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[email protected] I www.sjwz.ch ZPR! Gesellschaften und Unternehmen im Zivilprozess 09. April 2018 Tagungsleitung: Patricia Tschudi Postfach 3334 I 8034 Zürich Telefon 043 541 17 17 I Fax 043 541 17 74

ZPR! Gesellschaften und Unternehmen im Zivilprozess€¦ · Unternehmen 14:00 Vorsorglicher Rechtsschutz bei gesellschaftsrechtlichen Klagen (insbes. Handelsregistersperre) 14:30

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ZPR! Gesellschaften und Unternehmen im Zivilprozess

09. April 2018

Tagungsleitung: Patricia Tschudi

Postfach 3334 I 8034 Zürich Telefon 043 541 17 17 I Fax 043 541 17 74

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09.04.2018: ZPR! Gesellschaften und Unternehmen im Zivilprozess

Inhalt Tagungsunterlagen

Teil 1: Informationen

Liste der Teilnehmenden / Programm / Referierende / Informationen über SJWZ

Teil 2: Unterlagen Patricia Tschudi

Probleme der zivilprozessualen Vertretung von Gesellschaften und Unternehmen

Teil 3: Unterlagen Pascal Grolimund

Vorsorglicher Rechtsschutz bei gesellschaftsrechtlichen Klagen (insbes. Handelsregistersperre)

Teil 4: Unterlagen Roland Schmid

Das Verfahren vor Handelsgericht: aktuelle prozessuale Entwicklungen und Besonderheiten

Teil 5: Unterlagen Georg Naegeli

Prozessuale Tücken bei der Anfechtung von Gesellschaftsbeschlüssen – ein Erfahrungsbericht

Teil 6: Unterlagen Felix Dasser

Verantwortlichkeitsklagen: Zuständigkeiten, Strategien und deren Folgen

Teil 7: Unterlagen Daniel Staehelin

Prozessstandschaft und uneigentliche notwendige Streitgenossenschaft; Prozessuales zu Art. 260 SchKG

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Liste der Teilnehmenden

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09.04.2018: ZPR! Gesellschaften und Unternehmen im Zivilprozess

Programm

13:30 Begrüssung und Einführung 13:35 Probleme der zivilprozessualen Vertretung von Gesellschaften und Unternehmen 14:00 Vorsorglicher Rechtsschutz bei gesellschaftsrechtlichen Klagen (insbes. Handelsregistersperre) 14:30 Das Verfahren vor Handelsgericht: aktuelle prozessuale Entwicklungen und Besonderheiten 15:00 Kaffeepause 15:30 Prozessuale Tücken bei der Anfechtung von Gesellschaftsbeschlüssen – ein Erfahrungsbericht 16:00 Verantwortlichkeitsklagen: Zuständigkeiten, Strategien und deren Folgen 16:30 Prozessstandschaft und uneigentliche notwendige Streit- genossenschaft; Prozessuales zu Art. 260 SchKG 17:00 Frage- und Diskussionsrunde 17:30 Ende der Veranstaltung mit anschliessendem Apéro

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09.04.2018: ZPR! Gesellschaften und Unternehmen im Zivilprozess

Tagungsleitung

Patricia Tschudi lic. iur., Rechtsanwältin, Bezirksrichterin, Bezirksgericht Horgen

Referierende

Felix Dasser Prof. Dr. iur., LL.M., Rechtsanwalt, Partner bei Hombuger AG, Zürich

Pascal Grolimund Prof. Dr. iur., LL.M., Advokat, Partner bei Kellerhals

Carrard, Basel Georg Naegeli Dr. iur., Rechtsanwalt, Partner bei Homburger AG,

Zürich Roland Schmid Oberrichter, Vizepräsident am Handelsgericht des

Kantons Zürich Daniel Staehelin Prof. Dr. iur., Advokat und Notar, Patner bei

Kellerhals Carrard, Basel

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09.04.2018: ZPR! Gesellschaften und Unternehmen im Zivilprozess

Wer wir sind. Zweck und Ziele.

Die Stiftung juristische Weiterbildung Zürich führt durch ausgewiesene Referentinnen und Referenten aktuelle und praxisnahe Weiterbildungsveranstaltungen durch. Diese Veranstaltungen richten sich an Juristinnen und Juristen in Gerichten, Anwaltschaft, Verwaltungen und Unternehmen.

Die vor über dreissig Jahren durch den Kanton (Gerichte und rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität), den Zürcherischen Juristenverein und den Zürcher Anwalts-verband gegründete Stiftung hat neben der Weiterbildung den Erfahrungsaustausch von Dozenten und Praktikern zum Zweck.

Der Stiftungsrat setzt sich aus Vertreterinnen und Vertretern der Gerichte, der Universität, der Anwaltschaft, des Zürcher Juristenvereins sowie der Verwaltung und der Wirtschaft zusammen und zeichnet für die Gestaltung des Jahresprogrammes verantwortlich. Ihr gegenwärtiger Präsident ist RA Dr. iur. Markus Vischer, LLM.

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09.04.2018: ZPR! Gesellschaften und Unternehmen im Zivilprozess

Unterlagen Referierende

Teil 2: Unterlagen Patricia Tschudi

Probleme der zivilprozessualen Vertretung von Gesellschaften und Unternehmen

Teil 3: Pascal Grolimund

Vorsorglicher Rechtsschutz bei gesellschaftsrechtlichen Klagen (insbes. Handelsregistersperre)

Teil 4: Unterlagen Roland Schmid

Das Verfahren vor Handelsgericht: aktuelle prozessuale Entwicklungen und Besonderheiten

Teil 5: Unterlagen Georg Naegeli

Prozessuale Tücken bei der Anfechtung von Gesellschaftsbeschlüssen – ein Erfahrungsbericht

Teil 6: Unterlagen Felix Dasser

Verantwortlichkeitsklagen: Zuständigkeiten, Strategien und deren Folgen

Teil 7: Unterlagen Daniel Staehelin

Prozessstandschaft und uneigentliche notwendige Streitgenossenschaft; Prozessuales zu Art. 260 SchKG

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Probleme der zivilprozessualen Vertretung

von Gesellschaften und Unternehmen

Patricia Tschudi, Bezirksrichterin

Bezirksgericht Horgen

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Vorladung

Die Hauptverhandlung wird angesetzt auf

Montag, den 9. April 2018 im Gerichtsgebäude Horgen, Burghaldenstrasse 3, 8810 Horgen, Anmeldung beim Empfang.

Sie werden hiermit aufgefordert, zur bezeichneten Zeit persönlich vor Gericht zu erscheinen oder sich durch eine handlungsfähige Person mit schriftlicher Vollmacht vertreten zu lassen. Juristische Personen haben eine einzelzeichnungsberechtigte oder schriftlich bevollmächtigte Person zu entsenden, welche über die Streitsache orientiert und zum Abschluss eines Vergleichs ermächtigt ist.

Lässt sich eine Partei vertreten, so erfolgt die Vorladung nur an die Vertretung (Art. 137 ZPO). Es ist Sache der Vertretung, die Partei über den Verhandlungstermin zu informieren.

Erscheint weder die Partei persönlich noch ein von ihr bestellter Vertreter zur Verhandlung, wird die Verhandlung ohne sie durchgeführt. Im Anschluss fällt das Gericht ohne weitere prozessuale Schritte einen Entscheid (Art. 153 ZPO vorbehalten). Es kann seinem Entscheid die Akten sowie die Vorbringen der anwesenden Partei zu Grunde legen (Art. 234 Abs. 1 ZPO). […].

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Probleme der zivilprozessualen Vertretung von Gesellschaften und Unternehmen

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Inhalt:• Überblick Vertretung: Allgemeines

• Vertretung: Juristische Personen

• Vertretung: Gebilde mit Partei- und Prozessfähigkeit trotz fehlenderRechtsfähigkeit

• Kollektivgesellschaft / Kommanditgesellschaft

• Stockwerkeigentümergemeinschaft

• Konkursmasse

• Liquidationsmasse

• Nachlass

• Mängel in der Organisation der Gesellschaft

• Vorgehen nach Löschung der Rechtseinheit im Handelsregister:Verfahren um Wiedereintragung

• Ausgewählte weitere Probleme

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Überblick Vertretung: Allgemeines

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• Mündliche Verhandlung: Erscheinungspflicht des Organs/Mitgliedsoder des bevollmächtigen Vertreters

• Schriftliche Eingaben: korrekte Unterzeichnung

• Vollmacht: aktuell und auf konkrete Streitsache bezogen

• Folgen:

• Art. 132 Abs. 1 ZPO: Fehlende Unterschrift/Vollmacht→ Nachfrist

• Art. 147 ZPO: Nicht zur Vertretung befugte Personerscheint/Säumnis→ Keine Nachfrist!

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Vertretung: Juristische Personen (I)

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Vertretungsberechtigung: Juristische Personen, welche im Handelsregister eingetragen sind

AG, Kommanditaktiengesellschaft, GmbH, Genossenschaft, Vereine mit kaufmännischem Unternehmen (Art. 61 Abs. 2 ZGB), Vereine, die sich freiwillig eintragen, gewöhnliche privatrechtliche Stiftungen, kirchliche Stiftungen und Familienstiftungen mit kaufmännischem Unternehmen (Art. 52 Abs. 2 ZGB; Art. 934 Abs. 1 OR)

• Massgebend ist der HR-Auszug

• Prozessführungsbefugnis: HR-Eintrag ermächtigt zur Vornahmesämtlicher Handlungen, welche der Zweck des Unternehmens mitsich bringen kann (vgl. Art. 459 Abs. 1 OR)

• Nur zwei Beschränkungen möglich: Filial- und Kollektivprokura(Art. 460 Abs. 1 und Abs. 2 OR)

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Vertretung: Juristische Personen (II)

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Vertretungsberechtigung: Juristische Personen, welche nicht im Handelsregister eingetragen sind

Vereine, kirchliche Stiftungen, Familienstiftungen ohne kaufmännisches Unternehmen (vgl. Art. 52 Abs. 2 ZGB sowie Art. 934 Abs. 1 OR)

• Massgebend sind die Statuten/Stiftungsbestimmungen sowie dieProtokolle/Beschlüsse

• Die Unterlagen müssen Folgendes nachweisen:

• Organisation: Welche Personen dürfen nach aussen auftreten;Zeichnungsberechtigung ("Exekutivorgane")

• Effektive Ernennung dieser Organe ("Bestellung" bzw. "Wahl")

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Vertretung: Gebilde mit Partei- und Prozessfähigkeit trotz fehlender Rechtsfähigkeit (I)

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Bestimmte Gebilde sind trotz fehlender Rechtsfähigkeit kraft Bundesrechts partei- und prozessfähig (vgl. Art. 66 ZPO)

• Kollektivgesellschaft/Kommanditgesellschaft• Ist partei-, prozess- und betreibungsfähig

(Art. 562 bzw. Art. 602 OR)

• Vertretung: Art. 563 f. OR bzw. Art. 603 OR (HR-Eintrag!)

• Änderungen im Bestand der Gesellschafter haben keineAuswirkungen auf hängige Prozesse

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Vertretung: Gebilde mit Partei- und Prozessfähigkeit trotz fehlender Rechtsfähigkeit (II)

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• Stockwerkeigentümergemeinschaft (Art. 712l ZGB)• Ist beschränkt partei-, prozess- und betreibungsfähig

(Art. 712l ZGB)

• Im Prozess tritt sie als "Stockwerkeigentümergemeinschaft[Adresse]" auf

• Vertretung (Art. 712t Abs. 2 ZGB):

• Summarisches Verfahren: Durch den Verwalter (gesetzlicheProzessvollmacht)

• Ordentliches/vereinfachtes Verfahren: Der Verwalter bedarf dervorgängigen Ermächtigung durch die Versammlung derStockwerkeigentümer

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Vertretung: Gebilde mit Partei- und Prozessfähigkeit trotz fehlender Rechtsfähigkeit (III)

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Praktisches Beispiel: Beschluss einer Stockwerkeigentümerver-sammlung

Für die Entfernung der Reben wird dem Stockwerkeigentümer A eine Frist bis [Datum] gewährt.

Sollte A innert der gewährten Frist die Reben nicht entfernen, ermächtigt die Versammlung die Verwaltung Klage einzureichen.

Bis und mit Friedensrichter wird die Verwaltung das Verfahren führen, nach Ausstellung der Klagebewilligung wird ein Rechtsanwalt beigezogen, der die Interessen der Gemeinschaft vor Gericht durchsetzt.

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Vertretung: Gebilde mit Partei- und Prozessfähigkeit trotz fehlender Rechtsfähigkeit (IV)

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• Konkursmasse• Ist ein Sondervermögen mit aktiver und passiver Parteifähigkeit

• Wird durch die Konkursverwaltung vertreten (Art. 240 SchKG;BGer, 4A_242/2015, E. 2.4.2; BGE 97 II 403, E. 2)

• Prozessführungsbefugnis in eigenem Namen:Abtretungsgläubiger gemäss Art. 260 Abs. 1 SchKG(Prozessstandschaft)

• Liquidationsmasse beim Nachlassvertrag mitVermögensabtretung• Besitzt Parteifähigkeit im Prozess und in der Betreibung

• Wird durch die Liquidatoren vertreten (Art. 319 Abs. 4 SchKG)

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Vertretung: Gebilde mit Partei- und Prozessfähigkeit trotz fehlender Rechtsfähigkeit (V)

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• Nachlass• Der ungeteilte Nachlass ist gemäss Art. 49 und 59 SchKG

betreibungs- und passiv parteifähig (vgl. BGE 116 III 4 ff.)

• Prozessführungsbefugnis in eigenem Namen: Willensvollstrecker,Erbschaftsverwalter und Erbenvertreter (Prozessstandschaft;vgl. BGE 129 V 113, E. 4.2)

• Die Erbengemeinschaft ist nicht parteifähig

• Notwendige Streitgenossenschaft aller Erben (dieSammelbezeichnung "Erbengemeinschaft" oder "Nachlass desX" genügt mangels Rechtspersönlichkeit nicht)

• Massgebend ist der Erbschein gemäss Art. 559 ZGB

• Vertretung: Durch alle Erben gemeinsam

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Mängel in der Organisation der Gesellschaft (I)

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• Fehlende Organe

• Organisationsmangel (Handlungsunfähigkeit; Art. 54 ZGB)

• Klage auf Ergreifung der erforderlichen Massnahmen:Art. 731b OR, Art. 819 OR, Art. 908 OR, Art. 69c ZGB, Art. 83dZGB

• Zuständig ist im Kanton Zürich das Handelsgericht (vgl. Urteildes Obergerichts, II. Zivilkammer, vom 14. Februar 2011,LF110011-O)

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Mängel in der Organisation der Gesellschaft (II)

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Rechtsbegehren:

"Infolge Mängeln in der gesetzlich zwingend vorgeschriebenen Organisation der Gesuchsgegnerin seien die erforderlichen Massnahmen zu ergreifen; dies unter Kosten-und Entschädigungsfolge."

[Erwägungen]

Der Einzelrichter erkennt:

1. Die Beklagte wird aufgelöst und ihre Liquidation nach den Vorschriften über denKonkurs angeordnet.

2. Das Konkursamt […] wird mit dem Vollzug beauftragt.

3./4./5. (Kosten/Kostenauflage/Entschädigung)

6. (Mitteilungen)

7. Rechtsmittel (bundesrechtliche Beschwerde)

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Vorgehen nach Löschung der Rechtseinheit im Handelsregister: Verfahren um Wiedereintragung (I)

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• Gelöschte Rechtseinheit

• Wiedereintragung ins Handelsregister erfolgt durch das Gericht(Art. 929 Abs. 1 OR i.V.m. Art. 164 Abs. 1 HRegV)

• Voraussetzungen: Art. 164 Abs. 1 HRegV

• Massnahmen des Gerichts:

• Anweisung an das Handelsregisteramt: Wiedereintragung

• Bestimmung der zeichnungsberechtigten Person etc.

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Vorgehen nach Löschung der Rechtseinheit im Handelsregister: Verfahren um Wiedereintragung (II)

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Rechtsbegehren:1. Es sei die Wiedereintragung der gelöschten Rechtseinheit "X AG" im

Handelsregister des Kantons Zürich anzuordnen.

2. Als Liquidator sei […] einzusetzen.

[Erwägungen]Es wird erkannt:

1. Das Handelsregisteramt des Kantons Zürich wird in Anwendung von Art. 164Abs. 4 HRegV angewiesen, unter der Firma "X AG in Liquidation" die am[Datum] gelöschte Rechtseinheit X AG (CHE-[…]) wieder einzutragen.

2. Als Liquidator ist A mit Einzelunterschrift einzutragen.

3. Der Sitz der wiedereingetragenen Gesellschaft befindet sich an der[Adresse]. Als Korrespondenzadresse gilt folgende Adresse: [Adresse].Im Übrigen gelten die bisher eingetragenen Tatsachen weiterhin.

4./5./6. Kosten/Mitteilungen/Rechtsmittel

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Ausgewählte weitere Probleme (I)

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• Ausländische Gesellschaften

• Links zu den Handelsregisterbehörden im Ausland:

• https://www.afhn.sg.ch/home/ganze_welt.html

• https://www.baselland.ch/politik-und-behorden/direktionen/sicherheitsdirektion/zivilrechtsverwaltung/handelsregister/links-ausland

• Vertretungsmacht übersteigt Vertretungsbefugnis

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Ausgewählte weitere Probleme (II)

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• Vertretungstitel: Geschäftsführung ohne Auftrag (Art. 419 ff. OR)

• Vertretungstitel: Fortbestehende VollmachtBGer 4P.325/2001 vom 21.11.2002, E. 1.3: "Indessen tritt trotz aktuellem Fehlen von Organträgern keine Handlungsunfähigkeit ein, wenn frühere Organe einem Dritten eine Vollmacht erteilt haben und diese noch fortbesteht […]. Dank des rechtsgeschäftlich bestellten Vertreters hat die juristische Person zumindest für eine beschränkte Zeit trotz dem Fehlen von Organträgern weiterhin die Möglichkeit, am Rechtsverkehr teilzunehmen […]. Die umstrittene Vollmacht behält für die beschränkte Zeit bis zum Abschluss des Prozesses ihre Gültigkeit."

• Vertretungsbefugnis faktischer Organe

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Ausgewählte weitere Probleme (III)

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• Faktische Organe

• Faktische Organe sind Personen, die tatsächlich Organenvorbehaltene Entscheide treffen oder die eigentlicheGeschäftsführung besorgen und so die Willensbildung derGesellschaft massgebend mitbestimmen (BGE 128 III 29 E. 3a;BGE 141 III 159 E. 1.2.2)

• Ein faktisches Organ ist nicht im Handelsregister eingetragen

• Umstritten, ob das faktische Organ durch sein Handeln diejuristische Person aktiv binden kann (offen gelassen inBGE 141 III 159, E. 2.4)

• Vertretungsbefugnis vor Schlichtungsbehörden und Gerichten?

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Ausgewählte weitere Probleme (IV)

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• Vertretungsbefugnis faktischer Organe vor Schlichtungsbehördenund Gerichten• Unzulässig bei Schlichtungsverhandlungen

BGE 141 III 159 E. 2.4: "Erscheint nun für eine juristische Person eine natürliche Person zur Schlichtungsverhandlung, die sich als faktisches Organ ausgibt, so lässt sich deren Stellung innerhalb der juristischen Person durch die Schlichtungsbehörde nur schwer verifizieren […]. Es spricht für sich, dass vorliegend das erstinstanzliche Gericht ein Beweisverfahren durchführen und mehrere Personen befragen musste, um zur Auffassung zu gelangen, es liege eine faktische Organschaft vor. Solche Beweismassnahmen sind im Schlichtungsverfahren nicht möglich […]."

• Gerichtsverfahren?

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Fazit

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BGer 4C.307/2001, E. 2 b:

"Wer jemandem traut, ohne in das Handelsregister zu blicken oder sich von den ordentlich bestellten Organen die Vertretungsmacht bestätigen zu lassen, trägt selber das Risiko, dass keinerlei Vertretungsmacht besteht"

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Weiteres

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• Partei- bzw. Prozessfähigkeit:

• Ist die Partei- bzw. Prozessfähigkeit umstritten, so wird diesefür das betreffende Verfahren als gegeben betrachtet(Bsp: zwei Alleinerbinnen [Stiftungen] werden in je zweiTestamenten eingesetzt)

• Nichteintreten auf Klage, wenn nicht gegeben (kein Sachurteil;Art. 59 Abs. 2 lit. c ZPO)

• Unternehmensjurist (vgl. BGE 130 II 87 und Bericht zurAbschreibung der Motion 07.3281 der Kommission fürRechtsfragen des Nationalrats)

• Änderung von Art. 27 SchKG: Neu darf jede handlungsfähigePerson andere Personen im Zwangsvollstreckungsverfahrenvertreten (gilt auch für die gewerbsmässige Vertretung)

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Unterlagen

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• Stockwerkeigentümergemeinschaft: Auszug aus dem Urteil desBezirksgerichts Horgen vom 20. Januar 2017

• Organisationsmängel: Urteil des Handelsgerichts des KantonsZürich vom 2. März 2017

• Wiedereintragung einer gelöschten Gesellschaft: Auszug aus demUrteil des Bezirksgerichts Horgen vom 15. Juli 2014

• Faktisches Organ /Weiterbestand Vollmacht: BGE 141 III 159;BGE 128 III 29; BGer 4C.307/2001; BGer 4P.325/2001

• Unternehmensjuristen: BGE 130 II 87; Bericht zur Abschreibung derMotion 07.3281 der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats

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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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Probleme der zivilprozessualen Vertretung von Gesellschaften und Unternehmen

Gesellschaften und Unternehmen führen Prozesse, sie klagen und werden ver-

klagt. Doch vor Gericht tritt nicht "die Gesellschaft" oder "die Unternehmung" an

sich auf, sondern natürliche Personen, welche für sich in Anspruch nehmen, für

die Gesellschaft bzw. die Unternehmung handeln zu dürfen. Ob dies jeweils tat-

sächlich der Fall ist, hat das Gericht zu Beginn des Prozesses mit Bezug auf die

klagende Partei bzw. später auch hinsichtlich der Gegenpartei zu klären.

Zur Gerichtsverhandlung wird eine juristische Person wie folgt vorgeladen:

"Juristische Personen haben eine einzelzeichnungsberechtigte oder schrift-lich bevollmächtigte Person zu entsenden, welche über die Streitsache ori-entiert und zum Abschluss eines Vergleichs ermächtigt ist."

Weitere Hinweise zur Vertretung enthält die Vorladung nicht. In der Praxis ist oft

unklar, welche Personen im konkreten Fall zur Vertretung berechtigt sind und mit

welchen Dokumenten die Vertretungsmacht nachzuweisen ist. Welche Unterlagen

hat beispielsweise ein Vereinsvorstand, welcher im Namen seines Vereines kla-

gen will, dem Gericht vorzulegen, wenn er keinen Handelsregisterauszug vorwei-

sen kann, da der Verein nicht im Handelsregister eingetragen ist? Wie ist die

Rechtslage, wenn eine Person mit Kollektivunterschrift alleine zur mündlichen

Hauptverhandlung erscheint und auch keine Vollmacht eines anderen Kollektiv-

zeichnungsberechtigten einreicht? Wie ist durch das Gericht vorzugehen, wenn

eine nicht im Handelsregister eingetragene Person eine superprovisorische

Massnahme für eine Aktiengesellschaft verlangt?

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1. Vertretung vor Gericht: Allgemeines

Eine Gesellschaft oder juristische Person gilt dann im Sinne von Art. 66 - 68 ZPO

als vor Gericht erschienen, wenn entweder das entsprechende Organ sie vertritt

oder wenn der bevollmächtige Anwalt eine von diesem Organ unterzeichnete

Vollmacht vorlegen kann (vgl. Art. 55 Abs. 1 ZGB; Stephanie Hrubesch-Millauer,

DIKE-Komm-ZPO, Art. 68 N 14). Dasselbe gilt für schriftliche Eingaben: diese

müssen durch diejenige Person unterzeichnet sein, welche die Gesellschaft ver-

treten darf bzw. von einem zugelassenen Rechtsanwalt, welcher über eine von

diesem Organ unterzeichnete Vollmacht verfügt.

Wenn dies nicht der Fall ist, so gilt die Gesellschaft bzw. die juristische Person als

säumig im Sinne von Art. 147 ZPO. Das Verfahren wird in der Folge ohne die ver-

säumte Handlung fortgeführt (Art. 147 Abs. 2 ZPO). In diesem Falle gelten Tatsa-

chenbehauptungen bzw. Einreden als nicht vorgebracht bzw. als nicht bestritten,

da keine entsprechenden Ausführungen gemacht werden (vgl. Barbara Merz, DI-

KE-Komm-ZPO, Art. 147 N 12 ff.; BSK ZPO-Gozzi, Art. 147 N 8). Diese von der

ZPO vorgesehenen Säumnisfolgen können unter Umständen den Prozessverlust

zur Folge haben. Vorbehalten sind diejenigen Verfahren, bei welchen der Unter-

suchungsgrundsatz bzw. die Offizialmaxime gilt sowie die Fälle von Art. 153 Abs.

2 ZPO (Beweiserhebung von Amtes wegen).

2. Juristische Personen

Bei den juristischen Personen treten hauptsächlich AG's, GmbH's und Vereine vor

Gericht auf, seltener Genossenschaften, Kommandit-AG's und Stiftungen.

Juristische Personen sind nach Art. 54 ZGB handlungs- und prozessfähig, sobald

die nach Gesetz, Statuten bzw. Stiftungsurkunden unentbehrlichen Organe be-

stellt sind. Die Organe, welche für die juristische Person handeln, gelten als Teile

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der juristischen Person. Das Handeln der Organe verpflichtet somit unmittelbar

die juristische Person und die durch das entsprechende Organhandeln begründe-

te rechtliche Beziehung entsteht direkt zwischen der juristischen Person und dem

Dritten (BSK ZGB I-Huguenin/Reitze, Art. 54/55 N 9). Aus diesem Prinzip der Zu-

ordnung von Organhandeln ergibt sich ausserdem der Grundsatz der sog. "Wis-

sensvertretung": Danach gilt das Wissen eines Organs grundsätzlich auch als

Wissen der betreffenden juristischen Person (BSK ZGB I-Huguenin/Reitze,

Art. 54/55 N 19; BSK ZPO-Tenchio, Art. 67 N 6). Den juristischen Personen wer-

den indes nicht nur die rechtsgeschäftlichen, sondern auch die unerlaubten Hand-

lungen ihrer Organe zugerechnet. Sie haften dementsprechend für ihre Organe

(Art. 55 ZGB; Stephanie Hrubesch-Millauer, DIKE-Komm-ZPO, Art. 67 N 14; BSK

ZPO-Tenchio, Art. 67 N 6, BSK ZGB I-Huguenin/Reitze, Art. 54/55 N 7 f.).

Bei den juristischen Personen, welche im Handelsregister eingetragen sein müs-

sen (AG, GmbH, Genossenschaft, Verein mit kaufmännischem Unternehmen

[Art. 61 Abs. 2 ZGB], gewöhnliche privatrechtliche Stiftungen, kirchliche Stiftungen

sowie Familienstiftungen, sofern sie ein kaufmännisches Unternehmen führen

[Art. 52 Abs. 2 ZGB; Art. 934 Abs. 1 OR; BSK ZGB I-Grüninger, Art. 81 N 14])

sowie den Vereinen ohne kaufmännischem Unternehmen, welche sich freiwillig

eintragen lassen können (Art. 52 Abs. 2 ZGB und Art. 61 Abs. 1 ZGB), ergibt sich

die Vertretungsberechtigung in der Regel aus dem Handelsregister. Gemäss dem

öffentlichen Glauben, welches das Handelsregister geniesst (Art. 933 OR), er-

mächtigt dieser Eintrag zur Vornahme sämtlicher Handlungen, welche der Zweck

des Unternehmens mit sich bringen kann (Art. 459 Abs. 1 OR; Art. 710 OR i.V.m.

