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Nr. 48 Dezember 2013 20. Jahrgang ISSN 1862-1627 Zeitschrift für ostmitteleuropäische Begegnung Herausgegeben von Adalbertus-Jugend Katholische Jugend aus Danziger Familien Adalbertus-Werk e.V. Bildungswerk der Danziger Katholiken

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Nr. 48 Dezember 2013 20. Jahrgang ISSN 1862-1627

Zeitschrift für ostmitteleuropäische BegegnungHerausgegeben von

Adalbertus-JugendKatholische Jugend aus Danziger Familien

Adalbertus-Werk e.V.Bildungswerk der Danziger Katholiken

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2 adalbertusforum Nr. 48 Dezember 2013

Bilderbogen von der Studientagung in Danzig/Gdańsk

■ Im „Przystań Smaku“,nahe der Motlau, waren wirtäglich zum Frühstück undmehrfach zum Abendessenzu Gast. Im „Swojski Smak“wurden wir fünfmal bewirtetund verbrachten dort mitSpiel und Spaß den Eröff-nungs- und den Abschieds-abend.

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Nr. 48 Dezember 2013 adalbertusforum 3

Mach Dich klein!Wer die Geburtskirche in Bethlehem betretenmöchte, muss durch eine enge Tür. Es heißt,dass die Tür zur Geburtskirche in Bethlehemvermauert und nur eine kleine Pforte belas-sen wurde, um den Feinden – wer immer esauch sein mag – den Eintritt in die Kirche aufhohem Ross zu verwehren. Das kann dieWahrheit sein oder auch nicht. Für mich istdie enge Tür ein bedeutsames Zeichen, dennes sagt mir: Wer dem Geheimnis der Geburtdes Gottessohnes begegnen möchte, musssich klein machen. Du kannst dem mensch-gewordenen Gottessohn nicht mit Stolz undHochmut begegnen, denn er, der Gott warund ist, hat die menschliche Natur angenom-men, um ganz bei uns Menschen zu sein(vgl. Phil 2, 6-11). Die Größe Gottes bestehtdarin, dass er keine Angst davor hat, sichklein zu machen. Diese Entscheidung hatsogar das Missverstanden werden, Leid undTod zur Konsequenz. Wir können nicht sa-gen, dass diese Konsequenz von Gott nichteinkalkuliert wurde. Sie wurde von ihm inLiebe angenommen und Jesus Christus ahnteund wusste, was passiert, wenn er sich alsVerkünder des Gottesreiches wie die Prophe-

ten vor ihm für das Recht Gottes einsetzt: Erwird das Schicksal der Propheten erleiden.

Schon an der engen Pforte in die Geburtskir-che wird daran erinnert, dass derjenige, derJesus nachfolgen will, in die Fußstapfen desMessias tritt und deshalb auch mit den Kon-sequenzen rechnen muss. Nicht nur die Chris-ten in den arabischen Ländern sind wegenihres Bekenntnisses zu Jesus Christus an Leibund Leben bedroht. Jeder, der das Gebot derLiebe zu Gott und dem Nächsten verkündet,muss mit Unverständnisrechnen. Zwar sind dieVerfassungen vielerLänder noch vom Maß-stab der 10 Gebote ge-prägt, aber die Akzep-tanz dieses Maßstabsscheint zu schwinden.Wenn wir Weihnachtenfeiern, dann kommt oft-mals eine heimeligeStimmung auf und daswünschen wir uns auchso. Sie gehört zu unse-rer Tradition. Wir habenauch allen Grund, dieBotschaft der Mensch-werdung des Gottessoh-

nes mit Freude und Dankbarkeit zu begehen,aber wir sollen dabei nicht vergessen, welcheLiebe Gottes dahinter steht, die selbst dasKreuz nicht gescheut hat. Für mich ist diesesWissen ein Grund noch tieferer Freude undDankbarkeit, denn ich bin Gott auf der Spur,der meine Liebe grenzenlos übertrifft.

+ Weihbischof Dr. Reinhard HaukeDiözesanadministratorBeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz fürdie Vertriebenen- und Aussiedlerseelsorge

Wir müssen Partei ergreifenEs war ein ereignisreicher Herbst und einebensolcher Winter im Jahr 2013. Man sprachüber die Abhöraffäre der NSA und GregorGysi von der Linkspartei nannte es im „Be-richt aus Berlin“ einen Skandal, was Ameri-kaner und Engländer da mit den Verbündetengetan haben. Mir fielen da spontan die Stasiund die ungeklärte Vergangenheit von Gysiein, aber die DDR hat ja auch nicht Verbün-dete bespitzelt, sondern das eigene Volk unddas ist scheinbar etwas anderes und keinSkandal. Natürlich redete man auch über Sy-rien und Chemiewaffen, Flüchtlinge und Tote.Lampedusa war ein Thema und die Boatpeo-ple aus Afrika, der Taifun auf den Philippi-nen, garniert mit etwas Tebartz van Elst. Dannmachte Papst Franziskus Schlagzeilen, derdoch tatsächlich ernst macht, mit der Reformder Kirche und seinen Worten Taten folgenlassen will. Die Ukraine, Thailand, der Kunst-fund – ja, es gab viele Schlagzeilen. Aber diewaren alle genauso schnell wieder weg, wiesie gekommen waren, denn ein Thema über-lagert seit dem 22. September alles und lässtuns wohl auch nicht mehr los. Der Koaliti-onsvertrag oder in Kurzform: Mütterrente,Maut und Mindestlohn.Nicht, dass ich hier falsch verstanden werde.Es ist völlig logisch, dass man Müttern dieKinder bei der Rentenberechnung auch an-rechnen muss, wenn diese vor 1992 geborenwurden. Es ist richtig, dass der Staat dafürSorge tragen will, dass man in Deutschlandauch von dem Geld, welches man mit Arbeitverdient, leben kann. Und es geht sicher je-dem Autofahrer so, dass er/sie sich ärgert, inPolen, Österreich, Italien, Ungarn, Frankreich

und 15 weiteren europäischen Ländern dafürbezahlen zu müssen, auf einer gut ausgebau-ten Autobahn zu fahren, während alle Aus-länder in Deutschland kostenlos die Straßennutzen dürfen.Angesichts der menschlichen Tragödien inSyrien oder vor Lampedusa sei aber die Fra-ge erlaubt, ob Mütterrente, Maut und Min-

auch kommende Wahlen. Mit einer humani-tären und zutiefst christlichen Politik der Auf-nahme von Syrern, aber auch von Arfika-nern, die im Mittelmeer stranden, gewinntman in Deutschland keine Punkte und ver-liert dann Wahlen. Deutsche Politiker rüh-men sich, ein paar 1.000 Syrer aufnehmen zuwollen. Tatsache ist aber, dass mindestens 2Millionen Syrer als Flüchtlinge im Irak, derTürkei, Jordanien, oder im Libanon in La-gern leben, unter teils unwürdigen hygieni-

schen Bedingungen undohne ausreichende medi-zinische Versorgung. Unddiese Länder sollen dochbitte auch die anderenaufnehmen, heißt es inBerlin und Brüssel, ob-wohl die Länder schonheute nicht in der Lagesind, die Flüchtlinge auchnur zu ernähren! Über 80Millionen Einwohner inDeutschland von denenfast 9 % selber ausländi-scher Herkunft sind, las-sen sich von der Politik

und rechten Gruppen einreden, dass wir miteinigen 100 Afrikanischen Bootsflüchtlingenund – sagen wir – 50.000 syrischen Flücht-lingen überfordert wären. Inzwischen gehenselbst Intellektuelle der bürgerlichen Mitteauf die Straße, um gegen eine Asylbewerber-unterkunft zu protestieren. Natürlich mussdie sein, das will natürlich niemand bestrei-ten, aber bitte doch nicht da, wo ich wohne!

Welch lächerlich kleine Zahl 50.000 Men-schen eigentlich sind, lässt sich daran erken-nen, dass in München die Zahl der Einwoh-ner laut Melderegister und die Zahl der Ein-

■ Kindheit in Kriegszeiten: ZerstörterStraßenzug im Dorf Ala Oeeja in Syrien.

destlohn nicht eigentlich ganz unwichtigeDinge sind.Seien Wir mal ehrlich: Wissen wir, was imKoalitionsvertrag zum Thema der Aufnahmevon afrikanischen Boat-People und Kriegs-flüchtlingen steht? Das sagen uns weder„Mutti Merkel“, noch „der bayerische KönigHorst“ oder „der SPD-Erzengel Gabriel“. MitWohltaten für Rentner, populistischen Maut-forderungen und steigenden Löhnen gewinntman in Deutschland Sympathie und vielleicht

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4 adalbertusforum Nr. 48 Dezember 2013

INHALT

ZUM TITELBILD: Das EuropäischeZentrum der Solidarität/EuropejskieCentrum Solidarności entsteht auf demGelände der ehemaligen DanzigerWerft, nördlich des Platz der Solidari-tät/ Plac Solidarności, auf dem sich dasDenkmal für die Gefallenen Werftar-beiter von Dezember 1970 befindet. DerPlatz der Solidarität und das Gebäudedes Zentrums sollen ein symbolischesTor zur „Neuen Stadt“ – einem Wohn-und Geschäftsviertel, welches auf demGelände der Werft entstehen wird – undeine „Ikone der Architektur“ werden.Das charakteristische, einfache Ausse-hen des Gebäudes und im InnerenRäumlichkeiten mit etwas schrägenWänden erinnern an die Form einesSchiffes. Außerdem soll das Gebäudeein dynamischer Hintergrund für dasDenkmal der Drei Kreuze darstellen.Projekt: Architektenbüro Fort Danzig/Gdańsk.

Die 15. Deutsch-Polnische Studien-tagung in Danzig/Gdańsk wurde,aufgrund eines Beschlusses desDeutschen Bundestages, als „ver-ständigungspolitische Maßnahme“gefördert.

wohner nach dem Mikrozensus 2013 um über50000 Menschen variiert – stören tut sichdaran kein Politiker und Bayern lebt wederbesser noch schlechter, ob es 50.000 Men-schen mehr oder weniger in München gibt.50.000 Syrer und Afrikaner dürfen es aberoffensichtlich nicht sein!Müssen nicht gerade wir Christen aufstehenund Partei ergreifen für die Syrer und dieFlüchtlinge vor Lampedusa?Papst Franziskus hat es uns doch – auch indiesem Herbst – deutlich gesagt. Er ruft dieKirche, aber auch die Mächtigen der Weltauf, gegen Armut und Ungleichheit zu kämp-fen. Er sagt uns, das herrschende ökonomi-sche System sei „in der Wurzel ungerecht“,„diese Wirtschaft tötet“ und es sei unglaub-lich, dass niemand sich darüber aufrege, wennein alter Mann auf der Straße erfriere, „wäh-rend Kursrückgänge um zwei Punkte in derBörse Schlagzeilen machen“. Gerade die Ver-triebenen und deren Nachkommen müsstendoch eigentlich schon aus der Erfahrung oderErzählung durch die Eltern und Großelternwissen, dass Flüchtlinge Aufnahme brauchenund 1945 nicht nur in Westdeutschland auchbekommen haben. Wäre das alleine nicht eineVerpflichtung für uns, von CDU/CSU undSPD auch eine klare Haltung für die Flücht-linge und Verfolgten einzufordern und nichtnur für Mindestlohn, Maut und Mütterrente?Natürlich werden die Kritiker nun rufen, „dieAfrikaner sind ja alle nur Wirtschaftsflücht-linge“. Es kann sogar sein, dass das so ist,aber wer sein Leben auf einem Schlauchbootriskiert, tausende Euro dafür an Schlepperbezahlt und gar nicht sicher sein kann, dassdas Boot auch ankommt – dem muss es zuHause verdammt schlecht gehen. Oft ist esdie einzige Chance für ganze Großfamilienein oder zwei Mitglieder in Europa zu haben,die regelmäßig Geld nach Afrika schicken.Der Papst hat mehr als recht, wenn er unserklärt, dass das Wirtschaftssystem in denWurzeln ungerecht ist.Die EU exportiert Tonnenweise Lebensmit-tel nach Afrika. Nicht um den Hunger zulindern, sondern um Geschäfte zu machenund zerstört mit ihren Dumpingpreisen dieLebensgrundlage der Bauern auf dem schwar-zen Kontinent.Das steht nicht im Koalitionsvertrag und eskommt auch nicht in den Nachrichten. Viel-leicht steht es mal in einem Hintergrundbe-richt in der Süddeutschen Zeitung, der Zeitoder der Frankfurter Allgemeinen.Vielleicht finden wir alle über Weihnachtenund den Jahreswechsel die Zeit, darüber nach-zudenken, ob das Elend und die Not in derWelt es nicht doch verdient hätten im Koaliti-onsvertrag berücksichtigt zu werden, ob wirwirklich an Überfremdung zu Grunde gehen,wenn wir syrischen Familien ein neues zuHause geben – Asyl, so wie Maria und Josefes auch erbeten hatten. Ihnen wurde es da-mals nicht gewährt und man schickte sie inden Stall zur Geburt des Kindes. Über 2000Jahre später handeln wir immer noch genausowie damals die Menschen in Bethlehem, ob-wohl die Nächstenliebe durch dieses Kinddoch unser höchstes Gebot ist.

Wolfgang Nitschke

Wolfgang Nitschke3 Wir müssen Partei ergreifen

Weihbischof Reinhard Hauke3 Mach Dich klein!

5 „Polen wird in der EU alsErfolgsland gesehen“Interview mit Botschafter Marek Prawda

Weihbischof Reinhard Hauke5 Neuer Anfang und Auftrag

Andrzej Kaluza7 Der schöne Schein – Arbeiten in Polen

Norbert Czerwinski10 1914–2004 – Vor 100 Jahren begann

der I. Weltkrieg

Norbert Czerwinski18 Infrastrukturmaßnahmen für

Danzig/Gdańsk

Viola Nitschke-Wobbe21 Die „Encyklopedia Gdańska“ –

ein außergewöhnliches Projekt

Katharina und Felicitas Schnitzspahn22 Spurensuche in der Kaschubei

24 Polens Beitrag zur Wende in EuropaSchlussreferat von Adam Krzemiński

Ela Müller27 „Ich bin damals als Vertreter der

Partei zu den Menschen gegangen“

Chris Mewes29 Nachbarn spielend kennenlernen

Kornelija Stasiuliene31 Neue Erfahrungen durch Spiele

Rafael Weimer33 Wenn man neu dabei ist …

15. Deutsch-PolnischeStudientagung in Danzig/Gdańsk„erinnern – verstehen – bewegen“

Margot Werneck11 Orte die Bewegen

Wolfgang Nitschke12 Die Vergangenheit spielt eine Rolle

Ingrid und Peter Henseler14 Der Beginn des II. Weltkriegs –

Exkursion zur Westerplatte

Norbert Czerwinski16 Das Museum des II. Weltkrieges

Wolfgang Nitschke17 Besuch der Technischen Hochschule

in Danzig/Gdańsk

Ela Müller18 Alte und neue Hanse

Norbert Czerwinski35 Zum 75. Jahrestag der

Bischofsweihe von Carl Maria Splettam 24. August 1938

36 Nachrichten

37 Literatur

Rudolf Grulich40 Die evangelische Kirche und

die Vertreibung

Norbert Czerwinski42 Ein Shakespeare-Theater für Danzig

43 Information vom Kassenwart

Alicja Kędzierska/Wolfgang Nitschke44 Weihnachten im Nachbarland

Paul Magino45 Gerhard Nitschke – zum 80sten

Geburtstag

46 Glückwünsche

Gabriele Lesser48 Tadeusz Mazowiecki, der Vater der

Demokratie in Polen, ist tot

49 Zum Gedenken

50 Veranstaltungen

50 Impressum

51 Das Abend- und Rahmenprogrammder 15. Deutsch-PolnischenStudientagung in Danzig/Gdańsk

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Nr. 48 Dezember 2013 adalbertusforum 5

Neuer Anfang und Auftrag

„Polen wird in der EU als Erfolgsland gesehen“■ Botschafter MarekPrawda während einerSitzung des Europäi-schen Rates im Ge-spräch mit dem Vorsit-zenden der Euro-Grup-pe Jeroen Dijsselbloemund dem ehemaligenpolnischen Finanzminis-ter Jacek Rostowski (bis27. 11. 2013).

Pfarrer Paul Magino, der als Dekan in Wend-lingen am Neckar in der Diözese Rotten-burg-Stuttgart tätig ist, wurde entsprechenddes Beschlusses des Ständigen Rates derDeutschen Bischofskonferenz vom 24./25.Juni 2013 durch Diözesanadministrator Weih-bischof Dr. Reinhard Hauke (Diözese Er-furt), Beauftragter der Deutschen Bischofs-konferenz für die Vertriebenen- und Aussied-lerseelsorge, zum ehrenamtlich tätigen Prä-ses (geistlich-theologischer Berater) des Adal-bertus-Werk e.V. für den Zeitraum vom 1.September 2013 bis 31. Oktober 2016 beru-fen. Für die Bereitschaft, diesen seelsorgeri-schen Dienst zu übernehmen, bin ich ihmvon Herzen dankbar. Damit wurde auch einerster Schritt zur Weiterentwicklung der Ver-triebenenpastoral auf Bundesebene getan. Eswurde durch die Deutsche Bischofskonfe-renz die gesonderte Seelsorge für die Mit-glieder des Adalbertus-Werk e.V. als sinnvollund zielführend betrachtet.

Nahezu 70 Jahre nach Kriegsende sind dieheimatvertriebenen und ausgesiedelten Ka-

tholiken in ihren Aufnahmegemeinden undAufnahmebistümern gut eingegliedert. DieSeelsorge für die Nachkommen der Vertrei-bung und der sog. „Erlebnisgeneration“ liegtnun in der Verantwortung der 27 (Erz-)Diö-zesen. Dementsprechend wird die Sonder-seelsorge der Visitatoren, die die pastoralenBemühungen der Bistümer zur kirchlichenBeheimatung der Betroffenen seither unter-stützen, bis zur Herbst-Vollversammlung2016 schrittweise abgelöst werden. Zur Be-wahrung der Traditionen werden die Erinne-

rungskultur und Friedensarbeit der kirchlichanerkannten Vertriebenenverbände gemäß der„Richtlinien des Verbandes der DiözesenDeutschlands für die Verbändeförderung“weiter gefördert und zu ihrer Unterstützungehrenamtlich tätige Präsides ernannt werden,die für die Wallfahrten und für die geistlichePrägung der Verbände verantwortlich sind.Mit diesem Amt ist jedoch keine Jurisdiktionverbunden. Der derzeitige Beauftragte für dieVertriebenen- und Aussiedlerseelsorge, Weih-bischof Dr. Reinhard Hauke, hat seine Be-auftragung bis 2016 erhalten. Über die wei-tere Zukunft dieser Beauftragung wird dieDeutsche Bischofskonferenz entscheiden.Den Mitgliedern des Adalbertus-Werk e.V. –Bildungswerk der Danziger Katholiken, ins-besondere Präses Pfr. Paul Magino, wünscheich für die Pflege der kulturellen Wurzelnund geistlichen Traditionen aus der alten Hei-mat wie auch für die Gestaltung der freund-schaftlichen Nachbarschaftsarbeit mit denMenschen in den Ländern Europas, in be-sonderer Verbundenheit mit den Polen, wei-terhin Gottes reichen Segen.

+ Weihbischof Dr. Reinhard HaukeDiözesanadministrator

Vor 10 Jahren am 1. Mai 2004 trat Polenzusammen mit neun anderen Ländern derEuropäischen Union bei. Seither ist in Euro-pa viel passiert. Weitere Länder sind alsMitglieder aufgenommen worden, es gibtdie große Eurokrise und viele Menschen den-ken inzwischen, dass die EU keinen Platzmehr für weitere Mitglieder hat. Wir wollendas zehnjährige Jubiläum der sogenannten„Osterweiterung“ zum Anlass nehmen, ei-nen Bilanz der polnischen Mitgliedschaft zuziehen. Wolfgang Nitschke hat mit MarekPrawda, von 2006 bis Herbst 2012 polni-scher Botschafter in Deutschland und seit 1.September 2012 Repräsentant seines Lan-des bei der Europäischen Union in Brüssel,gesprochen.

adalbertusforum: Herr Botschafter, nach10 Jahren in der EU kann man Bilanzziehen. Wie wird Polen heute in der Euro-päischen Union bewertet?

Marek Prawda: Polen wird als ein Landbetrachtet, welches in dieser pessimistischenZeit eine positive Geschichte erzählen kann.Wir haben als einziges Land in Europa seit2008 ein kontinuierliches Wirtschaftswachs-tum, insgesamt 19 Prozent. So wird Polenals Erfolgsland angesehen. Wir sind keinLand mehr mit dem Etikett „Problem“, son-dern wir sind laut Meinung von Expertenein „Teil der Lösung“. Es ist dazu gekom-men, dass der Rest von Europa auf die inunserem Land oft schon seit vielen Jahrenangewandten Lösungen, guckt. Wie bei-spielsweise die öffentliche Verschuldunggebremst wird, ist bei uns in der Verfassungverankert, oder es gibt einen Bankengaran-tiefonds.

Polen wird zu Inspirationsquelle, einem Be-zugspunkt, für diejenigen, die die EU refor-mieren und die europäische Wirtschaft inSchwung bringen wollen. Als ich 2012 nachBrüssel gekommen bin und mit José ManuelBarroso gesprochen habe, habe ich von ihmgehört: Polen ist ein Land, dessen Stimmeeine Rolle spielt. Barosso versuchte mich zuüberzeugen, dass: „wenn Polen etwas Kon-kretes über seine Pläne über den Weg in dieEurozone sagen würde, würde das man sogarauf der Börse in Hongkong merken“. Erbetonte, es gäbe in Europa größere und bes-ser entwickelte Länder als Polen, aber derenSchwierigkeiten führten dazu, dass es an derBörse in Hongkong sicher zu keinen positi-ven Reaktionen kommen würde. Ich ver-stand das als Appell für größeres Engage-ment Polens im Kampf um das Überlebendes Euroraumes.Das zeigt einen Überschuss an Aufmerk-samkeit, den Polen in Brüssel momentanbekommt. Wir spüren die Ermutigung, sogarein Drängen, dass wir Polen eine größereRolle in Europa spielen und Verantwortungfür die Reformen übernehmen sollen. Das

alte Tandem Frankreich-Deutschland, wel-ches Europa früher nach vorne gebracht hat,hat heute nicht mehr so viel Kraft und nichtmehr so viel Vertrauensvorschuss wie frü-her. Es braucht Unterstützung von unter-schiedlichen Partnern in unterschiedlichenAngelegenheiten.

Worin sehen Sie denn die Gründe für dieKrise des Euro?

Zu Beginn sind Länder der Eurozone beige-treten oder aufgenommen worden, die völ-lig unvorbereitet waren und nicht sehen woll-ten, dass eine gemeinsame Währung Fiskal-disziplin und Reformen im eigenen Landverlangt. Heute muss man sich deshalb aufVerbesserungen und Hilfen für die Schul-denstaaten konzentrieren. Denjenigen Staa-ten, denen es reicht, wenn sie in einer losenBeziehung mit dem Kern der EU zusam-menarbeiten, sollte man auch nicht zu vielAufmerksamkeit widmen. Sie dürfen aberdie Vertiefung der Integration in engerenKreisen nicht blockieren.

Der ehemalige französische Präsident Valé-ry Giscard d’Estaing sagte vor gar nicht lan-

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6 adalbertusforum Nr. 48 Dezember 2013

Polen im AuslandAußerhalb Polens leben 14 bis 17 Mil-lionen Polen.

USA 6–10 MillionenDeutschland 1,5 MillionenBrasilien 1 MillionFrankreich 1 MillionKanada 600.000Belarus 400.000–1 MillionUkraine 300.000–500.000Litauen 250.000–300.000Großbritannien 150.000Australien 130.000–180.000Argentinien 100.000–170.000Russland 100.000Tschechien 70.000–100.000Kasachstan 60.000–100.000

Der Rest verteilt sich auf andere EU-Länder wie Irland, Schweden, Spanienetc.

Als Auslandspolen gelten hier diejeni-gen, die noch die polnische Staatsbür-gerschaft haben, aber auch Menschenpolnischer Abstammung.

Quelle: www.poland.gov.pl

ger Zeit, dass man gar keine Länder mehr indie Eurozone aufnehmen solle mit einer Aus-nahme: Polen! Das ist sicherlich ein Zei-chen der Anerkennung für Polen als einemverantwortungsvollen Teilnehmer in demeuropäischen Projekt.

Man muss hier aber eine wichtige Anmer-kung machen: Polen will sicherlich keinenBeitrag dazu leisten, dass es zu einerer Spal-tung der EU kommt, zwischen denen die dieWährung haben und denen, die den Euronicht wollen oder bekommen. Das wäre derWeg zur Entstehung von zwei Unionen, zweiparallelen Entscheidungssystemen. Und daskönnte schließlich dazu führen, dass der Pro-

Drittens ist Polen notwendig für diejenigen,die daran erinnern, dass die EU auch dafürangetreten ist, die Unterschiede zwischenden Armen und Reichen auszugleichen. Die-ser Grundsinn der Integration führt die Poli-tik der Kohärenz. In Brüssel weiß man, dassdie Mittel dafür nicht immer und nichtüberall richtig ausgegeben werden. Auch wirhaben damit Probleme. Aber Polen gewannden Ruf eines Landes, das das relativ gutmacht, und weil Polen der größte Empfän-ger der Zuschüsse ist, hängt auch davon derRuf der Integrationspolitik ab. Viertens: un-

ser Vorzug ist Wan-del. Man kann allesüber Polen sagen,aber nicht, dass Po-len sich nicht ver-ändert. Brüsselbraucht eine Spra-che, die diese Ver-änderung erklärenkann, ihren Sinn er-läutern kann. Wirkennen so eineSprache, weil wirden Prozess der Ver-änderungen gegan-

gen sind. Brüssel weiß, dass die Reformen,auch wenn sie wehtun, unvermeidlich sind,aber Brüssel kann davon viele Länder nichtüberzeugen. Auch in diesem Anliegen zähltdie Stimme aus Warschau.Erlauben Sie mir bitte einen Exkurs an die-ser Stelle. Für uns Polen ist der Begriff Frei-heit so etwas ähnliches, wie ein Grundnah-rungsmittel, wir sind mit der Freiheit assozi-iert. Es ist also wertvoll in der EU zu sein,weil die Mitgliedschaft für uns doch eineRückkehr in die Freiheit war. Die Geschich-te der EU als Projekts des Friedens sollteman mit der Geschichte über die Freiheitergänzen. Und wer sonst, wenn nicht wir,soll diese Geschichte erzählen? Das würdebei der Erklärung helfen, warum Europa ei-nen tieferen Sinn hat. Wir haben in Erinne-rung die Folgen der polnischen Teilungen,des II. Weltkrieges und des Kommunismus– also des Mangels an Freiheit. Aber wir

haben auch die Erfahrung, dass man wiedergewonnene Freiheit für Reformen nutzenkann und warum sollte unsere Erfahrungkeine Ermunterung für andere Länder sein,die Freiheit zur Durchführung tiefer Refor-men zu nutzen – überall dort, wo es an Eiferfehlt?

Joachim Gauck hat mich vor seinem erstenBesuch in Polen gefragt, wie wir in Polenheute Freiheit definieren. Weil seiner Mei-nung nach die Polen, wie auch die Amerika-

■ Am 1. Mai 2004 wird die Europa-Flagge in Polen gehisst.

ner immer schon eine besondere Beziehungzu diesem Anliegen hatten. Ich antwortete,dass Freiheit nach 1989 für uns das Zurück-gewinnen des Einflusses auf die Realität be-deute.

Ist das positive Bild Polens nur ein Bild derBeamten in Brüssel oder hat der durch-schnittliche Europäer inzwischen auch eineandere Meinung über Polen, als vor 10oder 20 Jahren?

Wahrscheinlich schon. Das liegt sicher auchan den vielen Polinnen und Polen, die insAusland gegangen sind und dort arbeiten.Sie alle haben die polnische Dynamik, An-passungsfähigkeit und Weltoffenheit. Siesind lebendige Visitenkarten des neuen Po-len, welches seine Identität aus den Erfah-rungen der letzten 20 Jahre zieht undnicht aus der Betrachtung der Vergangen-

■ Logo der polnischen EU-Rats-präsidentschaft 2011.

zess der europäischen Integration ge-schwächt würde und wir uns der Vorteileberauben, die wir durch den großen, einheit-lichen europäischen Markt haben.Noch einmal zurück zu der Wertschätzung,die Polen heute in Brüssel genießt. WelcheGründe sind da ausschlaggebend?Polen hat sich inzwischen in der Rolle alsBindeglied und Vermittler zwischen der Eu-rozone und dem Rest spezialisiert. Wir pas-sen auf, dass die neuen Mechanismen derZusammenarbeit einen offenen Charakterhätten. Zweitens: in Brüssel ist man der Auf-fassung, dass Polen mit seiner Erfahrung derTransformation nach der Wende 1989 den-jenigen Argumente liefert, die heute dafürsind, dass die Standards der Budgetpolitikerhört werden sollen. Für diejenigen, dieglauben, dass sich ohne Strukturreformendas Vertrauen der Finanzmärkte nicht wie-der gewinnen lässt.

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Nr. 48 Dezember 2013 adalbertusforum 7

heit. Die durch-schnittlichen Euro-päer wissen, dassPolen ein Land dergelungenen Trans-formation und desWandels ist, einLand welches nachFreiheit strebt. Diepositiven Assoziati-onen werden immerstärker. Aber für ei-nen durchschnittli-chen Europäer istPolen immer nochin einer unbestimm-ten Grauzone. Manmuss Polen sozusa-gen erst aus diesem „Sack“ holen. Die Wirt-schaftsentwicklung und die größere Präsenzauf der politischen Bühne sind da unheim-lich wichtig, aber das ist nur die Grundlage.Auf das Image eines Landes haben auchseine Geschichte, die Kultur, das touristi-sches Angebot, die Lebensweise und natür-lich der Sport Einfluss. Die Fußball-EM 2012hat sicher zum Imagegewinn beigetragen.Aber die Spezialisten von der nationalenMarketingagentur sagen, dass Imagekampa-gnen nur dann erfolgreich sind, wenn es zueiner realen Veränderung kommt. „Verände-rung“ scheint jetzt der größte Vorzug Polenszu sein. Es ist wichtig, dass wir selber daranglauben, dass wir vorwärts gehen und daswir über uns auch anders denken und redenals früher.Und man muss auch eine „klare Andersar-

■ Bundespräsident Joachim Gauckbei seinem Antrittsbesuch in Polenam 27. 3. 2012 mit Polens PräsidentBronisław Komorowski.

tigkeit“ oder Besonderheit und einer Spra-che haben, die darüber erzählt. Meiner Mei-nung hat z. B. die polnische moderne Kunstso eine Sprache erfunden und unter anderemdeswegen hat sie so viel Erfolg im Ausland.Was tun Sie denn, damit das positive Bildauf Dauer bleibt?Ich beantworte die Frage etwas hinterlistig:die größte Stärke Polens ist die bewieseneFähigkeit seine eigene Schwächen zu be-kämpfen. Wir nutzen den Kredit eines Lan-des, das den Abstand aufholt. Trotz unserenSchwächen zeigen wir, dass wir zurecht-kommen. Hier in Brüssel erlebe ich, wie

sehr die Europäische Kommission, die Be-amten Polen fast schon anfeuern, damit Po-len die Geldmittel gut ausnutzt, damit diePolen den Mangel an Infrastruktur verrin-gern können. Dieser große Finanzzuschlag,den wir im Rahmen des europäischen Bud-gets für die Jahren 2014 bis 2020 bekom-men haben, ist gerade das Ergebnis dessen,wie wir bislang mit unseren Schwächen um-gegangen sind.Ein letztes Thema:. 2004 nannte man denBeitritt der 10 Staaten „Osterweiterung“ –heute ist im Zusammenhang mit Polen nurnoch selten von Osteuropa die Rede.In der traditionellen Aufteilung in West undOst waren wir meistens in der Rolle derPeripherien gesehen worden, als Quelle derSorgen, der billigen Arbeitskräften oder alsEmpfänger von pädagogischen Ratschlägen.Im Vergleich zu den erstaunlichen und teu-ren Schwierigkeiten im Süden Europas wur-de aber das Werk der neuen Mitgliedsländerin Osteuropa deutlicher, ihre Konsequenz inReformeifer und Fiskaldisziplin.Deutschland entdeckte, dass es mit dembislang nicht besonders geschätzten Nach-barn im Osten, jetzt immer mehr verbindetals mit den meisten Kollegen aus der Euro-zone! Deutschland und Polen näherten sichtrotz großer Unterschiede im Potenzial,durch dieselben politischen Instinkte undRezepte gegen die Krise an. Polen zeigtesich, als Land, das etwas anbieten kann, dasein wichtiger Verbündeter sein kann.

Herr Botschafter – Vielen Dank für dasGespräch.

„Immer bei der Arbeit! Das sind wir – Polen“betitelte ungläubig die Gazeta Wyborcza eineWochenendausgabe im November 2011 undschrieb den polnischen Beschäftigten dielängsten Arbeitszeiten in Europa zu. Zwarliegt die wöchentliche Arbeitszeit laut Ar-beitsgesetzbuch bei moderaten 40 Wochen-stunden, aber diese Vereinbarung wird aufvielfache Weise unterlaufen. Millionen vonPolen haben darüber hinaus neben ihrem ei-gentlichen Job noch eine Nebenbeschäfti-gung, einen Werkvertrag oder sie arbeitenauf eigene Rechnung. Die Optimisten sehenin dieser Entwicklung eine Bekräftigung derThese vom enormen Fleiß der Polen undihrer Aufsteigermentalität, wobei die materi-alistische Orientierung der polnischen Ge-sellschaft nach der Wende einen entschei-denden Faktor für das „Wirtschaftswunderan der Weichsel“ darstelle. Mit dem wirt-schaftlichen Wachstum und dem liberalenArbeitsmarkt stieg der polnische Konsum vonJahr zu Jahr an, allen Unkenrufen zum Trotzgeben die Polen immer mehr aus – sie holenauf. Pessimisten verweisen auf andere Ent-wicklungen, etwa auf die verbreitete Aus-beutung der Arbeitnehmer im Gewand desManchester-Kapitalismus, der letztlich für dieökonomischen Erfolge des Landes verant-

wortlich sei. Nach dieser Lesart stellt diebillige Armee von Arbeitnehmern im polni-schen Wirtschaftsleben den entscheidendenWettbewerbsvorteil dar, der Polen im Zugeder Globalisierung zwar einen immer größerwerdenden Kuchen (sprich: BIP) beschert,aber gleichzeitig einen schwachen und unsi-cheren Platz in der Wertschöpfungskette zu-weist.Mit anderen Worten: Das ausländische Kapi-tal, das z. B. den Löwenanteil der polnischenExporte generiert, platziert in dem Land le-diglich solche Produktionsstätten, die in demjeweiligen Heimatland zu teuer gewordensind. So konnte das Land der Krise einiger-maßen trotzen. Aber mittlerweile ist der Kos-tendruck auch in Polen zu spüren: Die weni-gen entscheidenden Prozente bei der Gewinn-spanne gehen nicht selten zu Lasten der Ar-beitnehmereinkommen, die zwar, über einenlängeren Zeitraum betrachtet, deutlich ge-stiegen sind, aber mit einem Bruttobetrag vonca. 7,10 Euro pro Stunde immer noch deut-lich unter dem europäischen (23,10 Euro)oder deutschen (30,10 Euro) Durchschnittliegen. Das bedeutet: den Gürtel enger schnal-len – und dies gilt für alle abhängig Beschäf-tigten, denn auch eine Vollzeitstelle bedeutetheute nicht unbedingt ein üppiges Einkom-

men: Weit mehr als die Hälfte der polnischenBeschäftigten verdient weniger als der Ein-kommensdurchschnitt. Polens Trumpfkartesei demnach instabil und austauschbar. Die,die Arbeit haben, sehen die Entwicklung mitSorge: Nach einer langen Aufholjagd stag-nieren die Realeinkommen, die Schere zwi-schen Arm und Reich wird größer, die Zu-kunftsaussichten sind unsicher. Und auf deranderen Seite der Modernisierungsentwick-lung stehen auch noch ca. zwei MillionenArbeitslose und eine vergleichbare Zahl vonMigranten, die seit 2004 das Land in Rich-tung Westen verlassen haben. Kein Grundzum Optimismus also.

