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Forum 25 Anfang der 90er Jahre sahen viele Hochschullehrer und Bildungspo- litiker die Entwicklung von Multi- media-Lernprogrammen – ob on- line oder auf Datenträgern – mit großer Euphorie. Gerade die exak- ten Naturwissenschaften mit ihrer mathematisch-logischen Modell- bildung sind prinzipiell sehr gut geeignet für die Multimedia-Prä- sentation. Inzwischen ist die Eu- phorie einem verhaltenen Opti- mismus gewichen. Die Erfahrung zeigt heute deutlicher, welche multimedia-basierten Konzepte in der Präsenzlehre an Physikfachbe- reichen erfolgreich sein können. D iese Multimedia-Lernpro- gramme bringen nicht viel – die Studenten surfen und klicken sich durch, ohne dass viel dabei hängen bleibt“, bekommt der Fachdidaktiker Horst Schecker von der Universität Bremen oft von Physikdozenten zu hören, wenn er sie vom Einsatz bereits erprobter Multimedia-Werkzeuge in ihren Lehrveranstaltungen überzeugen möchte. Er sagt selbst, dass manche Erfahrung den Dozenten Recht ge- ben muss. Einige „Multimedia“- Lernprogramme verleiten zum rei- nen Konsumieren ohne großen Lerneffekt. Sie trainieren das physi- kalische Wissen ebensowenig wie der regelmäßige Konsum von Sportsendungen den Körper. Wie können die Gestaltung und Anwendung von Multimedia-Lehr- mitteln aussehen, damit sie das Ler- nen im Physikstudium erfolgreich unterstützen? Wohin geht die Ent- wicklung? Viele Physikfachbereiche setzen heute Multimedia-Lehrmittel in ganz unterschiedlicher Funktion ein. Hier stelle ich Arbeiten einiger Fachdidaktiker und Dozenten vor, die ganz verschiedene Ansätze ver- folgen. Sehr interessante Projekte gibt es auch in den südlichen Bun- desländern – etwa die „virtuelle Hochschule“ in Bayern – die hier nicht vorgestellt werden können. Wer sich umfassender informieren möchte, wendet sich am besten an den Vorstand des „Fachverbands Didaktik der Physik“ der DPG (www.dpg-physik.de/fachgremien/ dd/vorstand.html). Die Bremer Multimedia- Toolbox Horst Schecker und sein Kollege Hans Niedderer entwickeln Werk- zeuge für computergestütztes Ler- nen am Institut für Didaktik der Physik der Universität Bremen. Als ein solches Werkzeug wird in Bre- men die so genannte „Multimedia- Toolbox“ im Grundkurs Physik eingesetzt [1]. Sie ist ein typisches Beispiel für interaktive Programm- pakete, wie sie mittlerweile an vie- len Physikfachbereichen in Deutsch- land eingesetzt werden. Die Toolbox enthält mehrere Module (Abb. 1), welche die Messdatenerfassung und die Simulation physikalischer Syste- me unterstützen. Die Studenten können schon während des Prakti- kumsversuchs die gemessenen Da- ten digital weiterverarbeiten. Der zweite Teil der Praktikumsaufgabe besteht darin, das experimentell un- tersuchte System in einer einfachen Simulation nachzubilden. Die Stu- denten vergleichen die Ergebnisse ihrer Simulation mit den Messdaten und verbessern ihre selbst entwor- fenen Modelle. Das führt bei ihnen oft zu „regelrechten Aha-Erlebnis- sen“, stellt Horst Schecker fest, und so zu einem tieferen Verständnis des im Experiment untersuchten physikalischen Systems. „So wird das Modellieren stärker in das Praktikum eingeführt.“ Auch der Umgang mit numerischen Nähe- rungsverfahren wird früh geübt und bereitet die Studenten auf den kom- menden Forschungsalltag vor. Weit schwieriger ist es nach Horst Scheckers Erfahrung, Physik- dozenten vom Einsatz vorgefertig- ter Multimedia-Werkzeuge zu über- zeugen. Nicht nur die schlechte Erfahrung mit untauglichen Ange- boten, auch die Sorge, durch die Software in der Gestaltung der ei- genen Lehrveranstaltungen einge- engt zu werden, spielt eine große Rolle. Horst Schecker hofft deswe- gen, dass ein Projekt im Rahmen des BMBF-Programms „Neue Medi- en in der Bildung“ bewilligt wird, das der „Verbund Norddeutscher Universitäten“ unter seiner Koordi- nation beantragt hat. Das Projekt soll die Entwicklung neuer Module fördern, aber auch dazu dienen, Überzeugungsarbeit bei den Dozen- ten zu leisten. Lorenz Hucke, jetzt für das Bun- desleitprojekt „Virtuelle Fachhoch- schule“ am Fachbereich Informatik der FH Gelsenkirchen tätig, unter- suchte an der Universität Dort- mund empirisch, welche Wirkung verschiedene computergestützte Lernhilfen im Physik-Praktikum ha- ben [2]. Dazu arbeitete er eng mit den Bremern zusammen und setzte ähnliche Programme ein. Er unterteilte die Studenten in drei Vergleichsgruppen und unter- suchte ihr Vorgehen im Praktikum und die Entwicklung ihres Wissens über die Versuchsthemen. Die Stu- dierenden der ersten Gruppe führ- ten die Praktikumsversuche in tra- ditioneller Weise – ohne Computer – durch. Die zweite Gruppe benutz- te ein System zur computergestütz- ten Messwerterfassung und -aus- wertung. Die dritte Vergleichs- gruppe modellierte und simulierte Wunsch und Wirklichkeit – Multimedia-Lehrmittel im Physikstudium Physikfachbereiche bieten elektronische Skripten und Bildschirmexperimente an Roland Wengenmayr Physikalische Blätter 57 (2001) Nr. 3 0031-9279/01/0303-25 $17.50+50/0 © WILEY-VCH Verlag GmbH, D-69451 Weinheim, 2001 Abb. 1: Die Bremer Multimedia-Toolbox wird im Grundkurs Physik ein- gesetzt. Das selbst entwickelte „Bremer Interface“ ist eine Schnittstelle zur Messdatenerfassung. Mit „Stella“ können, gra- fisch unterstützt, Gleichungssysteme aufgestellt und numerisch gelöst werden. „Interactive Physics“ simuliert zweidimensionale Bewegungsvorgänge; „2D_Video“ zeichnet ein Experiment digi- tal auf, z. B. die Flugbahn einer Kugel; alle Daten lassen sich zentral im „Mathelab“ verarbeiten und darstellen. Dipl.-Phys. Roland Wengenmayr, Frank- furt am Main, roland.wengenmayr @t-online.de

