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Warum in die Ferne schweifen? In vielen Regionen Deutschlands haben sich Universitäten und mittel- ständische Betriebe zu innovativen Verbünden zusammengetan. Der gute Draht zu den Partnern in der Nachbarschaft ist in schweren Zeiten wichtiger als jedes Konjunkturprogramm. VON SUSANNE WEISS (TEXTE) UND DAVID SERNAU (ILLUSTRATIONEN) Heimatkunde Hightech und

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Warum in die Ferne schweifen? In vielen RegionenDeutschlands haben sich Universitäten und mittel -ständische Betriebe zu innovativen Verbünden zusammengetan. Der gute Draht zu den Partnern in der Nachbarschaft ist in schweren Zeiten wichtiger als jedes Konjunkturprogramm.VON SUSANNE WEISS (TEXTE) UND DAVID SERNAU (ILLUSTRATIONEN)

Heimatkunde

Hightechund

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Schwerpunkt

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Man könnte den Berliner Appelldes Stifterverbandes nochergänzen. Spitzenvertreter füh-

render Unternehmen hatten sich imJanuar dieses Jahres dazu bekannt, in derWirtschaftskrise zu ihrer Verantwortungfür das Wissenschafts- und Bildungssys-tem zu stehen, um gerade in schwierigenZeiten innovationsstark und weltmarkt-fähig zu bleiben (siehe auch S. 8). Sie rie-fen auch andere dazu auf, bei diesem „Jetzterst recht“ mitzumachen. Mit Erfolg.

Man könnte den Appell ergänzenum die Aufforderung, sich mit diesemEngagement zunächst einmal in derNachbarschaft umzusehen mit dem Ziel,die heimische Region zu stärken. Dasmag sonderbar klingen in Zeiten vonGlobalisierung, Weltmarkt und interna-tionalen Wissensnetzen. Kann die Fluchtin die „Provinz“ helfen, wo doch dieganze Welt erschüttert ist? Besteht „die“Wirtschaft denn nicht aus global playersund internationalen Großkonzernen, wiedie übliche Berichterstattung es uns stän-dig zeigt?

liebsten in der Nachbarschaft. Das giltübrigens auch für Konzerne. Unterneh-men jeder Größe brauchen die Veranke-rung in der Region, Zulieferer in derNähe und Beschäftigte aus der Gegend.Und sie sind auf eine gute lokale Infra-struktur angewiesen.

Diese regionale Verbundwirt-schaft bestimmt die Struktur der deut-schen Wertschöpfungskette, in der vorallem „nachindustrielle Maßschneide-rei“ betrieben wird, wie der BielefelderWirtschaftshistoriker Werner Abelshau-ser den Zuschnitt deutschen Wirtschaf-tens und Produzierens nennt (siehe Inter-view S. 44-47) – orientiert an Qualität,Präzision und vor allem Kundennähe.Sie ist außerdem das Erfolgsrezept derdeutschen Wirtschaft. Eine kürzlich ver-öffentlichte Studie der Unternehmens-beratung Deloitte hebt sogar hervor, dassDeutschland in der derzeitigen Krisewahrscheinlich besser abschneiden wirdals erwartet, weil die Abhängigkeit vomFinanzsektor in Deutschland deutlichgeringer ist als in anderen Ländern,

Die Unternehmen brauchen außerLebenserfahrung und solidem Wirt-schaften auch Fachwissen und vor allemqualifizierte Arbeitskräfte. Beides aberwird zunehmend knapp. Eigene For-schung ist oft zu teuer, die Wissen-schaftsstatistik des Stifterverbandesweist aus, dass gerade im Mittelstanddie Aufwendungen für Forschung undEntwicklung in den letzten Jahren deut-lich zurückgegangen sind. Doch inimmer kürzeren Zyklen muss man sichvon lange bewährten, aber vielleichtnicht mehr zeitgemäßen Produktions-linien und -verfahren verabschieden,um wettbewerbsfähig zu bleiben. Ohnewissenschaftlichen Input drohen Kapa-zitätsengpässe, Produktivitätsverlustund Innovationsmangel.