Die Krise und die „neuenArbeitsplätze“Es klingt erstaunlich, aber Polen trotzte derWeltwirtschaftskrise von 2008-2009 sogareine kleine Wachstumsrate ab. Viele Men-schen haben bis heute das Bild vor Augen,wie Premierminister Donald Tusk vor einerKarte steht, auf der Polen als einzige „grüneInsel“ in einem rot bis tiefrot markierten Eu-ropa leuchtet. Aber diese Zeit ist vorbei. Dietrübe Stimmung im Jahr 2012 hat damit zutun, dass die herkömmlichen Wachstumspo-tenziale bereits ausgeschöpft sind und Ideen

Der schöne Schein – Arbeiten in Polen

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für neue Wege wirtschaftlicher Expansionfehlen. Hinzu kommen nicht erledigte Haus-aufgaben der Regierung, die notwendige Re-formen nicht entschlossen genug anpackt.Die Unternehmen reagieren darauf mit denihnen zur Verfügung stehenden Instrumen-ten, um so die Risiken möglichst gering zuhalten und was nicht selten auf Kosten derBelegschaft geht. Sie handeln also an einerStelle, an der der Staat den Unternehmen inden letzten Jahren deutlich entgegenkam undden Arbeitsmarkt liberalisierte (andere spre-chen dabei vom „Versagen des Staates aufKosten der Schwächeren“). So werden Neu-anstellungen heutzutage kaum noch in Formvon regulären Arbeitsverträgen, sondern nurnoch mit Hilfe von „zivilrechtlichen Verein-

barungen“ getroffen, die scheinbar für beideSeiten von Vorteil sind, in der Praxis aber dieRisiken auf die Schultern der Mitarbeiter ver-lagern. „Junk-Jobs“ (umowy śmieciowe) wer-den die meisten Formen der heute weit ver-breiteten Beschäftigung genannt, egal, ob essich um Werkverträge, Praktika oder einesogenannte Auftragsvergabe an Selbstständi-ge handelt. In der Regel werden solche For-men prekärer Arbeitsverhältnisse nämlich vonder Arbeitgeberseite aufgezwungen und mi-serabel bezahlt.

Soziale (Un)sicherheitNiemand geht in Polen wegen der ärmlichenVerhältnisse auf die Straße, abgesehen viel-leicht von Krankenschwestern und Bergleu-

ten, zwei – was dieEinkommenssituati-on angeht – nicht zuvergleichenden Be-rufsgruppen. War-um die Gewerk-schaftsbewegungseit 1989 so schwachgeworden ist liegtsicherlich an derVerstrickung derGewerkschaftsfunk-tionäre in der Poli-tik, den Bruder-kämpfen zwischenSolidarność und derfrüher regimetreuenOPZZ und dem ek-latanten Schwundan Mitgliedern.

Heute gehören nuretwa 2 Mio. Arbeit-nehmer in Polen ei-ner Gewerkschaft anund das fast aus-schließlich in gro-ßen Betrieben mitStaatsbeteiligung.Dagegen sind große

Bereiche der Privatwirtschaft „gewerkschafts-frei“.Vor allem protestieren die jungen Menschennicht. Die großen Jugenddemonstrationen derJahre 2011 und 2012 waren politisch, nichtökonomisch motiviert oder richteten sich z. B.gegen das geplante ACTA-Abkommen, dasdie Autorenrechte im Internet stärker unterden Schutz des Staates stellen wollte. Ausschlechter Bezahlung, miesen Zeitverträgen,unerlaubten Überstunden und der allgemei-nen Unsicherheit auf dem Arbeitsmarkt istbis jetzt kein nennenswerter Widerstand ent-standen. Mal liegt das daran, dass jede Ar-beit, selbst eine schlecht bezahlte, besser istals keine, mal daran, dass die Mehrheit derPolen den ökonomischen Erfolg als Persön-lichkeitsmerkmal definiert und nach wie vorvon einer starken Aufstiegsmentalität geprägtist. Nicht der Staat wird in erster Linie für diesoziale Misere und deren Bekämpfung ver-antwortlich gemacht. Davon zeugt die Tatsa-che, dass die eklatanten Löcher im staatli-chen Leistungskatalog seit Jahrzehnten ge-duldet werden: Die Polen können sich wederbei der medizinischen Versorgung, noch imFall der Arbeitslosigkeit, noch bei ihren Ren-ten- und Altersbezügen auf tatsächlich wirk-same staatliche Sozialnetze nach westlichenStandards verlassen. Trotz der wirtschaftli-chen Potenz der letzten zwei Jahrzehnte giltauch hier die Devise, dass der Staat bei Sozi-alausgaben sparen muss und dass Polen ebennoch nicht zu den entwickelten Staaten desWestens aufgeschlossen hat („kraj na dorob-ku“). So gilt die soziale Unsicherheit als einefeste Komponente der polnischen Gesell-schaft der Nachwendezeit.

Aufstieg in die MittelschichtBisweilen wird die öffentliche Meinung vonden Traumbildern einer heilen Welt be-

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herrscht, wie sie diverse Telenovelas im pol-nischen Fernsehen vermitteln: Auch wenndie Familien dort nicht mehr intakt sind, sobleibt doch die „Verpackung“ sehr nahe anden Dingen, an denen sich die polnische Mit-telklasse und die, die dazugehören wollen,orientiert: solide gebaute, großzügige Einfa-milienhäuser, eine schicke Markenausstat-tung, interessante Jobs in der Werbebrancheoder in angesagten Medien, dazu häufigeAuslandsreisen, die Kinder auf Privatschu-len, ein dickes Auto deutscher Herkunft oderam besten zwei. Das ist die Verkörperung dernachholenden Modernisierung im Konsum-bereich. So wie einst die Adelsschicht oderdie humanistisch gebildete „Inteligencja“Orientierungspunkte für die Gesellschaft be-reithielt, so sind es heute die erfolgreichenManager in ihren Turmpalästen aus Glas. Die-ser materialistische Traum motiviert die meis-ten Polen, sich ihren Platz in der Gesellschaftzu erarbeiten, um wie auch immer aufzustei-gen. Und wenn der Arbeitgeber die Konsum-vorstellungen nicht voll befriedigt, so wirdnicht um mehr Lohn, sondern um einen Ne-benjob gekämpft. Koste es, was es wolle.

Demografischer WandelDiesen Weg geht auch die polnische Jugend.Alle, aber vor allem die jungen Leute be-kommen die Auswirkungen des demografi-schen Wandels zu spüren. Das vor zehn Jah-ren formulierte Manifest „Generation Nichts“von Kuba Wandachowicz wirkt heute nichtweniger dramatisch, da sich die Rahmenbe-dingungen für junge Absolventen und Ar-beitssuchende eher noch verschlechtert ha-ben. Während die hohen Überschüsse dergeburtenstarken Jahrgänge vor allem durchdie Migration in den Jahren 2004–2008 denArbeitsmarkt erleichterten, so ist die schlechteLage von heute und die illusionslose Pers-

pektive der polnischen Jugendlichen als Fol-ge der lauernden Krise zu bezeichnen. DerRegierungsbericht „Jugend 2011“ listet ei-nen Katalog von Frustrationspotenzialen jun-ger Menschen in Polen auf: Sie reichen vonUnsicherheit auf dem Arbeitsmarkt überWohnraumprobleme bis hin zu Dilemmata inBezug auf Partnerschaft und Kinderwunsch.

Verantwortlich für die hohe Frustration istzum großen Teil der sich explosionsartig ent-wickelnde Bildungsboom, der bereits mehrals 50 % der polnischen Jugend einen Hoch-schulabschluss sicherte, dessen Qualität aberzunehmend in der Kritik steht. Bereits 2010wies die Migrationsforscherin KrystynaIglicka auf den „mismatch“ zwischen (ho-her) formeller Bildung, die weder in Polennoch im Ausland nachgefragt wird, und den(niedrigen) Anforderungen bei den tatsäch-lich ausgeübten Tätigkeiten junger Menschenhin, der letztlich zu einem „brain-waste“führt. Dieser Prozess spitzte sich weiter zu,Hochschulen wurden zu „Produktionsstättenvon Magistern“ und verloren ihren guten Ruf.

Die Tatsache, dass aufgrund des demografi-schen Wandels immer weniger Kinder undJugendliche Schulen und Ausbildungsstättenaller Art besuchen, führt dagegen gegenwär-tig nicht zu einer Verbesserung von derenQualität, etwa durch Verkleinerung der Klas-senstärken oder Verpflichtung von besondersengagierten Pädagogen und Spezialisten.Vielmehr wurden Lehrer entlassen und dieAnforderungen an die Studenten und das Per-sonal der Hochschulen wurden herunterge-schraubt. Die prekäre Beschäftigungssituati-on führt bei vielen jungen Erwachsenen zueiner reinen Abwehrhaltung.

Ältere Arbeitnehmer, die 30- bis 50-Jähri-gen, die den wirtschaftlichen Wandel im Landverantworten, lebten lange Zeit über ihre Ver-hältnisse. Sie täuschten vor, dass sie inner-halb kurzer Zeit alles aufholen könnten, wasihnen und ihren Eltern zuvor verwehrt war:Sie besetzten die lukrativen Stellen in Wirt-schaft, Medien und Verwaltung, nahmen Dar-lehen für Immobilien auf und weigerten sichzunehmend, Kinder zu kriegen. Lange Zeitgalten sie als erfolgreich, heute hört manimmer mehr, dass dieser Erfolg nicht seltenschwer erkauft ist: Es entstehen Versagens-

ängste und Phänomene wie „burnout“, diedurch einen massiven Einsatz von Psycho-pharmaka behandelt werden müssen. Die et-was älteren Vertreter der Generation 50-Plusspüren dagegen den „Sandwich-Effekt“ – einLeben zwischen noch nicht auf eigenen Bei-nen stehenden Kindern (bis zu 60 % der un-ter 30-Jährigen sind erzwungene Nesthocker)und den schon vom Alter gezeichneten El-tern, für die es oft keine bezahlbare Pflegegibt. Hinzu kommt die Angst vor dem 56.Geburtstag. Da ältere Arbeitnehmer Kündi-gungsschutz genießen, wollen Arbeitgeberdiese vorher noch schnell loswerden. Dasgrößte Problem aber werden die schwinden-den Altersrenten sein – und polnische Rent-ner gehörten nie zu denen, die mit ihremErsparten angegeben hätten. So wird es wei-terhin bleiben, mit einer Tendenz nach unten,denn die heute unter 40-Jährigen werden nurnoch Almosen bekommen und sollen privatvorsorgen. Dafür reichen die Mittel aber oftnicht aus. Andrzej Kaluza

Zu diesem Thema ist auch ein Bucherschienen:

Jahrbuch Polen 2013ArbeitsweltHerausgegeben vom DeutschenPolen-Institut Darmstadt,Wiesbaden 2013, 190 S., Preis: 11,80,ISBN 978-3-447-069014,Bestellung: [email protected]

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Im nächsten Jahr „feiert“ der Erste Weltkriegsein hundertstes Jubiläum. Brach er aus oderwurde er entfesselt, wie es in der historischenDarstellung der letzten 100 Jahre oft hieß?Ein Krieg ist immer eine Katastrophe, aberniemals ein Naturereignis. Es gibt strukturel-le Ursachen und persönliche Verantwortlich-keiten. Im August 1914 waren einige Verant-wortliche bemüht, den Krieg zu verhindern,aber eine Mehrheit der Verantwortlichen woll-te endlich eine Entscheidung, überzeugt da-von, sie in kürzester Zeit auch zu Wege zubringen. Daraus wurde ein unerbittlicher, bru-taler Krieg, der sich über mehr als vier Jahrehinzog und sich in mehreren Erdteilen ab-spielte.Im Ersten Weltkrieg ging es in erster Linie umVorherrschaft der großen Mächte: Russland,Großbritannien, Frankreich, Deutschland,Österreich-Ungarn. Die kleinen Mächte über-rannte man (Belgien), machte sie zum Spiel-ball (Albanien) und die mittleren versuchteman zu instrumentalisieren (Italien, Osmani-en, Bulgarien).Die Auseinandersetzung zwischen Deutsch-land, Österreich-Ungarn und Russland um diegemeinsame Grenze war nur ein Teil davon,aber ein – anfangs unterschätzter – wichtigerTeil. Für die Polen ging es um die zentraleAufgabe der letzten 200 Jahre: Die Wiederer-richtung einer polnischen staatlichen Eigen-ständigkeit. Für keine der Teilungsmächte wardas am Anfang eine Option. Aber im Laufedes Krieges erhofften sich Deutschland und

1914–2004 – Vor 100 Jahren begann der I. WeltkriegÖsterreich-Ungarn einen Vorteil daraus, einKönigreich Polen wiederzuerrichten, aller-dings nur auf dem Territorium des russischenZaren. Posen wie Galizien sollten bei Preu-ßen wie Österreich bleiben. Das war halbher-zig und anachronistisch. Ein Schulterschlussmit polnischen Nationalisten, wie General Jó-zef Piłsudski ließ sich so nicht herstellen. Erstdie Oktoberrevolution der Bolschewiki 1917eröffnete den damaligen Mittelmächten eineMöglichkeit, Polen wiederauferstehen zu las-sen, ohne eigene Ansprüche aufgeben zu müs-sen. Doch das war zu kurz gedacht. Die Nie-derlage war nicht wirklich aufzuhalten, nichtzuletzt durch den Kriegseintritt der US-Ame-rikaner, provoziert durch den unbegrenztenU-Boot-Krieg, der das US-PassagierschiffLouisiana traf.Nach Veröffentlichung der 14 Thesen des US-Präsidenten Wilson wurde heiß diskutiert, wasdas darin postulierte „Selbstbestimmungsrechtder Völker“ bedeutet. Klar war: Polen soll alsStaat wiedererstehen. Aber wie weit geht Po-len?Die Menschen im Danziger Raum waren pol-nischer oder deutscher Nationalität, beideNationen haben eifrig hin- und hergerechnet,um damit Ansprüche rechtfertigen zu kön-nen. Aber wie oft war in einem Menschennicht einfach ein Entweder-Oder sondern einSowohl-als-auch vorhanden. Germanisie-rungsbestrebungen vor dem Ersten Weltkriegführten zu Eindeutschungen, Polonisierungs-bestrebungen danach zum umgekehrten Er-

gebnis. Nur, dass die Nationalisten auf bei-den Seiten, ihre „Truppen“ bereit machten.Kaschuben waren dabei noch gar nicht be-achtet. Mitgezählt wurden sie jedoch von bei-den Seiten und nach ihrem eigenen Verständ-nis einer Staatsangehörigkeit wurde nicht ge-fragt.Die Gewinner wollten Polen einen Zugangzum Meer eröffnen, aber sie wussten, dassdie Bevölkerung Danzigs mehrheitlich nichtpolnisch werden wollte. Also wurde Danzigzur Freien Stadt erklärt. Das Gebiet zwischenDanzig und Thorn, zwischen Schneidemühlund Kulm war „Mischgebiet“. Aber die da-malige herrschende Meinung erforderte „na-tionale Klärung“. So wurde im Jahr 1919 dasGebiet polonisiert. Menschen, die sich demdeutschen Kulturkreis zurechneten und nichtzur Republik Polen gehören wollten, gingenins Reichsgebiet oder zur Freien Stadt Dan-zig. Der deutschstämmige Anteil der vorheri-gen Provinz Westpreußen sank rapide. Polenhatte mit Thorn/Toruń und Bromberg/Byd-goszcz wichtige Städte im neuen National-staat und mit dem – von deutscher Seite sogenannten – Korridor auch einen Landstrei-fen zur Ostsee. Die Auseinandersetzung umden Korridor und um die Position Danzigs alsvolksmäßig deutsche, aber wirtschaftlichwichtige polnische Hafenstadt, begleitete alleAuseinandersetzungen der zwanziger unddreißiger Jahre. Das macht die Forschungenzu den Jahren 1919 bis 1939 weiterhin sospannend. Norbert Czerwinski

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Unsere 15. Deutsch-Polnische Studientagung in Danzig/Gdańsk war ein Experi-ment. Erstmals fand die Studientagung im Sommer an der Stelle eines Gementref-fens statt. So war es auch erstmals möglich, die Studientagung und Begegnung umein Programm II zu erweitern und so auch jungen Erwachsenen, Schülern undStudenten in den Schul- und Semesterferien die Teilnahme zu ermöglichen. DasExperiment ist geglückt. Die Tagung war ein voller Erfolg, inhaltlich und besondersathmosphärisch. Auf den folgenden Seiten finden Sie / findet Ihr Berichte undEindrücke von der Tagung. Bilder sind auch auf den Umschlagseiten zu betrachten.

erinnern – verstehen – bewegen

15. Deutsch-PolnischeStudientagung in Danzig/Gdańskvom 28. Juli bis 4. August 2013

Vor vielen Jahren war ich schon mal in Dan-zig. Ich kenne Danzig. Eine unglaublichschön restaurierte Stadt. Ich freue mich da-rauf, die mir bekannten Straßen noch einmalentlang zu gehen.

Die Teilnehmer der Deutsch-Polnischen Stu-dientagung des Adalbertus-Werk e.V. woh-nen komfortabel im Studentenheim in derInnenstadt. Ich weiß, wie ich in die Stadtkomme: raus aus dem Gebäude, dann rechtsdurch die Unterführung. Eigentlich wollteich am ersten Tag auf eigene Faust loszie-hen, ich kenne mich ja aus!

Ich beschließe dann aber doch, beim Stadt-rundgang mitzugehen, da der ja „Abseitsder Touristenrouten“ führen würde. WiderErwarten gehen wir auch nicht rechts, son-dern links und bleiben gleich an einem düs-teren Gebäude stehen. Das Institut der Bio-technologie der Universität Danzig ist dortuntergebracht. Früher war hier die Viktoria-schule. Hinter diesen Mauern sind in denersten Kriegstagen Menschen von Nazisumgebracht worden. Wir sind mit derdeutsch-polnischen Vergangenheit konfron-tiert. Es geht weiter zu einer der vielen Kir-chen (St. Peter und Paul). Der engagiertePfarrer erzählt, dass er mit großer Leiden-schaft diese Kirche mit Spenden wieder auf-gebaut und restauriert hat. Sein ganzer Stolzist ein Marienbildnis am Altar. Es ist durchein zweites verdeckt. Wie ein Bühnenvor-hang hebt sich dieses mit musikalischer Be-gleitung. Es ist ein wenig dramatisch, be-rührt und entlockt einem dennoch auch einSchmunzeln. So etwas habe ich noch nichtgesehen. Das Geburtshaus von Daniel Fah-renheit in der Danziger Hundegasse wäremir wohl ohne kundige Führung kaum auf-gefallen. Nun weiß ich, dass er in Danziggeboren wurde und eine der vielen schönenGassen hat für mich mehr als nur einenNamen bekommen. Wir kreuzen die Lang-gasse, an dem die prächtigsten Gebäude derStadt stehen und gehen weiter zur „Polni-schen Post“. Alles ist ruhig und friedlich,und man kann sich kaum vorstellen, dasshier einer der Schauplätze der Angriffe war,die den Zweiten Weltkrieg einleiteten.

Wir werden angehalten, uns nicht zu langein der Brigittenkirche oder der Jakobskirche

aufzuhalten, da wirdoch noch einigesauf dem Programmhätten. Doch nunweiß ich schon, woich später allein hin-gehen werde. Wirsehen das Gebäudeder Danziger Biblio-thek der heutigen„Bibliothek der Pol-nischen Akademieder Wissenschaf-ten“. Das Nebenge-bäude war ein Gym-nasium und ist bisheute ein Lyceumgeblieben. Es ist nungar nicht mehr weitund wir landen amPlatz Solidarnośći.Hier steht das riesi-ge Denkmal für diegefallenen Werftar-beiter. Ja, es machtschon durch die schiere Größe einen mächtigenEindruck!

Am bewegendsten war der Besuch der Kircheund des ehemaligen Klosters St. Joseph. Wirhaben Zutritt zu einem Teil der Kirche, der nichtimmer zugänglich ist. Hier ist ein Denkmal.

Am 26. März 1945 wurde die Kirche, in dermehrere hundert Menschen Zuflucht gesuchthatten, darunterFrauen und Kinder,durch Soldaten derRoten Armee inBrand gesetzt. Manhatte damals die Kir-che von außen ver-riegelt. Die Men-schen sind qualvollverbrannt. Wir legenein paar Schweige-minuten ein und ichspüre eine große Be-klemmung.

Wir sind nun nurnoch ein paar Minu-ten vom Bahnhofentfernt und schaf-

Von oben nach unten:

■ Vor der Victoria-schule.■ Eine der Tafeln amDenkmal für die gefal-lenen Werftarbeiter.■ Denkmal am Hbf –„Züge zum Leben,Züge in den Tod“.

Orte die Bewegen

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fen es noch, das Denkmal „Züge zum Leben– Züge in den Tod“ zu sehen. Das aus Bron-ze gegossene Mahnmal stellt fünf Kinderdar, die ordentlich angezogen mit ihren klei-nen Köfferchen warten. Ein Kind hält einenTeddy im Arm. Sie wurden von ihren Elternweggeschickt, um den Nazis zu entkom-men. Nicht der Anblick des Denkmals machteinen zu schaffen, sondern das Empfinden,das es hervorruft. Was für eine unerträglicheVorstellung, die eigenen Kinder ins Unge-wisse schicken zu müssen. Nicht zu wissen,wann und vor allem ob man sie jemals wie-der sehen wird …

Gut, dass ich mich am Morgen für diesenetwas anderen Rundgang entschlossen hat-te, obwohl ich ja meinte mich auszuken-nen …

Die Stadt, die ich zuvor kennen gelernt hat-te, war schön, beeindruckend, restauriert,mit prachtvollen Gebäuden.

Nun habe ich ein anderes Gesicht dieserStadt gesehen. Vielleicht nicht immer so an-mutig, dafür aber umso beeindruckender.

Von links: ■ Denkmal in der Josephskirche. ■ Friedhof dernicht existierenden Friedhöfe. ■ Inschrift auf der Gedenktafelam Friedhof der nicht existierenden Friedhöfe.

Am Nachmittag habe ich den Weg alleinvon hinten aufgerollt. Ich habe am „Fried-hof der nicht existierenden Friedhöfe“ be-gonnen.

Auf der Tafel steht sinngemäß, dass dieserOrt die Totenbestattung für alle ersetzen soll,die durch die Wirren der Geschichte, der

Niederlagen und des Krieges keine letzteRuhestätte gefunden haben.

„Es ist ein die Zeit überdauerndes Zeichendes Respekts der Menschen, die heute indieser Stadt wohnen, gegenüber denen, diesie in der Vergangenheit aufgebaut und ent-wickelt haben.“ Margot Werneck

Über die deutsch-polnischen Beziehungenhört man heute nur positive Dinge. Politiker,Wirtschaftsbosse, engagierte Menschen inVereinen und Verbänden oder aus Städte-partnerschaften und nicht zuletzt der Bun-despräsident loben das deutsch-polnischeVerhältnis über alle Maßen. Die Nachbarnmögen sich inzwischen, das zeigen die Zah-len: Es gibt über 600 Partnerschaften vonStädten, Regionen und Landkreisen von An-drychów mit Isny bis Żywiec mit Unterha-ching. Der Warenaustausch zwischen bei-den Ländern summiert sich in jedem Jahrauf etwa 80 Milliarden Euro und Deutsch-land ist seit mehr als zwei jahrzehnten Po-lens wichtigster Handelspartner. Der Kul-turaustausch blüht, es gibt Deutsche Kultur-institute in Polen und Polnische Institute inDeutschland, Forschungskooperation unddutzende polnische Fußballspieler in deut-

schen Vereinen und dank Robert Lewan-dowski steht mindestens einmal in der Wo-che etwas über Borussia Dortmund in polni-schen Zeitungen.Das hört sich alles gut an – sollte aber nichtdarüber hinwegtäuschen, dass es nach wievor Abneigungen gegen Polen in Deutsch-land und Vorbehalte gegenüber Deutschenin Polen gibt. Es kommt halt immer daraufan, wo man das deutsch-polnische Verhält-nis betrachtet. Im Saarland oder in Bayerninteressieren halt eher Frankreich oder Öste-reich und Polen steht ziemlich weit hintenin der Gunst der Menschen. In den Woje-wodschaften Lubelskie/Lublin oder Podkar-packie/Vorkarpaten ist es ähnlich – die Deut-schen sind eher uninteressant, sie kommenja auch selten dorthin.Um in unserer Betrachtung des deutsch-pol-nischen Verhältnisses diesen regionalen Un-

Die Vergangenheit spielt eine RolleZur Diskussion „Deutsch-Polnische Beziehungen in Danzig/Gdańskund Ermland-Masuren heute“

terschieden gerecht zu werden, hatten wiruns speziell die Beziehungen von Deutschenund Polen im heutigen Danzig und in Erm-land und Masuren für unsere Diskussion ge-wählt, wobei die meisten Aussagen der Ge-sprächsteilnehmer durchaus auch für die bei-den anderen Wojewodschaften in PommernGültigkeit haben.

Meine Gäste waren die Generalkonsulin derBundesrepublik Deutschland in Danzig/Gdańsk Annette Klein, die Vorsitzende derGesellschaft Polen-Deutschland Danzig/Pre-zes Towarzystwa Polska-Niemcy w Gdańs-ku Anna Misztal, Jarosław Gorecki, stellv.Vorsitzender des Rates der Stadt Danzig undUwe Hahnkamp, freier Journalist, Überset-zer und Redakteur des deutschsprachigenRadioprogramms „Allensteiner Welle“ inErmland und Masuren.

Tourismus, EU-Ratspräsidentschaftund Fußball-EMNatürlich waren sich auch in dieser Rundealle Teilnehmer einig, dass das deutsch-pol-nische Verhältnis noch nie besser war, alsheute und insbesondere in Danzig und in

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Ermland-Masuren eigentlich als vorbildlichzu bezeichnen ist. Für Annette Klein ist dasauch historisch bedingt und seit den 1970erJahren gewachsen: „Ich denke, die Vergan-genheit spielt für Nordpolen in zweierleiWeise eine Rolle. Zum einen wird in dieserRegion die Vergangenheit besonders deut-lich, zum anderen haben aber auch geradeFlüchtlinge, Aussiedler, Vertriebene sehr frühdie Möglichkeit genutzt, nach Polen zu rei-sen und mit ihren Heimatgemeinden wiederKontakt aufzunehmen und diese zu unter-stützen. Damit hat man früh wichtige Signa-le gesetzt und Inseln gebildet, von denen ausdie Zusammenarbeit immer mehr gewach-sen ist, Vertrauen wurde zurückgewonnenund das war sehr wichtig“. Gerade in denvergangenen Jahren haben darüber hinausauch immer mehr Menschen, die keinen fa-miliären Bezug zu Polen haben die polni-sche Ostsee, die Masurischen Seen oder dierekonstruierten Städte – gerade auch Danzig– als attraktives, weil auch noch preiswertesReiseland entdeckt. Und natürlich trägt auchdie jüngere Geschichte zum positiven Ver-hältnis zwischen Deutschen und Polen bei,meint die Generalkonsulin: „Ganz beson-ders intensive Impulse haben sowohl die pol-nische Ratspräsidentschaft in der EU, alsauch die Fußball-Europameisterschaft ge-geben. Wenn es eines besonderen Zeichensbedurft hätte, um zu zeigen, dass Polen inder Mitte Europas angekommen ist, dannwäre dies sicher die Ratspräsidentschaft ge-wesen. Und dann kam die EM, die vieleLeute zusätzlich auf die Idee gebracht hat,einmal Polen zu besuchen. Und natürlich

Danzig mit dem Viertelfinalspiel der Deut-schen hat da wohlverdiente Reklame be-kommen.“

Die Rolle der deutschen MinderheitenWährend in großen Teilen von Polen beiBegegnungen, Städtepartnerschaften oderSchüleraustausch echte Polen auf Deutschemit oder ohne Migrationshintergrund tref-fen, gibt es in Schlesien aber eben auch inDanzig und – sehr lebendig – in Ermland

habe ich den familiären Bezug, durch meineFamilie und ich gehe anders an die deutsch-polnischen Beziehungen heran. Die deut-schen Minderheiten sind sehr aktiv, sie sit-zen in den Gemeinderäten und Stadtparla-menten und viele Städte- oder Schulpartner-schaften sind durch das Engagement derMinderheiten entstanden. Und dann gibt esdie Vertriebenen und Spätaussiedler, die denKontakt zu ihren Heimatgemeinden suchen“.Ein besonderes Beispiel ist Osterode/Ostró-da in Masuren. Viele Vertriebene und Flücht-linge aus der Gegend hatten sich – absicht-lich oder zufällig sei dahin gestellt – in Os-terode im Harz niedergelassen und seit den70er Jahren ihre alte Heimat besucht. Heutesind das polnische und das deutsche Ostero-de Partnerstädte. Allerdings – so betontHahnkamp – lasse sich die deutsche Min-derheit in Ermland-Masuren nicht mit derdeutschen Minderheit in Schlesien gleich-setzen. „In Schlesien haben Sie alle 30 kmeinen Verein der deutschen Minderheit – beiuns leben die Menschen bis zu 200 km von-einander entfernt“.

Deutsch-Polnische GesellschaftenDeutsch-Polnische Partnerschaften zwischenMenschen wollen auch die deutsch-polni-schen Gesellschaften/Towarzystwa Polska-Niemcy fördern und herstellen. Die Arbeits-weise obliegt dabei natürlich jeder einzel-nen Gesellschaft und so gibt es sehr aktiveund weniger aktive Gruppen. Die Gesell-schaft Polen-Deutschland in Danzig gehörtzu den Aktiven. Es werden zahlreiche Ver-anstaltungen organisiert: Ausstellungen, Vor-träge, Exkursionen, mehrtägige Reisen duchdeutsche Landstriche oder auch Deutsch-kurse. Doch bei allen Aktivitäten geht es derTowarzystwo Polska-Niemcy w Gdańsku soähnlich, wie fast allen anderen Schwester-Gesellschaften in Deutschland und Polen.Junge Leute engagieren sich dort kaum bisgar nicht, der Altersdurchschnitt liegt jen-seits des Renteneintrittsalters. Anna Misztalgibt dies unumwunden zu, kennt aber auchkein Patentrezept, junge Leute zu gewin-nen. Helfen soll nun Kontakt zur Universi-tät. Im Grunde ist es erstaunlich, dass dieZahl der Anträge für Jugendbegegnungenbeim Deutsch-Polnischen-Jugendwerk ste-tig wächst – also das Interesse bei jungenMenschen an Begegnungen offensichtlichvorhanden ist, dies aber auf die deutsch-polnischen Gesellschaften offensichtlich kei-nerlei Auswirkung hat.

Die Wirtschaftsbeziehungen sind einMotor für die BeziehungenAls Politiker war zum Thema der Wirt-schaftsbeziehungen zunächst der stellv. Vor-sitzender des Rates der Stadt Danzig Jaros-ław Gorecki gefragt. Industrie in Danzig undin der Wojewodschaft Pomorskie sei heutekaum mehr ohne die Partnerschaften undVerflechtungen von deutschen und polni-schen Unternehmen möglich, erklärt er.Deutsche Unternehmen eröffnen immermehr Filialen in Polen. In Danzig hat Luft-hansa beispielsweise ein Büro für IT-Dienst-

■ Von rechts: Alicja Kędzierska (Übersetzerin), Anna Misztal, Annette Klein, JarosławGorecki, Jolanta Murawska, Uwe Hahnkamp und Wolfgang Nitschke (Moderator).

■ WinfriedDerow gehörtezu denen, die be-reits Anfang der1970er Jahre diealte Heimat unddie dort geblie-benen Verwand-ten besuchte.Von ihm stammtdas Bild der„Langen Brü-cke“ – damalsnoch mit vielenBaulücken.

und Masuren die „deutschen Minderheiten“,die sich in den deutsch-polnischen Bezie-hungen einen nicht unbedeutenden eigenenPlatz gesucht und gefunden haben. UweHahnkamp hat gerade durch das „Radio fürdie deutsche Minderheit“ viel mit den Or-ganisationen und Gruppen in den ehemalsdeutschen Gebieten in Ostpreußen zu tun.„Natürlich ist es für beide Seiten etwas an-deres, wenn man keinen familiären Bezugzum anderen Land hat und Kontakt nur ausInteresse sucht. Das war bei mir so – heute

■ Die Zeitung desDachverbandesder Deutschen Ge-sellschaften in Er-mland und Masu-ren ist neben demRadioprogrammder „AllensteinerWelle“ die zweitewichtige Aus-tausch- und Infor-mationsplattformder deutschenMinderheiten.

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leistungen eröffnet. Bayer hat einen Teil sei-ner Buchhaltungsdienstleistungen nun nachOliva velagert, und auch Dr. Oetker ist wie-der in Oliva vertreten – wie auch vor dem II.Weltkrieg. All das kann man sicher auch mitden vergleichsweise noch niedrigeren Löh-nen in Polen begründen (vgl. Artikel „Derschöne Schein – Arbeiten in Polen“). GroßeHoffnungen setzen die vier nördlichen Wo-jewodschaften Polens aber auch auf die „er-neuerbaren Energien“ – dort gibt es nämlichnoch ausreichend Platz für Windräder. Undaußerdem will Polen trotz Kritik das Schie-fergas ausbeuten. Deutsche Unternehmen ausdem Energiebereich zeigen deshalb starkesInteresse an Investitionen in Polen.

Wir dürfen nicht mit dem Erreichtenzufrieden sein

Die Bestandsaufnahme der „Deutsch-Polni-schen Beziehungen in Danzig/Gdańsk undErmland-Masuren heute“ konnte durchauszu dem trügerischen Verdacht führen, dassdie Aussöhnung und Partnerschaft fast 70Jahre nach dem Krieg bereits vollzogen sei.Das stimmt zum Teil sicher, aber wie brü-chig das Eis ist, haben in der Vergangenheit

■ GeneralkonsulinAnnette Klein undder stellv. Vorsit-zender des Ratesder Stadt DanzigJarosław Goreckiwährend des Inter-views für die„Allensteiner Wel-le“, die in einemausführlichen Bei-trag über die Stu-dientagung berich-tete.

diverse Kleinigkeiten gezeigt, die zu großenKonflikten führten. Wir erinnern uns sicheralle noch an die Umtriebe der „PreußischenTreuhand“, die Forderung des ehemaligenVorsitzenden der Schlesischen Landsmann-schaft nach Entschädigung der Vertriebenenoder – auf der anderen Seite – die abenteuer-liche Rechnung von Lech Kaczyński überdie Stimmrechte in der EU, bei der er mögli-che Nachkommen von Kriegstoten seinerBevölkerungszahl zurechnete.

Deutsche und Polen müssen weiter an ihrer

Partnerschaft arbeiten, vielleicht auch da-ran, ihre unterschiedlichen Mentalitäten zuakzeptieren.

Bleibt zum Ende nur noch die Frage, wergewonnen hätte, wenn die deutsche Fuß-ballnationalmannschaft und die AuswahlPolens im Finale der EM gestanden hätten.Polens Außenminister Sikorski beantworte-te die Frage recht einfach: Deutschland hät-te nur gewonnen, weil auch in der deutschenMannschaft mit Klose und Podolski Polenspielen. Wolfgang Nitschke

Dienstag, 30. Juli 2013 – Treffpunkt 9.00Uhr am Fischmarkt in Danzig.Von dort aus ging es an Bord einer „histori-schen Barkasse“ in Richtung Westerplatte.Die Schifffahrt auf der Mottlau, vorbei anden Werftanlagen und der Festung Weich-selmünde wurde schon zur Geschichtsstun-de für die Teilnehmer: Ausführlich wurdeder Kriegsausbruch am 1. September 1939beschrieben. Das Marineschulschiff Schles-wig-Holstein befand sich seit Ende Augustin Neufahrwasser im Danziger Hafenkanal.Am 28. August erhielt man den Auftrag, dieWesterplatte zu besetzen. Damit wurde dannam 1. September morgens um 4.45 Uhr be-gonnen. In den Geschichtsbüchern wird die-ser Angriff als Beginn des Zweiten Welt-krieges beschrieben. Beschuss und Bombar-dement der Westerplatte zogen sich bis zum7. September hin. Trotz einer riesigen deut-schen Übermacht hielten die polnischen Ver-teidiger ihre Stellung über eine Woche. Erstdann kapitulierten sie. Es wird beschrieben,

dass vor den abziehenden polnischen Solda-ten salutierende deutsche Offiziere demKommandanten den Säbel zurückgaben mitdem Recht, ihn während der Gefangenschaftzu tragen.

Am Schiffsanlegeplatz auf der Westerplatteempfing uns Mateusz Jasik, ein Mitarbeiterdes Museums des II. Weltkrieges, welcheruns sach- und fachkundig begleitete.

Wir besuchten die dortige Ausstellung, wel-che in vier Bereiche aufgeteilt ist: Der ersteTeil widmet sich der Entstehung der Halbin-sel und dem Kurort:

Die Festungen auf der Westerplatte warenviele Jahre ein Schutzsystem für die FreieStadt Danzig. In der zweiten Hälfte des neun-zehnten Jahrhunderts wurde die Westerplat-te zunehmend besiedelt und entwickelte sichzu einem Kur- und Behandlungsort von gro-ßer Beliebtheit bis zum Ende des ErstenWeltkrieges.

