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Wolfgang Hagen
Das Ordale und das Portable - Anmerkungen zu einer Wissenstheorie der
Medien 1
Obwohl das Ordale in meinem Vortragstitel zur Sprache kommt, und damit ein
uraltes, völlig außer Gebrauch geratenes Wort, lassen Sie mich mit der Frage der
Portabilität beginnen und auf diese Weise noch einmal mitten in unser Tagungsthema
springen.
>>> 2
Mein Thema ist das
Handy. Von solchen
Geräten, sagt uns die
Branche, gibt es seit
diesem Jahr 2007 3,9
Milliarden auf der Welt.
200 Millionen Geräte
fliegen jährlich auf den
Müll. Mindestens 300 bis 2
500 Millionen werden
dafür neu wieder
angeschafft.
>>> 3
Innerhalb von nur 15 Jahren hat das Mobilphon eine
Durchdringungstiefe von 91 Prozent aller Haushalte
in den entwickelten Industrienationen erreicht. Das
Handy hat damit die Zahl der über Jahrzehnte
gewachsenen Festnetzanschlüsse in gut zehn
Jahren weit übertroffen.
Vortrag, “Portable Media - Schreibszenen in Bewegung zwischen Peripatetik und 1
Mobiltelefon”, Institut für deutsche Sprache und Literatur, Universität Dortmund, 24.9.2007
Campaign, Computer Takeback: Facts and Figures on E Waste and Recycling, http://www.e-2
takeback.org/docs%20open/Toolkit_Legislators/tools/Facts%20and%20Figures%20on%20E%20Waste%20and%20Recycling.pdf Retr 2007/Campaign 2007/3203CampaignFactsandFiguresonEWa, 2
! 2
>>> 4
In den entwickelten Industrienationen haben
nämlich nur in 51 Prozent der Haushalte, also 40
Prozent weniger, Festnetztelefon. Internet haben
immerhin fast schon 60 Prozent der Haushalte.
Was das Handy betrifft, so liegen die Italiener mit
1,3 Geräten pro Einwohner international an der
Spitze. Aber auch in Deutschland sind seit diesem
Jahr mehr Handies in Betrieb als es Einwohner
gibt, was also auch hier den Trend zum Zweithandy markiert. Die USA liegen diesmal
abgeschlagen mit einer Durchdringungstiefe von 75 Prozent der Haushalte auf den
hinteren Plätzen. Aber auch hier gibt es zweistellige Wachstumsziffern pro Jahr.
Kurzum: Wir befinden uns – immer noch oder gerade eben wieder - mitten in einem
bemerkenswerten Medienboom. Solche Phasen – das wissen wir Medienforscher
wie die Börsianer – sind mit falschen Erwartungen, mit Übertreibung und
Übersteigerung, mit Phantasmagorien und Irrungen nur so gepflastert. Vielleicht ist
ein Teil des Booms also in dieser Hinsicht durch sich selbst zu erklären.
>>> 5
Am Maßstab seiner
Ausbreitungsgeschwindigkeit ist das Mobilphon
das erfolgreichste technische
Kommunikationsmedium, das die
Mediengeschichte bislang hervorgebracht hat.
Das gilt selbst für die Zahlen des afrikanischen
Kontinents, der ansonsten rettungslos
abgehängt erscheint.
>>> 6
Ich spreche über ein völlig neuartiges Medium der Kommunikation, das
nämlich um zu kommunizieren auch dann kommuniziert, wenn es nicht
kommuniziert. Die Definition eines Handies wird am besten durch seine
amerikanische Bezeichnung ausgedrückt, die weder auf Ordalität, Portabilität oder
Mobilität anspielt, sondern auf Zellularität. Mobilphone sind dadurch definiert, dass
sie als Teil eines komplexen Zellensystems fungieren und funktionieren. Wir sollten
! 3
also ab jetzt genau unterscheiden zwischen dem Zell-Phon im Unterschied zum Tele-
fon.
Insofern erweist sich auch hier die Devise als nicht ganz falsch,
Mediengeschichte als eine Geschichte des Wissens und nicht als
eine der hermeneutischen Phänomenologie zu begreifen. Hätte
ich mehr Zeit, würde ich Ihnen schildern können, der Kontingenz
welchen Wissens Alexander Graham Bell 1875 sein Telefon
verdankt. Jedenfalls ging dieser Entdeckung kein formalisiertes
Wissen voraus, das ein technisch physikalisches genannt werden
könnte, sondern vielmehr eine manische Experimentation im
Kontext eines Phantasmas der Elektrizität, verbunden mit der oralistischen
Besessenheit, Taubstumme zum Sprechen zu bringen. Das ordale Moment dieser
Entdeckung besteht übrigens darin, dass sie nur in Boston erfolgen konnte. Ebenso
wie übrigens Heinrich Hertz Entdeckung des Elektromagnetismus nur in Karlsruhe
erfolgen konnte, weil sein großer Hörsaal, in dem er die Experimente gemacht hat,
nur aus Holz und Holzbalken gebaut war. An keiner anderen Stätte hätten die Wellen
gefunden werden können. Die Entdeckung zweier wichtiger Medien der Moderne, die
des Telefons und die des Radios, waren kontingente, auch ganz an topografische
Bedingungen geknüpft. Bells orginale Entdeckung ist bis heute niemals repliziert
worden, und auch die Hertzschen Experimente sind nahezu unportierbar an andere
örtliche Gegebenheiten.