Deshalb sind besonders kleineund mittlere Unternehmen (KMU) aufein gutes Wissenschafts- und Bildungs-system angewiesen. Die Zusammenar-beit mit Hochschulen ist hier derKönigsweg. Aber der darf nicht allzulang sein. Kurze Wege und vertrauens-

volle persönliche Bezie-hungen sind unabding-bar, um das Fremdelnzwischen Wissenschaftund Wirtschaft in einGespräch zu verwan-deln. Doch wer Pech hat,muss sich sagen lassen,dass das, was er als„seine“ Uni ansah, keine

„Provinzklitsche“ sei. Für regionaleBelange habe man schließlich die Fach-hochschulen. „Die“ Universität konfe-riert lieber mit den Kollegen in Tokiound San Francisco als mit den Unter-nehmen vor Ort. Es ist auch diese Hal-tung, die dazu führt, dass für den durch-schnittlichen Universitätsabsolventen

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Kann die Flucht in die „Provinz“ helfen,wo doch die ganze Welt erschüttert ist?

Tatsächlich ist die deutsche Wirtschafttraditionell anders strukturiert. Mittel-stand und kleine Betriebe bilden denHauptstrang der Wertschöpfungskette;sich in regionalen Clustern zusammen-zuschließen – auch um für internatio-nale Märkte zu produzieren – hat eben-falls eine lange Tradition. Man kauft am

sowohl Staat als auch Haushalte niedri-ger verschuldet und Unternehmen ver-gleichsweise gut aufgestellt sind. – AmEnde werden sich Solidität und Boden-ständigkeit womöglich als das Gegenteilvon Provinzialität herausstellen.

Das eigentliche Problem liegtganz woanders.

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der typische Mittelständler ein Provinz-bewohner mit einer Werkbank in derEcke ist und ansonsten ziemlich uncool.Dass dieses – nicht immer nur falsche –hausbackene Image des Mittelstandeslangsam zum Problem wird und einerRunderneuerung bedarf, hat auch derBundesverband mittelständische Wirt-

schaft erkannt und die „KMU-Arbeitge-ber-Offensive“ gestartet. Sie soll denAbfluss qualifizierter Fach- und Füh-rungskräfte an die Großen eindämmen,denn „qualifizierte und engagierte Mit-arbeiter sind der entscheidende Erfolgs-faktor eines Unternehmens“. Um dieseTalente zu formen, sind Innovations -

fähigkeit und -wille allerdings auch imWissenschaftsbetrieb unverzichtbar. Vorallem die akademischen Schlachtschiffemüssen sich von alten Gepflogenheitenverabschieden, so manche Fachhoch-schule kann hier durchaus Vorbild sein.„Die Zeit arbeitet für die Kleinen, Schnel-len und Pragmatischen unter den

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Hochschulen“, weiß Harald Beschorner,Kanzler der privaten Fachhochschulefür Ökonomie und Management mitHauptsitz in Essen. Die FOM bietet eineVielzahl dualer Studiengänge an – wasvon den Unternehmen der Regionunendlich geschätzt wird. Auch das ein-same Genie, das mit Millionenstipen-dien von den Lasten der Realität befreitwird, ist eigentlich ein Auslaufmodell.Gefragt sind Persönlichkeiten, die nichtin die Wissenschaft gehen, um Schutzvor der Realität zu suchen, sondern umlebensnahe Probleme zu lösen. Bei die-ser Gelegenheit wird es auch ganz vonallein einem Premiumkiller jeder Zusam-menarbeit an den Kragen gehen: derHaarspaltung des Lebens in wissen-

schaftliche Einzeldisziplinen. Aber die„Lebenssachverhalte“, die das Denkenbefördern, die Probleme, die dazu zwin-gen, letztlich im Interesse der Hochschu-len selbst Disziplingrenzen flüssig zumachen, kann die Wissenschaft nichtselbst produzieren. Dafür braucht siewiederum die Unternehmen in derNähe.

Ein Kopf wäscht den anderen. Esgibt Regionen, die Mittel und Wegegefunden haben, das missing link zuerkennen und entsprechend zu handeln.Regionen jenseits der süddeutschen Tüft-lercluster und Hightechschmieden, wonach öffentlicher Wahrnehmung Zen-trum und Motor deutscher Innovationbeheimatet sind. Es sind sogar Gegen-

den, die aus unterschiedlichen Gründendie Krisengebiete der Nation gaben –strukturschwach, deindustrialisiert odergleich ländlich, kahlgeschlagen, unter-bevölkert, ungebildet. Etwa das, was mannach 1945 von Bayern dachte, dessenRückständigkeit gegenüber den anderenBundesländern als nicht aufholbar galt.Sie schienen dem Untergang geweiht,ihre Zukunftsfähigkeit wurde in Zweifelgezogen. Doch sonderbar: Sie gewannenüberdurchschnittlich oft die Wettbewerbedes Stifterverbandes, bei denen es wiestets um gelingende Austauschprozessezwischen den Lagern geht. Es sind Regio-nen, in denen Wissenschaft und Wirt-schaft einander in der Nachbarschaftgesucht und gefunden haben, um – in