Der zweite Teil befasst sich mit dem ehema-

Der Beginn des II. Weltkriegs – Exkursion zur Westerplatteligen Munitionsdepot zwischen den beidenWeltkriegen:Der Versailler Vertrag legte fest, dass Dan-zig nicht Polen zuerkannt wurde, sondernzur Freien Stadt Danzig umgewandelt wur-de. Spannungen zwischen Polen und Danziggehörten zur Tagesordnung. Im Jahre 1924genehmigte der Völkerbund die Errichtungeines polnischen Munitionsdepots auf derWesterplatte.Im dritten Teil werden die Geschehnisse umden Ausbruch des Zweiten Weltkrieges do-kumentiert:Seit dem 1. September 1939 griff Deutsch-land Polen an. Die ersten Schusswechselfanden bei der Eroberung der Westerplattestatt. Die Verteidiger der Westerplatte gabennach sieben Tagen tapferer Gegenwehr auf.Und im vierten und letzten Teil wird dieRolle der Westerplatte in der Zeit nach 1945analysiert:Lange Zeit nach Beendigung des Zweiten

■ Festung Weichselmünde.

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Weltkrieges war die Westerplatte ein Sym-bol der Tapferkeit des von den Behördengehassten „bürgerlichen“ polnischen Vor-kriegsstaates. Erst in den sechziger Jahrenbegann man, polnische patriotische Traditi-onen zu instrumentalisieren und zu nutzen.1966 wurde ein Denkmal zu Ehren der Ver-teidiger errichtet, 1987 mahnte Papst Johan-nes Paul II.: „Jeder von Euch findet im Le-ben eine Westerplatte. Man darf nicht weg-laufen“.

Unser Westerplatte-Weg führte vorbei an denÜberresten von Bahntor und Grenzmauer,an den Überresten des Munitionslagers, anBildern des ehemaligen Kurortes und amDepot, weiter vorbei an Bunkern aus demJahr 1911, an Wachstube und neuer Kasernebis hin zum Denkmal der Küstenverteidiger.

Nach einem gemeinsamen Gruppenbild un-terhalb des Denkmales ging es zurück zurAnlegestelle und von dort mit der Barkassezurück nach Danzig. Ein geschichtsträchti-ger Teil des Programms mit vielen besinnli-chen und nachdenklichen Momenten.

Ingrid und Peter Henseler

■ Führung auf der Westerplatte durch Mateusz Jasik vomMuseum des II. Weltkrieges.

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Das Museum des II. WeltkriegesNachdem am Vormittag der Besuch des Or-tes auf dem Programm gestanden hatte, andem der II. Weltkrieg seinen Anfang nahm,ließen wir uns am Nachmittag von Prof.Piotr Majewski über die Konzeption undEntwicklung des Museum des II. Weltkrie-ges, das zur Zeit in Danzig gebaut wird,unterrichten. Parallel und in gewisser Weiseals Antwort auf die kontroversen Diskussio-nen um die Idee eines Zentrum gegen Ver-treibungen, das der Bund der Vertriebenenin Berlin errichten wollte, entstand in Polendie Idee, ein Museum des II. Weltkrieges zuerbauen. Am 70. Jahrestag des Beginns desZweiten Weltkrieges wurde die Gründungs-urkunde des Museums vom polnischen Mi-nisterpräsidenten, dem Danziger DonaldTusk unterzeichnet. Darin heißt es:„Unsere Absicht ist, dass das Museum desII. Weltkrieges, initiiert von Polen, einemLand, das besonders durch die Leidenser-fahrungen unter zwei totalitären Systemengeprägt ist, ein gemeinsames Werk vielerVölker wird, um zu gegenseitigem Verständ-nis ihrer Vergangenheit und Gegenwart bei-zutragen, zu einer Annäherung an die histo-rische Erinnerung jener Gesellschaften, diein Folge des Zweiten Weltkrieges auf langeZeit durch den eisernen Vorhang getrenntwaren.“Von Beginn an war also beabsichtigt, mitdem Museum einen umfassenderen Blickauf den Zweiten Weltkrieg zu richten undnicht in der Perspektive der polnischen Op-fer zu verharren. Jede Gruppe sollte sichwiederfinden können. Das ist ein ehrgeizi-ger und einmaliger Anspruch. Er knüpft aberauch an die Arbeit der bilateralen Schul-buchkommissionen an, die sich um einengemeinsamen Blick auf die Geschichte be-mühten. Im Programmbeirat des Museumssind deshalb neben polnischen auch Wis-senschaftler aus Großbritannien, Frankreich,Deutschland, Russland, USA und Israel ver-treten, den Vorsitz hat der angesehene briti-sche Historiker Norman Davies.Die Stadt Danzig stellte das Grundstück zurVerfügung. Ausgesucht wurde ein Terrain

auf der Brabank. Das Gelände befindet sichauf ehemaligem Werftgelände, wo in dennächsten Jahren ein modernes Stadtviertelentstehen soll. Das eigentliche Museumsge-lände ist 17.000 m² groß und etwa 200 mvon der Polnischen Post und 3 km von derWesterplatte entfernt, den Orten des erstendeutschen Angriffs und des bedeutendstenpolnischen Widerstands. Nicht weit entferntist auch das Tor 2 der „Stocznia Gdańska“,der ehemaligen Lenin Werft. Dort entstehtzeitgleich das Europäische Zentrum der So-lidarität/Europejskie Centrum Solidarnościund ruft so in Erinnerung, dass der ZweiteWeltkrieg für die östliche Hälfte Europas

noch bis 1989 Unfreiheit bedeutete. Aber eserinnert uns auch daran, dass das Überwin-den derselben bis heute eine gemeinsamezivilgesellschaftliche Aufgabe ist.2010 wurde ein internationaler Architekten-wettbewerb ausgerufen, an dem sich 328Teams aus 42 Ländern beteiligten. Eine Juryunter Vorsitz des amerikanischen Star-Ar-chitekten Daniel Libeskind entschied sichfür die wirklich aufsehenerregende Arbeitdes Teams Kwadrat aus Gdynia/Gdingen.Eingereichte Arbeiten sind bei solchen Wett-bewerben meist anonym, umso erstaunlicherund erfreulicher, dass sich ein Team aus derbenachbarten Stadt „Gewinner“ nennen darf.Im Museumsgebäude werden die Haupträu-me um eine gepflasterte Gasse gruppiert,die damit die vor dem Krieg dort befindliche„Große Gasse“ aufgreift. Ein schräger roterTurm wird der „Hingucker“ und bietetgleichzeitig einen großartigen Blick auf dienahe Rechtsstadt mit Mottlau, Rathaus undMarienkirche.Zur Konzeption des Museums wurde eben-falls ein internationaler Wettbewerb ausge-schrieben. Unter Vorsitz des polnischenFilmregisseurs Andrzej Wajda entschied sichdie Jury für das belgische Büro Tempora.Die Ausstellung wird bewusst nicht den mi-litärischen Ablauf der Schlachten, sonderndas individuelle Schicksal der Menschen inden Vordergrund stellen und sowohl Vorge-schichte wie Nachwirkung des Krieges be-handeln. Im Januar 2010 übernahm das EU-Parlament die Schirmherrschaft für dieHauptausstellung und unterstrich so die Be-deutung für das europäische Gedächtnis, dieüber Polen weit hinausgeht.Neben der Ausstellung wird das Museumauch als Ort des Austausches und der For-

schung dienen. So wird eine Sammlung vonprivaten Zeugnissen aufgebaut. Prof. Ma-jewski als stellvertretenter Direktor des Mu-seums lud auch die Mitglieder des Adalber-tus-Werk e.V. ausdrücklich dazu ein, demMuseum solche Dokumente, Fotos und Be-richte, gegebenenfalls auch in Kopie zur Ver-fügung zu stellen.

Der Grundstein für das Museum wurde am1. 9. 2012 vom polnischen Ministerpräsi-denten Donald Tusk gelegt. Die Fertigstel-lung war zum 1. 9. 2014 geplant, dem 75.Jahrestag des Beginns des Zweiten Welt-krieges. Sie wird sich leider verzögern.Hauptgrund sind Schwierigkeiten durch denBaugrund, denn das Gelände befindet sichzwischen Mottlau und Radaune auf dem ehe-maligen Festungsgraben. Aber auch politi-

■ Prof. Piotr Majewski bei seinem Vor-trag über die Konzeption und Entwick-lung des Museum des II. Weltkrieges.

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sche Widerstände gibt es. Für nationalpolni-sche Kreise ist die internationale Ausrich-tung ein Ärgernis. Auch in Deutschland wur-de ja das zu Beginn eng gefasste Ansinneneines Zentrums gegen Vertreibung in einenweiteren Kontext mit breiterer Verantwor-tung gestellt. Nur so sind Missverständnisseund Einseitigkeiten zu vermeiden. Die Er-öffnung des Museums ist nun für 2015 ge-plant Prof. Majewski lud uns herzlich ein.In der Diskussion ging es um die Sicherstel-lung der politischen Unabhängigkeit desMuseums. Die Errichtung wie der spätereBetrieb des Museums wird vom polnischenKulturministerium finanziert. Zwei vonein-ander unabhängige Beiräte, der Programm-beirat (s. o.) und das Kuratorium sollen dieUnabhängigkeit garantieren. Im Kuratorium,das für die Generallinie und die Anstellungdes Direktoriums verantwortlich ist, sindzehn polnische und ein kanadischer Wissen-schaftler, sie wurden vom polnischen Kul-

turministerium berufen. In den vergangenenJahren war die Frage, was die polnischeIdentität ist und wie die Geschichte zu inter-pretieren sei, eine hochpolitische Frage. DieBrüder Kaczyński als Präsident und Premier

hatten da sehr ei-genwillige Ansich-ten und sich demVorwurf ausgesetzt,durch Inszenierun-gen die Geschichtezu instrumentalisie-ren. Es bleibt zuhoffen, dass dasMuseum unabhän-gig von der politi-schen Farbe der Re-gierung arbeitenund sich entwickelnkann. Die Wester-platte ist heute be-reits eine Außensta-

tion des Museums und hat bereits neueSchautafeln zu den Themen Westerplatte alsKurort, Festung und Symbol aufzuweisen,die wir uns bei der Exkursion am Vormittagvor Ort anschauten. Norbert Czerwinski

Das Programm unseres Besuches bei derPolitechnika Gdańska gliederte sich in vierTeile. Zunächst begrüßte uns der Prorektorder TH dr. hab. Marek Dzida im Senatssaalund berichtete über die derzeitige Situationder Hochschule. Die Zahl der Studenten, diewissenschaftlichen Erfolge, die Zukunfts-planung und die Bedeutung der Politechni-ka als Ausbildungszentrum im nördlichenPolen waren die Themen seiner Ausführun-gen, die er in einer Präsentation illustrierte.Daran anschließend hörten wir den Vortragvon Prof. Andrzej Januszajtis (Foto) überdie TH zur Zeit des Freistaates Danzig. Inden Jahren vor der Machtergreifung der NS-DAP und dem Anschluss Danzigs an dasReich, war die Hochschule auch ein Ort desfriedlichen Miteinanders von Deutschen undPolen, studierten doch zahlreiche junge Men-schen auch aus dem Korridor im Freistaat.Nachdem uns Barbara Ząbczyk-Chmie-lewska (Foto), von der historischen For-schungsstelle der Politechnika noch die Da-ten und Fakten der Entwicklung der TH inder kommunistischen Zeit und den erstenWendejahren erläutert hatte, folgte als letz-ter Teil des Besuches eine Besichtigung, beider uns auch das Foucaultsches Pendel ge-zeigt wurde, auf das man in Danzig durch-aus stolz ist. wn

Besuch der Technischen Hochschule in Danzig/Gdańsk

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Grzegorz Lechman von der Danziger Stadtplanungsbehörde infor-mierte über das Program „Rewitlizacji Letnica“. In Deutschland wür-de man das Projekt „Soziale Stadt“ nennen. Unter diesem Namen gibt

es Bundes- und Landesprogram-me für „Stadtteile mit besonderemErneuerungsbedarf“. Um einensolchen handelt es sich bei Letni-ca/Lauental. Es handelt sich umeine Arbeitersiedlung aus den1920er Jahren zwischen Politech-nika und Nowy Port/Neufahrwas-ser gelegen. Gemeinsam mit denknapp 1.000 Bewohnerinnen undBewohnern werden sowohl bauli-che als auch soziale Maßnahmenerarbeitet. Hierzu gehören die Ver-besserung bei Straßen und Kanali-

sation ebenso wie die Errichtung eines Bürgerzentrums. Der Woh-nungsbestand wird teilweise abgerissen, teilweise erneuert und er-gänzt. Dabei bemüht man sich die Mieten erträglich zu halten, damitdie bisherigen Bewohnerinnen und Bewoh-ner weiterhin in dem Stadtteil leben können.Das Programm wird mit EU-Mitteln geför-dert, ein nationales Stadterneuerungspro-gramm gibt es nicht. Die Stadt Danzig gehtdavon aus, dass der Erneuerungsprozess weitüber die eigentliche Laufzeit von 2008-2016hinaus Zeit und Unterstützung braucht. Posi-tiv wurde die Einbeziehung zivilgesellschaft-licher Gruppen vermerkt, auf Verwunderungstieß, dass Evaluation und Monitoring, die insolchen Prozessen üblich sind, bisher nichtvorgesehen sind.

Der Vortrag fand im Konferenztrakt der PGE-Arena statt, die zur Fußball-EM 2012 voneinem deutsch-polnischen Architektenteam

Infrastrukturmaßnahmen für Danzig/Gdańsk

geplant wurde. Das bernsteinschimmernde Stadion ist von der See-seite weithin sichtbar und sehr beeindruckend. Es befindet sich direktneben dem Stadtteil Letnica. Nach der Präsentation zum Thema Stadt-entwicklung konnten wir die Arena besichtigen. Bilder vom Stadionpräsentieren wir auf den Umschlagseiten. Norbert Czerwinski

Der Vormittag an diesem sonnigen 1. August2013 war ganz der alten und neuen Hanseund ihrem Einfluss auf die Stadt Danzig ge-widmet. Während draußen vor den Türen desKulturinstituts das bunte Treiben vom Mu-sik- und Stimmengewirr des Dominikaner-marktes „Domnik“ unüberhörbar wurde,tauchten wir Zuhörenden mit dem Impulsre-ferat von Prof. Andrzej Januszajtis ganz indie Geschichte der alten Hanse ein.

Aufstieg und Niedergang der Hanse

Die Entstehung der Hanse (althochdeutsch:Gruppe, Schar), zunächst entstanden als lo-ckerer Zusammenschluss von flandrischenund deutschen Kaufleuten, lässt sich auf das13. Jahrhundert zurückführen. Der Schutzder seefahrenden Händler/Kaufleute aus demNord- und Ostseeraum, insbesondere die Be-kämpfung der Piraten, war das vorrangigeAnliegen. Formell entstand die Hanse im Jahr1356 auf ihrem ersten Städtetag in Lübeck.Über 170 Städte waren zeitweilig in der Han-se verbündet, wovon ca. 70 sich aktiv ein-setzten, darunter Riga, Elbing, Danzig, Ro-stock, Stralsund, Hamburg, Lüneburg undnatürlich Lübeck. Wie Prof. Januszajtis aus-

führte, war die Hansedes Mittelalters einBündnis vieler Städteund Ortschaften mit al-lein wirtschaftlichenZielen; politische Ge-walt und Obrigkeitender einzelnen Städtewurden nicht angetastet.So hatte dieser Bundauch kein eigenes Sie-gel, die größte Macht bestand in Form derunregelmäßig einberufenen allgemeinen Ver-sammlungen, den Städtetagen. Ihr wirtschaft-licher Einflussbereich im nördlichen Europahingegen war enorm, aus wirtschaftlichenInteressen wurden Blockaden verhängt undauch Kriege geführt. Mit dem Ziel der ver-besserten ökonomischen Zusammenarbeitund der Stärkung ihrer Privilegien richtetendie freien deutschen Hansestädte große Han-delsniederlassungen, die Kontore, in Brüggeund später in Antwerpen (Belgien), London(England), Nowgorod (Russland) und Ber-gen (Norwegen) ein. So entstand ein auchpolitisch mächtiger Wirtschaftsraum, der vonPortugal/Spanien bis Russland und Skandi-

navien reichte und erst ab dem 16. Jahrhun-dert durch neue Formen des Welthandels unddie Umorientierung auf Übersee abge-schwächt und schließlich ganz zurückge-drängt wurde.

Die Hanse und ihr Einfluss aufKultur und Religion

Die Stadt Danzig stand zum Ende des 14.Jahrhunderts an der Spitze des sog. „preußi-schen Viertels“, der östlichen Städtegruppeder Hanse zu der Thorn, Elbing, Braunsberg,

Alte und neue Hanse

■ Das Publikum während der Veranstal-tung, die im „Miejski Instytut Kultury“ aufdem Langen Markt stattfand.

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Kulm und Königsberg gehörten. Die Hanseentfaltete, unterstützt durch günstige politi-sche Rechte, eine blühende Städtekultur.Nicht nur das äußere architektonische Er-scheinungsbild wichtiger städtischer Gebäu-de wie Rathäuser und Kirchen von den Nie-derlanden bis nach Riga deutet auf den Ein-fluss der Hanse hin, auch religiöse, musikali-sche und wissenschaftliche Beziehungen undSchaffenskräfte sind von dieser kulturellenhanseatischen Gemeinsamkeit geprägt. „Wirhaben sogar gemeinsame Heilige und Kir-chen: St. Nikolai, St. Katharina, St. Jakobund natürlich auch St. Marien. Die waren injeder hanseatischen Stadt“, hob Prof. Janus-zajtis an dieser Stelle hervor. Die Fülle dergemeinsamen Wurzeln und Traditionen hältjedoch nicht den einschneidenden Entwick-lungen im 20. Jahrhundert stand. Als Folgezweier Weltkriege, im Besonderen durch dieGrausamkeiten und Zerstörungen durch Na-zideutschland, sind eher antideutsche Hal-tungen entstanden, Flucht, Vertreibungen und

Umsiedlungen ha-ben den Umgang mitkulturellen Wertenund Traditionen un-terbrochen. Nationa-le Kulturvorstellun-gen traten an dieStelle hanseatischerGemeinsamkeiten.Glücklicherweisehat man in Danzigdurch den gelunge-nen Wiederaufbauder Innenstadt die

hanseatische Geschichte erhalten, die imwestlichen Ostseeraum und in Skandinaviennoch stärkere Ausdrucksformen hat. In ei-nem klaren Plädoyer brachte Prof. Januszaj-tis einmal mehr zum Ausdruck, wie enormwichtig die Rückführung verschleppterKunst- und Kulturgüter an ihre ursprüngli-chen Orte sei. Nur dort können sie authen-tisch über vergangene Kultur Auskunft ge-ben und wieder zum verständlichen und „äu-ßerst wertvollen Erbe unserer hanseatischenIdentität“ werden.

Die neue Hanse am Beispiel RusslandAls Vertreter der Stadtadministration vonNowgorod referierte Vladimir Orłow überdie 1980 im niederländischen Zwolle gegrün-dete Neue Hanse. Zur Neuen Hanse gehörenaktuell 13 russische Städte, Nowgorod istseit zwanzig Jahren dabei. Was ist das Zielder Neuen Hanse und speziell der russischen?Wie in der historischen Hanse des Mittelal-ters sollen neue Städtekontakte aufgebautwerden mit dem Augenmerk auf Wirtschaft,Wissenschaft, Infrastruktur und Tourismus.So wurde, auch mit Mitteln aus der Europäi-schen Union, eine „virtuelle Reise über rus-sische Hansestädte“ entwickelt, ein schönes

und wichtiges Projekt, das als praktischerReiseführer für die europäischen Handels-und Kulturrouten dient. Im Jahr 2009 fand inNowgorod der Internationale Hansetag statt,das nächste Internationale Treffen wird 2019in Pskow sein. Auch zu nationalen Hanseta-gen, die mittlerweile nach deutschem Vorbildjährlich stattfinden, laden die russischen Han-sestädte auch ihre Nachbarn ein. Die Kon-takte zu den baltischen Staaten gestalten sichallerdings noch schwierig. Zum russischenHansetag 2014 in Kingissepp spricht HerrOrłow an dieser Stelle eine herzliche Einla-dung aus, ein reichhaltiges Kulturprogrammmit Hansemarkt und historischen und musi-kalischen Rekonstruktionen erwartet die zahl-reichen Gäste.Hanse bedeutete im Mittelalter auch Hilfeund Zusammenarbeit. Eine enorme Unter-stützung hat die Stadt Nowgorod bei der Re-staurierung der Kathedrale St. Nikolaus, demältesten Gebäude der Stadt, erfahren. Fasteine halbe Million Dollar sammelten die Städ-te der Neuen Hanse dafür! Weitere Projekteder Neuen Hanse, vornehmlich aus dem Tou-rismus, wurden noch vorgestellt: Segelregat-ta mit historischen Schiffen, Tourismusaus-stellung in Danzig, Ferien für Jugendlicheaber auch Planungen einer „neuer Geschichts-schreibung“, zur Wiederentdeckung der han-seatischen Traditionen und einer Neugestal-tung der Erinnerung.

Unbekannte JugendhanseHaben Sie je davon gehört? Natürlich nicht,musste ein Großteil der Anwesenden zuge-ben! In einen erfrischenden Beitrag stellteuns Lina Handreck, Sprecherin der Jugend-hansekommission aus Lübeck, die Jugend-hanse vor. Anhand persönlicher Fragen undeines Organigramms vermittelte sie uns kurz-weilig und selbstkritisch einen guten Über-

■ Von links: Lidia Delegacz-Niebielska(Übersetzerin), Lina Handrek, JolantaMurawska (Moderation), Prof. Andrzej Ja-nuszajtis, Vladimir Orłow.

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blick über Sinn undZweck, Wünsche,Arbeitsweisen undZukunftsvorstellun-gen der Jugendhan-se.

Die Jugendhanse –youthhansa, yh –wurde 1989 als Ju-gendorganisationder Neuen Hanse inVisby (Schweden)gegründet undspricht Jugendliche,sog. Jugenddele-gierte, im Alter von16 bis 26 Jahren ausallen Hansestädtenan. Wie wird manJugenddelegierter? Auf unterschiedliche Wei-se ist das möglich: familiäre Bindungen, per-sönliche Ansprache, fachliches Interesse, In-formationen in Schule oder Ausbildung usw.führen zu einer Delegierung auf den Hanse-tag. Die Jugendhanse ist auf jedem Hansetagpräsent und engagiert sich in unterschiedli-chen Aktivitäten und Workshops von sportli-chen über kulturelle bis gesellschaftsbezoge-nen Angeboten. Von zentraler Bedeutung aufdem Hansetag ist die große Delegiertenver-sammlung der „youthhanse“. Hier begegnensich 50-60 Jugendliche aus über 10 europäi-schen Ländern wie z.B. Niederlande, Russ-land, Frankreich, Polen, Estland, Deutsch-land. Als Delegierte ihrer Städte lernen siesich kennen, tauschen sich über laufende Pro-jekte aus, sammeln neue Ideen und planenzukünftige Projekte. Auch die Wahlen zurJugendhansekommission finden hier statt, ausder wiederrum 1 bis 2 Sprecher/innen be-nannt werden. Die Jugendhansekommissionerfüllt vielfältige Aufgaben. Sie heißt immeralle Neulinge willkommen, sieht sich verant-wortlich für einen guten Ablauf des Jugend-hansetages, plant den nächsten Jugendhanse-sommer, ist aber auch wichtiges Bindegliedzwischen der Erwachsenen- und der Jugend-hanse. Bei Spiel und Spaß lernt man sichnoch besser kennen. Ein intensives und re-spektvolles Miteinander trägt dazu bei, Vor-urteile abzubauen und das Gruppengefühlund die Fähigkeit etwas „auf die Beine zustellen“, zu stärken. Durch vielfältige zwi-

schenmenschliche und interkulturelle Erfah-rungen in der Jugendhanse und auf dem Han-setag entsteht ein bunter Strauß an Motivati-onen, dazu zu gehören: das sind Freude amoffenen Zusammensein, Kennenlernen neu-er Städte und Länder, Erfahren eigener Fami-lien- und Heimatgefühle, Umgang mit ande-ren Sprachen, Gebräuchen und Situationen.Und natürlich, besonders für die noch sehrjungen Teilnehmer/innen, neue Freunde ge-winnen! „I am in the youth hansa for people,progress and personal experience (ich bin inder Jugendhanse wegen der Leute, umvorwärts zu kommen und für meine persönli-che Entwicklung“, zitiert Lina einen Jugend-lichen. Projektideen werden den Jugendli-chen in ihre Heimatstadt als Hausaufgabemit gegeben, damit Freunde dort miteinbe-zogen werden und die Jugendhanse noch be-kannter gemacht wird. Der „youth hansa cityguide“, ein Stadtführer der eigenen Hanse-stadt von Jugendlichen für Jugendliche, istdafür ein gelungenes Beispiel.

Problemfelder der HanseWas einerseits eine Fülle von Freundschaf-ten ermöglicht, nämlich die jährlich wech-selnden Teilnehmer/innen, kann sich ande-rerseits hemmend auf die Kontinuität der Vor-haben auswirken. Obwohl sich alle emotio-nal zur großen Hansefamilie zugehörig füh-len, fehlt doch ein Austausch zwischen bei-den Hansen. Die Jugendlichen haben oft an-dere Interessen und Wünsche, die sich mit

knappen finanziel-len Mitteln nichtrealisieren lassen. InFragen rund umWirtschaft und Po-litik würden Ju-gendliche gern nochmehr einbezogenwerden, Unterneh-men könnten sichfür Praktika, Ausbil-dung und internati-onalen Austauschpräsentieren. Eingemeinsames Pro-jekt von Jugendhan-se und Neuer Hansewäre vorstellbar umdie Stärken der Ju-

gendhanse, nämlich ihre internationalen undinterkulturellen Fähigkeiten noch mehr in einlebendiges Europa einzubinden.

Fragen und AntwortenIn der anschließenden Diskussionsrunde wur-de die Frage gestellt, ob angesichts der russi-schen Gesetzgebungen gegen Nichtregie-rungsorganisationen und die Verbreitung undDarstellung von Symbolen, die eindeutig derhomosexuellen Bewegung zuzuordnen sind,ein wirklich freier Austausch bei Hansetagenmöglich und die Sicherheit der Gäste garan-tiert werden könne. Eine klare Antwort bliebaus. Ebenso wurde dann auch deutlicher da-nach gefragt: wofür gibt es die Neue Hanseund was bewirkt sie? Die Neue Hanse be-greift sich als verbindende Friedensgemein-schaft, die den historischen Gedanken desinternationalen Wissens- und Kulturaustau-sches wieder aufgenommen hat. Eine Stadtkann sich, wenn sie Wurzeln in der Hanse hatund dies dokumentieren kann, offiziell umeine Mitgliedschaft bei der Hanse-„Haupt-stadt“ Lübeck bewerben und nach auf derDelegiertenversammlung während des Han-setages vollzogenen Aufnahme den eigenenaktiven Rahmen selbständig und eigenver-antwortlich ausgestalten. Die erforderlicheEigeninitiative und Eigenständigkeit wirdauch bei der Unterscheidung zur Städtepart-nerschaft deutlich. In der Neuen Hanse istdie Zusammenarbeit viel breiter aufgestelltund ein Zusammentreffen kein kleines Festsondern eine Großveranstaltung, die auchwirtschaftliche Kontakte und viele Touristenbringt, wie Jolanta Murawska, Koordinatorinder Neuen Hanse betont. So steht die StadtDanzig mit Turku/Finnland als Partner- undHansestadt in enger Verbindung, auch Kö-nigsberg ist Part-ner- und Hanse-stadt. Auch inBezug auf russi-sche Städte hältVladimir Orłow,die Freiheit, überProjekte und de-ren Durchfüh-rung mit eigenenfinanziellen Mit-teln selbst zu be-finden für so zen-tral, „dass sieSelbstverwaltunglernen und versuchen, diese Sachen auf derEbene der Städte zu realisieren.“ Sie ist aucheine große Chance für kleine Städte, Lebens-und Kulturgemeinschaften nicht nur an wirt-schaftlicher Kooperation teilzuhaben sondernauch die Idee der Versöhnung zu leben ge-mäß dem Motto der Studientagung des Adal-bertus-Werk e.V. und seiner Partner in Dan-zig: erinnern – verstehen – bewegen.

An die guten Ideen der Hanseaten sei anzu-knüpfen, betonte zum Schluss Prof. AndrzejJanuszajtis, „an die Gemeinsamkeit, die ge-meinsame Unterstützung“ mit dem Wunsch,nicht nur Städte sondern auch Völker ken-nenzulernen. „Also das wünsche ich der Neu-en Hanse und ich weiß, dass sie weiterentwi-ckelt wird in dieser Richtung“. Ela Müller

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Zu der Präsentation des Projektes im Herder-Zentrum der Universität Danzig waren vierMitglieder des Redaktionsteams der Einla-dung des Adalbertus-Werk e.V. gefolgt:Małgorzata Ogonowska – Redaktionsleite-rin, Prof. Janusz Górski – verantwortlicherLeiter für die Illustration und die künstleri-sche Gestaltung, Marcin Sztucki – Geschäfts-führer der „Fundacja Gdańska“ und in dieserEigenschaft Herausgeber der Enzyklopädie

Ende der 90er Jahre die Idee zu diesem ehr-geizigen und spannenden Projekt. Hier sol-len Informationen über das mehr als 1000Jahre alte Danzig gebündelt werden, wissen-schaftliche und allgemein interessante. ZumBeispiel Bräuche oder besondere Köstlich-keiten, Informationen über Persönlichkeitenin der Geschichte und im heutigen Danzig,Themen, die sich aus der Geschichte bis zumheutigen Tag betrachten lassen wie das z. B.das Thema: „Theater“.

Allerdings ließ sich die eigentliche Arbeitzur „Encykopedia Gdańska“ erst einige Jah-re später durch die Unterstützung der Stif-tung Danzig aufnehmen und in die Tat um-setzen. Die große Unterstützung der StadtDanzig – namentlich durch den PräsidentenPaweł Adamowicz – machte die Umsetzungmöglich. Es gab die Zusage, dass die Heraus-geberschaft durch die Stiftung Danzig über-nommen werde und diese erwarb die Rechte.Die Stiftung Danzig/Fundacja Gdańska wur-de durch die Stadt nach der 1000-Jahr-Feier1997 gegründet, um Danzig bekannter zumachen und Wissen über Danzig zu fördern.Dies geschieht durch Wettbewerbe durch För-derung von kulturellen Veranstaltungen undVerlagstätigkeit.

Im Jahr 2009 wurde die Redaktion zusam-mengestellt und die gedruckte Fassung er-schien bereits am 24. November 2012. 220Autoren stellen 4.000 Stichwörter vor, dasBuch umfasst 1.056 Seiten. Zum Bedauernder anwesenden Gesprächspartner konntenleider nicht alle Stichwörter in der gedruck-ten Fassung aufgenommen werden. Deshalbentschloss man sich für eine besondere Formder Ergänzung nämlich der Präsentation undWeiterführung im Internet.

Deutlich wurde, dass sich die anwesendenMitarbeiter des Projektes bewusst sind, dassfür die gedruckte Fassung in manchen The-men-Feldern wegen des Umfangs nur einigewichtige Aspekte der möglichen StichworteBerücksichtigung finden konnten. AndereThemenfelder, wie z. B. die Musik und dieSport-Szene weisen große Lücken auf. Dieskann in der Internetfassung gut ergänzt wer-den, da diese keiner Beschränkung des Um-fanges unterliegt.

Es war den Gesprächsteilnehmern wichtigdarauf hinzuweisen, dass sie gerne noch spe-zifische Stichwörter aus deutscher Sicht undBeiträge über Persönlichkeiten des Danzigsder Vorkriegszeit in das laufende Projekt imInternet aufnehmen würden.

Aus der redaktionellen Arbeit berichtete Dr.Gliński über die Schwierigkeit auch zu wer-ten, was als historisch wertvolles Stichwortaufgenommen werden konnte und was danndoch zu speziell wurde, z. B. bei kunsthisto-rischen Punkten. Małgorzata Ogonowska er-gänzte, dass die redaktionelle Bearbeitungder Artikel eine Herausforderung gewesensei und natürlich auch bei der Fortsetzung

Die „Encyklopedia Gdańska“ –ein außergewöhnliches Projekt

■ Von links: Małgorzata Ogonowska(Redaktionsleiterin), Prof. Janusz Górski(verantwortlicher Leiter für die Illustrati-on), Viola Nitschke-Wobbe (Moderation),Marcin Sztucki (Geschäftsführer der„Fundacjia Gdańska“ und Herausgeberder Enzyklopädie), Dr. Mirosław Gliński(wissenschaftlicher Redakteur des Projek-tes) sowie Alicja Kędzierska (Übersetzerin).

bleibe. Es gehe darum ein gutes Niveau zuerhalten und die Artikel untereinander durchgleiche Schreibweisen, Bezug nehmendeStichworte und korrekte Bezeichnungen –beispielsweise bei dem Wechsel von deut-schen zu polnischen Bezeichnungen und Stra-ßennamen – lesbar und informativ zu gestal-ten.

Prof. Janusz Górski stellte die Ideen der Bild-auswahl und Bildredaktion vor. Seine Aufga-be war es für die gedruckte Ausgabe nichtnur Informationen mit den Bildern zu trans-portieren, sondern damit auch dieses Buchkünstlerisch zu gestalten. Es für den Leserattraktiv zu machen. Sein Anliegen war undbleibt wirklich schöne Bilder zu finden, de-nen dann auch eine halbe Seite eingeräumtwerden konnte, damit sie in ihrer Darstellungund in Details wirklich zu sehen sind. „Eskann gelegentlich ein großes Bild zu einem

■ Auch Professor Andrzej Januszajtis ist,neben vielen anderen Persönlichkeiten, alsEhrenbürger der Stadt natürlich in derEncyklopedia Gdańska erwähnt.sowie Dr. Mirosław Gliński, wissenschaftli-

cher Redakteur des Projektes.

Ziel des Gesprächsabends, unter Leitung vonViola Nitschke-Wobbe, war, das Projekt denTeilnehmern der Studientagung vorzustellenund zugleich dazu aufzufordern weitereStichworte und Ideen zu Erweiterung desProjektes beizutragen.

Angeregt durch andere Enzyklopädien grö-ßerer Städte unter anderen auch einer Enzyk-lopädie über die Stadt Breslau hatte der Ver-leger und Autor Jarosław Mykowski bereits

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kurzen Artikel passen und umgekehrt“, stell-te er fest.Die gedruckte Fassung enthält ca. 2.000 Bil-der, in der Internetfassung sind zur Zeit etwa3.700 Bilder zugänglich. Neben Porträts zuDanziger Persönlichkeiten, Bildern bezüg-lich der Stadtentwicklung oder des Wieder-aufbaus (z. B. zum Rathaus gibt es sieben die

Am Freitag hieß es noch ein bisschen früheraufstehen als an den übrigen Tagen, da eineExkursion in die Kaschubei auf dem Pro-gramm stand. Die Kaschubei ist ein Land-strich westlich und südwestlich von Danzig,der nach seinen Bewohnern, den Kaschu-ben, benannt ist, einer slawischen Volks-gruppe mit eigener Sprache und Traditio-nen. Unsere kompetente und leidenschaftli-che Reiseführerin, Gertruda Harsch (Foto),bezeichnet sich selbst als „Deutschka-schubin“. Geboren in der Kaschubei, be-suchte sie die Schule in Danzig, bevor siemit ihrer Mutter 1944 nach Weingarten reis-te, um den kriegsverletzten Vater zu besu-chen. Zurück konnte sie dann nach Kriegs-ende nicht mehr und blieb im Badischenund heiratete dort. Nach der Wende bautesie sich aber bald ein Haus in ihrer altenHeimat und verbringt die Zeit von Osternbis Allerheiligen in der Kaschubei und denRest des Jahres in Deutschland.

Während der Busfahrt informierte sie unsbereits über das Ehrenmal für die Opfer derMassaker von Piasnitz/Piaśnica, wo unsererster Stopp sein sollte. Kurz nach Beginndes Zweiten Weltkrieges 1939 fielen hier

linge aus Stutthof vor ihrer Ermordung Lei-chen aus Massengräbern ausgraben und ver-brennen mussten, verdeutlicht die Grausam-keit der Nazis ebenso wie Augenzeugenbe-richte, in denen von betrunkenen Gestapo-Beamten die Rede ist, welche auf Priesterschossen, die sie zuvor in Bäume gehängthatten. Entsprechend betroffen war unsereStimmung, als wir schließlich am Denkmaleintrafen. Direkt neben einer Strasse amWaldrand wurde dieses bereits 1955 vonUnbekannten nachts heimlich aufgestellt.Heute trägt es ein großes Kreuz auf seinerSpitze und mehrsprachige Informationsta-feln berichten von den Geschehnissen. Nacheinem gemeinsamen Gebet wurden Blumen

niedergelegt. ImAnschluss bliebZeit, um in den an-grenzenden Waldhineinzulaufen undim Stillen der Op-fer dieses erstengroßen Verbrechensder Nazis zu geden-ken.

