMENHANG VON ANLEIHEKURS UND RENDITE

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higkeit. Um Wettbewerbsfähigkeit zurückzugewinnen und die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen, mussten diese Länder umfassende Reformen durch-führen, die das Lohnwachstum dämpften und im Ergebnis zu niedrigen Preissteigerungsraten führten. Vor diesem Hintergrund war es aus Sicht der Bundes-bank nicht verwunderlich, dass nach dem stärksten Wirtschaftseinbruch in der Nachkriegsgeschichte die Inflationsraten im Euroraum längere Zeit sehr niedrig waren. Zudem hat die Bundesbank die Gefahr eines Abgleitens des Euroraums in eine sich selbst verstär-kende Deflation seinerzeit angesichts allmählich grei-fender Reformerfolge als gering angesehen.

Der umfangreiche Ankauf von Staatsanleihen geht mit Risiken und Nebenwirkungen einher

Eines der größten Probleme des großvolumigen Ankaufs von Staatsanleihen liegt darin, dass die Zen-tralbanken des Eurosystems hierdurch inzwischen zum größten Gläubiger der Euro-Länder geworden sind. Denn dadurch werden Finanz- und Geldpolitik noch stärker miteinander verwoben, obwohl es sich hierbei – aus guten Gründen – um zwei voneinander getrennte Politikbereiche handelt. Da die Finanzie-rungskosten der Staaten nun viel unmittelbarer vom Handeln der Notenbanken abhängen, als dies in geld-politisch normalen Zeiten der Fall ist, könnte in Zukunft der politische Druck auf das Eurosystem steigen, die geldpolitischen Zügel auch dann locker zu lassen, wenn die Inflationsaussichten eigentlich eine geldpo-litische Normalisierung verlangen würden. Denn anhal-tend niedrige Zinssätze bei „etwas mehr Inflation“ würde die in vielen Ländern drückend hohe öffentliche Verschuldung etwas erträglicher machen.Doch gebietet das vorrangige Ziel der gemeinsamen Geldpolitik – nämlich Preisstabilität im Euroraum zu gewährleisten –, quantitative Lockerung und Niedrig-zinsen nur solange beizubehalten wie dies unbedingt nötig ist. Sobald es die Inflationsaussichten erlauben, sollte das Eurosystem den Fuß vom „geldpolitischen Gaspedal“ nehmen, auf dem es seit einigen Jahren steht. Bei der geldpolitischen Normalisierung kann und darf eine stabilitätsorientierte Geldpolitik keine Rück-sicht auf die öffentlichen Finanzen der Mitgliedsländer nehmen.Zu den weiteren unerwünschten Nebenwirkungen zählt, dass Staaten, aber auch Unternehmen und private Haushalte, aufgrund der ausgesprochen günstigen Finanzierungskonditionen gegenwärtig

sehr günstig Kredit aufnehmen können. Der Druck, die teils überbordende Verschuldung einzelner Mit-gliedstaaten zu reduzieren, wird hierdurch entspre-chend geringer. Die niedrigen Zinsen dürfen aber nicht dazu führen, dass nötige Reformen und die notwendige Haushaltskonsolidierung aufgeschoben,

verschleppt oder letztlich gar als obsolet angesehen werden. Denn im Falle steigender Zinsen könnte dies in Ländern mit hohen Schuldenständen massive Pro-bleme hervorrufen. Mit anderen Worten: Die finan-zielle Entlastung durch Niedrigzinsen sollte insbe-sondere von den hochverschuldeten Euro-Ländern dazu genutzt werden, ihren Schuldenstand zu reduzieren.Weiterhin besteht die Sorge, dass die mit der quan-titativen Lockerung einhergehenden niedrigen Zin-sen zu einer überzogenen Risikobereitschaft von Anleger_innen führen und Preisblasen in anderen Vermögensmärkten verursachen, die dann platzen könnten. Dies könnte eine neuerliche Wirtschafts-krise entstehen lassen. Neben einzelnen Segmenten der Wertpapiermärkte, wie zum Beispiel Anleihen eher bonitätsschwacher Unternehmen, beobachtet die Bundesbank vor diesem Hintergrund aufmerk-sam die Entwicklung am deutschen Immobilien-markt.

Klage vor dem Bundesverfassungsgericht

Die Politik der quantitativen Lockerung ist auch recht-lich umstritten. So wurde gegen die Ankaufpro-gramme vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) geklagt. Nach Auffassung der Richter „sprechen gewichtige Gründe dafür, dass die dem Anleihenkauf-programm zugrunde liegenden Beschlüsse gegen das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung verstoßen sowie über das Mandat der Europäischen Zentralbank für die Währungspolitik hinausgehen und damit in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten übergreifen“ (BVerfG 2017). Aus diesen Gründen hat das BVerfG im Juli 2017 die Verfahren ausgesetzt und an den Europäischen Gerichtshof zur Prüfung weitergeleitet.