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einigen Fällen – bei Strafe des Unter-gangs die Region zu stärken. Mitten inder Werftenkrise wurde Bremen_Bre-merhaven 2005 die erste ‚Stadt der Wis-senschaft’. Mit Besinnlichkeit im Elfen-beinturm war das nicht zu haben, undheute kann Wilfried Müller, Rektor derUniversität Bemen, erklären: „Die Hoch-schulen sind ein wesentliches Elementder Wirtschaftsentwicklung in derRegion.“ Das hat auch die bremischeWirtschaft erkannt: „Die Unternehmenbrauchen Know-how“, weiß der Haupt-geschäftsführer der Bremer IHK, Mat-thias Fonger. „Sie brauchen den Kon-takt zur Wissenschaft.“ Und zwar in derNähe.

In der norddeutschen Tiefebene,voller Schafe und Windräder, gibtes noch mehr Überraschungen. Zum Beispiel eine der forschungsstärks-ten Regionen Europas. 2007 war Braun-schweig ‚Stadt der Wissenschaft’. Nichtnur die – immer auch international agie-renden – Fachhochschulen sind hierbodenständig, auch die große Techni-sche Universität positioniert sich eindeu-tig in der Region. Sie kooperiert mit denGroßen wie Volkswagen, aber auch mitkleinen Unternehmen der Umgebung,wie sich etwa Jörg Böger, Chef der ReiherGmbH, freut, die zusammen mit einemTU-Institut eine neue therapeutischeLeuchte entwickelte. „Wir haben eineVerantwortung, der Region unsere Exper-tise zur Verfügung zu stellen“, findet TU-Präsident Jürgen Hesselbach.

In den äußersten Nordwesten, aufhalbem Wege nach Ostfriesland, durfteder Stifterverband gleich zwei Gewinnetragen. „Stadt der Wissenschaft“ 2009 istOldenburg, dessen Universität zudemim Wettbewerb „Profil und Kooperation“

für ein überzeugendes Kooperationskon-zept mit der Universität Bremen, der Bre-mer Jacobs University und der Univer-sität Groningen in den Niederlanden aus-gezeichnet wurde. Thema der Zusam-menarbeit sind regionale Stärken:„Erneuerbare Energien“ und „MaritimeLogistik“. „Erfolg stellt sich immer daein, wo Wissenschaft und Wirtschaftgemeinsam die traditionellen Stärken derRegion bespielen“, sagt Uwe Schneide-wind, Professor für „Produktion undUmwelt“ an der Universität Oldenburg,ehemaliger Präsident daselbst und heuteunter anderem Vorsitzender der Regie-rungskommission Klimaschutz in Nie-dersachsen. „Und es belebt, wenn manversucht, etwas zu tun, dessen Ausgangnicht von vornherein sicher ist.“

Den Ansporn in der Unbequem-lichkeit kennt auch Klaus Dicke, Rek-tor der Friedrich-Schiller-Universität inJena, das 2008 ‚Stadt der Wissenschaft’war. „Unsicherheit macht erfinderisch“,so seine Erfahrung. Nach anfänglicherEuphorie über „blühende Landschaf-ten“ wurde lange dem Scheitern undVerwelken des Ostens das Wort geredet.Doch wie im Norden nutzte man dieWissenschaft, um den notwendigenStrukturwandel zu unterfüttern. Bedin-gung dafür war die Positionierung derWissenschaft – auch der Universitäten –in der jeweiligen Region. Die große TUDresden ist da keine Ausnahme, einerder Folgen davon ist auch, dass Dres-den – 2006 – ‚Stadt der Wissenschaft’

war. Jena und Dresden gehören zu denLeuchttürmen deutscher Wissenschaftund Wirtschaft. „Dass man ihnen heuteso viel Achtung entgegenbringt“, ist JenasOberbürgermeister Albrecht Schröterüberzeugt, „hat viel mit dem Wettbewerbdes Stifterverbandes zu tun.“

Doch keine Region in Deutsch-land hat für ihre Neuerfindung nach demZusammenbruch so von Wissenschaftund Bildung profitiert wie das Ruhrge-biet. Auch hier sind die Hochschuleneinschließlich der Universitäten Kinderdes Reviers, und auch hier hat die Wirt-schaft ganz im Sinne des Berliner Appellserkannt, dass sie ohne Engagement fürdie Wissenschaft schon bald einenschweren Stand hätte.