Unsere nächste Sta-tion war das „Sank-tuarium der Ka-schuben“ in Schwa-

nau/Sianowo (kaschubisch Sjónowò). DerPfarrer der dortigen Kirche begrüßte uns per-sönlich und zeigte uns zugleich ihren größ-ten Schatz: Die „Königin der Kaschuben/Królowej Kaszub“, eine kleine Mariensta-tue mit Jesuskind. Die Legende besagt, dassdiese 1450 in der Nacht des Johannesfeuersvon zwei Ver-liebten gefun-den wurde.Das Paar ver-stand sie alsZeichen derB e f ü r w o r -tung ihrerB e z i e h u n gdurch dieMutter Got-tes, obgleichdie leiblichenMütter gegen die Verbindung waren. Siestellten die Skulptur in die damalige Kapel-le. Später wurde sie aus Angst vor Dieben inder Kirche des Nachbarortes untergebracht,tauchte aber am nächsten Tag wieder in derKapelle auf. Dieser wundersame Vorgang

Spurensuche in der Kaschubei

etwa 10.000 bis 13.000 Menschen der SSund Mitgliedern des Volksdeutschen Selbst-schutzes zum Opfer. Polen und Kaschubenaus der Region, Lehrer, Pfarrer, Bürgermeis-ter und Künstler, wurden Ziel der „Intelli-genzaktion“, der Ermordung lokaler Füh-rungsschichten des Landes. Ihre Namen wa-ren schon vor Kriegsbeginn von volksdeut-schen Nachbarn zusammengestellt und derSS übergeben worden. Weiterhin wurdenpsychisch Kranke aus deutschen Heilanstal-ten sowie internierte deutsche Antifaschis-ten, Polen, Tschechen und staatenlose Judenaus dem Reichsgebiet in den Massakern er-mordet. Die exakte Opferzahl ist unbekannt,unter anderem aufgrund der Bemühungender Nazis die Spuren dieser schrecklichenVerbrechen zu verwischen. Dass KZ-Häft-

■ „Diese kaschubische Gedenktafel gehei-ligt mit dem Blut der 12.000 Märtyrer ruftum Frieden und Verständigung der Natio-nen. Wir bitten um die Ehre der Auferste-hung und gedenken in Dankbarkeit, dieBewohner von Neustadt/Wejherowo.Im Jahr 2004 – 65 Jahre nach der Hinrich-tung in Piasnitz/Piaśnica.“

das äußere Bild seit dem 17. Jh. bis zu Wie-deraufbau zeigen), gibt es auch schlichte Il-lustrationen mit weniger künstlerischen Wert.Hier benannte Prof. Górski Bilder von altenHaushaltsgeräten, Briefmarken und anderenGebrauchsgegenständen als MöglichkeitZeitkolorit darzustellen.Abschließend wurden die Gäste aufgeforderteine Vision für den Fortgang des Projekts bisca 2023 zu äußern. Dabei wurde Folgendesdeutlich: Viele Dinge sind noch zu erfor-schen und Artikel zu schreiben, es geht umdas Leben der Danziger in der Geschichte,bestimmte Berufsstände (Ärzte und Apothe-ker usw.), um alle die Themenfelder dieohnehin noch nicht behandelt werden konn-ten. Außerdem sollen eine deutsche und eineenglische Fassung gedruckt werden. Diessieht Martin Sztucki von der Stiftung Danzigein ganz besonderes Ziel für die kommendenJahre an. Es muss das Ziel bleiben, neueMitarbeiter und Institutionen zu gewinnen,die Artikel bearbeiten und Anmerkungen zuden gewählten Themen einbringen. Dabeigeht es nun auch um interessierte Mitarbei-ter, die Danzig verbunden sind, nicht nurprofessionelle Historiker und Journalisten.Im diesem Herbst soll dafür – ähnlich wie beiWikipedia – eine Möglichkeit der Autoren-schaft direkt innerhalb des Internets eröffnetwerden. Die Reihe der Bilder, die unter ei-nem Stichwort abgerufen werden können,wird noch vergrößert werden, obwohl sieheute schon sehr umfangreich ist. Das Inte-resse an diesem besonderen Projekt schienbei den Teilnehmern des Abends geweckt zusein. Manche entschlossen sich dazu dasBuch noch zu erwerben. Jedem sei empfoh-len, einen Blick ins Internet zu werfen undunter www.gedanopedia.pl das laufende Pro-jekt selber kennen zu lernen.

Viola Nitschke-Wobbe

Foto von 1906

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wiederholte sich mehrfach. Ein Zeichen, dassdie Mutter Gottes an diesem Ort bleibenwollte, weshalb noch 1450 eine erste Holz-kirche am Ort der früheren Kapelle errichtetwurde. Nach mehreren Bränden wurde dieheutige Kirche im Jahr 1830 aus Stein er-richtet und 30 Jahre später eingeweiht – dieSkulptur überstand all dies unbeschadet. Mitdem Kriegsbeginn 1939 versteckte der da-malige Pfarrer die Skulptur in einer Holz-kiste, die er gen Kanada verschickte. Trotz-dem gelangte die Skulptur auf wundersa-men Wegen 1941 zurück in die Kirche vonSjónowò. Bis 1949 konnten die Gläubigensie dort anbeten. Danach versteckte der Pfar-rer sie aus Angst vor der eintreffenden russi-schen Armee erneut, diesmal im Keller derKirche. Die Soldaten fanden die Skulpturwenig später, salutierten jedoch vor ihr undsagten, die Figur müsse an ihrem Platz blei-ben. So befindet sie sich noch heute in derKirche und trägt seit 1966 eine prachtvolleKrone. Sie gilt nach wie vor als Patronin derVerliebten.

Die Fahrt führte uns weiter durch die ka-schubische Schweiz mit ihren grünen Wäl-dern und unzähligen Seen. Unser nächstesZiel war der Turmberg, welcher mit etwa330 Metern der höchste Punkt der Kaschubeiist. Auf dem Turmberg steht ein Aussichts-

zwischen 1939 und 1956 Polen nach Sibiri-en in Arbeitslager deportiert wurden. Insge-samt betraf dies etwa 2 Millionen Polen,unter ihnen auch Kinder. Reale Einzelschick-sale, die beispielhaft an den Wänden desEisenbahnwagens nachzulesen sind, mach-ten uns sehr traurig. Ein originales Holz-haus, welches in Sibirien zur Unterbringungder Arbeiter diente, ist direkt neben der Lokwiederaufgebaut. Wie die Lok ist es begeh-bar und lässt erahnen, unter welchen Bedin-gungen die Gefangenen damals leben muss-ten. Ebenfalls sehr einprägsam war zum an-deren der Besuch eines nachgebauten Bun-kers der pommerschen Widerstandsbewe-gung „Greif“. Nachdem man sich durch ei-

nen engen Gang in das Innere des Bunkersbegeben hatte, fingen die Deckenlichterplötzlich an zu flackern und Bombardie-rungsgeräusche ertönten. Eine gezielte Bom-bardierung solcher Bunker durch die Nazissoll hierdurch nachgestellt werden. Wir wa-ren sehr froh, als das Licht wieder angingund wir den Bun-ker schleunigst ver-lassen konnten.

Neben diesen be-rührenden, ge-schichtsträchtigenExponaten verfügtdas Freilichtmuse-um über eine Kuri-osität, die sich ver-mutlich keiner ent-gehen ließ. Das so-genannte „schiefeHaus“ ist ein Ge-bäude, das auf dem

■ Bunkereingang in Szymbark.

turm, den die Sportlichen unter uns erklom-men, um die Aussicht über die Baumgipfelhinweg auf die hügelige Landschaft zu ge-niessen. Danach ging es weiter zu unseremletzten Stopp: Dem Freilichtmuseum Schön-berg/Skansen w Szymbarku. Dieses ist einregionales Bildungszentrum, welches sichmit der kaschubischen Geschichte ausein-andersetzt. Uns sind vor allem zwei Expo-nate in Erinnerung geblieben, welche unssehr berührt haben. Zum einen wird im Mu-seum eine Originallok ausgestellt, mit der

Kopf steht. Eine Besichtigung desselbigenist eine echte Herausforderung für denGleichgewichtssinn! Unsere Exkursion en-dete mit einem gemeinsamen Abendessenan zwei großen Holztischen, die zusammenbeinahe so lang wie das größte Brett derWelt sind, welches 46,53 m misst und eineletzte Sehenswürdigkeit des Freilichtmuse-ums darstellt. Frisch gestärkt und voller neu-er Eindrücke traten wir im Anschluss dieRückreise nach Danzig an.

Katharina und Felicitas Schnitzspahn

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Am Jahr 1989 werden sich immer wiederdie Geister scheiden: Wer war der eigentli-che Vater jenes annus mirabilis (Anm. derRedaktion: Wunderjahr), das Europa nachzwei selbst verschuldeten Weltkriegen undzwei Völkermorden den Totalitarismen wie-der als eine Entität (Anm. der Redaktion: eineindeutig zu bestimmendes Objekt) auf derWeltbühne erscheinen ließ? War es der „guteZar“ in Moskau – Michail Gorbatschow?War es Ronald Reagan in Washington – derunbeugsame „Kaiser des Westens“? Oderder Papst in Rom – Johannes Paul II., der1978 in Polen Hunderte seiner unbewaffne-ten Divisionen geistig für einen friedlichenAufmarsch aufgerüstet hatte? Waren es dieBefreiungsbewegungen in den sowjetischenKolonien, bei denen ein Danziger Elektri-ker, Lech Wałęsa, und ein Prager Intellektu-eller, Václav Havel, Pate standen? Oder etwadoch jene „Helden des Rückzugs“ im Par-tei- und Staatsapparat des Ostblocks, dieeine gewaltlose Abgabe der Macht mittru-gen? Jene Sicherheitsoffiziere, die im No-vember 1989 in Leipzig nicht Gewalt waltenund dann unerwartet die Berliner Mauer öff-nen ließen – denn sie wurde ja nicht wie dieBastille 1789 vom aufgebrachten Volk ge-stürmt, sondern infolge einer grotesken bü-rokratischen Panne des zermürbten Regimeseinfach geöffnet.Der Streit darüber, wem 1989 der Lorbeergebührte, ist jedoch müßig. Der Zusammen-bruch des poststalinistischen Systems hatteviele Väter. Und eine lange Vorgeschichte,die zuweilen bis in die Jahre 1938–1939zurückreicht, als die westlichen Demokrati-

mord, Schauprozessen gegen politische Geg-ner und revolutionärer Ideologie bis 1948gebrochen. Doch er schwelte weiter und lo-derte nach dem Tod des Diktators wiederauf. Am 1. Juni 1953 streikten in Pilsen20.000 Arbeiter. Zwei Wochen später brachin der DDR ein Arbeiteraufstand aus, derdurch sowjetische Panzer (und standrechtli-che Erschießungen) niedergewälzt wurde.1956 löste das „Tauwetter“ in der Sowjet-union und die Entlarvung Stalins als Mas-senmörder auf dem XX. Parteitag der KPdSUim gesamten Ostblock erneut eine Lawinedes Aufruhrs aus. Im Juni streikten Arbeiterin Posen. Und wieder rollten Panzer, dochvier Monate später kam es zu einem Füh-rungswechsel in der Partei. Die Stalinistenwurden zurückgedrängt, und der gerade erstvon ihnen aus der Inhaftierung entlassene„Nationalkommunist“ Władysław Gomułkawurde Parteichef. Der Aufruhr in Polen fandbald einen Widerhall in Ungarn. Eine Soli-daritätskundgebung mit den Polen in Buda-pest wurde im Oktober 1956 zum Fanal füreinen Aufstand, der von der russischen Ar-

fang an eine Sonderposition. Im Unterschiedzu allen anderen Ostblockländern war es daseinzige, das im Krieg mit Hitler nicht koo-periert hatte, sondern von Beginn an Mit-glied der Anti-Hitler-Koalition gewesen war.Drei historische Stigmata drängten auch diesowjetische Führung zu größerer Umsichtgegenüber Polen als anderen „Bruderlän-dern“: Der Hitler-Stalin-Pakt vom August1939, das Massaker an polnischen Offizie-ren in Katyń 1940 und die Verbissenheit derAufständischen 1944 in Warschau, die zweiMonate lang gegen die deutschen Besatzerkämpften, während die Rote Armee vomanderen Weichselufer tatenlos zuschaute.Wenn es nach der Gründung der „Solidar-ność“ 1980 nicht zu einem Einmarsch derWarschauer-Pakt-Staaten nach dem Musterdes August 1968, als der „Prager Frühling“niedergewälzt wurde, kam, dann wohl imHintergrund auch wegen dieser historischenAltlasten.

Vordergründig waren natürlich andere Fak-toren entscheidend. Polen hatte nämlich indem Vierteljahrhundert zwischen 1956 und1981 anschaulich gezeigt, dass es eine be-ständige Dynamik von unten entwickelte,die eine immer stärkere Opposition, Gegen-öffentlichkeit und schließlich eine geordne-te Volksbewegung gegen die herrschendenVerhältnisse und die sowjetische Bevormun-dung möglich machte. 1964 protestiertendie Intellektuellen gegen die Zensur und1968 die Studenten gegen die Unterschla-gung der nationalliberalen Traditionen; siewurden niedergeknüppelt. 1970 streikten er-neut die Arbeiter – diesmal gleichzeitig inDanzig, Gdingen und Stettin. Auch diesmalwurde auf sie geschossen, doch zugleicherzwangen sie auch wieder, wenn auch nochkeinen Systemwandel, immerhin einen Füh-rungswechsel. Der neue Parteisekretär, Ed-ward Gierek, war ein Technokrat mit West-

Polens Beitrag zur Wende in EuropaSchlussreferat von Adam Krzemiński bei der 15. Deutsch-PolnischenStudientagung in Danzig/Gdańsk am 3. August 2013

en die Tschechoslowakei an Hitler verrie-ten, und als Hitler und Stalin gemeinschaft-lich Polen zerschlugen. 1945 überließen dieWestalliierten Stalin dann seine ostmitteleu-ropäische Kriegsbeute. Und er zwang sei-nen neuen Kolonien mit Terror ein politi-sches System und eine Ideologie auf, die sieden westlichen Normen restlos entfremdensollten. Der Widerstand wurde mit Massen-

mee niedergekämpft wurde.Im Windschatten der ungari-schen Tragödie konnte Polensich allerdings Freiheiten si-chern, die für einen Ost-blockstaat beispiellos warenund in den nächsten Jahr-zehnten stufenweise eine

starke Opposition ermöglichten. Die Kol-lektivierung der Bauern wurde rückgängiggemacht. Geduldet wurde auch die starkePosition der katholischen Kirche als geistigeGegenmacht im Lande. Der ideologischeDruck ließ in Schulen und Universitätennach. Und die liberalere Kulturpolitik ließauch eine Öffnung zum Westen zu. Polenhatte im sowjetischen Machtbereich von An-

■ 1953 – die streikendenArbeiter in Posen/Poznań.

■ Auch an der KreuzungWilhelmstraße/LeipzigerStraße in Berlin zieht dieRote Armee am 17. Juni1953 mit Panzern auf.

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erfahrung, und er öffnete das Land nochmehr. Millionen von jungen Polen konntenfortan den Westen als Tellerwäscher und Sti-pendiaten kennenlernen. Sie wurden moder-ner, kritischer und zugleich selbstbewusster.Sie empfanden das System als lästig, mode-rat repressiv, aber vor allem als beschämendineffizient. Und sie entwickelten ein neuesGefühl einer möglichen Nähe zum Westen,zu seiner Demokratie, seinem Wohlstand undseiner Bürgergesellschaft. Die Anerkennungder Oder-Neiße-Grenze durch die Bundes-republik und Willy-Brandts Kniefall nah-men vielen auch die von der Propagandajahrzehntelang geschürte Angst vor denDeutschen. Die Jugendrevolte im Westen lie-ferte zudem neue Kulturmuster. Und die Ent-spannungspolitik, vor allem die KSZE-Kon-ferenz in Helsinki, legte den kritischen In-tellektuellen neue Instrumente in die Hände.1975 protestierten sie laut gegen eine Ver-fassungsänderung, die die „führende Rolleder Partei“ und der Sowjetunion als eineRückversicherung gegen die schleichendeWestöffnung festschrieb. Und ein Jahr spä-ter, nachdem 1976 die Arbeiter erneut we-gen Preiserhöhungen gestreikt hatten, dies-mal in Radom und Ursus, gründeten kriti-sche Intellektuelle – unter Berufung auf dieKSZE-Schlussakte – ein „Komitee zur Ver-teidigung der Arbeiter“ (KOR), das den vonder Justiz und Polizei Drangsalierten recht-liche und materielle Hilfe anbot.

Bald entstanden landesweit ähnliche Grup-pen, und mit ihnen kam eine Flut hektogra-phierter Zeitschriften und Bücher. Als 1978in Rom der Krakauer Kardinal Karol Wojtyłazum Papst gewählt wurde und 1979 seineerste Triumphfahrt durch Polen antrat, gabes an der Küste schon erste Ansätze unab-hängiger Gewerkschaften.

1980 brach dann der Generalstreik aus – fürden gesamten Ostblock ein beispielloser Vor-gang. Der Auslöser war erneut ein Versuchder Regierenden, die schwerfällige und durchdie ineffizienten Westkredite enorm belaste-te Wirtschaft mit einer Preiserhöhung zusanieren. Dem Streikkomitee in Danzigschlossen sich innerhalb weniger Tage nichtnur Hunderte von Betrieben im ganzen Land,sondern auch Intellektuelle an. Die Sowjetsbegannen wie üblich, mit dem Einmarsch zudrohen, und schickten ihre Kriegsschiffe indie Danziger Bucht. Warschau begann je-doch, mit dem Streikkomitee zu verhandeln.Gierek hielt sein Versprechen von 1971, dassunter seinem Regiment nicht geschossenwerde, doch er musste trotzdem gehen. Er-neut zeigten die Arbeiter in Polen, dass sieeinen Parteichef stürzen können. Sie wuss-ten allerdings, dass sie die Wahl des Nach-folgers nicht beeinflussen konnten. Mit derStreikwelle 1980 und dem am 31. Augustmit der Staatsmacht unterzeichneten Abkom-men begann der Anfang vom Ende des Kom-munismus nicht nur in Polen, sondern inganz Europa. Mit der Gründung der unab-hängigen Gewerkschaft „Solidarność“ in derLenin-Werft wurde die Bastille des Sowjet-systems gestürmt.

Die Gewerkschafter wussten, dass sie dieMachtfrage nicht stellen durften. Die polni-sche Revolution von 1980 bis 1981 war eine„sich selbst beschränkende“. Dennoch for-derte sie das poststalinistische System exis-tenziell heraus.

Im Dezember 1980 waren die Rote Armeeund die NVA zur „Bruderhilfe“ einmarsch-

der neue Parteichef, General Jaruzelski, am13. Dezember 1981 landesweit einen Kriegs-zustand ausrufen. Die führenden Politikerund Aktivisten der „Solidarność“ wurdeninterniert, die Gewerkschaft selbst zuerst„suspendiert“ und anschließend für illegalerklärt. Etwa 100 Personen starben – obwährend der Erstürmung einer Kohlegrubeerschossen oder infolge mysteriöser Meu-chelmode. 1983 wurde der Kriegszustandformell aufgehoben, doch das Land war ge-spalten, wie noch nie. Die einen deutetenden Kriegszustand als eine neuerlicheFremdbesatzung, die anderen als eine Ver-zweiflungstat, die die Katastrophe einer of-fenen sowjetischen Intervention und bluti-ger, aussichtsloser Kämpfe abwendete. Unddieser Streit ist bis heute nicht ausgestan-den …Die „polnische Revolution“ war aber beiweitem nicht zu Ende. Als 1985 in MoskauMichail Gorbatschow zum Generalsekretärder KPdSU gewählt wurde, sagte er offen,die richtige Reaktion auf die „polnischenEreignisse“ sei die Reform des Sowjetsys-tems. Und während seines Polen-Besuchsgab er auch zu, dass seine „Glasnost“ und„Perestrojka“ eine Antwort auf die „Solidar-ność“ seien. Mehr noch. Polen wurde fürGorbatschow zum Labor. Die Machthaberin Polen zögerten zunächst. Doch 1986 be-gann Jaruzelski mit zaghaften Systemrefor-men. Er legte sogar drei Varianten einer Wirt-schaftsreform vor und ließ das Volk in ei-nem Referendum über sie entscheiden. EineUngeheuerlichkeit im poststalinistischenModell! Er ließ einen Ombudsmann zu, einVerfassungsgericht und öffentliche Debat-ten mit den Strategen der „Solidarność“. Dashalf ihm aber nicht viel. Die radikale Re-formvariante fiel im Referendum durch. Unddas Gespräch mit den Oppositionellen stock-te, solange die „Solidarność“ selbst nichtwieder zugelassen wurde. Um wieder diepolitische Bühne zu betreten, musste sie be-weisen, dass es sie noch gab. Und das tat sieim Sommer 1988. Die Streikwelle warschwächer als acht Jahre zuvor, aber sie er-reichte wieder sowohl die Ostseeküste als

■ Erster Besuch von Papst Jan Paweł II/Johannes Paul II. in Polen im Jahre 1979.

■ 1989 – Der Runde Tisch an dem dieGespräche zwischen der kommunistischenPartei und der Opposition in Polen statt-fanden.

bereit. Der Kreml zögerte jedoch. Die RoteArmee hatte bereits in Afghanistan einenschweren Stand, und Washington warnte densenilen Breschnew vor den unabsehbarenFolgen eines erneuten Kalten Krieges. DiePolen erhielten einen Aufschub. Die militä-rische Drohkulisse blieb das ganze Jahr 1981hindurch bestehen. Wie in der Tschechoslo-wakei 1968 veranstalteten die „Bruderar-meen“ endlose Manöver an den Grenzenund zum Teil auch in Polen. Schließlich ließ

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auch das Kohlerevier. Sie endete schon wie-der am 31. August – mit dem vagen Verspre-chen einer Wiederzulassung der „Solidar-ność“ und weiterer Gespräche. Bei manchennistete sich jetzt ein Spaltpilz ein. HattenWałęsa und seine Berater nicht allzu vorei-lig nachgegeben? Hätte man jetzt nicht dochmehr erreichen können?

Auf der anderen Seite – im ZK der dahinsie-chenden Partei – gab es ebenfalls Empö-rung. Während eines dramatischen PlenumsEnde Dezember 1988, Anfang Januar 1989stellte sich die „Viererbande“ der Reformerin der Parteiführung den „Betonköpfen“ zurDisposition. Der Schachzug gelang. Zähne-knirschend billigte das ZK den „RundenTisch“ mit der Opposition. Der Tisch warwirklich rund und extra für den historischenAkt einer partiellen Machtabgabe durch dieKommunisten schnell gezimmert worden.Er steht heute im Präsidialpalast als einDenkmal und zugleich eine Verpflichtung,die schwierigsten Probleme des Landes ein-vernehmlich zu lösen.

Die erste Sitzung begann am 6. Februar 1989.Direkt am Tisch saßen etwa 60 Personen,darunter auch kirchliche Beobachter. DerTisch hatte aber auch drei „Subtische“, andenen insgesamt 452 Personen zwei Monatelang über Reformen der Staatsstruktur, desWirtschaftsmodells und der Gesellschafts-politik verhandelten. Manches wurdeübrigens nicht am Tisch selbst besprochen,sondern vertraulicher in einem Gästehausder Regierung, was die Gegner des ausge-handelten historischen Kompromisses zudem Vorwurf verleitete, dort sei im Techtel-mechtel mit den Kommunisten Verrat an derwahren Revolution begangen worden. DerKompromiss bestand darin, dass für den 4.Juni Wahlen zum Sejm und zum – wiederzugelassenen – Senat ausgeschrieben wur-den. Nur 35 % der Sitze im Sejm, dafür aberalle 100 % im Senat standen der Oppositionzur freien Wahl. Die Gegner des „RundenTisches“ in der „Solidarność“ fühlten sich

darin bestätigt, ausgetrickst worden zu sein.„Wir sind um den Triumphzug betrogen wor-den“ – sagten sie. Doch die Wahlen endetenmit einer Katastrophe für die bisherigenMachthaber. Die wieder zugelassene „Soli-darność“ gewann sämtliche zur freien Wahlstehenden Sejm-Mandate und 92 Sitze imSenat. Die prominenten Regierenden, dieauf der „Landesliste“ kandidierten, fielendurch und wurden durch unbekannte Partei-kandidaten ersetzt. Die Machtübergabe andie „Solidarność“ begann dann schneller alserwartet. Die alten „Blockflöten“-Parteienwechselten den Koalitionspartner und bilde-ten mit der „Solidarność“ im September eineRegierung unter dem ersten nicht kommu-nistischen Ministerpräsidenten im Ostblock,Tadeusz Mazowiecki. Garant für die Block-treue waren der neue Staatspräsident, Gene-ral Jaruzelski, und die vier von ihm ernann-ten Minister. Für kurze Zeit. Die Präsident-schaftswahlen 1990 gewann Lech Wałęsaund die Parlamentswahlen 1991 die „Soli-

darność“. Doch da sah Europa schon völliganders aus. Der polnische „Runde Tisch“löste im Ostblock eine Lawine aus. Baldnach den Parlamentswahlen in Polen öffneteUngarn die Grenze zu Österreich und er-möglichte den DDR-Deutschen eine Flucht-welle, die dann auch über Prag und War-schau den Westen erreichte. Die DDR-Funk-tionäre übersahen allerdings das polnischeSignal. In ihrem Visier war nicht der polni-sche, sondern der chinesische 4. Juni. AmTag der „halbfreien Wahlen“ in Polen zer-malmten Panzer die streikenden Studentenauf dem „Platz des himmlischen Friedens“in Peking. Dennoch machte das „polnischeModell“ der „Runden Tische“ auch in derDDR Schule. Nachdem die Staatsmacht imNovember den Leipziger Demonstrationennicht „chinesisch“ beigekommen war, er-richtete man in der DDR republikweit hastigRunde Tische der Staatspartei und der nochamorphen und nagelneuen Bürgerrechts-gruppierungen. Doch das Neue Forum konn-te nie das Ausmaß und die Beharrlichkeitder polnischen „Solidarność“ erreichen. Eserstürmte auch nicht die deutsche Bastille.Die Berliner Mauer wurde infolge einer gro-tesken bürokratischen Panne geöffnet, unddie kleinen Gruppierungen der Bürgerrecht-ler verschwanden bald im Orkus des Bei-tritts zur Bundesrepublik.Zwanzig Jahre danach haben die DDR-Deut-schen aber eine der ihren als deutsche Bun-deskanzlerin und die Polen eine weitere End-losschleife im Streit der Historiker. War der„Runde Tisch“ 1989 nun ein kleinmütigesTechtelmechtel mit den Regierenden oderein gewaltiger Paradigmenwechsel in derpolnischen Geschichte, in dessen Zuge nichtdurch einen aussichtslosen Aufstand, son-dern durch Verhandlungen und Kompromis-se eine gewaltlose, endgültige Demontagedes nach 1945 Ostmitteleuropa durch Stalinaufgezwungenen totalitären Systems mög-lich wurde.So oder so: Die Öffnung der Berliner Mauerbegann 1989 in Polen – mit jenem „polni-schen Möbelstück“, dem Runden Tisch. Dassollten die Deutschen zwanzig Jahre danachim Hinterkopf behalten.

■ Die damaligen Außenminister von Ungarn GyulaHorn und Österreich Alois Mock öffnen am 27. Juni1989 die österreichisch-ungarische Grenze.

■ Während die Armee bereits auf Peking zumar-schierte, richtete die Studentenführerin Qai Lingnoch einmal an die internationale Gemeinschaft ein Blutvergießen zu verhindern. Doches nutzte nichts: In der Nacht zum 4. Juni 1989 wurden Tausende Demonstranten aufdem „Platz des Himmlischen Friedens“ von Panzern plattgewalzt oder erschossen.

■ Deutsch-deutsche Party an derMauer in der Nacht vom 9. auf den10. November 1989.

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Gespräch mit Tadeusz Fiszbach, damalsParteisekretär der PZPR in Danzig undBasil Kerski, Leiter des Europejskie Cent-rum Solidarności/Solidarność-Centrum.

Tadeusz Fiszbach, ehemaliger Parteisekretärder Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei(PZPR), berichtet uns als Zeitzeuge des Soli-darność-Zentrums über seine komplexe Rol-le in den schwierigen Zeiten des Umbruchsin Danzig/Gdańsk. Seine Familie stammt ausdem Lemberger Raum. Das Schicksal derFamilie wurde durch Krieg, Flucht und Ver-treibung besiegelt. Die Entscheidungen vonJalta haben dazu geführt, dass die FamilieFiszbach in den Norden Polens „verscho-ben“ wurde und dass seinem Leben als eineneue Richtung vorgegeben wurde als „galizi-scher Kaschube“. Aktiv an der Gestaltungder Gesellschaft mitzuwirken hat TadeuszFiszbach nach dem Ende des Stalinismusdazu bewogen, in die kommunistische ParteiPolens einzutreten. Humorvoll beschreibt erdie Zeit des politischen Kompromisses. DieKirche bekam ihren Freiraum, Kollektivie-rungen wurden zurückgenommen. Er wurdeals praktizierender Katholik auch erstmal miteiner Probezeit in die PZPR aufgenommen,dann aber rasch Parteisekretär einer Kreis-stadt. Er erlebte dort die ersten Arbeiterunru-hen, ebenso die Erhebungen in Danzig mitmehreren tausend Menschen, als 1970 dieParteizentrale brannte und 21 Menschen ge-tötet wurden. „Ich bin damals als Vertreterder Partei zu den Menschen gegangen, binraus in die Betriebe zu den Arbeitern undhabe den Kontakt gesucht.“ Noch vor demEingreifen durch das Parteikomitee nahm erin der aufgeheizten Stimmung respektvollGespräche mit den Arbeitern auf, „und ichhab sie unter Kontrolle bekommen!“ Er hatteden Eindruck, es wurden immer wieder klei-ne Streiks inszeniert, damit er komme, be-merkt er humorvoll. Parteielite und Vertreterder Zentralmacht interessierten sich natür-lich dafür, wie er das so machte und in derZeit von Edward Gierek, in den 70er Jahren,versuchte man, tatsächlich eine Kultur desDialogs zu installieren. Aufgrund seiner Er-fahrungen war er angesehen in der Partei undkonnte in der Hierarchie aufsteigen, wurdeParteisekretär in Danzig. Seine guten Kon-takte zu Menschen aus Kultur, Wissenschaftund Bildung, denen er anfänglich mit Berüh-rungsängsten begegnete und die ihn, da erihnen Respekt entgegenbrachte, doch sehrgeprägt haben, stärkten ihn in der Partei undverliehen ihm größere Autorität und Hand-lungsfreiheit. Als dann die (erwarteten)Streiks im Sommer 1980 in Danzig ausbra-chen, wurde er von der Partei dringend (ausdem Urlaub) gerufen, und wollte direkt zurWerft, sich nicht auf die Berichte der Parteiverlassen. Er trat entschieden für das Ge-spräch mit den Arbeitern ein und vertrat sei-ne Haltung auch gegenüber Gierek und demZK, die mehrheitlich den Dialog noch ab-

lehnten. Wiewerde er sichv e r h a l t e n ,wenn der Dia-logs t ra teg ienicht zuge-stimmt werde?„Na, dann wer-de ich auf dieandere Seitegehen, da istmein Platz, da ist Polen!“ antwortet darauf-hin Genosse Fiszbach. In der Rückschauwirkt diese Haltung sehr selbstbewusst, denpersönlichen Druck angesichts der Ereignis-se auf der Werft und weiteren großen Streiksin Stettin und im Süden Polens einerseits undder starren Haltung der Regierung anderer-seits kann man da nur erahnen. Die Parteilei-tung hatte keine andere Wahl, und die syste-matischen Gespräche mit der Regierungssei-te und den Arbeitervertretern begannen EndeAugust. Tadeusz Fiszbach hat in den Gesprä-chen damals, in dieser Krisenzeit, immer aufsein Herz geschaut ohne den politischen Zu-sammenhang zu den blutigen Ereignissen derStreiks im Dezember 1970 zu vergessen.

die Einfüh-rung des poli-tischen Plura-lismus im Ost-block. Diesersehr schwieri-gen Situationwar er im Po-litbüro in War-schau bei derVerteidigung

der Verhandlungsergebnisse ausgesetzt undsollte gegenüber General Jaruzelski die Kom-promisse erläutern: „Es gibt keinen anderenWeg, man kann nicht über die Köpfe derMenschen agieren. Man kann das nur mitihnen gestalten. Es gibt keine Alternative!“.Es gab innerhalb der Partei auch immer Men-schen, die das verstanden haben und ihn un-terstützten. Aufgrund seiner guten Kontaktezur Werft und den Arbeitern war er aber ei-gentlich schon 1980/81 politisch in der Zeitzwischen dem Danziger Abkommen und derVerkündung des Kriegsrechtes isoliert. DasKriegsrecht zerstörte in ihm alle Hoffnungauf Dialog und Vereinbarungen und er ent-schied am 13. Dezember 1981 aus der Partei

„Ich bin damals als Vertreter der Partei zu denMenschen gegangen“

Tadeusz Fiszbach Basil Kerski

Auch in seinem Interesse war es, dass dieStreiks an einem Ort blieben und das Stadt-gebiet Danzigs nicht überschwemmten, sodass es keine Kontrolle mehr gab und blutigeUnruhen hätten entstehen könnten. Auch dieBitte der Werftarbeiter, eine hl. Messe durch-führen zu dürfen, hat er in einem Wirrwarrvon Kompetenzen zwischen Erzbischof, Amtfür Kirchenfragen und ZK in Warschau güns-tig beeinflussen können. Die Messe wurdegehalten, sie war wichtig für alle, schaffteeine gewisse Ruhe, innerlich wie äußerlichund gab den Streikenden ihre Würde. Andieser Stelle würdigt Tadeusz Fiszbach auchdie Rolle Lech Wałęsas, die Komplexität sei-nes Charakters und seiner Strategie, sehr lis-tig und hart gegenüber den Machthabern öf-fentlich aufzutreten aber auch kompromiss-bereit und taktisch sehr klug die Hauptforde-rungen der Streikenden, die Gründung vonunabhängigen Gewerkschaften, zu vertreten.Es ging in diesen Gesprächen eigentlich um

auszutreten. Während des Kriegsrechtes warer immer noch eine politische Persönlichkeitund somit ein Hindernis für die Partei. Manwollte ihn kalt stellen und schickte ihn alskleinen Diplomaten unbemerkt nach Helsin-ki. Dort wurde er wider Erwarten vom finni-schen Ministerpräsidenten, der um seine po-litische Rolle in Polen wusste, herzlich emp-fangen.

Bescheiden und mit Empathie betont TadeuszFiszbach am Ende seiner Ausführungen übersein politisches Leben mit Nachdruck seinenRespekt vor den Werftarbeitern. „Sie warendie eigentlichen Helden dieser Umbrüche undes ist gut, dass es das Solidarność-Zentrumgibt und es ist gut, dass es europäisch ist undunser gemeinsames übereuropäisches Erbe!“

In der anschließenden Diskussion wurdensowohl Fragen an Tadeusz Fiszbach als auchFragen zum Centrum Solidarności beantwor-tet.

Bezüglich des Parteiaustrittes von TadeuszFiszbach, gibt es die Frage, wie er heute

■ Proteste in Gdingen/Gdynia 1970.

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angesehen bzw. behandelt wird. Ist er derBeliebte, der mit für die Wende verantwort-lich war oder ist er der Böse, der früher Kom-munist war?

Antworten von Tadeusz Fiszbach und BasilKerski: Ja, er ist aus der Partei ausgetreten.Die richtige politische Auseinandersetzungfand nicht mit Warschau sondern mit Mos-kau statt. Also er ist immer wieder selbst vonkritischsten Arbeitern eingeladen worden, erwurde auch vor den Streiks schon akzeptiert.In der Wendezeit 1989 baten ihn Vertreterverschiedener Gruppen in den halbfreienWahlen im Juni 89 auf einer unabhängigenListe für das Parlament zu kandidieren. For-mell musste er dafür 6.000 Unterschriftenvorweisen, die er auf dem Langen Marktinnerhab weniger Stunden erhielt. Er kam insParlament, auch Lech Kacziński und LechWałęsa unterstützten seine Kandidatur, er warsogar stellvertretender Parlamentspräsident.Beim Besuch des Papstes 1991 gab es eineoffizielle Delegation des Parlaments und derPapst bedankte sich persönlich bei ihm fürseinen Einsatz und schenkte ihm einen Ro-senkranz. Der Kontakt zu den Familien derOpfer der Proteste vom Dezember 1970 warihm ganz wichtig. Sie haben sich persönlichbei ihm bedankt, dass das große Denkmaldurch seinen Einsatz und gegen den Willender Parteileitung im Dezember 1980 einge-weiht worden ist. Diese Empathie für dieOpfer totalitärer Systeme hängt auch mit sei-ner Familiengeschichte zusammen, denn zweiseiner Familienangehörigen sind in Katynermordet worden.

Frage: Mit wie viel Personal soll dieses faszi-nierende Projekt Solidarność-Centrum reali-siert werde? Wie ist die politische Unabhän-gigkeit gewährleistet?