Art. 718a Abs. 1; Art. 814 Abs. 4 OR i.V.m. Art. 718a Abs. 1 OR). Dies schliesst

auch die Berechtigung zur Führung von Prozessen ein. Das Handelsregister lässt

nur zwei Einschränkungen zu: Die Filialprokura, bei welcher die Vertretungsmacht

auf den Geschäftskreis einer Zweigniederlassung beschränkt wird (Art. 460

Abs. 1 OR) sowie die Kollektivprokura, mit welcher die Vertretungsmacht zwei

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oder mehreren Personen gemeinsam übertragen werden kann (Art. 460 Abs. 2

OR). In diesem Falle darf eine Person nicht alleine, d.h. ohne Mitwirkung der an-

deren Person(en) handeln (vgl. auch Art. 718a Abs. 2 OR, Art. 814 Abs. 4 OR

i.V.m. Art. 718a Abs. 2 OR und Art. 899 Abs. 2 OR).

Das Gericht prüft, ob die für diese Körperschaften handelnden natürlichen Perso-

nen im Handelsregister eingetragen sind und ob sie alleine handeln dürfen bzw.

ob die notwendigen kollektivzeichnungsberechtigen Personen mitwirken.

Bei den juristischen Personen, welche nicht im Handelsregister eingetragen sind

(Vereine, kirchliche Stiftungen sowie Familienstiftungen ohne kaufmännisches

Unternehmen; vgl. Art. 52 Abs. 2 ZGB, Art. 61 Abs. 1 ZGB sowie Art. 934 Abs. 1

OR) ist die Vertretungsberechtigung auf andere Weise nachzuweisen. Hierzu sind

dem Gericht die Statuten bzw. Stiftungsbestimmungen sowie die massgebenden

Sitzungsprotokolle einzureichen. Damit eine juristischen Personen handlungs-

und prozessfähig ist, müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Erstens bedarf

es einer Organisation (gemäss Gesetz und Statuten bzw. Stiftungsbestimmun-

gen), welcher entnommen werden kann, welche Personen nach aussen handelnd

auftreten dürfen (Exekutivorgane; vgl. Art. 69 ZGB und Art. 83 ZGB) und zweitens

bedarf es in der Folge der effektiven Ernennung dieser Personen (Organe) mittels

"Bestellung" oder "Wahl" durch das zuständige Gremium (BK Art. 52-59 ZGB-

Riemer, Art. 54/55 N 4). Fehlt es an der Bestellung von Organen, so ist die -

rechtsfähige - juristische Person nicht handlungs- und damit auch nicht prozess-

fähig (Art. 54 ZGB e contrario).

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3. Parteifähigkeit und Prozessfähigkeit trotz fehlender Rechtsfähigkeit

Bestimmte Gebilde sind trotz fehlender Rechtsfähigkeit kraft Bundesrecht partei-

und prozessfähig. Entsprechend hält Art. 66 ZPO fest, dass parteifähig ist, wer

rechtsfähig ist oder von Bundesrechts wegen als Partei auftreten kann.

3.1. Kollektiv- und Kommanditgesellschaft

Zu diesen Gebilden gehören die Kollektiv- und Kommanditgesellschaften. Sie sind

gestützt auf Art. 562 bzw. Art. 602 OR partei-, handlungs- und prozess- sowie

betreibungsfähig. Im Prozess werden sie mit ihrer Firma im Rubrum aufgenom-

men (BSK OR II-Pestalozzi/Vogt, Art. 562 N 5). Gemäss Art. 563 f. OR bzw.

Art. 603 OR i.V.m. Art. 563 f. OR sind die zur Vertretung befugten Gesellschafter

zur Vornahme aller Rechtshandlungen befugt, welche der Zweck der Gesellschaft

mit sich bringen kann. Dies beinhaltet auch die Prozessführungsbefugnis (Ste-

phanie Hrubesch-Millauer, DIKE-Komm-ZPO, Art. 67 N 15, BSK ZPO-Tenchio,

Art. 67 N 7).

Sofern die Personengesellschaft im Handelsregister eingetragen ist (kaufmänni-

sche und nichtkaufmännische Kollektivgesellschaften) gilt mit Bezug auf die Ver-

tretungsbefugnis das für die juristischen Personen Gesagte. Ansonsten - wenn

kein Handelsregistereintrag vorliegt - (möglich bei den kaufmännischen Kollektiv-

und Kommanditgesellschaften vor der Eintragung), sind die Gesellschaftsverträge

bzw. die Protokolle beizuziehen. Gemäss Art. 563 OR bzw. Art. 603 OR ist bei der

Kollektivgesellschaft jeder einzelne Gesellschafter zur Vertretung der Gesellschaft

ermächtigt, bei der Kommanditgesellschaft jeder Komplementär.

Wichtig zu wissen ist, dass Änderungen im Bestand der Gesellschafter während

einem hängigen Prozess keine Auswirkungen auf diesen haben und dass auf-

grund der Parteifähigkeit dieser Gesellschaften auch Prozesse zwischen der Ge-

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sellschaft und den einzelnen Gesellschaftern möglich sind (BSK ZPO-Tenchio,

Art. 66 N 20).

Falls sich eine einfache Gesellschaft während dem Prozess zu einer Kollektivge-

sellschaft wandelt, so liegt kein Parteiwechsel vor. Prozesspartei bleibt die Ge-

meinschaft zur gesamten Hand. Das Gericht hat indes die Parteibezeichnung zu

ändern (ZR 81 Nr. 26 E. 4).

3.2. Die Stockwerkeigentümergemeinschaft

Die Stockwerkeigentümergemeinschaft erwirbt gemäss Art. 712l ZGB das sich

aus ihrer Verwaltungstätigkeit ergebende Vermögen wie z.B. Beitragsforderungen

für den Erneuerungsfonds. Im Rahmen dieser beschränkten Vermögensfähigkeit

kann sie - trotz fehlender Rechtsfähigkeit - unter ihrem Namen klagen und betrei-

ben sowie - am Ort der gelegenen Stockwerkeigentumseinheiten - beklagt und

betrieben werden (Art. 712 l Abs. 2 ZGB sowie Art. 29 Abs. 1 lit. b ZPO). Durch

die aktive Prozess- und Betreibungsfähigkeit ist es der Gemeinschaft möglich,

Ansprüche durchzusetzen, die sie aufgrund ihrer (beschränkten) Vermögensfä-

higkeit erworben hat. Auf der anderen Seite ermöglicht die passive Prozess- so-

wie Betreibungsfähigkeit es einem Gläubiger, leichter gegen die Stockwerkeigen-

tümergemeinschaft vorgehen zu können. In diesen Bereichen der Verwaltungstä-

tigkeit der Stockwerkeigentümergemeinschaft entfällt für den Gläubiger die Mög-

lichkeit, die einzelnen Stockwerkeigentümer unmittelbar zu belangen (vgl. BSK

ZGB II-Bösch, Art. 712 l N 2 und N 7 ff.).

Im Prozess sind im Rubrum nicht die einzelnen Stockwerkeigentümer aufzufüh-

ren, sondern es ist die "Stockwerkeigentümergemeinschaft [Adresse]" aufzuneh-

men. Der Eintritt eines neuen Stockwerkeigentümers bzw. ein Eigentümerwechsel

ändert im Übrigen nichts am angehobenen Prozess (ZR 89 Nr. 3; BSK ZPO-

Tenchio, Art., 66 N 28 ff.).

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Die Stockwerkeigentümerschaft bedarf zur Führung des Prozesses der Bestellung

eines Vertreters (BSK ZGB II-Bösch, Art. 712 l N 13). Die Vertretung erfolgt in der

Regel durch den Verwalter, welcher als Vertreter der Gemeinschaft über eine ge-

setzliche Prozessvollmacht für alle Angelegenheiten, welche im summarischen

Verfahren zu behandeln sind, verfügt (Art. 712 t ZGB). Zur Führung eines anzu-

hebenden oder vom Gegner eingeleiteten Zivilprozesses ausserhalb des summa-

rischen Verfahrens bedarf der Verwalter indes der vorgängigen Ermächtigung

durch die Versammlung der Stockwerkeigentümer, unter Vorbehalt dringender

Fälle, in denen die Ermächtigung nachgeholt werden kann (Art. 712t Abs. 2 OR).

Das erforderliche Quorum ergibt sich aus dem Gesetz sowie dem Reglement der

jeweiligen Stockwerkeigentümergemeinschaft (Art. 712 m ff. ZGB).

3.3. Konkursmasse

Die Konkursmasse wird vor Gericht gemäss Art. 240 SchKG durch die Konkurs-

verwaltung vertreten. Die Konkursmasse erwirbt mit Eröffnung des Konkurses

sämtliche Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse über das schuldnerische Ver-

mögen (BGer 4A_242/2015 E. 2.4.2 und 2.4.4). Bei der Konkursmasse handelt es

sich um ein Sondervermögen mit aktiver und passiver Parteifähigkeit (vgl. BGE 97

II 403 E. 2; BSK ZPO-Tenchio, Art. 66 N 23). Ein Gläubiger des Gemeinschuld-

ners kann sich diejenigen Rechtsansprüche der Masse abtreten lassen, auf deren

Geltendmachung die Gesamtheit der Gläubiger verzichtet (Art. 260 SchKG). Die-

se Abtretung nach Art. 260 SchKG verleiht dem Gläubiger direkt das Prozessfüh-

rungsrecht, die Trägerschaft des Rechts verbleibt aber bei der Masse (BGE 121

III 488 E. 2b; BSK ZPO-Tenchio, Art. 66 N 24 mit weiteren Hinweisen).

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3.4. Liquidationsmasse beim Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung

Die Liquidationsmasse beim Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung ist gemäss

Art. 319 SchKG parteifähig. Vor Gericht handeln die Liquidatoren für die Liquidati-

onsmasse (vgl. zum Ganzen: BSK SchKG II-Bauer/Hari/Jeanneret/Wüthrich,

Art. 319 N 34).

3.5. Erbschaftsvermögen

Gemäss Art. 49 und 59 SchKG ist der ungeteilte Nachlass betreibungsfähig. Folg-

lich wird ihm die Parteifähigkeit für Prozesse, die mit der Betreibung in engem

funktionellem Zusammenhang stehen, zuerkannt. Dies gilt für die Rechtsöffnung,

die Aberkennungsklage, die Aufhebungs- und Feststellungsklage sowie die Rück-

forderungsklage (BGE 116 III 4 E. 2a; BK ZPO-Sterchi, Art 66 N 6; BSK ZPO-

Tenchio, Art. 66 N 27).

Nicht parteifähig ist die Erbengemeinschaft. Bei Aktivprozessen müssen alle Er-

ben als notwendige Streitgenossenschaft auftreten. (Bei Passivprozessen sind

nur dann zwingend alle Erben gemeinsam einzuklagen, wenn sich der Anspruch

aus dem Gesamthandverhältnis ergibt, ansonsten kann jeder Erbe einzeln be-

langt werden [Solidarschulderschaft, vgl. Art. 603 Abs. 1 ZGB]).

Im Rubrum sind sämtliche Erben einzeln namentlich aufzuführen. Eine Sammel-

bezeichnung "Erbengemeinschaft" oder "Nachlass des X" genügt mangels

Rechtspersönlichkeit nicht. Massgebend für die Zusammensetzung der Erbenge-

meinschaft ist der Erbschein gemäss Art. 559 ZGB. Ausnahmen vom Gesamt-

handprinzip bestehen nur in Ausnahmefällen, so z.B. bei zeitlicher Dringlichkeit

oder bei Informationsansprüchen über Erbschaftsaktiven (BSK ZPO-Tenchio

Art. 66 N 38 f.). Zudem sind der Willensvollstrecker, der amtliche Erbschaftsver-

walter sowie der Erbenvertreter zur Prozessführung befugt. Sie führen den Pro-

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zess an Stelle des Nachlasses in eigenem Namen und als Partei (sog. Prozess-

standschaft). In diesem Falle wirkt der Prozess formell zwar nur für oder gegen

den Willensvollstrecker bzw. den amtlichen Erbschaftsverwalter bzw. den Erben-

vertreter persönlich. Weil dieser den Prozess aber für fremde Rechnung geführt

hat, gehen Nutzen und Schaden zu Gunsten oder zu Lasten des Nachlasses (vgl.

BGE 129 V 113 E. 4.2).

4. Mängel in der Organisation der Gesellschaft

Wie ist vorzugehen, wenn eine Gesellschaft über keine im Handelsregister einge-

tragenen Personen verfügt oder wenn eine Gesellschaft aus anderen Gründen -

z.B. auf Grund einer andauernden Pattsituation - handlungsunfähig wird? So ist

es vorgekommen, dass bei einer Aktiengesellschaft aufgrund von Differenzen

nach Ablauf der 3-jährigen Amtsdauer kein neuer Verwaltungsrat mehr gewählt

wurde (vgl. BGer 4P.325/2001 E. 1.3).

Juristische Personen sind nur dann handlungsfähig, wenn die nach Gesetz und

Statuten hierfür unentbehrlichen Organe bestellt sind (Art. 54 ZGB), was das Vor-

handensein einer Organisation sowie von Organträgern voraussetzt (BK ZGB-

Riemer, Art. 54/55 ZGB N 4; BGer 4P.325/2001 E. 1.3; BGer 4A_347/2014).

Wenn nun die vorgeschriebenen Organe fehlen oder eines dieser Organe nicht

rechtmässig zusammengesetzt ist, so kann im Falle der AG gemäss Art. 731b OR

ein Aktionär, ein Gläubiger oder der Handelsregisterführer dem Richter beantra-

gen, die erforderlichen Massnahmen zu ergreifen. Der Richter hat dann verschie-

dene Möglichkeiten: Er kann der Gesellschaft unter Androhung ihrer Auflösung

eine Frist ansetzen, binnen derer der rechtmässige Zustand wieder herzustellen

ist; er kann das fehlende Organ oder einen Sachwalter ernennen oder aber er

kann - als ultima ratio - die Gesellschaft auflösen und ihre Liquidation nach den

Vorschriften über den Konkurs anordnen (Art. 731b Abs. 1 OR). Ernennt der Rich-

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ter das fehlende Organ oder einen Sachwalter, so bestimmt er die Dauer, für die

die Ernennung gültig ist. Er verpflichtet die Gesellschaft, die Kosten zu tragen und

den ernannten Personen einen Vorschuss zu leisten (Art. 731b Abs. 2 OR). Die-

selben Regelungen gibt es durch Verweise bei der GmbH (Art. 819 OR) sowie der

Genossenschaft (Art. 908 OR). Ähnliche Bestimmungen betreffen den Verein

(Art. 69c ZGB) und die Stiftung (Art. 83d Abs. 1 ZGB). Der Richter ist indes nicht

an die im Gesetz vorgesehenen Möglichkeiten gebunden, die Aufzählung in

Art. 731b OR ist nicht abschliessend (BSK OR II-Watter/Pamer-Wieser, Art. 731b

N 16). Er kann im Einzelfall eine andere Massnahme anordnen, wenn diese zur

Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes erforderlich und geeignet ist (BGer

4A_147/2015 E. 2.1.3; BGE 140 III 349 E. 2.1). Der Richter hat dabei immer die-

jenige Massnahme zu wählen, die am wenigsten in die Rechte der Gesellschaft

eingreift. Die Auflösung der Gesellschaft darf auf Grund des Verhältnismässig-

keitsprinzips erst dann angeordnet werden, wenn mildere Massnahmen nicht zur

Anwendung gelangen können bzw. nicht genügen bzw. erfolglos geblieben sind

oder wenn die Gesellschaft sich in keiner Art und Weise vernehmen lässt (u.a.

BGE 141 III 43 E. 2.6).

Meistens werden die entsprechenden Begehren auf Behebung des Organisati-

onsmangels durch das Handelsregisteramt gestellt, entweder auf eigene Veran-

lassung oder auf Grund einer Mitteilung durch Dritte. Die Handlungspflichten des

Handelsregisteramtes sowie das konkrete Vorgehen bei Vorliegen eines Organi-

sationsmangels werden durch Art. 154 HRegV geregelt. Die Klage auf Behebung

des Organisationsmangels ist am Sitz der Gesellschaft zu erheben (Art. 10 Abs. 1

lit. b ZPO) und wird im summarischen Verfahren durchgeführt (Art. 250 lit. c Ziff. 6

ZPO; BGE 138 III166 E. 3). Zuständig ist im Kanton Zürich für sämtliche Gesell-

schaftsformen das Handelsgericht (vgl. Urteil des Obergerichts, II. Zivilkammer,

vom 14. Februar 2011, LF110011-O).

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5. Vorgehen, wenn die Gesellschaft nicht mehr im Handelsregister ein-getragen ist

Es kann sein, dass nach der Löschung der Rechtseinheit im Handelsregister

z.B. Guthaben oder Liegenschaften auftauchen, welche im Konkurs- oder Liquida-

tionsverfahren nicht verwertet wurden. Ebenso ist es denkbar, dass Grundpfand-

rechte entdeckt werden, welche bei der Verwertung nicht abgelöst wurden.

Da mit der Löschung der Rechtseinheit im Handelsregister die Rechts- und Par-

teifähigkeit und damit auch das Recht zur Prozessführung untergeht (vgl. 116

Abs. 3 HRegV; BGE 132 III 731 E. 3.1 m.w.H.), muss zur Wahrung der Rechte -

und allfälliger Pflichten - der Gesellschaft ein Verfahren um Wiedereintragung

durchgeführt werden. Gemäss Art. 164 Abs. 1 HRegV kann das Gericht in einem

solchen Fall auf Antrag die Wiedereintragung einer gelöschten Rechtseinheit ins

Handelsregister anordnen, sofern glaubhaft gemacht wird, dass (a) nach Ab-

schluss der Liquidation der gelöschten Rechtseinheit Aktiven vorliegen, die noch

nicht verwertet oder verteilt worden sind, (b) die gelöschte Rechtseinheit in einem

Gerichtsverfahren als Partei teilnimmt, (c) die Wiedereintragung der gelöschten

Rechtseinheit für die Bereinigung eines öffentlichen Registers erforderlich ist,

oder (d) die Wiedereintragung für die Beendigung des Konkursverfahrens der ge-

löschten Rechtseinheit erforderlich ist.

Zum Antrag berechtigt ist, wer ein schutzwürdiges Interesse an der Wiedereintra-

gung der gelöschten Einheit hat (Art. 164 Abs. 2 HRegV). Ein solches ist nach

bundesgerichtlicher Rechtsprechung nur dann gegeben, wenn das vorgebrachte

Interesse einzig durch die Wiedereintragung in das Handelsregister gewahrt wer-

den kann, d.h. wenn die geltend gemachten Ansprüche nicht auf einem anderen,

ebenfalls zumutbaren Weg durchgesetzt werden können (BGE 132 III 731 E. 3.2;

121 III 324 E. 1 m.w.H.). Beim Verfahren um Wiedereintragung einer gelöschten

Rechtseinheit i.S.v. Art. 164 HRegV handelt es sich um eine Anordnung der frei-

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willigen Gerichtsbarkeit (Art. 1 lit. b ZPO; Rüetschi in: Siffert/Turin [Hrsg.], Han-

delsregisterverordnung (HRegV), Bern 2013, Art. 164 N 32). Es ist somit das

summarische Verfahren anwendbar (Art. 248 lit. e ZPO). Erst nachdem die

Rechtseinheit im Handelsregister wieder eingetragen wurde, kann sie in der Folge

ihre Rechte wahrnehmen bzw. klagen oder eingeklagt werden.

Gemäss Art. 164 Abs. 4 HRegV ist die gelöschte Rechtseinheit als "in Liquidation"

befindlich einzutragen. Wurde zwischen der Löschung und der gerichtlichen Wie-

dereintragung eine Gesellschaft mit einer identischen Firma eingetragen, so muss

die Firma der wiedereingetragenen Gesellschaft mit einem weiteren Zusatz ("wie-

dereingetragene X AG in Liquidation") ergänzt werden (Eidgenössisches Amt für

das Handelsregister, Anleitung und Weisung an die Handelsregisterbehörden für

die Prüfung von Firmen und Namen vom 1. Juli 2016, S. 21). Das Gericht hat zu-

dem bei der Anordnung der Wiedereintragung den Liquidator inklusive dessen Art

und Umfang der Zeichnungsberechtigung anzugeben (Art. 164 Abs. 4 HRegV;

vgl. Gwelessiani, Praxiskommentar zur Handelsregisterverordnung, Zürich 2016,

Art. 164 N 576 ff.).

Abschliessend sei noch darauf hingewiesen, dass der Liquidator in Anwendung

von Art. 164 Abs. 5 HRegV die Löschung der Rechtseinheit beim Handelsregis-

teramt zu beantragen hat, sobald der Grund für die Wiedereintragung entfällt.

6. Besondere Probleme:

6.1. Vertretungsmacht übersteigt Vertretungsbefugnis

Die aktive Vertretungsbefugnis des Organs einer juristischen Person bedeutet das

Recht, im Namen der juristischen Person Rechte und Pflichten zu begründen,

mithin das rechtliche Dürfen. Die Vertretungsmacht bedeutet das rechtliche Kön-

nen, für die juristische Person zu handeln (BK ZGB-Riemer, Art. 54/55 N 41). Vor

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Gericht kommt es grundsätzlich nur auf die Vertretungsmacht an; interne Be-

schränkungen der Vertretungsbefugnis entfalten in der Regel nur im internen Ver-

hältnis Wirkung. Ob die Personen, welche vor Gericht auftreten bzw. Eingaben

einreichen dies auch tatsächlich tun dürfen, hat das Gericht nicht zu kümmern.

Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn das Gericht von der Beschränkung

Kenntnis hat (vgl. BK ZGB-Riemer, Art. 54/55 N 42 f.; Meier-Hayoz/Forstmoser,

Schweizerisches Gesellschaftsrecht, 11. Auflage 2012, Bern, S. 251 f.).

6.2. Vertretungsmacht ohne Handelsregistereintrag / ohne ordnungsgemässe Bestellung?

a) Nicht eingetragene kaufmännische Prokura

Das schweizerische Recht unterscheidet zwischen der kaufmännischen und der

nicht-kaufmännischen Prokura, wobei nur die nichtkaufmännische "Prokura zwin-

gend im Handelsregister einzutragen ist (dieser Eintrag hat konstitutive Wirkung,

vgl. Art. 458 Abs. 3 OR). Für die kaufmännische Prokura sieht das Gesetz keine

Formerfordernisse vor. Der Eintrag ins Handelsregister ist zwar obligatorisch

(Art. 458 Abs. 2 OR), das Unterlassen lässt eine bestehende Zeichnungsberech-

tigung indes gleichwohl bestehen. Durch mündliche bzw. stille Ermächtigung kann

somit ebenfalls eine kaufmännische Prokura entstehen (Meier-Hayoz/Forstmoser,

a.a.O., S. 253). Hier besteht für das Gericht das Problem, dass die Erteilung einer

solchen Prokura nicht zeitnah überprüft werden kann (z.B. superprovisorische

Begehen etc.).

b) Geschäftsführung ohne Auftrag

Die Regeln über die Geschäftsführung ohne Auftrag (Art 419 ff. OR) können nach

einem Teil der Lehre eine Möglichkeit darstellen, die Vertretung der eigentlich

handlungsunfähigen Gesellschaft bzw. juristischen Person durch eine nicht ord-

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nungsgemäss bestellte Person - zumindest für eine begrenzte Zeit - zuzulassen

(vgl. zum Ganzen: Stephanie Hrubesch-Millauer, DIKE-Komm-ZPO, Art. 67 N 25;

BSK ZGB I-Huguenin/Reitze, Art. 54/55 N 5; BK ZGB-Riemer Art. 54/55 N 14).

Auch hier stehen dem Gericht in der Regel keine Überprüfungsmöglichkeiten der

Berechtigung zu Verfügung.

c) Fortbestand Vollmacht

Ebenso kann gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts trotz einem aktu-

ellen Fehlen von Organträgern unter bestimmten Umständen Dritten die Vertre-

tungsbefugnis zugestanden werden: dies dann, wenn zu einem früheren Zeitpunkt

die damals ordnungsgemäss bestellten Organe diesen Personen Vollmachten

erteilt hatten. Das Bundesgericht führte hierzu aus: "Zwar sind juristische Perso-

nen erst handlungsfähig, wenn die nach Gesetz und Statuten hierfür unentbehrli-

chen Organe bestellt sind […]. Indessen tritt trotz aktuellem Fehlen von Organträ-

gern keine Handlungsunfähigkeit ein, wenn frühere Organe einem Dritten eine

Vollmacht erteilt haben und diese noch fortbesteht, d.h. weder widerrufen wurde

noch aus einem gesetzlichen Grund erloschen ist. Dank des rechtsgeschäftlich

bestellten Vertreters hat die juristische Person zumindest für eine beschränkte

Zeit trotz dem Fehlen von Organträgern weiterhin die Möglichkeit, am Rechtsver-

kehr teilzunehmen und durch ihre Handlungen Rechte und Pflichten zu begrün-

den. Bei einer solchen Situation die Handlungsfähigkeit zu verneinen und damit

die Vollmacht zum Erlöschen zu bringen, wäre ein Zirkelschluss. Die Lehre bejaht

deshalb übereinstimmend den Fortbestand der Vollmacht für eine gewisse Zeit.

Die umstrittene Vollmacht behält für die beschränkte Zeit bis zum Abschluss des

Prozesses ihre Gültigkeit" (BGer 4P.325/2001 E. 1.3). Ich halte diese Rechtspre-

chung für problematisch: Das Gericht hat in diesem Falle zwar keine Probleme,

die Vollmacht zu überprüfen und den Prozess durchzuführen. Indes stellt sich die

Frage, ob man das Auseinanderklaffen der - realen - Handlungsunfähigkeit zu

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dieser Form einer - rein fiktiven Vertretungsberechtigung - tatsächlich hinnehmen

will, zudem Zivilprozesse unter Umständen mehrere Jahre dauern können.

d) Faktische Organe

Faktische Organe sind Personen, die tatsächlichen Organen vorbehaltene Ent-

scheide treffen oder die eigentliche Geschäftsführung besorgen und so die Wil-

lensbildung der Gesellschaft massgebend mitbestimmen (vgl. zum Ganzen: BGE

141 III 159; BGE 128 III 29 E. 3a m.w.H.). Ein faktisches Organ ist also gerade

nicht im Handelsregister eingetragen bzw. kann sich nicht mit Hilfe von Statuten

und Beschlüssen als gewähltes Organ ausweisen.

In der Lehre ist umstritten, ob das faktische Organ tatsächliche Organqualität hat

und (über die Grundsätze der Anscheins- oder Duldungsvollmacht hinausgehend)

durch sein Handeln die juristische Person aktiv binden kann (vgl. BGE 141 III 159

E. 2.3). Nur wenn dies der Fall wäre, könnten faktische Organe ihre Gesellschaft

vor Gericht rechtsgültig vertreten.

Diese Frage hat das Bundesgericht jüngst - leider - nicht beantwortet ("Es kann

hier offenbleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen ein faktisches Organ

aktiv für die juristische Person materiell bindende Rechtshandlungen vornehmen

kann […]."; BGE 141 III 159 E. 2.4). Es ging im entsprechenden Entscheid um die

Frage, ob sich eine juristische Person im Schlichtungsverfahren - wo die Parteien

gemäss Art. 204 Abs. 1 ZPO persönlich zu erscheinen haben - von einem fakti-

schen Organ vertreten lassen darf. Das Bundesgericht verneinte die Vertretungs-

befugnis des faktischen Organs und führte aus: "Erscheint nun für eine juristische

Person eine natürliche Person zur Schlichtungsverhandlung, die sich als fakti-

sches Organ ausgibt, so lässt sich deren Stellung innerhalb der juristischen Per-

son durch die Schlichtungsbehörde nur schwer verifizieren. Ein faktisches Organ

ist gerade nicht im Handelsregister eingetragen. […]. Jedenfalls könnte nicht be-

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reits aus der Tatsache des Erscheinens zur Schlichtungsverhandlung für die juris-

tische Person auf eine faktische Organschaft geschlossen werden, da so eine

beliebige Person zum faktischen Organ werden könnte […]." (BGE 141 III 159

E. 2.4).

In BGer 4C.307/2001 E. 2b) führte das Bundesgericht noch Folgendes aus:

"Auch das faktische Organ kann die Gesellschaft nach aussen vertreten. Die Ge-

sellschaft muss sich die Handlungen eines faktischen Organs in gleicher Weise

anrechnen lassen, wie jene eines ordentlich gewählten. Die Vertretungsmacht

ergibt sich aus dem Umstand, dass die entsprechenden Personen in gleicher

Weise wie ein gewähltes Organ an der Meinungsbildung der juristischen Person

beteiligt sind und nach aussen auftreten. In analoger Anwendung der Bestimmun-

gen über die Anscheinsvollmacht ergibt sich aus dem Vertrauensprinzip, dass

Dritte eine Organstellung auch annehmen dürfen, wenn die juristische Person

jemanden gewähren lässt, der sich als Organ aufspielt. Ausschlaggebend ist,

dass die juristische Person selber das Handeln des Dritten gewähren lässt oder

dass das nicht gewählte Organ von den gewählten in die Entscheidbildung mass-

geblich eingebunden wird."