Sehr günstige Kredite verringern den Druck, die teils überbordende Verschuldung

einzelner Mitgliedstaaten zu reduzieren. Auch können sie zu einer überzogenen Risiko­bereitschaft von Anleger_innen führen.

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HINWEISE FÜR DEN UNTERRICHT

Welche Ziele und Aufgaben haben Zentralbanken klassischerweise und wie haben sich diese im Zeitverlauf geändert? Welche Chancen und Risiken birgt die seit einigen Jahren praktizierte Politik der quantitativen Lockerung? Erfüllt sie die Erwartungen? Ist sie legitim, oder übersteigt sie das geldpolitische Mandat der EZB?

VORSCHLAG: Im Juli 2018 beriet sich der EuGH über die Legitimität der Anleihekäufe der EZB. Hierauf kann Bezug genommen werden und aktuelle Zeitungsberichte im Unterricht herange-zogen werden. Dadurch können sich die Schü-ler_innen dem institutionellen und rechtlichen Kontext geldpolitischer Entscheidungen fall-orientiert nähern.

→ Zur quantitativen Lockerung bzw. der Frage, obmehr Geld für mehr Wachstum sorgt, fi nden Sieim WOCHENSCHAU-Basisheft „Wirtschaft spolitik“Unterrichtsmaterial und entsprechende Arbeits-vorschläge (Heft -Nr. 22316, S. 62 f.).

Hat die quantitative Lockerung ihr selbsterklärtes Ziel erreicht?

Obgleich der Transmissionsmechanismus der quanti­tativen Lockerung grundsätzlich bekannt ist und die Erfahrungen anderer Wirtschaft sräume dafür spre­chen, dass die quantitative Lockerung für sich genom­men einen expansiven Eff ekt auf die gesamtwirtschaft ­liche Nachfrage und die Infl ation entfalten kann, bleibt es doch ungemein schwierig, exakt zu ermitteln, inwiefern diese geldpolitische Sondermaßnahme tat­sächlich ihr Ziel erreicht hat. Modellbasierte Analysen kommen zumindest zu sehr unterschiedlichen Ein­schätzungen bezüglich der Wirksamkeit auf die Wirt­schaft s­ und die Preisentwicklung. Selbst wenn man der Politik der quantitativen Locke­rung eine gewisse infl ationserhöhende Wirkung zubil­ligt, müssen doch die geschilderten Risiken und Neben­wirkungen beachtet werden. Vor diesem Hintergrund gilt: Massive Staatsanleihekäufe sollten angesichts der negativen Nebenwirkungen nur als ein Notfallinstru­ment angesehen werden, zum Beispiel um eine dro­hende Defl ation abzuwehren. Sie sind also kein geld­politisches Instrument wie jedes andere.

LiteraturverzeichnisBVerfG 2017: Verfahren zum Anleihenkaufprogramm der EZB ausge­setzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union vorgelegt. Pres­semitteilung Nr. 70/2017 vom 15.8.2017 (bundesverfassungsge­richt.de) Zugriff vom 1.6.2018.Deutsche Bundesbank 2017: Geld und Geldpolitik. Frankfurt am Main.Europäische Zentralbank 2015: Beschluss (EU) 2015/774 der Europä­ischen Zentralbank vom 4.3.2015 über ein Programm zum Ankauf von Wertpapieren des öff entlichen Sektors an den Sekundärmärkten (EZB/2015/10) (ecb.europa.eu) Zugriff vom 1.6.2018.Europäische Zentralbank 2017: Implementation aspects of the public sector purchase programme (PSPP) (ecb.europa.eu) Zugriff vom 5.6.2018.Europäische Zentralbank 2018: Asset purchase programmes (ecb.europa.eu) Zugriff vom 1.6.2018.

Weiterführende LiteraturEuropäische Zentralbank 2015: EZB kündigt erweitertes Programm zum Ankauf von Vermögenswerten an. Pressemitteilung vom 22.1.2015 (ecb.europa.eu) Zugriff vom 1.6.2018.Deutsche Bundesbank 2016: Zu den gesamtwirt­schaft lichen Auswirkungen der quantitativen Lockerung im Euroraum. In: Deutsche Bundes­bank: Monatsbericht Juni 2016. Frankfurt am Main.Deutsche Bundesbank 2017: Anleihekäufe des Eurosystems und der Wechselkurs des Euro. In: Deutsche Bundesbank: Monatsbericht Januar 2017. Frankfurt am Main.

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Bargeldkreislauf  Fluss des gesetzlichen Zahlungsmittels zwischen der Notenbank, den Geschäftsbanken, den Werttransporteuren, dem Handel und der Bevölkerung.

Bargeldumlauf Umfasst alle ausgegebenen Banknoten und Münzen abzüglich der Kassen-bestände der Banken und des Eigenbestandes der Notenbank. Synonym: Bargeldvolumen.

