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vollwertig leben 50 Zeitpunkt 118 YIN YOGA DIE WIEDERENTDECKUNG DER LANGSAMKEIT I ch muss Sie warnen: Yin Yoga hat ein gewisses Suchtpotenzial. Viele, die einmal damit angefangen haben, können nicht mehr aufhören. Immer wieder bringen sie ihren Körper in ungewohnte Stellungen mit klingenden Na- men wie «schlafender Schwan» oder «schmel- zendes Herz». Doch was ist Yin Yoga? Die Welt lässt sich dem Taoismus zufolge mit dem Prinzip von Yin und Yang erklä- ren. Tag und Nacht, Sommer und Winter, aussen und innen – jeder Aspekt unseres Lebens ist geprägt von diesem Dualismus. Yin wird dem weiblichen Prinzip zugeord- net, der Erde, der Nacht, dem Verborgenen, während Yang für das männliche Prinzip steht, die Sonne, für Kraft und das Sicht- bare. Auch wenn ein Prinzip vorherrschend ist, sind immer beide Aspekte vorhanden, sie bedingen sich. Ohne Licht gibt es kei- nen Schatten, ohne Wärme keine Kälte. Alles fliesst, alles ist in Bewegung. Während bei den meisten Yogastilen die Kraft und Muskulatur im Vordergrund ste- hen, also Yang, geht es im Yin Yoga um die Dehnung des Bindegewebes, das unela- stisch und steif ist und damit Eigenschaften von Yang aufweist. Das Besondere am Yin Yoga ist das lange Halten der Stellungen. Drei bis fünf Minuten verweilt man so ruhig wie möglich in der Position. Die Muskeln bleiben passiv. Dadurch wirken der Druck und die Dehnung in tieferen Schichten auf die Knochen und das Bindegewebe, das die Gelenke umgibt. Durch den Fokus auf den Körper und die Atmung können wir subtilere An- spannungen wahrnehmen und diese loslassen. Yin Yoga lehrt uns Gelassenheit und Hingabe, hilft uns die eigenen Gren- zen zu akzeptieren, schult die körperliche Flexibilität und bringt das Chi, die Energie zum fliessen. Sie werden zunehmend eine meditative Haltung einnehmen und mer- ken, dass ihre Energie genau da ist, wo ihr Bewusstsein gerade ist. Und wenn Sie am Ende einige Minuten in Savasana, der Totenstellung liegen und nachspüren, dann sollte sich ein wohliges Gefühl der Ruhe und Entspannung einstellen. Eine letzte Warnung bevor Sie mit den Übungen anfangen: Yoga kann Menschen verändern. Die gute Nachricht: meist zum Positiven. KURZE ÜBUNGSFOLGE Yin Yoga ist vom erfahrenen Yogi bis zum älteren Menschen für jeden geeignet. Ein Teppich oder Badetuch reicht, wer mag, zün- det eine Kerze oder ein Räucherstäbchen an und lässt leise, ruhige Musik laufen. Abends ist eine gute Übungszeit, denn Yin Yoga wirkt beruhigend auf Körper und Geist. 1. Meditation Sorgen Sie für Ruhe, ziehen Sie sich be- queme, warme Kleider an und setzen Sie sich einige Minuten mit geschlossenen Au- gen auf den Boden, ein Tuch oder ein Kis- sen, um mit dem Körper und den Gedanken im Hier und Jetzt anzukommen. 2. Schmetterling Bringen Sie Ihre Fusssohlen zusammen, zwischen Ihnen und der Ferse bleibt ein Abstand von mind. 50 cm. Lassen Sie Ih- ren Rücken rund werden, beugen Sie sich langsam nach unten, so dass Ihre Hände leicht auf Ihren Füssen oder davor liegen. Ihr Kopf häng nach unten, Schultern und Nacken sind entspannt. Bleiben Sie 3 bis 5 Minuten in dieser Stellung. 3. Sattel Sitzen Sie auf Ihre Schienbeine und lehnen Sie sich zurück auf Ihre Hände. Die Knie sind leicht geöffnet (wenn das bereits zu viel für Ihre Knie ist, lassen Sie diese Übung weg.) Kommen Sie langsam runter auf Ihren Rücken. Spannt der Oberschenkelmuskel zu fest, legen Sie ein Tuch unter Kopf und Schultern. Wer nicht so tief gehen kann, stützt sich auf die Ellbogen und bringt die Knie weiter auseinander. Nach 2 bis 3 Mi- nuten aus der Stellung kommen. Yin Yoga ist das Bogenschiessen unter den Yogastilen: Eine ruhige Praxis, die statt Muskelkraft Konzentration, Geduld und Aufmerksamkeit verlangt. Eine Anleitung von Brigitte Müller