Antwort Basil Kerski: Die Danziger sagen,wir sind eine viel zu große Gruppe. Zur Zeit,mit Zeitverträgen sind wir etwa 60 Personen.Aber, und ich glaube, in diesem Kreis spürtman die Dimension, wir haben den Auftrag,hier in Danzig, in der Region, in Polen, inEuropa, weltweit zu wirken, und für dieseAufgabe ist das viel zu wenig. Also wenn wiram 31. August 2014 eröffnen, das ist dannder 25. Jahrestag der Nachkriegsdemokratiein Polen, werden wir maximal 90 Personensein. Das hat etwas mit unserer Struktur zutun, die auf dem Papier wunderbar pluralis-tisch aussieht aber ein Bermudadreieck derZuständigkeiten ist. Für das Museum des II.Weltkriegs ist nur die polnische Regierungzuständig. Trotz aller Prozeduren, die so sindwie in Deutschland, Ausschreibungen usw.,habe ich den Eindruck, man kann sowohl inPolen als auch in Deutschland leicht auf sol-che Institutionen zugreifen. Vor einigen Wo-chen sagte Jarosław Kaczyński in einer Redeüber das Museum des II. Weltkrieges: „Diesind als erste auf meiner Abschussliste, wennich an die Macht komme“. Das EuropäischeSolidarność-Centrum hingegen hat drei zu-ständige Träger. Das sind: das Kulturministe-rium, also die Zentrale, die Stadt Danzig, unddie Region. Das ist ähnlich wie im deutschenFöderalismus, wo bei Stiftungen Bundes- undLandesvertreter usw. sitzen. Ich bin als Lei-

ter auch damit befasst, die Interessen auszu-handeln, zurzeit hab ich es leicht, da alle dreiaus der gleichen Partei kommen, aber dasändert sich. Schwierig sind die unterschiedli-chen Perspektiven. Die Danziger wollen, dassich hier arbeite, wenn ich in Paris, Berlinoder Riga bin, denken sie das ist überflüssigeZeit. Die Region will, dass wir hier stark indie kleineren Städte gehen und natürlich willWarschau, dass wir global handeln. Das istein ganz natürlicher Konflikt. Zu unseremAufbau: wir haben sozusagen drei Wirbel-säulen. Die eine Wirbelsäule ist klassisch,Museum und Archiv. Wir haben innerhalb

Für diese wichtigste Abteilung ist PatrycjaMedowska, meine Stellvertreterin, zuständig.Das ist die Zukunft! Aber Bildung ist sehrunpopulär, das wird von den Medien nichtauf Seite eins gesetzt, da wird eher nachspektakulären Aktionen gefragt. Aber wirmachen hier die sehr schwierige Bildungsar-beit. Ich habe mich über das Treffen heutemit Ihnen gefreut, weil ich mir dachte, vielesist für uns alle hier selbstverständlich, egalob wir aus Bremen, Düsseldorf oder Danzigkommen. Jedes Treffen mit 16- bis 22-Jähri-gen ist eine Herausforderung, die würdenvom Vortrag von Adam Adam Krzemińskiwenig verstehen, und damit meine ich nichtFakten sondern Zusammenhänge, auch dieenorme zivilisatorische Revolution und wieKommunikation aussah. Statt riesengroßeKonferenzen zu machen konzentrieren wiruns auf die Bildungsarbeit. Denn zu uns kom-men Studenten, intelligente polnische Stu-denten, die sagen: „Verdammt noch mal, wie-so habt ihr das 1989 nicht so wie in Rumäni-en gemacht?“ Und die Frage ist nicht poli-tisch, sie ist auf die Einzelheiten bezogen.Sie haben kein Gefühl, dafür dass TadeuszFiszbach oder Lech Wałęsa oder wie sie alleheißen hier in Danzig vor Ort gehandelt ha-ben aber an das Ganze gedacht haben, an dieAußenpolitik und an die Weltpolitik. Da manohne diesen Kontext nur sehr schwer bewer-ten kann, legen wir unseren Schwerpunkt inder Bildungsarbeit darauf. Einen weiteren Be-reich der Bildung haben wir Bürgerkultur/politische Kultur genannt, wo es vor allemum die Vermittlung dieses Erbes, von demauch Adam Krzemiński und Tadeusz Fisz-bach sprachen, geht. Mühsame und unange-nehme Kompromisse lohnen sich, damit wirauch weiterhin in einer Gemeinschaft lebenund nicht sagen, wer ist denn hier der Sieger.Wir machen sehr viele Veranstaltungen inden einzelnen Stadtteilen von Danzig, auchin den schwierigen und entwickeln neue Pro-jekte der Bürgerkultur. Wir sind kein Ge-werkschaftsmuseum, sondern eine öffentli-che Kultureinrichtung, die die Erfolge derSolidarność als große soziale und gesell-schaftliche Bewegung, die für die friedlicheLösung von Konflikten eintrat, beleuchtet.Die Kunst des Kompromisses, die Kunst ohneGewalt Veränderungen durchzuführen, dasist der große Erfolg der Solidarność und dafürstehen wir auch programmatisch.

Ela Müller

■ Die Baustelle desCentrum Solidarności.

von 5 bis 6 Jahren eines der interessantestenArchive aufgebaut. Wir leben vor allem vonSchenkungen von Privatleuten, Organisatio-nen und Initiativen, auch aus dem Ausland,betreiben ein großes Foto- und Filmarchivund produzieren selbst Aufzeichnungen mitZeitzeugen.Die zweite Wirbelsäule ist ganz klein, das istdie Wissenschaft, dort arbeiten nicht nur His-toriker sondern auch Sozialwissenschaftler/Soziologen. Für die Erforschung der Soli-darność als größter sozialer Bewegung brau-chen wir Zeithistoriker mit politischen undSoziologen mit historischen Kompetenzen.Wir geben Fachbücher, populäre Bücher undzwei Zeitschriften heraus, eine englischspra-chige „New Eastern Europe“ und eine pol-nischsprachige „Freiheit und Solidarität“.Und die dritte Wirbelsäule ist die Bildung.

■ Der Aufstand gegen das Regime spürteman in Danzig 1981 nicht mehr nur aufdem Gelände der Lenin-Werft.

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Nachbarn spielend kennenlernen

Team ……………………………………

Fußgängerrallye Danzig 2013Studentenheim Start und Ziel

Polnische Post Wie viele Dachgauben sind auf dem Dachan der Vorderfront? ……….

Am Hagelsberg Der wievielte Mai ist am Hagelsberg? ……….

Friedhof der nichtexistierenden Friedhöfe Wann wurde er eingeweiht? ……….

Trinitatiskirche Welche Zahl ist in ihr versteckt? ……….

Fahrenheit Wieviel °F hat es bei 0°C? ……….

Züge ins Leben /Züge in den Tod In wie vielen Städten gibt es dieses Denkmal? ……….

Wie viele Kinder sind auf dem Denkmalzu sehen? ……….

Soldarność-Denkmal Wann wurde es eingeweiht? ……….

An welchem Tor befindet sich das Denkmal? ……….

Brigittenkirche Was kostet die Prägung derJankowski-Gedenkmünze in Złoty? ……….

Marienkirche Wie viele Minitürmchen hat das Dach? ……….

Krantor Wie viele Ausleger hat der Kran? ……….

Shakespeare-Theater Wann ist Shakespeare gestorben? ……….

Hohes Tor Wie viele Kreuze sieht man auf demrechten Wappen? ……….

Große Mühle Wann wurde sie gebaut? ……….

Königliche Kapelle Wie viele Löwen sitzen am Brunnen? ……….

Geburtshaus Fahrenheit Wann wurde er geboren? ……….

Summe ………..

Gemen 2012: Das Programm II war einmalmehr ein Erfolg. Die Jugendlichen und jun-gen Erwachsenen aus drei Ländern hattenwiederum Theater gespielt. Sie hatten Ei-genarten im Tagesablauf der Einwohner ver-schiedener Länder Europas unter die Lupegenommen. Sie hatten sich kritisch mit Cas-tingshows und Fernsehgewohnheiten befasst.Sie hatten Texte geschrieben und kleine Sket-che inszeniert. Dann geändert und wiedergeprobt. Am Ende ernteten bei der Auffüh-rung alle kräftigen Applaus. Das Publikumwar begeistert. Die junge Leute aber warenwie im Vorjahr so mitgerissen von der eige-nen Leistung, dass sie spontan und einstim-mig meinten: Das war so gut, das machenwir im nächsten Jahr wieder. Und wenn wiruns dann in Danzig treffen, hat das nocheinen zusätzlichen Charme.

Zurück in München setzte ich mich mit Wolf-gang zusammen, um zu beraten, wie denndas Programm 2013 in Danzig aussehenkönnte. Zwar hatten uns die jungen Schau-spieler mit ihrem Enthusiasmus ganz in ih-ren Sog gezogen, aber nun schon wiederTheater zu spielen wäre vielleicht nicht gut.Da sollte Abwechslung angesagt sein. Also

lich, geografisch oder kulturell sein. Es wur-de angestrebt, eine interessante Mischungdes eigenen Landes zu präsentieren. Wün-schenswert war, die Schönheiten, Besonder-heiten und die Geschichte des Landes in diePräsentation mit einzuflechten. Zu Beginnwollten wir die Teilnehmer in drei Gruppeneinteilen, die jeweils aus allen drei Nationenbestehen sollten. Als Warm-Up sollte eineRallye oder Schnitzeljagd dienen, die zuFuß durch Danzig führte. Das würde dieGruppenmitglieder zusammenbringen undgleichzeitig einen ersten spielerischen Über-blick über die Stadt ermöglichen. Ich warzuvor noch nie in Danzig gewesen, aber mitHilfe von Ala und Wolfgang gelang es, an-hand eines Stadtplans genügend Sehenswür-digkeiten ausfindig zu machen, die mit derGeschichte der Stadt verbunden waren undausreichend Details boten, die hinterfragtwerden konnten. Dabei musste an jedemPunkt eine Zahl ermittelt werden, beispiels-weise: Wie viele Löwen sitzen am Brunnenvor der Königlichen Kapelle? Alle Zahlenaddiert ergaben ein Endergebnis, das mög-lichst genau erreicht werden sollte.

Dann planten wir, dass die Teilnehmer als

Einführung verschiedene Gesellschaftsspie-le mit geografischem, historischem und wirt-schaftlichem Hintergrund (Beispiel Deutsch-landreise) spielten. Auf dieser Basis solltenPräsentationen erarbeitet werden, die spie-lerisch interessante und charmante Informa-tionen über die Länder geben würden. Undganz besonders schlau stand in unserem Po-sitionspapier: Die Aufgabe ist erfüllt, wennam Ende jeder die Lust verspürt, die nächsteReise in eines der vorgestellten Länder zuunternehmen.

Das Jahr flog nur so dahin, und als wir dann

■ Spiel beim Eröffnungsabend, jedermusste Deutschland puzzlen.

■ Eine der Gruppen löst während derStadtralley die Frage am „Hohen Tor“.

holten wir Tom Werneck, der auch schonzweimal in Gemen beim Team des Pro-gramm II dabei gewesen war, mit ins Bootund dachten angestrengt über das ThemaSpielen und Spiele nach. Gemeinsam ka-men wir auf die Idee, dass es eine wunder-bare Sache sei, den anderen Nationen daseigene Land in einem Spiel oder auf einespielerische Weise darzustellen.

Ich machte mich an die Arbeit und erstelltein Abstimmung mit Ala, Wolfgang und Tomein Positionspapier, um allen Teilnehmernmit genügend Vorlauf einen Eindruck zuvermitteln, was wir von ihnen wollten. Dasgab ihnen gleichzeitig die Chance, sich imVorfeld auf die Aufgabe vorzubereiten.

Ziel des Workshops sollte es also sein, mitspielerischen Mitteln die Jugendlichen undjungen Erwachsenen der jeweils anderenLänder über das eigene Land zu informie-ren. Dies konnte sowohl politisch, wirtschaft-

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am 28. Juli in Danzig aus dem Flugzeugkletterten, waren wir doch sehr neugierig,was da alles an neuen Eindrücken auf unszukommen sollte. Wir zogen in das Studen-tenheim, das für die nächste Woche unserZuhause werden sollte. An der Rezeptionkonnte ich bereits in einige vertraute Ge-sichter blicken. Das war natürlich ganz pri-ma, weil damit die Zeit für erstes Kennen-lernen einfach wegfiel und wir gleich zurSache kommen konnten. Rund 30 Jugendli-che und junge Erwachsene wollten erst ein-mal unter einen Hut gebracht werden. DieRallye durch Danzig sorgte am Montag dannauch schon für den nötigen Zusammenhaltund bei der Fahrt zur Westerplatte hattensich bereits die Gruppen für das Projekt ge-formt.

Den Machern des Programms war es hervor-ragend gelungen, Exkursionen, politische,soziale und geografische Informationen so-wie die notwendige Zeit für die Spielepro-jekte zeitlich miteinander zu koordinieren.

Große deutsche und polnische Spieleherstel-ler hatten uns freundlicherweise einige Spie-le zur Verfügung gestellt, lediglich die „Schät-ze aus dem Palast in Vilnius“ waren auf derpostalischen Strecke geblieben. So reistenwir auf dem Spielplan durch Polen und ver-suchten gleichzeitig, die Infrastruktur durchneue Autobahnen und Brücken zu verbes-sern. Dass wir dabei die verschiedenen Wo-jewodschaften kennenlernten, hatte genauden gewünschten Effekt. Ähnlich ging es unsmit dem Klassiker „Deutschlandreise“, derallen Gruppen einige Städte und Sehenswür-digkeiten des westlichen Nachbarn Polensnahebrachte. Mangels Spiel mussten die ar-men Litauer improvisieren und von ihremLand erzählen, was ihnen aber bestens ge-lang. Endlich kamen nach ein paar Tagenauch die Spiele aus Litauen und alle hattenwieder gleiche Voraussetzungen.

Am Donnerstag erwartete die Gruppen nocheine besondere Überraschung. Es war unsgelungen, den Autor des Spieles „Polska wBudowie“, Piotr Milewski, nach Danzig ein-zuladen. Piotr ist nicht nur Spieleerfinder,sondern auch Produktmanager beim größtenpolnischen Spielehersteller, der Firma Trefl.Somit vereint er das Kreative des Spieleer-findens mit dem technischen und betriebs-

wirtschaftlichen Know-how. In einem herr-lich kurzweiligen Vortrag erklärte er den jun-gen Leuten die Grundlagen des Spielema-chens, von der Idee am Anfang bis zum letz-ten redaktionellen Schliff. Das Ganze wurdeein kleiner Workshop, als Piotr in eine mitge-brachte Materialkiste griff und den GruppenSpielfiguren, Würfel, Blankokarten und Kar-ton übergab. Nun macht mal, hieß die Devi-se. Und alle machten. Piotr, Tom und ichkreisten durch den Raum und berieten dieGruppen, korrigierten und hielten auch mitKritik nicht hintermBerg, falls mal diePferde mit den Ak-teuren durchzuge-hen drohten.

Bereits nach einerStunde zeichnetensich erste konkreteErgebnisse ab: Eineinfaches Laufspiel,eine Art geografi-sches Quiz und derAnsatz eines Gangs-terspiels in der StadtDanzig. Ein Namewar auch sofort zurHand: „Gdangsta“.Bei so viel Kreativität kamen wir ins Stau-nen. Die Zeit verging natürlich viel zu schnellund als wir am Abend mit Piotr beim Essenzusammensaßen, hatten wir immer noch aus-reichend Gesprächsstoff.

Während der letzten Tage hatten wir den jun-gen Leuten eröffnet, dass sie sich auch ein-mal Gedanken darüber machen sollten, wieund was in den drei Ländern gespielt wirdund wie die Unterschiede herausgearbeitetwerden könnten. Damit hatten wir – ohne eswirklich beabsichtigt zu haben – bei einigenJugendlichen wieder einmal den richtigenNerv getroffen. Das verlangte doch förmlichnach schauspielerischer Darstellung!

Am nächsten Tag brachte uns der Bus in dieKaschubei. Wir erfuhren viel Interessantesund Erstaunliches von Zeitzeugen und er-hielten Einblicke in die Geschichte mit ei-nem Spektrum von über hundert Jahren. Au-ßerdem war das der Tag, an dem wir wiedereinmal einen für uns neuen Teil der herrli-chen polnischen Landschaft genießen durf-ten. Und ganz nebenbei reiften die Projekte,denn am nächsten Tag sollte es ja schon aufdie Zielgerade gehen. Und da auch am Abend

das Wetter in Danzig mitspielte, war es wun-derbar, zu später Stunde noch draußen amKrantor oder auf dem Langen Markt zu sit-zen, Danziger Spezialitäten auszuprobierenund nicht an den nächsten Morgen zu den-ken. Doch der kam unausweichlich und riefuns zum Endspurt auf.Wie immer wurde bis zum letzten Momentgewerkelt, geprobt und verbessert. Schließ-lich war es soweit: Die Gruppen sollten sichdem Publikum präsentieren. Tom und ichsprachen einige einführende Worte, unsere

■ Spiele entwickeln unter fachkundigerAnleitung von Piotr Milewski (Mitte).

beiden Sprachmittlerinnen übersetzten. Wirgaben eine kurzen Ablauf dessen, was dasPublikum erwartete und erläuterten, welcheLeistung dahinter steckt, ein solches Pro-gramm in der zur Verfügung stehenden, kur-zen Zeit zur Reife zu bringen. Wir warenselbst erstaunt, mit welchem Eifer die jungenLeute ihre Projekte präsentierten.

Kindliches Spielen wurde auf die Bühne ge-bracht, wobei die Deutschen natürlich wie-der pünktlich und akkurat waren, währenddie anderen einfach Spaß hatten. In einemGespräch zweier Spieler auf der Bühne er-fuhr man so allerhand über spezifische Ei-genarten. Die zweite Gruppe hatte ein wun-derbares Quiz über die einzelnen Länder vor-bereitet, in das das Publikum einbezogen wur-de. Diese Interaktion vermittelte einen rechtintensiven Kontakt zwischen Darstellern undZuschauern. Die letzte Gruppe hatte aus denPappkartons, in denen wir die Spiele trans-portiert hatten, einen Reisebus gebastelt undfuhr nun mit dem Publikum von Deutsch-land über Polen nach Litauen, vorbei an vie-len Sehenswürdigkeiten. Einen besseren Ab-schluss hätten wir uns nicht wünschen kön-

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Jugendliche aus Klaipeda nehmen in jedemJahr bei den vom Adalbertus-Werk e.V. ver-anstalteten Begegnungen teil. Diese Treffenwerden normalerweise auf der Jugendburgin Gemen abgehalten. Im Juli/August 2013war die Veranstaltung aber erstmals in Dan-zig. Partner des Adalbertus-Werk e.V. warendie Gesellschaft Polen-Deutschland/Towar-zystwo Polska Niemcy in Danzig/Gdańskund das Jugendzentrum Klaipéda/Klaipédosjaunimo Centras unter Leitung der stellver-tretenden Direktorin Kornelija Stasiulienë.

Insgesamt, mit den Veranstaltungen, die zu-sammen mit den Erwachsenen stattfanden,wurde den jungen Leuten aus Deutschland,Polen und Litauen ein sehr interessantes Pro-gramm angeboten. Das Thema war „Nach-barn spielend kennenlernen“. Unter der Lei-tung der Journalisten Chris Mewes und TomWerneck beschäftigten sich die Teilnehmermit intellektuellen und interessanten Spie-len aller drei Länder. Gerade die internatio-nalen Gruppen dienten für gegenseitiges Ver-

ständnis in den Workshops. Es gab eine fun-dierte Einführung über die Prinzipien unddie Geschichte des „Erfindens“ von Spielen.Behandelt wurde auch die Frage, was Spielein der Kultur eines jeden Landes bedeuten

und welche politischen und historischen As-pekte sich in Spielen widerspiegeln. Beson-deren Wert wurde dabei darauf gelegt, dassdie Teilnehmer Unterschiede und Gemein-samkeiten von Spielen erkennen. Die Work-shops dauerten oft lange Stunden, in denendie Gruppen die Spiele der anderen Länderspielten.Das ganze von den Organisatoren des Adal-bertus-Werks entwickelte Programm war in-

tensiv wie üblich.Die Stadtralleydurch die wunder-bare Stadt Danzigdiente nicht nurdazu, die berühm-ten Gebäude, Denk-mäler und Museenzu erkunden. Nachdem Rundgangmussten wir eineListe mit Antworten

Neue Erfahrungen durch SpieleDie internationale Jugendbegegnung in Danzig/Gdańsk

nen. Andauernder Applaus dankte den Ak-teuren die Arbeit der vergangenen Tage. Alsalle Mitwirkenden zusammen zu einer letz-ten gemeinsamen Verbeugung vor dem Pu-blikum standen, konnte man förmlich dieFreude der jungen Leute am Erfolg ihrer Leis-tung spüren.Was neben den wirklich kreativen Ideen unddem Spaß in Erinnerung bleibt, ist das hoheInteresse jeder Gruppe am Zustandekommendes Gesamtwerkes, die Ernsthaftigkeit, mitder sich alle der Thematik gewidmet habenund das gemeinsame Handeln dreier unter-schiedlicher Nationen. Sobald jemand bereitwar, sich den anderen gegenüber zu öffnen,haben die es gerne und bereitwillig ange-nommen und ihren Teil zurückgegeben.

Chris Mewes

■ Oben: Präsentation der Ergebnissedes Programm II.

■ Rechts: Entspannte Stimmung amAbschiedsabend nach getaner Arbeit.

■ Schon traditio-nell verwöhnen unsdie litauischen Part-ner immer mit Ge-sang und Musik.

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auf Fragen zurückgeben, die uns von denOrganisatoren gestellt worden waren. Diewaren auch hilfreich, sodass wir uns in derkommenden Woche orientieren konnten.Schön war auch, dass der Zeitraum der Ta-gung so gewählt war, dass der Domikaner-markt stattfand und die Stadt noch lebendi-ger machte. Auch die Schifffahrt zur Wester-platte war sehr interessant. Am Denkmal fürdie Opfer des Weltkriegs waren die jungenLitauer schockiert (in positiver Bedeutung).Auch der Besuch der PGE Arena mit einersehr umfassenden Referenz über das Gebäu-de war beeindruckend.

Wir genossen das Orgelkonzert in der Bri-gittenkirche und die Exkursion unter derLeitung von Gertruda Harsch. Der Besuchvon historischen Stätten, die sehr wichtigsind und die Erzählungen einer Zeitzeuginwerden den jungen Menschen unvergesslichsein.

Unsere Gruppe möchte bemerken, dass al-lein die Stadt Danzig, aber besonders dieLeute, die an der organisatorischen Arbeitbeteiligt waren, unseren Aufenthalt sehr an-genehm gemacht haben. Unterkunft und Ver-pflegung in sehr freundlicher Umgebung undRestaurants waren gut, und wir genossen diePolnische Küche sehr. Dank an Alicja Kęd-zierska, Anna Osiak und Kristina Tomak fürdas Miteinander und die Übersetzung.

Wie üblich wurden am Ende des Programmsauch die Ergebnisse präsentiert. Wir been-deten die Begegnung in der Gewissheit, dasswir uns und die jeweils anderen Länder undihre Sitten und Gebräuche nun wieder einStück besser kennen.

Es war eine gute Idee, dieses Treffen inDanzig zu organisieren. Wir sind positiv

DanksagungAleksas Bagdonavičius – Direktor –bedankt sich im Namen des Jugend-zentrums Klaipeda herzlich für dieZusammenarbeit bei den internatio-nalen Jugendbegegnungen. Das Tref-fen in Danzig 2013 war vom Adal-bertus-Werk sehr gut organisiert.Hervorgehoben werden explizit diekulturellen und thematisch interes-santen Veranstaltungen.

Die Workshops, Kurzausflüge unddie große Exkursion machten die Ta-gung attraktiv und erfolgreich. Alek-sas dankt ausdrücklich für die Einla-dung der Jugendlichen aus Litauen,für die umfassende Betreuung derGruppe und die Organisation.

Zum Abschluss gibt er seiner Hoff-nung Ausdruck, dass wir auch in zu-künftige Projekte die Jugendlichenaus Litauen einbinden werden undbetont wie wichtig und notwendigsolche internationalen Jugendveran-staltungen sind.

überrascht von der Schönheit der Stadt, aberhaben auch das Danzig des Weltkrieges unddes Kommunismus kennengelernt. Wir sindsehr dankbar für unseren Aufenthalt und einbereicherndes Programm, mit Exkursionenund kulturellen Veranstaltungen.

Jeder von unserem Team vermisst aber auchschon Gemen, da Gementreffen so „ma-gisch“ sind und nach der interessanten Rei-se nach Polen hoffen wir, nach Deutschlandzurückzukehren, zu der zauberhaften Stelle– der Burg Gemen.

Wir wünschen dem Adalbertus-Werk undden Menschen weiterhin viel Erfolg, diesolch interessante Ereignisse für Menschenund besonders für junge Leute aus Europaorganisieren.

Kornelija StasiulieneJugendzentrum Klaipeda

■ Die Litauische Gruppe im Stadion undam Ehrenmal in Piasnitz/Piaśnica.

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Ich bin Rafael Weimer, mache seit einigenWochen meine Ausbildung zum Elektronikerund bin für mein Leben gerne Freizeitmusi-ker. Außerdem lerne ich nebenbei die polni-sche Sprache in der Volkshochschule in Min-den, da ich Freunde in Polen habe, mit de-nen ich mich besser verständigen möchte.Mit meinem Anliegen polnisch besser be-herrschen zu wollen, bin ich auf das Adal-bertus-Werk e.V. gestoßen und durfte vom28. Juli bis zum 4. August 2013 an derdeutsch-polnischen Studientagung teilneh-men.

Zunächst fragte ich meine Lehrerin aus demPolnischunterricht an der Volkshochschule,ob sie mit helfen würde, ein Jugendprojektzu finden, bei dem ich meine Sprachkennt-nisse über die Schulferien verbessern könn-te. Schon bald fand sie eine Ausschreibungauf der Homepage des polnischen Institutesaus Düsseldorf. Das Adalbertus-Werk ver-anstaltete eine Begegnung für junge Men-schen aus Deutschland, Polen und Litauenin Danzig und es waren nicht nur Mitgliederdes katholischen Vereins dazu eingeladen.Ich fühlte mich angesprochen und so griffich zum Telefon, rief den Organisator Wolf-gang Nitschke an und erkundigte mich überdieses Projekt. Einen schülergerechten Preismit Vollverpflegung und eine erwartendeTeilnehmeranzahl von etwa 30 jungen Per-sonen klang nahezu perfekt für mich. Da ichdiese Fahrt nach Polen als eine erstklassigeGelegenheit für mich sah, meine Sprach-kenntnisse zu verbessern, und nebenbeiGleichaltrige aus anderen Ländern kennen-zulernen, zögerte ich nicht lang damit, dieAnmeldung zu diesem Projekt abzuschicken.In den nächsten Wochen folgten lediglicheinige E-Mails, um die Unterlagen für dieAnmeldung zu vervollständigen und um mireine einfache Reise zum Standort des Stu-dentenwohnheims in Danzig zu ermöglichen.Einige Tage, bevor die Fahrt in den Schul-sommerferien starten sollte, schrieb ich er-neut Wolfgang eine Mail, in der ich ihn nach

der angemeldeten Teilnehmeranzahl fragte,besonders die Zahl der jungen Polen interes-sierte mich. Er schrieb mir zurück und ichverstand es so, dass nur etwa 5 Leute an demProjekt teilnehmen würden und auch meingeplanter Zimmerpartner wegen Krankheitnicht dabei wäre, weshalb ich stark ent-täuscht war. Sollte ich jetzt einen Rückzie-her starten und die Anmeldung rückgängigmachen, oder sollte ich nun diesem Projekteinfach die Gelegenheit dazu geben, eineunvergessliche Woche zu werden? „Fahr

hoffte, dass ich wenigstens an dem richtigenGebäude war.

Plötzlich kam ein Mann aus der Eingangstürauf mich zu und sagte, noch bevor er michbegrüßte: „Es tut mir leid, Rafael. Wir ha-ben uns völlig missverstanden. Es ging umfünf männliche Personen für drei Doppel-zimmer – also muss einer von Euch alleinewohnen. Der Tagungsraum ist voll mit jun-gen Leuten und wir warten schon alle aufdich, komm rein!“ Das war dann wohl Wolf-gang, der Organisator der Studientagung.Später erfuhr ich sogar, dass mir Wolfgangkurz vor meiner Abreise eine Mail schrieb,in der er bereits betont hatte, dass genug

Wenn man neu dabei ist …

doch einfach hin, die Woche wird bestimmtviel spannender sein, als du jetzt denkst!“,sagte mir meine Mutter an dem Tag vormeiner Abreise. Schließlich bin ich danndoch mit einem schlechten Gefühl im Baucham nächsten Tag in den Reisebus nach Po-len gestiegen. Als ich nach einer 14-stündi-gen Fahrt in Danzig ankam, sagte mir auchdort schon sofort der erste Tag, dass dieseWoche nicht gut werden könne, denn dieStraßenbahnlinie, die ich brauchte, um vomBusbahnhof zum Studentenwohnheim zukommen, fuhr an diesem Sonntag nicht undso musste ich knapp zwei Kilometer zu Fußmit schwerem Gepäck zu meinem Ziel ge-hen. Völlig erschöpft angekommen, standich vor einem großen gelben Hochhaus und

Anmeldungen vorhanden seien, sodass ichmir keine Sorgen zu machen brauchte. Dochdiese Mail konnte ich leider nicht mehr recht-zeitig lesen und deshalb blieb meine Unsi-cherheit bestehen. Aber nun war ich völligerleichtert und freute mich schon riesig aufdiese Woche. Schnell brachte ich, zusam-men mit Wolfgangs Nichte Angela, meineSachen in mein Zimmer, meldete mich ander Rezeption an und lernte alle Teilnehmerkennen, die sich im Tagungsraum versam-melten. Und es stimmte, der Raum war tat-sächlich voller Leute. Ich kam schon miteinigen litauischen, polnischen und deut-

■ Auch auf dem Weg zum Restaurant undwährend der Mahlzeiten mischten sichdie Teilnehmer der Programme I und IIund kamen untereinander ins Gespräch.

■ Rafael (Bildmitte) war sichtlichsehr zufrieden mit dem Projekt.

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schen Teilnehmern in kleine Gespräche.Auch die anderen Betreuer Chris, Tom, Ala,und die Übersetzerinnen Ania, Lidka undKristina kamen mir sehr sympathisch rüber.Durch ein kleines Kennenlernspiel lockertesich die ganze Situation und ich fand michals Neuling schnell in der gesamten Gruppeein. Auch mit meinem Zimmerpartner Pijusaus Litauen kam ich sehr gut zurecht, ob-wohl wir uns fast nur mit Englisch verstän-digen konnten. Anschließend stellte Chrisdie Projektarbeit für die nächsten Tage vor,in denen wir unsere Nachbarländer spiele-risch kennenlernen sollten. Im darauffolgen-den Spaziergang zum Restaurant, für einerstes gemeinsames Abendessen, konnte ichviel mit Pijus reden und einiges über ihn undseinen Erlebnissen aus den Vorjahren mitden Begegnungen des Adalbertus-Werkeserfahren. Außerdem lernte ich Robert ken-nen, der gebürtig aus Danzig kommt undsogar ungefähr soviel Deutsch wie ich Pol-nisch sprechen konnte. Somit konnte ichmich mit mehreren Jugendlichen aus denverschiedenen Ländern bereits am ersten Taggut anfreunden, worüber ich, gerade weilich dies am Anfang der Woche überhauptnicht für möglich gehalten hatte, sehr er-freut war. Im Laufe der nächsten Tage achte-te ich darauf, dass ich nicht nur neben mei-nem Zimmerpartner herlief, sondern auchdie Gemeinschaft bei den anderen litaui-schen, polnischen aber auch deutschen Teil-nehmern suchte, um einfach mit fast jederPerson einmal in ein Gespräch kommen zukönnen. Dabei lernte ich sogar einige all-tagsbezogene Worte in der litauischen Spra-che, die ich gerne als lustige Abwechslungzu meiner Muttersprache benutzte.

Parallel zu diesem Projekt für junge Leutefand außerdem ein Programm mit ähnlichemInhalt für Erwachsene und Senioren statt,denen wir bei den Mahlzeiten und auch beieinigen Exkursionen begegnen konnten.Auch hier kam ich mit einigen Teilnehmernin ein Gespräch. Lidka, die Übersetzerin fürPolnisch in dieser Gruppe, schloss michschnell in ihr Herz, weil ich mich sehr fürdiese Sprache begeisterte und sie mir dieFragen beantwortete, die sich um dieses The-ma im Laufe der Woche bei mir sammelten.

Zum Ende dieser Woche kam ich außerdemmit einem Schlesier in ein Gespräch, der vorseinem Ruhestand Elektroingenieur in derAutomobilindustrie war. Lange erzählte ermir über die vielen technischen Phänomeneund Erlebnisse aus seiner Vergangenheit, dieaus erfolgreichen Entwicklungen seiner Kar-riere und auch aus harten Schicksalsschlä-gen bestand. Gerne hörte ich ihm dabei zuund war froh darüber, dass ich auch als an-gehender Elektroniker etwas aus dieser Wo-che für mich mitnehmen konnte. Eine ältereDame aus dem Erwachsenenprogramm, diewahrscheinlich in ihren jungen Jahren einehervorragende Tänzerin war, faszinierte unsam Mittwochabend dieser Woche. Nach ei-nem Gottesdienst in der Danziger St. Doro-theenkirche zeigte sie bei Musik und Tanz inder örtlichen Pfarrgemeinde jedem Tanzpaar,welches sich an diesem Abend auf die Tanz-fläche traute, wie diese am besten zu Tanzenhatten. Manchmal kam es auch vor, dass sie

positiven Eindruck hinterlassen. Die Stadt-rallye, die Schifffahrt zur Westerplatte unddie Besichtigung dort, die Exkursion in dieKaschubei, die Spielzeiten während der Pro-jektarbeit, die gemeinsamen Mahlzeiten undauch die freien Zeiten für Spaziergängedurch die Stadt waren einige von mehrerenAugenblicken, in denen ich nicht nur schö-ne Erlebnisse hatte, sondern auch viele Kon-takte knüpfen konnte. Es lohnt sich auch einzweites Mal an diesem Projekt teilzuneh-men, um noch mehr Sprachkenntnisse undkulturellen Austausch zu erfahren. Am meis-ten hat es mir persönlich gefallen, dass ich,obwohl ich kein festes Mitglied des Adal-bertus-Werkes oder der Adalbertus-Jugendgewesen bin, dennoch freundlich und entge-genkommend in die Gruppe aufgenommenwurde und somit schnell den Anschluss zuprägenden Gesprächen finden konnte. Wennes für mich möglich ist, eine weitere Begeg-nung im Jahre 2014 anzutreten, würde ichmir wünschen, dass der miteinbeziehendeUmgang mit Menschen, die neu zu den Stu-dientagungen des Adalbertus-Werkes hinzu-stoßen, genau so bestehen bleiben kann, wieich es in diesem Jahr erleben durfte.Deshalb kann meiner Meinung nach ein je-der Jugendliche, der auch schon einmal da-rüber nachgedacht hat, an einem länderüber-greifenden Jugendprojekt teilzunehmen, beieiner Studientagung durch das Adalbertus-Werk eine lohnenswerte Lebenserfahrungund fremdsprachliche Weiterbildungen erle-ben. Rafael Weimer■ Ein Teil der Gruppe auf der Aussichts-

plattform am höchsten Punkt der Kaschubei.