Bitcoin Variante von „Krypto-Token“. Alle Vorgänge zur Erschaffung und Übertragung von Bitcoins werden in einer dezentral geführten Datenbank, der sog. Blockchain, gespeichert. Kein gesetzliches Zahlungsmittel und nicht als Bargeld verfügbar. Erfüllt die Geldfunktionen (Tausch- und Zahlungsmittel, Recheneinheit, Wertaufbewah-rungsmittel) weitestgehend nicht.

Bretton-Woods-System Währungsordnung der Nachkriegszeit, die bis 1973 bestand. Im Juli 1944 durch hochrangige Vertretungen der späteren Siegermächte des Zweiten Weltkriegs beschlossen. U. a. ein System fester Wechselkurse. Die Bundesre-publik Deutschland trat 1949 bei.

Buchgeld Einlagen von Nichtbanken bei Banken, die durch Buchungsakte in den Kontobüchern der Banken entstanden sind. Obwohl kein gesetzliches Zahlungsmittel, wird es allgemein als Zahlungs-mittel akzeptiert; insbesondere, weil es in Bargeld umgewandelt werden kann. Mit Buchgeld lässt sich via Instrumenten des bargeldlosen Zahlungs-verkehrs (Überweisungen, Lastschriften, etc.) zahlen. Auch „Giralgeld“ genannt, da es im bargeldlosen Zahlungsverkehr von einem Bank-konto zum anderen kreist.

Deflation Anhaltender Rückgang des Preisni-veaus in einer volkswirtschaftlichen Krisensitua-tion.

Disinflation Die für einige Zeit kontinuierliche Abnahme der dennoch positiv bleibenden Infla-tionsrate. Synonym: abnehmende Inflation.

Einlage Guthaben auf den Konten bei Banken. Unterschieden werden mehrere Arten von Einlagen: Sichteinlagen, Termineinlagen und Spareinlagen. Banken werben längerlaufende Einlagen von ihren Kund_innen ein, um die Risiken aus der Kredit gewährung einzugrenzen.

GlossarDie Begriffserläuterungen entstammen den Aufsätzen und dem Online-Glossar der Deutschen Bundesbank. Weitere Begriffserläu-terungen finden Sie unter: bundesbank.de/Navigation/DE/Service/Glossar/glossar.html

Aktie Wertpapier, das einen Anteil am Grund­kapital einer Aktiengesellschaft und die damit verbundenen Rechte und Pflichten verbrieft. Die Aktieninhaber_innen sind Miteigentümer_innen der Aktiengesellschaft.

Aktienindex Fasst die Kursentwicklung des Aktienmarktes oder einzelner Aktiengruppen zusammen. Der bekannteste Aktienindex in Deutschland ist der Deutsche Aktienindex DAX.

Anleihe Wertpapier, das der Fremdfinanzierung (Kreditaufnahme) dient und bei dem Verzinsung, Laufzeit und Rückzahlung festgelegt sind. Der Gesamtbetrag dieser Form von Schuldverschrei­bung ist in viele gleiche „Stücke“ geteilt. Dadurch können sich zahlreiche Gläubiger_innen (Kredit­geber_innen) mit jeweils kleineren Anlagebeträgen an der Schuldverschreibung beteiligen.

Asset Purchase Programme (APP) Die Gesamtheit der verschiedenen Programme zum Ankauf von Vermögenswerten im Rahmen der quantitativen Lockerung im Euroraum.

Ausschuss für Finanzstabilität (AFS) Das zentrale Gremium der makroprudenziellen Überwachung in Deutschland. In ihm kommen Vertreter_innen des Bundesfinanzministeriums, der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs­aufsicht (BaFin) und der Bundesbank zusammen. Siehe „Finanzstabilität“.

Bankenaufsicht Überwacht im öffentlichen Auftrag und Interesse die Geschäftstätigkeit der Banken, da diese eine zentrale Stellung in einer Volkswirtschaft einnehmen. Soll insbesondere die Sicherheit der den Banken anvertrauten Einlagen gewährleisten und zur Integrität und Stabilität des Finanzsektors beitragen. In Deutschland von der EZB, der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und der Deutschen Bundesbank ausgeübt.

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95G L O S S A R

Euro Am 1.1.1999 als Buchgeld in elf EU-Staaten eingeführt. Mit der Bargeldeinführung zum 1.1.2002 wurde er alleiniges gesetzliches Zahlungsmittel in zwölf EU-Staaten. Bis zum heutigen Tage traten sieben weitere Länder der Währungsunion bei.

Europäische Zentralbank (EZB) Seit der Einführung des Euro 1999 die Währungsbehörde für das Euro-Währungsgebiet. Oberstes Beschluss-organ ist der EZB-Rat, der insbesondere über die Geldpolitik des Eurosystems bestimmt. Eines der sieben Organe der EU.