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Vor allem die akademischen Schlachtschiffemüssen sich von alten Gepflogenheitenverabschieden.

Buchtipp

In ihrem Buch begibt sich SusanneWeiss auf eine Reise durch Deutsch-land, um Initiativen und Menschenzu finden, denen es gelingt, den ver-meintlichen Graben zwischen Wissen-schaft und Wirtschaft zu überwinden.

Susanne WeissHightech und HeimatkundeWirtschaft und Wissenschaft in den RegionenEdition Stifterverband. Essen 2009, 176 Seiten,24,90 Euro, ISBN-13: 978-3-922275-27-5

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Das Gute liegt so nahDas Ruhrgebiet, der Osten, die norddeutsche Tiefebene – dieseRegionen galten lange Zeit als strukturschwach. Doch gerade hierhaben sich in der jüngsten Zeit blühende Forschungslandschaftenentwickelt. Vorangetrieben haben das in der Region verwurzelte Traditionsunternehmen und offene, standortverbundene Hoch - schulen. Drei Beispiele, die zeigen, dass Bekenntnisse zur Heimat viel Neues hervorbringen – nur nichts Provinzielles.

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Die Neuerfindung des Ruhrgebiets

HightechMaterialforschung • IT • Medizintechnik •Gesundheitswirtschaft und -wissenschaft •Umwelt- und Solartechnik • Energietechnik• Logistik • weltweit führende modernsteHochofentechnik.

HeimatkundeDie Wirtschaft schließt sich in Initiativen unddie Wissenschaft in Allianzen zusammen –mit klarem Bekenntnis für die Region • Neuerwachter Stolz auf die eigene Geschichte,ohne der Vergangenheit nachzutrauern •Der Wille, die »Integrationsmaschine« Ruhr-gebiet in Gang zu halten • Pragmatismusund Bescheidenheit • Und das Wissen, dasslängst noch nicht alles getan ist

einen entscheidenden Anteil an der Reindustrialisie-rung der Region im Sinne der „nachindustriellen Maß-schneiderei“, wissenschaftsgetrieben, innovativ. „Fürdie konkrete Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftund Wirtschaft braucht man natürlich Forscher, dienicht in erster Linie an die nächste Publikation den-ken“, nennt Peter Lampe, Geschäftsführer des Initiativ-kreises Ruhrgebiet, in dem ca. 80 Unternehmen mit Sitzim Ruhrgebiet und darüber hinaus zusammengeschlos-sen sind, eine der Voraussetzungen für gemeinsamesGedeihen. Man braucht Unternehmer und Hochschu-len mit einem Bekenntnis für die Region, denn die Ori-entierung auf die Region ist für alle Beteiligten einErfolgsfaktor, weiß Lampe. „Die Wirtschaft hat das längstbegriffen.“ Deshalb sieht man mit großer Freude, dassauch die Wissenschaft inzwischen am selben Strangzieht. „Je mehr Exzellenz sich zusammentut, um soattraktiver wird die Region auch wirtschaftlich.“

Alle Ruhruniversitäten, Dortmund, Duisburg-Essen und Bochum, kooperieren zum Beispiel mit demInitiativkreis in der „Energieforschung GmbH“. DerRahmen sind größere gemeinsame Projekte der Ener-gieversorgung, der Weg ist anwendungsorientierte For-schung, das Ziel sind praktische Lösungen.

Während die Montankrise keinen Stein auf dem ande-ren ließ, reifte die Erkenntnis, dass man in einem Bal-lungsgebiet von sechs Millionen Menschen ohne eineeinzige Universität lebte. Man setzte zu einem bildungs -politischen Kraftakt an, baute Schulen, Fachhochschu-len und Universitäten. Über 100 For schungs ein-richtungen wurden gegründet und angesiedelt. Dieeinst größte montan industrielle Region Europas ver-wandelte sich in eine der größten europäischen Wissen-schaftsregionen. Dann vertrieb man Heavy Metal undBrikettregen aus dem Gemüt.