>>> 7
Das Zellphon hingegen war und ist die
Umsetzung formalisierten und damit weltweit
portierten Wissens, nämlich Ergebnis einiger
wohl definierter Memoranden und Patente aus
den Bell Labs der USA, die an das junge Computerwissen der späten 1940er Jahre
und die mathematisch kalkulierten Netztopologien der frühen 1970er Jahre
anschlossen. Dieses ab 1975 verfügbare Wissen setzte 1982 die europäische
Postkonferenz CEPT in den Stand, eine „Groupe Spécial Mobile“ zu initiieren, die
tatsächlich fast zehn Jahre später mit einem einheitlichen europäischen
Mobilfunkstandard herauskam. Nach einigem Geknirsche haben sich die USA 1991
in etwa angeschlossen.
! 4
Standardisierungen sind für die Entwicklung der Medien entscheidende
Bedingungen. Dass sie gar weltweit gelingen, ist allerdings eine ebenso große
Ausnahmen und Unwahrscheinlichkeit wie die Luhmannsche Vermutung, dass
Kommunikation überhaupt gelingt. Es sind oft genug desaströse, unendlich lang
gezogene Prozesse des Scheitern. Man denke nur an die Wellenkonferenzen im
VHF, UHF, UKW oder Mittelwellenbereich, die seit Jahren nun schon die
Medienentwicklung des digitalen europäischen Radios massiv behindern. 3
>>> 8
Die zellulare Architektur des GSM-Systems
basiert, nach einem Vorschlag der Bell Lab
Kriegsingenieure Douglas Ring und W. Rae
Young von 1947, auf hexagonalen Zellen, die
zusammengefügt eine lückenlos gepacktes
Wabenmuster ergeben. Ein Hexagon wird
elektromagnetisch durch eine Antenne
abgebildet, die in ihren 360 Grad Radius ist drei
120 Grad breite Sende-Beams aufteilt. Durch diese Richtwirkung erhält das Hexagon
seine drei geometrischen Ausbuchtungen. Schon drei gepackte Hexagone ergeben,
Der europäische GSM-Standard dagegen wurde aus Gründen, die einer eigenen 3
Wirtschafts- und Kulturstudie wert wären, in den 1980er Jahren ein internationaler. Suchte man nach
einem gelungenen symbolischen Interaktionsakt der Globalisierung, dann wäre die technoökonomische Policy des GSM-Standards ein gutes Beispiel. Ab 1987 existierte weitweit eine offen zugängliche Architektur der GSM-Schaltungslogik, vergleichbar der offenen Architektur des IBM-
PC von 1981, der ja in gewisser Weise eine ähnliches Erfolgsmodell geworden ist, allerdings vor allem für das Kartell aus Intel und für Microsoft, also für das Wintel-Duopol, für das George Bush, gleich zu Beginn seiner Amtszeit, fast einhundert Jahre amerikanischer Anti-Trust-Politik über den Haufen
geworfen hat.
Was die europäische GSM-Geschichte betrifft, so spielt hier politisch sicherlich noch der offensive Antikommunismus der Reagon’sche Europapolitik hinein, der ja auch im Falle des Euro zu
einem der selteneren Fälle europäischer Korporativität geführt hat. GSM ist insofern eine Art medientechnischer Eurodividende und als solche Grundlage für 670 Mobilfunknetze in rund 200 Ländern und Gebieten der Welt; inklusive der später hinzugekommenen Erweiterungen des Standards
wie GPRS und EDGE für schnellere Datenübertragung. Man schätzt, dass es weltweit etwa 2000 Zellphon-Typen gibt, die auf GSM zugeschnitten sind. Nicht zuletzt diese großen Typenkonkurrenz in
einem globalen Markt eines einheitlichen Standards hat zu der frappanten Leistungsfähigkeit des heutigen Hybrid-Zellphons geführt, das zugleich standardmäßig mindestens auch eine Kamera und einen MP3-Player enthält.
! 5
wie man sieht, im Inneren die virtuell sechseckige Kernzelle eines zellularen
Telefonnetzes; Kernzelle deshalb, weil ein zellulares Telefon idealiter von drei gleich
weit postierten Sendemasten umgeben ist. Real ist es immer einem am nächsten, in
den es dann auch einloggt.
>>> 9
Ring und Young schlugen schon 1947 vor,
dass es zur Sprachübertragung getaktete
Pulse geben solle, die als spezielle
Zeitfenster mehreren zellulären Apparaten
dediziert werden könnten. Das Digitale,
hier also die Pulscode-Modulation, ist
nichts, das wissensgeschichtlich an den
Computer gekoppelt wäre, von denen es
1947 ja nur eine Handvoll Prototypen gab.