Europäisches System der Zentralbanken (ESZB) Setzt sich zusammen aus dem Euro-system und allen nationalen Zentralbanken auch der Nicht-Euro-Länder der Europäischen Union.

Eurosystem Besteht aus der EZB und den nationalen Zentralbanken der Euro--Mitgliedslän-der. Verantwortlich für die Geldpolitik im Euroraum; genießt dafür institutionelle, perso-nelle, funktionelle und finanzielle Unabhängig-keit. Ein weiterer Grundpfeiler ist Dezentralität: Das Eurosystem hat geld- und währungspolitische Kompetenzen inne. Ist es allerdings möglich und sachgerecht, so sollen die nationalen Zentralban-ken die dem Eurosystem übertragenen Geschäfte durchführen.

Fazilitäten, ständige Angebote des Eurosys-tems an Geschäft sbanken, Zentralbankgeld bis zum nächsten Geschäft stag anzulegen (Einlage-fazilität) oder als Übernachtkredit aufzunehmen (Spitzenrefi nanzierungsfazilität). Ihre geldpolitische Funktion besteht vor allem darin, dass die von der Zentralbank gesetzten Zinssätze der beiden Fazilitä-ten (zu den Leitzinsen zählend) dem Geldmarkt-zinssatz für kurzlaufende Interbankenkredite („Tagesgeldsatz“) in der Regel eine Unter- und Obergrenze setzen. So entsteht ein Zinskorridor, der eine enge Anbindung der Geldmarktsätze an den Haupt refi nanzierungssatz (siehe „Off enmarkt-geschäft “) garantiert.

Fiat-Währung Währungsform der meisten gegenwärtigen Volkswirtschaften. Ohne Edel-metalldeckung; entsteht allein durch den Beschluss der gesetzgebenden Organe eines Staates oder Währungsgebietes, der dieses Geld als gesetz liches Zahlungsmittel bestimmt (lat. fiat: es werde).

Finanzstabilität Zustand, in dem das Finanz-system – auch in Phasen der Anspannung oder von Umbrüchen – in der Lage ist, seine Funktio-nen zu erfüllen und Finanztransaktionen aller Art effi zient und sicher abzuwickeln. Im Rahmen der makroprudenziellen Aufsicht überwachen Aufsichtsbehörden generelle Marktentwicklungen und ihre Auswirkungen auf eine Vielzahl von Akteur_innen im Finanzsektor, um systemischen Krisen vorzubeugen.

Geld Allgemein anerkanntes Tausch- und Zahlungsmittel, welches das Vertrauen der Beteiligten genießt, mit dem empfangenen Geld selbst auch wieder Güter erwerben zu können. Verpfl ichtet die Rechtsordnung dazu, das Geld – dann „Währung“ – anzunehmen, dient es als gesetzliches Zahlungsmittel, durch das eine Schuld mit rechtlicher Wirkung getilgt werden kann. Neben seiner Funktion als Tausch- und Zahlungs-mittel ist Geld Recheneinheit und Wertaufbewah-rungsmittel.

Geldpolitik, europäische Im Euroraum 1999 unter dem Dach der EZB vergemeinschaft et. Ihr vorrangiges Ziel ist, Preisstabilität zu gewährleis-ten. Beim Erfüllen ihrer Aufgaben werden der EZB und den nationalen Zentralbanken weitgehende Unabhängigkeit von politischen Einfl üssen eingeräumt.

Geldwertstabilität Siehe „Preisstabilität“.

Geldwesen Siehe „Währung“.

Giralgeld Siehe „Buchgeld“.

Goldstandard Festes Umtauschverhältnis von Banknoten zu Edelmetallen (Gold). Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein waren Währungen zumindest teilweise durch Gold gedeckt.

Haushaltssaldo, struktureller Ein um konjunk-turelle Eff ekte und Einmaleff ekte bereinigtes Maß für die Diff erenz zwischen Einnahmen und Ausgaben eines Staates.

Infl ation Anhaltender Anstieg des Preisniveaus. Die Infl ationsrate erfasst den prozentualen Anstieg des Preisniveaus zwischen zwei Zeitpunkten. Die Kernrate ist die um stark schwankende Güterpreise bereinigte Infl ationsrate.

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Inflationsrate Siehe „Inflation“.

Interbankenmarkt Hier wird Zentralbankgeld in Form von Kontoguthaben zwischen den Geschäfts-banken gehandelt. Synonym: Geldmarkt.

Kapitalanteil Anteil jedes Mitgliedslandes am voll eingezahlten Grundkapital der EZB. Abhängig von der Bevölkerungsgröße und Wirtschaftskraft eines Landes. Legt das Stimmgewicht bei Entschei-dungen über das EZB-Kapital und bei Fragen zur Gewinnverteilung und den Währungsreserven fest. Am Kapitalanteil wird gleichfalls der Ankauf-betrag jeder nationalen Zentralbank am PSPP bemessen.