Wunsch und Wirklichkeit - Multimedia-Lehrmittel im Physikstudium: Physikfachbereiche bieten elektronische Skripten und Bildschirmexperimente an

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Anfang der 90er Jahre sahen vieleHochschullehrer und Bildungspo-litiker die Entwicklung von Multi-media-Lernprogrammen – ob on-line oder auf Datenträgern – mitgroßer Euphorie. Gerade die exak-ten Naturwissenschaften mit ihrermathematisch-logischen Modell-bildung sind prinzipiell sehr gutgeeignet für die Multimedia-Prä-sentation. Inzwischen ist die Eu-phorie einem verhaltenen Opti-mismus gewichen. Die Erfahrungzeigt heute deutlicher, welchemultimedia-basierten Konzepte inder Präsenzlehre an Physikfachbe-reichen erfolgreich sein können.

D iese Multimedia-Lernpro-gramme bringen nicht viel –die Studenten surfen und

klicken sich durch, ohne dass vieldabei hängen bleibt“, bekommt derFachdidaktiker Horst Schecker vonder Universität Bremen oft vonPhysikdozenten zu hören, wenn ersie vom Einsatz bereits erprobterMultimedia-Werkzeuge in ihrenLehrveranstaltungen überzeugenmöchte. Er sagt selbst, dass mancheErfahrung den Dozenten Recht ge-ben muss. Einige „Multimedia“-Lernprogramme verleiten zum rei-nen Konsumieren ohne großenLerneffekt. Sie trainieren das physi-kalische Wissen ebensowenig wieder regelmäßige Konsum vonSportsendungen den Körper.

Wie können die Gestaltung undAnwendung von Multimedia-Lehr-mitteln aussehen, damit sie das Ler-nen im Physikstudium erfolgreichunterstützen? Wohin geht die Ent-wicklung?