Digitale Pulscode-Modulation wurde schon seit den 1920er Jahren in der
Nachrichtentechnik praktiziert. Mathematisch geht sie auf eine Funktionsalgebra des
frühen 19ten Jahrhunderts zurück, nämlich auf Joseph Fourier. Insofern klingt es
1947 für niemand überraschend, dass Sprachsignale pulscodiert ausgestrahlt
werden sollen.
>>> 10
Die innovative Idee aber war, den Pulscode in Zeitschlitze zu verpacken, damit
auf ein und der derselben Frequenz mehrere Telefone Sprachsignale decodieren
können. Damit dies wiederum gelingt, darf ein Zellphon niemals stumm sein, sondern
muss in regelmäßigen Abständen im hexagonalen Wabennetz seinen eigenen Ort
bestimmen und Quittungen für seine empfangenen Botschaften abgeben. Bereits in
diesem Papier von 1947 wurde erörtert, dass das Zellphon irgendwie fähig sein
müsse, die Waben zu wechseln, also ohne Unterbruch Sender- und Empfangskanäle
zu wechseln.
>>> 11
Das genaue Verfahren dafür, „Handover“ genannt, wurde allerdings erst 1972
vom Bell Lab Ingenieur Amos Joel entwickelt. Sein Patent klärt im Rückgriff auf
einige Tricks der Kryptographie die Frage, wie die getakteten Pulse von einer Zelle
zur anderen herübergereicht werden könnten.
! 6
>>> 12
Alles das resümiert ein Patent von 1975 aus der Feder des Motorola
Entwicklungschefs Martin Cooper im Ergebnis eines funktionsfähigen digitalen
Zellphons namens Dyna-Tac, das immerhin noch zwei Pfund schwer war und eine
maximale Sprechzeit von 35 Minuten erlaubte.
>>> 13
1975 existiert das Wissen über die Bauweise des
Zellphons und Motorola baut das erste. Das
Prinzip verlangt, dass ein Zellularphon entweder
nicht existiert oder sich ununterbrochen selbst
lokalisiert und jede seiner Aktionen aktiv quittiert.
Stumm ist ein Telefon, wenns nicht läutet, stumm
ist ein Zellphon nie. Es ist stets lokalisierbar, weil
es sich selbst lokalisiert. Um 1975 diese
Blaupause schon umzusetzen, war es allerdings
schlicht ein Paar Zyklen des Moore’sche Gesetzes zu früh.
>>> 14 Nichts, was seit 1965 im Bereich der Computerhardware geschieht,
läuft unabhängig vom Moore’schen Gesetz. Das Moore’sche Gesetz stammt von
! 7
Gordon Moore, dem Gründer der Firma Intel, einer der
sogenannten „Traitorous Eight“, einer jener acht
Ingenieure also, die 1957 ihren großen Lehrmeister,
den autoritären Transistorentdecker William Shockley,
verließen, um ihre eigenen Firmen zu gründen. Moore
sagte im Jahr 1965 voraus, dass sich die Zahl der
Transistoren auf einem gegebenen Schaltkreis alle
zwei Jahre zu gleichen Preisen verdoppeln würden.
>>> 15
Moore’s Law besagt, dass die Zahl der Elemente und die Geschwindigkeit
ihrer Logiken auf einer identischen
Siliziumfläche sich alle zwei Jahre verdoppeln
und zwar zum gleichen Preis. Man kann eine
solche exponentielle Kurve tatsächlich finden,
und zwar sogar im Bereich der
Festplattentechnologie, die mit den Verfahren
der Chip-Entwicklung und ihrer
Miniaturisierung durch Photo-Maskierung und
metallische Bedampfung nichts zu tun hat.
Das Moore’sche Verdopplungsgesetz steckt zwar, seit den 1960er Jahren, als
Trendformel hinter nahezu jeder Technologie der Computerminiaturisierung, aber es
ist kein technizistischer Determinismus. Es ist, wie sein Entdecker Moore freimütig
zugibt, ein Glaubensgesetz, eine technoökonomische „self fullfilling prophecy“, wie
Moore sagt, an die nur die ganze Branche glauben muss, damit sie es selbst gebiert.
>>> 16
Nur weil sich – im Kontext eines hoch expansiven
Marktes – alle Marktteilnehmer an die Zwei-Jahres-
Roadmap halten, beschreibt das Moore’sche Gesetz
tatsächlich seit fast 4 Jahrzehnten die exponentiellen
Entwicklungszyklen der Hardware-Branche ziemlich gut.
Das ist ein frappanter Befund und damit der Zeitpunkt,
wo es in diesem Vortrag angezeigt erscheint, das erste
Mal den Begriff des „Ordalen“ einzuführen. Das Muster des Moore’schen
! 8
Verdoppelungsgesetzes ist ordal deshalb, weil es nur existiert, wenn alle, die diesem
Muster unterworfen sind, davon profitieren, dass sie an dieses Muster glauben und
alles dafür tun, sich daran zu halten.