Kapitalmarkt Am Primärmarkt (Emissionsmarkt) werden Finanztitel wie Aktien oder Anleihen erstmals ausgegeben („emittiert“) beziehungs-weise zum Verkauf angeboten. Am Sekundärmarkt können diese Finanztitel an andere Investor_innen weiterveräußert werden, z.B. über eine Börse.

Kaufkraft Wert des Geldes, ausgedrückt in einer Gütermenge. Gibt an, welche Gütermenge für einen bestimmten Geldbetrag gekauft werden kann.

Kernrate Siehe „Inflation“.

Kredit Zeitlich begrenzte Überlassung von Kauf- kraft (in der Regel in Geldform). Kreditnehmer_innen zahlen Kreditgeber_innen dafür einen Zins.

Krönungstheorie Politökonomische Denkschule, die die Entstehung der gemeinsamen europäischen Währung beeinflusste. Standpunkt, dass eine Währungsunion nur als Abschluss einer politischen Union eingeführt werden sollte.

Krypto-Token Werteinheiten, die rein digital verfügbar sind und auf Verschlüsselungstechniken (Kryptografie) basieren. Zu den berühmtesten Krypto-Token zählt der Bitcoin.

Leitzinssatz Entscheidendes Instrument der Notenbanken, um im Rahmen von geldpolitischen Operationen Einfluss zu nehmen auf das Zinsni-veau und hierdurch mittelbar auch auf die Buchgeldschöpfung der Geschäftsbanken.

liquide Meint im Kontext von Wertpapieren „häufig gehandelt“, somit leicht zu verkaufen und

hierdurch schnell wieder in Geld umzuwandeln. Der Begriff „Liquidität“ wird im Kontext von Zentralban-ken oftmals als Synonym für Zentralbankgeld gebraucht.

Liquiditätsbereitstellung, neutrale Versuch einer Notenbank, den Geschäftsbanken diejenige Menge an Zentralbankgeld („Liquidität“) zur Verfügung zu stellen, die beim herrschenden Refinanzierungssatz nachgefragt wird.

Lokomotivtheorie Politökonomische Denk-schule, die die Entstehung der gemeinsamen europäischen Währung maßgeblich beeinflusste. Ihre Vertreter_innen plädierten dafür, eine einheit-liche Währung nicht bedingungslos, aber doch mög-lichst früh einzuführen, damit diese als „Lokomotive der Integration“ weitere wirtschaftliche und politische Schritte nach sich ziehe.

Notenbank Siehe „Zentralbank“.

Offenmarktgeschäft Im Kontext des Euro-systems eine geldpolitische Operation, die auf Initiative der Zentralbank erfolgt. Mit einem Offenmarktgeschäft kann das Eurosystem entweder das Ziel verfolgen, den Banken Zentralbankgeld („Liquidität“) bereit zustellen, oder aber ihnen Liquidität zu entziehen.

Preis, relativer Drückt den Preis eines Gutes in Einheiten eines anderen Gutes aus.

Preisindex Statistische Messgröße, mit der die durchschnittliche Preisentwicklung einer Güter-gruppe gemessen wird. Der bekannteste Preisindex ist der → Verbraucherpreisindex.

Preisniveau Der gewichtete Durchschnitt der Preise von Gütern und Dienstleistungen einer bestimmten Kategorie, etwa von Verbrauchsgütern oder industriellen Erzeugnissen. Steigt das Preisni-veau, sinkt die Kaufkraft des Geldes und umgekehrt.

Preisstabilität Zustand, in dem sich das Preisniveau trotz Veränderungen der einzelnen Preise an den Märkten nur wenig verändert. Der EZB-Rat de finiert das Ziel der Preisstabilität im Euroraum als einen jährlichen Anstieg des Harmonisierten Verbraucherpreisindexes von unter 2 Prozent auf mittlere Sicht. Synonym: Preis-niveaustabilität.

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97G L O S S A R

Progression, kalte Wenn im Falle eines Steuer-systems, das auf nominale Größen abzielt, Steuerzahler_innen auch auf rein infl ations-bedingte Einkommenszuwächse höhere Steuer-sätze bezahlen müssen, ohne dass sich ihr reales Einkommen erhöht hat.

Refi nanzierung Wenn sich Geschäft sbanken – welche die Wirtschaft „fi nanzieren“ – selbstFinanzmittel beschaff en. Im engeren Sinne sprichtman von Refi nanzierung, wenn sich Geschäft sban-ken bei der Zentralbank mit Zentralbankgeldversorgen. Der Refi nanzierungsbedarf des Banken-systems bietet den Ansatzpunkt für die Geldpolitik.Vgl. „Off enmarktgeschäft “.

Regionalgeld „Geldart“, mit der ausschließlich in teilnehmenden Geschäft en einer bestimmten Region gezahlt werden kann.