Yin Yoga ist das Bogenschiessen unter den Yogastilen: Eine ... · hen, also Yang, geht es im Yin Yoga um die Dehnung des Bindegewebes, das unela-stisch und steif ist und damit Eigenschaften

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vollwertig leben

50 Zeitpunkt 118

YIN YOGA DIE WIEDERENTDECKUNG DER LANGSAMKEIT

Ich muss Sie warnen: Yin Yoga hat ein gewisses Suchtpotenzial. Viele, die einmal damit angefangen haben, können nicht mehr aufhören. Immer wieder bringen sie ihren Körper in

ungewohnte Stellungen mit klingenden Na-men wie «schlafender Schwan» oder «schmel-zendes Herz». Doch was ist Yin Yoga?

Die Welt lässt sich dem Taoismus zufolge mit dem Prinzip von Yin und Yang erklä-ren. Tag und Nacht, Sommer und Winter, aussen und innen – jeder Aspekt unseres Lebens ist geprägt von diesem Dualismus. Yin wird dem weiblichen Prinzip zugeord-net, der Erde, der Nacht, dem Verborgenen, während Yang für das männliche Prinzip steht, die Sonne, für Kraft und das Sicht-bare. Auch wenn ein Prinzip vorherrschend ist, sind immer beide Aspekte vorhanden, sie bedingen sich. Ohne Licht gibt es kei-nen Schatten, ohne Wärme keine Kälte. Alles fliesst, alles ist in Bewegung.

Während bei den meisten Yogastilen die Kraft und Muskulatur im Vordergrund ste-hen, also Yang, geht es im Yin Yoga um die Dehnung des Bindegewebes, das unela-stisch und steif ist und damit Eigenschaften von Yang aufweist. Das Besondere am Yin Yoga ist das lange Halten der Stellungen. Drei bis fünf Minuten verweilt man so ruhig wie möglich in der Position. Die Muskeln bleiben passiv. Dadurch wirken der Druck und die Dehnung in tieferen Schichten auf die Knochen und das Bindegewebe, das die Gelenke umgibt.

Durch den Fokus auf den Körper und die Atmung können wir subtilere An-spannungen wahrnehmen und diese loslassen. Yin Yoga lehrt uns Gelassenheit und Hingabe, hilft uns die eigenen Gren-zen zu akzeptieren, schult die körperliche Flexibilität und bringt das Chi, die Energie zum fliessen. Sie werden zunehmend eine meditative Haltung einnehmen und mer-ken, dass ihre Energie genau da ist, wo ihr Bewusstsein gerade ist. Und wenn Sie am Ende einige Minuten in Savasana, der Totenstellung liegen und nachspüren, dann sollte sich ein wohliges Gefühl der Ruhe und Entspannung einstellen.

Eine letzte Warnung bevor Sie mit den Übungen anfangen: Yoga kann Menschen verändern. Die gute Nachricht: meist zum Positiven.

KURZE ÜBUNGSFOLGE Yin Yoga ist vom erfahrenen Yogi bis zum älteren Menschen für jeden geeignet. Ein Teppich oder Badetuch reicht, wer mag, zün-det eine Kerze oder ein Räucherstäbchen an und lässt leise, ruhige Musik laufen. Abends ist eine gute Übungszeit, denn Yin Yoga wirkt beruhigend auf Körper und Geist.