>>> 17
Ordale Beweise wie die zahlreichen Wasser-
und Feuerproben haben genau diese Struktur,
dass man besser an sie glaubt, um nicht das
Risiko einzugehen, selbst von ihnen und ihrer
Kontingenz betroffen zu werden. Das
Moore’sche Gesetz gilt ja auch für die zahllosen
gescheiterten Chip-Industrie-Firmen. Solange
es andere gibt, die überleben, beweist Ihr
Scheitern nur seine Wahrheit; so wie das Zucken des Toten den Mörder offenbarte,
wenn der Verdächtige beim ordalen Bahrrecht den Leichnam berühren musste. Oder
wie der Campi, dieser lederbeschuhte Fußkämpfer aus der Zeit Karls des Großen,
der für den Angeklagten mit seinen Füßen andere Verdächtige zu Tode trat. Und
wenn der Campi, getragen vom Gejohle der Menge, gewann, dann wussten alle von
der Unschuld des Angeklagten. Dieser ordale Campi ist unser heutiger Champion,
wortgeschichtlich gesehen.
>>> 18
Zwischen 1975 und 2005 ist das Grundprinzip von GSM entstanden. Seither
ist eine wichtige und so telefontypische Kulturtechnik dem Untergang geweiht: Die
Vermittlung. >>> 19 Vermittlung ist eine systemprägende Eigenschaft des Telefon,
solange es eben ein Telefon und kein Zellphon ist. Das Telefon, daran hat Avital
Ronell so eindrücklich erinnert, ist ein Ruf, der aus dem Nichts kommt und in das
Nichts geht. Damit nicht Nichts zustande kommt, muss vermittelt werden.
Vermittlungslos bleibt nur die Nacht. a) „Die Nacht aus der [Telefongespräche]“
kommen, schreibt Benjamin, ist die „gleiche, die jeder wahren Neugeburt
vorhergeht“ . b) „Es gibt nichts, das mehr Orakel sein könnte als das Telefon“ 4 5
Benjamin, Walter: Medienästhetische Schriften / Walter Benjamin. Mit einem Nachw. von 4
Detlev Schöttker, Frankfurt am Main : Suhrkamp 2002/Benjamin 2002/3152BenjaminMedienaesthetischeSchrift, 403.
Cocteau, Jean / Fraigneau, André: Gespräche über den Film, Esslingen : Bechtle 1953, 5
3226, Cocteau 1953, 122
! 9
bemerkt Cocteau in der 1950er Jahren, in der Hochzeit der internationalen
Festnetzanschlüsse. Telefonieren ist die Anrufung des Anderen und darin die
Erzeugung einer Ambivalenz, die sich nur durch Vermittlung prozedieren und nur
durch Distanzierung auflösen lässt. Denn wer ein Telefon abnimmt, der kann
bekanntlich nicht Nein sagen. Dieses berühmte „Ja Hallo?“ und weitere auf pure
Bestätigung und Beschließung drängende Telefongrammatiken sind nur die
Rückseite der Tatsache, dass wir, als wir an den Apparat gingen, weil es geklingelt
hat, nicht hätten gemeint sein können. Das Telefonieren ist eine exklusive
Verbindung, die Leitung ist besetzt. Zur Ordnung des Telefonierens gehörte deshalb
über Jahrzehnte: Fasse Dich kurz. „Telefonier nicht wieder so lang“ dröhnt es durchs
Haus.
c) In einer nur durch Vermittlung und Exklusion auflösbaren Oszillation
fundamentaler Ambiguitäten birgt der Ruf des Telefons, der Call, der Anruf,
gleichsam immer auch ein transzendentales Versprechen, gerade weil er konstituiert
ist dadurch, dass weder ich noch der andere gemeint ist, und beide genau darüber
sich konstituieren können. Alles Weitere dazu ist bei Avital Ronell nachzulesen, „The
Telephone Book“, 1989, das Beste und Genaueste, was je übers Telefon gesagt
wurde, verfasst eben genau am Ende der Ära des analogen Telefons und an der
Schwelle der Einführung der zellularen Phonie. Ein weiteren Flug der Eule der
Minerva in der Dämmerung. So wie Roland Barthes mit der „Dunklen Kammer“ 1980
noch einmal, ein letztes Mal festhält, was die analoge Fotografie ist und die digitale
nie mehr gewesen sein wird, so hält Ronell in ihrem Telefonbuch noch einmal fest,
was ein Telefon war und ein Zellularphon nie mehr sein wird.