Viele Physikfachbereiche setzenheute Multimedia-Lehrmittel inganz unterschiedlicher Funktionein. Hier stelle ich Arbeiten einigerFachdidaktiker und Dozenten vor,die ganz verschiedene Ansätze ver-folgen. Sehr interessante Projektegibt es auch in den südlichen Bun-desländern – etwa die „virtuelleHochschule“ in Bayern – die hiernicht vorgestellt werden können.Wer sich umfassender informierenmöchte, wendet sich am besten anden Vorstand des „Fachverbands

Didaktik der Physik“ der DPG(www.dpg-physik.de/fachgremien/dd/vorstand.html).

Die Bremer Multimedia-ToolboxHorst Schecker und sein Kollege

Hans Niedderer entwickeln Werk-zeuge für computergestütztes Ler-nen am Institut für Didaktik derPhysik der Universität Bremen. Alsein solches Werkzeug wird in Bre-men die so genannte „Multimedia-Toolbox“ im Grundkurs Physikeingesetzt [1]. Sie ist ein typischesBeispiel für interaktive Programm-pakete, wie sie mittlerweile an vie-len Physikfachbereichen in Deutsch-land eingesetzt werden. Die Toolboxenthält mehrere Module (Abb. 1),welche die Messdatenerfassung unddie Simulation physikalischer Syste-me unterstützen. Die Studentenkönnen schon während des Prakti-kumsversuchs die gemessenen Da-ten digital weiterverarbeiten. Derzweite Teil der Praktikumsaufgabebesteht darin, das experimentell un-tersuchte System in einer einfachenSimulation nachzubilden. Die Stu-denten vergleichen die Ergebnisseihrer Simulation mit den Messdatenund verbessern ihre selbst entwor-fenen Modelle. Das führt bei ihnenoft zu „regelrechten Aha-Erlebnis-sen“, stellt Horst Schecker fest, undso zu einem tieferen Verständnisdes im Experiment untersuchtenphysikalischen Systems. „So wirddas Modellieren stärker in dasPraktikum eingeführt.“ Auch derUmgang mit numerischen Nähe-rungsverfahren wird früh geübt undbereitet die Studenten auf den kom-menden Forschungsalltag vor.

Weit schwieriger ist es nachHorst Scheckers Erfahrung, Physik-dozenten vom Einsatz vorgefertig-ter Multimedia-Werkzeuge zu über-zeugen. Nicht nur die schlechteErfahrung mit untauglichen Ange-boten, auch die Sorge, durch dieSoftware in der Gestaltung der ei-genen Lehrveranstaltungen einge-engt zu werden, spielt eine großeRolle. Horst Schecker hofft deswe-gen, dass ein Projekt im Rahmendes BMBF-Programms „Neue Medi-

en in der Bildung“ bewilligt wird,das der „Verbund NorddeutscherUniversitäten“ unter seiner Koordi-nation beantragt hat. Das Projektsoll die Entwicklung neuer Modulefördern, aber auch dazu dienen,Überzeugungsarbeit bei den Dozen-ten zu leisten.

Lorenz Hucke, jetzt für das Bun-desleitprojekt „Virtuelle Fachhoch-schule“ am Fachbereich Informatikder FH Gelsenkirchen tätig, unter-suchte an der Universität Dort-mund empirisch, welche Wirkungverschiedene computergestützteLernhilfen im Physik-Praktikum ha-ben [2]. Dazu arbeitete er eng mitden Bremern zusammen und setzteähnliche Programme ein.

Er unterteilte die Studenten indrei Vergleichsgruppen und unter-suchte ihr Vorgehen im Praktikumund die Entwicklung ihres Wissensüber die Versuchsthemen. Die Stu-dierenden der ersten Gruppe führ-ten die Praktikumsversuche in tra-ditioneller Weise – ohne Computer– durch. Die zweite Gruppe benutz-te ein System zur computergestütz-ten Messwerterfassung und -aus-wertung. Die dritte Vergleichs-gruppe modellierte und simulierte

Wunsch und Wirklichkeit – Multimedia-Lehrmittel im Physikstudium

Physikfachbereiche bieten elektronische Skripten und Bildschirmexperimente an

Roland Wengenmayr

Physikalische Blätter57 (2001) Nr. 30031-9279/01/0303-25$17.50+50/0© WILEY-VCH Verlag GmbH,D-69451 Weinheim, 2001

Abb. 1: Die Bremer Multimedia-Toolbox wird im Grundkurs Physik ein-gesetzt. Das selbst entwickelte „Bremer Interface“ ist eineSchnittstelle zur Messdatenerfassung. Mit „Stella“ können, gra-fisch unterstützt, Gleichungssysteme aufgestellt und numerischgelöst werden. „Interactive Physics“ simuliert zweidimensionaleBewegungsvorgänge; „2D_Video“ zeichnet ein Experiment digi-tal auf, z. B. die Flugbahn einer Kugel; alle Daten lassen sichzentral im „Mathelab“ verarbeiten und darstellen.