1. MeditationSorgen Sie für Ruhe, ziehen Sie sich be-queme, warme Kleider an und setzen Sie sich einige Minuten mit geschlossenen Au-gen auf den Boden, ein Tuch oder ein Kis-sen, um mit dem Körper und den Gedanken im Hier und Jetzt anzukommen.

2. SchmetterlingBringen Sie Ihre Fusssohlen zusammen, zwischen Ihnen und der Ferse bleibt ein Abstand von mind. 50 cm. Lassen Sie Ih-ren Rücken rund werden, beugen Sie sich langsam nach unten, so dass Ihre Hände leicht auf Ihren Füssen oder davor liegen. Ihr Kopf häng nach unten, Schultern und Nacken sind entspannt. Bleiben Sie 3 bis 5 Minuten in dieser Stellung.

3. SattelSitzen Sie auf Ihre Schienbeine und lehnen Sie sich zurück auf Ihre Hände. Die Knie sind leicht geöffnet (wenn das bereits zu viel für Ihre Knie ist, lassen Sie diese Übung weg.) Kommen Sie langsam runter auf Ihren Rücken. Spannt der Oberschenkelmuskel zu fest, legen Sie ein Tuch unter Kopf und Schultern. Wer nicht so tief gehen kann, stützt sich auf die Ellbogen und bringt die Knie weiter auseinander. Nach 2 bis 3 Mi-nuten aus der Stellung kommen.

Yin Yoga ist das Bogenschiessen unter den Yogastilen: Eine ruhige Praxis, die statt Muskelkraft Konzentration, Geduld und Aufmerksamkeit verlangt. Eine Anleitung von Brigitte Müller

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4. Sphynx Legen Sie sich auf den Bauch, die Beine sind ausgestreckt und geöffnet. Stützen Sie sich auf Ihre Ellbogen, die schulterbreit ausei-nander sind. Halten Sie mit den Händen die Ellbogen oder legen Sie die Unterarme flach auf den Boden. Der Bauch ist entspannt, ebenso der Rücken und die Beine. Bleiben Sie hier 3 Minuten und kommen Sie dann kurz in die Kindsstellung.

5. LibelleSetzen Sie sich auf den Boden und grät-schen Sie die Beine. Mit der Ausatmung beugen Sie sich langsam nach vorne, aus den Hüften heraus. Sitzen Sie zur Unterstüt-zung auf ein Kissen oder Tuch. Die Hände oder Ellbogen sind auf dem Boden. Beine, Schultern und Kopf sind entspannt. Bleiben Sie so für 3 bis 5 Minuten. Kommen Sie dann langsam aus der Stellung zurück und legen Sie sich auf den Rücken, Arme und Beine ausgestreckt wie ein Stern. Spüren Sie eine Minute nach.

6. Liegender TwistZiehen Sie Ihre Knie zur Brust. Öffnen Sie die Arme seitlich wie Flügel und legen Sie dann erst beide Knie auf die linke Seite. Wechseln Sie nach 3 Minuten die Seiten.

7. SavasanaSie liegen auf dem Rücken, die Beine leicht gespreizt, die Arme neben dem Körper, die Handflächen zeigen nach oben. Entspannen Sie jeden Muskel, schliessen Sie die Augen, aber bleiben Sie mit dem Geist wach. Spü-ren Sie nach, was diese Übungen körperlich und geistig bewegt haben, beobachten Sie, wie ruhig Ihre Atmung ist. Bleiben Sie ei-nige Minuten liegen. Wer mag, kann zum Abschluss nochmals meditieren.

Yin Yoga ist das Bogenschiessen unter den Yogastilen: Eine ruhige Praxis, die statt Muskelkraft Konzentration, Geduld und Aufmerksamkeit verlangt. Eine Anleitung von Brigitte Müller

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