>>> 20 Denn in der GSM-Zellularität aber gibt es keine Vermittlung, sondern
nur ein Attachment oder Detachment. Attachment und Detachment laufen auf
Kanälen, der parallel zu allem anderen mitlaufen. Eröffnet wird das Attachment durch
das bekannten Ritual, die eigene SIM-Karte zu aktivieren. Ist das Zellphon dann
attached, wird es, mit all seinen Bewegungen im sogenannten „Home Location
Register“ geführt, bis es wieder detached wird. Ich will daran erinnern, dass jedes
Zellphone die Feldstärken der Nachbarzellen, genauer gesagt also die Feldstärken
der zwei jeweils benachbarten Antennen im Hexagonal permanent misst und stets
auf die beste wechselt. Ein GSM-Provider kann also ein Zellphon mit einer
Dreipunkt-Ortung fast auf den Punkt lokalisieren.
! 10
Womit ein weiterer, wichtiger Punkt der ungewöhnlichen
Kommunikationsstruktur des Zellphones angesprochen ist, nämlich das
Überwachtwerden. „Home Location Register“ und Strasenkarte übereinandergelegt
ergibt: Es gab einen Gang in den Supermarkt am frühen Morgen, dann in die
Videothek, dann an den Arbeitsplatz, später ins Fitnesscenter und zu McDonalds, in
die Buchhandlung, ins Ticketcenter und dann in die Schwulenkneipe. Das Handy
immer empfangsbereit in der Tasche.
Wenn irgendwo, so kommt deshalb in der zellularen Telefonie der
McLuhan’sche Satz auf den Begriff, dass das Medium seine Message ist.
>>> 21 Und Dirk Baecker hat erst kürzlich, nach langen Weigerungen, die es
bei ihm gab, sogar in Anschluss an McLuhan, eine sehr treffende Mediendefinition
gefunden, die auch hier gut passt. Baecker sagt: „In einem Medium kommuniziert,
wer sich auf Voraussetzungen verlässt, die im Prozess nicht überprüfbar und im
Ergebnis nicht mehr sichtbar sind“. Das ist zutreffend. Wenn wir ein Zellphon
angeschaltet haben, dann ist Verlass auf dieses Gerät nur zu haben, wenn das
Zellphon eine signifikante Spur markiert. Jeder Verbindung legt weitere Spuren, weil
sie uns in das Spurenprofil der anderen einschreibt. Wir wissen aber nicht, welche
Songs der andere sich gerade herunter geladen oder welche SMS-Pokerrunden sie
gerade durchgespielt hat. Wundern wir uns also nicht, wenn demnächst eine
unauffällig auffällige Werbebotschaft zum Einstieg in eine kostenlose Pokerrunde
aufblinkt.
Ohne irgend einen Bezug zum zellulären Telefonieren hat Dirk Baecker seine
Mediendefinition noch um ein Element erweitert, das hier ebenfalls trägt: „Von
Kommunikation zu Kommunikation“, sagt Baecker, verschafft dieses Sich Verlassen
auf unsichtbare Voraussetzungen dem im Medium Kommunizierenden „eine
Sicherheit, (…)die nur insofern Strukturwert erhält, als sie unabhängig vom Risiko
einer spezifischen Form (…) nicht zu haben ist.“ 6
Was dem Medium Handy einen weltweit so rasanten Erfolg beschert hat, ist
möglicherweise also nicht so sehr die Sicherheit, als vielmehr das Risiko der
zellularen Kommunikation. Anders als beim transzendentalen Anrufmedium Telefon,
enthält das Zellphon seine Bedeutung nämlich nicht so sehr durch die unerfüllbare
Baecker, Dirk: Medienforschung, Stefan Münker und Alexander Roesler (Hrsg.), Was ist ein 6
Medium? Frankfurt am Main: Suhrkamp, im Druck 200?/Baecker 200?/3212BaeckerMedienforschung, 9
! 11
Erwartung einer Stimme, wie sie niemand eindringlicher exponiert hat als Klaus
Kinski am Ende von Cocteaus La Voix Humaine. „Ich habe die Schnur um meinen
Hals gelegt, ich habe deine Stimme um meinen Hals“. Das Zellphon ist kein
transzendentales Anrufmedium, sondern ein symbolisches Verbundmedium.
>>> 22
Ich kann mich hier weitgehend dem
Forschungsstand anschließen, der in
Sachen Handy einige Überraschungen
bereit hält. Zum Beispiel Kenneth
Gergen, sehr treffend mit seinem
Ausdruck „Absent Presence“. Bei
Gergen hat „Absent Presence“ eine
zweifache Bedeutung: Sie meint die
medial vermittelte Anwesenheit trotz
physischer Abwesenheit, und zugleich
die mentale oder emotionale Abwesenheit trotz physischer Anwesenheit. “We are
present but simultaneously rendered absent; we have been erased by an absent
presence” . Gergen argumentiert aus der Richtung von Anthony Giddens, von dem 7
die Beobachtung stammt, „dass in Fällen physischer Ko-Präsenz von Personen ein
Gefühl der Nähe nicht nur durch die Kommunikation selbst, sondern bereits durch die
jederzeitige Möglichkeit hierzu vermittelt wird“ . 8
Die durchaus lebhafte Handyforschung innerhalb der Soziologie ist im übrigen
stark von der Chicagoer Schule des Symbolischen Interaktionismus bestimmt. a) Die
Soziologen Katz, Aakhus und Burkhart sprechen beispielsweise von einem 9
‚Perpetual Contact’ , den eine Handykommunikation bereitstellt und beschreiben 10
damit die seltsame soziale Konstruktion dieses neuen Kommunikationsraums, „der
vom physischen Raum abgekoppelt ist und dennoch oder gerade deswegen die
Poren des Alltags durchdringen kann“. Das ist die Paradoxie der absenten Präsenz
des zellularen Telefon, die jetzt eher als eine zellulare Konnektivität aufgefasst
Gergen 2002, S. 2277
(3210HanekopNeuerFormenMobilKomm.pdf(6))8
Burkart, G.: Mobile Kommunikation: Zur Kulturbedeutung des „Handy“. In: Soziale Welt: 9
Zeitschrift für sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis, 2/2000, S. 209-231.
