1

Click here to load reader

Zinkion erkennt kleinen Unterschied

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Zinkion erkennt kleinen Unterschied

354 | Chemie in unserer Zeit | 36. Jahrgang 2002 | Nr. 6

T R E F F P U N K T FO R SC H U N G | KOMPAKT

S Y M B I OS E |Käfer mit bakteriellen Waffen

A M I N OS Ä U R E N |Zinkion erkennt kleinen UnterschiedZwanzig Aminosäuren sind die Hauptbausteine der überwiegend ausProteinen bestehenden, nanometergroßen Maschinerie der Zelle. Die Funktion und letztlich das Überleben der Zelle hängen davon ab,dass bei der Proteinbiosynthese zu jedem der DNA-„Wörter“ (Codons)die richtige Aminosäure ausgewählt und eingebaut wird.

Wirbellose Tiere wie Schwämme, Ko-rallen und Manteltierchen enthaltenoftmals Substanzen, die vielverspre-chende therapeutische Eigenschaftenbesitzen, sich aber nur selten ingrößeren Mengen gewinnen lassen.Vieles deutet darauf hin, dass diewahren Produzenten häufig nicht dieTiere selbst sind, sondern mit ihnenin Symbiose lebende Bakterien.Am Max-Planck-Institut für chemi-sche Ökologie in Jena ist es jetzt ge-lungen, das Bakterium Pseudomonasaeruginosa als Produzenten des Wirk-stoffs Pederin in Käfern der GattungPaederus zu identifizieren. Die Käferbenutzen Pederin als chemische Waffe, um sich und ihre Nachkom-menschaft vor Fraßfeinden wie bei-spielsweise Spinnen zu schützen.

Dieser Befund könnte wichtigeKonsequenzen für die Gewinnungvon Medikamenten aus niederen Organismen haben: Gelänge es, diePederin-Gene in ein leicht kultivier-bares Bakterium zu übertragen, ließesich der gewünschte Wirkstoff intheoretisch unbegrenzten Mengenherstellen.

[1] J. Piel, A polyketide synthase-peptide syn-thetase gene cluster from an unculturedbacterial symbiont from Paederus beetles.PNAS published October 14, 2002,10.1073/pnas.222481399

Diese Zuordnung, die in manchenFällen subtile chemische Unterschei-dungen erfordert, erledigt eine Fami-lie von Enzymen, die tRNA-Syntheta-sen. Sie verknüpfen eine für ein Co-don spezifische Transfer-RNA mit derzugehörigen Aminosäure. Mit der Kristallstruktur des vorletzten nochausstehenden Mitglieds dieser Fami-lie wurde jetzt eine seit Jahrzehntenumstrittene Frage beantwortet.

Manche tRNA-Synthetasen erledi-gen ihre Aufgabe nur mit mäßiger Ge-nauigkeit, so dass die Zelle oft noch einen Korrekturschritt nachschaltenmuss. Das Enzym, das für die Ami-nosäure Cystein zuständig ist, arbei-tet hingegen erstaunlich genau. Diesist um so verwunderlicher, als es seinSubstrat von der geometrisch äquiva-lenten Aminosäure Serin unterschei-den muss, die lediglich ein Sauerstoff-Atom anstelle des Schwefels im Cystein trägt. Seit mehr als zwanzigJahren haben Forscher darüber gerät-selt, wie das Enzym diese hochspezi-fische Unterscheidung bewältigt. Erstjetzt veröffentlichte die Arbeitsgrup-pe von John Perona eine Kristall-strukturanalyse dieses Enzyms undkonnte damit den Mechanismus dieser Trennung aufklären [1].

Der Vergleich der Strukturen mitund ohne Cystein-Substrat zeigte,dass dieses nicht etwa, wie man hättevermuten können, eine Disulfidbrückemit einem Cystein des Enzyms ein-geht.Vielmehr bindet es sich an einin dem Enzym gebundenes Zinkion,das zu diesem Zweck von vierbindiger(Tetraeder) zu fünfbindiger (trigonaleBipyramide) Koordination überwech-selt, wobei alle anderen Ligandenvon Aminosäureseitenketten des Enzyms gestellt werden. Es ist nochoffen, ob das Ion im Verlaufe des Re-

aktionszyklus an dieser Stelle ver-bleibt, oder zwischen verschiedenenPositionen pendelt.

Obwohl Zink als stabilisierendesElement in zahlreichen Proteinstruk-turen vorkommt (etwa im Zinkfinger-Motiv), wird eine so aktive Rolle wiehier nur selten beobachtet. Lediglicheine einzige der 18 bereits charakte-risierten tRNA-Synthetasen (die fürThreonin) benutzt ebenfalls ein Zin-kion - doch mit weniger Erfolg, wasdie Spezifität der Aminosäurenerken-nung angeht.

Peronas Team untersuchte das En-zym aus dem Darmbakterium Esche-richia coli, doch die gewonnenen Er-kenntnisse werden weit allgemeinereBedeutung haben. Die tRNA-Syntheta-sen verschiedener Organismen sindsich oft hochgradig ähnlich, selbstüber große phylogenetische Abstän-de hinweg, etwa zwischen Bakterienund Menschen. Im Fall des Cystein-Enzyms kann man zum Beispiel dieSequenzen der verschiedensten Or-ganismen direkt vergleichen und dieZink-Bindungsstellen sowie weiterefür die Funktion wichtige Aminosäu-ren eindeutig identifizieren.

Die einzige Abweichung findetsich bei den als besonders “urtüm-lich” geltenden Archaebakterien. Eini-ge von ihnen besitzen keine zinkhal-tige Cystein-tRNA-Synthetase, und be-laden die Cystein-tRNA stattdessenmit Hilfe eines Enzyms, das auch fürProlin zuständig ist. Die weite Ver-breitung des regulären Enzyms unddie bizarre Natur dieser Ausnahmelässt möglicherweise Schlussfolgerun-gen auf die Frühphase der Evolutionder Proteinbiosynthese zu.

[1] K.J. Newberry et al., EMBO J. 22000022, 21.

Michael Groß

Abb. Der Kurz-flügler Paederusfuscipes. [Foto:R.L.L. Kellner, Uni-versität Bayreuth]