Den neuen Grundakkord im Ruhrgebietbeschreibt Dietmar Petzina, ehemaliger Rektor der Ruhr-universität Bochum: „Die neuen Hochschulen habenden Strukturwandel befördert, wurden Inkubatoren fürneues Bürgertum, nahmen aber ihrerseits ruhrspezifi-sche Konturen an.“ Der Anteil der Studierenden ausArbeiterfamilien stieg rasant, und nachdem das Ruhrge-biet für lange Zeit der wohl größte Nettoexporteur anklugen Köpfen war, weil es keine Arbeit für sie gab, gehtman inzwischen davon aus, dass sie eher im Revier blei-ben. Heute ist das Ruhrgebiet die dichteste Hochschul-region Europas, 100 außeruniversitäre Forschungsein-richtungen gehören zum Wissenschaftscluster und haben

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Wer bislang die Gegend im Nordwesten Deutschlandsvor allem mit Deichen und Windrädern in Verbin-dung brachte und im Herzen Niedersachsens den Takteiner Autofabrik schlagen hörte, hat ganz recht. Aberanders, als gedacht. Und eine »gemütliche Großstadt«auf halbem Wege nach Ostfriesland, eine Hansestadtin der Werftenkrise und eine niedersächsische Stadt,von der man kaum mehr als den Namen kannte, schie-nen auf den ersten Blick nicht der Stoff zu sein, ausdem die Hightechträume sind. Doch drei »Städte derWissenschaft« – Oldenburg, Bremen und Braun-schweig – sind Leuchttürme der norddeutschen Tief-ebene, die sich aufmachten, einen schwierigen Wett-bewerb zu gewinnen.

„Kooperationen zwischen Wirtschaft und Wis-senschaft funktionieren besonders gut, wenn die Wirt-schaft wissenschaftlichen Input braucht“, weiß dererprobte Schnittstellenaktivist Uwe Schneidewind.Besonders gut ist man da, wo von beiden die traditio-nellen Stärken der Region bespielt werden. Nach wie vorsind maritime Wirtschaft und Forschung ein Stand-bein in Bremen, so wie im „Mekka der Windenergie“Oldenburg die Nachhaltigkeits- und Klimaforschungzu den Stärken gehören. Ein einschlägiges Beispiel fürdie fachliche und ökonomische Vernetzung in derRegion ist der „Maritime Campus Elsfleth“ mit inte-griertem Forschungszentrum, ein Kooperationsprojektvon Hochschulen, Kommune, Land und der BelugaShipping GmbH. Nur in derlei innovativen Verbündenkann die Technologie von morgen entwickelt werden –wie etwa ein Nordsee-Fährschiff mit Wasserstoff-Brenn-stoffzellentechnologie. Der Wasserstoff kommt aus derheimischen Windenergie, einer der Kooperationspart-ner ist das Next Energy Forschungszentrum der EWE,

des großen norddeutschen Energieversorgers mit Sitzin Oldenburg. Kooperationen der EWE mit der Uni-versität sind notorisch; die wiederum hat zusammenmit der Universität Bremen und anderen „Nowetas“erfunden, ein innovatives Forschungskonglomerat aufStiftungsbasis zur noch besseren Verbindung allerAkteure. Auch in Braunschweig ist man seit jeher mobil– in allen Elementen. Entsprechend haben sich heuteWissenschaft und Wirtschaft passgenau aufeinanderzu entwickelt: mit Transrapid, mit dem Auto derZukunft, das die TU zusammen mit VW entwickelt,und der Forschungsflughafen ermuntert nicht nur Start-ups zum Abheben.

Kooperationen gelingen am besten da, wo die Industrie Input braucht, etwa bei der Neustruktu-

rierung der Energiemärkte. Hier wird Expertise aus allen wissenschaftlichen „Kulturen“ benötigt.

Auch Klima im weitesten Sinne ist ein Querschnittthema, das mit konkreten Problemen hantiert,

die sich nicht an klassischen Disziplingrenzen orientieren. Schließlich ist die wirkliche Welt eine

menschengemachte. Daher kann man gewünschte Ergebnisse auch nicht linear herbeisteuern,

sondern muss intelligente Kontextsteuerung machen. Die Hochschulen müssen dabei akzeptie-

ren, dass sie eine Schlüsselbedeutung in der Region haben. So wie in Oldenburg, wo eine aus -

gesprochene Aufbruchstimmung herrscht – eine richtige Hoffenheim-Story.