Im vorher erwähnten BGE 141 III 159 weist das Bundesgericht selber auf den

Entscheid 4C.307/2001 hin und relativiert, dass es in diesem Fall nicht um eine

aktive Handlung, sondern (ähnlich einer Wissenszurechnung) um die Zurechnung

der Entgegennahme von Arbeit gegangen sei (BGE 141 III 159 E. 2.3.). Man mag

sich mit Fug und Recht fragen, ob diese Abgrenzung Sinn macht. Denn entweder

ist dem faktischen Organ tatsächliche Organqualität zuzusprechen oder eben

nicht. Leider wurde durch das Bundesgericht in BGE 141 III 159 ebenfalls nicht

ausgeführt, ob es seine Ansicht auch für die gerichtlichen Verfahren (v.a. des or-

dentlichen und vereinfachten Verfahrens) vertreten würde. Es weist mehrfach auf

die Besonderheiten des Schlichtungsverfahrens hin, insbesondere darauf, dass

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die Schlichtungsbehörde möglichst rasch und gestützt auf Urkunden entscheiden

müsse und die Durchführung eines Beweisverfahrens der Prozessökonomie ab-

träglich sei (vgl. BGE 141 III 159 E. 2.4). Dieses Argument kann für die gerichtli-

chen Verfahren nicht gelten, wären hier doch - ausser in dringenden Fällen - ent-

sprechende Beweisverfahren möglich.

In der Praxis ist es zudem so, dass in den weniger dringenden Fällen ohne Weite-

res die entsprechenden Erklärungen - nämlich dass die ordentlich bestellen Or-

gane mit dem Handeln des faktischen Organs einverstanden sind - bzw. die er-

forderlichen Dokumente betreffend der Zeichnungsberechtigung eingeholt werden

können; indes in den dringenden Fällen hierzu (bzw. zur Durchführung eines Be-

weisverfahrens) keine Zeit bleibt.

e) Praxis

Für die dringenden Verfahren kommt als möglicher "Vertretungstitel" eigentlich

nur der Fortbestand einer vorab erteilten Vollmacht für eine gewisse Zeit in Frage.

Alle übrigen Vertretungsvarianten scheitern an der zeitnahen Nachweisbarkeit der

tatsächlichen Berechtigung. Ob ein Richter in einem solchen Fall dennoch eine

Vertretung zulassen soll, ist wohl je nach den konkreten Umständen zu entschei-

den. Die Gefahren einer nicht vorhandenen Berechtigung sind als hoch einzustu-

fen. Denn um es mit den Worten des Bundesgerichts zu sagen: "Wer jemandem

traut, ohne in das Handelsregister zu blicken oder sich von den ordentlich bestell-

ten Organen die Vertretungsmacht bestätigen zu lassen, trägt selber das Risiko,

dass keinerlei Vertretungsmacht besteht" (BGer 4C.307/2001 E. 2 b). Diese

Aussage betrifft natürlich auch die Richter bzw. die Gerichte.

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f) Exkurs: Faktische Organe im Beweisverfahren:

Die Frage, wie faktische Organe zu behandeln sind, stellt sich auch im Beweisver-

fahren. Sind faktische Organe als Partei oder als Dritte zu befragen?

Art. 159 ZPO besagt, dass im Beweisverfahren Organe einer juristischen Person

wie eine Partei behandelt werden. Wenn faktische Organe den formellen Organen

gleichgestellt wären, so wären sie im Beweisverfahren nicht als Zeugen

(Art. 169 ff. ZPO unter Strafandrohung von Art. 307 StGB), sondern als Parteien

zu befragen (Parteibefragung unter Hinweis auf die Ordnungsbusse) und könnten

zur Beweisaussage verpflichtet werden (Straffolgen gemäss Art. 306 StGB). Hier

herrscht eine gewisse Unsicherheit: Gemäss der Botschaft sowie einem Teil der

Lehre soll die Regelung des Art. 159 ZPO auch für faktische Organe angewendet

werden (Botschaft ZPO, BBl 2006 7315; ZK ZPO-Hasenböhler, Art. 159 N 13;

Christian Leu, DIKE -Komm-ZPO, Art. 159 N 6 ff.). Doch gibt es auch Stimmen,

welche sich wegen der damit verbundenen Unsicherheiten - die Organqualität

kann gerade bei faktischer Organschaft umstritten sein - für die Behandlung sol-

cher Personen als Dritte aussprechen (womit faktische Organe als Zeugen unter

der strengen Strafandrohung des Art. 307 StGB vernommen werden würden; BK

ZPO-Brönnimann, Art. 159 N 7).

Gerade bei umstrittener faktischer Organqualität kann es zu einer ungebührlichen

Verzögerung des Prozesses führen, wenn das Gericht vor einer Befragung zu-

nächst über die Organeigenschaft des Einzuvernehmenden befinden und hierzu

ein eigenes Beweisverfahren durchführen müsste. Da die Strafandrohungen im

Falle der Beweisaussage einer Partei weniger streng sind, ist in Zweifelsfällen

dieser Variante den Vorzug zu geben.

P. Tschudi, März 2018

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Unterlagen P. Tschudi Probleme der zivilprozessualen Vertretung von Gesellschaften und Unternehmen ___________________________________________ Stockwerkeigentümergemeinschaft Auszug aus dem Urteil des Bezirksgerichts Horgen vom 20. Januar 2017 S. 2 Organisationsmängel Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 2. März 2017 S. 4 Wiedereintragung einer gelöschten Gesellschaft Auszug aus dem Urteil des Bezirksgerichts Horgen vom 15. Juli 2014 S. 6 Faktisches Organ / Weiterbestand Vollmacht BGE 141 III 159 S. 9 BGE 128 III 29 S. 17 BGer 4C.307/2001 S. 21 BGer 4P.325/2001 S. 26 Unternehmensjuristen BGE 130 II 87 S. 39 Bericht zur Abschreibung der Motion 07.3281der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats S. 57

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Stockwerkeigentümergemeinschaft

Aus dem Urteil des Einzelgerichts des Bezirksgerichts Horgen vom 20. Januar 2017, Geschäfts-Nr. FV160027

"Wie die Beschlüsse einer Vereinsversammlung sind diejenigen einer

Stockwerkeigentümerversammlung nach dem Vertrauensprinzip so auszulegen,

wie sie nach ihrem Wortlaut und Zusammenhang sowie den gesamten

Umständen in guten Treuen verstanden werden durften und mussten (Art. 712m

Abs. 2 i.V.m. Art. 66 ZGB, Urteil des BGer 5D_95/2015 vom 22. September 2015

E. 4.3). Vereinsintern bzw. im Verhältnis unter den Stockwerkeigentümern folgt

die Auslegung den allgemeinen Regeln (Urteil des BGer 5C.40/2005 vom 16. Juni

2005 E. 3). Massgebend ist der wirkliche Wille der am Beschluss beteiligten

Mitglieder. Führt diese Auslegung nach dem Willensprinzip zu keinem klaren

Ergebnis, gilt - wie im Verhältnis zu abwesenden Mitgliedern oder Dritten -

wiederum das Vertrauensprinzip. Obgleich ein Beschluss kein Vertrag ist, gelten

nach der Praxis somit dieselben Auslegungsregeln wie für Verträge (vgl. BGE 140

III 134 E. 3.2).

Konkret ergibt sich aufgrund des Wortlautes des ersten Absatzes "Klage(n)

einzureichen" ohne weiteres, dass die Verwaltung mit Substitutionsbefugnis zur

klageweisen Umsetzung bzw. Durchsetzung der Beschlüsse befugt wurde. Zur

klageweisen Umsetzung gehört logischerweise auch die Abwehr der Anfechtung

der gefassten Beschlüsse. Aus der gewählten Formulierung ergibt sich nichts

Gegenteiliges. Darüber hinaus wird die Verwaltung "im Sinne von ZGB 712t

Abs. 2" ermächtigt. Abs. 2 von Art. 712t beinhaltet die Ermächtigung zur Führung

eines anzuhebenden oder vom Gegner eingeleiteten Zivilprozesses. Dass der

Beschluss lediglich explizit festhält "Klage(n) einzureichen" heisst damit nicht,

dass das Führen eines Passivprozesses in dieser Ermächtigung nicht

mitenthalten ist. Vielmehr muss nach Treu und Glauben davon ausgegangen

werden, dass es den Mitgliedern der Stockwerkeigentümerschaft darum ging, die

Beschlüsse tatsächlich durchzusetzen. Dass eine solche "Durchsetzung"

allenfalls mittels Anfechtung des Beschlusses durch die betroffenen

Stockwerkeigentümer und damit mittels einer Passivstellung der Beklagten

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erfolgen kann, erhellt ohne Weiteres. Die gegenteilige Annahme erscheint

demgegenüber gesucht und entspricht nicht dem, was die Mehrheit der am

Beschluss beteiligten Stockwerkeigentümer vernünftigerweise gewollt hatten.

Entgegen den Ausführungen der Kläger war die Verwaltung auch nicht gehalten,

für die Auswahl des Rechtsanwalts einen zusätzlichen Beschluss der

Stockwerkeigentümerversammlung zu erwirken: Die Verwaltung wurde einerseits

mit Substitutionsbefugnis zum prozessualen Handeln ermächtigt und andererseits

wird der Beizug eines Anwalts klar und ausdrücklich vorgesehen. Nach dem

Vertrauensprinzip ist davon auszugehen, dass der Mandatar insbesondere dann

zur Substitution befugt ist, wenn die Substitutionsvollmacht ausdrücklich erteilt

wurde (vgl. Watter in: Honsell/Vogt/Wiegand [Hrsg.], Basler Kommentar zum

Obligationenrecht I, Basel, 6. Aufl. 2015, Art. 33 N 20).

Der Zeitpunkt, zu welchem ein Rechtsanwalt beizuziehen ist, wird im Beschluss

klar definiert ("nach Ausstellung der Klagebewilligung"). Nach dem Gesagten ist

unbeachtlich, an welche Partei die Klagebewilligung ausgestellt wird. Der

Gegenstand des Mandats wurde bereits im Beschluss ausdrücklich festgelegt

("Instandstellung / Rückbau der zur Beschlussfassung erhobenen Sachthemen").

Unter diesen Umständen wusste jeder vernünftige Stockwerkeigentümer bei der

Beschlussfassung, was Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens werden kann.

Aus dem Gesagten folgt, dass der Stockwerkeigentümerbeschluss dahinhegend

zu verstehen ist, dass die Verwaltung, auch im Rahmen eines Passivprozesses,

befugt war, die Umsetzung der Beschlüsse sicherzustellen und hierzu einen

Rechtsanwalt beizuziehen."

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4

Organisationsmängel

Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich, Einzelgericht, vom 2. März 2017 (HE170002-O)

Rechtsbegehren:

"Infolge Mängeln in der gesetzlich zwingend vorgeschriebenen Organisation der Gesuchsgegnerin seien die erforderlichen Massnahmen zu ergreifen; dies unter Kosten- und Entschädigungsfolge."

Der Einzelrichter zieht in Erwägung:

1. Bei der Beklagten liegt ein schwerwiegender Organisationsmangel vor. Sie

verfügt über keine Geschäftsführung (Art. 809 ff. OR).

2. Gestützt auf die Klage des Kantons Zürich (Handelsregisteramt) wurde der

Beklagten Frist zur Behebung des Mangels angesetzt (Prot. S. 2). Die Frist

verstrich ungenutzt. Androhungsgemäss ist die Beklagte aufzulösen und ihre

Liquidation nach den Vorschriften über den Konkurs anzuordnen (Art. 819 OR in

Verbindung mit Art. 731b Abs. 1 Ziff. 3 OR).

3. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beklagte kostenpflichtig (Art.

106 ZPO). Zudem hat sie dem Kläger für seine Bemühungen eine angemessene

Umtriebsentschädigung zu bezahlen (Art. 95 Abs. 3 lit. c ZPO). Der Streitwert ist

auf mindestens CHF 30'000.00 zu beziffern.

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Der Einzelrichter erkennt:

1. Die Beklagte wird aufgelöst und ihre Liquidation nach den Vorschriften über

den Konkurs angeordnet.

2. Das Konkursamt […] wird mit dem Vollzug beauftragt.

3. Die Gerichtsgebühr wird festgesetzt auf CHF 2'200.00.

4. Die Kosten werden der Beklagten auferlegt.

5. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger eine Umtriebsentschädigung von

CHF 300.00 zu bezahlen.

6. Schriftliche Mitteilung an die Parteien sowie nach Eintritt der Rechtskraft an

das Betreibungsamt Zürich 10 und unter Beilage der Einlegerakten des

Klägers an das Konkursamt Unterstrass-Zürich.

Das Konkursamt hat die Einlegerakten des Klägers zu behalten, oder – falls

es sie nicht (mehr) benötigt – an das Handelsregisteramt weiterzuleiten. Sie

sind dem Handelsgericht nur dann zu retournieren, wenn zufolge einer

Wiederaufnahme des Verfahrens eine entsprechende Aufforderung erfolgt.

7. Eine bundesrechtliche Beschwerde gegen diesen Entscheid ist innerhalb

von 30 Tagen von der Zustellung an beim Schweizerischen Bundesgericht,

1000 Lausanne 14, einzureichen. Zulässigkeit und Form einer solchen

Beschwerde richten sich nach Art. 72 ff. (Beschwerde in Zivilsachen) oder

Art. 113 ff. (subsidiäre Verfassungsbeschwerde) in Verbindung mit Art. 42

und 90 ff. des Bundesgesetzes über das Bundesgericht (BGG). Der

Streitwert beträgt mindestens CHF 30'000.00.

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Wiedereintragung einer gelöschten Gesellschaft

Auszug aus dem Urteil des Bezirksgerichts Horgen, Einzelgericht, vom 15. Juli 2014 (EO140002)

Rechtsbegehren:

"1. Es sei die Wiedereintragung der gelöschten Rechtseinheit 'X AG in Liquidation' im Handelsregister des Kantons […] anzuordnen.

2. Als Liquidator sei […] einzusetzen.

3. Unter Kostenfolge zulasten der Gesuchstellerin."

Erwägungen:

[.]

2.2. Grundsätzlich hört die rechtliche Existenz einer Gesellschaft auf, wenn ihre

Firma nach Beendigung der Liquidation im Handelsregister gelöscht wird

(BGE 132 III 731, E. 3.1 m.w.H.). Gemäss Art. 929 Abs. 1 OR i.V.m. Art. 164

Abs. 1 lit. c HRegV kann das Gericht allerdings auf Antrag die Wiedereintragung

einer gelöschten Rechtseinheit ins Handelsregister anordnen, sofern glaubhaft

gemacht wird, dass die Wiedereintragung der gelöschten Rechtseinheit für die

Bereinigung eines öffentlichen Registers erforderlich ist. Zum Antrag ist

berechtigt, wer ein schutzwürdiges Interesse an der Wiedereintragung der

gelöschten Einheit hat (Art. 164 Abs. 2 HRegV).

2.3. Beim Verfahren um Wiedereintragung einer gelöschten Rechtseinheit

i.S.v. Art. 164 HRegV handelt es sich um eine Anordnung der freiwilligen

Gerichtsbarkeit (Art. 1 lit. b ZPO; Rüetschi, in Siffert/Turin [Hrsg.],

Handelsregisterverordnung (HRegV), Bern 2013, Art. 164 N 32). Es ist somit das

summarische Verfahren anwendbar (Art. 248 lit. e ZPO).

3. Legitimation des Gesuchstellers

3.1. Ein schutzwürdiges Interesse i.S.v. Art. 164 Abs. 2 HRegV ist nach

bundesgerichtlicher Rechtsprechung nur dann gegeben, wenn das vorgebrachte

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Interesse einzig durch die Wiedereintragung in das Handelsregister gewahrt

werden kann, d.h. wenn die geltend gemachten Ansprüche nicht auf einem

anderen, ebenfalls zumutbaren Weg durchgesetzt werden können (BGE 132 III

731, E. 3.2; 121 III 324, E. 1 m.w.H.).

3.2. Ist die gelöschte Rechtseinheit in einem öffentlichen Register verzeichnet,

ist es unter Umständen notwendig, zur Bereinigung des Registers eine

Willenserklärung der zu liquidierenden Rechtseinheit vorzulegen. Kann diese

nicht durch eine Dritterklärung oder ein Urteil ersetzt werden, muss eine

Wiedereintragung stattfinden, damit die Organe bzw. der Liquidator eine solche

Willenserklärung abgeben können (Rüetschi, a.a.O, Art. 164 N. 18).

[…]

4.1. Gemäss Art. 164 Abs. 1 HRegV muss der Wiedereintragungsgrund

glaubhaft gemacht werden. Glaubhaftmachen ist mehr als behaupten und weniger

als beweisen. Glaubhaft gemacht ist eine Tatsache dann, wenn für deren

Vorhandensein gewisse Elemente sprechen, selbst wenn das Gericht noch mit

der Möglichkeit rechnet, dass sie sich nicht verwirklichte bzw. verwirklichen

könnte (statt vieler: BGE 130 III 321, E. 3.3 m.w.H.).

[…]

5. Einzutragender Liquidator

5.1. Das Gericht hat gemäss Art. 164 Abs. 4 HRegV bei der Anordnung der

Wiedereintragung u.a. den Liquidator inklusive dessen Art und Umfang der

Zeichnungsberechtigung anzugeben (vgl. Gwelessiani, Praxiskommentar zur

Handelsregisterverordnung, Zürich 2008, Art. 164 N 576).

[…]

6. Firma der Gesellschaft

6.1. Gemäss Art. 164 Abs. 4 HRegV ist die gelöschte Rechtseinheit als in

Liquidation befindlich einzutragen.

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6.2. Wurde zwischen der Löschung und der gerichtlichen Wiedereintragung

eine Gesellschaft mit einer identischen Firma eingetragen, so muss die Firma der

wiedereingetragenen Gesellschaft mit einem weiteren Zusatz

("wiedereingetragene X AG in Liquidation") ergänzt werden (Eidgenössisches Amt

für das Handelsregister, Weisung an die Handelsregisterbehörden für die Prüfung

von Firmen und Namen vom 1. April 2009, S. 46 ['Weisung']).

[…]

Es wird erkannt:

1. Dem Gesuch des Gesuchstellers um Wiedereintragung der X AG in

Liquidation wird entsprochen.

2. Das Handelsregisteramt des Kantons […] wird in Anwendung von Art. 164

Abs. 4 HRegV angewiesen, unter der Firma "wiedereingetragene X AG in

Liquidation" die am [Datum] gelöschte Rechtseinheit X AG in Liquidation

(CHE-[…]) wieder einzutragen.

Als Liquidator ist Herr A, von B, in C mit Einzelunterschrift einzutragen.

Der Sitz der wiedereingetragenen Gesellschaft befindet sich an der

[Adresse]. Als Korrespondenzadresse gilt folgende Adresse: [Adresse].

Im Übrigen gelten die bisher eingetragenen Tatsachen weiterhin.

3. [Kosten]

4. [Mitteilungen]]

5. Eine Berufung gegen diesen Entscheid kann innert 10 Tagen von der

Zustellung an im Doppel und unter Beilage dieses Entscheids beim

Obergericht des Kantons Zürich, Zivilkammer, Postfach 2401, 8021 Zürich,

erklärt werden. In der Berufungsschrift sind die Anträge zu stellen und zu

begründen. Allfällige Urkunden sind mit zweifachem Verzeichnis beizulegen.

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Faktisches Organ / Weiterbestand Vollmacht

Urteilskopf 141 III 159

23. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen B. AG (Beschwerde in Zivilsachen)

4A_530/2014 vom 17. April 2015 Regeste

Art. 204 Abs. 1 ZPO, Art. 32 und 462 OR; persönliches Erscheinen zur Schlichtungsverhandlung; faktisches Organ; Vollmacht.

Eine juristische Person kann sich im Schlichtungsverfahren nicht von faktischen Organen vertreten lassen (E. 2).

Eine bloss bürgerliche Bevollmächtigung (Art. 32 ff. OR) reicht für das persönliche Erscheinen einer juristischen Person an der Schlichtungsverhandlung nicht aus. Abgrenzung zur kaufmännischen Handlungsvollmacht nach Art. 462 OR (E. 3). Sachverhalt ab Seite 160

BGE 141 III 159 S. 160

A. A. (Beklagte, Beschwerdeführerin) verpachtet der B. AG (Klägerin, Beschwerdegegnerin) mehrere Parzellen, welche diese zum Betrieb einer Pferdesportanlage nutzt. Zwischen den Parteien ist umstritten, ob A. den Pachtvertrag mit der B. AG gekündigt hat.

B. Am 27. Dezember 2012 reichte die B. AG beim Friedensrichteramt N. ein Schlichtungsgesuch ein. Die Schlichtungsverhandlung fand am 26. April 2013 statt. Seitens der Klägerschaft erschien D., die Mutter von E.; E. ist einziges Mitglied des Verwaltungsrates der B. AG. An der Schlichtungsverhandlung wurde der B. AG die Klagebewilligung ausgestellt.

Am 27. Mai 2013 reichte die B. AG beim Bezirksgericht Arlesheim Klage ein mit dem Hauptantrag, es sei festzustellen, dass die Kündigung durch A. unwirksam sei. A. bestritt in ihrer Klageantwort das Vorliegen einer gültigen Klagebewilligung. Sie machte geltend, D. habe die B. AG bei der Schlichtungsverhandlung nicht vertreten können, weshalb die B. AG säumig gewesen sei und die Schlichtungsbehörde das Verfahren als gegenstandslos hätte abschreiben müssen. Mit Entscheid vom 16. Januar 2014 stellte die Bezirksgerichtspräsidentin

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Arlesheim die Ungültigkeit der Kündigung fest. Sie kam zum Schluss, die Klagebewilligung sei gültig.

Die dagegen erhobene Berufung der A. wies das Kantonsgericht Basel-Landschaft mit Entscheid vom 15. Juli 2014 ab. Auch das Kantonsgericht ging von der Gültigkeit der Klagebewilligung aus, weil D. faktisches Organ der B. AG sei und durch ihre Teilnahme an der Schlichtungsverhandlung die Voraussetzung des persönlichen Erscheinens nach Art. 204 Abs. 1 ZPO erfüllt worden sei.

BGE 141 III 159 S. 161

C. Mit Beschwerde in Zivilsachen und subsidiärer Verfassungsbeschwerde vom 15. September 2014 beantragt A. dem Bundesgericht, es sei der Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft aufzuheben und es sei festzustellen, dass die Klagebewilligung vom 26. April 2013 ungültig sei. Auf die Klage der B. AG sei nicht einzutreten.

Das Bundesgericht tritt auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde nicht ein; es heisst die Beschwerde in Zivilsachen teilweise gut, hebt den angefochtenen Entscheid auf und weist die Sache zur Ergänzung des Sachverhalts und zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück.

(Zusammenfassung) Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1. (...)

1.2 Bei der zu beurteilenden Streitsache handelt es sich um eine vermögensrechtliche Angelegenheit und es liegt - da Streitigkeiten aus Pachtrecht nicht als mietrechtliche Fälle zu qualifizieren sind (BGE 136 III 196 E. 1.1 S. 197) - weder ein arbeits- noch ein mietrechtlicher Fall vor. Diesfalls ist die Beschwerde in Zivilsachen nur zulässig, sofern der Streitwert mindestens Fr. 30'000.- beträgt (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG). Der Streitwert bestimmt sich nach den Begehren, die vor der Vorinstanz strittig geblieben sind (Art. 51 Abs. 1 lit. a BGG). Vorliegend beträgt der Streitwert nach Angaben der Vorinstanz und der Parteien Fr. 15'000.-, womit der von Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG geforderte Mindestbetrag nicht erreicht wird.

Erreicht der Streitwert den massgebenden Betrag nicht, ist die Beschwerde in Zivilsachen u.a. dennoch zulässig, wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt (Art. 74 Abs. 2 lit. a BGG). Dies ist der Fall, wenn ein allgemeines und dringendes Interesse besteht, dass eine umstrittene Frage höchstrichterlich geklärt wird, um eine einheitliche Anwendung und Auslegung des Bundesrechts herbeizuführen und damit eine erhebliche Rechtsunsicherheit auszuräumen (BGE 139 III 209 E. 1.2 S. 210, BGE 139 III 182 E. 1.2 S. 185; BGE 138 I 232 E. 2.3 S. 236; BGE 134 III 354 E. 1.3 S. 357).

1.2.1 Die Beschwerdeführerin macht geltend, es sei eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, ob es für das Erfordernis des "persönlichen Erscheinens" zu einer Schlichtungsverhandlung ausreiche, wenn die

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Aktiengesellschaft durch ein "faktisches Organ" vertreten werde, oder ob es zur Rechtssicherheit nicht eines Handelsregistereintrags bedürfe.

BGE 141 III 159 S. 162

1.2.2 Nach Art. 197 ZPO geht dem Entscheidverfahren - abgesehen von bestimmten Ausnahmefällen (vgl. Art. 198 f. ZPO) - ein Schlichtungsversuch vor einer Schlichtungsbehörde voraus. Zur Schlichtungsverhandlung müssen die Parteien persönlich erscheinen (Art. 204 Abs. 1 ZPO). Das Bundesgericht hat in BGE 140 III 70 entschieden, diese Pflicht zum persönlichen Erscheinen gelte auch für juristische Personen (E. 4.3 S. 70 ff.). Eine juristische Person habe sich an der Schlichtungsverhandlung durch ein Organ oder zumindest durch eine mit einer (kaufmännischen) Handlungsvollmacht ausgestattete und zur Prozessführung befugte Person, die überdies mit dem Streitgegenstand vertraut sei, vertreten zu lassen (E. 4.3 S. 72). Nicht geklärt ist damit, ob zu den Organen, die zur Vertretung der juristischen Person an der Schlichtungsverhandlung befugt sind, auch faktische Organe gehören. Faktische Organe sind Personen, die tatsächlich Organen vorbehaltene Entscheide treffen oder die eigentliche Geschäftsführung besorgen und so die Willensbildung der Gesellschaft massgebend mitbestimmen (BGE 128 III 29 E. 3a S. 30 mit Hinweisen).

Mit BGE 141 III 80 hat sich das Bundesgericht allgemein dazu geäussert, welche Personen dazu befugt sind, für eine Aktiengesellschaft rechtsgeschäftlich zu handeln und vor Gericht zu erscheinen; es sind dies erstens die Mitglieder des Verwaltungsrates (Art. 718 Abs. 1 OR), bei Übertragung der Vertretung nach Art. 718 Abs. 2 OR zweitens Delegierte oder Direktoren, drittens Prokuristen (Art. 458 OR) und viertens Handlungsbevollmächtigte i.S.v. Art. 462 OR (E. 1.3 S. 82). Die faktischen Organe werden in dieser Aufzählung nicht erwähnt. Ob zur Vertretung an der Schlichtungsverhandlung, für welche Art. 204 Abs. 1 ZPO mit der Voraussetzung des persönlichen Erscheinens eine Sonderregelung aufstellt, auch lediglich die aufgezählten Personen befugt sind, ist nicht ausdrücklich geklärt.

1.2.3 In der Lehre ist die Frage der Zulässigkeit einer Vertretung an der Schlichtungsverhandlung durch faktische Organe umstritten (Zulässigkeit bejahend: URS EGLI, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Brunner und andere [Hrsg.], 2011, N. 5 zu Art. 204 ZPO; Zulässigkeit verneinend: DAVID EGGER, Die Stellung der Organe im Zivilprozess, 2014, N. 151 ff., 165; implizit verneinend durch Voraussetzung eines Handelsregistereintrags: ALVAREZ/PETER, in: Berner Kommentar, 2012, N. 2 zu Art. 204 ZPO; ADRIAN STAEHELIN UND ANDERE, Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2013, § 20 N. 19;

BGE 141 III 159 S. 163 ALEXANDER WYSS, in: Schweizerische Zivilprozessordnung, Baker &

McKenzie [Hrsg.], 2010, N. 2 zu Art. 204 ZPO).