James E. Katz, Mark Aakhus: Perpetual Contact. Cambridge University Press. 200210
! 12
werden muss. „Denn mobile Kommunikation verlängert – so die These – die
Anwesenheit“ aus „primären sozialen Kontexten (Familie, Freunde, enge Kollegen) in
solche Phasen des Alltags hinein, in denen man sich zwar an getrennten Orten
aufhält, aber dennoch miteinander in Kontakt bleibt.“ Die paradoxe symbolische 11
Interaktion der Handynutzer bestehe also darin, dass sie ihren Freundeskreis immer
mit sich führen, aber diesmal nicht als Poesiealbum, sondern als risikobehaftete
Sicherheit, mit zwar zellular schon verbunden zu sein, aber niemand meldet sich.
b) Das stimmt gut mit den empirischen Beobachtungen zusammen, die der
Erfurter Kommunikationswissenschaftler Joachim Höflich in dem Begriff der
„Reassurance“ zusammengefasst hat. „Daily relationship communications via 12
mobile phone are linked with constant reassurance: "How are you? I'm fine! I love
you! I'm thinking of you!" And when a verbal exchange is not possible, then a text
exchange is made.” Inhaltsleere Rückversicherungen sind eine der 13
Hauptgegenstände der Handykommnikation zumindest unter Jugendlichen,
unterstützt durch die zahllosen Akronyme der SMS-Kommunikation. Unterstützt auch
durch die Serie der Emoticons. Emoticons geben auf eine ironische und damit eben
paradoxale Weise gefühllos Gefühle kund und zeigen genau das durch ihre
Darstellung als piktografische Signaltafeln auch an. Emoticons, die ja auch in Emails
üblich sind, gebe eine weitere Bestätigung für die These, dass Kommunikationen im
Rechnerverbund stets ihre eigene Metakommunikation mitführen, also das Mediale
an ihre mediale Botschaft im McLuhanschen Sinn mit signalisieren.
Inhaltsleere, also bloß symbolische Rückversicherungen von Präsenz im
Modus der Apräsenz bilden also die Rückseite der Protokolle und des zellularen
Berechnetseins, das die Handykommunikation epistemologisch definiert. Der
kontrollierte, in jedem Bit zeit- dun frequenzgenau berechnete Adressraum des
Hanekop, Heidemarie / Wittke, Volker: Die Entwicklung neuer Formen mobiler 11
Kommunikation und Mediennutzung, Svenja Hagenhoff. Göttinger Schriften zur Internetforschung Bd 1, Universitätsverlag Göttingen 2005, 109-137/Hanekop 2005/3210HanekopNeuerFormenMobilKomm, 114.
Höflich, J. R.: An mehreren Orten zugleich: Mobile Kommunikation und soziale 12
Arrangements. In: Joachim R. Höflich (Hrsg): Mobile Kommunikation. Lang, Ffm 39ff.
Höflich, Joachim R: The duality of effects - the mobile phone and relationships, receiver 13
magazine at www.receiver.vodafone.com. Copyright © 2006/Höflich 2006/3226HoeflichThedualityofeffectsMobilPhone, 3
! 13
Zellularhexagons wird umstandlos sozial umgedeutet, nämlich als Raum des
höchsten Vertrauens, als Stätte des Arrangement der größten Intimitäten. Es gibt
bekanntlich kein öffentliches Handytelefonbuch. Eine Zellphon-Nummer bekommt
man nur direkt vom Zellphon-Besitzer und es gibt die ungeschriebene Netiquette,
oder sollte man sagen, „Zelliquette“, dass man Handynummer von vertrauten
Personen nicht ohne ausdrückliche Einwilligung weitergibt. Und weil das so schwer
durchzuhalten ist und Handies ja vor allem auch im Businessbereich die Funktion
haben, den Arbeitstag komplett zu überschreiben zugunsten einer Rund-Um-Die-
Uhr-Erreichbarkeit, gibt es eben das zweite, das dritte Handy, das diesen
hochvertrauten Intimraum wieder herstellt. Die ständigen Akte der symbolischen
Rückversicherung des Nicht-Allein-Seins, aber auch, paradoxerweise, eine radikale
Unmittelbarkeit, plötzlich, aus dem Nichts heraus, einfach jemanden anzurufen zu
müssen, als ein rein affektiver, ein rein konativ gesteuert Akt, produzieren im
Ergebnis diese paradoxalen Erscheinungsformen, die wir alle kennen. Da werden an
den öffentlichsten Orten, in Museen, auf großen Plätzen, die intimsten und
privatesten Konversationen durchgeführt. Man sieht es an der Gesichtsgesten, man
hört es an der Stimmlagen, die in Wortfetzen herüberwehen. Eine völlig neue und
bizarre „Tyrannei der Intimität“ entsteht, bei der allerdings nicht, wie bei Sennet, das
Öffentliche dem Privaten aufgezwungen wird, sondern das Private dem Öffentlichen.