Dipl.-Phys. RolandWengenmayr, Frank-furt am Main, [email protected]

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darüber hinaus das Experiment miteiner grafikorientierten Software.

Lorenz Hucke stellte fest, dassdie dritte Gruppe weiterführendeLernziele erreichte. Dieses Ergebniskorrespondiert mit den Beobach-tungen der Bremer Fachdidaktiker.Um das Modell für die Simulationdes Experiments zu entwickeln,mussten die Studenten der drittenGruppe sich mit dem untersuchtenphysikalischen System intensiv aus-einandersetzen. Das durchbrachden relativ starren Ablauf, der imtraditionellen Praktikum durch dieMessung und Auswertung vorgege-ben ist. „Der Computereinsatz imPraktikum bringt nur etwas, wenndas Praktikum insgesamt offenergestaltet wird“, sagt Hucke, „daseingesetzte Medium ist dabei garnicht so wichtig.“

„Nichtlineare Skripten“ inHeidelbergAn der Universität Heidelberg

werden am Fachbereich Physik be-reits seit 1995 Multimedia-Lehrmit-tel erprobt. Eine Säule des Multi-media-Angebots besteht aus Live-Vorlesungen, die am heimischen PCvia Internet mitverfolgt werden

können. Dazu muss der PC mit ei-ner Soundkarte und einem Stan-dard-Modem ausgerüstet sein. DieVorlesungen werden in Bild, Tonund Text übertragen. Sie sind inter-aktiv, d. h. die Zuhörer am PC kön-nen sich von zu Hause aus jederzeitin das Geschehen einschalten undbeispielsweise Kommentare an denVorlesenden schicken.

Der theoretische Physiker DieterHeermann machte mit seinen frü-hen Versuchen, solche Vorlesungenüber das Internet live zu übertra-gen, eher schlechte Erfahrungen.„Anfangs haben einige Studentenmeine Vorlesung ‚Informatik I fürPhysiker‘ vom Wohnheim aus ver-folgt. Das funktionierte jedochnicht gut, weil sie wegen der niedrigauflösenden Bilder am PC nicht le-sen konnten, was ich an die Tafelschrieb.“ Zur Vorlesung über Com-putational Physics, zu der auch Hö-rer aus Dresden zugeschaltet wa-ren, hat Heermann alle Unterlagenelektronisch aufbereitet und ins In-ternet gestellt. Daraus ergaben sichneue Probleme. Weil der Dozentnicht mehr selbst schreiben musste,wurde das Vortragstempo vielenStudenten zu hoch. „Die meistenStudenten verhalten sich sehr kon-servativ“, sagt Heermann, „sie wol-len am liebsten, dass Hochschulleh-rer Tafel und Kreide anstatt desOverhead-Projektors benutzen.“Das deckt sich mit dem Ergebnis ei-ner Umfrage von Berliner Studen-ten unter Kommilitonen: Von 1243Befragten lehnten 316 eine Online-Ausbildung kategorisch ab, 731 wa-ren unentschlossen, nur 196 warendafür offen [3].

Dieter Heermann reduzierte des-halb sein Angebot weitgehend, siehtaber dank neuer, schnellerer Inter-net-Technologien durchaus eine Zu-kunft für interaktive Live-Vorlesun-gen. Der Zeitaufwand und die Kos-ten der Multimedia-gestütztenLehre seien jedoch ein Hindernis.Wenn die Entwickler gleichzeitigauch aktiv Wissenschaft betreiben,sei das ein besonderes Problem.Trotz seiner Erfahrungen arbeitetHeermann jedoch weiter an Multi-media-Projekten. Zurzeit entwickelter mit seinen Studenten einen virtu-ellen Mechanik-Baukasten für dasInternet.