1.2.4 Die Frage, wie eine juristische Person das Erfordernis des persönlichen Erscheinens an der Schlichtungsverhandlung korrekt umsetzt, ist von erheblicher praktischer Tragweite. Ob auch ein faktisches Organ die juristische Person vertreten kann, wovon die Vorinstanz ausging, ist durch die bundesgerichtliche Rechtsprechung nicht geklärt und in der Lehre umstritten. Vor diesem Hintergrund ist ein Klärungsbedürfnis und damit das Vorliegen einer Rechtsfrage von

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grundsätzlicher Bedeutung zu bejahen. Die Beschwerde in Zivilsachen erweist sich damit gestützt auf Art. 74 Abs. 2 lit. a BGG als zulässig. Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde ist demnach nicht einzutreten (Art. 113 BGG).

2. Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 204 Abs. 1 ZPO. Entgegen der Ansicht der Vorinstanz habe die Beschwerdegegnerin das Erfordernis des persönlichen Erscheinens nicht durch das Erscheinen eines faktischen Organs erfüllen können, als welches D. qualifiziert worden sei. Die Klagebewilligung sei somit ungültig, weshalb die Klage abzuweisen sei.

2.1 Die Klagebewilligung stellt - abgesehen vom Spruch über die Kosten (vgl. Urteil 4D_68/2013 vom 12. November 2013 E. 3) - keinen anfechtbaren Entscheid dar (BGE 139 III 273 E. 2.3 mit Hinweisen). Die beklagte Partei kann ihre Gültigkeit aber im erstinstanzlichen Klageverfahren bestreiten. Das Vorliegen der gültigen Klagebewilligung der Schlichtungsbehörde nach Art. 209 ZPO ist, wo dem Prozess überhaupt ein Schlichtungsversuch vorauszugehen hat, eine Prozessvoraussetzung, die das Gericht von Amtes wegen zu prüfen hat (BGE 139 III 273 E. 2.1 mit Hinweisen). Ungültig ist die Klagebewilligung etwa, wenn die Schlichtungsbehörde mangels persönlichen Erscheinens der klagenden Partei (Art. 204 Abs. 1 ZPO) das Verfahren hätte abschreiben müssen, weil bei Säumnis der klagenden Partei das Schlichtungsgesuch nach Art. 206 Abs. 1 ZPO als zurückgezogen gilt (BGE 140 III 70 E. 5 S. 74).

2.2 Die Vorinstanz hat ausgeführt, D. sei nicht als Organ im Handelsregister eingetragen. Nach dem funktionellen Organbegriff sei als Organ aber nicht nur anzusehen, wer de forma zur Erfüllung gesellschaftlicher Aufgaben berufen werde (formelles Organ), sondern auch, wer de facto Leitungsfunktionen wahrnehme bzw. effektiv und in entscheidender Weise an der Bildung des Verbandswillens teilhabe,

BGE 141 III 159 S. 164 indem er Organen vorbehaltene Entscheide treffe oder die eigentliche

Geschäftsführung besorge und so die Willensbildung der Gesellschaft massgebend mitbestimme (faktisches Organ). Die Vorinstanz kam zum Schluss, D. sei ein solches faktisches Organ der klägerischen Aktiengesellschaft und durch ihre Teilnahme an der Schlichtungsverhandlung sei die Voraussetzung des persönlichen Erscheinens gemäss Art. 204 Abs. 1 ZPO erfüllt.

2.3 Art. 204 Abs. 1 ZPO verlangt, dass die für eine juristische Person als Partei an der Schlichtungsverhandlung anwesende Vertreterin vorbehaltlos und gültig handeln kann. So muss sie insbesondere zum Vergleichsabschluss ermächtigt sein (BGE 140 III 70 E. 4.4 S. 73). In der Lehre ist umstritten, ob die Figur des faktischen Organs lediglich als Haftungstatbestand für sich einmischende Personen dient oder ob das faktische Organ tatsächliche Organqualität hat und (über die Grundsätze der Anscheins- oder Duldungsvollmacht hinausgehend) durch sein Handeln die juristische Person aktiv binden kann (dazu ausführlich und kritisch MICHAEL WYTTENBACH, Formelle, materielle und faktische Organe - einheitlicher Organbegriff?, 2012, S. 247 ff., 267 f. mit zahlreichen Hinweisen auf die Literatur; kritisch auch EGGER, a.a.O., N. 152 ff., 164; vgl. zu den Folgen

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faktischer Organschaft auch PETER V. KUNZ, Materielle Organschaft ["faktische VR"]: Voraussetzung sowie Folgen im Aktienrecht, in: Entwicklungen im Gesellschaftsrecht IX, 2014, S. 173 ff., 183 ff.).

Das Bundesgericht hat die Figur des faktischen Organs bisher primär im Zusammenhang mit der aktienrechtlichen Verantwortlichkeit (des faktischen Organs) nach Art. 754 OR angewendet (BGE 136 III 14 E. 2.4 S. 20 f.; BGE 128 III 92 E. 3a S. 93 f., BGE 128 III 29 E. 3a S. 30 f.; BGE 119 II 255 E. 4 S. 257 ff.; BGE 117 II 570 E. 3 S. 571; BGE 107 II 349 E. 5b S. 355; Urteil 4A_306/2009 vom 8. Februar 2010 E. 7), weiter im Zusammenhang mit der Verantwortlichkeit der Organe einer Aktiengesellschaft für Nichtleistung der Sozialversicherungsbeiträge (BGE 132 III 523 E. 4.5 S. 528 f.), im Zusammenhang mit der Geschäftsherrenhaftung nach Art. 55 OR (BGE 122 III 225 E. 4b S. 227; vgl. auch Urteil 4A_544/2008 vom 10. Februar 2009 E. 2.2 f.) und im Zusammenhang mit einer auf Rechtsschein beruhenden Vollmacht (BGE 124 III 418 E. 1b S. 420 f. und E. 1c S. 421 f.). In einem nicht publizierten Urteil aus dem Jahr 2001 hat das Bundesgericht zwar ausgeführt, auch das faktische Organ könne die Gesellschaft nach aussen vertreten, wobei sich die Vertretungsmacht aus dem Umstand ergebe, dass die entsprechenden Personen in gleicher Weise wie ein gewähltes

BGE 141 III 159 S. 165 Organ an der Meinungsbildung der juristischen Person beteiligt seien und nach

aussen auftreten würden (Urteil 4C.307/2001 vom 14. März 2002 E. 2b). In diesem Urteil ging es indessen nicht um eine aktive Handlung, sondern (ähnlich einer Wissenszurechnung) um die Zurechnung der Entgegennahme von Arbeit (vgl. Art. 320 Abs. 2 OR).

2.4 Es kann hier offenbleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen ein faktisches Organ aktiv für die juristische Person materiell bindende Rechtshandlungen vornehmen kann, selbst wenn - wie hier - die Gegenpartei eine gültige Vertretung der juristischen Person bestreitet. Denn vorliegend gilt es den prozessrechtlichen Kontext zu beachten. Die Schlichtungsbehörde muss an der Schlichtungsverhandlung prüfen, ob die Voraussetzung des persönlichen Erscheinens nach Art. 204 Abs. 1 ZPO erfüllt ist. Von dieser Frage hängt das weitere Vorgehen ab. Erscheint eine Partei nicht persönlich, ohne dass ein Dispensationsgrund nach Art. 204 Abs. 3 ZPO vorliegt, so ist sie säumig. Dies hat bei der klagenden Partei zur Folge, dass das Schlichtungsgesuch als zurückgezogen gilt und das Verfahren als gegenstandslos abgeschrieben wird (Art. 206 Abs. 1 ZPO). Bei Säumnis der beklagten Partei verfährt die Schlichtungsbehörde gemäss Art. 206 Abs. 2 ZPO, wie wenn keine Einigung zustande gekommen wäre (Erteilung der Klagebewilligung, Unterbreitung eines Urteilsvorschlags oder Entscheid). Die Schlichtungsbehörde muss somit an der Schlichtungsverhandlung möglichst rasch und gestützt auf Urkunden (vgl. Art. 203 Abs. 2 ZPO) darüber befinden können, ob die Voraussetzung des persönlichen Erscheinens nach Art. 204 Abs. 1 ZPO erfüllt ist oder ob sie aufgrund von Säumnis das Verfahren abschreiben (Säumnis der klagenden Partei) bzw. nach Art. 209-212 ZPO verfahren soll (Säumnis der beklagten Partei).

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Erscheint nun für eine juristische Person eine natürliche Person zur Schlichtungsverhandlung, die sich als faktisches Organ ausgibt, so lässt sich deren Stellung innerhalb der juristischen Person durch die Schlichtungsbehörde nur schwer verifizieren (vgl. auch EGGER, a.a.O., N. 162). Ein faktisches Organ ist gerade nicht im Handelsregister eingetragen. Es spricht für sich, dass vorliegend das erstinstanzliche Gericht ein Beweisverfahren durchführen und mehrere Personen befragen musste, um zur Auffassung zu gelangen, es liege eine faktische Organschaft vor. Solche Beweismassnahmen sind im Schlichtungsverfahren nicht möglich (vgl. Art. 203 Abs. 2 ZPO). Jedenfalls könnte nicht bereits aus der Tatsache des Erscheinens zur Schlichtungsverhandlung für die juristische Person auf eine faktische

BGE 141 III 159 S. 166 Organschaft geschlossen werden, da so eine beliebige Person zum faktischen

Organ werden könnte und das Erfordernis des persönlichen Erscheinens nach Art. 204 Abs. 1 ZPO völlig ausgehöhlt würde. Ein weiteres Problem würde sich auch mit der Zeichnungsberechtigung ergeben. Bei einem faktischen Organ lässt sich nicht wie bei im Handelsregister eingetragenen Organen aus diesem ablesen, ob eine Einzel- oder eine Kollektivzeichnungsberechtigung besteht.

2.5 Ist die Schlichtungsbehörde mit so vielen Unklarheiten konfrontiert, die sie nicht oder jedenfalls nicht ohne einigen Aufwand beseitigen kann, so hätte sie bei Zulassung des faktischen Organs als Vertreterin der juristischen Person zwei Möglichkeiten. Entweder erachtet sie die Ausführungen des angeblichen faktischen Organs als glaubwürdig und führt die Schlichtung durch, dies mit dem Risiko, dass der zur Verhandlung erschienene Vertreter in Wirklichkeit kein faktisches Organ ist und eine erteilte Klagebewilligung ungültig oder ein abgeschlossener Vergleich in Frage gestellt wäre. Oder aber sie erachtet die korrekte Vertretung der juristischen Person als nicht erwiesen und schreibt bei Säumnis der Klägerin das Verfahren als gegenstandslos ab oder erteilt bei Säumnis der Beklagten die Klagebewilligung bzw. unterbreitet einen Urteilsvorschlag oder Entscheid.

Im ersten Fall wird eine allfällige Einigung der Parteien nachträglich wieder in Frage gestellt, was der Rechtssicherheit abträglich ist. Im zweiten Fall wird die Schlichtungsverhandlung gar nicht erst durchgeführt, womit eine durch die Schlichtungsbehörde herbeigeführte Einigung nicht möglich ist. In beiden Fällen besteht die Gefahr, die Versöhnung der Parteien als Zweck des Schlichtungsverfahrens (Art. 201 Abs. 1 ZPO) zu vereiteln. Zudem ist es der Prozessökonomie abträglich, wenn die Frage des korrekten persönlichen Erscheinens i.S.v. Art. 204 Abs. 1 ZPO in das erstinstanzliche Gerichtsverfahren verlagert wird und - wie vorliegend - mittels Durchführung eines Beweisverfahrens geklärt werden muss (vgl. EGGER, a.a.O., N. 162 und 131).

2.6 Der Schlichtungsbehörde muss nach dem Gesagten ermöglicht werden, rasch und einfach zu prüfen, ob eine juristische Person korrekt vertreten zur Schlichtungsverhandlung erschienen ist. Die im Handelsregister eingetragenen Organe und die Prokuristen haben zu diesem Zweck einen Handelsregisterauszug vorzuweisen; die (kaufmännischen)

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Handlungsbevollmächtigten haben eine Vollmacht zur Prozessführung in dieser Angelegenheit i.S.v. Art. 462 Abs. 2 OR

BGE 141 III 159 S. 167 vorzuweisen, aus der sich zudem ihre Handlungsvollmacht i.S.v. Art. 462 OR

ergibt (vgl. BGE 141 III 80 E. 1.3 S. 82; Urteil 4D_2/2013 vom 1. Mai 2013 E. 2.2.1). Faktische Organe vermögen nichts Derartiges vorzuweisen. Eine juristische Person kann sich daher im Schlichtungsverfahren nicht von faktischen Organen vertreten lassen.

3. Um die Voraussetzung des persönlichen Erscheinens nach Art. 204 Abs. 1 ZPO zu erfüllen, kann sich eine juristische Person an der Schlichtungsverhandlung auch durch eine mit einer (kaufmännischen) Handlungsvollmacht ausgestattete, zur Prozessführung befugte und mit dem Streitgegenstand vertraute Person vertreten lassen (BGE 140 III 70 E. 4.3 S. 72). Die Vorinstanz hat denn auch in einer Eventualbegründung geltend gemacht, D. sei zumindest als Handlungsbevollmächtigte i.S.v. Art. 462 OR zu qualifizieren.

3.1 Die Vorinstanz hat ausgeführt, die einzelzeichnungsberechtigte Verwaltungsrätin E. habe ihrer Mutter D. am 22. April 2013 eine Vollmacht ausgestellt. Darin habe sie D. bevollmächtigt, die Interessen von E. und diejenigen der Beschwerdegegnerin an der Verhandlung vor dem Friedensrichteramt N. vom 26. April 2013 in Sachen Klage Nr. x zu vertreten. Es liege somit eine gültige Handlungsvollmacht im Sinne von Art. 462 Abs. 2 OR für D. zur Vertretung an der Schlichtungsverhandlung vor. Es könne ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass diese Vollmacht dem Friedensrichter vorgelegen habe, sei doch auf der Klagebewilligung hinter dem Namen von D. der Zusatz "bevollmächtigt" vermerkt.

3.2 Unter einer kaufmännischen Handlungsvollmacht sind die Prokura nach Art. 458 ff. OR sowie die "andere Handlungsvollmacht" nach Art. 462 OR zu verstehen. Eine Handlungsvollmacht i.S.v. Art. 462 OR liegt vor, wenn der Inhaber eines Handels-, Fabrikations- oder eines andern nach kaufmännischer Art geführten Gewerbes jemanden ohne Erteilung der Prokura, sei es zum Betriebe des ganzen Gewerbes, sei es zu bestimmten Geschäften in seinem Gewerbe als Vertreter bestellt; die Vollmacht erstreckt sich dabei auf alle Rechtshandlungen, die der Betrieb eines derartigen Gewerbes oder die Ausführung derartiger Geschäfte gewöhnlich mit sich bringt (Art. 462 Abs. 1 OR). Zur Prozessführung ist der Handlungsbevollmächtigte hingegen nur ermächtigt, wenn ihm eine solche Befugnis ausdrücklich erteilt worden ist (Art. 462 Abs. 2 OR). Wenn das Bundesgericht eine kaufmännische Handlungsvollmacht voraussetzt, so ergibt sich daraus, dass eine bloss bürgerliche Bevollmächtigung (Art. 32 ff. OR) nicht ausreicht.

BGE 141 III 159 S. 168

3.3 Wird wie vorliegend eine Person schriftlich bevollmächtigt, eine Partei an der Schlichtungsverhandlung zu vertreten, so stellt sich die Frage, ob lediglich eine (unzureichende) bürgerliche Bevollmächtigung nach Art. 32 OR oder ob eine nach Art. 462 Abs. 2 OR erforderliche, einem Handlungsbevollmächtigten i.S.v.

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Art. 462 OR ausdrücklich erteilte Befugnis zur Prozessführung vorliegt. Eine Handlungsvollmacht i.S.v. Art. 462 OR setzt voraus, dass eine Person nicht für ein einzelnes Rechtsgeschäft gezielt bevollmächtigt, sondern für alle Rechtshandlungen als Vertreter bestellt wird, die der Betrieb eines ganzen Gewerbes oder die Ausführung bestimmter Geschäfte in einem Gewerbe mit sich bringt; die Ermächtigung zur Prozessführung nach Art. 462 Abs. 2 OR kann demnach nur einer Person erteilt werden, die (bereits) Handlungsbevollmächtigte i.S.v. Art. 462 Abs. 1 OR ist (vgl. WYSS, a.a.O., N. 2 zu Art. 204 ZPO: "Die Anwesenheit eines Handlungsbevollmächtigten nach Art. 462 Abs. 1 OR ist nur ausreichend, wenn dieser ausdrücklich zur Prozessführung ermächtigt worden ist [Art. 462 Abs. 2 OR]."). Aus der Vollmacht zur Prozessführung (Art. 462 Abs. 2 OR) muss sich mithin gleichzeitig ergeben, dass eine Handlungsvollmacht i.S.v. Art. 462 OR vorliegt (vgl. oben E. 2.6).

3.4 Vorliegend hat sich die Vorinstanz zur Begründung der Handlungsvollmacht i.S.v. Art. 462 Abs. 1 OR auf die Vollmacht zur Vertretung im Prozess gestützt. Aus der Vollmacht ergibt sich indessen nicht, dass D. eine (kaufmännische) Handlungsbevollmächtigte i.S.v. Art. 462 Abs. 1 OR der Beschwerdegegnerin war. Damit wären die Voraussetzungen für eine gültige Vertretung der Beschwerdegegnerin durch eine (kaufmännische) Handlungsbevollmächtigte an sich nicht erfüllt. Das Bundesgericht hat diese Voraussetzungen vorliegend allerdings erstmals konkretisiert. Sollte D. von E. daher tatsächlich als Handlungsbevollmächtigte nach Art. 462 OR bestellt und sollte dies auch der Beschwerdeführerin bekannt gewesen sein, so könnte im vorliegenden Fall aus Gründen des Vertrauensschutzes noch eine gültige Vertretung an der Schlichtungsverhandlung angenommen werden.

Die Vorinstanz hat im Rahmen ihrer Ausführungen zur Frage einer faktischen Organschaft festgestellt, D. habe aktiv bei der Beschwerdegegnerin mitgearbeitet und habe sich um die Administration und das Personal gekümmert. Sie habe etwa auch einen Kontrollrapport des Tierschutzes unterzeichnet. Zudem sei sie auch an einer Besprechung mit den Söhnen der Beschwerdeführerin dabei gewesen.

BGE 141 III 159 S. 169 Es bestehen somit Indizien dafür, dass D. nicht nur faktisch, sondern auch

formell zur Vornahme aller Rechtshandlungen bevollmächtigt war, die der Betrieb des Gewerbes der Beschwerdegegnerin oder die Ausführung bestimmter Geschäfte in diesem Gewerbe gewöhnlich mit sich brachte. Die Sache ist somit an die Vorinstanz zur Ergänzung des Sachverhalts dahingehend zurückzuweisen, ob eine solche formelle (kaufmännische) Handlungsvollmacht i.S.v. Art. 462 Abs. 1 OR bestand und ob die damit verbundene Vertretungsmacht auch der Beschwerdeführerin bekannt war oder bekannt gewesen sein musste.

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Urteilskopf 128 III 29

7. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. Bank A. und B. gegen D. (Berufung)

4C.208/2001 vom 29. Oktober 2001 Regeste

Aktienrechtliche Verantwortlichkeit des faktischen Organs (Art. 754 aOR). Keine faktische Organstellung aufgrund Vornahme einzelner, dem Bereich der

Geschäftsführung zuzurechnender Handlungen (E. 3c). Sachverhalt ab Seite 29

BGE 128 III 29 S. 29 D. war vom 25. Februar 1987 bis 1. März 1991 Geschäftsführer der F. AG.

Diese erwarb am 24. November 1988 sämtliche Aktien der E. Holding AG, welche ihrerseits alle Aktien der E. AG hielt.

Am 12. Dezember 1988 schlossen die F. AG, die E. AG und die Bank C. eine Vereinbarung zur Sanierung der E. AG. Darin verpflichtete sich die F. AG unter anderem, die Software der E. AG zum Preis von Fr. 3'000'000.- zu kaufen. Der Kaufpreis war zur Hälfte bis Ende 1988 zu bezahlen, für die übrigen Fr. 1'500'000.- sollte die E. AG der F. AG ein langfristiges Darlehen gewähren. Das Darlehen sollte in jährlichen Raten von Fr. 300'000.- amortisiert werden, erstmals per 30. November 1989.

Im Jahre 1990 wurde über die E. AG und über die E. Holding AG der Konkurs eröffnet. Die Bank A. und B. sind Gläubigerinnen der E. AG. Sie liessen sich von der Konkursmasse die Verantwortlichkeitsansprüche

BGE 128 III 29 S. 30 gegen die Organe der konkursiten E. AG abtreten. Die Gläubigerinnen reichten

am 2. September 1993 Klage beim Amtsgericht Luzern-Stadt ein. Sie verlangten im Wesentlichen die Verurteilung von vier Beklagten, unter ihnen D., zur Bezahlung von Fr. 3'000'000.- nebst Zins gestützt auf Art. 754 Abs. 1 und Art. 759 aOR. Das Amtsgericht Luzern-Stadt wies die Klage gegen D. am 21. Dezember 1998 ab. Das Gericht verneinte wegen fehlender Organeigenschaft dessen Passivlegitimation. Das Obergericht des Kantons Luzern bestätigte auf Appellation der Klägerinnen hin den erstinstanzlichen Entscheid aus den weitgehend gleichen Gründen.

Die Klägerinnen haben beim Bundesgericht Berufung eingereicht und beantragen die teilweise Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Anweisung des Obergerichts, auf die gegen den Beklagten gerichtete Appellation vollumfänglich einzutreten und einen neuen Sachentscheid zu fällen. Der Beklagte schliesst auf Abweisung der Berufung, soweit darauf einzutreten sei.

Das Bundesgericht weist die Berufung ab.

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Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3. Die Klägerinnen beanstanden, dass der Beklagte von der Vorinstanz nicht als faktisch mit der Geschäftsführung der konkursiten E. AG befasstes Organ angesehen worden ist.

a) Die Organhaftung nach Art. 754 aOR erfasst nicht nur die Mitglieder des Verwaltungsrates, sondern alle mit der Geschäftsführung betrauten Personen. Als mit der Verwaltung oder Geschäftsführung betraut im Sinne dieser Bestimmung gelten nicht nur Entscheidungsorgane, die ausdrücklich als solche ernannt worden sind. Auch Personen, die tatsächlich Organen vorbehaltene Entscheide treffen oder die eigentliche Geschäftsführung besorgen und so die Willensbildung der Gesellschaft massgebend mitbestimmen, fallen in den Anwendungsbereich der genannten Bestimmung (BGE 124 III 418 E. 1b; BGE 122 III 225 E. 4b; BGE 117 II 432 E. 2b; BGE 107 II 349 E. 5a). In jedem Fall ist erforderlich, jedoch nicht ausreichend, dass die tatsächlich als Organ handelnde Person den durch die Verletzung einer entsprechenden Pflicht eingetretenen Schaden verhindern kann (BGE 117 II 432 E. 2b mit Verweis auf BGE 111 II 480 E. 2a, wo die formelle Eintragung im Handelsregister ohne diese Möglichkeit für die Haftung als nicht ausreichend angesehen wurde). Für die Organverantwortlichkeit ist zudem erforderlich, dass die nach der internen Organisation tatsächlich mit der Leitung der Gesellschaft

BGE 128 III 29 S. 31 befasste Person in eigener Entscheidbefugnis die sich daraus ergebenden

Pflichten zu erfüllen hat, sie also selbständig und eigenverantwortlich handelt. Eine blosse Mithilfe bei der Entscheidung genügt demgegenüber für eine Organstellung nicht (BGE 117 II 570 E. 3). Diese Grundsätze entsprechen der herrschenden Lehre, wobei im Einzelnen umstritten ist, ob allein die oberste, der Verwaltung direkt unterstellte Geschäftsleitung als Organ in Frage kommt oder die tatsächliche Geschäftsführung unter Umständen auch durch das Kader unterhalb der Direktion wahrgenommen werden kann (FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NOBEL, Schweizerisches Aktienrecht, Bern 1996, S. 442; BÖCKLI, Schweizer Aktienrecht, 2. Aufl., Zürich 1996, S. 1072; MAYA R. PFRUNDER-SCHIESS, Zur Differenzierung zwischen dem Organbegriff nach ZGB 55 und dem verantwortlichkeitsrechtlichen Organbegriff, in: SZW 1993 S. 126; BÄR, Die privatrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahre 1991, in: ZBJV 129/1993 S. 379). In der Lehre wird überwiegend verlangt, dass jedenfalls eine dauernde Zuständigkeit für gewisse, das Alltagsgeschäft generell übersteigende Entscheide in eigener Verantwortung wahrgenommen wird, die sich spürbar auf das Geschäftsergebnis auswirken. Personen in untergeordneter und abhängiger Stellung, wie sie etwa der eines Prokuristen entspricht, können danach höchstens in Ausnahmefällen noch als Organe bezeichnet werden. BGE 117 II 432, in dem eine Prokuristin, die auf Weisung ihres Vorgesetzten eine Zweitunterschrift leistete, als Organ qualifiziert wurde, wird in der Lehre daher mit beachtlichen Gründen kritisiert (HÜTTE, Anmerkungen zu BGE 117 II 432, in: AJP 1992 S. 516 f.; BÖCKLI, a.a.O., S. 1072, Fn. 120; FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NOBEL, a.a.O., S. 442; RITA TRIGO TRINDADE, La responsabilité des organes de

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gestion de la société anonyme dans la jurisprudence récente du Tribunal Fédéral, in: SJ 1998 S. 23/24; PETER V. KUNZ, Rechtsnatur und Einredeordnung der aktienrechtlichen Verantwortlichkeit, Diss. Bern 1993, S. 186 f.). Angestellte auf einer hierarchisch untergeordneten Stufe kommen jedenfalls auch dann nicht als Organe in Betracht, wenn sie im Rahmen von Entschlussvorbereitungen oder -ausführungen Entscheide von erheblicher Bedeutung fällen (URS BERTSCHINGER, Arbeitsteilung und aktienrechtliche Verantwortlichkeit, Zürich 1999, S. 58 ff.; FORSTMOSER, Der Organbegriff im aktienrechtlichen Verantwortlichkeitsrecht, in Festschrift Meier-Hayoz, Bern 1982, S. 141 ff.).

b) Der Beklagte war nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz nicht formelles Organ der E. AG. Er war formell

BGE 128 III 29 S. 32 Geschäftsführer der F. AG. Die Zusammenlegung des Managements der F. AG

und der E. AG oder die Finanzplanung dieser beiden Gesellschaften lag nicht in der Entscheidungskompetenz des Beklagten. Er hatte allein den Auftrag, alternative Unternehmenskonzepte auszuarbeiten und dem Exekutivausschuss zur Entscheidung vorzulegen. Dieser Exekutivausschuss (bzw. dieses Exekutivkomitee) besass nach den Statuten der F. AG erhebliche Kompetenzen und stand hierarchisch zwischen Verwaltungsrat und Geschäftsleitung. Der Ausschuss hatte unter anderem die Geschäftspolitik der F. AG festzusetzen, die Geschäftsleitung zu instruieren, das von der Geschäftsleitung vorgelegte Budget zu genehmigen sowie zu einer Reihe nicht durch das Budget gedeckter Massnahmen die Zustimmung zu erteilen. Die Geschäftsleitung der F. AG war diesem Exekutivausschuss untergeordnet, so dass die Vorinstanz gar in Frage stellt, ob die formelle Bezeichnung des Beklagten als Geschäftsführer der F. AG der tatsächlichen Stellung überhaupt entsprach. Die E. AG ihrerseits verfügte nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil über eine eigene Geschäftsleitung, wobei in Protokollen des Exekutivausschusses zwischen den Mitgliedern der Geschäftsleitung der F. AG und derjenigen der E. AG unterschieden wurde. Der Ausschuss entschied zwar am 10. März 1989, die Geschäftsleitung der E. AG abzubauen, aber nach den Feststellungen der Vorinstanz waren die Mitglieder der Geschäftsleitung der E. AG zumindest in beschränktem Umfang auch nach diesem Entscheid weiterhin für die E. AG tätig. Der Exekutivausschuss der F. AG beschloss zudem am 19. Mai 1989, dass sämtliche Verträge und rechtsverbindliche Korrespondenz der E. AG mit Kunden nur nach einer internen Abstimmung und Gegenzeichnung durch drei Mitglieder der Gesamtgeschäftsleitung (F. AG und E. AG) - deren Vorsitzender der Beklagte sein sollte - abgegeben werden können, wobei die entsprechenden Weisungen vom Beklagten zu verfügen und von der Geschäftsleitung insgesamt durchzusetzen seien. Dieser Beschluss wurde nach den Feststellungen der Vorinstanz jedoch nicht in die Tat umgesetzt. Dagegen war der Beklagte nach den verbindlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil aufgrund speziell erteilter Vollmachten in Einzelfällen für die E. AG tätig, unterzeichnete beispielsweise am 29. Juni 1989 die Bilanzerklärung für das Geschäftsjahr 1988 und bestätigte gleichentags die Richtigkeit und Vollständigkeit der Aufstellung über die angefangenen Arbeiten für den Jahresabschluss 1988. Im September 1989 unterzeichnete er zudem

BGE 128 III 29 S. 33

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eine Abtretungserklärung zugunsten der Bank A. zur Sicherung eines Kredites an die G. GmbH.

c) Die Vorinstanz ist zutreffend davon ausgegangen, dass eine faktische Organstellung nur einer Person zukommt, die in eigener Verantwortung eine dauernde Zuständigkeit für gewisse das Alltagsgeschäft übersteigende und das Geschäftsergebnis beeinflussende Entscheide wahrnimmt. Weder ein Handeln im Einzelfall noch eine bloss hilfsweise Tätigkeit in untergeordneter Stellung vermag hingegen die spezifische Organhaftung zu begründen. Die Vorinstanz hat dem Beklagten aufgrund der verbindlichen tatsächlichen Feststellungen über dessen Stellung und Aufgaben die Eigenschaft eines faktischen Organs der E. AG abgesprochen, was bundesrechtlich nicht zu beanstanden ist. Denn nach den Feststellungen der Vorinstanz beschränkte sich der Aufgabenbereich des Beklagten auf die Vorbereitung und Umsetzung der Entscheide, welche der Exekutivausschuss fällte. Zwar nahm der Beklagte in einzelnen Fällen Handlungen vor, welche, wie beispielsweise die Unterzeichnung von Bilanz und Erfolgsrechnung, der Geschäftsleitung vorbehalten sind (vgl. KARL KÄFER, Berner Kommentar, N. 37 zu Art. 961 OR). Die Vornahme einzelner Handlungen, die dem Bereich der Geschäftsführung zugerechnet werden können, begründet jedoch keine faktische Organstellung. Dass der Beklagte aber generell die Geschäfte der E. AG in einem besonderen Zuständigkeitsbereich dauernd wahrgenommen hätte, ist den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz nicht zu entnehmen. Im angefochtenen Urteil wird im Gegenteil festgehalten, dass die eigentliche Geschäftsführung der F. AG vom Exekutivausschuss selbst wahrgenommen wurde. Weiter stellte die Vorinstanz fest, dass gewisse Beschlüsse des Ausschusses, die unter Umständen zu einer dauernden Zuständigkeit des Beklagten in gewissen Bereichen für die E. AG hätten führen können, nicht in die Tat umgesetzt wurden. Bei dieser Sachlage hat die Vorinstanz zu Recht erkannt, dass der formell nicht als Geschäftsführer der E. AG bestellte Beklagte auch faktisch deren Geschäfte nicht besorgt hat und daher der besonderen Organverantwortlichkeit nicht untersteht. Die Frage stellt sich daher nicht, ob der Beklagte - wenn er tatsächlich Geschäftsführer der konkursiten E. AG gewesen wäre - mit den von den Klägerinnen beanstandeten Handlungen entsprechende Pflichten eines Organs der E. AG verletzt hätte.