■ Spaziergang an der „Langen Brücke“.

sich einen der Teilnehmer schnappte unddemjenigen eine Einzellektion im Tanzenerteilte, obwohl sie überraschenderweisestets gebrechlich wirkte und immer auf ih-ren Gehstock angewiesen war. Daraus folgteein lustiger Abend, der mich sehr überrasch-te, weil es ein Moment war, in dem Jung undAlt miteinander eine harmonische Gemein-schaft gebildet haben.Die Teilnehmer und Mitarbeiter, aber auchdas Projekt, in dem wir durch verschiedeneländerspezifische Spiele auch auf kulturel-ler Ebene voneinander lernen und verstehenkonnten, haben in mir in dieser Woche einen

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Bischof Dr. Carl Maria Splett (* 17. Januar1898; † 5. März 1964) wird heute von denKatholiken des Bistums Danzigs in Deutsch-land wie in Polen geschätzt und verehrt. Daswar nicht immer so. Die Umstände seinerErnennung 1938 und die überaus schwierigeZeit seines Hirtenamtes bis 1945 zeugenvon der antipolnischen wie antikatholischenAggressivität der damaligen nationalsozia-listischen Herrscher. Sein Prozess, seine Haftund seine Verbannung von dem Schmerz derverfolgten Polen und mehr noch vom Ver-such der antikatholischen kommunistischenHerrscher, einen Sündenbock zu finden undzu richten. Nach dem polnischen Frühling1956 gelang seine Ausreise in die Bundesre-publik. Zuerst in Neuss, dann in Düsseldorffand er neue Aufnahme und neue Aufgaben.Als Oberhirte der Danziger Katholiken inder Vertreibung sorgte er sich um seine Diö-zesanen in der Bundesrepublik. Er wurdebegeistert und warmherzig auf der Jugend-burg Gemen empfangen, wo sich seit 1947die Gemeinschaft der Danziger KatholischenJugend traf. Er unterstützte 1960 die Grün-dung des Adalbertus-Werk e.V., welches ausdieser ursprünglichen Jugendbewegung ent-stand. Gleichzeitig wirkte er als Bischof inder die Erzdiözese Köln und im Bistum Aa-chen. Er predigte und firmte im weiten Um-kreis Düsseldorfs. Zu seinem 25. Bischofs-jubiläum vor nunmehr 50 Jahren wurde inDüsseldorf am 23. und 24. August 1963 einDanziger Katholikentag veranstaltet. Vorträ-ge, Begegnungen, kulturelle Veranstaltun-gen und Gottesdienste prägten diesen – wiejeden – Katholikentag. Der damalige Vorsit-zende der Deutschen Bischofskonferenz, Jo-sef Kardinal Frings, gratulierte im Festakt,der Vertriebenenbischof Heinrich MariaJanssen aus Hildesheim hielt die Festpredigtin St.Lambertus. Die Danziger Vesper in St.Peter beendete das Treffen. Keine siebenMonate später verstarb Bischof Splett. Einbeeindruckender Trauerzug begleitete ihnvon St. Peter nachSt. Lambertus.Nicht nur Danziger,auch Düsseldorfernahmen Abschiedvon „ihrem Bi-schof“. Er wurde inder Kirche St. Lam-bertus feierlich bei-gesetzt.

Als Bischof vonDanzig traf er aufdem II. Vatikani-

Zum 75. Jahrestag der Bischofsweihe vonCarl Maria Splett am 24. August 1938

■ Bischof Splett (r.) und die Konse-kratoren nach der Bischofsweihe.

schen Konzil seinenAmtsbruder, denpolnischen Bischofin Danzig, EdmundNowicki (*13. Sep-tember 1900; † 10.März 1971). DerAufbruch des Kon-zils wie die begin-nende Entspannungzwischen Deutsch-land und Polen, be-ginnend mit denBotschaften katho-lischer und evange-lischer Christen,Anfang bzw. Mitteder sechziger Jahreschuf eine neueGrundlage für wirk-liche Versöhnung.Das Adalbertus-Werk e.V. hat die-sen Weg aktiv be-gleitet und geför-dert. Schon in derZeit der Solidarnośćveränderte sichauch der polnischeBlick auf das Wir-ken Bischof Spletts.Es ist ein schönerErfolg des Glaubensan eine gemeinsame Zukunft, dass auch derBlick auf die Vergangenheit frei wird vonnationalistischen Verstellungen. Der Teil desNachlasses von Bischof Splett, der zum Ei-gentum des Adalbertus-Werk e.V. gehört,sowie Teile aus Privatbesitz befinden sichheute als Dauerleihgabe im DiözesanarchivDanzigs. Seine bischöflichen Zeugnisse sindselbstverständlicher Teil der Ausstellung imDiözesanmuseum der Kathedrale von Oliva.Sein Grab ist weiterhin in Düsseldorf undzeugt damit von der gebrochenen und grenz-

überschreitenden Geschichte christlichenZeugnisses. Sein Grab war regelmäßiger Ortgemeinsamen Gebetes, vor allem am Drei-faltigkeitssonntag nach Pfingsten, sein Wahl-spruch lautete „In trinitate robur“ / „in derDreifaltigkeit liegt die Kraft“. Seine Nach-folger in Deutschland, die Apostolische Vi-sitatoren für die Danziger Katholiken, ha-ben regelmäßig zu den sogenannten„Oliv’schen Sonntagen“ mit Danziger Ves-per und anschließender Gelegenheit zu Be-gegnung geladen.Am 15. Juni 2014 laden das Adalbertus-Werk e.V. und der neu ernannte Seelsorgerfür die Danziger Katholiken, der geistlicheBeirat des Adalbertus-Werkes Pfarrer PaulMagino, zu einem weiteren „Oliv‘schenSonntag“ nach Düsseldorf ein. Gemeinsammit dem Beauftragten der Deutschen Bi-schofskonferenz für Vertriebenen- und Aus-siedlerseelsorge, Weihbischof Dr. ReinhardHauke, wird dabei an das Bischofsjubiläum,wie auch an den fünfzigster Todestag vonBischof Carl Maria Splett, erinnert werden.Es wird aber auch das große Werk der Ver-söhnung, das erreicht ist und das noch voruns liegt, im Zentrum der an die Vesperanschließenden Veranstaltung und Begeg-nung stehen. Norbert Czerwinski

■ Bischof Splettwird mit Span-nung in Gemen er-wartet, 1957.

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NachrichtenPersonalwechsel im deutschenGeneralkonsulat DanzigTurnusmäßig nach vier Jahren hat Vizekon-sul Gerd Fensterseifer im Sommer 2013das Generalkonsulat der Bundesrepublik inDanzig verlassen und ist nach Berlin zu-rückgekehrt. Generalkonsulin Annette Kleinwürdigte ihn beim Abschiedsempfang alshochqualifizierten Kollegen, der sich „in je-dem Einzelfall um optimale Lösungen fürdie Betroffenen“ gekümmert habe. GerdFensterseifer war seit Juli 2009 in Danzigtätig gewesen und hatte sich insbesondereum die Deutschen Minderheiten gekümmert.Seine Nachfolgerin heißt Ute Vogt und hatihren Dienst in Danzig bereits im Sommeraufgenommen.

Bundesverdienstkreuz fürDieter BingenAm 4. Oktober zeichnete BundespräsidentJoachim Gauck im Berliner Schloss Belle-vue den Direktor des Deutschen Poleninsti-tutes Prof. Dr. Dieter Bingen anlässlichdes Tages der Deutschen Einheit mit demGroßen Verdienstkreuz des Verdienstordensder BundesrepublikDeutschland aus. Inder Begründung derOrdenskanzlei imBundespräsidialamtheißt es: „Der Poli-tologe und Histori-ker setzt sich seitJahrzehnten für diePflege der deutsch-polnischen Bezie-hungen ein. DieterBingen ist einer der profiliertesten Kultur-vermittler und Politikexperten in beiden Län-dern“. Seit 1999 leitet er das Deutsche Po-len-Institut Darmstadt, eine der bedeutends-ten Einrichtungen für polnische Geschichte,Kultur und Politik. Dem Adalbertus-Werke.V. ist Dieter Bingen immer sehr verbundengewesen. Unvergessen wird uns bleiben, dasser in Gemen auch schon einmal an seinemGeburtstag einen Vortrag gehalten hat. Wirgratulieren herzlich zu seiner Auszeichnungmit dem Bundesverdienstkreuz.

20 Jahre Polnisches InstitutDüsseldorfVor 20 Jahren am 29. November 1993 wurdedas Polnische Institut Düsseldorf durch denMinisterpräsidenten von Nordrhein-Westfa-len Johannes Rau, den Leiter des DeutschenPolen-Instituts Darmstadt Karl Dedecius so-wie den Dichter Tadeusz Różewicz und denpolnischen Botschafter Janusz Reiter eröff-net. Das Düsseldorfer Haus ist eins von welt-weit verteilten Polnischen Instituten, die dasAußenministerium der Republik Polen ein-gerichtet hat mit dem Ziel, die gesellschaft-lichen und kulturellen Beziehungen zwi-

schen dem jeweiligenGastland und Polendurch die Präsentation der polnischen Kul-tur in all ihren Facetten sowie der Politik,Geschichte, Gesellschaft und Bildung zu in-tensivieren. Ausstellungen, Konzerte, Dis-kussionen, Film- und Theateraufführungenoder Dichterlesungen sind im Programm desInstitutes. Die Veranstaltungen finden nichtnur im Haus in der Düsseldorfer Citadell-straße 7 statt. In ganz Nordrhein-Westfalen,Rheinland-Pfalz, Hessen und dem Saarlandnimmt das Institut an zahlreichen Initiativendeutscher Museen und Hochschulen aktivteil. Es gestaltet die Programme von Thea-tern, Kulturfestivals sowie Konzert- und Ki-nosälen mit und organisiert Studien- undBegegnungsreisen. Das Adalbertus-Werke.V. hat bei zahlreichen Veranstaltungen desInstitutes in Düsseldorf mitgewirkt und zumBeispiel auch in Kooperation mit dem pol-nischen Institut das Konzert „Chopin à laMusette“ beim 64. Gementreffen im Jahr2010 veranstaltet.

20 Jahre RenovabisDie Solidaritätsaktion der deutschen Katho-liken mit den Menschen in Mittel- und Ost-europa, Renovabis, hat am 7. November 2013ihr 20-jähriges Bestehen mit einem Festaktin Berlin gefeiert. 1993 wurde Renovabis inTrier gegründet und dann mit einer ständi-gen Geschäftsstelle in Freising eingerichtet.Seitdem konnten 20.000 Projekte mit rund580 Millionen Euro gefördert werden. InSolidarität mit Partnern in 29 Ländern Mit-tel-, Südost- und Osteuropas sind diese Pro-jekte im Sinne von „Hilfe zur Selbsthilfe“vor Ort mit der Unterstützung von Renova-bis verwirklicht worden. Renovabis-Haupt-geschäftsführer Pater Stefan Dartmann SJbetonte, dass das 20-jährige Bestehen vonRenovabis Anlass zu Rückschau und Aus-blick biete. Für ihn sei wichtig, „wie dieneue Freiheit nach dem Ende des Kommu-nismus gestaltet worden ist“, und dabei etwaauch, welche Rolle die Kirchen vor Ort über-nehmen kann und welche Perspektive dieSolidarität mit dem Osten Europas hat. FürPater Dartmann führt die Perspektive von„unserem kleinen Jubiläum 2013“ zum Ge-denkjahr 2014 – „25 Jahre Wende“, in dem„Solidarität und Freiheit auch von Renova-bis angemessen zu buchstabieren sein wer-den.“ wn/ncz

Existenz des DeutschenPolen-Instituts bedrohtDer Landtag Rheinland-Pfalz hat am 12.Dezember 2013 in 3. Lesung den Landes-haushalt Rheinland-Pfalz 2014/15 verab-schiedet und die von der Landesregierungempfohlene Streichung der direkten institu-tionellen Förderung des Deutschen Polen-Instituts ab 2015 besiegelt. „Damit fehlt demInstitut 2015 rund ein Viertel seiner institu-tionellen Förderung“, sagt InstitutsdirektorDieter Bingen.Die in Deutschland und in Polen vielerortsgeäußerte Besorgnis und die zahlreichenBriefe von hervorragenden Persönlichkeitenund Institutionen aus Politik, Wissenschaftund Kultur in Deutschland und in Polenhaben zu keiner Revision der beabsichtigtenStreichung geführt. Weder die ehemaligenInstitutspräsidenten Helmut Schmidt undHans Koschnick noch der Beauftragte vonMinisterpräsident Donald Tusk für interna-tionale Fragen, Staatssekretär WładysławBartoszewski, konnten die Landesregierungzu einem Abrü-cken von ihrerAbsicht bewe-gen. Ebensowenig ändertenüber 300 Unterschriften unter einer polni-schen Petition mit Namen von Intellektuel-len, Künstlern, Publizisten, Universitätspro-fessoren, Mitgliedern der Polnischen Aka-demie der Wissenschaften und Politikern,wie Außenminister a. D. Adam D. Rotfeld,und über 4.000 Unterschriften unter einerdeutschen Petition mit Namen von Unter-stützern aus über 30 Ländern, darunter be-sonders zahlreichen aus Rheinland-Pfalz, dieHaltung der rheinland-pfälzischen Landes-regierung.Ministerpräsidentin Malu Dreyer hatte inihren Antwortschreiben auf die zahlreichenan sie gerichteten Schreiben selbst auf diegroße Bedeutung und die hervorragende Ar-beit des Deutschen Polen-Instituts für diedeutsch-polnische Verständigung hingewie-sen. In einem Entschließungsantrag derMainzer Regierungsfraktionen vom 10. 12.2013 heißt es, dass Rheinland-Pfalz insbe-sondere durch die Kooperation des DPI mitrheinland-pfälzischen Schulen von dessenArbeit profitiert habe.Die Entscheidung des Landes Rheinland-Pfalz ist eine große Enttäuschung. Umsomehr freut sich das Deutsche Polen-Institutüber die breite Unterstützung, die es erfährt.Diese Solidarität hat sicherlich entscheidenddazu beigetragen, dass das Land Rheinland-Pfalz im Bewusstsein der Tragweite seinerEntscheidung seine Verantwortung wahrneh-men und nachdrücklich für eine finanzielleAusstattung Sorge tragen wird, die die Fort-setzung der bisherigen Arbeit und die ge-deihliche Weiterentwicklung des DeutschenPolen-Instituts ermöglichen soll. In diesemSinne sollen Gespräche mit den Ländernund mit dem Bund geführt werden. DasDeutsche Polen-Institut wird dabei Unter-stützung leisten. DPI-Pressemitteilung

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Literatur

Wie manDeutscher wirdIn 50 einfachen Schritten

Sind Sie wirklich Deutsch? Daskönnen Sie in nur fünfzig Schrit-ten nachprüfen und sich „zumehrenamtlichen Deutschen“ kü-ren lassen. Manche Fragen sindgar nicht einfach. Wer mag dochdie Kälte? Von wegen Masurensei so kalt, wie Sibirien. Irrglau-be. Es genügt seine deutschenFreunde zu besuchen, die das

se am Weiterlernen und -lesen.Und deshalb eine typisch deut-sche Verabschiedung: Gut, gut,na dann, alles klar? Tttschu-uuueeesss!

Adam Fletcher, Wie man Deut-scher wird in 50 einfachenSchritten, Eine Anleitung vonApfelsaftschorle bis Tschüss.Wendebuch. Deutsch-Englisch,C.H. BECK, 144 Seiten, Preis:8,95 Euro, ISBN 978-3-406-65364-3

SprachkalenderPolnisch 2014Nach dem großen Erfolg der letz-ten zwei Jahre gibt es auch 2014wieder den „Sprachkalender Pol-nisch“ Der Kalender soll – soder Verlag – eine wertvolle undwillkommene Ergänzung zumtäglichen Lernpensum sein. DieBlätter des Abreißkalenders bie-ten einen abwechslungsreichenMix aus Dialogen, Redewendun-gen, Sprichwörtern, Zitaten, kur-zen Grammatik- oder Wort-schatzübungen sowie wissens-werten Fakten zur Landeskunde.Mit Hilfe dieser vielfältigen Mi-schung aus Information, Unter-haltung und Übung lassen sichSprachvermögen und Kenntnis-se über Land und Leute spiele-risch und zugleich systematisch

erweitern. Übersetzungen, Lö-sungen und Vokabelhilfen befin-den sich immer auf den Blatt-rückseiten.

Dr. Aleksandra Malchow / ErikMalchow, Sprachkalender Pol-nisch 2014, Helmut Buske Ver-lag Hamburg, 640 Seiten, karto-niert, Preis: 14,90 Euro, ISBN978-3-87548-659-9

Alle Welt. DasLandkartenbuch„Ein Atlas der besonderen Art,ein Augenschmaus für wissbe-gierige Kinderaugen und neugie-rig gebliebene Erwachsene“ sowirbt der Verlag für das Land-kartenbuch „Alle Welt“ – und erhat Recht! Auf Karten von 42

mit Frankreich, Mexiko, den Fid-schi-Inseln …Entstanden ist ein Landkarten-buch, wie es bisher noch keinesgab. Ein Buch, das man wiederund wieder anschauen möchteund das jedes Mal mit neuen Ent-deckungen aufwartet.

Aleksandra und Daniel Mizie-liński, Alle Welt. Das Landkar-tenbuch, Aus dem Polnischen vonThomas Weiler. Moritz-Verlag,112 Seiten, Format 27,5 x 37,5cm, Preis: 26,00 Euro, ISBN 978-3-89565-270-7

Abhauen oderhierbleiben?In Konflikt mit dem DDR-System. 1949–1961

In 18 spannenden Geschichtenschildern Zeitzeugen unter-schiedlicher Herkunft aus derDDR, wie sie die frühen Jahreder deutschen Teilung erlebten.Das Buch beschreibt lebendigund authentisch ein Stück deut-scher Nachkriegsgeschichte. Inden Texten wird die Dramatikjener Jahre deutlich. Sie handelnvon strengen Grenzkontrollen,von spontanen aber auch von

Fenster Tag und Nacht auf Kippstellen (am besten bei minus 10Grad). Haben Sie schon IhrenUrlaub für das Jahr 2015 ge-plant? Nicht? Dann wird esschwierig als ein richtiger Deut-scher bezeichnet zu werden. Hof-fentlich gucken Sie wenigstensam Silvester „Dinner for one“?Also, wenn Sie auf keine dieserFrage mit JA antworten können,müssen Sie noch daran arbeiten,die deutsche Welt zu verstehen.Das Buch von Adam Fletcher isteine Pflichtlektüre nicht nur fürdie „little foreigner“ – also Aus-länder, sondern auch für die Ein-heimischen, die ihre Umgebungbegreifen möchten. Zum Schlusslernen Sie sogar, wie man richtig„Tschüss“ sagen soll. Dieser kul-turelle Unterricht weckt Interes-

ausgewählten Ländern und sie-ben Kontinenten sind nicht nurGrenzen verzeichnet, Städte,Flüsse und Berge, sondern auchkulturelle Sehenswürdigkeiten,historische Plätze, große Persön-lichkeiten, typische Tiere undPflanzen, Freizeitbeschäftigun-gen, Nationalgerichte und Vielesmehr. Mehr als drei Jahre habendie beiden polnischen Buchge-stalter Aleksandra & Daniel Mi-zieliński an diesem Werk gear-beitet, gezeichnet und sich inten-siv mit 51 Ländern und Konti-nenten beschäftigt: Was ist dasNationalgericht von Chile? Wel-che Pflanzen wachsen in Marok-ko? Was sind die Sehenswürdig-keiten von Finnland? WelchenSport treiben Japaner? WelcherTanz stammt aus Österreich, wel-ches Produkt aus der Schweiz?Auf der Deutschlandkarte findensich das Bauhaus, der VW-Kä-fer, Johannes Gutenberg, die Bre-mer Stadtmusikanten, ein Spree-waldkahn, Pumpernickel, diePorta Nigra und noch Vielesmehr. Und so geht es weiter –

sehr sorgfältig geplanten Fluch-ten, vom Volksaufstand am 17.Juni 1953. Nach der Niederschla-gung des Aufstandes fragen sichviele Unzufriedene mehr denn je:Abhauen oder hierbleiben? Al-lein von 1949 bis 1961 flüchte-ten insgesamt etwa 2,8 Millio-nen Menschen aus der DDR inden Westen.

Abhauen oder hierbleiben? InKonflikt mit dem DDR-System.1949–1961. Reihe DDR-Ge-schichten, Band 1, Zeitgut-Ver-lag, 192 Seiten mit vielen Abbil-dungen, Preis: 6,90 Euro, ISBN978-3-86614-220-6

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Das neueGotteslobFast unbemerkt von der Öffent-lichkeit bahnt sich eine katholi-sche Kulturrevolution an. Ichspiele dabei nicht auf Papst Fran-ziskus an, der sicherlich noch ei-niges in der Kirche bewegenwird.Die Revolution, die ich meine,ist schon lange geplant. Sie ver-birgt sich in größeren Lieferun-gen, die in den letzten Wochenund noch bis in die Mitte desSommers hinein bei den katholi-schen Pfarrämtern eingegangensind und weiter eingehen wer-den. Ihr Inhalt ist am ersten Ad-ventssonntag an vielen Orten of-fenbar geworden. Da wurden diealten gegen neue Gesangbücherausgetauscht. Sie tragen zwarweiterhin den bisherigen passen-den Namen „Gotteslob“, dochder Inhalt ist tiefgreifend überar-beitet. Für alle, die das Gesang-und Gebetbuch regelmäßig inHänden halten, um im Gottes-

dienst daraus zu singen oder pri-vat und in der Familie Gebetedaraus zu sprechen, ist dieses„Update“ nicht weniger als eineKulturrevolution. Zwar stehtauch für Katholiken das Gesang-buch nicht über der Bibel. Aberes prägt die Art und Weise, wiewir glauben und feiern.Natürlich hatte ich schon einmalvorab hineingeschaut und binbegeistert. Selbstverständlichsind die Klassiker wieder abge-druckt. Bekannte Lieder, oft ge-sungen, wecken Erinnerungenund beleben immer wieder denGlauben – gerade auch bei Men-schen, die nur hin und wiederam kirchlichen Leben teilneh-men. Viele neue Lieder findensich, die Schwung in die Gemein-den bringen und die zeigen, dasssich der christliche Glauben stetserneuert. Verschiedene Texte er-klären auf verständliche Weisediesen Glauben, auch Kirchen-fernen. Sie regen zum Nachden-ken und Beten an und geben Ori-entierung für das eigene Leben.Dieses neue Gotteslob ist darum

mehr als ein Gesangbuch, es istein Lebensbegleiter, den ich nurempfehlen kann. Die biblischenHinweise auf den Friedensauf-trag und die Versöhnungsbereit-schaft der Christen und allerM e n s c h e n ,die Gebetedazu, sind fürunseren Ein-satz für Ver-söhnung un-ter den Völ-kern stär-kend. EinBuch für dend e u t s c h e nSprachraumist es wiedergeworden und doch auch ein re-gionales Buch. In den Diözesan-teilen, teils gemeinsam für meh-rere Diözesen wird Eigengut derKirche vor Ort in Liedauswahlund in Gebeten und Andachtenbewahrt. Besonders freut mich,dass in unserem Regionalteil Rot-tenburg-Stuttgart mit Freiburgwieder Psalmen aus der Samm-lung Wessenberg abgedruckt

sind. Sie finden sich auch in un-serem Danziger Gesangbuch, inunserem ganz besonderen Got-teslob.Kaufen Sie das Buch oder besu-chen Sie sonst einmal eine Kir-

che und stö-bern Sie indem neuenWerk nacheinem Satz,der wegwei-send für Sieist. Ich habefür mich ei-nen Gedan-ken vonMeister Eck-hart auf den

Seiten zum heiligen Martin ent-deckt. Er beschreibt die Einstel-lung des Martinus, die auch füruns gelten kann:„Die wichtigste Stunde ist

immer die Gegenwart;der bedeutendste Mensch ist der,der dir gerade gegenübersitzt;das notwendigste Werk ist

stets die Liebe.“Paul Magino

Es gibt ein Lebennach AssadRupert Neudeck leistet mit sei-nen „Grünhelmen“ seit Sommer2012 im Norden Syriens huma-nitäre Hilfe. Seit dieser Zeit hater ein Tagebuch geführt, das insInnere des syrischen Bürger-kriegs führt. Im Norden Syriensliegt die Hochburg der Rebellen.Entsprechend sind die Städte undDörfer der Region permanentden Angriffen von Assads Luft-waffe ausgesetzt. Die Infrastruk-tur ist stark zerstört. In seinemTagebuch hat Rupert Neudeck

Erlebnisse und Beobachtungenfestgehalten und zeigt, wie einBürgerkrieg die Gesellschaft undihre Menschen verändert. DasBuch schildert auch seine Versu-che, weitere humanitäre Hilfe fürdas Land zu ermöglichen, undzeigt, dass man die aktuellen Er-eignisse nicht verstehen kann,wenn man die historischen Zu-sammenhänge in der Regionnicht beachtet. Das Buch be-schreibt, wie es zu der syrischenTragödie kommen konnte undwie sie zu beenden ist. Denn ei-nes ist sicher: Es gibt ein Lebennach Assad.

Rupert Neudeck, Es gibt ein Le-ben nach Assad, Syrisches Tage-buch. C.H. BECK, 192 Seiten mit15 Abbildungen und 2 Karten,Preis: 14,95 Euro, ISBN 978-3-406-65444-2 wn/ak

Polens WilderWestenBeim „Wilden Westen“ denkenwir alle an die Bücher mit Win-netou und Old Shatterhand, dieWestern mit John Wayne oderdie historischen Überlieferungender „Neusiedler“ in Amerika.„Polens Wilder Westen“ stehthier als Analogie für die Neube-

siedlung der Gebiete an der Oder– von Stettin bis nach Nieder-schlesien – nach dem II. Welt-krieg. Die Terminologie stammtdabei keineswegs von der Auto-rin, Beata Halicka. Als „PolskiDziki Zachód“ bezeichneten diePolen die Region in den erstenJahren nach Kriegsende tatsäch-lich. „Der Begriff zielte dabei ei-nerseits auf das herrschende Cha-os und das geltende »Recht desStärkeren« ab, brachte abergleichzeitig auch die Möglich-keiten zum Ausdruck, etwas vonGrund auf Neues zu schaffen. Erdrückt die Ambivalenz damali-ger Tage aus: die Tragik der Men-schen, die man »in wilder Ma-

nier« wie Gegenstände verscho-ben hatte, aber auch die Vitalitätder Siedler, die unter durchausschwierigen Umständen nichtaufgaben und einen Neuanfangschafften“ – heißt es in der Ein-führung des Buches. Nieder-schlesien, Ostbrandenburg undPommern sind eine Region in derMitte Europas, in der es zu ei-nem fast vollständigen Bevölke-rungsaustausch kam. Von denRussen vertriebene Ostpolenwurden dort ebenso angesiedelt,wie zahlreiche Menschen ausdem Grenzgebiet zur Ukraine,und auch Polen aus Zentralpolenwurden mit sanftem Druck über-redet dorthin zu ziehen.Beata Halicka macht es an Zah-len deutlich: „In der Region desehemaligen Ostbrandenburg gabes nur noch 2,6 % Menschen, dieals alt eingesessen angesehenwurden. Deshalb konnte mandort kaum auf polnischen Tradi-tionen aufbauen“. In anderen so-genannten „WiedergewonnenenGebieten“ – auch in Danzig –war das damals anders. In Nie-derschlesien hingegen gab es vie-le Menschen, die nicht in natio-nalen Kategorien dachten: „Nichtbin ich Deutscher oder Pole. Ichbin von hier also Schlesier. Diemussten dann die polnische Na-tionalität annehmen. Leider hat

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Nr. 48 Dezember 2013 adalbertusforum 39

Hiermit bestelle/n ich/wir ______ Expl. „Bischof von Danzig in schwerer Zeit – Carl Maria Splett“

zum Preis von 11,90 Euro inkl. Versandkosten (Deutschland), zzgl. 3 Euro (sonstige Länder).

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GERHARD ERB

„Bischof vonDanzig inschwerer Zeit“schildert das Leben und Wir-ken des zweiten Danziger Bi-schofs Dr. Carl Maria Splett.Als 40-Jähriger übernahm erin dem politisch vom Natio-nalsozialismus bestimmtenFreistaat Danzig diese bri-sante Aufgabe zwischen derdeutschen und der polni-schen Nation. Die Schwierig-keiten, dieses Bischofsamt inder NS-Zeit und zudem – ab1939 – auch als Administra-tor der Diözese Kulm einzweites Bistum zu führen,stellt die Broschüre in kon-zentriertem historischemÜberblick dar. Ebenso wer-den die Umstände des vompolnischen Staat 1945/46 ge-gen Splett geführten Schau-prozesses, der vorangegan-genen Inhaftierung und dersich bis 1956 anschließen-den unmenschlichen Einzel-haft geschildert.

Abschließend sind drei Kapi-tel den Themen des bischöfli-chen Wirkens zwischen 1957und 1964 in der Bundesrepu-blik Deutschland – besondersin Düsseldorf, wo der Bischof

in der St.-Lambertus-Kircheauch begraben wurde – derWahrnehmung bischöflicherFunktionen für die vertriebe-nen Danziger Katholiken undseiner Konzilsteilnahme 1963sowie der offenen Frage einernötigen RehabilitierungSpletts durch den polnischenStaat gewidmet.

Die komplett zweisprachiggestaltete Broschüre sollkompakt informieren und einebemerkenswerte Persönlich-keit des deutschen kirchli-chen Lebens der ersten Hälf-te des 20. Jahrhunderts vor-stellen, die im Grenzland zwi-schen Deutschen und Polen

in politisch brisantenZeiten wirkte. Bisher un-veröffentlichte Bilderund Dokumente ausdem Archiv des Adal-bertus-Werkes e. V.illustrieren den Text.

■ Gerhard Erb: Bischofvon Danzig in schwererZeit – Carl Maria Splett.Herausgeber: Adalber-tus-Werk e.V. –Bildungswerk der Danzi-ger Katholiken.Verlag Wilczek, 11,90Euro inkl. Versandkos-ten (Deutschland), zzgl.3 Euro (sonstige Län-der). ISBN-13: 978-3-00-019324-8, 2006,92 Seiten, cellophaniert,2-sprachig deutsch/polnisch, mit zum Teilbisher unveröffentlichtenFotos und Dokumenten.

■ Lesung im Haus des Deutschen Ostens in München.

der polnische Staat sie späterschlecht behandelt und sich nichtum sie gekümmert, damit sie sichwohlfühlen in ihrer Heimat undsie wurden benachteiligt wegenihrer Sprache. Und viele von de-nen sind dann in den 50er, 60erund 70er Jahren doch ausgewan-dert – der polnische Staat hat so

fast zwei Millionen Menschenverloren“.In ihrem Buch berichtet die Au-torin vom Zusammentreffen dernoch nicht geflüchteten Deut-schen mit den neuen Siedlern ausOstpolen, den Sowjetsoldatenund den Beziehungen zwischenDeutschen und ihren ehemaligen

Zwangsarbeitern. Viele Zeitzeu-genberichte hat sie aufgezeich-net und die deutsche und polni-sche Perspektive der Ereignissedargestellt. „Das wichtigste fürmich war, eine Geschichte derRegion zu schreiben – abseitsdieser nationalen Sicht. Keinepolnische Geschichte und keinedeutsche Geschichte, sondernnur eine Geschichte diese Rau-mes“ sagt sie und daraus erge-ben sich für Beata Halicka zweiweitere wichtige Themen, die siebearbeitet hat. Einerseits die Fra-ge, was passiert mit einem Men-schen, wenn er vertrieben wirdund seine Identität verliert undandererseits, wie schafft man es,sich einen Raum, ein Gebiet, eineRegion anzueignen. Wie wirdfremdes Eigentum, eigenes Ei-gentum?Das Buch ist Pionierarbeit – esgibt keine andere Darstellungdieses Raumes und seiner Ge-schichte, die einen derart guten

und um Objektivität bemühtenEinblick in die Neubesiedlungdes Oder-Raumes gibt. Und: ob-wohl das Buch eine Habilitati-onsarbeit ist, liest es sich eher,wie ein historischer Roman.

Wolfgang Nitschke

Beata Halicka: „Polens WilderWesten. Erzwungene Migrationund die kulturelle Aneignung desOderraums 1945–1948“. Schö-nigh-Verlag, Paderborn 2013,393 Seiten, Preis: 29,90 Euro,ISBN: 978-3-506-77695-2

Zur Autorin: Univ.-Prof. Dr. Be-ata Halicka lehrt ost-mitteleuro-päische Geschichte an der Euro-pa-Universität Viadrina in Frank-furt (Oder). Seit März 2013 istsie auch außerordentliche Pro-fessorin am Deutsch-PolnischenForschungsinstitut im CollegiumPolonicum, einer gemeinsamenEinrichtung der Adam Mickie-wicz-Universität in Poznań undder EUV in Frankfurt (Oder).

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Am 5. August 2013 jährte sich wieder derTag, an dem 1950 in Stuttgart die Charta derVertriebenen unterzeichnet wurde. Ihrenchristlichen Geist haben wir oft betont. Hiersoll daran erinnert werden, was die evangeli-schen Kirchen des deutschen Ostens zur Be-wältigung der Tragödie der Vertreibung ge-leistet haben.Als der schwedische lutherische ErzbischofNathan Söderblom auf der Weltkirchenkon-ferenz 1925 in Stockholm auch das Thema„Die Pflicht des Christen gegen Volk undStaat“ in die Diskussionen und Beratungendieser großen ökumenischen Konferenz auf-nahm, gewann er den damaligen Posener Su-perintendenten Paul Blau, der damals aus-führte: „Ein Christ gehört einem Volke andurch die Landschaft, in der er lebt, die Spra-che, die er spricht, die Art, die er an sichträgt. Aber die Zugehörigkeit zu einem be-stimmten Volkstum ist ihm nicht Zufall. Ersieht darin Gottes Führung, Gottes Willen,Gottes Gabe. Darum sind Treue gegen Hei-

der in Not, die einer mitfühlenden Hilfe be-dürfen und betont, dass die Kirchen selbstdie Verpflichtung haben, für die in ihren Län-dern jeweils vorhandenen Minoritäten alsBeschützer und Anwälte aufzutreten.“

Die Ausführungen Blaus machen deutlich,wie sehr die evangelischen Kirchen im Ostenauch ihrem Volkstum verbunden waren. Dieszeigte sich auch beim Schicksal der Vertrei-bung.

Heimatkirchliches ErbeNoch mehr als die katholischen Vertriebenenhaben die protestantischen Gläubigen desdeutschen Ostens gelitten. Die Katholikenkonnten sich an ihre Kirche als Weltkircheklammern, die supranational und länderüber-greifend ist. Die evangelischen Kirchen da-gegen sind Landeskirchen, die im Osten „zumTeil ganz ausgelöscht wurden, zum Teil nurnoch in kaum lebensfähigen Resten weiterbestehen und nur zum Teil noch genug Krafthaben, um ein eindrucksvolles Leben zu ent-

falten“, stellte PfarrerFriedrich Spiegel-Schmidtschon 1957 fest: „Mit denevangelischen Kirchen desOstens … ging das Gefäßdes Glaubenslebens ihrerGlieder verloren.“

In der Tat brachten Um-siedlung und Vertreibungim Osten Verluste für denProtestantismus, wie siedieser seit der Gegenrefor-mation nicht gekannt hatte.Von Niederschlesien bis zurMemel verschwand dieevangelische Mehrheitsbe-völkerung der deutschenOstgebiete hinter Oder undNeiße, aber auch die teilsvolkskirchlich, teils stärkerpietistisch geprägten Dias-poragruppen in den Nach-barländern Deutschlands.Jede Kirche des Ostens ent-ließ ihre Glieder mit einembesonderen Erbe, das Her-bert Krimm 1949 in dem

Sammelband „Das Antlitz der Vertriebenen.Schicksal und Wesen der Flüchtlingsgrup-pen“ darstellte. Hier kann auf diese Vielfaltnicht eingegangen werden, aber es sei an dasweltoffene nüchterne Luthertum der Deutsch-balten erinnert, an die besondere kirchlichePrägung der Gliedkirchen der AltpreußischenUnion, in der man sich evangelisch fühlte,aber nicht immer konfessionell eng luthe-risch.

Die Schlesier standen zwischen öster-reichisch-katholischer und preußisch-protes-tantischer Tradition, in Posen-Westpreußenwar man national-deutsch geprägt durch dieAbgrenzung zum Polentum, das katholischwar. Auch die meisten südostdeutschen Ge-meinden des alten Ungarns der Stephanskro-ne in Ungarn, Jugoslawien und Rumänien

erlebten diese nationalen Spannungen undbildeten evangelische Kirchen nach Volks-tumszugehörigkeit. Pietistische Gruppen wa-ren stark in Wolhynien, Bessarabien und imSchwarzmeergebiet vertreten, wo nach demErsten Weltkrieg bereits der kommunistischeKirchenkampf gewütet hatte.

Die späteren Mitgliedskirchen und Gruppendes Konvents der zerstreuten Ostkirchen zei-gen diese Vielfalt. Es waren dies folgendeevangelische Gemeinschaften aus dem deut-schen Osten:

Gemeinschaft evangelischer Ostpreußen Hilfskomitee der evangelischen Deutschen

aus Ostpreußen Gemeinschaft Evangelischer aus Danzig-

Westpreußen Konvent Evangelischer Gemeinden aus

Pommern Gemeinschaft evangelischer Schlesier Gemeinschaft evangelischer Posener Hilfskomitee der Galiziendeutschen A. und

H.B Hilfskomitee der evangelischen Deutschen

aus Litauen Deutsch-Baltischer Kirchlicher Dienst Kirchliche Gemeinschaft der Evangelisch-

Lutherischen Deutschen aus Russland Gemeinschaft evangelischer Sudetendeut-

scher Hilfskomitee für die evangelisch-lutheri-

schen Slowakeideutschen Hilfskomitee der evangelischen Deutschen

aus Ungarn Hilfskomitee der Siebenbürger Sachsen

und der evangelischen Banater Schwabenim Diakonischen Werk der EKD

Hilfskomitee der Umsiedler aus der Buko-wina

Hilfskomitee der Evangelisch-lutherischenKirche aus Bessarabien

Hilfskomitee für die ehemaligen ostbran-denburgischen Kirchengemeinden

Hilfskomitee der evangelisch-lutherischenDeutschen aus Polen

Hilfskomitee für die evangelische Landes-kirche aus Jugoslawien.