Die zweite Säule der Heidelber-ger Aktivitäten sind Materialien zuVorlesungen mit Texten, Bildern,Videosequenzen und Animationen,die auf CD-ROM erhältlich sind.Karlheinz Meier, Leiter des Kirch-

hoff-Instituts für Physik, entwickel-te beispielsweise für seine Studen-ten eine Multimedia-CD-ROM zuden Vorlesungen Physik 1 und 2.Sie ist seit 1997 im Einsatz. Auf ihrsind HTML-Texte, Grafiken, Bilderund Video-Sequenzen zu einem„nichtlinearen Skript“ (Meier) ver-netzt. „Nichtlinear“ heißt hier, dassdie Lernenden das Niveau des Ler-nens interaktiv wählen können. Die160 Video-Sequenzen zeigen Expe-rimente in guter Bildqualität. „Etwatausend Stück sind bisher verteiltund wurden von den Studentensehr gut aufgenommen“, sagt Meier.„Die CDs sind inzwischen Standardin den Anfängervorlesungen undwerden mit Erfolg zur Prüfungsvor-bereitung eingesetzt.“

Für seine Pionierarbeit wurdeKarlheinz Meier vor einem Jahrvom Baden-WürttembergischenKultusminister mit dem Landeslehr-preis ausgezeichnet. Er zieht alsDekan der Heidelberger Physik ei-ne positive Bilanz: „Unsere Fakul-tät setzt elektronische Mediendurchaus mit Gewinn ein, dort wodie Technologie es sinnvoll erschei-nen lässt.“

Interaktive Bildschirm-experimente aus BerlinEinen anderen Weg gehen Jürgen

Kirstein und seine Kollegen vomInstitut für Fachdidaktik undLehrerbildung (IFPL) an der TUBerlin. Der Preisträger des Europe-an Academic Software Award 2000und sein Kollege Rudolf Rass ent-wickeln „Interaktive Bildschirmex-perimente“ (IBE), die seit 1997 anSchulen und Hochschulen erprobtwerden [4, 5, 7].

Für die Produktion eines IBEswird ein reales Experiment auf-gebaut und der gesamte Ablaufschrittweise fotografiert. Die Bilderwerden in einem Multimediapro-gramm aufbereitet, danach sind sieim Gegensatz zu einem klassischenVideo interaktiv steuerbar. Wesent-liche Elemente wie zum Beispiel dieSchalter und Knöpfe eines Oszillo-skops können per Mausklick mani-puliert werden. Die realistischenBildsequenzen vermitteln so denEindruck, am Bildschirm ein „ech-tes“ Experiment durchzuführen.

Die IBEs sind didaktisch sinn-voll, wenn man auf das reale Expe-riment verzichten muss. Im Ver-gleich zu einer Simulation ist dieManipulierbarkeit eines IBEs frei-lich beschränkt, denn ein IBE kannnur das ausführen, was es als Bild

Laut Encyclopaedia Britan-nica sind „Interaktive Multi-medien alle computer-ba-sierten elektronischen Syste-me, die es dem Nutzererlauben, verschiedene Ar-ten von Medien wie Text,Ton, Video, Computergrafi-ken und -animationen zusteuern, zu kombinieren undzu manipulieren. InteraktiveMultimedien integrierenComputer, Datenspeiche-rung, digitale (binäre) Da-ten, Telefon, Fernsehen undandere Informationstechno-logien“ [10].

Wie definieren Physiker,die Multimedia-Werkzeugeentwickeln und einsetzen,diesen Begriff? Hier einigeMeinungen:� „[Die gängige Definitionwie in der „Britannica“] ...ist eine zu stark technolo-gisch geprägte Definition...Multimedia ist geeignet, völ-lig neue, eher lernzentrierteMedienformate zu ent-wickeln, die... selbstgesteu-erte Lernprozesse ermögli-chen...“ (Jürgen Kirstein, TUBerlin)� „Ich würde von Multime-dia-Lehrmitteln sprechen,wenn sie interaktiv und op-

tional sind – mit optionalmeine ich beispielsweise dieWählbarkeit unterschiedli-cher Schwierigkeitsgrade jenach Können der Lernen-den. Außerdem sollten sieechte Multimedia-Kompo-nenten wie Video, Ton, Si-mulationen oder Animatio-nen enthalten, natürlichauch Text.“ (Hans-Jörg Jodl,Universität Kaiserslautern).� „Ich würde Multimediamit Blick auf die Physikaus-bildung folgendermaßenumschreiben: 1. Nutzungvon Hard- und Software-Werkzeugen zur Unterstüt-zung von Vorlesung undSelbststudium mit denSchwerpunkten Modellbil-dung und Simulation sowieMessdatenerfassung und -verarbeitung. 2. Darbietungeines nicht-hierarchischstrukturierten Informations-angebots mit Texten, Anima-tionen und digitalisiertenVideos. Das größere Poten-zial sehe ich in 1., weil derLernende hier stärker aktivdie Werkzeuge nutzt, bzw.sogar nutzen muss.“ (HorstSchecker, Universität Bre-men)

Was ist überhaupt „Multimedia“?