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__________________________________________________ AZA 0/2] 4C.307/2001/rnd I. ZIVILABTEILUNG ******************************* 14. März 2002 Es wirken mit: Bundesrichterin und Bundesrichter Walter, Präsident, Klett, Ersatzrichter Geiser und Gerichtsschreiber Dreifuss. --------- In Sachen 1. A.________, 2. B.________, Kläger und Berufungskläger, beide vertreten durch Rechtsanwalt Matthias Kuster, Bahnhofstrasse 24, Postfach 4764, 8022 Zürich, gegen X.________ AG, Beklagte und Berufungsbeklagte, vertreten durch Rechtsanwalt Lukas Nauer, Zürcherstrasse 15, 5620 Bremgarten, betreffend Arbeitsvertrag; Lohnforderung, hat sich ergeben: A.- A.________ (Kläger) war als Inhaber der Einzelfirma A.________ Metallbau in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Auf Anraten der zur Sanierung beigezogenen Beraterin, der Y.________ AG bzw. deren Vertreters, C.________, wurde eine neue Gesellschaft gegründet, die X.________ AG (Beklagte). Diese hätte die noch vorhandenen Aktiven des Handwerksbetriebes übernehmen sowie den Kläger und seine Ehefrau, B.________ (Klägerin), als Arbeitnehmer einstellen sollen. Für die Gründung der Aktiengesellschaft bezahlten die Kläger der Y.________ AG Fr. 15'000.--. Da sie aber nicht über genügend Mittel für das notwendige Aktienkapital verfügten, suchte die Y.________ AG einen externen Geldgeber, den sie in der Person von D.________ auch fand. Die Beklagte wurde am 23. Juni 1997 ins Handelsregister eingetragen. D.________ hatte das Gründungskapital bar einbezahlt, 98% der Aktien gehalten und sich als einzigen Verwaltungsrat im Handelsregister eintragen lassen. Nach der Gründung ist ihm das ganze Aktienkapital von Fr. 100'000.-- zurückvergütet worden. Die Kläger erhielten keine Beteiligung an den Aktien; die geplante Sacheinlage der Aktiven der Einzelfirma im Gegenzug zur Übergabe der Aktien an die Kläger kam nicht zustande.

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D.________ hat schliesslich mit Schreiben vom 13. Oktober 1997 als Verwaltungsrat demissioniert und ist am 14. November 1997 im Handelsregister gelöscht worden. Bereits ab Juni 1997, d.h. unmittelbar nach der Gründung der Beklagten aber noch vor der geplanten Übernahme der Aktiven, begannen die Kläger für die Beklagte wie bisher für die konkursite Einzelfirma zu arbeiten und fakturierten ihre Leistungen den Kunden im Namen der Beklagten. B.- Nachdem die Kläger von der Beklagten keinen Lohn erhalten hatten, betrieben sie diese und belangten sie am 9. Februar 1999 beim Arbeitsgericht Baden auf Bezahlung von Fr. 17'892. 25 an A.________ und Fr. 15'423.-- an B.________. Das Arbeitsgericht Baden vereinigte die Verfahren und hiess beide Klagen mit Urteil vom 31. März 2000 im Wesentlichen gut. Auf Appellation der Beklagten hin, wies das Obergericht des Kantons Aargau am 31. August 2001 beide Klagen ab. C.- Die Kläger beantragen mit Berufung, das obergerichtliche Urteil aufzuheben und ihre Klage im Umfang wie die erste Instanz gutzuheissen. Die Beklagte schliesst auf Abweisung des Rechtsmittels. Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 1.- Der Rechtsstreit dreht sich um die Frage, ob zwischen den Klägern und der Beklagten Arbeitsverträge zustande gekommen sind. Das Obergericht verneinte dies unter anderem mit der Begründung, es sei weder ein übereinstimmender Wille der Parteien zum Abschluss von Arbeitsverträgen nachgewiesen noch seien Arbeitsverträge durch Entgegennahme der Arbeit seitens der Beklagten bzw. durch Arbeitsleistung in ihren Diensten zustande gekommen. Die Kläger sehen darin eine falsche Anwendung der bundesrechtlichen Bestimmungen von Art. 320 Abs. 2 und 3 OR über das Zustandekommen von Arbeitsverträgen. Sie machen damit eine Verletzung von Bundesrecht geltend, wozu die Berufung offen steht (Art. 43 Abs. 1 OG). 2.- a) Das Arbeitsvertragsrecht sieht vor, dass auch unabhängig von einem übereinstimmenden Willen über alle wesentlichen Punkte ein Arbeitsvertrag zustande kommt, wenn jemand Arbeit in seinem Dienst auf Zeit entgegennimmt, deren Leistung nach den Umständen nur gegen Lohn zu erwarten ist (Art. 320 Abs. 2 OR). Damit hat das Gesetz eine unwiderlegbare Vermutung (praesumtio iuris et de iure) für den Abschluss eines Arbeitsvertrages geschaffen (Staehelin, Zürcher Kommentar, N. 6 zu Art. 320 OR; Rehbinder, Berner Kommentar, N. 17 zu Art. 320; Vischer, der Arbeitsvertrag, SPR Bd. VII/1, III, Basel 1994, S. 48; Streiff/von Kaenel, Arbeitsvertrag, Zürich 1992, N. 6 zu Art. 320 OR). Was sich die Parteien vorgestellt und was sie gewollt haben, ist dabei belanglos. Massgebend

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ist nur der objektive Tatbestand (Staehelin, a.a.O., N. 7 zu Art. 320 OR). Dieser ist erfüllt, wenn die Arbeit vom Arbeitgeber entgegengenommen worden ist. b) Es ist somit zu prüfen, ob vorliegend ein Organ der Beklagten oder eine mit Vertretungsmacht für die Beklagte ausgestattete Person die Arbeit der Kläger entgegengenommen hat. Dabei stehen drei Personen im Vordergrund: Als einziger Verwaltungsrat war D.________ im Handelsregister eingetragen. In direktem Kontakt mit den Klägern standen C.________ und E.________, die nach Ansicht des Klägers als Organe der Beklagten auftraten. Beide waren aber im Handelsregister nicht als vertretungsberechtigte Personen eingetragen. Sie konnten die Beklagte mit ihren Handlungen insoweit nicht verpflichten (vgl. dazu Forstmoser/Meier-Hayoz/Nobel, Schweizerisches Aktienrecht, Bern 1996, S. 348 f.; Riemer, Berner Kommentar, N. 42 zu Art. 54/55 ZGB). Die Kläger können insbesondere nichts daraus ableiten, dass E.________ die Funktion einer Revisionsstelle der Beklagten inne hatte, da einer Revisionsstelle keine Vertretungsmacht nach aussen zukommt (vgl. Art. 728 ff. OR). Zu beachten ist aber, dass es bei einer juristischen Person neben den ordentlich bestellten und ausdrücklich als solche bezeichneten Organen auch faktische Organe geben kann. Also solches gilt, wer tatsächlich Organen vorbehaltene Entscheide trifft oder die eigentliche Geschäftsführung selbständig und eigenverantwortlich besorgt und so die Willensbildung der Gesellschaft massgebend mitbestimmt. Es braucht konkrete Handlungen. Der Einfluss muss zudem auf Dauer ausgerichtet sein (BGE 128 III 29 E. 3a; zur Publikation bestimmtes Urteil des Bundesgerichts 4C.214/2001 vom 29. Oktober 2001 i.S. D. E. 3a, je mit Hinweisen; vgl. auch Roland Müller/Lorenz Lipp/Adrian Plüss, Der Verwaltungsrat, 2. Aufl. , Zürich 1999, S. 206). Auch das faktische Organ kann die Gesellschaft nach aussen vertreten. Die Gesellschaft muss sich die Handlungen eines faktischen Organs in gleicher Weise anrechnen lassen, wie jene eines ordentlich gewählten. Die Vertretungsmacht ergibt sich aus dem Umstand, dass die entsprechenden Personen in gleicher Weise wie ein gewähltes Organ an der Meinungsbildung der juristischen Person beteiligt sind und nach aussen auftreten. In analoger Anwendung der Bestimmungen über die Anscheinsvollmacht ergibt sich aus dem Vertrauensprinzip, dass Dritte eine Organstellung auch annehmen dürfen, wenn die juristische Person jemanden gewähren lässt, der sich als Organ aufspielt. Ausschlaggebend ist, dass die juristische Person selber das Handeln des Dritten gewähren lässt oder dass das nicht gewählte Organ von den gewählten in die Entscheidbildung massgeblich eingebunden wird (Forstmoser/Meier-Hayoz/Nobel, a.a.O., S. 175 Fn. 14, S. 176, S. 349; vgl. auch BGE 120 II 197 E. 2a und b/bb sowie BGE 124 III 418 E. 1c). Vom faktischen Organ und dem Anscheinsorgan zu unterscheiden sind jene Personen, die sich ohne Wissen der Gesellschaft bzw. ihrer gewählten Organe bloss eine Organstellung anmassen. Diese können die juristische Person nach dem Gesagten ebenso wenig verpflichten, wie der falsus procurator den Prinzipal

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(vgl. Art. 38 OR). Es genügt nicht, dass sich jemand als Organ einer juristischen Person ausgibt. Wer jemandem traut, ohne in das Handelsregister zu blicken oder sich von den ordentlich bestellten Organen die Vertretungsmacht bestätigen zu lassen, trägt selber das Risiko, dass keinerlei Vertretungsmacht besteht. Die Handlungen des angeblichen Vertreters der juristischen Person zuzurechnen rechtfertigt sich nur, wenn die ordentlich bestellten Organe sich entsprechend geäussert oder die Handlungen bewusst geduldet haben. Das einzige nach Gesetz vertretungsberechtigte Organ der Beklagten war D.________. Nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz wusste dieser nichts von der Tätigkeit der Kläger für die Beklagte, was sein Nichtwissen von den angeblich seitens der Herren E.________ und C.________ in diesem Zusammenhang ausgeübten Vertretungshandlungen einschliesst. Es sind auch keine Umstände nachgewiesen, welche den Schluss zuliessen, dass D.________ als Verwaltungsrat um die Verhaltensweisen der beiden Herren hätte wissen müssen. Soweit die Kläger in diesem Zusammenhang die Bindung des Bundesgerichts an die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz missachten und der Begründung ihres Standpunktes einen Sachverhalt zugrunde legen, der im angefochtenen Entscheid keine Stütze findet, ohne zugleich substanziierte Sachverhaltsrügen im Sinne von Art. 63 Abs. 2 und Art. 64 OG zu erheben, sind sie nicht zu hören. c) Damit fehlt es an der Entgegennahme der Arbeit durch die juristische Person. Es hilft den Klägern bei dieser Sachlage nichts, geglaubt zu haben, für die Beklagte zu arbeiten. Ihre Arbeitsleistung erfüllt den Tatbestand von Art. 320 Abs. 2 OR nicht und eine Anwendung dieser Bestimmung fällt ausser Betracht. 3.- Nach dem Ausgeführten können die Kläger auch aus Art. 320 Abs. 3 OR nichts zu ihren Gunsten ableiten. Auch dieser Tatbestand setzt voraus, dass die Arbeit objektiv für den Arbeitgeber geleistet worden ist (vgl. Staehelin, a.a.O., N. 33 zu Art. 320 OR; Rehbinder, N. 45 S. 108 zu Art. 320 OR; Vischer, a.a.O, S. 53). Es genügt nicht, dass der Arbeitnehmer glaubt, für einen bestimmten Arbeitgeber zu arbeiten. 4.- Die Klägerin (2) stellt sich eventuell auf den Standpunkt, es sei jedenfalls mit ihr ein Arbeitsvertrag entstanden, weil der Kläger (1) ihr Weisungen erteilt und damit eine Vorgesetztenfunktion wahrgenommen habe. Zu Unrecht. Ist mangels Entgegennahme der Arbeit des Klägers durch die Beklagte kein Arbeitsvertrag zwischen dem Kläger und der Beklagten entstanden, ist das Handeln des Klägers der Beklagten nicht anzurechnen. Er konnte die Arbeit der Klägerin damit nicht für diese entgegennehmen. Es fehlte ihm an einer entsprechenden Vertretungsmacht. Daran ändert es nichts, wenn er Arbeitgeberfunktionen gegenüber der Klägerin ausgeübt hat. Aus seinen Handlungen lässt sich kein Arbeitsverhältnis zwischen der Beklagten und der Klägerin konstruieren. 5.- Zusammenfassend hat die Vorinstanz die Ansprüche der Kläger zutreffend verneint. Die Berufung ist abzuweisen und der angefochtene Entscheid zu

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bestätigen, ohne dass auf die weitere Begründung der Vorinstanz einzugehen ist, wonach es für die Annahme eines Arbeitsverhältnisses an einem Unterordnungsverhältnis der Kläger durch Eingliederung in die Arbeitsorganisation der Beklagten fehle. Sowohl der Kläger wie auch die Klägerin haben ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gestellt. Beiden ist diese schon im kantonalen Verfahren bewilligt worden. Es ist nicht ersichtlich, dass sich ihre wirtschaftliche Lage seither geändert hätte. Ihre Bedürftigkeit ist ausgewiesen. Mit Blick darauf, dass beide Klagen von der ersten Instanz teilweise gutgeheissen worden sind, kann auch das Rechtsmittelverfahren vor Bundesgericht nicht von vornherein als aussichtslos bezeichnet werden. Die unentgeltliche Rechtspflege ist somit zu bewilligen (Art. 152 Abs. 1 OG). Da der Streitwert sowohl des Begehrens des Klägers wie auch jenes der Klägerin je unter Fr. 30'000.-- liegt, sind ohnehin keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 343 Abs. 2 und 3 OR). Demgegenüber ist der Prozessvertreter der Kläger nach Art. 152 Abs. 2 OG aus der Bundesgerichtskasse zu entschädigen. Da die Kläger unterliegen, haben sie die Beklagte für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art. 159 Abs. 2 und 5 OG). Demnach erkennt das Bundesgericht: 1.- Den Klägern wird für das bundesgerichtliche Verfahren Rechtsanwalt Matthias Kuster als Rechtsbeistand beigegeben. 2.- Die Berufung wird abgewiesen, und das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, 1. Zivilkammer, vom 31. August 2001 wird bestätigt. 3.- Es werden keine Kosten erhoben. 4.- Die Kläger haben die Beklagte für das bundesgerichtliche Verfahren unter solidarischer Haftbarkeit mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen. 5.- Rechtsanwalt Matthias Kuster wird aus der Bundesgerichtskasse ein Honorar von Fr. 3'000.-- ausgerichtet. 6.- Dieses Urteil wird den Parteien sowie dem Obergericht des Kantons Aargau, 1. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt. ______________ Lausanne, 14. März 2002 Im Namen der I. Zivilabteilung des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

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Tribunale federale Tribunal federal {T 0/2} 4P.325/2001 /rnd Urteil vom 21. November 2002 I. Zivilabteilung Bundesrichter Walter, Präsident, Nyffeler, Ersatzrichter Schwager, Gerichtsschreiber Widmer. A.________ AG, B.________ AG, Beschwerdeführerinnen, beide vertreten durch Rechtsanwälte Dieter Kunz und Dr. Adrian Plüss, Freudenbergstrasse 24, Postfach 213, 9240 Uzwil, gegen C.________, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Felix C. Meier-Dieterle, Arterstrasse 24, Postfach, 8032 Zürich, Obergericht von Appenzell A.Rh., 2. Abteilung, Art. 9 BV (Zivilprozess; Beweiswürdigung), Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts von Appenzell A.Rh., 2. Abteilung, vom 29. Mai 2001. Sachverhalt: A. Die am 30. Januar 1996 gegründete A.________ AG (Beschwerdeführerin 1) befasst sich hauptsächlich mit der Herausgabe von Orts- und Quartierplänen, die mit Werbung finanziert werden. Halter des Aktienkapitals von Fr. 100'000.-- waren ursprünglich zu gleichen Teilen die Brüder C.________ (Beschwerdegegner) und D.________. Mit Kaufvertrag vom 13. Juni 1996 verkaufte D.________ seine hälftige Beteiligung an die B.________ AG mit Sitz in X.________ (Beschwerdeführerin 2). Diese befindet sich im Alleinbesitz von E.________, der einziges und einzelzeichnungsberechtigtes Mitglied des Verwaltungsrates ist. Im Rahmen des Aktienverkaufs vom 13. Juni 1996 gab die A.________ AG die Erklärung ab, dass weder E.________ noch ein anderer von der B.________ AG bestellter Vertreter in ihrem Verwaltungsrat einem Konkurrenzverbot in irgendeiner Form unterstehe und dass eine solche Vertretung keine Verletzung der Treuepflicht unter irgendeinem Rechtstitel darstellen könne. Als Folge der geänderten Beteiligungsverhältnisse an der A.________ AG übernahm der in X.________ wohnhafte E.________ das Präsidium des

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Verwaltungsrats, während der bisherige Präsident C.________ Verwaltungsratsmitglied blieb. Ihren Sitz verlegte die A.________ AG von Zürich nach X.________. Die Überwachung der Produktion oblag C.________, der sein Büro in Zürich hatte, während der gesamte administrative Bereich nach X.________ verlegt wurde. Die Herstellung der Ortspläne wurde in der Folge der Z.________ AG übertragen, die am 7. März 1997 ihren Sitz nach Zürich verlegte und deren Verwaltungsrat bis 13. März 1998 C.________ als Präsident sowie D.________ angehörten. Am 24. April 1998 verlegte auch die 1984 gegründete F.________ AG ihren Sitz nach Zürich. Ihr Zweck ist die Herausgabe und der Vertrieb von Werken und periodischen Veröffentlichungen. Zwischen E.________ und C.________ ergaben sich zunehmend Meinungsverschiedenheiten, die dazu führten, dass in der A.________ AG bei Entscheiden sowohl über operative wie auch über strategische Fragen häufig Pattsituationen entstanden. An der Verwaltungsratssitzung vom 10. Februar 1998 wurde beschlossen, dass lediglich angefangene Arbeiten fertig gestellt werden. B. Am 21. März 1999 belangten die A.________ AG und die B.________ AG C.________ beim Kantonsgericht von Appenzell A.Rh. auf Zahlung von Fr. 4'300'000.-- nebst Zins aus aktienrechtlicher Verantwortlichkeit. Das Kantonsgericht wies die Klage am 20. März 2000 ab und überband die amtlichen und ausseramtlichen Kosten unter solidarischer Haftung den beiden Klägerinnen. Eine von diesen eingereichte Appellation wies das Obergericht von Appenzell A.Rh. (2. Abteilung) mit Urteil vom 29. Mai 2001 ab. Die Prozesskosten auferlegte es unter Gutheissung der Anschlussappellation von C.________ für beide Instanzen allein der B.________ AG. C. Die A.________ AG und die B.________ AG führen gegen das Urteil des Obergerichts staatsrechtliche Beschwerde und Berufung. Mit der Beschwerde verlangen sie die Aufhebung des Urteils und die Rückweisung der Sache an das Obergericht zur neuen Beurteilung. Der Beschwerdegegner beantragt, auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin 1 nicht einzutreten. Eventuell sei ihr Rechtsmittel, wie auch dasjenige der Beschwerdeführerin 2, abzuweisen und das obergerichtliche Urteil zu bestätigen. Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 1. Der Beschwerdegegner begründet seinen Antrag auf Nichteintreten auf das Rechtsmittel der Beschwerdeführerin 1 damit, dass dieser seit dem 20. Dezember 2000 die Prozessfähigkeit fehle. An diesem Datum sei die ordentliche Generalversammlung über das Geschäftsjahr 1999 abgehalten worden und die dreijährige Amtsdauer des am 3. Juli 1996 gewählten Verwaltungsrates abgelaufen. Eine Neuwahl sei nicht zustande gekommen. Die Beschwerdeführerin 1 habe somit seit dem 20. Dezember 2000 kein Organ mehr, das über eine Anfechtung des Urteils vom 29. Mai 2001 hätte beschliessen können. Die Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin 1, die sich auf eine Vollmacht vom 2. Juni 1998 stützten, handelten als vollmachtlose Stellvertreter.

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1.1 Gemäss Art. 29 Abs. 1 OG haben Parteivertreter eine Vollmacht zu den Akten zu legen. Eine solche kann jederzeit nachgefordert werden. In der Beschwerde verweisen die Anwälte der Beschwerdeführerin 1 auf die im kantonalen Verfahren eingereichte Vollmacht vom 15. Februar 1999, die sich auf einen Verwaltungsratsbeschluss vom 2. Juni 1998 stütze. In dieser Vollmacht ermächtigt die Beschwerdeführerin 1 die damals der Anwaltsgemeinschaft Kunz Bühler Jung angehörenden Anwälte, unter denen auch Rechtsanwalt Dieter Kunz figuriert, vor allen Behörden und Gerichten in ihrem Namen zu handeln. Eine solche Generalvollmacht genügt auch für das bundesgerichtliche Verfahren mit Einschluss desjenigen der staatsrechtlichen Beschwerde (BGE 117 Ia 440 E. 1a S. 443). Dass der erst später in die Anwaltsgemeinschaft eingetretene Dr. Adrian Plüss, der in der Beschwerde ebenfalls als Rechtsvertreter genannt wird, in dieser Vollmacht nicht aufgeführt wurde, ist ohne Bedeutung, da die Beschwerde von Rechtsanwalt Kunz unterzeichnet ist. Zudem darf die Vollmacht nach ihrem Wortlaut übertragen werden. 1.2 Die Vollmacht vom 15. Februar 1999 ist allein von E.________ unterzeichnet. Gemäss Handelsregister führt er seit 8. September 1998 Einzelunterschrift. Scheidet das vollmachterteilende Organ einer juristischen Person aus seinem Amt aus, hat dies keinen Einfluss auf den Fortbestand der von ihm namens der juristischen Person erteilten Vollmacht (BGE 78 II 369 E. 2b S. 373; Zäch, Berner Kommentar, N. 20 zu Art. 35 OR). 1.3 Nach Art. 35 Abs. 1 OR erlischt die Vollmacht, sofern nicht das Gegenteil vereinbart ist oder aus der Natur des Geschäfts hervorgeht, u.a. mit dem Verlust der Handlungsfähigkeit des Vollmachtgebers. Mit Blick auf diese Bestimmung stellt sich die Frage, ob die Vollmacht vom 16. Februar 1999 erloschen ist, weil die Beschwerdeführerin 1 seit dem 20. Dezember 2000 keinen Verwaltungsrat mehr bestellt hat. Dies ist zu verneinen: Zwar sind juristische Personen erst handlungsfähig, wenn die nach Gesetz und Statuten hiefür unentbehrlichen Organe bestellt sind (Art. 54 ZGB). Dies setzt das Vorhandensein einer Organisation und von Organträgern voraus (Riemer, Berner Kommentar, N. 4 zu Art. 54/55 ZGB). Indessen tritt trotz aktuellem Fehlen von Organträgern keine Handlungsunfähigkeit ein, wenn frühere Organe einem Dritten eine Vollmacht erteilt haben und diese noch fortbesteht, d.h. weder widerrufen wurde noch aus einem gesetzlichen Grund erloschen ist (Riemer, a.a.O., N. 10 zu Art. 54/55 ZGB; vgl. auch Zäch, a.a.O., N. 85 zu Art. 35 OR). Dank des rechtsgeschäftlich bestellten Vertreters hat die juristische Person zumindest für eine beschränkte Zeit trotz dem Fehlen von Organträgern weiterhin die Möglichkeit, am Rechtsverkehr teilzunehmen und durch ihre Handlungen Rechte und Pflichten zu begründen. Bei einer solchen Situation die Handlungsfähigkeit zu verneinen und damit die Vollmacht zum Erlöschen zu bringen, wäre ein Zirkelschluss. Die Lehre bejaht deshalb übereinstimmend den Fortbestand der Vollmacht für eine gewisse Zeit (Zäch, N. 21 zu Art. 35 OR; Watter, N. 5 zu Art. 35 OR; implizit auch Riemer, N. 10 und 14 zu Art. 54/55 ZGB; offen gelassen in BGE 78 II 369 E. 2b S. 373). Die umstrittene Vollmacht behält für die beschränkte Zeit bis zum Abschluss des Prozesses ihre Gültigkeit. Dieses Ergebnis steht auch