Staatsanleihekaufprogramm (PSPP) Teil des → APP. Im Rahmen des PSPP kaufen die Zentralban-ken des Eurosystems seit März 2015 Wertpapiere ihres jeweiligen öff entlichen Sektors sowie Schuld-titel europäischer Institutionen und Agenturen.

Staatsfi nanzierung, monetäre Finanzierung von Staatsschulden durch Kreditgewährung der Notenbank an den Staat.

TARGET2-Plattform Großbetragszahlungs-system für eilbedürft ige Individualzahlungen. Dient zudem der Abwicklung geldpolitischer Geschäft e.

Transmissionsmechanismus Gesamtheit der Prozesse, welche die Übertragung geldpolitischer Impulse (wie z. B. Leitzinsänderungen) auf die Preisentwicklung (und gegebenenfalls andere volkswirtschaft liche Größen) beschreiben.

Verbraucherpreisindex Misst mithilfe von Warenkorb und Wägungsschema die durchschnitt-liche Preisentwicklung derjenigen Güter, die private Haushalte für Konsumzwecke kaufen. Die Verände-rung des Verbraucherpreisindex wird als Infl ations-rate bezeichnet. Im Euroraum wird die Preisent-wicklung mithilfe des „Harmonisierten Verbrau-cherpreisindexes“ (HVPI) gemessen.

Vertrag von Maastricht Trat 1993 in Kraft . Schuf u. a. die Rechtsgrundlage für die Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung.

Währung Hoheitlich geordnetes Geldwesen eines Staates oder Gebietes einschließlich aller Regelungen zur Sicherung der Geldwertstabilität (Geldverfassung). Der Begriff Währung steht deshalb auch für den Namen der Geldeinheit (z. B. Euro, US-Dollar, Yen).

Wechselkursmechanismus II (WKM II) System fester Wechselkurse, an dem zunächst alle diejenigen EU-Länder teilnehmen müssen, die den Euro als Währung einführen wollen.

Wertpapier Verbrieft ein Vermögensrecht. Wertpapiere sind bspw. Aktien, Schuldverschrei-bungen (Rentenpapiere, Anleihen) und Investment-fondsanteile.

Zentralbank Für die Geldpolitik und die Funkti-onsfähigkeit des Geldwesens in einem Land oder Währungsraum zuständig. In der Bundesrepublik Deutschland die Deutsche Bundesbank. Zu den Kernaufgaben einer Zentralbank gehören neben der Geld politik typischerweise die Verwaltung der Währungsreserven sowie als Notenbank die Ausgabe von Banknoten. Der Zentralbank kann auch die Verantwortung für die Bankenaufsicht und den Zahlungsverkehr übertragen werden. Wichtigstes geldpolitisches Ziel ist zumeist Preisstabilität, weshalb Zentralbanken in vielen Ländern unabhän-gig von politischen Weisungen sind.

Zinsmarge Unterschied zwischen den niedrige-ren Zinssätzen, die die Banken ihren Kund_innen für das zumeist kurzfristig angelegte Geld bezah-len und den höheren Zinssätzen, die die Banken von ihren Kund_innen für die zumeist längerfristig vergebenen Kredite verlangen.

Zwei-Säulen-Strategie Analyserahmen für die Ermittlung von Risiken für die Preisstabilität. Die wirtschaft liche Analyse untersucht kurz- und mittelfristige realwirtschaft liche Indikatoren (z. B. Lohnentwicklung); die monetäre Analyse befasst sich mit den längerfristigen Preisstabilitätsrisiken aus der Geldmengen- und Kreditentwicklung.

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KOOPERATIONSAUSGABE

Diese WOCHENSCHAU-Sonderausgabe ist ein Kooperations-projekt des Wochenschau Verlags mit der Deutschen Bundes-bank.

PREISSYSTEM Jedes WOCHENSCHAU­Heft erhält je nach Umfang zwischen einem und fünf Punkten . Punktepreis x Punktzahl des Heftes ergibt die Kosten pro Heft.

Bestellung von Einzelheftenfür Einzelbestellungen: pro Punkt € 5,70im Abonnement: pro Punkt € 4,90gilt nur bei Direktbestellung, bitte Kundennummer angeben.

Schüler_innenhefte im Klassensatzab 10 Heften, pro Punkt € 3,40

Beilage „Methodik“ für LehrkräfteIm Abonnement wird Ihnen die Methodik mit dem Heft geliefert.Bei Einzelbestellungen erhalten Sie einen Zugangscode zum Herunterladen der digitalen Version.