Veränderung der altenKonfessionszonenNach ganz Deutschland brachten die Vertrie-benen eine völlige Veränderung der altenKonfessionsstruktur, wie sie seit der Refor-mation und Gegenreformation mit nur weni-gen Veränderungen durch Wandlungen wäh-rend der Industrialisierung im 19. Jahrhun-dert bestanden hatte.

1939 gab es im Gebiet der späteren Bundes-republik noch 94 Landkreise, in denen derAnteil der Hauptkonfession mehr als 95 %betrug. 1950 waren es nur noch acht, wobeisieben dieser Kreise in Rheinland-Pfalz la-gen, wo die Franzosen in ihrer Besatzungs-zone keine Vertriebenen aufgenommen hat-ten. Dieser Einbruch in die seit der Reforma-tionszeit entstandenen Konfessionszonen lös-

Die evangelische Kirche und die Vertreibung

■ Von 1535 bis 1945 war die Jakobikirchein Stettin ein evangelisches Gotteshaus.Die Kirchengemeinde hatte 1940 insge-samt 22.900 Gemeindeglieder. Nach 1945übernahm die katholische Kirche die Rui-ne der Kathedrale und setzte sie 1971 wie-der instand. Das Gebäude ist heute Kathe-drale des Erzbistums Stettin-Cammin.

mat, Liebe zum eigenen Volkstum, Pflegeseiner geistigen Kultur, Gebrauch der Mut-tersprache auch einem Christen heilig“.In eine Entschließung der dritten Kommissi-on dieser Weltkonferenz gingen Blaus Ge-danken ein, denn es hieß damals: „Die Kir-che betrachtet es als eine internationale alleStaaten bindende Verpflichtung, die Rechteder nationalen, religiösen und rassischen Mi-noritäten zu schützen. Sie sieht in ihnen Brü-

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te die 400 Jahre weitgehend erhaltene kon-fessionelle Homogenität auf und verhalf ei-ner praktischen Ökumene zum Durchbruch.Auch nach 1950 kam es durch die neue Bin-nenwanderung zwischen den Bundesländernund durch die Zuwanderung aus der DDR zuneuen Verschiebungen in den konfessionel-len Verhältnissen.

Kirche, Umsiedler, FlüchtlingeGefordert war die evangelische Kirche be-reits bei der Umsiedlung deutscher Volks-gruppen seit 1939 aus dem Baltikum und1940 aus Wolhynien und Bessarabien, 1941auch aus Litauen, das 1939 noch nicht wieEstland und Lettland in die Umsiedlung ein-bezogen war. Die Gemeinden glaubten zu-nächst noch, bei ihrer Ansiedlung im Warthe-gau ihre kirchliche Eigenständigkeit weiter-führen zu können. Wie brutal damals die Na-tionalsozialisten die Bande der Gläubigen mitihrer Kirche zu zerreißen versuchten und wiesehr sie die Kirchentreue der Umgesiedeltenunterschätzt hatten, verdient eine eigene Dar-

stellung. In einem Bericht an den Evangeli-schen Oberkirchen-Rat in Berlin vom 5. März1940 stellt Generalsuperintendent Blau fest:„Der ganze Osten bringt den regesten Sinnfür Kirche, Wort Gottes, Festhalten an Kir-che, Gottesdienst und gottesdienstliche Bräu-che mit sich.“ Nicht nur bei der Ansiedlungim Warthegau, auch in den Übergangslagernarbeitete die Kirche und rüstete sich unge-wollt für die kommende Katastrophe. Sie wardann bei der Evakuierung und Flucht in denTrecks präsent, denn auch Amtsträger undKirchenmänner waren vom Schicksal ihrerHerde betroffen. Wo Pfarrer eingezogen odergefallen waren, traten Pfarrfrauen, Diakonis-sen und Laienhelfer an ihre Stelle. Was sie anGroßem leisteten sollte als Heldentat prakti-

Grafik aus: Ostdeutschland und die deutschen Siedlungsgebiete in Ost- und Südosteuropa in Karte, Wort und Bild. Südwest-Verlag München.

scher Nächstenliebe in die Kirchenge-schichtsbücher eingehen. In ungeheiztenViehwaggons, in Massenunterkünften undLagern wurde gebetet, wurden Choräle ge-sungen, aber auch das Abendmahl gefeiert,wenn ein Pfarrer dabei war.

„Hat uns das Leben die Heimat geraubt,Christus ist Heimat für jeden, der glaubt“,dichtete damals eine Jugendhelferin und übtedie Verse als Kanon ein. Nicht vergessenseien auch die wenigen Pfarrer, Pfarrfrauenund Diakonissen, die in der alten Heimatbleiben konnten oder mussten und sich ohneKirchenbehörde in bitterer Not unter unge-heuerlichen Schwierigkeiten und Strapazenseelsorglich um die verbliebenen Deutschenbemühten. In seinem Beitrag „ReligiöseWandlungen und Probleme im evangelischenBereich“ im dritten Band der Dokumentation„Die Vertriebenen in Westdeutschland“ bringtPfarrer Friedrich Spiegel-Schmidt in den Ka-piteln „Die Kirche der sterbenden Gemein-den“ und „Die Gemeinden hinter Stachel-draht“ erschütternde Fakten aus den Gebie-ten jenseits von Oder und Neiße und denNachbarstaaten.

EingliederungsmaßnahmenErst durch die sich nach der Vertreibung beiden Kirchenleitungen im Westen meldendenOst-Pfarrer gingen manchen Kirchenbehör-

■ Sommer 1946, das Foto zeigt wie derschlesische Pfarrer Lic. Werner Schmauch(Bildmitte), auf dem Schloßplatz in Warm-brunn, ausgewiesene Gemeindeglieder miteinem geistlichen Wort und Zuspruch ver-abschiedet.

Evangelische Christenin PolenIn Polen gibt es keine offizielle Statistiküber die Religionszugehörigkeit, daReligion als Privatsache angesehenwird. Aus diesem Grund sind die An-gaben über die Zahl der Gläubigennicht amtlich, sondern Aussagen derjeweiligen Religionsgemeinschaften(Stand Mai 2010).

Die Evangelisch-Augsburgische Kir-che in Polen zählt demnach 75.000Mitglieder. Sie umfasst 6 Diözesenund 134 Gemeinden mit 158 Pfar-rern, Diakonen und Diakoninnen.

Zu den evangelischen Pfingstchris-ten gehören 20.890 Gläubige.

Zur Kirche der Siebenten-Tags-Ad-ventisten bekennen sich 9.488 Mit-glieder.

Die Neuapostolische Kirche zählt5.976 Anhänger.

Die Evangelisch-Methodistische Kir-che ist mit 37 Gemeinden und 18Pfarrern vertreten und hat etwa5.000 Gemeindeglieder.

Zur Kirche der Christus-Gemeindengehören 5.000 Mitglieder.

Der Baptistenbund in Polen gibt4.871 Mitglieder in 83 Gemeindenan.

In der Evangelisch-Reformierten Kir-che sind ungefähr 3.500 Gläubige in9 Gemeinden mit 10 Pfarrern undeiner Pfarrerin vertreten.

Woher die Vertriebenen kamen

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den der Landeskirchen die Probleme und dieNot auf, die es zu bewältigen gab. Die „Ost-pfarrer“ wurden nun in die Landeskircheneingegliedert, die Versorgungslasten für dieArbeitsunfähigen und Pfarrerwitwen über-nommen. Es wurden nicht nur neue Gemein-den gegründet, sondern es entstanden auchneue Kirchenwesen wie im katholischen Süd-bayern, wohin 400.000 evangelische Vertrie-bene gekommen waren, aber auch das Rhein-land, Westfalen und Südoldenburg erfuhrenähnliche Veränderungen. Bei der Gründungneuer Gemeinden stand Bayern an der Spitze(113), gefolgt von Hannover (73) und demRheinland (45).

Vertriebenenlager brauchten Jahre hindurcheigene Seelsorger. Lutherische Gemeinden,Reformierte und Unierte näherten sich anund stellten teilweise bisher unbestritteneGrundsätze des Kirchenrechts in der Diskus-sion um die Abendmahlsgemeinschaft in Fra-ge. Wie rasch es zur Integration in bestehen-den Gemeinden kam, zeigt die hohe Zahlvon Kirchenvorstehern, die aus den einzel-nen Vertreibungsgebieten kamen und wofüruns die Zahlen für 1955 vorliegen. In derLandeskirche Eutin waren 37,4 % der Ge-meindemitglieder Vertriebene, die immerhin19,9 % der Kirchenvorsteher stellten. Ähnli-che hohe Zahlen finden wir in den Landes-kirchen Lübeck, Oldenburg, Hannover,Braunschweig und Bayern.

Schon im Juli 1946 traten Vertreter der ver-triebenen Ostkirchen in Frankfurt am Mainzusammen, um über das Weiterbestehen ih-rer Gemeinschaften zu beraten. Später ent-standen daraus der Konvent der zerstreutenOstkirchen und der Ostkirchenausschuss.

Hilfe in der Vertriebenennot„Die Christenheit in Deutschland ist zurSelbsthilfe herausgefordert“, schrieb bereitsam 1. August 1945 Landesbischof Wurm.„Es geht um unsere eigenen Brüder undSchwestern.“ Einen Monat später rief die Kir-chenversammlung in Treysa auf Vorschlagvon Eugen Gerstenmaier das EvangelischeHilfswerk ins Leben, das aufrief, die Ge-meinden müssten den Dienst der Nächsten-liebe in ihre Hände nehmen. Dies geschahdurch enge Zusammenarbeit beider großerKonfessionen, die gemeinsam den Suchdienstund die Heimatortskartei aufbauten. Aus demAusland kam Hilfe der weltweiten Ökume-ne, was in Deutschland einen konkreten Be-griff praktischer Ökumene in den Herzen derGläubigen wachsen ließ. So konnte PfarrerDr. Freudenberg schreiben: „Der Flüchtlingist der von Gott gesandte Schrittmacher öku-menischen Bewusstseins und weltweiterchristlicher Bruderschaft.“ Über öffentlicheWorte evangelischer Kirchenleitungen zumUnrecht der Vertreibung soll an anderer Stel-le informiert werden, um zu sehen, wie Dia-konie und Seelsorgearbeit bestrebt waren, denMenschen zur Seite zu stehen. Noch vor derFertigstellung des auch angefeindeten Las-tenausgleichsgesetzes stellte der Ostkirchen-ausschuss allen Pfarrämtern eine Schrift zurVerfügung, um mögliche Spannungen in denKirchengemeinden zu verringern.

Rudolf Grulich

Da baut Danzig ein Shakespeare-Theater –wie verrückt ist das denn? So mag mancherBeobachter denken. Aber die Idee ist garnicht so weit hergeholt – im Gegenteil: Esist eine historische Fortführung. Vom Spek-takel der Jahrmärkte und der religiösen Mys-terienspiele vor Gottesdiensten entwickeltesich im 16. Jahrhundert das Theater zu einerfesten Institution mit schließlich festerenOrten und Schauspielern und als Autoren-theater. Christopher Marlowe und WilliamShakespeare schrieben (Theater-) Geschich-te. Die Errichtung des Globe-Theatre in Lon-don 1599 war der Höhepunkt des Theater-unternehmers Shakespeare.

Und was hat das mit Danzig zu tun? Nun,Danzig erlebte im 16. und 17. Jahrhundert

Graben errichtet, so wie auch die GroßeSynagoge „An der Reitbahn“ 275 Jahre spä-ter. Auf einer Zeichnung von 1650 ist dasTheater als runder Bau aus Holz – wie auchdas erste Globe Theatre – zu erkennen. Über-liefert ist ferner, dass das Gebäude mehrfacherneuert und den jeweiligen Bedürfnissenangepasst wurde. Weitere Angaben zum Ortund zum Ende dieses ersten Theaters sindnicht bekannt. Im Jahr 1800 wurde schließ-lich das Theater am Kohlenmarkt gebaut,das dort heute noch als städtische Bühneexistiert (Teatr Wybrzeże).

Die Idee zur Errichtung eines eigenen Shake-speare-Theaters ging von Prof. Jerzy Limonaus. Er war es, der die besondere BeziehungDanzigs zu englischen Schauspielern undder frühzeitigen Errichtung des Theaters zumAnlass nahm, für die Gründung eines inter-nationalen Theaters, in dem Ensembles ausverschiedenen Ländern auftreten, zu wer-ben. Schon seit 1993 gibt es in Danzig, Zop-pot und Gdingen das sommerliche Shake-speare-Festival, das weit über Polen hinausAufmerksamkeit erregt. Hier treffen polni-sche und internationale Ensembles auf Büh-nen und in der Straße auf ein interessiertesPublikum. Mit dem Shakespeare-Theaterwäre diesem Festival ein ganzjähriger Rah-

men gegeben. Zu-sätzlich sind Aus-bildungskurse fürSchauspielerinnenund Schauspielergeplant. Das Thea-ter wäre also eineErgänzung undkein Ersatz für dasTeatr Wybrzeże amKohlenmarkt.

Die überregionaleBedeutung derIdee eines Shake-speare-Theaterswird deutlich in derin ternat ionalenProminenz, die die

Idee unterstützen. Von Anfang an mit Be-geisterung dabei war der Prince of WalesCharles. Seit 22 Jahren hat das Komitee fürdie Idee getrommelt und gesammelt. 2012war es soweit: Der Grundstein wurde gelegtund zwar just oder fast an der Stelle, wo daserste Theater entstand: Am VorstädtischenGraben, Höhe Reitbahn. Seither wächst derimposante Bau. Er ist beeindruckend undinnovativ. Von der Kubatur passt er in dieUmgebung, er fasst die hier etwas ausfran-sende Rechtsstadt und riegelt gleichzeitigzur Schnellstraße, die der Vorstädtische Gra-ben heute darstellt. Das Dach lässt sich öff-nen, so dass man sich in einem offenen Am-phitheater wähnen kann. 2014 wird das The-ater eröffnet und die Leitung des Projektslud uns herzlich dazu ein, dabei zu sein,wenn in Danzig ein neues Kapitel europäi-scher Theatergeschichte aufgeschlagen wird.

Norbert Czerwinski

Ein Shakespeare-Theater für Danzig

einen enormen Aufschwung: wirtschaftlich,demografisch, künstlerisch. Aus den Län-dern, mit denen enge wirtschaftliche Bezie-hungen bestanden, wurden Künstler nachDanzig geholt, die hier bauten, malten, mu-sizierten. Die Kaufleute und Patrizier dach-ten weniger national, sondern vielmehr kos-mopolitisch. Und gerne wollte man den Fürs-tenhöfen zeigen, was eine bürgerliche Stadtan Pracht zu leisten im Stande ist. So istauch überliefert, dass die Stadt Danzig ab1600 englische Schauspieler engagierte; galtEngland doch damals als Top-Adresse fürdas Theater. Noch ungewöhnlicher ist aberdie Errichtung eines festen Theatergebäudesim Jahre 1610. Damit gehörte Danzig zureuropäischen Avantgarde. In Deutschlandbeginnt der Wandel vom fahrenden Volk zumfesten Theater fast 150 Jahre später.Das Theater wurde vor der südlichen Stadt-mauer der Rechtsstadt am Vorstädtischen

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Z U W E N D U N G S - B E S T Ä T I G U N G B I S E U R 1 0 0 , –

FA D S S D S T N R 1 0 3 5 9 2 0 0 8 5 5 B E S C H . V. 1 2 . 0 9 . 2 0 1 2

Bitte ausschneiden und senden an: Wolfgang NitschkeAdalbertus-Werk e.V., Ganghoferstraße 5880339 München oder per Fax an: (0 89) 5 02 05 58

BEITRITTSERKLÄRUNGHiermit erkläre ich meinen Beitritt zum Adalbertus-Werk e.V., Bildungswerk der Danziger Katholiken. Der Mindestbeitrag beträgt35,00 Euro für deutsche Mitglieder bzw. 35,00 Złoty für polnische Mitglieder.

Ich verpflichte mich zur Zahlung eines Jahresbeitrages in Höhe von ___________ Euro / ___________ Złoty

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(Bitte in Druckbuchstaben ausfüllen)

Die Mitgliedschaft verlängert sich automatisch jeweils um ein weiteres Jahr, wenn sie nicht zum Jahresende gekündigt wird.

Der nebenstehende Überweisungs-träger kann für die Bezahlung desBeitrages und für Spenden benutztwerden. Er gilt als Spendenquittungbis zu einem Betrag von 100,– Euroin Verbindung mit Ihrem Kontoauszugoder dem Kassenstempel des Geld-institutes zur Vorlage beim Finanz-amt. Für größere Spenden stelle icheine Spendenquittung aus und schi-cke sie mit der Post.

Liebe Mitglieder,lieber Spender,liebe Freunde desAdalbertus-Werkes!Zum 1. Februar 2014 wird das deut-sche Zahlungsverkehrssystem auf deninternationalen Standard umgestellt.

Statt Kontonummer wird die IBANgenommen,statt Bankleit-zahl der BICCode.

Leider lag mirbis zum Redak-tionsschlussdieser Ausgabenoch keinneues Formular

der Postbank vor, daher ist hier nochdas alte Formular abgebildet.

Hier unsere aktuellen Kontodaten:IBAN: DE33 3601 0043 0151 9664 35BIC: PBNKDEFF

Der aktulle Mitgliedsbeitrag beträgtfür die deutschen Mitglieder 35,00Euro, für die polnischen Mitglieder35,00 Złoty.

Ich bitte herzlich darum bestehendeDaueraufträge zu überprüfen und zuaktualisieren.

Vielen Dank, euer Kassenwart

Ulrich Wobbe

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44 adalbertusforum Nr. 48 Dezember 2013

Weihnachten im NachbarlandBeobachtungen fremder Sitten und Gebräuche zu Weihnachten …

■ Das traditionelle 12-Gänge-Menü amHeiligen Abend – es gibt keinerlei Fleisch.

… in DeutschlandWenn alle Schulranzen für das neue Schul-jahr verkauft sind, beginnt in Deutschlandbereits Weihnachten. Dann türmen sich schonim September die Schokoweihnachtsmänner,Lebkuchen und Dominosteine in jedem Su-permarkt. Am Anfang wird man von „LastChristmas“, „Jingle Bells“ und anderen Lie-dern mit Glöckchen verschont, aber nichtmehr lange! An die Werbeprospekte vielerDiscounter muss man sich als Ausländer auchgewöhnen. Man bekommt schon Mitte Okto-ber Angebote mit Adventskränzen aller Art.Ob Tischkränze oder Türkränze – in Rot,Grün oder lieber in Gold? Der erste Adventist dann sehr wichtig. Von da an sagt mannicht mehr einfach „auf Wiedersehen“, „Ser-vus“ oder „Tschüss“ zum Abschied. BeimTelefongespräch oder einer E-Mail, im La-den oder an der Tür darf man nicht verges-sen, einen schönen ersten/zweiten/drittenAdvent zu wünschen, wahlweise auch schö-ne Feiertage, oder bereits „frohe Weihnach-ten“. Dabei ist es egal ob jemand gläubigoder weniger gläubig ist, das gehört zumguten Ton. Typisch deutsch ist auch der Ad-ventskalender. Liebe Kinder (die kleinen unddie großen ebenso), ab dem 1. Dezemberdürft ihr täglich Süßigkeiten essen! In man-chen Familien gibt es auch an jedem Tagkleine Bücher, Kleingeld, Figuren oder Din-ge, die man eigentlich gar nicht braucht. Weretwas auf sich hält, hat den Adventskalenderfür seine Lieben selbst gebastelt. Die Polensind in diesem Bereich eher nicht kreativ.Da für sie Adventskalender bis zur Wendeunbekannt waren, kaufen sie, wenn über-haupt, die Schokoladenadventskalender beieinem beliebigen Discounter. Worauf ich inDeutschland jedes Jahr warte: Adventskalen-der angeboten von Zeitungen, Kulturinstitu-ten, Supermärkten und so weiter. Alles onli-ne und mit besten Gewinnmöglichkeiten!Oder auch Adventskalender in Bürohäusern– jeden Tag bleibt in einem Büro mehr dasLicht an und am 24. 12. sieht man dann imVorbeifahren einen Tannenbaum aus Fens-tern.

Frauen haben es in Deutschland in derWeihnachtszeit besonders gut. Sie könnenihre Wohnungen ungestraft mit hundertenSchmucksachen verschönern. Zuerst einKranz an der Eingangstür – in diesem Jahrsind selbstgemachte in Mode, aber wie injedem Jahr gilt: Je größer desto besser – aufalle Fälle größer als bei der Nachbarin. ImWohnzimmer darf man einen Lichterbogennicht vergessen. Am besten sollte er aus demErzgebirge kommen, ebenso wie die vieler-orts beliebte Weihnachtspyramide.

Wenn das Haus geschmückt ist, muss mandann auf den Weihnachtsmarkt. SpätestensMitte November werden die ersten Märkteeröffnet und Sie werden sicherlich von Be-kannten und Arbeitskollegen um einen Ter-min gefragt, wann man zusammen ein Be-cherchen Glühwein trinken gehen könne?

Weihnachtsmarkt gehört doch zu der deut-schen Tradition und jeder, der nicht wenigs-tens einmal dahin geht, ist ein Kulturbanau-se. Anders als in Polen – wo man sich durchFasten auf die Geburt Christi vorbereitet – istdie Vorweihnachtszeit in Deutschland eine„Genusszeit“ mit Wein, Lebkuchen, Plätz-chen, Bratäpfeln und gebrannten Mandeln.Dafür aber fasten die Deutschen am Heilig-abend. Hier gibt es keine zwölf Gänge amTisch des Weihnachtsessens. Praktisch fürdiejenigen, die kochen. Nach dem Essenkönnte man vielleicht etwas machen, was mitWeihnachten zu tun hat, denken sich dannViele und gehen in die Christmette – auchwenn sie sonst nicht in die Kirche gehen.Und noch etwas ist in Deutschland unge-

fehlt – sowohl in den Kirchen, als auch inden Wohnungen – sind Adventskränze. Esgibt deshalb auch keine taugliche Überset-zung des deutschen Adventsliedklassikers„Wir sagen Euch an den lieben Advent“. Auchsonst ist das weihnachtliche Liedgut in Polenund Deutschland sehr unterschiedlich. Na-türlich gibt es „Stille Nacht“ oder „Oh DuFröhliche“ auch in Polen – aber die „Kolę-dy“ gibt es selten in deutscher Fassung undjeder Pole kann mindestens 10 bis 20 derLieder auswendig, da diese auch bis zum2. Februar in den Kirchen geschmettert wer-den. Zum Thema Kirche ist zu erwähnen,dass Polen da nicht nur Weihnachten hinge-hen. Während sich in Deutschland schon Kir-chenbesucher beschwert haben sollen, dassder Pfarrer jedesmal, wenn sie in die Kirchegehen die selbe Geschichte vorliest, ist es inPolen am Sonntag in der Kirche voll, amHeilgen Abend platzt jede Kirche dann ausallen Nähten – mindestens bei drei Gottes-diensten bis zur Mitternachtsmesse – undnicht selten beklagt sich der Proboszcz dannimmer noch, dass so wenig Kirchenbesucheranwesend sind.Was den Speiseplan über die Feiertage anbe-langt, haben es die Polen einfacher, als dieDeutschen, wenn auch weniger abwechs-lungsreich. Während man hierzulande Koch-bücher wälzt und diskutiert, was man dennnun an Weihnachten kocht (es sei denn mangehört zu der Gruppe, die am Heiligen Abendstandardmäßig entweder den Karpfen oderdie rheinische Variante mit Kartoffelsalat undWürstchen auf den Tisch bringt), gibt es inPolen 12 Gänge – in jedem Jahr identischund wer das nicht isst, wird dem Aberglau-ben nach unglücklich. Die Menge des Essensreicht theoretisch in jeder Wohnung auch füralle Nachbarn oder den gesamten Wohnblockaus, aber das hat den Vorteil, dass man bisNeujahr eigentlich nicht mehr kochen muss.Zu den Resten vom Heiligen Abend kommenja noch die Reste vom ersten Feiertag, andem die Mutter kocht – sagen wir Ente. Na-türlich steht dann aber die Oma in der Tür,bepackt mit Braten und Kuchen und wennman die Schwiegermutter auch noch eingela-den hat …Überflüssig zu erwähnen, dass die polnischeEigenart das Essen eher kalt zu sich zu neh-men, darin einen Ursprung hat. Auch einpolnischer Herd hat in der Regel nur vierFlammen und drei Hauptgerichte mit Beila-gen, sowie die Reste der Barszcz-Suppe vomVorabend gemeinsam heiß auf den Tisch zubringen, gelingt auch der besten polnischenHausfrau nicht.Ja und dann ist da noch eine Sitte, miteinan-der das Brot auch zu Hause zu teilen. Dafürsteht als Sinnbild die Oblate. Jeder geht mitseinem Stück zu allen anderen Anwesenden,wünscht frohe Weihnachten und jeder brichtsich ein Stückchen von der Oblate des ande-ren ab. Viele von uns haben solche Oblatenschon von polnischen Freunden geschicktbekommen und sich gewundert, dass eineEcke immer abgebrochen ist. Das war nichtder Postbote, aber vielleicht sollte man auchmit dem einmal teilen – in Polen machen daseinige Menschen ganz bestimmt auch.

Wolfgang Nitschke

wöhnlich: Am 1. Weihnachtstag kann mansich nicht die verschiedenen Krippen an-schauen. Ein Spaziergang von Kirche zu Kir-che, wie ich ihn mit meinen polnischen Freun-den früher immer gemacht habe, ist hier(selbst in Bayern!) nicht möglich, da die Kir-chen nach dem letzten Gottesdienst abge-schlossen werden. Naja, dann gehe ich nunin die Küche, gucke zuerst, was ich in mei-nem Adventskalender finde und beim Glüh-wein backe ich Lebkuchen und Plätzchen …

Alicja Kędzierska

… in PolenWeihnachten beginnt in Polen später, als inDeutschland. Das ist auch verständlich, dennim Herbst sind die Polen ja – im Gegensatzzu den Deutschen – noch mit Allerheiligenbeschäftigt und das ist eigentlich genausowichtig, wie Weihnachten. Im Novemberkommt Weihnachten dann aber genauso mas-siv, wie bei uns Teutonen – Lichterketten undWeihnachtsmusik verzieren die Innenstädteund die in Polen weit verbreiteten „Shop-ping-Malls“. Anfang Dezember fühlt mansich als Deutscher dann in Polen fast wie zuHause. In den Innenstädten werden auchübergroße Christbäume aufgestellt. Was aber

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Nr. 48 Dezember 2013 adalbertusforum 45

Am 13. März 2013 wäre Gerhard Nitschke 80Jahre alt geworden. Acht Jahre, seit dem 31.Juli 2005, sind wir und seine Familie schonohne ihn. Oder ist er doch bei uns? So kommtes mir oft vor. Er prägt nach wie vor unserVersöhnungswirken. Er hat dem Adalbertus-Werk sein Gesicht gegeben, er ist Mitbegrün-der, er ist Bewahrer, er ist Mahner, Erhalterund Wegbereiter gewesen. Er hat sich aufNeues eingelassen, vor allem als sich im ge-samten Osten die politischen Verhältnissegrundlegend geändert haben,Grenzen geöffnet wurden odergefallen sind. Endlich war esmöglich, die Partner aus Po-len, aus dem Baltikum und an-deren Ländern Osteuropas inGemen mit am Tisch zu ha-ben. Wir haben in ihm nun si-cher auch einen Fürsprecherfür unsere Anliegen, für unserWirken bei Gott.Seine großen Verdienste undsein unermüdliches Wirkensind in vielfältiger Weise dar-gestellt und gewürdigt worden,auch hier im adalbertusforum.Wolfgang Nitschke hat zur Vollendung des70. Lebensjahres sehr persönlich über seinenVater geschrieben, Viola Nitschke-Wobbe hatihre Gedanken zum Tode von Gerhard Nitsch-ke unter die Überschrift „Ein Leben für denWeg der Versöhnung“ verfasst. Dichter undknapper kann man nicht beschreiben, was dasLeben von Gerhard Nitschke ausgemacht hat.Begegnungen mit ihm waren für mich immerein großer Gewinn. Als Bundespräses desBDKJ kam ich nach Gemen. Ein Termin wieviele andere war es zunächst: Teilnahme aneiner Tagung eines Verbandes mit einer Ju-gendorganisation, ein Grußwort, Kontakte unddann wieder Abreise. Es ist anders gekom-men. Vom Betreten der Burg an habe ich ge-merkt, hier geschieht Besonderes. Da ringenMenschen mit ihrer eigenen, oft schweren Le-bensgeschichte, da ist manches an Verbitte-rung, vieles an Verletzung und gleichzeitigauch ein großer Wille zur klaren Sicht derDinge und zur Versöhnung. Und mitten drinoder besser vorne dran bewegt sich GerhardNitschke, der Vorsitzende. Ich bin länger ge-blieben als geplant. Und beim Abschied fragteer mich, ob ich im kommenden Jahr aucheinmal an einem Podium teilnehmen würde.Ich habe zugesagt.

Es war spannend, was jedes Jahr aufs Neue anrückblickenden Themen zur Aufarbeitung vonGeschichte und an aktuellen Themen mit demBlick nach vorne in die Tagungen eingeflos-sen sind. Ich habe das schon bei meiner zwei-ten Gementagung im nächsten Jahr erlebt. AmSchluss schickte mich Gerhard ins Büro zumAbrechnen. Ich sagte zu ihm, dass ich mir alsHonorar keine Abrechnung wünsche, sondernein Danziger Kirchenliederbuch. Ich hatte ent-deckt, dass dort die „Wessenbergpsalmen“ zufinden sind, die ich aus unserem Diözesange-sangbuch seit Kindertagen kannte. EigeneGlaubensgeschichte hat mich in Gemen ein-geholt. Das hat er gemerkt. Das war der Be-

ginn meiner inzwischen langen Geschichte mitden Danziger Katholiken.Gerhard habe ich immer wieder im Zentralko-mitee der Deutschen Katholiken erlebt. Er warAnwalt der Verbandsarbeit, der Auseinander-setzung mit der Geschichte, der Anliegen derVertriebenen und Flüchtlinge. Seine Wortmel-dungen hatten Gewicht und wurden geachtet.Nicht immer waren sie bequem. An einemAbend in Bad Godesberg hat er mir auch seinegeistliche Heimat im Bund Neudeutschland

Gerhard Nitschke – zum 80sten Geburtstag

■ Gerhard Nitschke wurde beim40. Gementreffen 1986 zum Vorsitzendendes Adalbertus-Werk e.V. gewählt.

habe ich Gerhard im Kreis seiner Familie ofterlebt. Was er getan hat, konnte er tun, weilseine Frau Regina als treue Weggefährtin ihngetragen hat, ihm den Freiraum für sein kirch-liches und gesellschaftliches Wirken ermög-licht hat. Sie war seine kritische Begleiterin,konnte ihn auch wieder herunterholen, wenner sich aufregte. Ruhige, geduldige, förderndeKraft war sie für ihn, die eigenen Kinder, dievielen „Danziger Kinder“ in Gemen, für alle,die ihr begegnet sind. Sie hat das gastlicheHaus offen gehalten für Viele. Als JohannesGoedeke angekündigt hatte, dass er seinengroßen Dienst als Geistlicher Beirat aus Al-tersgründen beenden möchte, hat Gerhard michnach Düsseldorf eingeladen. Er hat mich ge-fragt, ob ich mir eine Kandidatur vorstellenkönne. Vorausgegangen war ein langes Ge-spräch, in dem wir uns gegenseitig geprüfthaben, ob das gehen könnte. Und es ging.Solche Gespräche mit ihm waren in meinemLeben Sternstunden.Gerhard Nitschke war der „Laienapostel“(Prof. Franz Manthey). Er hat die Kirche inder Bundesrepublik mitgestaltet. In seiner Per-son konnte man ablesen, dass Getaufte undGefirmte das Gemeinsame Priestertum zumSegen für die Menschen und die Kirche lebenkönnen. Er hatte eine große Achtung vor demAuftrag und Dienst der Priester in der Kirche,er lebte aus der gefeierten Eucharistie. Er wuss-te aber auch, dass Priester und Laien gemein-sam in der Nachfolge Jesu Christi stehen, je-der an seinem Platz, jeder mit seinem Auftrag,alle gleich in der Würde der Berufung. Wasdas letzte Konzil im Miteinander alles Getauf-ten wieder entdeckt hatte, hat er gelebt, ent-schieden eintretend für die besondere Verant-wortung der Laien in der Kirche.Gerhard hat mir auch seine Stadt Danzig, seinOliva, seine Kaschubei erschlossen. Ohne Ver-bitterung konnte er dorthin zurückkehren alsBote der Versöhnung. Mit ihm durch die Stra-ßen Danzigs zu gehen, durch die Kaschubeizu fahren, in Oliva Maßwerk und Architekturzu bewundern oder Orgelklänge zu hören, warimmer gewinnbringend. Das sind besondereund bleibende Erfahrungen.Und dann war da Gerhard noch in seinerKrankheit und seinem Leiden auf den Tod hin.Noch einmal ist er mir da aufs Neue nähergekommen. Er, der Starke, der Mittelpunkt,der Sorgende, der Beweger wird zum Schwa-chen, zum Hilfsbedürftigen. Dankbar war erfür alles, was Viola und Wolfgang und Angelaund Ulrich gerade in dieser Zeit getan haben.Er hat gelernt anzunehmen, nicht immer nurselber zu geben und auszuteilen. Er hat dieStärkung im Sakrament erlebt und konnte soversöhnt vor das Antlitz Gottes treten. EinAuferstehungsamt, keinen Trauergottesdienst,haben wir auf seinen Wunsch hin am Tagseiner Beerdigung gefeiert. Der Glaube an diebefreiende Kraft des Evangeliums, die Hoff-nung auf Auferstehung schon zu Lebzeitenund am Ende der Tage haben ihn geprägt. Dashat er auch in den Entwürfen seiner Kirchbau-ten zur Sprache und zur Anschauung gebracht.Das hat er in aller menschlichen Begrenztheitvorgelebt. Dankbar denken wir an ihn zurück.

Paul Magino

deutlich gemacht. Er konnte erzählen von vie-len Weggefährten, von spannenden Studien-reisen, von Besinnungstagen und Exerzitien.Dazwischen zu kommen, war schwer, aberschon das Zuhören war spannend und Hori-zont erweiternd.Gerhard war ein großer Netzwerker. Er kannteMenschen aus allen gesellschaftlichen Berei-chen und in der Kirche der Bundesrepublikund in Polen, er kannte Gott und die Welt.Und diese Kontakte hat er ohne Scheu insWerk eingebracht, wenn es darum ging, Refe-renten oder Autorinnen zu finden. Er bliebdran, wenn er sich etwas vorgenommen hatte,und er hat gefunden, was er brauchte undwollte.Ein besonderer Ort ist für mich das Haus „AmGentenberg“ in Düsseldorf geworden. Dort

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46 adalbertusforum Nr. 48 Dezember 2013

■ Am 23. Mai 2013 feierte Georg Stur-mowski seinen 90. Geburtstag. Über ihn istim adalbertusforum in den vergangenen 20Jahren schon viel geschrieben worden. Erwar fünf Jahre lang Vizepräsident des Hessi-schen Landtages und von 1970 bis 1991 dortAbgeordneter der CDU. Georg Sturmowskiwurde in Danzig geboren und durch ver-wandtschaftliche Bindungen eng mit dendeutsch-polnischen Verflechtungen Danzigsverbunden und von daher mit großer Sensi-bilität für dieses Phänomen ausgestattet. Erbesuchte zeitweise die deutsche und zeitweisedie polnische Grundschule, danach ab 1933das berühmte Danziger Städtische Gymnasi-

um. Nach derVer t re ibungengagierte ersich im Bundder deutschenKatholischenJugend – indem er in den

50er Jahren in der Mainzer Diözesanführungtätig war. Wir Danziger Katholiken schätzenGeorg Sturmowski als einen der engagiertes-ten Mitarbeiter in unseren Anliegen seit derersten Stunde. Als Teilnehmer des ersten Ge-mentreffens und Mitbegründer des Adalber-tus-Werk e.V. hat er sich stets für unsererBelange eingesetzt, manche Verbindungenhergestellt und bis heute vorbehaltlos auchunser Bemühen um die deutsch-polnischeVersöhnung unterstützt. Bei den Deutsch-Pol-nischen Studientagungen in Danzig und inGemen ist er Stammgast und auch bei ande-ren Kongressen und Tagungen gehört er zumKern unserer Delegation. Das Adalbertus-Werk e.V. dankt Georg Sturmowski für dieseIdentifizierung mit unserem Anliegen. Wirerhoffen uns noch manche gute Begegnun-gen mit ihm, der sich über alles politischeund auch der alten Heimat gewidmete Enga-gement hinaus, für viele von uns immer wie-der als ganz persönlich ausgerichteter Freunderweist.