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mit der Rechtsprechung zu Art. 393 Ziff. 4 ZGB im Einklang. Mangelt es einer juristischen Person an den erforderlichen Organen, ist danach zumindest für eine beschränkte Dauer von der Bestellung eines Beistands abzusehen, wenn für einen solchen Zeitraum ausserhalb der Verwaltung stehenden Personen oder anderen Organen die Verwaltungsbefugnis zugestanden wird (BGE 78 II 369 E. 3c S. 375; Riemer, a.a.O., N. 14 zu Art. 54/55 ZGB; Schnyder/Murer, Berner Kommentar, N. 73 zu Art. 393 ZGB mit Hinweisen). Die strittige Vollmacht ist sachlich auf Handlungen im Zusammenhang mit der vorliegenden Streitsache beschränkt. Den beauftragten Anwälten wurde keine darüber hinausgehende Verwaltungsbefugnis eingeräumt. Dem Beschwerdegegner wäre es daher frei gestanden, nach der ergebnislosen Generalversammlung vom 20. Dezember 2000 bei der Vormundschaftsbehörde die Bestellung eines Beistands für die Gesellschaft zur Vornahme notwendiger Verwaltungsvorkehren anzubegehren, der u.a. über einen allfälligen Widerruf der erteilten Vollmacht hätte befinden können. Er hat dies indessen unterlassen. Ebenso wenig hat er gegen die Teilnahme der Bevollmächtigten als Vertreter der Beschwerdeführerinnen an der Appellationsverhandlung vom 29. Mai 2001 opponiert. Die Vollmacht ist als Ermächtigung, Rechtshandlungen im Namen des Vollmachtgebers und mit direkter Wirkung für ihn vorzunehmen, auf die Abgabe oder Entgegennahme von Willenserklärungen ausgerichtet (Gauch/Schluep/ Schmid/Rey, Schweizerischen Obligationenrecht, 7. Aufl., Zürich 1998, Rz. 1311). Inwieweit der Bevollmächtigte befugt ist, über den Abschluss des Geschäfts und dessen inhaltliche Ausgestaltung selbst zu entscheiden, ist eine Frage des Innenverhältnisses zwischen ihm und dem Vollmachtgeber. Die Willensbildung kann dabei in grösserem oder geringerem Mass eigenverantwortlich dem Bevollmächtigten überlassen werden. Wird die Vollmacht Dritten mitgeteilt, so beurteilt sich ihr Umfang diesen gegenüber nach Massgabe der erfolgten Kundgebung (Art. 33 Abs. 3 OR). Nach dem Wortlaut der Vollmacht vom 15. Februar 1999 ist der bestellte Anwalt nicht nur ermächtigt, vor allen Behörden und Gerichten zu handeln, sondern auch befugt, alles zu tun oder zu unterlassen, was er zur Wahrung der Interessen des Auftraggebers für notwendig oder angemessen erachtet. Diese Vollmacht genügt als Legitimation zur Einreichung der Beschwerde namens der Beschwerdeführerin 1, auch wenn diese im Zeitpunkt der Einreichung über keinen bestellten Verwaltungsrat mehr verfügte. 2. Die Beschwerdeführerinnen werfen dem Obergericht in mehreren Punkten eine aktenwidrige und willkürliche Sachverhaltsfeststellung und damit eine Verletzung von Art. 9 BV vor. 2.1 Ein Entscheid ist nicht schon dann willkürlich, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre, sondern erst dann, wenn er offensichtlich unhaltbar ist, zur tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Willkür liegt nur vor, wenn nicht bloss die Begründung eines Entscheides, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist (BGE 127 I 54 E. 2b; 126 III 438 E. 3 S. 440; 125

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I 166 E. 2a, je mit Hinweisen). Zu berücksichtigen ist überdies, dass dem Sachgericht im Bereich der Beweiswürdigung ein erheblicher Ermessensspielraum zusteht (BGE 120 Ia 31 E. 4b S. 40). Das Bundesgericht greift auf staatsrechtliche Beschwerde hin nur ein, wenn das Sachgericht sein Ermessen missbraucht, insbesondere offensichtlich unhaltbare Schlüsse zieht, erhebliche Beweise übersieht oder solche willkürlich ausser Acht lässt (BGE 120 Ia 31 E. 4b S. 40; 118 Ia 28 E. 1b S. 30; 112 Ia 369 E. 3 S. 371; 100 Ia 119 E. 4 und 5 S. 127 f.). Die den Willkürvorwurf begründenden Elemente sind in der Beschwerdeschrift selber im Einzelnen aufzuzeigen (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 125 I 71 E. 1c, 492 E. 1b; 115 Ia 27 E. 4a S. 30; 110 Ia 1 E. 2a S. 3 f.). 2.2 Gegenstand der Klage bilden die künftigen Gewinne, die der Beschwerdeführerin 1 zufolge der Einstellung der operativen Tätigkeiten entgehen. Nach Darstellung der Beschwerdeführerinnen soll der Beschwerdegegner die Stilllegung der Gesellschaft durch pflichtwidriges Verhalten verschuldet und die Gesellschaft damit an der Erwirtschaftung der eingeklagten künftigen Gewinne gehindert haben. Das Obergericht hat die Klage abgewiesen, weil der Kausalzusammenhang zwischen dem behaupteten Verhalten des Beschwerdegegners und der Einstellung der operativen Tätigkeit der Beschwerdeführerin 1 fehle. Die Ursache für die Einstellung liege vielmehr in den Spannungen zwischen den beiden Verwaltungsratsmitgliedern der Beschwerdeführerin 1 und der Pattsituation in der Generalversammlung sowie im Verwaltungsrat. Das angefochtene Urteil äussert sich demgemäss weder zum behaupteten Verhalten des Beschwerdegegners und seiner Pflichtwidrigkeit als solchem noch zum Eintritt des Schadens und seiner Höhe. Die einzige zum Nachweis des Schadens gemachte Bemerkung des Obergerichts bezieht sich inhaltlich auf den natürlichen Kausalzusammenhang. Im vorliegenden Verfahren ist demnach einzig zu prüfen, ob das Obergericht den natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Beschwerdegegners und der Einstellung der operativen Tätigkeiten der Beschwerdeführerin 1 unter Verletzung verfassungsmässiger Rechte der Beschwerdeführerinnen verneint hat. Ob ein natürlicher Kausalzusammenhang zwischen dem geltend gemachten Schaden und dem haftungsbegründenden Verhalten gegeben sei, ist eine Tatfrage, die der Überprüfung im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde unterliegt (BGE 123 III 110 E. 2 S. 111). 2.3 Die Beschwerdeführerinnen rügen, das Obergericht habe willkürlich angenommen, dass der Verwaltungsrat der Beschwerdeführerin 1 an seiner Sitzung vom 10. Februar 1998 einen definitiven Produktionsverzicht für Ortspläne beschlossen habe. Diese Rüge stösst ins Leere. In seinem Urteil verweist das Obergericht auf die Feststellung der Vorinstanz, dass zwar keine definitive Geschäftseinstellung beschlossen worden sei, aber auch eine bloss vorübergehende Einstellung der Produktion faktisch die Kündigung der auf Provisionsbasis angestellten Aussendienstmitarbeiter bedeutet habe. An der von den Beschwerdeführerinnen bezeichneten Stelle führt das Obergericht sodann aus, an den Verwaltungsratssitzungen vom 10. Februar und 12. Mai 1998 sei beschlossen worden, dass nur noch angefangene Arbeiten fertig gestellt würden. Zwar findet sich das Wort "noch", das auf einen abschliessenden Charakter des Beschlusses hindeutet, tatsächlich nicht im Sitzungsprotokoll. Das Obergericht

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vermerkt an der genannten Stelle aber, dass sich der Beschluss auf das Traktandum "Finanz- und Umsatzplan 1998" bezog. Daraus ergibt sich, dass der damals beschlossene Produktionsverzicht nicht definitiver Art war. Entgegen dem Vorwurf der Beschwerdeführerinnen liegt somit kein Widerspruch in den Tatsachenfeststellungen des angefochtenen Urteils vor. Auch der vorerst bloss als vorläufig beschlossene Produktionsverzicht ist die unmittelbare Ursache dafür, dass der Gesellschaft nach dem Abschluss der damals noch in Bearbeitung befindlichen Projekte keine weiteren Erträge mehr zugeflossen sind und zufliessen werden, sofern in der Folge keine Wiederaufnahme der Produktion beschlossen wurde oder faktisch erfolgte. Die Beschwerdeführerinnen machen zwar geltend, dass E.________ mehrmals versucht habe, die Aktivitäten der Beschwerdeführerin 1 fortzuführen. Anlässlich der Verwaltungsratssitzung vom 21. Juli 1998 stellte er unter dem Traktandum "Zukünftige Aktivitäten der Amos" fest, dass die Pendenzen soweit aufgearbeitet seien und dass grundsätzlich neue Projekte in Angriff genommen werden könnten. Gemäss dem Sitzungsprotokoll bestand dabei indessen einhellig die Auffassung, dass neue Aktivitäten mit den Herren E.________ und C.________ in führender Funktion (VR, Geschäftsleitung) aufgrund der persönlichen Spannungen nicht möglich seien und dass dafür neue Wege begangen werden müssten. Als mögliche Lösungen wurden ein Verkauf der Aktien an den Mitaktionär oder eine Liquidation der Gesellschaft genannt. Diese Äusserungen belegen, dass nach damaliger übereinstimmender Auffassung der Verwaltungsräte der bisherige vorübergehende Produktionsverzicht gerade weitergeführt werden sollte, bis die grundlegenden Probleme innerhalb der Gesellschaft gelöst waren. In einem gewissen Widerspruch dazu schlug E.________ an der Verwaltungsratssitzung vom 24. September 1998 dann vor, anstelle einer Liquidation neue Projekte unter neuer Verantwortung zu bearbeiten, wobei dann für jeden Ortsplan einer der beiden Verwaltungsräte als Projektleiter von A-Z verantwortlich sein sollte. Der Beschwerdegegner zeigte sich von diesem Vorstoss überrascht und verlangte dafür ein detailliertes, schriftliches Projekt. Dass E.________ in der Folge je ein solches vorgelegt hätte, wird von den Beschwerdeführerinnen nicht geltend gemacht. Mit ihrer Klage vom 21. März 1999 machten sie sodann ausschliesslich die der Gesellschaft infolge Stilllegung entgehenden Reingewinne für zehn Geschäftsjahre als zu ersetzenden Schaden geltend. Damit gingen sie selbst davon aus, dass der ursprünglich nur als vorläufig beschlossene Produktionsverzicht nunmehr definitiven Charakter angenommen habe. Hätten sie mit einer künftigen Wiederaufnahme der operativen Tätigkeiten der Beschwerdeführerin 1 gerechnet, so hätten sie für die Zeit ab der Wiederaufnahme nicht Ersatz des infolge Stilllegung entgehenden Gewinnes verlangen können; in Betracht käme insoweit nur der Ersatz für einen geschmälerten Gewinn. Das Obergericht ist damit keineswegs in Willkür verfallen, indem es feststellte, der vom Verwaltungsrat der Beschwerdeführerin 1 beschlossene und aufrecht erhaltene Produktionsverzicht sei die unmittelbare Ursache dafür, dass die Gesellschaft im Zeitraum, der Gegenstand der Klage bildet, keine Gewinne erzielt. Einen Betriebsgewinn kann nur erzielen, wer überhaupt Geschäfte betreibt.

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2.4 Die Beschwerdeführerinnen machen allerdings geltend, der am 10. Februar 1998 als bloss vorläufig beschlossenen Produktionsverzicht sei wegen der grossen Zahl der in jenem Zeitpunkt in Bearbeitung befindlichen und zuerst abzuschliessenden Projekte erfolgt. Zu einem weiteren, andauernden Verzicht auf die Bearbeitung neuer Projekte sei es nur deshalb gekommen sei, weil der Beschwerdegegner mehrfach ihm als Verwaltungsrat obliegende Pflichten verletzt habe. Dies habe das Obergericht willkürlich ausser Acht gelassen. Es fragt sich damit, ob ein vorangehendes pflichtwidriges Verhalten des Beschwerdegegners, wie es von den Beschwerdeführerinnen behauptet wird, für den Produktionsverzicht kausal ist. Dies wurde vom Obergericht willkürfrei verneint: Ein natürlicher Kausalzusammenhang zwischen dem behaupteten Verhalten des Beschwerdegegners und dem Absehen von einer weiteren operativen Tätigkeit besteht dann, wenn Ersteres dafür eine notwendige Bedingung (conditio sine qua non) bildete, d.h. das fragliche Verhalten nicht weggedacht werden kann, ohne dass auch der eingetretene Erfolg entfiele (BGE 117 V 369 E. 3a S. 376; 96 II 393 E. 1 S. 396). Im bereits erwähnten Protokoll der Verwaltungsratssitzung vom 21. Juli 1998 werden persönliche Spannungen zwischen E.________ und dem Beschwerdegegner genannt, die neue Aktivitäten der Gesellschaft verunmöglichten. Dass allein das behauptete pflichtwidrige Verhalten des Beschwerdegegners Ursache der persönlichen Spannungen gewesen sei, haben die Beschwerdeführerinnen nicht dargetan. Soweit die Beschwerdeführerinnen behaupten, bei pflichtgemässem Verhalten wäre es trotz der persönlichen Spannungen nicht zu einem Produktionsverzicht gekommen, setzen sie sich in Widerspruch zur Aussage des genannten Verwaltungsratsprotokolls. Nach den Feststellungen des Kantonsgerichts, auf die das Obergericht verweist, hätte die bei der Beschwerdeführerin 1 vorliegende Situation über kurz oder lang mit grosser Wahrscheinlichkeit sogar zur Auflösung der Gesellschaft gemäss Art. 736 Ziff. 4 OR geführt. 2.5 Die Beschwerdeführerinnen machen geltend, allein das pflichtwidrige Verhalten des Beschwerdegegners habe eine weitere gewinnbringende Tätigkeit der Beschwerdeführerin 1 ausgeschlossen. Mit einem Verzicht auf weitere Aktivitäten sei nur die Entstehung von zusätzlichem Schaden abgewendet worden. Das Obergericht hielt den Beweis dafür nicht erbracht, dass die Beschwerdeführerin 1 wegen des behaupteten Verhaltens des Beschwerdegegners ihre Geschäftstätigkeit einstellen musste. Die Beschwerdeführerinnen rügen dies wiederum als willkürlich. 2.5.1 Die Beschwerdeführerinnen verweisen in diesem Zusammenhang vor allem auf die konkurrenzierende Tätigkeit der F.________ AG, deren wirtschaftlicher Eigentümer der Beschwerdegegner sei. Sie betonen selbst, dass im Ortsplangeschäft ein harter Konkurrenzkampf herrscht. Als die Beschwerdeführerin 2 ihre Beteiligung an der Beschwerdeführerin 1 erwarb, hat die Beschwerdeführerin 1 der Beschwerdeführerin 2 dennoch ausdrücklich zugestanden, dass ihre konkurrenzierende Tätigkeit nicht als Verletzung der Treuepflicht des von ihr gestellten Vertreters im Verwaltungsrat der Beschwerdeführerin 1 gilt. In den Geschäftsjahren 1996/97 und 1998 hat die Beschwerdeführerin 1 sodann trotz der Konkurrenzsituation hohe Gewinne erzielt, wenn auch nach den Darlegungen des Beschwerdegegners ein erheblicher Teil

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davon auf bereits früher geleistete Vorarbeiten zurückführen ist. Ab welchem Zeitpunkt die F.________ AG mit eigenen Ortsplänen im Markt aufgetreten ist, legen die Beschwerdeführerinnen nicht dar. Allgemein erscheint es als wenig wahrscheinlich, dass ein Unternehmen wegen eines neu oder verstärkt im Markt auftretenden Konkurrenten seine eigene Geschäftstätigkeit binnen kurzem vollständig aufgibt. Anlässlich der Verwaltungsratssitzung vom 21. Juli 1998 haben die beiden Verwaltungsräte denn auch übereinstimmend eine Weiterführung der Geschäftstätigkeit der Beschwerdeführerin 1 durch den einen oder den anderen Aktionär allein, d.h. unter Ausschaltung der persönlichen Spannungen zwischen ihnen, als möglich betrachtet. Es erscheint deshalb nicht als willkürlich, wenn das Obergericht die Konkurrenztätigkeit der F.________ AG ohne nähere Abklärung, wem diese zuzurechnen ist und wie sie sich im Einzelnen abspielte, für die Beschwerdeführerin 1 als nicht existenzgefährdend betrachtete. Ebenso wenig ist sie in Willkür verfallen, wenn sie entschied, es sei nicht erwiesen, dass die Beschwerdeführerin 1 ihre Geschäftstätigkeit wegen der Konkurrenztätigkeit der F.________ AG nicht gewinnbringend hätte weiterführen können. Soweit das Obergericht in diesem Zusammenhang von der Abnahme beantragter Beweise abgesehen hat, geschah dies teils aufgrund einer antizipierten Beweiswürdigung (vgl. BGE 124 I 208 E. 4a S. 211; 122 II 464 E. 4a; 119 Ib 492 E. 5b/bb S. 505 f., je mit Hinweisen), teils weil es an substanziierten Behauptungen zum Beweisthema fehle. Inwieweit das Obergericht dabei in Willkür verfallen sein soll, wird von den Beschwerdeführerinnen nicht rechtsgenügend dargelegt, sodass auf diesen Vorwurf nicht weiter einzugehen ist (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG). 2.5.2 Die Beschwerdeführerinnen haben im kantonalen Verfahren behauptet, bei diversen neuen Ortsplänen, die von der F.________ AG realisiert wurden, habe es sich um "Amos-Projekte" gehandelt. Das Obergericht betrachtete den Beweis dafür unter Verweis auf die Begründung der Vorinstanz als nicht erbracht. Insbesondere ergebe sich dieser nicht aus den Plänen der beiden Firmen, die schon dem Kantonsgericht eingereicht worden waren. Inwiefern es damit in Willkür verfallen sein soll, legen die Beschwerdeführerinnen nicht dar. Ebenso wenig äussern sie sich zur diesbezüglichen Feststellung des Kantonsgerichts, dass ein bereits realisierter Ortsplan für eine bestimmte Ortschaft seinem Herausgeber keinen Exklusivitätsanspruch für die Herausgabe weiterer Ortspläne dieser Ortschaft verleiht. Nach den eigenen Ausführungen der Beschwerdeführerinnen müssen auch für die Neuausgabe eines bereits bestehenden Ortsplans jeweils alle Inserenten, also auch die bisherigen, neu akquiriert werden. Die Beschwerdeführerinnen machen geltend, sie hätten Akten ins Recht gelegt, die belegten, dass die F.________ AG bei der Akquisition mit Unterlagen der Beschwerdeführerin 1 gearbeitet, sich als Nachfolgerin der Beschwerdeführerin 1 bezeichnet und den Kunden gegenüber vorgegeben habe, dass es sich um eine Neugestaltung des bereits bestehenden Amos-Plans handle. Sie schweigen sich indessen darüber aus und es ist nicht ersichtlich, weshalb das Obergericht in Willkür verfallen sein soll, indem es daraus nicht gefolgert hat, dass die von der F.________ AG realisierten Ortspläne als Amos-Projekte zu qualifizieren sind.

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2.5.3 Weiter werfen die Beschwerdeführerinnen dem Beschwerdegegner vor, er habe es unterlassen, mit der Z.________ AG, der von Beschwerdeführerin 1 die Herstellung der Ortspläne übertragen worden war, einen Vertrag abzuschliessen, nach dem alle Rechte an den bestehenden und neu herzustellenden Plänen bei der Beschwerdeführerin 1 liegen sollten. Durch den in der Folge eingetretenen Verlust der Kartenrechte an die Z.________ AG sei die Beschwerdeführerin 1 entscheidend geschwächt worden. Ohne Kartenrechte sei es nicht möglich, Ortspläne herauszugeben. Das Obergericht sei in Willkür verfallen, indem es auf diese Argumentation nicht eingegangen sei und die dazu angebotenen Beweise wegen Irrelevanz nicht abgenommen habe. Indessen legen die Beschwerdeführerinnen nicht dar und ist nicht ersichtlich, weshalb die Beschwerdeführerin 1 durch das Fehlen eines Vertrags mit der Z.________ AG ihr zuvor zustehende Kartenrechte verloren haben soll. Zudem ist nicht ersichtlich, inwiefern ein allfälliger Verlust von Kartenrechten für bereits realisierte Ortspläne die Herausgabe neuer Ortspläne für andere Ortschaften hätte absolut hindern können. Vielmehr vermögen - auch nach den eigenen Ausführungen der Beschwerdeführerinnen - selbst Kartenrechte für einen bestehenden Plan nicht verhindern, dass eine andere Gesellschaft für die gleiche Ortschaft einen eigenen Plan realisiert. Wie die von den Beschwerdeführerinnen eingereichten Beispiele zeigen, beruhten die Ortspläne aller Konkurrenten jeweils auf amtlichen Vermessungswerken, die bearbeitet wurden. Das Obergericht ist nicht in Willkür verfallen, indem es feststellte, ein Kausalzusammenhang zwischen dem vorgeworfenen Verhalten des Beschwerdegegners und der Geschäftseinstellung der Beschwerdeführerin 1 sei nicht dargetan. Auch dass es von einer Einvernahme der beantragten Zeugen über die Bedeutung der Kartenrechte im Ortsplangeschäft wegen Irrelevanz absah, ist im Lichte des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht zu beanstanden (vgl. BGE 126 I 15 E. 2a/aa S. 16; 120 Ib 379 E. 3b S. 383). 2.5.4 Der Beschwerdegegner hat im Namen der Beschwerdeführerin 1 mit der S.________ AG einen Vertrag über einen gegenseitigen exklusiven Austausch von Planunterlagen abgeschlossen, der über die Z.________ AG erfolgen sollte. Die Beschwerdeführerinnen machen geltend, die durch nichts begründete Dazwischenschaltung der Z.________ AG, die heute über die Kartenrechte verfüge, habe zur Folge, dass es der Beschwerdeführerin 1 heute unmöglich sei, von diesem Austausch Gebrauch zu machen. Sie legen indessen nicht dar, weshalb der behauptete Umstand, dass die Beschwerdeführerin 1 die Luftbildkarten der S.________ AG nicht für die Herausgabe von eigenen Plänen verwenden könne, jede weitere gewinnbringende Tätigkeit der Gesellschaft ausschliessen soll. Gegen eine solche Annahme spricht schon, dass der genannte Vertrag erst im Juni 1997 abgeschlossen wurde und die Beschwerdeführerin 1 schon vorher im Ortsplan- und Kartengeschäft tätig war. Die Beschwerdeführerinnen machen nicht geltend, dass die S.________ AG der einzige Anbieter von Luftbildkarten wäre und die Beschwerdeführerin 1 von deren Kartenmaterial abhängig wäre. Dem Obergericht kann somit auch in diesem Punkt keine Verfassungsverletzung vorgeworfen werden, indem es schloss, die Beschwerdeführerinnen hätten nicht substanziiert, inwiefern das Verhalten des Beschwerdegegners für die Geschäftseinstellung der Beschwerdeführerin 1

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kausal gewesen sein soll, und in der Folge auf die Abnahme der in diesem Zusammenhang beantragten Beweise verzichtete. 2.6 Das angefochtene Urteil läuft auch in seinem Ergebnis nicht in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwider. Es verleiht dem Beschwerdegegner namentlich keinen Freipass für jedwelches pflichtwidriges Verhalten zum Schaden der Gesellschaft, deren Verwaltungsrat er angehörte. Ob tatsächlich ein pflichtwidriges Verhalten vorgelegen hat, hätte der Sachrichter prüfen müssen, wenn die Beschwerdeführerin 1 ihre operative Tätigkeit fortgeführt hätte und die Beschwerdeführerinnen die dabei wegen des Verhaltens entstandenen finanziellen Einbussen als Schaden eingeklagt hätten. Die Beschwerdeführerinnen haben indessen die künftigen Gewinne, die der Gesellschaft bei Einstellung jeder operativen Tätigkeit entgehen, zum Prozessgegenstand gemacht. Die Beschwerdeführerin 1 bzw. deren Verwaltungsrat hat sich indessen selbst dazu entschlossen, von einer Weiterführung der operativen Tätigkeit abzusehen, und das Obergericht hat willkürfrei verneint, dass das behauptete pflichtwidrige Verhalten des Beschwerdegegners dafür kausal ist. Unter diesen Umständen verstösst es keineswegs gegen das elementare Gerechtigkeitsempfinden, wenn die finanziellen Folgen dieses eigenen Entschlusses nicht auf den Beschwerdegegner abgewälzt werden können. 3. Die Beschwerdeführerinnen rügen, das Obergericht habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, da es ihre Argumentation in verschiedenen Punkten überhaupt nicht zur Kenntnis genommen habe. Soweit sie damit eine Verletzung der Begründungspflicht geltend machen, ist die Rüge unbegründet. Die aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör fliessende Begründungspflicht und der Anspruch auf Begründung sind nicht bereits dadurch verletzt, dass sich die urteilende Behörde nicht mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinander setzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Vielmehr kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass sich der Betroffene über die Tragweite des Entscheids Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache an die höhere Instanz weiterziehen kann. In diesem Sinne müssen wenigstens kurz die Überlegungen genannt werden, von denen sich die Behörde hat leiten lassen und auf welche sich ihr Entscheid stützt (vgl. BGE 124 II 146 E. 2a; 124 V 180 E. 1a; 123 I 31 E. 2c; 121 I 54 E. 2c, je mit Hinweisen). Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil offensichtlich. Das Obergericht hat sich, soweit wesentlich, mit den angeblich übergangenen Ausführungen der Beschwerdeführerinnen befasst. Es hat den Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verletzt, indem es sich mit ihren Vorbringen nur soweit befasste, als sie angesichts der Beschränkung seiner Beurteilung auf den Gesichtspunkt der Kausalität behaupteter Pflichtverletzungen für die Einstellung der operativen Tätigkeit der Beschwerdeführerin 1 von Bedeutung waren. Dies gilt insbesondere für seine Erwägungen zu den Vorbringen über den ungeklärten Verbleib von Datenträgern. So verwies es dazu auf die eigene Feststellung der

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Beschwerdeführerinnen, dass die Beschwerdeführerin 1 in ihrer Tätigkeit auch mit diesen Daten blockiert wäre. Daraus schloss es willkürfrei, dass unklar bleibe, inwiefern fehlende Unterlagen für den behaupteten Schaden kausal gewesen sein sollen. 4. Im Vermittlungsverfahren und im Verfahren vor Kantonsgericht hatte der Beschwerdegegner den (Eventual-)Antrag gestellt, die amtlichen und ausseramtlichen Kosten des Verfahrens den beiden Beschwerdeführerinnen unter solidarischer Haftung zu überbinden. Das Kantonsgericht hat diesem Antrag entsprochen. Im obergerichtlichen Verfahren beantragte der Beschwerdegegner, die Kostenregelung des Kantonsgerichts aufzuheben und die amtlichen und ausseramtlichen Kosten beider Instanzen allein der Beschwerdeführerin 2 aufzuerlegen. Das Obergericht hat die Kosten entsprechend diesem neuen Antrag verlegt. Die Beschwerdeführerinnen rügen dies als willkürlich. 4.1 Die Beschwerdeführerinnen machen zunächst geltend, das Obergericht habe die Änderung des vor Kantonsgericht bezüglich der Kosten gestellten Rechtsbegehrens in willkürlicher Anwendung von Art. 114 Abs. 1 ZPO/AR als zulässig betrachtet. Nach dieser Bestimmung ist eine Änderung des Rechtsbegehrens nach der Vermittlung ohne Einwilligung der Gegenpartei nur zulässig, wenn durch die Änderung das Verfahren nicht wesentlich erschwert und die Rechtsstellung der Gegenpartei nicht beeinträchtigt wird. Das Obergericht hat das mit der Anschlussappellation gestellte Begehren u.a. zugelassen, weil der Antrag über die Verlegung der Prozesskosten das Urteil über den Streitgegenstand nicht beeinflusse und nur einen verfahrensrechtlichen Nebenpunkt darstelle. Das Verbot oder die nur eingeschränkte Zulassung einer Klageänderung bezieht sich normalerweise auf den geltend gemachten materiellen Anspruch, mit dem der Streitgegenstand vorbehältlich von Ausnahmen fixiert wird, um eine Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte des Beklagten oder eine ungebührliche Verfahrensverzögerung zu verhindern. Klageänderung bedeutet eine Änderung des Streitgegenstandes (vgl. Leuenberger/Uffer-Tobler, Kommentar zur ZPO/SG, Bern 1999, N. 3a zu Art. 72; Vogel/Spühler, Grundriss des Zivilprozessrechts, 7. Aufl., Zürich 2001, S. 225; Walder, Zivilprozessrecht, 4. Aufl., Zürich 1996, S. 285 ff.; Habscheid, Schweizerisches Zivilprozess- und Gerichtsorganisationsrecht, 2. Aufl., Basel 1990, Rz. 412 ff.; Guldener, Schweizerisches Zivilprozessrecht; 3. Aufl., Zürich 1979, S. 234 ff.). Wie das Obergericht willkürfrei erwogen hat, gehören die Prozesskosten nicht zum (materiellen) Streitgegenstand, sondern zu den Nebenpunkten, deren nachträgliche Geltendmachung oder Änderung keine Klageänderung bedeutet (vgl. Frank/Stäuli/Messmer, Kommentar zur ZPO/ZH, 3. A., Zürich 1997, N. 1 zu § 20, N. 2 zu § 61 und N. 7 zu § 107; Leuenberger/Uffer-Tobler, a.a.O., N. 3b zu Art. 72 und N. 10 zu Art. 73; Walder, a.a.O., S. 7 Anm. 21; Vogel/Spühler, a.a.O., S. 214 f.; Habscheid, a.a.O., S. 392). Dies wird für die ZPO/AR in Art. 115 Abs. 5 dadurch bestätigt, dass die Kosten des laufenden Prozesses bei der Festsetzung des Streitwertes nicht berücksichtigt werden (so auch ausdrücklich Art. 36 Abs. 3 OG; vgl. ferner Art. 73 ZPO/SG und § 20 ZPO/ZH und die vorstehend dazu zitierten Kommentare). Ohnehin und ohne Einschränkung muss es zulässig sein, für das Verfahren vor einer oberen Instanz