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gespeichert hat. Da ein IBE einechtes Experiment zeigt, vermitteltes auch im „Cyberspace“ einen Zu-gang zur induktiven Naturbeschrei-bung als einer tragenden Säule derNaturwissenschaften.

Weil die IBEs es ermöglichen,Experimente ohne Pannen „life“vorzuführen und entscheidende Se-

quenzen einfach zu wiederholen,eignen sie sich für die Großprojek-tion in Vorlesungen mit vielen hun-dert Zuhörern. In der Lehrveran-staltung „Einführung in die Physikfür Ingenieure“ an der TU Berlinwerden sie seit 1997 eingesetzt. An-spruchsvollere IBEs können auchdie Vorlesungen zur höheren Expe-rimentalphysik ergänzen. So wirdbeispielsweise an der TU Berlin einIBE zur Elektronenbeugung in derFestkörperphysik-Vorlesung vorge-führt.

„IBEs sollen die alle Sinne um-fassende Erfahrung eines echtenExperiments nicht ersetzen“, sagtJürgen Kirstein, „sie sollen die Prä-senzlehre ergänzen.“ Beispielsweisekönnen sie zur Vorbereitung desGrundpraktikums dienen. Das ge-schieht in diesem Wintersemesterzum ersten Mal an der TU Berlin.Bevor die Studenten den realenVersuch beginnen, haben sie zuhau-se wesentliche Elemente am IBEdurchgespielt. So kennen sie schonden Versuchsaufbau, die Bedienungund Funktion komplexer Geräte.Erste Untersuchungen zeigen, dassdie Studenten dank dieser Vor-kenntnisse den Versuch gezielterund schneller durchführen und somehr Zeit für die Diskussion der

physikalischen Grundlagen des Ver-suchs bleibt.

Multimedia-Lehrmittel und dasInternet können aus Jürgen Kir-steins Sicht die Art des Lernensverändern. Einige Ideen werdenbereits in Pilotprojekten in Berlingetestet, beispielsweise Internet-Übungsgruppen, die von Tutorenbegleitet werden. Die Mitglieder derGruppe erarbeiten eigenständig be-stimmte Lernziele, die sie dann inregelmäßigen „Livetreffen“ im In-ternet mit dem Lehrer besprechen.Den gleichberechtigten Austauschzwischen den Teilnehmern ermögli-chen synchrone Kommunikations-werkzeuge wie NetMeeting vonMicrosoft. Ein normaler PC mitStandard-Modem, das auf dem ak-tuellen technischen Stand ist, ge-nügten. Abbildung 2 zeigt ein Bei-spiel aus dem Berliner Projekt „Ex-plain“.

Die Fachdidaktiker vom IFPLverfügen seit einigen Jahren übereine ausreichende personelle undtechnische Ausstattung sowie Geld-mittel, um Prototypen entwickelnzu können. Ein Teil des Budgetsstammt aus Drittmitteln und Ko-operationen mit anderen Univer-sitäten oder kommerziellen Part-nern wie dem Klett-Verlag, auchaus dem Fördertopf für Multimedia-Lehrmittel der TU Berlin gibt esGeld. Jürgen Kirstein und seineKollegen wollen in den nächstenJahren in Zusammenarbeit mit ver-schiedenen Partnern systematischLehr-Lernmodule mit IBEs für diegesamte Physik entwickeln und er-proben.

Kaiserslautern lernt vomFernstudium FiPSDaniel Roth und seine Kollegen

aus der Kaiserslauterner Arbeits-gruppe von Hans-Jörg Jodl habenbereits einige Erfahrung mit Multi-media-Werkzeugen im Physik-Un-terricht sammeln können. Seit 1997bieten sie ein Fernstudium „Früh-einstieg in das Physikstudium“(FiPS) an, über das sie kürzlich inden „Physikalischen Blättern“ aus-führlich berichteten [7].