WOCHENSCHAU JahresabonnementGesamtausgabe (Sek. I + II): € 169,00Teilausgabe Sek. I: € 98,00Teilausgabe Sek. II: € 98,00

Preise gültig bis 31.12.2018

AUSGABEN 2018SEKUNDARSTUFE I

Rechtsextremismus (Nr. 1/2018)Demokratie und politische BeteiligungBasishe� (Nr. 2-3/2018) Arbeitsmarkt (Nr. 4/2018)Konfl ikte (Nr. 5/2018)Internationale Politik I: Sicherheit und FriedenBasishe� (Nr. 6/2018) Sonderausgabe: Geld und Geldpolitik (Nr. 18s)

SEKUNDARSTUFE IINahostkonfl ikt (Nr. 1/2018)Das politische System der BRD

Basishe� (Nr. 2-3/2018)Weltordnung (Nr. 4/2018)Demokratie und Autokratie (Nr. 5/2018) Sozialstaat (Nr. 6/2018)Sonderausgabe: Geld und Geldpolitik (Nr. 18s)

FORTBILDUNG FÜR ZUHAUSEDIE SONDERAUSGABEN DER WOCHENSCHAU

Kompetenzen im Politikunterricht (Best-Nr. 10s)

Ökonomische Grundbegriff e (Best-Nr. 12s)

Soziales Lernen (Best-Nr. 13s)

Demokratiepädagogik (Best-Nr. 14s)

Heterogenität (Best-Nr. 15s)

Politikunterricht (Best-Nr. 16s)

Individuelle Förderung (Best-Nr. 17s)

IMPRESSUM

Die WOCHENSCHAU für Politik- und Ökonomieunterricht wurde 1949 von Dr. Kurt Debus (†) unter der Bezeichnung WOCHENSCHAU für politische Erzie-hung, Sozial- und Gemeinschaft skunde gegründet. Chefredakteurin und Her-ausgeberin von 1954-2008 Ursula Buch (†); Gründungsherausgeber: 1949 Dr. Kurt Debus. Herausgegeben von: Bernward Debus, Prof. Dr. Peter Massing, Dr. Tessa Debus, Prof. Dr. Sabine Achour.

Redaktion: Elisa Schwis, 069/7880772-31; Daniel Röhrig, 069/7880772-32; Sebastian Neumann (Redaktionsassistenz), 069/7880772-33; [email protected].

Verlag: Geschäft sführung: Bernward Debus, Dr. Tessa Debus, Silke Schneider, 069/7880772-0; Verleger: Bernward Debus; Verlegerin: Dr. Tessa Debus; Pres-se- und Öff entlichkeitsarbeit: Raoul Pra, 069/7880772-52; Anzeigenleitung: Brigitte Bell, 06201/340279, [email protected]; Vertrieb: 069/7880772-23, Fax: 069/7880772-25.

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Mitarbeitende der Redaktion: Prof. Dr. Anja Besand, Prof. Dr. Gotthard Breit, Prof. Dr. Hubertus Buchstein, Walter Densow, Prof. Dr. Joachim Detjen, Prof. Dr. Tim Engartner, Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte, Christa und Hans Köhring, Prof. Dr. Klaus-Peter Kruber, Dr. Christian Meyer-Heidemann, Prof. Dr. Ursula Münch, Prof. Dr. Kerstin Pohl, Dr. Hans-Joachim Reeb, Prof. Dr. Wolfgang Sander, Jes-sica Schattschneider, Prof. Dr. Günther Seeber, Ulrike und Christoph Straub, Eckhardt Wansleben, Prof. Dr. Birgit Weber.

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Urheberrecht: Alle Rechte, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomecha-nische Wie dergabe, Ton- und Bildträger jeder Art, auszugsweisen Nachdruck oder Einspeicherung und Rückgewinnung in Datenverarbeitungsanlagen aller Art sind vorbehalten. Kein Teil dieser Schrift darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie oder einem anderen Verfahren) – außerhalb der vom Gesetzgeber festgelegten Grenzen des Urheberrechts – reproduziert oder unter Verwen-dung elektronischer Systeme verarbeitet werden. Zuwiderhandlungen werden strafrechtlich verfolgt.

Bezugsbedingungen: Gesamtausgabe (Sek. I und Sek. II) Jahresabon-nement (10 Heft e + 1 Sonderheft ): € 169,–. Teilausgabe (Sek. I oder Sek. II) Jahres abonnement (5 Heft e + 1 Sonderheft ) jeweils: € 98,–. Die WOCHENSCHAU-Schüler_innenausgabe kann im Klassensatz zu günstigen Konditionen (vgl. Preisliste) bezogen werden. Alle Preise zuzüglich Versandkosten; Kündigung 8 Wochen (bis 31.10.) vor Jahresschluss.

Bundesfreiwilligen- und Wehrdienstleistende, Auszubildende, Studierende und Referendar_innen erhalten das Abonnement während der gesamten Ausbil-dungszeit zum halben Preis.

Druck: printed in the EU

Titel und typografi sche Gestaltung: Klaus Ohl, Wiesbaden

© Wochenschau Verlag Dr. Kurt Debus GmbH. Einer Teilaufl age liegt eine Verleger_innenbeilage bei.