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eine vom vorinstanzlichen Verfahren abweichende Kostenverteilung zu beantragen. Das Obergericht ist damit keineswegs in Willkür verfallen, indem es den geänderten Antrag des Beschwerdegegners bezüglich der Kostenverlegung zuliess. 4.2 Die Beschwerdeführerinnen kritisieren es auch inhaltlich als willkürlich, sämtliche Kosten der Beschwerdeführerin 2 aufzuerlegen, unter vollständiger Befreiung der Beschwerdeführerin 1. Sie machen geltend, dies sei in der kantonalen Zivilprozessordnung nicht vorgesehen, ohne sich aber mit den für die Kostenregelung massgeblichen kantonalen Gesetzesbestimmungen auseinander zu setzen. Die Rüge der willkürlichen Anwendung des kantonalen Prozessrechts erweist sich insoweit als ungenügend begründet (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG). Die weitere Argumentation der Beschwerdeführerinnen, mit der angefochtenen Kostenverlegung würden Kosten von einem Verfahren auf ein anderes überwälzt, geht fehl. Da beide Beschwerdeführerinnen von Anfang an als einfache Streitgenossen geklagt haben, liegt nur ein Verfahren vor. Unzutreffend ist schliesslich der Einwand, das Obergericht habe in das Verhältnis unter Solidarschuldnern eingegriffen, das nicht prozessrechtlicher, sondern zivilrechtlicher Natur sei. Der Entscheid darüber, welche Anteile an den Prozesskosten die einzelnen Streitgenossen zu tragen haben, beruht wie die Aufteilung der Kosten zwischen Kläger und Beklagtem allein auf Prozessrecht (vgl. BGE 117 II 394 E. 3a; 112 Ib 353 E. 3a S. 356). Dies gilt auch, wenn der Richter nebst der Festlegung der Kostenanteile eine Solidarhaftung mehrerer Parteien anordnet, was beim angefochtenen Urteil indessen gerade nicht zutrifft. Auch die sinngemäss erhobene Rüge der Verletzung der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 49 Abs. 1 BV) erweist sich damit als unbegründet. 5. Die staatsrechtliche Beschwerde ist damit abzuweisen. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend ist die Gerichtsgebühr den Beschwerdeführerinnen aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Diese haben den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG). Auch für das bundesgerichtliche Verfahren stellt der Beschwerdegegner den Antrag, die Kosten seien unter Ausklammerung der Beschwerdeführerin 1 allein der Beschwerdeführerin 2 aufzuerlegen. Da er selbst als Aktionär zur Hälfte an der Beschwerdeführerin 1 beteiligt sei, müsste er sonst indirekt die der Gegenpartei auferlegten Kosten anteilsmässig mittragen. Nach Art. 156 Abs. 7 OG, der auch für die Parteientschädigung entsprechend anwendbar ist (Art. 159 Abs. 5 OG), haben mehrere Personen die ihnen gemeinsam auferlegten Gerichtskosten mangels anderer Bestimmung zu gleichen Teilen unter Solidarhaft zu tragen. Das Gesetz lässt damit dem Gericht die Freiheit, die Kosten mehreren Personen auf der gleichen Parteiseite zu unterschiedlichen Teilen aufzuerlegen und/oder von der Solidarhaftung abzusehen (für den Bundeszivilprozess vgl. Art. 69 Abs 2 BZP). Der Umstand allein, dass sich die Kostenauflage zu Lasten eines Beteiligten indirekt auch zu Ungunsten der obsiegenden Partei auswirkt, rechtfertigt hier indessen nicht, von der im Gesetz als Regel vorgesehenen Verteilung abzusehen. Die Beschwerdeführerin 2, die nach dem Antrag des Beschwerdegegners allein mit den ganzen Kosten belastet werden soll, hatte als Aktionärin der Beschwerdeführerin 1 nur ein indirektes Interesse an der Klage, da

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ihr Rechtsbegehren gemäss Art. 756 Abs. 1 OR auf Leistung von Schadenersatz an die Gesellschaft ging. Zudem hätte der Beschwerdegegner wegen seiner Beteiligung an der Beschwerdeführerin 1 selbst beim Obsiegen der Beschwerdeführerinnen indirekt vom Prozesserfolg profitiert. Zu berücksichtigen ist ferner die Regelung von Art. 756 Abs. 2 OR. Danach verteilt der Richter, bei einer von einem Aktionär geführten Verantwortlichkeitsklage die Kosten, soweit sie nicht vom Beklagten zu tragen sind, nach seinem Ermessen auf den Kläger und die Gesellschaft, wenn der Aktionär aufgrund der Sach- und Rechtslage begründeten Anlass zur Klage hatte. Die Kostenauflage gegenüber der Gesellschaft kann dabei selbst dann erfolgen, wenn sie - anders als hier - nicht selbst Prozesspartei ist. Mit dieser Regelung soll das Kostenrisiko des klagenden Aktionärs, der allenfalls wirtschaftlich nur mit einem geringen Bruchteil am angestrebten Prozesserfolg partizipiert, in ein tragbares Verhältnis zu seinen Chancen gebracht werden (Forstmoser/Meier-Hayoz/Nobel, Schweizerisches Aktienrecht, Bern 1996, § 36 N. 122; Böckli, Schweizer Aktienrecht, 2. Auflage, Zürich 1996, Rz. 2006b). Zwar ist die Beschwerdeführerin 2, welche die Hälfte der Aktien der Beschwerdeführerin 1 hält, kein Kleinaktionär, der im Fall des Obsiegens nur in geringem Masse vom Prozesserfolg profitiert hätte. Auch hat sich das Obergericht nicht dazu geäussert, ob begründeter Anlass zu einer Verantwortlichkeitsklage bestand. Dennoch würde es dem Grundgedanken von Art. 756 Abs. 2 OR grundsätzlich widersprechen, die gesamten Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens allein der Beschwerdeführerin 2 als klagender Aktionärin und nicht teilweise auch der gemeinsam mit ihr klagenden Gesellschaft aufzuerlegen. Bei freier Prüfung sind deshalb für das bundesgerichtliche Verfahren sowohl die Gerichtsgebühr wie auch die Parteientschädigung den beiden Beschwerdeführerinnen zu gleichen Teilen unter solidarischer Haftung aufzuerlegen. Demnach erkennt das Bundesgericht: 1. Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen. 2. Die Gerichtsgebühr von Fr. 20'000.-- wird den Beschwerdeführerinnen zu gleichen Teilen unter solidarischer Haftung auferlegt. 3. Die Beschwerdeführerinnen haben den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren zu gleichen Teilen unter solidarischer Haftbarkeit mit Fr. 22'000.-- zu entschädigen. 4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht von Appenzell A.Rh., 2. Abteilung, schriftlich mitgeteilt. Lausanne, 21. November 2002 Im Namen der I. Zivilabteilung des Schweizerischen Bundesgerichts Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

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Unternehmensjuristen

BGE 130 II 87

11. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. Zürcher Anwaltsverband gegen X. und Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte im Kanton Zürich sowie Obergericht des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)

2A.110/2003 vom 29. Januar 2004

Regeste

Art. 4-8, 12 sowie 36 BGFA; Eintragung ins kantonale Anwaltsregister, Voraussetzung der anwaltlichen Unabhängigkeit.

Gegen letztinstanzliche kantonale Beschlüsse über die Eintragung ins kantonale Anwaltsregister kann der Anwaltsverband des betreffenden Kantons Verwaltungsgerichtsbeschwerde erheben (E. 1).

Anwaltstätigkeit im Monopolbereich fällt unter das Grundrecht der Wirtschaftsfreiheit; Verweigerung des Registereintrags (wegen fehlender Unabhängigkeit) tangiert dieses Grundrecht, was bei der Auslegung des Begriffs der Unabhängigkeit zu berücksichtigen ist (E. 3). Unabhängigkeit des Anwalts als weltweit anerkannte Berufspflicht, im Umfeld des (veränderten) Berufsbilds (E. 4.1). Inhalt der Unabhängigkeit (E. 4.2), bundesgerichtliche Rechtsprechung (E. 4.3) und Literatur (E. 4.4) zur Frage der Unabhängigkeit von Anwälten im Angestelltenverhältnis. Entstehungsgeschichte von Art. 8 Abs. 1 lit. d und Art. 8 Abs. 2 BGFA; bei angestellten Anwälten besteht Vermutung für Fehlen der Unabhängigkeit (E. 5.1), die widerlegbar ist (E. 5.2). Verhältnis der gesetzlichen Regelung zum Freizügigkeitsabkommen, keine Inländerdiskriminierung (E. 5.1.2). Voraussetzungen, unter denen ein angestellter Anwalt den Registereintrag beanspruchen kann; Pflicht zur Schaffung klarer Verhältnisse (E. 6). In casu hat der Anwalt ungenügende Angaben zu seinem Angestelltenverhältnis gemacht und die Vermutung des Fehlens der Unabhängigkeit nicht widerlegt (E. 7). Art. 36 BGFA entbindet gegebenenfalls von der Erfüllung der fachlichen, nicht aber der persönlichen Voraussetzungen; bei fehlender Unabhängigkeit kann die Eintragung ins Register nicht übergangsrechtlich beansprucht werden (E. 8). Sachverhalt ab Seite 89

BGE 130 II 87 S. 89 X. ist Inhaber des aargauischen Fürsprecherpatents. Er steht in einem

Anstellungsverhältnis zur Bank Y. AG, wo er in der Rechtsabteilung tätig ist. Im Handelsregister ist er bei dieser Bank u.a. als Vizedirektor mit Kollektivunterschrift eingetragen.

Nachdem am 1. Juni 2002 das Bundesgesetz vom 23. Juni 2000 über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (Anwaltsgesetz, BGFA; SR 935.61) in Kraft getreten war, stellte X. bei der Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte

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im Kanton Zürich (nachfolgend: Aufsichtskommission) am 29. Juli 2002 das Gesuch, er sei im Sinne von Art. 5 ff. und Art. 36 BGFA ins kantonale Anwaltsregister einzutragen. Er erklärte, den Anwaltsberuf als Teilzeit-Selbständigerwerbender ausüben zu wollen, neben seiner Tätigkeit als Angestellter bei der Bank Y. Die Aufsichtskommission stellte fest, dass X. auf Grund des bisherigen Rechts über ein Anwaltspatent des Kantons Aargau verfüge und nach Art. 196 Ziff. 5 BV in den anderen Kantonen eine Berufsausübungsbewilligung erhalten hätte, weshalb sein Eintragungsgesuch nach Art. 36 BGFA als begründet erscheine. Dementsprechend gab sie dem Gesuch statt und trug X. mit Beschluss vom 20. August 2002 in das kantonale Anwaltsregister ein.

Der Zürcher Anwaltsverband erhob gegen diesen Beschluss Rekurs bei der Verwaltungskommission des Obergerichts des Kantons Zürich, welche den Rekurs mit Beschluss vom 12. Februar 2003 abwies, soweit sie darauf eintrat.

Am 20. März 2003 hat der Zürcher Anwaltsverband gegen den Beschluss vom 12. Februar 2003 Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht erhoben.

Das Bundesgericht heisst die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gut und hebt den angefochtenen Beschluss auf. Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1. Streitgegenstand bildet die Frage, welche Voraussetzungen eine Person erfüllen muss, um in das kantonale Anwaltsregister

BGE 130 II 87 S. 90 eingetragen werden zu können. Die Frage ist bundesrechtlich geregelt (Art. 6 ff.

BGFA). Der angefochtene Beschluss stützt sich auf Bundesrecht (Art. 97 Abs. 1 OG in Verbindung mit Art. 5 VwVG), und er kann, da die Voraussetzungen gemäss Art. 98 ff. OG erfüllt sind, mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden. Gegen Eintragungen ins kantonale Register steht das Beschwerderecht auch dem Anwaltsverband des betreffenden Kantons zu (Art. 6 Abs. 4 BGFA); der Beschwerdeführer ist damit zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde legitimiert. Auf die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde ist grundsätzlich einzutreten.

2.

2.1 Der Beschwerdegegner stellte sein Gesuch um Eintragung in das kantonale Anwaltsregister gestützt auf Art. 5 ff. und Art. 36 BGFA, wobei er insbesondere hervorhob, dass er den Anwaltsberuf im Sinne von Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA unabhängig ausübe. Er geht davon aus, dass er sämtliche gesetzlichen Voraussetzungen für den Registereintrag erfülle. Die Aufsichtskommission begründete ihren Beschluss vom 20. August 2002 über die Eintragung ins Register damit, dass der Gesuchsteller auf Grund des bisherigen Rechts über ein Anwaltspatent des Kantons Aargau verfüge und nach Art. 196 Ziff. 5 BV in den anderen Kantonen eine Berufsausübungsbewilligung erhalten hätte, weshalb sein Eintragungsgesuch nach Art. 36 BGFA als begründet erscheine. In ihrem

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Rekursentscheid ging die Verwaltungskommission des Obergerichts davon aus, dass der Beschwerdegegner sämtliche gesetzlichen Voraussetzungen für den Registereintrag erfülle, stützte ihren Entscheid mithin nicht auf Art. 36 BGFA.

Als Übergangsbestimmung soll Art. 36 BGFA den Eintrag ins Anwaltsregister regeln in Fällen, da ein Eintrag gestützt auf das neu geltende Bundesrecht nicht (mehr) in Frage kommt, jedoch nach bisherigem Recht interkantonal eine Berufsausübungsbewilligung hätte erlangt werden können. Erfüllt eine Person die ordentlichen Voraussetzungen für einen Eintrag ins Register, erübrigt sich eine Berufung auf Art. 36 BGFA. Zuerst ist daher zu prüfen, ob der Beschwerdegegner nach heute geltendem Recht ins Register eingetragen werden kann.

2.2 Gemäss Art. 6 Abs. 1 BGFA lassen sich Anwälte, die über ein kantonales Anwaltspatent verfügen und Parteien vor Gericht vertreten wollen, ins Register des Kantons eintragen, in dem sie ihre Geschäftsadresse haben. Die Aufsichtsbehörde trägt sie ein, wenn

BGE 130 II 87 S. 91 sie festgestellt hat, dass die Voraussetzungen nach den Artikeln 7 und 8 erfüllt

sind (Art. 6 Abs. 2 BGFA). Art. 7 BGFA umschreibt die fachlichen Voraussetzungen für einen Eintrag, Art. 8 BGFA die persönlichen Voraussetzungen. Gemäss Art 8 Abs. 1 BGFA müssen die Anwälte handlungsfähig sein (lit. a); es darf keine im Strafregister nicht gelöschte strafrechtliche Verurteilung wegen Handlungen vorliegen, die mit dem Anwaltsberuf nicht zu vereinbaren sind (lit. b), und es dürfen gegen sie keine Verlustscheine bestehen (lit. c). Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA bestimmt sodann, dass die Anwälte in der Lage sein müssen, den Anwaltsberuf unabhängig auszuüben, und Angestellte nur von Personen sein können, die ihrerseits in einem kantonalen Register eingetragen sind. Was Anstellungen betrifft, gilt gemäss Art. 8 Abs. 2 BGFA eine Ausnahme für Anwälte, die bei anerkannten gemeinnützigen Organisationen angestellt sind; auch sie können sich ins Register eintragen lassen, wenn die übrigen persönlichen Voraussetzungen (Art. 8 Abs. 1 lit. a-c BGFA) erfüllt sind und sich die Tätigkeit der Parteivertretung strikte auf Mandate im Rahmen des von der betreffenden Organisation verfolgten Zwecks beschränkt.

2.3 Der Beschwerdeführer widersetzt sich dem Eintrag des Beschwerdegegners ins kantonale Anwaltsregister mit der Begründung, es werde dadurch Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA verletzt; wegen seines Anstellungsverhältnisses biete der Beschwerdegegner keine Gewähr dafür, seine nebenberufliche Anwaltstätigkeit unabhängig auszuüben.

Das Gesetz umschreibt den Begriff der anwaltlichen Unabhängigkeit weder im Zusammenhang mit der Registereintragung noch in Art. 12 lit. b BGFA, wo die unabhängige Berufsausübung als Berufsregel aufgeführt ist, näher. Es ist nachfolgend zu prüfen, unter welchen Voraussetzungen ein Anwalt Gewähr für unabhängige Berufsausübung bietet und insofern, unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des Anwaltsregisters, den Eintrag in dasselbe verlangen kann.

3. Zur Anwaltstätigkeit gehören typischerweise die Vertretung von Parteien vor Gericht sowie die Rechtsberatung; das Tätigkeitsgebiet des Anwalts kann sich

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darüber hinaus auf andere Bereiche erstrecken (wirtschaftliche Dienstleistungen, Ausübung von Verwaltungsratsmandaten usw.). Gemäss Art. 2 Abs. 1 BGFA gilt das Anwaltsgesetz für Personen, die über ein Anwaltspatent verfügen

BGE 130 II 87 S. 92 und in der Schweiz im Rahmen des Anwaltsmonopols Parteien vor Gericht

vertreten (s. auch Art. 4 BGFA). Der Eintrag ins kantonale Anwaltsregister ist erforderlich, sofern ein Rechtsanwalt Parteien in sämtlichen Kantonen ohne weitere Bewilligung vor Gericht vertreten will (Art. 6 Abs. 1 BGFA); der Registereintrag betrifft somit allein die so genannte Monopoltätigkeit.

Beim Anwaltsmonopol handelt es sich nicht um ein echtes Monopol im Rechtssinn. Der Zugang zum Beruf des Anwalts als Prozessvertreter erfolgt auf Grund einer klassischen wirtschaftspolizeilichen Bewilligung, welche zum Schutz des rechtsuchenden Publikums die persönlichen und fachlichen Eigenschaften und Fähigkeiten des Berufsausübenden sicherstellen soll (TOMAS POLEDNA, Anwaltsmonopol und Zulassung zum Anwaltsberuf - Streiflichter in vier Thesen, in: Schweizerisches Anwaltsrecht, Festschrift Schweizerischer Anwaltsverband 1998, Bern 1998, S. 89 ff.). Damit aber fällt auch die Anwaltstätigkeit im Monopolbereich grundsätzlich in den Schutzbereich der von Art. 27 BV garantierten Wirtschaftsfreiheit. Gemäss Art. 36 BV bedarf daher jede Einschränkung der Befugnis, Parteien vor Gericht zu vertreten, einer gesetzlichen Grundlage; sie muss sich durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter rechtfertigen lassen und hat verhältnismässig zu sein. Unzulässig sind wirtschaftspolitische oder standespolitische Massnahmen, die den freien Wettbewerb behindern, um gewisse Gewerbezweige oder Bewirtschaftungsformen zu sichern oder zu begünstigen. Andere die Wirtschaftsfreiheit des Anwalts einschränkende, im öffentlichen Interesse liegende Massnahmen sind zulässig, wenn nebst dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit derjenige der Rechtsgleichheit, namentlich im Sinne der Wettbewerbsneutralität, gewahrt wird (BGE 125 I 417 E. 4a S. 422; BGE 123 I 12 E. 2a S. 15; Urteil 2P.187/2000 vom 8. Januar 2001, publ. in: Pra 90/2001 Nr. 141 S. 835, E. 3a S. 838; Urteil 2P.151/1995 vom 12. Dezember 1996, publ. in: RDAT 1997 II Nr. 10 S. 14, E. 4b S. 20).

Wird einem Rechtsanwalt der Eintrag ins kantonale Anwaltsregister und damit die Möglichkeit, in sämtlichen Kantonen Parteien vor Gericht zu vertreten, mit der Begründung verweigert, dass ihm die erforderliche Unabhängigkeit fehle, wird er in seiner durch Art. 27 BV garantierten Wirtschaftsfreiheit eingeschränkt. Für die Auslegung des Begriffs der Unabhängigkeit des Anwalts im Sinne von Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA ist daher die verfassungsrechtliche

BGE 130 II 87 S. 93 Komponente mitzuberücksichtigen. Der Begriff darf nicht zu eng verstanden

werden. Die Bestimmung ist so auszulegen, dass patentierten Rechtsanwälten die Parteivertretung vor Gericht nur insoweit verwehrt bleibt, als dies zur Verwirklichung der mit der Zulassungsbeschränkung verfolgten Zielsetzung notwendig ist. Vor diesem Hintergrund ist nachfolgend auf die Bedeutung der Unabhängigkeit des Anwalts einzugehen.

4.

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4.1 Der Grundsatz der Unabhängigkeit des Anwalts ist von herausragender Bedeutung; er ist als Berufspflicht des Anwalts weltweit anerkannt (BGE 123 I 193 E. 4a S. 195; Pra 90/2001 Nr. 141 S. 835, E. 4a/aa S. 838 f., je mit Hinweisen). Die Unabhängigkeit des Anwalts soll grösstmögliche Freiheit und Sachlichkeit bei der Interessenwahrung gegenüber dem Klienten wie gegenüber dem Richter gewährleisten. Sie bildet die Voraussetzung für das Vertrauen in den Anwalt und in die Justiz (Pra 90/2001 Nr. 141 S. 835, E. 4c S. 842).

Die Vorstellung des unabhängigen Anwalts ist verbunden mit dem Bild des freien Anwalts, der selbständig ein Anwaltsbüro betreibt. Geläufig ist auch die kombinierte Tätigkeit Anwalt/Notar. Insofern ergeben sich kaum Schwierigkeiten. Allerdings sind Rechtsanwälte heute vielmals im Rahmen komplexer (Unternehmens-)Strukturen tätig. Nicht nur schliessen sich häufig mehrere Anwälte zu immer grösseren Anwaltskanzleien zusammen; sie organisieren sich mit Wirtschaftsfachleuten, Treuhändern, Steuerexperten usw. Vor allem sind immer mehr Inhaber von Anwaltspatenten als Arbeitnehmer tätig. Viele Unternehmungen (Banken, Treuhandbüros, Versicherungen) offerieren ihren Kunden Rechts- und Wirtschaftsberatung in weitem Sinn und stellen zu diesem Zweck Anwälte an. Druck für derartige Umgestaltungen entsteht durch die zunehmende Komplexität der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, nicht zuletzt wegen der Internationalisierung des Wirtschaftslebens. Der Markt für anwaltliche Tätigkeiten ist vielfältiger geworden (vgl. zum Ganzen, nebst anderen: MICHAEL PFEIFER, Der Rechtsanwalt in der heutigen Gesellschaft, ZSR 115/1996 II S. 253 ff., insbes. S. 291 ff.; DOMINIQUE DREYER, L'avocat dans la société actuelle, ZSR 115/1996 II S. 395 ff., insbes. S. 410 ff.; ISABELLE HÄNER, Das veränderte Berufsbild des Anwaltes und der Anwältin. Neue Entwicklungen in der Rechtsberatung und Rechtsvertretung, in: Bernhard Ehrenzeller [Hrsg.], Das Anwaltsrecht nach dem

BGE 130 II 87 S. 94 BGFA, St. Gallen 2003, S. 9 ff.; ferner verschiedene Beiträge in: Das künftige

Berufsbild des Anwalts in Europa, DACH Schriftenreihe 13 zur 20. Tagung der Europäischen Anwaltsvereinigung e.V. vom 27.-29. Mai 2000 in München, Köln 2000).

Konkurrenz bzw. Wettbewerb herrscht damit insbesondere zwischen den freien Anwälten und jenen Anwälten, die bei Unternehmungen angestellt sind, welche nebst wirtschaftlichen Dienstleistungen auch rechtliche Beratung anbieten und daran interessiert sind, die Vertretung ihrer Kunden vor Gericht nötigenfalls durch eigenes Personal zu gewährleisten; die grossen Revisions- und Beratungsfirmen sowie Banken usw. "wollen ihren globalen Klienten ein möglichst umfassendes Leistungspaket anbieten" (PETER NOBEL, Rechtsformen der Zusammenarbeit von Anwälten, in: Festschrift des Schweizerischen Anwaltsverbands 1998, a.a.O., S. 339 ff., insbes. S. 351 ff.). Da die Unabhängigkeit des Anwalts Voraussetzung für die Zulassung zur Parteivertretung vor Gerichten ist und sich das Problem der Unabhängigkeit bei mit Unternehmungen verbundenen Anwälten ausgeprägt stellt, wirkt sich die Beurteilung der Unabhängigkeitsfrage unweigerlich entscheidend auf den Wettbewerb aus. In diesem Zusammenhang ist vereinzelt davon die Rede, dass die Unabhängigkeitsfrage in der Literatur ohne klare Differenzierung "hochstilisiert" werde (PETER NOBEL, a.a.O., S. 353). Dem ist höchstens insofern beizupflichten, als damit der Besorgnis Ausdruck gegeben

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wird, dass das Erfordernis der Unabhängigkeit angerufen werden könnte, um im Sinne reiner Standespolitik undifferenziert die selbständigen Anwälte zu privilegieren; dies wäre aus verfassungsrechtlicher Sicht (vorne E. 3) unzulässig. Die Unabhängigkeit des Anwalts ist aber vom Gesetzgeber, unter Berufung auf die Lehre und insbesondere die Rechtsprechung, zu Recht zu einem zentralen Kriterium für die Zulassung von Anwälten zur forensischen Tätigkeit gemacht worden (Botschaft des Bundesrats vom 28. April 1999 zum Anwaltsgesetz, BBl 1999 S. 6013 ff., insbes. S. 6033 ff.; AB 1999 N 1556 ff.; AB 1999 S 1165 ff.; AB 2000 N 38 ff.).

4.2 Die Frage der Unabhängigkeit ist verknüpft mit der in Art. 12 lit. c BGFA festgeschriebenen Berufspflicht des Anwalts, jeden Konflikt zwischen den Interessen seiner Klientschaft und denjenigen anderer Personen, Unternehmungen oder Organisationen, mit denen er geschäftlich oder privat in Beziehung steht, zu vermeiden (LUCIEN W. VALLONI/MARCEL C. STEINEGGER, Bundesgesetz über die

BGE 130 II 87 S. 95 Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte, Gesetzesausgabe mit Einführung,

Zürich/Basel/Genf 2002, S. 46). Damit ist der Aspekt angesprochen, dass der Anwalt bei der Ausübung eines Mandats von Dritten unabhängig sein muss. Das ist der Fall bei "absence de tous liens qui exposent l'avocat, dans l'exercice de sa profession, à quelque influence que ce soit de la part de tiers (qui ne pratiquent pas le barreau)" (JEAN-PIERRE GROSS, La libre circulation des avocats - Portée de certaines dispositions de la LLCA [art. 7, 8 et 12], in: Anwaltsrevue 3/2002 S. 7/8). Dasselbe Verständnis der anwaltlichen Unabhängigkeit hat der Europäische Gerichtshof. Er billigt den Mitgliedstaaten der EU das Recht zum Erlass von Regelungen zu, die vom Rechtsanwalt verlangen, dass er sich in einer Position der Unabhängigkeit gegenüber staatlichen Stellen, anderen Wirtschaftsteilnehmern und Dritten befindet, von denen er sich zu keiner Zeit beeinflussen lassen darf. Der Anwalt muss insoweit Gewähr dafür bieten, dass sämtliche Handlungen, die er in einer Angelegenheit vornimmt, ausschliesslich vom Interesse seines Mandanten bestimmt sind (Urteil des EuGH vom 19. Februar 2002 in der Rechtssache C-309/99, Wouters, Slg. 2002, I-1577, Randnr. 102). Wer sich an einen Anwalt wendet, soll gewiss sein dürfen, dass dieser in keiner Weise an einen Dritten gebunden ist, dessen Interessen den eigenen in irgendeiner Weise entgegenstehen könnten (Pra 90/2001 Nr. 141 S. 835, E. 4c S. 842). Dieser Aspekt der Unabhängigkeit liegt auf der Hand.