Neuerdings werden in Kaisers-lautern die für das FiPS entwickel-ten und dort erprobten Web-basier-ten Werkzeuge auch im Präsenzstu-dium eingesetzt. Im Wintersemester2000–2001 erhielten Präsenzstu-denten beispielsweise die gleichenwöchentlichen Übungsblätter wiedie Fernstudenten. Jedes Übungs-blatt beginnt mit einer Aufgabe, dieauf Multimedia-Elemente zurück-greift. Um die traditionell theore-tisch ausgerichteten Übungen mitexperimenteller Arbeit zu verbin-den, sollen auch virtuelle Experi-mente eingebaut werden. Spätes-tens ab dem Sommersemester 2001können sogar reale Experimenteüber das Internet ferngesteuert wer-den [8].

Zum Grundpraktikum gibt esVorbereitungsmappen im Internet,etwa zum Versuch zur Viskosität[9]. Nach der Erarbeitung derTheorie kann der Versuch anhandder photorealistischen Simulationvirtuell ausgeführt werden. DanielRoth zu den ersten Erfahrungen:„Die Studenten, die die multimedia-le Vorbereitung verwenden, sinddavon sehr angetan.“ Genauere Er-

Im Internet gibt es ein recht großesAngebot an Multimedia-Materialienzum Physikunterricht. Außer den indiesem Artikel vorgestellten Projektenbieten die folgenden Beispiele Materia-lien, die für das Physikstudium interes-sant sind: � Der Würzburger FachdidaktikerPeter Krahmer hat eine umfassendeMaterialsammlung mit vielen Links inalle Welt zusammengestellt. Vieles istfür Schulen konzipiert, einiges auchfür das Physikstudium brauchbar:http://didaktik.physik.uni-wuerzburg.de/~pkrahmer/home/.� Werner B. Schneider, Fachdidakti-ker in Erlangen und Vorsitzender des„Fachverbands Didaktik der Physik“der DPG bietet mit seinen Kollegenein Lernprogramm „Grundlagen derTeilchenphysik“ auf www.physik.uni-erlangen.de/ an.� Raimund Girdwidz und Oliver

Gößwein vom Physikalischen Institutder Universtät Würzburg haben zu-sammen mit Hans-Peter Steinrück(Physikalische Chemie an der Univer-sität Erlangen-Nürnberg) ein Pro-grammpaket „atomos“ zur Atomphysikentwickelt [11]. Es kann kostenlos vonwww.wiley-vch.de./home/phiuz herun-tergeladen werden.� Das DESY bietet eine Website fürSchüler an, die auch für Studenten in-teressant ist: www.desy.de/pr-info/desy-schuelerangebote_d.html.� Am CERN gibt es ein Archiv mitTon- und Videoaufnahmen von Vorle-sungen, die mit Vorlesungsfolien syn-chronisiert sind: http://webcast.cern.ch/projects/WebLectureArchive.� Die bekannten Physlets von W.Christian sind eher für das College ge-macht: http://webphysics.davidson.edu/applet/applets.html.

Multimedia-Materialsammlungen im Web

Abb. 2: Ein Beispiel aus dem Projekt „Explain“ des Instituts für Fachdi-daktik und Lehrerbildung an der TU Berlin, mit dem die Mög-lichkeiten des Physiklernens per Fernstudium untersucht wer-den. Das Bild zeigt ein interaktives Bildschirmexperiment ausSicht einer Studentin. Im linken Fenster ist der Tutor zu sehen,der das Bildschirmexperiment „live“ begleitet [7].

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gebnisse wird die Untersuchung ei-ner größeren Gruppe von Prakti-kumsteilnehmern bringen, die gera-de läuft.

In Kaiserslautern wird der Ein-satz von Multimedia-Werkzeugenvon den Physikdozenten unterstützt– die Didaktiker müssen also wenigZeit und Energie in Überzeugungs-arbeit stecken.