■ Beim 48. Gementreffen 1994 sprach ererstmals im Rittersaal zu uns. „Danzig alsOrt gemeinsamer Identifikation“ war derTitel des Referates, in dem er sein ungeheu-res Wissen über die Danziger Geschichteoffenbarte. Seit dem hat prof dr AndrzejJanuszajtis immerwieder unsere Ta-gungen mit seinenVorträgen bereichert,hat uns mehrfachdurch die wiederauf-gebaute Stadt Dan-zig/Gdańsk geführtund die Kostbarkei-ten der Architekturund Kunst Danzigs erläutert. Zuletzt durftenwir ihn mit zwei Vorträgen bei unserer 15.Deutsch-Polnischen Studientagung im Som-mer 2013 erleben. Am 28. August feierte derehemalige Direktor des Physikalischen Insti-tutes der Technischen Hochschule Gdańskund Dekan der Fakultät für Technische Phy-

sik und Mathematik, Ehrenbürger der StadtDanzig und erste nach der Wende frei ge-wählte Präsident des Rates der Stadt (1990–1994) seinen 85. Geburtstag.

■ Am 22. September feierte Dr. Theo Mech-tenberg seinen 85. Geburtstag. Vielen ist erals Referent bei den Gementreffen bekannt –zuletzt war er beim 60. Gementreffen beiuns. Theo Mechtenberg war lange Jahre Lei-ter des Gesamteuropäischen Studienwerkes(GESW) in Vlotho und ist heute immer nochVorsitzender des Trä-gervereins. Der The-ologe und promo-vierte Germanist istseit den 1960er Jah-ren sehr im deutsch-polnischen Dialogengagiert. Von 1972bis 1979 lebte er inPolen und war Mit-arbeiter der Wochenzeitung Tygodnik Pow-szechny. Nach seiner Übersiedlung in dieBundesrepublik war er Dozent in der politi-schen Bildungsarbeit, mehrere Jahre Vor-standsmitglied der Stiftung Kreisau und ar-beitet noch heute als Publizist und Überset-zer. 2001 wurde er in Anerkennung seinerVerdienste um die deutsch-polnische Verstän-digung mit dem Kavalierskreuz des Verdienst-ordens der Republik Polen ausgezeichnet.

■ Der nächste Glückwunsch gilt ebenfallseinem fünfundachtzigsten Geburtstag. Hel-ga Grauwiller geb. Freyer beging ihn am12. September 2013. Wann immer es ihreGesundheit zulässt ist sie noch heute bei un-seren Treffen und Begegnungen dabei.

■ Achtzigste Geburtstage gibt es zahlreichzu feiern. Brigitte König feierte am 7. Sep-tember 2013. Sie gehört bei den Gementref-fen zu den regelmäßigen Teilnehmerinnenund war auch bei zahlreichen anderen Veran-staltungen des Adalbertus-Werk e.V. zu Gast.

■ Vier unserer Mitglieder aus dem heutigenDanzig können ebenfalls auf acht Jahrzehntezurückblicken: Anna Onoszko wurde am6. März 1933 geboren, Urszula Kusaj am21. Juni 1933 und Alina Kuźmińska am 7.Juli 1933. Alle drei waren unter den Teilneh-mern der 15. Deutsch-Polnischen Studienta-gung im Sommer 2013. Brygida Lewna,die am 5. Mai 2013 ihren Festtag beging,konnte an der Tagung leider nicht teilneh-men.

■ Ebenfalls 80 Jahre wurde Georg Tu-cholski. Geboren am 13. April 1933, lebteer auch nach dem Krieg noch lange in Dan-zig, bevor er als Spätaussiedler in die Bun-desrepublik kam. Seine Brüder Johannes undPaul brauchten dann allerdings noch einigeJahre, bis Georg – der eigentlich auf denNamen Günther getauft wurde, aber im Kom-munismus zum Georg polonisiert wurde –zum Adalbertus-Werk kam und so regelmä-ßiger Teilnehmer in Gemen oder bei den Stu-dientagungen in Danzig wurde.

■ Auch im Club der 80er ist nun PfarrerGerhard Schröder, ehemaliger Seelsorgerder „Gemeinschaft der Danziger katholischenJugend“. Er feierte am am 27. Juni 2013seinen Geburtstag.

■ 75 Jahre wurde bereits am 9. Februar 2013unser erster „Beutedanziger“ Wim van derLinden. Wim gehört zu den Gementreffen,wie der Wohnwagen zu Holland oder derMachandel zu Danzig. Sein Engagement fürPolen und in Polenging weit über unse-re Tagungen undTreffen hinaus. Zahl-reiche Reisen führenihn zusammen mitanderen Danzigernan die Mottlau, diver-se Hilfstransporte zuZeiten des Kriegs-rechtes wurden von ihm mitorganisiert undbegleitet. Dank sei ihm auch für seine Tätig-keiten als Küster und in der Organisationwährend der Gementreffen ausgesprochen.

■ Inga Ślaska, die als eine der ersten Teil-nehmerinnen aus dem heutigen Danzig zuuns kam und noch heute eine regelmäßigeBesucherin unserer Treffen ist, wurde am 6.Mai 1943 geboren und feierte 70. Geburtstag.

■ Noch ein Glückwunsch an die Familie Tu-cholski: Am 8. März 2013 wurde WiesławaTucholski, die Ehefrau unseres langjährigenKassenwartes Johannes, 65 Jahre alt.

■ Irena Lipowicz, ehemalige Beauftragteder Republik Polen für die deutsch-polni-schen Beziehungen und Direktorin der Stif-tung für deutsch-polnische Zusammenarbeit,feierte am 9. Juni ih-ren 60. Geburtstag.Vielen wird Frau Li-powicz vom Gemen-treffen 2005 in Erin-nerung sein, bei demsie mit uns über dieRolle der Kirchen imdeutsch-polnischenDialog diskutierte.Heute ist sie Bürgerbeauftragte der RepublikPolen und lehrt an der Professorin an derKardinal-Stefan-Wyszyński-Universität War-schau.

■ Der Beauftragte der Deutschen Bischofs-konferenz für Vertriebenen- und Aussiedler-seelsorge, Weihbischof Dr. Reinhard Hau-ke wurde am 6. November sechzig Jahre alt.Hauke wuchs mit fünf Geschwistern in Wei-mar auf und legte dort sein Abitur ab. Ineinem kirchlichen Kurs erlernte er in Magde-burg noch Latein und Altgriechisch und stu-

dierte in Erfurt Ka-tholische Theologieund Philosophie. Am30. Juni 1979 emp-fing er die Priester-weihe. 1992 promo-vierte er in Passau.Überregionale Be-kanntheit vor seinerBischofsernennung

erlangte Hauke als Dompfarrer in Erfurtdurch sogenannte Segensfeiern, die sich auchan Menschen richten, die keiner christlichenKirche angehören. Die „Feier der Lebens-wende“ für ungetaufte Jugendliche ist einAlternativangebot zur Jugendweihe. Auchgibt es, das monatliche Totengedenken imErfurter Dom oder das schon viele Jahre statt-

Glückwünsche

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Nr. 48 Dezember 2013 adalbertusforum 47

findende „Weihnachtslob“ für Konfessions-lose am gleichen Ort. Papst Benedikt XVI.ernannte ihn am 11. Oktober 2005 zum Weih-bischof im Bistum Erfurt. Bei ihrer Herbst-Vollversammlung 2009 wurde ihm durch dieDeutsche Bischofskonferenz das Amt des Be-auftragten für die Vertriebenen- und Aussied-lerseelsorge übertragen. Das Erfurter Dom-kapitel wählte Hauke am 2. Oktober 2012zum Diözesanadministrator des Bistums Er-furt, nachdem Papst Benedikt XVI. am Tagzuvor dem Rücktrittsgesuch von Bischof Joa-chim Wanke entsprochen hatte.

■ Einen runden Geburtstag hatte auch unserstellvertretender Vor-sitzender NorbertCzerwinski am 18.September 2013.Auch er gehört nunzum Kreis der 50er.Norbert kam bereitsals Kind und Jugend-licher zu den Gemen-treffen und engagier-

te sich schnell als Teamer im Jugendpro-gramm und im Arbeitskreis. Seit vielen Jah-ren ist er nun auch als Moderator von Podi-umsdiskussionen und Gesprächsforen tätigund hat im Jahr 2012 das Amt im Vorstanddes Adalbertus-Werk e.V. übernommen.

■ 40 Jahre jung wurde am 8. Juni 2013Lidia Delegacz-Niebielska. Lidka ist vorzwei Jahren zu uns gestoßen und hat sich alsSprachmittlerin beialten und jungenTeilnehmern großesLob erworben. Aberes ist nicht nur dieFähigkeit in Deutschund Polnisch zu re-den, die Lidka aus-zeichnet. Sie hatauch menschlich zuvielen Teilnehmern schnell Kontakt gefun-den und wird hoffentlich auch weiterhin inunserem Werk tätig sein.

■ Auch unsere andere Sprachmittlerin AnnaOsiak hatte einen besonderen Geburtstag.Ania feierte am 21. Oktober 2013 und wurde30. Auch Ania hat sich bei jungen und altenTeilnehmern großen Respekt für ihre Arbeiterworben und ihr Können bei der 15.Deutsch-Polnischen Studientagung in Dan-zig erneut unter Beweis gestellt.

■ Mehr als eine Sprachmittlerin ist für unsinzwischen Alicja Kędzierska, die am 28.Juli 2013 mit uns bei der Studientagungin Danzig ihren 30. Geburtstag feierte. Ala

JOHANNES GOEDEKE

Ich durfteüberlebenDer Autor schildert seine Er-innerungen an Kindheit undJugend in den Jahren desFreistaates Danzig und seineStudienzeit als Priesteramts-kandidat in der Zeit des Nati-onalsozialismus. In einemweiteren Kapitel werden dieErlebnisse als Sanitätssoldatund die Gefangenschaft inRussland beschrieben. DenAbschluss der Erinnerungenbildet das Kapitel über dieersten Schritte in der neuenHeimat im Westen Deutsch-lands.

Vor den Augen des Lesersentsteht ein spannendes Le-bensbild, welches die persön-liche Biografie im Kontext despolitischen und historischenGeschehens lebendig wer-den lässt. Johannes Goedekeerleben wir durch diesenBand als einen Menschen,der für seine Familie, seineKameraden, die Patienten inden Lazaretten, seine Mitge-fangenen und schließlich fürdie ihm anvertrauten Ge-meinden lebte und arbeiteteaus der Kraft des Glaubens.

Abgerundet wird das bemer-kenswerte Lebensbild durchdie beiden letzten Abschnittedes Buches: den Brief an sei-ne letzte Gemeinde vor demAbschied in den endgültigenRuhestand mit 92 Lebensjah-ren und sein wegweisendesReferat „Kirche auf dem Wegin das 3. Jahrtausend“ ausdem Jahr 1999, in dem ersich auch als überzeugenderTheologe zeigt.

Das komplett zweisprachiggestaltete Buch zeichnet eininteressantes Bild des Le-bens des langjährigen Geist-

lichen Beirates desAdalbertus-Werk e.V. –Bildungswerk der Dan-ziger Katholiken in derersten Hälfte des 20.Jahrhunderts.

Bilder und Dokumenteaus dem Archiv desAutors illustrieren denText.

■■■■■ Johannes Goedeke:Ich durfte überleben.Herausgeber: Adalber-tus-Werk e.V. –Bildungswerk der Danzi-ger Katholiken. VerlagWilczek, 12,50 Eurozzgl. Versandkosten(1,50 Euro Deutschland,4 Euro sonstige Län-der).ISBN 978-3-00-031670-8,2010, 272 Seiten, cello-phaniert, 2-sprachigdeutsch/polnisch.

■ Bestellungen bitteper Post: Verlag Wilczek,

An der Vehlingshecke 35, 40221 Düsseldorfper Fax: (0211) 15 30 77per E-Mail: [email protected]

Hiermit bestelle/n ich/wir _______ Expl. Johannes Goedeke: „Ich durfte überleben“ zum Preisvon 12,50 Euro zzgl. Versandkosten (1,50 Euro Deutschland, 4 Euro sonstige Länder). Ich/Wir verpflichte/n mich/uns die Zahlung unmittelbar nach Rechnungserhalt vorzunehmen.

Name, Vorname

Straße, PLZ, Ort

Datum, Unterschrift

BESTELLSCHEIN

hat in den vergange-nen vier Jahren dasProgramm II wesent-lich vom Inhalt hermitgestaltet, Ideeneingebracht undSchwerpunkte ent-wickelt. Sie ist regel-mäßig auch bei denArbeitstagungen da-bei und hat auch Begegnungstreffen in Dan-zig mitgestaltet.

■ Zwei der „drei Grazien“ feierten 2013ebenfalls den 30. Geburtstag. KatharinaSchnitzspahn am 14. November und Dei-ke Schicho am 18. November 2013. Beidesind seit fast 20 Jahren regelmäßig in Gemenund bei den Jugendbegegnungen in Danzigoder den Adventstagungen dabei gewesen.Deike war darüber hinaus im Sprecherteamder Adalbertus-Jugend aktiv.

■ Zum Schluss noch zwei Glückwünsche zu20. Geburtstagen an litauische Freunde: Ka-mile Preikšaite feierte am 28. November2013 und Pijus Pauliokonis, der inzwischenin Schottland studiert am 29. Oktober 2013.

Allen Jubilaren gratulieren wir herzlich undwünschen ihnen für den weiteren Lebens-weg Glück, Gesundheit und Gottes Segen.

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48 adalbertusforum Nr. 48 Dezember 2013

Am Montag, dem 28. Oktober 2013, starbTadeusz Mazowiecki nach langer Krank-heit im Alter von 86 Jahren in Warschau.Ein Nachruf von Gabriele Lesser, Korres-pondentin verschiedener Tageszeitungenin Polen.

Die hoch erhobene Hand Tadeusz Mazowie-ckis mit dem Victory-Zeichen, das strahlen-de und zugleich leicht verlegene Lächelndes katholischen Intellektuellen ging in dieGeschichte ein. Am 4. Juni 1989 gewann dieGewerkschaft Solidarność die ersten, nochhalb freien Wahlen in Polen. Monate zuvorhatte der sogenannte Runde Tisch, an demOppositionelle und Kommunisten den Über-gang zur Demokratie besprachen, der Soli-darność höchstens 35 Prozent der Sitze imParlament zugebilligt, während der übergro-ße Rest an die Polnische Vereinigte Arbei-terpartei (PVAP) und ihre Verbündeten fal-len sollte. Doch nach den Wahlen schlossensich die Blockparteien der Freiheits- undGewerkschaftsbewegung an. Gemeinsamwählten sie am 19. August 1989 den erstennichtkommunistischen MinisterpräsidentenPolens nach 1945: Tadeusz Mazowiecki.

Eine neue Ära in EuropaMit dieser Wahl eines Bürgerrechtlers undkatholischen Intellektuellen begann nicht nurin Polen, sondern in ganz Europa eine neueÄra. Der Eiserne Vorhang riss, die BerlinerMauer fiel, immer mehr Ostblockstaaten ge-

wannen ihre Unabhängigkeit zurück. AmEnde löste sich auch die Sowjetunion auf.Tadeusz Mazowiecki und seine Regierungwaren Pioniere der Transformation von derPlan- zur Marktwirtschaft, von der Einpar-teienherrschaft zu Demokratie und Pluralis-mus. „Es waren schwere Entscheidungen,die ich zu treffen hatte“, bekannte Mazo-wiecki einige Jahre später. Die „Schockthe-rapie“, die sein Finanzminister Leszek Bal-cerowicz den Polen verordnete, stürzte dieMasse der Arbeiter ins Elend. „Ich wusste,dass die Bastionen der Solidarność nicht zuhalten sein würden. Auf dem freien Marktwaren die alten Staatsmoloche nicht kon-kurrenzfähig.“ Die Arbeiter, die die neueFreiheit erkämpft hatten, verloren nicht nurihre Arbeit, sondern auch die Hoffnung aufein besseres Leben.

Auch der Elektriker Lech Wałęsa, der vonder Danziger Lenin-Werft aus die Freiheits-und Gewerkschaftsbewegung angeführt hat-te, war enttäuscht. Er hatte sich Demokratieund Freiheit ganz anders vorgestellt. Dassdie oppositionellen Intellektuellen die Machtübernehmen und die Arbeiter im Regen ste-hen ließen, weckte eine solche Wut in ihm,dass er sich mit Mazowiecki überwarf. Waszum Zerfall der Regierung führte. Dabei warMazowiecki in der Zeit der großen Streiksauf der Werft einer der wichtigsten Bera-ter und engsten Vertrauten Wałęsas gewe-sen. Doch im Herbst 1990 entschloss sich

der glücklose Pre-mier, bei den Präsi-dentschaftswahlenals Kandidat gegenden ArbeiterheldenLech Wałęsa anzu-treten. Es kam, wiees kommen musste:Mazowiecki kamnicht einmal in diezweite Runde.

Politik der„dicken Linie“

Viel Ärger brachteMazowiecki auchseine Politik der„dicken Linie“ ein,mit der er die Ver-antwortung für dieMisswirtschaft derPVAP von sichwies. Der Reformerwollte nur an der ei-genen Politik undihren Folgen ge-messen werden.Doch seine Gegnerdeuteten die „dickeLinie“ in einen „di-cken Strich unterdie Vergangenheit“

um und unterstellten Mazowiecki, er wolledie Täter unter den Exkommunisten straflosdavonkommen lassen. Tatsächlich ließenMazowieckis Innenminister und sein Ge-heimdienstchef, die zunächst noch der altenKommunistenriege entstammten, belasten-de Akten aus den Archiven verschwinden.Erfahren hat der Premier davon aber erstspäter.

Versöhnung mit DeutschlandDie deutsch-polnische Versöhnung lag Ma-zowiecki seit langem am Herzen. Als gläu-biger Katholik engagierte er sich seit Jahrenim deutsch-polnischen Dialog. Nach demFall der Berliner Mauer im November 1989wurde aus polnischer Sicht die Grenzfrageimmer dringlicher. Polens Politiker fürchte-ten, dass die Deutschen nach der Wiederver-einigung Ansprüche auf die ehemaligen deut-schen Gebiete stellen könnten. Zwar beru-higte der damalige Kanzler Helmut Kohl diePolen, doch vertraglich festlegen wollte ersich nicht. So betrat Mazowiecki zum erstenMal internationales Parkett und sprach sichbei den Premiers und StaatsoberhäupternWesteuropas für ein Hinauszögern der Wie-dervereinigung Deutschlands aus. Schließ-lich willigte Kohl ein.Noch im November 1989 hatten die unglei-chen Politiker zum Zeichen der Versöhnungeine gemeinsame Messe im niederschlesi-schen Kreisau/Krzyzowa gefeiert undeinander symbolträchtig umarmt. Kohl hatteseinen lang erwarteten Staatsbesuch in Po-len unterbrochen, als er von der Öffnung derMauer erfuhr. Doch nach zwei Tagen in Ber-lin kehrte er nach Polen zurück und beende-te den Besuch wie geplant. Dies rechnetenMazowiecki und viele Polen dem damaligenKanzler hoch an.Eine politisch bedeutende Rolle spielte Ma-zowiecki noch einmal 1992 während desKrieges in Bosnien-Herzegowina, als er alsUN-Sonderbeauftragter durch das Land reis-te. 1995 legte er dieses Amt aus Protestgegen die Untätigkeit der UN angesichts derMorde in Srebrenica nieder. „Das war dasEinzige, was ich für die Opfer noch tunkonnte“, erklärte Mazowiecki später: „Solaut gegen die Morde und die Menschen-rechtsverletzungen zu protestieren, dass esalle hören mussten.“

Tadeusz Mazowiecki, der Vater derDemokratie in Polen, ist tot

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Nr. 48 Dezember 2013 adalbertusforum 49

Zum Gedenken■ Im Alter von 85 Jahren verstarb am 10.Januar 2013 Elfriede Grünwald. Erst 1958war die Familie aus Danzig in die Bundesre-publik gekommen. Zusammen mit ihremBruder Johannes war Elfriede Grünwalddann auch mehrmals bei den Gementreffendabei.

■ Alfred Lessing, Gambist, Cellist, In-strumentenbauer und Musikforscher wurdeam 15. Januar 2013 nach langer Krankheitim Alter von 82 Jah-ren von Gott heim-gerufen. Den Teil-nehmern des 60. Ge-mentreffens ist erdurch die musikali-sche Umrahmungdes Festaktes (zu-sammen mit ViolaNi t schke-Wobbeund Archimandrit Irenäus Totzke) sicher inErinnerung geblieben. Bekannt wurde erauch durch zahlreiche CD-Aufnahmen undRundfunksendungen in denen er meist ander Gambe mitwirkte.

■ Am 3. Februar 2013 verstarb WernerBittner im Alter von 83 Jahren. WernerBittner war oft bei den Gementreffen dabeiund ständiger Gast bei den Regionaltreffenin Norddeutschland.

■ Im vergangenen adalbertusforum hattenwir ihm noch zum 80. Geburtstag gratuliert.Am 14. Mai 2013 ist Archimandrit IrenäusTotzke von uns gegangen. Irenäus wurde1932 in Danzig geboren und auf den NamenWolfgang getauft. Nach der Vertreibung kamer zunächst ins Flüchtlingslager Ĺlborg inDänemark, wo er die Oberschule besuchte.In der Bundesrepublik angekommen machte1952 in Heidenheim Abitur. Er studierte Phi-losophie, Theologie, Slawistik und Musik-wissenschaft in Würzburg, München undRom. Am 1. Oktober 1960 wurde er in Romzum Priester geweiht. 1952 folgte die ortho-

doxe Mönchsweihein Niederaltaich. Am25. Februar 1976 er-hielt er vom rumäni-schen PatriarchenJustinian I. die Insi-gnien eines Archi-mandriten und am13. Mai 1988 durchKardinal Lourdusa-

my, den Beauftragten des Papstes für dieBeziehung Roms zu den mit dem HeiligenStuhl verbundenen Ortskirchen in Niederal-taich die Archimandritenbenediktion. Ire-näus ist uns allen als Redner, Referent undMusiker in Erinnerung. Zahlreiche Vorträgeund Publikationen widmete er der DanzigerMusik und Kultur. Auch als Komponist warIrenäus tätig und vertonte Liederzyklen vonAgnes Miegel und Martin Damß. Die StadtDanzig würdigte seine Verdienste mit demKulturpreis der Stadt.

■ Wenige Wochen nach seinem 90. Ge-burtstag verschied am 30. Juli 2013 Dipl.-Ing. Eberhard Lilienthal. Der gebürtigeErmländer war durch seine Mitgliedschaftin der CV-Verbindung Baltia zum Adalber-tus-Werk e.V. gekommen. Die Danziger Ver-bindung Baltia warnach dem Krieg inAachen wieder ent-standen und Eber-hard war seit seinemStudium „Balte“.Zahlreiche Teilnah-men in Gemen wa-ren Zeichen seinerVerbundenheit zuDanzig. In unserem Kirchbauverein „St. Do-rothea von Montau“, der von Adalbertus-Werk e.V., KDSTV Baltia und Bund Neu-deutschland gemeinsam getragen wurde,übernahm Eberhard zunächst den stellv. Vor-sitz, ehe er von 2005 bis zur Auflösung desVereins Vorsitzender wurde. Von Beruf warer Architekt und als Beigeordneter obersterStadtplaner in Neuss. In ihrem Nachrufschrieb die Neuß-Grevenbroicher Zeitung:„Das städtebauliche Gesicht, das Neuss vonEnde der 1950er Jahre bis Ende der 1980erJahre erhielt, ist sein Lebenswerk“. Mit Eber-hard Lilienthal haben wir einen Menschenverloren, der sehr gradlinig und konsequenthandelte, aber immer offen für andere Men-schen war.

■ Während unserer Studientagung in Dan-zig/Gdańsk erreichte uns die Nachricht, dass

die langjährige Vor-sitzende des Bundesder Deutschen Min-derheit in Danzig,Helga Joachimi-ak, in einem Kran-kenhaus in Deutsch-land am 31. Juli2013 verstorben war.Frau Joachimiak war

eine prägende Figur der Minderheit in Dan-zig. Sie war offen und hilfsbereit für dieMitglieder und viele Gäste, die aus allerWelt zu Besuch kamen.

■ Am 10. August 2013 verstarb Ingrid Bre-de im Alter von 85 Jahren. In Bottrop gebo-ren, verbrachte sie ihre Kindheit in Danzig.Ihre Ausbildung zurKrankenschwesterabsolvierte sie in Ro-stock. Nach derFlucht fand sie inWestfalen eine neueHeimat. Sie lernteihren Mann Herbertkennen und gründe-te eine Familie, diedie Kinder Heidi, Frank und Arndt komplet-tierten. Mit ihrem jüngsten Sohn Arndt kamsie Mitte der 1960er Jahre zum ersten Malzum Gementreffen. Die Jugendburg sollte inden folgenden drei Jahrzehnten regelmäßi-ges Ziel von Mutter und Sohn sein. IngridBrede machte sich besonders um die musi-

kalischen Beiträge während der buntenAbende verdient. Etwa, wenn sie Texte zurAtmosphäre der Gementreffen auf bekannteMelodien verfasste und diese an den geselli-gen Abenden gemeinsam mit den „OlivsaerSpatzen“ – Regina Nitschke, den Freyer-Schwestern, Brigitte König, Hildegard Jutt-ner, Dorle Frings und Christel Gollmann –vortrug. Nicht selten an der Gitarre von ih-rem Sohn Arndt begleitet. In den letztenJahren hatte es ihre Gesundheit nicht mehrzugelassen, dass sie die Gementreffen be-suchte.

■ „Unser lieber Pfarrer Stanislaus Wisch-newski ist am 3. September 2013 vom Herrnüber Leben und Tod ins ewige Reich geholtworden. Wir können es nur schwer fassen,sind aber unendlich dankbar, dass er so lan-ge unser Hirte war. Seine liebevolle Beglei-tung in der Seelsorge war für viele Men-schen ein großes Geschenk. Lasst uns dan-

ken, dass er nichtmehr leiden muss –Gott gebe ihm dieewige Ruhe.“So stand es im Pfarr-brief der GemeindeSt. Altfried in See-vetal-Meckelfeldund man kann esnicht besser in Wor-

te fassen, als es dort geschrieben steht. SeinCharme mit dem er Menschen entgegentrat,war seine besondere Gabe. Am 22. März1953 in Zoppot geboren trat er nach derSchule ins Priesterseminar in Oliva ein. 1977kam er mit seiner Familie in die Bundesre-publik und kam ins Bistum Hildesheim, woihn Prlälat Wothe sehr förderte. So kamStanislaus auch zu uns nach Gemen. Nachder Priesterweihe 1984 und insbesonderedann als Pfarrer in Seevetal-Meckenfeldkonnte er nicht mehr so oft wie gewünschtzu unseren Treffen kommen. Stanislaus hataber über Jahre hinweg bei den Regional-treffen – insbesondere in Gütersloh – mituns die Vesper gefeiert. Trotz seiner schonschweren Krankheit war er in den Jahren2009 und 2010 auch wieder als Zelebrant inGemen – wenn auch immer nur für einekurze Zeit. Stanislaus ist mit 60 Jahren vielzu früh von uns gegeangen. R.I.P.

Zum Gedenken aneinen großen KomikerBerühmte Söhne hat die Stadt Danzig vielehervorgebracht. Johannes Hevelius etwa oderDaniel Chodowiecki, Arthur Schopenhauer,Daniel Fahrenheit und Günter Grass, um nureinige zu nennen. Manche bekannte Person,die in Danzig das Licht der Welt erblickteund es durchaus zu zeitweiliger Berühmt-heit brachte, ist im heutigen Danzig abernahezu unbekannt und auch alte Danzigerstaunen manchmal, wer alles aus ihrer Hei-matstadt stammt. Einer dieser selten erwähn-ten der Söhne Danzings ist auch der Komi-

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ImpressumHerausgeber:Adalbertus-Werk e.V. und Adalbertus-JugendCarl-Mosterts-Platz 1, 40477 Düsseldorf

Redaktion:Alicja Kędzierska, Viola Nitschke-Wobbe,Wolfgang Nitschke (V.i.S.d.P.)

Mitarbeiter dieser Ausgabe:Norbert Czerwinski, Paul Magino.Mit Namen gekennzeichnete Artikel geben nichtunbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Redaktionsanschrift:Viola Nitschke-WobbeAn der Wellenburg 17, 60437 Frankfurt am MainTel. (0 69) 95 05 94 70, Fax (0 69) 50 68 57 80E-Mail: [email protected]: www.adalbertuswerk.de

Gestaltung und Herstellung:MediaService Wilczek GmbHAn der Vehlingshecke 35, 40221 DüsseldorfTel. (02 11) 15 30 31, Fax (02 11) 15 30 77E-Mail: [email protected]

Fotos:Adalbertus-Jugend, Archiv, W. Babicki, Bulgrin(Eßlinger Zeitung), Bundespräsidialamt, JaunimoCentras, European Council, W. Derow, Fotolia,Gemeinschaft evangelischer Schlesier,A. Kędzierska, Landesarchiv Berlin, C. Mewes,W. Nitschke, A. Osiak, Privat, Stadt Düsseldorf,T. Werneck, Wikipedia.

Bezugspreis:Für Mitglieder ist der Bezugspreis im Mitglieds-beitrag enthalten. Von Nichtmitgliedern wird eineSpende erbeten.

Bankverbindung: Postbank EssenBLZ 360 100 43, Konto-Nr. 151966-435IBAN: DE33 3601 0043 0151 9664 35BIC: PBNKDEFF ISSN 1862-1627

VeranstaltungenOliv’scher Sonntag inDüsseldorf am 15. Juni 201414:30 Uhr Danziger Vesperandacht in der

Basilika St. Lambertus mit Weih-bischof Dr. Reinhard Hauke, Er-furt, Beauftragter der DeutschenBischofskonferenz für Vertriebe-nen- und Aussiedlerseelsorge inKonzelebration mit den anwe-senden Priestern.

15:30 Uhr Empfang, Festakt und Begeg-nung im St. Lambertushaus,Stiftsplatz, 4, 40213 Düsseldorf.

67. Gementreffen 2014Von Adalbertus-Werk e.V. und Adalber-tus-Jugend vom 30. Juli 2014 bis 3. August2014 bzw. 4. August 2014

Beim Gementreffen 2014 müssen wir denfinanziellen und personellen Veränderungenin unserem Werk Rechnung tragen. Wir wer-den am 30. Juli abends beginnen und eineProjektarbeit starten, die sich insbesonderean die „jungen Erwachsenen“ richtet. An-hand des Mediums „Radio“ sollen die The-men „10 Jahre EU-Osterweiterung“ und „25Jahre Wende in Europa“ thematisiert wer-den. Der Workshop soll aber für alle Teilneh-merinnen und Teilnehmer, für Jung und Altoffen sein. Erwachsene können in die Rolleder Interviewpartner schlüpfen, selber die jun-gen Menschen zu ihren Erfahrungen mit derEU oder der Reisefreiheit befragen oder ei-gene Erfahrungen einbringen. Der journalis-tische Ansatz dient dabei einerseits dazu, einErgebnis präsentieren zu können, anderer-seits als Katalysator für Gespräche und Aus-tausch zwischen den Generationen und Nati-onen. Eine Senderbesichtigung soll – wennmöglich – Teil des Programms sein.Ab Freitagabend – an dem erfahrungsgemäßweitere Teilnehmer anreisen – soll es dannauch Diskussions- und Vortragsveranstaltun-gen geben, bei denen die verschiedenen As-pekte der EU-Mitgliedschaft Polens im Mit-telpunkt stehen werden. Das Programm en-det am Sonntag mit der Vesperandacht. Fürdie ausländischen Gäste ist die Übernach-tung bis Montag gebucht. Wer von den deut-schen Teilnehmern bis Montag bleiben möch-te, kann dies gegen einen Aufpreis gerne tun.

Die Gäste aus Polen und Litauen müssenjedoch wieder selber Tickets für die Anreisebuchen. So ausreichend Teilnehmer am Flug-hafen Dortmund ankommen, wird das Adal-bertus-Werk e.V. einen Bustransfer organi-sieren.

Anmeldungen für beide Veranstaltungen sindbereits jetzt möglich: Wolfgang NitschkeGanghoferstraße 58, 80339 MünchenTel. (0 89) 50 20 55-7, Fax (0 89) 50 20 55-8E-Mail: [email protected]

4. Welttreffen aller DanzigerVom 25. bis 27. Juli 2014 findet in Danzigdas 4. Welttreffen aller Danziger statt. Paral-lel zum „Domnik“ werden wieder mehrere1.000 Danziger aus aller Welt an der Mottlauerwartet. Ein genaues Programm oder eineListe möglicher Quartiere sind uns mit deroffiziellen Einladung des Stadtpräsidentenleider nicht übermittelt worden.

ker und Schauspieler Eddi Arent. GebhardtGeorg Arent – so sein bürgerlicher Namewurde am 5. Mai 1925 in Danzig Langfuhrals Sohn des Leiters des Danziger Wasser-werks geboren. Übrigens in demselben Haus,in dem 1930 auch der Schauspieler Wolf-gang Völz geboren wurde, mit dem er spätergelegentlich gemeinsam in Filmen zu sehenwar (z. B. in Edgar Wallace „Der grüne Bo-genschütze“). Nach dem Krieg, in dem er ander Ostfront gedient hatte, begann Arent alsKabarettist. Er wirkte sowohl bei der „Mau-sefalle“ in Stuttgart mit, als auch an der„Zwiebel“ in München. Eddi Arent hatteseine erste größere Filmrolle 1958 in „DerArzt von Stalingrad“.

Bekannt wurde er in den Edgar Waalace-Verfilmungen – als Butler, Polizeifotograf,Kriminalassistent und auch mehrfach als Bö-sewicht. Unvergessen sind auch seine Auf-tritte in den Karl-May-Filmen, Der Schatzim Silbersee von 1962, Winnetou 2. Teil von

1964 und in Win-netou und OldShatterhand imTal der Totenvon 1968, in de-nen er den aben-teuersuchendenenglischen LordCastlepool spiel-te. Wegen seinereffizienten Ar-

beitsweise, so ist nachzulesen, lautete eingeflügeltes Wort unter Regisseuren damals:„Drehe sparend – dreh mit Arent“.

Nachdem das Kino sich mit den Jahren ver-änderte, wurde es ruhig um Arent. Trotzguter Kritiken für seine Rollen in verschie-denen Produktionen, gelang ihm dann derDurchbruch im Fernsehen auch nicht, ob-wohl er bis in die 1990er Jahre in zahlrei-chen Serien Nebenrollen verkörperte. Er-folgreich war er aber eigentlich nur noch ander Seite von Harald Juhnke in der Sketch-serie „Harald und Eddi“. Eddi Arent wareigentlich immer der typische zweite Mann,den man für die spontane Komik beschäftig-te, oder die Nebenrolle. Manch ein Haupt-darsteller und manchenr Film wäre ohne ihnaber halb so komisch gewesen. Er starb imAlter von 88 Jahren am 28. Mai 2013. SeinGrab befindet sich in Oberschleißheim beiMünchen. wn

Das Adalbertus-Werk e.V. unddie Adalbertus-Jugend

wünschen allen Lesern desadalbertusforums

Gottes Segen zum Weihnachtsfest

Adalbertus-Werk e.V. im Internet

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Nr. 48 Dezember 2013 adalbertusforum 51

Das Abend- und Rahmenprogramm der 15. Deutsch-Polnischen Studientagung in Danzig/Gdańsk■ Neben den abendlichenBesuchen auf dem Domi-nikanermarkt/JarmarkDominikański, stand amDienstag, 30. 7. 2013 einOrgelkonzert auf dem Ab-endprogramm der Ta-gung. Christoph Kuhl-mann, Regionalkantor derStadt Köln, spielte in derBrigittenkirche/Kościółśw. Brygidy Orgelmusikvon der Olivaer Orgelta-bulatur bis Johann Sebas-tian Bach.

■ Am Mittwochabendwaren wir dann, wie beifast allen früheren Studi-entagungen auch, zu Gastin der Pfarrgemeinde St.Dorothea von Montau.Den Gottesdienst für Frie-den und Versöhnung ze-lebrierte der GeistlicheBeirat des Adalbertus-Werk e.V., Paul Maginozusammen mit ProboszczZygmunt Słomski. DieElemente des Gottes-dienstes – wie die Fürbit-ten – wurden abwech-selnd in Deutsch, Pol-nisch und Litauisch vor-getragen.

Im Anschluss an den Got-tesdienst feierten wir zu-sammen mit der Pfarrge-meinde ein Grillfest mitMusik und Tanz. Ks.Słomski überraschte unsdabei auch als Bandlea-der und sorgte mit seinerGruppe für Stimmung.Kein polnischer Party-Schlager fehlte. Und auchunsere in Gemen traditio-nelle Polonaise war in Po-len Bestandteil des gesel-ligen Abends – allerdingsin der Variante, die manvon polnischen Hochzei-ten kennt.

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Momentaufnahmen bei derStudientagung in Danzig/Gdańsk