c) Aus der Sicht der Sozialempiriker ermöglicht das Zellphon darüber hinaus
eine Überlagerung der Mikrokoordination des Alltäglichen mit einer
Hyperkoordination des Emotionalen. “Hypercoordination“ bezeichnet hier „die
emotionale, expressive Dimension der jederzeitigen Erreichbarkeit. Hierbei geht es
weniger um den eigentlichen Inhalt der Kommunikation, sondern vielmehr darum,
dass Kommunikation überhaupt stattfindet. Microcoordination hingegen dient der
Feinabstimmung von Alltagsabläufen durch Just-in-time-Absprachen, z. B. zur
Organisation des modernen Familienlebens bei berufstätigen Eltern.“ 14
d) Schließlich kommt, ziemlich überraschend für alle Beteiligten, ein weiterer
McLuhan’sche Befund zur Geltung: Die Extension des Körpers. In Finnland, eine der
dichtesten GSM-Regionen der Welt, heißt das Zellphon „Känni“, Darpber musste
Hanekop, Heidemarie / Wittke, Volker: Die Entwicklung neuer Formen mobiler 14
Kommunikation und Mediennutzung, Svenja Hagenhoff. Göttinger Schriften zur Internetforschung Bd 1, Universitätsverlag Göttingen 2005, 109-137/Hanekop 2005/3210HanekopNeuerFormenMobilKomm, 115.
! 14
man stolpern, denn im Finnischen heisst Känny der Schuh in den man schlüpft. >>>
23
Oksman und Rautiaineen haben bei finnischen Jugendlichen herausgefunden,
dass für sie ihr Känny auch tatsächlich so bedeutend ist wie ihr Fußbekleidung. Bei
uns das Känny Handy, ein Wort, dessen Wurzel doch wohl irgendwie auf die Hand
verweist. Das Zellphon ist Schuh und Hand und wird dabei noch wie eine
formschöne Prothese mit allerlei Accessoires ausgeschmückt.
Ob Schuh oder Hand, in Wahrheit ersetzt das zellulare Telefon als
prothetische Körperglied kein Körperteil und weitet auch keine Gliedmaße aus. Es
war immer schon etwas seltsam und verdinglicht, wenn McLuhan davon sprach, das
Fernsehen extendiere unsere Augen und der Hörfunk unsere Ohren. Das
Zellulartelefon jedenfalls extendiert keine Gließmaße, sondern bringt vielmehr die
Extensionsthese selbst auf den Begriff. Das Handy, das Känny oder das Cellphon
extendieren die Kommunikation selbst, die Kommunikation als apräsenten Präsenz
der Kommunikation.>>> 24
Gerade wegen der Sicherheit, mit der von der Forschung aber auch von den
Handynutzerinnen und –nutzern ein ganzes Füllhorn an sozialer Symbolik über die
Technologien der zellularen Medien gestülpt wird, muss diese Figur auf ihre Risiken
hin befragt werden. Denn die absente Präsenz, die entfernte Nähe, die
Rückversicherung von Selbstständigkeit, die jede faktische Abhängigkeit und ihren
Kontrollverlust darüber in Kauf nimmt, - alles dies sind paradoxale Figuren, die nur
deshalb, weil sich immer wieder in Kommunikation auflösen, zugleich immer wieder
aufladen und in die Spannung halten. Ein Zellphon-Nutzer macht in seinen Calls und
Sends all diese Paradoxien und die in ihnen verborgenen Risiken unsichtbar und
bleibt doch auf sie angewiesen.
>>> 25
Als gleichsam euphemistische Bestätigung des symbolischen Interaktionismus
schreibt Höflich am Ende einer seiner Studien: „A medium, and this includes the
mobile phone, does not do something with people in a deterministic sense, rather
people do something with the medium.” In der Tat. Was das zellulare Telefonieren 15
betrifft, so feiert hier der aus den frühen 1980er kommende „Uses and Gratification
Höflich, Joachim R: The duality of effects - the mobile phone and relationships, receiver 15
magazine at www.receiver.vodafone.com. Copyright © 2006/Höflich 2006/3226HoeflichThedualityofeffectsMobilPhone, 5
! 15
Approach“ der Medienforschung
noch einmal Urständ. Und zwar
sozusagen „in actu“. Denn was
anderes als parasoziale
Interaktionen sind diese
Gefühlsausbruchsanrufe, sind die
Ausschmückungen des Handys, sind
Bestätigungs-SMSe über die pure
Existenz einer gegebenen
Beziehung, sind diese traurigen
Blicke, dass keiner der Liebsten sich gemeldet hat ?