Fazit und Ausblick„Der Einsatz von Technologie

bleibt immer Mittel zum Zweck: Siealleine kann pädagogische Proble-me nicht lösen“, resümiert JürgenKirstein. Multimedia-Werkzeugebieten Lehrern und Studenten neueMöglichkeiten des Lehrens undLernens. Nach Meinung der hierbefragten Fachdidaktiker sind echteLernerfolge auch mit Multimedia-Lehrmitteln nur erreichbar, wenndie Studenten die Möglichkeit ha-ben, mit „lebendigen“ Lehrern Kon-takt aufzunehmen. Die sozialeKomponente, also der intensiveAustausch zwischen den Partnern,spielt eine entscheidende Rolle.Vollautomatisch ablaufende Online-Kurse, die irgendwann einen Teilder Hochschullehre ersetzen, wer-den wohl der Traum einigersparfreudiger Bildungspolitikerbleiben.

Der Einsatz von Multimedia-Werkzeugen in der Präsenzlehre anden Physik-Fachbereichen stehtnoch am Anfang. Früher wurde derEntwicklungsaufwand für gute in-teraktive Lehrmittel meist unter-schätzt. Außerdem „werkelten“ vie-le enthusiastische Einzelkämpfernebeneinander her, was die Kräftezersplitterte. Die Bildungspolitikförderte vor allem verstreute, kurz-fristige Einzelprojekte. Inititiativenwie der „Arbeitskreis Multimediaim Physikunterricht“ der DPG inDeutschland sorgen inzwischen füreinen intensiven Erfahrungsaus-tausch und helfen, die Entwick-lungsarbeit besser zu koordinieren.

„Man muss den Didaktikernauch erlauben, Fehler zu machen,denn nur so kann man lernen“,meint Hans-Jörg Jodl. „Das Gutesetzt sich dann schon durch.“ Diekommenden Jahre werden zeigen,welche Multimedia-Werkzeuge vonden Physikdozenten und -studentenakzeptiert werden. Gerade die Ak-zeptanz der Physikdozenten stellteine entscheidende Hürde dar,denn die Einführung der neuenTechniken bedeutet immer Mehr-aufwand. Deshalb müssen die

Werkzeuge intuitiv und flexibelsein. Wegen ihrer mathematischenOrientierung ist die Physik ideal fürdie Entwicklung guter Multimedia-Lernprogramme. Hinzu kommt,dass Physikerinnen und Physikerneuen Techniken gegenüber sehraufgeschlossen sind. Man muss keinProphet sein, um vorauszusagen,dass interaktive Multimedia-Ele-mente – und das Internet – die her-kömmliche Lehre zunehmend be-reichern werden. Die Grundregelnfür einen guten Unterricht werdensich dabei nicht ändern. Seine Qua-lität wird weiterhin vom Können,der Motivation und den Möglich-keiten der Lehrer – und auch derStudenten – abhängen.

Literatur und Anmerkungen[1] H. Schecker, Modellbildung und Si-

mulation – Multimedia-Toolbox imPhysikstudium. In: Bibliothek For-schung und Praxis 22, Nr. 1, 71-77,1998 (http://didaktik.physik.uni-bremen.de/niedderer/projects/goettingen/index.htm)

[2] L. Hucke, „Handlungsregulationund Wissenserwerb in traditio-nellen und computergestütztenExperimenten des physikalischenPraktikums“, Dissertation, Logos-Verlag, 2000 (http://eldorado.uni-dortmund.de/ FB2/ls11/for-schung/1999)

[3] DER SPIEGEL 47/ 2000(www.spiegel.de/spiegel/0,1518,103577,00.html)

[4] U. Resch-Esser, Phys. Bl., Mai 1997,S. 408

[5] J. Kirstein, „TU Berlin: IFPL – In-stitut für Fachdidaktik und Lehrer-bildung“, „IBE-Was ist ein interak-tives Bildschirmexperiment?“, Ber-lin, 1999 (http://bifrost.physik.tu-berlin.de/ibe)

[6] Website mit Beispiel auf http://bi-frost.physik.tu-berlin.de/ibe/pro-jekte/EXPLAIN/lernbeispiel.htm

[7] F. Schweickert et al., Phys. Bl., No-vember 2000, S. 63

[8] Momentan ist ein Prototyp in Bear-beitung, bei dem eine Elektonen-beugungsröhre fernbedient und dasErgebnis betrachtet werden kann:siehe www.netzmedien.de/rlab

[9] Ein Beispiel für einen Versuch zurBestimmung der Viskosität findetsich unter www.netzmedien.de/mmap/viskositaet

[10] www.britannica.com[11] R. Girdwidz, O. Gößwein und H.-

P. Steinrück, Physik in unserer Zeit4, 165 (2000)