Sonderausgabe Sek I + Sek II: ISSN 2190-3611, ISSN 2190-362X

Best.-Nr. 18s

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I N H A LT

Geld und Geldpolitik

T H E M E N H E F T E

Michael Schiff

4 Bargeld, Buchgeld oder Bitcoin – Was ist Geld?

Die Geschichte des Geldes ist eine Geschichte des Wandels, zu dem auchneue Trends wie Kryptowährungengehören. Im Beitrag wird sowohl derNutzen des Geldes als auch der Unter-schied zwischen den Begriffen Geld und Währung deutlich erklärt.

Franz Conrads

12 Ist Bares noch Wahres? Zur Zukunft des Bargelds

Euro-Bargeld ist noch immeverwendete Zahlungsmittel im Alltder Deutschen. Ausgehend vlen Statistiken zur Bargeldnukutiert der Autor die Vor- under Nutzung von Bargeld.

Jürgen Hirsch

28 Die Unabhängigkeit der Geldpoli-tik von demokratisch gewählten Regierungen

Die Stabilität einer Währung ist wirt-schaftspolitische Aufgabe des Staates.Weshalb entscheidet aber in keinem entwickelten Industriestaat die demo-kratisch gewählte Regierung über die angemessene staatliche Geldpolitik? Der Beitrag beantwortet die Frage, weshalb es stattdessen unabhängige Zentralbanken gibt, die zudem keiner direkten demokratischen Kontrolle durch die Volksvertretung unterliegen.

Harald Loy

34 Der Euro als Motor der europäischen Integrati

Wie war das nochmal mit dschen Integration? Der Euro wdas ursprüngliche Ziel des Intprozesses. Er ist aber mit deeinem Instrument für diesegeworden. In diesem Beitrder Autor, wie der Prozess dschen Integration verlief, wepunkte ihn beeinflussten und wiIntegrationskraft des Euro htiert wird.

WOCHENSCHAU-THEMENHEFTE IM ÜBERBLICK

POLITISCHES SYSTEM DER BRDWahlen (Sek. I) 1117Wahlen (Sek. II) 2117Das Parteiensystem 2315 Demokratie und politische

Beteiligung 12318 Föderalismus 2214

Pluralismus 2114Das politische System der BRD 22318Der Deutsche Bundestag 2313

EU EU II: Wirtschaft und Soziales 2517

EU 1215Die Zukunft der EU 2115EU I: Institutionen und Politik 2613

WIRTSCHAFTÖkonomische Theorien 2617Wirtschaft 12317Werbung und Konsum 1616Wirtschaftspolitik 22316Geld – Problem oder Lösung? 1112Konsum und Produktion 15611

Verteilung: Einkommen und Vermögen 2111

SICHERHEITSPOLITIKNahostkonflikt 2118Sicherheitspolitik 22317Die Bundeswehr 1516

Internationale Politik I: Sicherheit und Frieden 1618Afghanistan 2311Was kann die UNO? 1410

GLOBALE PROBLEME/GLOBALISIERUNGWeltordnung 2418Grund- und Menschenrechte 1417„Islamischer Staat“ 2416Internationale Politik II:

Globalisierung 14515 Globalisierung – Internationale

Wirtschaftsbeziehungen 2614Terrorismus 2213

UMWELT Energiepolitik 2616 Nachhaltigkeit 1615

Ökologie und Ökonomie 2215Umwelt 1111

MEDIEN UND POLITIKMedien und Politik 24514Medien 1313Internet und Politik 2412

DEMOKRATIE Konflikte 1518

Demokratie und Autokratie 2518 Populismus 2417

Was ist Politik? 1416Präsidentielle Demokratie 2116Politische Theorie 24515Demokratie in der Schule 1114Demokratie in der Gemeinde 1412Freiwilligendienst für alle? 2112

RECHT IN GESELLSCHAFT UND STAATDatenschutz 1315Recht in Gesellschaft und Staat 1614Freiheit und Gleichheit 2314

INTEGRATION UND INKLUSIONMigration und Integration 1617Islam ≠ Islamismus 1116Inklusion 1613

RECHTSEXTREMISMUSRechtsextremismus 1118

ARBEITSMARKT/ARBEITSWELTDer Betrieb – ein Leitfaden zum Praktikum 12316Arbeitsmarkt 1418

SOZIALSTAAT Sozialstruktur 2615

Sozialpolitik 1115Sozialstaat 2618

GESELLSCHAFT UND ZUSAMMENLEBENJugend – Familie –

Gesellschaft 1517Gesellschaft 2516Sozialisation 1214

BILINGUALE THEMENHEFTEEconomic Globalization 1417sThe US Presidential Elections 2416s Migration, Mobility and Employment in the EU 1215s

SONDERAUSGABEN Geld und Geldpolitik 18s Individuelle Förderung 17s Politikunterricht 16s Heterogenität 15s Demokratiepädagogik 14s Soziales Lernen 13s Ökonomische Grundbegriffe 12s Kompetenzen im Politikunterricht 10s

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