Uwe Schneidewind, Präsident der Uni Oldenburg von 2004 bis 2008

Weitsicht im Nordwesten

HightechErneuerbare Energien • Küsten- und Klima-forschung • Umweltschutz • Hightech mari-tim • Schiffbau • Seeverkehrswirtschaft undLogistik • Informatik • Luft- und Raumfahrt •Verkehrssysteme und Fahrzeuge der Zukunft

HeimatkundeWind, Meer und Mobilität geben die The-men in Wissenschaft und Wirtschaft • Mehrals 10.000 Schiffe, die den Norden mit 1.000Häfen in allen Teilen der Erde verbinden •Hochschullehrer, die den Titel »Prof. Kapt.«tragen • Eine gewisse Unaufgeregtheit imTun •Tradition, Bürgerstolz und Heinrich derLöwe

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Nichts Neues im Osten, dachte man lang. Es würdeGenerationen dauern, bis der „Anschluss“ geschafft sei– ökonomisch und akademisch. Die Wissenschaftbraucht schließlich Ruhe, Ausgeglichenheit und sta-bile Verhältnisse. Zumindest zwei Städte im Osten zeig-ten, dass das Gegenteil der Fall ist. Und nach demMotto „Unsicherheit macht erfinderisch“, präsentiertsich der Osten mit zwei Städten der Wissenschaft –Jena und Dresden –, die geschliffenen Durchblick imKleinsten und im Ganzen bieten und sich untererschwerten Bedingungen neu erfanden.

Wie im Norden und im Ruhrgebiet verankernsich die Universitäten und Forschungseinrichtungenim Osten der Republik explizit in der Region. Manhatte wenig Zeit für die Diskussion von Luxusproble-men und musste pragmatisch und kreativ sein, umüber die Runden zu kommen. Eines der Erfolgsrezeptean den klassischen Universitätsstandorten Dresden undJena war aber auch, dass man an Traditionen aus einerZeit anknüpfen konnte, als Wissenschaft und Wirt-

schaft noch durchlässig waren. „Zeiss steckt in denKnochen“, sagt Jenas Oberbürgermeister AlbrechtSchröter. „Das kennt man.“ Dem berühmten geniusloci fühlt man sich denn auch verpflichtet und beschrei-tet bewusst die „kurzen Wege“ – die Hochschulen erfra-gen die Bedürfnisse der Wirtschaft, die wiederum hältEngagement für die Wissenschaft nur für selbstver-ständlich. „Man tut so etwas einfach“, sagt Klaus Berka,Vorstandsvorsitzender der Analytik Jena AG und Vor-sitzender des Hochschulrates der dortigen FH. EineHaltung, die man auch in Dresden findet – auf beidenSeiten. „Wir sind eine sächsische Universität“, sagt TU-Rektor Hermann Kokenge, die „Produktion“ qualifi-zierter Fachkräfte für die Region ist eine Selbstver-ständlichkeit. Auch in Elbflorenz sind die Wege kurzund vor allem „der progressive Mittelstand hat verstan-den, dass er sich mit der Wissenschaft zusammentunmuss“, weiß Wirtschaftsbürgermeister Dirk Hilbert.„Wer im Geschäft bleiben will, braucht qualifiziertenNachwuchs.“

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Man muss von Wissenschaft und Wirtschaft heute erwarten, dass sie zunehmend zusammenarbei-

ten. Politik kann dabei gestalten, indem sie Gerechtigkeit schafft und die nötigen Rahmenbedin-

gungen bereitstellt. Haupthindernisse der Zusammenarbeit sind häufig falsches Rollenverständnis

und Denkverbote auf beiden Seiten. Gerade deshalb darf niemand Selbstgespräche führen und

anschließend verkünden, er habe die ganze Wahrheit. Man muss vom Zuhörer her denken, das ist

die Hohe Schule. Bei alledem sind Menschen der spielentscheidende Faktor. Wir sind in Jena sehr

weit, und das Bekenntnis zur Region steht bei allen Beteiligten außer Zweifel.

Albrecht Schröter, Oberbürgermeister von Jena

Deutschlands forscher Osten