Ein Zentralbegriff der chicagoer Schule, entwickelt lang bevor es Handy gab,
wäre damit jetzt selbst zum Medium geworden. In der Epochenwende der
Medienforschung zu Beginn der 1970er Jahre, weg von der reflexologischen
Stimulus-Response-Analyse hin zu dem bis heute gültigen „Uses and Gratifications“-
Ansatz, war es das Konzept einer „parasozialen Funktion“ der Medien, auf der das
Konstrukt eines aktiven Medienrezipienten aufbaute. Damals hatte man allerdings
nur Radios und Fernseher und konnte nur aus dem Dunklen erschließen, was der
Medienkonsument nun tatsächlich tat.
a) Um so kühner waren die Annahmen von Donald Horten und Richard Wolf
aus dem Jahr 1956, die diesen Begriff der „parasozialen Interaktion“ in die Welt
setzten. Vor einer fiktiven Kulisse fremder Menschen auf dem Fernsehschirm, so
Horten und Wolf, reagiert der Rezipient nicht „orthosozial“ wie in der U-Bahn z.B..
also er glotzt oder lacht nicht andere aus und dergleichen. Medial soziale
Reaktionsweisen seien vielmehr, so die These, selbst noch einmal fiktional, also in
einer Art „Para“ -Zustand. Parallelzustände solcher Art lassen sich durch Fragebögen
gut indizieren und deshalb auch empirisch messen; Beispiel: „Würden Sie gern dabei
sein, einer von denen sein, tauschen, etc.“ Das führt zu hohen Antwortkonsistenzen,
zeigt deutliche Zeichen einer gelungenen Internalisierung auf und das reicht dann
insoweit der empirischen Medienforschung, die an epistemologischen
Tiefenstrukturen in der Tegel nicht interessiert ist.
Umso mehr lohnt ein Blick auf die ursprüngliche Definition bei Horten/Wolf: „In
television, … sometimes the 'actor' - whether he is playing himself or performing in a
fictional role - is seen engaged with others; but often he faces the spectator, uses the
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mode of direct address, talks as if he were conversing personally and privately. The
audience, for its part, responds with something more than mere running observation;
it is, as it were, subtly insinuated into the programme's action …. The more the
performer seems to adjust his performance to the supposed response of the
audience, the more the audience tends to make the response anticipated. This
simulacrum of conversational give and take may be called para-social interaction.“ 16
Insinuation, Justierung, Antizipation und“Simulacrum”, - Horton und Wolf müssen
ganz dezidiert Anleihen machen bei der Beschreibung eines Rituals der
Identifikation, um den Zentralbegriff der
modernen Fernsehforschung zur Geltung
zu bringen. Und sie argumentieren mit
äußerster Vorsicht. Bei dem ganzen
Setting nämlich handelt sich um eine
Insinuation, die stets nachjustiert werden
muss, um einer ihrerseits einer
beweglichen Antizipation des Rezipienten
zu entsprechen. „Parasoziale Interaktion“
bleibt auch in den Augen ihrer Urheber
eine prekäre Sache, ein Simulacrum, das sich selbst auch bei deutlichster
intermedialer Ritualisierung von stummen und unsichtbaren Scheinhandlungen nie
völlig auflöst.
Ich hoffe Ihnen gezeigt zu haben: Die Nutzung des Zellphons ritualisiert nichts
anderes als eine parasoziale Interaktion. Seine Nutzung stärkt deshalb auch eine auf
Identifikation und Internalisierung basierende Medienrezeption. Handys üben in
ihrem Gebrauch die Muster eines internalisierenden Medienkonsums ein, insofern
am Handy telefonieren heißt ganz und gar unfreiwillig in einem Medium sozial zu
interagieren. Im vermittlungslosen Dialog mit den nächsten Nächsten glauben wir, ein
ganz individuelles und absolut portables Gerät zu besitzen. In Wahrheit versetzt uns
der Handygebrauch in den Status eines genau verrechneten Elementes im
Überwachungsnetz.
Das zu vergessen ist ein ordaler Akt. Denn das zu vergessen hieße, an eine
Wasserprobe zu glauben. Wer glaubt, dass das Was, dass das Mit Wem, Dass das
Wielange und dass das Wo er am Zellphon gesprochen hat, dass alles dies und x
Ebd. 215. 16
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Elemente mehr verschlossen blieben in seinem privatesten Akt der Interaktion, begibt
sich in eine Wasserprobe. Kann sein, dass er oben schwimmt, kann auch sein, dass
er untergeht.
Woraus ich folgere: Mediengebrauch, der auf parasozialer Interaktion basiert,
ist ein ordaler, also letztlich vorneuzeitlicher Akt.
43,83