Darüber hinaus wird gemeinhin verlangt, dass der Anwalt auch gegenüber seinem Klienten unabhängig sein muss. Er soll als objektiv urteilender Helfer dienlich sein können. Das setzt voraus, dass er eigenständig abschätzt, wie im Prozess vorzugehen ist, und versucht, den Klienten von seiner Betrachtungsweise zu überzeugen bzw. von einer unzweckmässigen Handlungsweise abzuhalten (zu diesem Element der Unabhängigkeit etwa: TOMAS POLEDNA, a.a.O., S. 94; FRANZ WERRO, Les conflits d'intérêts de l'avocat, in: Festschrift des Schweizerischen Anwaltsverbands 1998, a.a.O., S. 231 ff., insbes. S. 240 f.; ALBERT-LOUIS DUPONT-WILLEMIN, Le secret professionnel et l'indépendance de l'avocat, in: Bulletin SAV, März 1986, Nr. 101, S. 9 ff., insbes. S. 14 ff.).

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Beide soeben erwähnte Gesichtspunkte betreffen insbesondere die Frage, ob eine Anstellung mit der Pflicht zur Unabhängigkeit des Anwalts vereinbar ist. Dabei sind mehrere Konstellationen zu unterscheiden: Es gibt einerseits den Anwalt, der neben der Tätigkeit

BGE 130 II 87 S. 96 für seinen Arbeitnehmer und ohne Konnex mit der im Rahmen dieser Anstellung

ausgeübten Tätigkeit eigene Klienten betreut und vor Gericht vertritt. Der Anwalt kann andererseits in seiner Tätigkeit als Angestellter entweder seinen Arbeitgeber oder aber Kunden seines Arbeitgebers vertreten.

4.3 Da das Anwaltsrecht bisher kantonalrechtlich geregelt war, hatte das Bundesgericht sich mit der Problematik der anwaltlichen Unabhängigkeit nicht umfassend und jedenfalls nicht mit freier Kognition zu befassen. Diesbezügliche Fragen konnten ihm im Wesentlichen bloss im Rahmen von staatsrechtlichen Beschwerden unterbreitet werden, wobei jeweilen zu prüfen war, ob mit dem Gebot der anwaltlichen Unabhängigkeit begründete Beschränkungen der Anwaltstätigkeit mit den angerufenen verfassungsmässigen Rechten (insbesondere der Wirtschaftsfreiheit) vereinbar waren. Immerhin wurden in dieser Rechtsprechung die Konturen des Begriffs der Unabhängigkeit abgesteckt.

4.3.1 Das Bundesgericht hat eine kantonale Norm wegen Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit aufgehoben, welche bestimmte, dass die Anwaltstätigkeit unvereinbar sei mit jeder anderen Erwerbstätigkeit, welche diejenige als Anwalt überwiegt. Es erachtete zwar das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel, die Qualität der Dienstleistung und die Unabhängigkeit des Anwalts sicherzustellen, als zulässig, qualifizierte die Massnahme aber als unverhältnismässig, weil sie ohne Notwendigkeit Anwälte benachteilige, die freiwillig oder gezwungenermassen die Anwaltstätigkeit nur in einem Teilpensum ausübten; sie sei einerseits nur bedingt geeignet zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels und schiesse andererseits über dieses hinaus (Urteil P.1175/1985 vom 18. Oktober 1985, publ. in: RDAF 1986 S. 157, E. 4b und c S. 161 ff.). Aus den gleichen Überlegungen hat das Bundesgericht die staatsrechtliche Beschwerde eines hauptberuflich als Leiter der Schadensabteilung einer Versicherung angestellten Anwalts insofern teilweise gutgeheissen, als der Kanton Tessin ihm die Zulassung zum Anwaltsberuf vollständig verweigern und ihm unterschiedslos jegliche Nebentätigkeit als Anwalt untersagen wollte (RDAT 1997 II Nr. 10 S. 14, E. 6b S. 23 ff.). Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist ein Verbot, einem angestellten Anwalt die Parteivertretung vor Gericht generell und selbst für den Fall zu untersagen, dass ein Mandat in keinem Zusammenhang zu seiner Tätigkeit als Angestellter steht, unzulässig.

BGE 130 II 87 S. 97

4.3.2 Ein absolutes Verbot, den eigenen Arbeitgeber als Anwalt vor Gerichten zu vertreten, hat das Bundesgericht unter dem Gesichtswinkel der (finanziellen) Unabhängigkeit - ausdrücklich (RDAT 1997 II Nr. 10 S. 14, E. 6b/cc S. 26 f.; vgl. auch BGE 123 I 193 E. 4b S. 198; Pra 90/2001 Nr. 141 S. 835, E. 4a/aa S. 839) oder implizit (Urteil P.370/1978 vom 17. Oktober 1980, E. 4c, e contrario) - als

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verfassungskonform erachtet (s. dazu FRANZ WERRO, Les conflits d'intérêts de l'avocat, in: Festschrift des Schweizerischen Anwaltsverbands 1998, a.a.O., S. 241; ALBERT-LOUIS DUPONT-WILLEMIN, a.a.O., S. 14 ff.). Gemeint ist damit der Fall, dass der Angestellte der Unternehmung formell als deren Anwalt auftritt. Nicht berührt davon ist hingegen die Frage, ob eine Unternehmung sich durch eigene Arbeitnehmer mit Organfunktion, die über ein Anwaltspatent verfügen, vertreten lassen darf. Soweit kein Anwaltszwang besteht, dürfte dem nichts entgegenstehen; der Arbeitnehmer kann dabei aber nicht die Stellung eines Anwalts beanspruchen.

4.3.3 In Bezug auf die Vertretung von Kunden des Arbeitgebers eines Anwalts hat das Bundesgericht in seiner Rechtsprechung zur Handels- und Gewerbefreiheit bzw. zur Wirtschaftsfreiheit eine differenzierte Haltung eingenommen (s. Zusammenfassung in BGE 123 I 193 E. 4b S. 197 f.; ferner BBl 1999 S. 6037 f.). Als ausschlaggebend erscheint das Kriterium des Interessenkonflikts. Übernimmt der angestellte Anwalt ein Mandat eines Kunden seines Arbeitgebers, tut er dies - auch - im Interesse seines Arbeitgebers, der ihm gegenüber aus dem Arbeitsverhältnis weisungsbefugt ist. Die Ausübung eines Mandats unter dem Einfluss des Arbeitgebers ist mit dem Erfordernis der anwaltlichen Unabhängigkeit nicht vereinbar und darf untersagt werden. Die Möglichkeit der Vertretung von mit dem Arbeitgeber in Beziehung stehenden Personen ist dagegen von der Rechtsprechung nicht vollständig ausgeschlossen worden, sofern im Einzelfall als sichergestellt erscheint, dass der Anwalt das Mandat führen kann, ohne dass er dabei durch ein möglicherweise vom Interesse des Klienten abweichendes Interesse des Arbeitgebers beeinflusst wird. So nahm das Bundesgericht im Falle des von einer Gewerkschaft angestellten und entlöhnten Anwalts an, das Prinzip der (finanziellen) Unabhängigkeit des Anwalts sei nicht verletzt, wenn dieser Mitglieder der Gewerkschaft berät und vor Gerichten vertritt (Urteil P.370/1978 vom 17. Oktober 1980). Im Fall eines Anwalts, der gegen eine

BGE 130 II 87 S. 98 Pauschalent schädigung für eine soziale Institution tätig war, welche Bedürftigen

unentgeltliche Rechtsberatung sowie Vertretung im Prozess gewährte, wobei er auch das Alimenteninkasso zu besorgen hatte, nahm das Bundesgericht an, die Unabhängigkeit sei gewahrt, weil sich der Anwalt im Arbeitsvertrag die Art und Weise der Durchführung des Mandats ausdrücklich vorbehalten hatte und diesbezüglich keinerlei Weisungen unterlag (BGE 113 Ia 279 E. 2 S. 282 f.). Demgegenüber bestätigte das Bundesgericht einen kantonalen Entscheid, womit einem leitenden Angestellten einer Rechtsschutzversicherung untersagt wurde, als Anwalt Kunden der Arbeitgeberin zu vertreten (BGE 123 I 193). Ebenso schützte es einen Entscheid, mit welchem die kantonale Behörde annahm, ein bei einer Treuhandgesellschaft angestellter Rechtsanwalt habe das Unabhängigkeitsgebot verletzt; dieser hatte in einem Gerichtsverfahren als Rechtsvertreter einer Klientin Briefpapier verwendet, auf welchem nebst seinem Namen seine Arbeitgeberin aufgeführt war (Pra 90/2001 Nr. 141 S. 835). Wohl schloss das Bundesgericht nicht aus, dass auch bei derartigen Anstellungsverhältnissen im Einzelfall eine Vertretung von Kunden des Arbeitgebers ohne Beeinträchtigung der anwaltlichen Unabhängigkeit möglich sei.

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Es hielt aber dafür, dass angesichts der besonderen Natur der Geschäftstätigkeit von Unternehmungen wie (Rechtsschutz-)Versicherungen, Treuhandgesellschaften, Banken usw. die Gefahr der Divergenz der Interessen des Klienten und der Arbeitgeberin und damit die Möglichkeit einer Gefährdung der Unabhängigkeit und der eigenverantwortlichen Berufsausübung als Anwalt augenscheinlich sei (BGE 123 I 193 E. 4e S. 199 ff.); im Interesse einer klaren, transparenten und auch für den Rechtsuchenden überblickbaren Ordnung erweise sich der generelle Ausschluss der von Treuhandgesellschaften oder anderen (gewinnorientierten) Unternehmungen angestellten Anwälte von der Monopoltätigkeit als geeignet und verhältnismässig, um die Unabhängigkeit des Anwaltsstandes zu gewährleisten (Pra 90/2001 Nr. 141 S. 835, E. 4c S. 842 f.). Im gleichen Zusammenhang hat das Bundesgericht auch die Bedeutung des Anwaltsgeheimnisses hervorgehoben, dessen Einhaltung durch einen angestellten Anwalt im Rahmen der Unternehmensorganisation nur schwer gewährleistet werden kann (s. dazu Voten von Nationalrat Suter, AB 1999 N 1560 f, S. 1566; ferner BENOÎT CHAPPUIS, La pratique du barreau au sein d'une personne morale - Réflexions de lege

BGE 130 II 87 S. 99 ferenda sous l'angle de l'indépendance de l'avocat, in: Anwaltsrevue 8/2003 S.

261 ff., insbes. S. 263).

4.3.4 Nie problematisiert wurde in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, soweit ersichtlich, die Frage der Unabhängigkeit von Anwälten, die bei Anwaltsbüros angestellt sind; diesfalls bietet der Arbeitgeber hinsichtlich der Pflicht zur Unabhängigkeit (wie auch in Bezug auf das Anwaltsgeheimnis) selber die notwendigen Garantien.

4.4 Vor Inkrafttreten des Anwaltsgesetzes wurde in der Literatur die Tätigkeit von angestellten Anwälten im Monopolbereich grossenteils abgelehnt und insbesondere hinsichtlich der Vertretung von Kunden des Arbeitgebers als mit dem Unabhängigkeitsgebot grundsätzlich unvereinbar erachtet. Gewisse Autoren hielten die Tätigkeit von angestellten Anwälten im Monopolbereich für zulässig, sofern sich der Anwalt von seinem Arbeitgeber vertraglich eine unabhängige Berufsausübung ausbedungen hatte (s. Übersicht in Pra 90/2001 Nr. 141 S. 835, E. 4a/bb S. 839 f.). Unterschiedlich gehandhabt wurde die Zulassung von angestellten Anwälten zur Monopoltätigkeit in den Kantonen (s. Übersicht in BGE 123 I 193 E. 4a S. 196 f.; ferner Zusammenstellung in der Botschaft zum Anwaltsgesetz, BBl 1999 S. 6033 f.). Hervorzuheben ist die Praxis der Zürcher Aufsichtsbehörde, wonach es dem angestellten Anwalt gestattet ist, Kunden seines Arbeitgebers (selbst einer Treuhandgesellschaft) vor Gericht zu vertreten; Voraussetzung ist, dass durch schriftlichen Vertrag mit dem Arbeitgeber jene Kautelen vereinbart werden, die für die unabhängige Berufsausübung und zur Einhaltung der Standespflichten unerlässlich sind (ZR 79/1980 Nr. 126 S. 265 ff.).

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5.

5.1

5.1.1 Die vorstehend wiedergegebenen Überlegungen bildeten, was den Gesichtspunkt der Unabhängigkeit des Anwalts betrifft, weitgehend auch die Grundlage für die Ausarbeitung des Anwaltsgesetzes.

In Berücksichtigung der Stellungnahmen zu einem ersten Entwurf sowie im Hinblick darauf, dass eine mögliche Entwicklung auf dem Anwaltsmarkt nicht blockiert werden solle, wurde vorerst eine Formulierung gewählt (Art. 7 lit. e in Verbindung mit Art. 11 lit. b des Entwurfs), die es den kantonalen Aufsichtsbehörden und

BGE 130 II 87 S. 100 den Gerichten ermöglicht hätte, die Konturen der Unabhängigkeit zu bestimmen

(vgl. BBl 1999 S. 6038 f., Ziff. 172.17). Ein angestellter Anwalt sollte ins Register eingetragen werden können, und beim Eintrag ins Anwaltsregister eines "liberalen" Kantons wäre es den anderen Kantonen verwehrt geblieben, ihm das Recht zur Parteivertretung vor ihren Gerichten auf Grund seiner Eigenschaft als Angestellter zu verweigern (BBl 1999 S. 6054 f., Ziff. 233.22).

In der parlamentarischen Beratung wurde teils die Auffassung vertreten, dass für die Frage der Unabhängigkeit allein der konkrete Fall massgeblich sei, nicht aber die Organisationsstruktur und damit etwa die Tatsache, dass ein Anwalt angestellt sei (Votum Hochreutener, AB 1999 N 1557); es liege im Übrigen im Interesse des Kunden einer ihn umfassend beratenden Unternehmung, dass auch deren Angestellte die allenfalls notwendig werdende Vertretung vor Gericht besorgten (Votum Nabholz, AB 1999 N 1557 f.). Nach intensiven Diskussionen (AB 1999 N 1556-1566) setzte sich jedoch eine restriktive Auslegung der Unabhängigkeit durch, womit gleichzeitig den Kantonen wenig Spielraum belassen wurde. Der Wortlaut von Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA drückt unmissverständlich den Willen der Parlamentsmehrheit aus, dass ein Anwalt im Angestelltenverhältnis den für die Tätigkeit im Monopolbereich erforderlichen Registereintrag nicht beanspruchen kann, es sei denn, der Arbeitgeber sei seinerseits ein im Register eingetragener Anwalt. Es besteht insofern bei (nicht von Anwälten) angestellten Anwälten eine (unter bestimmten Voraussetzungen allerdings widerlegbare, s. nachfolgend E. 5.2) Vermutung des Fehlens der Unabhängigkeit; diese wird im neuen Anwaltsgesetz strukturell, institutionell umschrieben (BEAT HESS, Umsetzung des Bundesgesetzes über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte [BGFA] durch die Kantone, SJZ 98/2002 S. 485 ff., insbes. S. 489; s. für Begriff " institutionelle Unabhängigkeit" Votum Baumberger, AB 1999 N 1559). Was die Ausnahme von Art. 8 Abs. 2 BGFA betrifft, ist zu berücksichtigen, dass das Parlament diese bewusst auf "anerkannte gemeinnützige Organisationen" beschränkt und damit auf den weiter gefassten Begriff "nicht gewinnorientierte Organisationen" verzichtet hat, was insbesondere zur Folge haben dürfte, dass beispielsweise bei Mieterverbänden oder Gewerkschaften angestellte Anwälte Mitglieder ihres Arbeitgebers nicht in Gerichtsverfahren vertreten können, für welche das Anwaltsmonopol gilt (vgl. AB 1999 S 1165 ff.; AB 2000 N 41). Allerdings fielen bisher Verfahren

BGE 130 II 87 S. 101

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gerade in diesen Bereichen nach den kantonalen Prozessordnungen vielfach nicht unter das Anwaltsmonopol; und diesbezüglich besteht im Sinne von Art. 3 Abs. 2 BGFA weiterhin Raum für (allein die Vertretung vor Gerichten des jeweiligen Kantons betreffende) kantonale Regelungen.

5.1.2 Die in der Ratsdebatte zum Ausdruck kommende Befürchtung, eine restriktive Handhabung des Registereintrags im Zusammenhang mit der Unabhängigkeitsfrage führe zu einer Inländerdiskriminierung (Votum Nabholz, AB 1999 N 1558), entbehrt der Grundlage. Es kann hierzu auf die Abschnitte 4 und 5 des Anwaltsgesetzes verwiesen werden, wo die vorübergehende Ausübung bzw. die ständige Ausübung des Anwaltsberufs durch Anwälte aus Mitgliedstaaten der EU oder EFTA geregelt wird. Insbesondere gelten für sie gemäss Art. 25 bzw. Art. 27 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 25 BGFA die Berufsregeln nach Art. 12 BGFA, mithin auch das Gebot der Unabhängigkeit (s. auch Art. 30 Abs. 2 BGFA). Die Regelung steht im Einklang mit dem Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (Freizügigkeitsabkommen, FZA; SR 0.142.112.681). Art. 19 von Anhang I zum FZA hält ausdrücklich fest, dass der Dienstleistungserbringer seine Tätigkeit in einem Staat unter den gleichen Bedingungen ausüben kann, wie dieser Staat sie für seine eigenen Staatsangehörigen vorschreibt; zugleich verweist er auf Anhang III, wo unter B.3. die Richtlinien 77/249/ EWG (betreffend vorübergehende Dienstleistungserbringung) und 98/5/EG (betreffend ständige Dienstleistungserbringung bzw. Niederlassung) erwähnt sind. Was speziell angestellte Anwälte betrifft, bestimmt Art. 8 der Richtlinie 98/5/EG, dass der in einem Anstellungsverhältnis stehende ausländische Rechtsanwalt die Zulassung nur beanspruchen kann, wenn der Aufnahmestaat dies für die unter der Berufsbezeichnung dieses Mitgliedstaats eingetragenen Rechtsanwälte in gleicher Lage gestattet. Sodann erlaubt Art. 6 der Richtlinie 77/249/EWG jedem Mitgliedstaat, die im Gehaltsverhältnis stehenden Rechtsanwälte, die durch einen Arbeitsvertrag an ein staatliches oder privates Unternehmen gebunden sind, von der Ausübung der Tätigkeiten der Vertretung und Verteidigung im Bereich der Rechtspflege für dieses Unternehmen insoweit auszuschliessen, als die in diesem Staat ansässigen Rechtsanwälte diese Tätigkeiten nicht ausüben dürfen. Beiden Richtlinien liegt der

BGE 130 II 87 S. 102 Grundsatz der Inländerbehandlung zugrunde. Die ausländischen Anwälte, die in

einem Vertragsstaat tätig werden wollen, sind ihren inländischen Berufskollegen insbesondere in Bezug auf die Berufspflichten (wie das Unabhängigkeitsgebot) gleichgestellt (Art. 6 der Richtlinie 98/5/EG; Art. 4 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 77/249/EWG; vgl. dazu DAVID EINHAUS, Die Richtlinie 98/5/EG zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs im Ausland - Auswirkungen und Prognosen, in: Das künftige Berufsbild des Anwalts in Europa, a.a.O., S. 33 ff.; FRITZ ROTHENBÜHLER, Dienstleistungsfreiheit und Berufsanerkennung, insbesondere für Rechtsanwälte, in: Die sektoriellen Abkommen Schweiz-EG. Ausgewählte Fragen zur Rezeption und Umsetzung der Verträge vom 21. Juni 1999 im schweizerischen Recht, Berner Tage für die juristische Praxis, Bern 2002, S. 95 ff., insbes. S. 104 ff., 114 ff.).

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5.2 Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA nennt als persönliche Voraussetzung des

Registereintrags die Unabhängigkeit des Anwalts und verknüpft dieses Erfordernis mit dem Zusatz: "Sie können Angestellte nur von Personen sein, die ihrerseits in einem kantonalen Register eingetragen sind." Nach diesem Wortlaut könnte das Gesetz so verstanden werden, dass jeder in einem Anstellungsverhältnis stehende Anwalt, dessen Arbeitgeber nicht selber als Anwalt eingetragen ist, ungeachtet dessen, ob es sich um eine Voll- oder um eine Teilzeitanstellung handelt, und ohne Rücksicht darauf, ob und wieweit die Auswahl der Klienten und die Art der Mandate mit dem Anstellungsverhältnis zusammenhängt, vom Registereintrag ausgeschlossen wäre. Eine derartige Auslegung des Gesetzes hätte zur Folge, dass es selbst jenen Anwälten, die neben einer bloss teilzeitlichen Erwerbstätigkeit als Angestellter noch eine selbständige Anwaltstätigkeit ausüben wollen, verwehrt wäre, von der mit dem Registereintrag verbundenen interkantonalen Freizügigkeit (vgl. Art. 6 Abs. 1 BGFA) zu profitieren; darüber hinaus würde ihnen, trotz des Vorbehalts von Art. 3 Abs. 2 BGFA, wohl auch in den meisten Kantonen die Parteivertretung vor deren eigenen Gerichtsbehörden untersagt. Damit hätte das Anwaltsgesetz, welches immerhin gerade auch eine Liberalisierung bezweckte, eine Beschränkung der Wirtschaftsfreiheit zur Folge, die sich in ihrem Ausmass nicht mehr durch ein öffentliches Interesse rechtfertigen liesse (vorne E. 4.3.1).

Abgesehen davon, dass der Wortlaut von Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA nicht zwingend eine derartige Auslegung verlangt, gibt es keine

BGE 130 II 87 S. 103 Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber, der sich von der

bundesgerichtlichen Rechtsprechung leiten liess, dies gewollt haben könnte. Selbst Parlamentarier, die sich für einen restriktiven Unabhängigkeitsbegriff einsetzten, wollten Teilzeitangestellte nicht von der Tätigkeit im Monopolbereich ausschliessen (Votum Jutzet, AB 2000 N 38). Institutionell verstandene Unabhängigkeit bedeutet denn auch bloss, dass das Fehlen der Unabhängigkeit bei Mandaten zu vermuten ist, die in irgend einem Zusammenhang mit der Anstellung stehen; so bei der Vertretung des Arbeitgebers selber oder von mit diesem verbundenen Unternehmungen sowie bei der Vertretung von dessen Kunden. Berät und vertritt der Anwalt hingegen Klienten, die in keinerlei Beziehung zu seinem Arbeitgeber stehen, erscheint die anwaltliche Unabhängigkeit nicht beeinträchtigt, soweit keine zusätzlichen entsprechenden Indizien vorliegen. Für solche Verhältnisse darf in der Regel auf Unabhängigkeit geschlossen werden. Das Gesetz ist daher so auszulegen, dass der Anwalt für seine Tätigkeit als Anwalt in keinem Angestelltenverhältnis mit einem Arbeitgeber stehen darf, der nicht selber als Anwalt im Register eingetragen ist. Der bei einem diese Voraussetzung nicht erfüllenden Arbeitgeber angestellte Anwalt kann aber die verlangte Unabhängigkeit ebenfalls aufweisen, wenn er seine Anwaltstätigkeit ausserhalb dieses Angestelltenverhältnisses ausübt und sich auf Mandate beschränkt, die auch klar ausserhalb des Tätigkeitsbereichs seines Arbeitgebers liegen (vgl. BEAT HESS, a.a.O., S. 490; LUCIEN W. VALLONI / MARCEL C. STEINEGGER, a.a.O., S. 46). Für eine derartige teilzeitliche selbständige Anwaltstätigkeit besteht daher grundsätzlich Anspruch auf Eintragung ins

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Anwaltsregister, sofern die übrigen gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind und den durch die Anstellung bewirkten Besonderheiten Rechnung getragen wird.

Bei der Prüfung von Gesuchen um Registereintrag hat die zuständige Behörde zu berücksichtigen, dass auch der ausschliesslich selbständig tätige Anwalt Interessenkonflikten ausgesetzt sein kann. Jeder Anwalt hat auch nach der Eintragung ins Register das Unabhängigkeitsgebot von Art. 12 lit. b BGFA zu beachten und muss im Einzelfall abschätzen, ob ein Interessenkonflikt vorliegt. Das wirkt sich auf den beim Entscheid über den Registereintrag anzuwendenden Beurteilungsmassstab aus. Die Anforderungen an die Unabhängigkeit dürfen auch beim Anwalt, der bei einer Unternehmung angestellt ist, nicht so hoch angesetzt werden, dass dieser

BGE 130 II 87 S. 104 nachzuweisen hätte, dass jegliche künftige Beeinträchtigung der Unabhängigkeit

zum Vornherein ausgeschlossen ist. Die Behörde hat sich vielmehr zu vergewissern, dass die Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses des Anwalts und die im Hinblick auf die selbständige Tätigkeit getroffenen organisatorischen Vorkehrungen eine Beeinflussung durch die Interessen des Arbeitgebers verunmöglichen und auch sonst der korrekten Ausübung des Anwaltsmandats in keiner Weise entgegenstehen.

6.

6.1 Die kantonale Aufsichtsbehörde trägt einen Anwalt ins kantonale Anwaltsregister ein, wenn sie festgestellt hat, dass die fachlichen und persönlichen Voraussetzungen hiefür erfüllt sind (Art. 6 Abs. 2 BGFA). Der Anwalt ist dementsprechend verpflichtet, seinem Gesuch sämtliche Bescheinigungen beizufügen, welche belegen, dass die Voraussetzungen nach Art. 8 BGFA erfüllt sind (Art. 5 Abs. 1 lit. c BGFA). Erforderlich ist die Angabe einer Geschäftsadresse (Art. 5 Abs. 1 lit. d BGFA). Im Hinblick auf Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA muss der angestellte Anwalt insbesondere vollständige Angaben über sein Arbeitsverhältnis beibringen, soweit sie für die Unabhängigkeitsfrage von Belang sein können. Angesichts des engen Zusammenhangs zwischen Unabhängigkeit und Berufsgeheimnis bei angestellten Anwälten (vorne E. 4.3.3 am Ende) darf der Registereintrag sodann auch davon abhängig gemacht werden, dass der Anwalt die von ihm getroffenen Vorkehrungen aufzeigt, die ihm die Wahrung des Berufsgeheimnisses trotz seiner Anstellung erlauben. Wer als angestellter Anwalt, dessen Arbeitgeber nicht selber ins Register eingetragen ist, in ein kantonales Register eingetragen werden und damit die Befugnis erhältlich machen will, in sämtlichen übrigen Kantonen ohne zusätzliche Bewilligung als unabhängiger Anwalt tätig zu werden, hat für klare Verhältnisse zu sorgen.

6.2 Ein angestellter Anwalt wird sich insbesondere dann ins kantonale Anwaltsregister eintragen lassen wollen, wenn er neben einer Teilzeitanstellung als unabhängiger Anwalt tätig werden will. Auch vollzeitlich bei einer Unternehmung angestellte Anwälte gehen indessen in ihrer Freizeit gelegentlich einer unabhängigen Anwaltstätigkeit nach. Der Umstand einer Vollzeitanstellung allein spricht nicht gegen die Zulässigkeit des Registereintrags. Das Argument,

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wer vollzeitlich angestellt sei, biete mangels zeitlicher Kapazität keine Gewähr für eine korrekte Mandatsführung, trifft

BGE 130 II 87 S. 105 so nicht zu. Auch beim ausschliesslich freierwerbenden Anwalt besteht die

Gefahr der Überlastung. Es ist so oder anders Sache des Anwalts, bei der Mandatsübernahme den Zeitbedarf, die vorhandenen Kapazitäten und auch die Wahrscheinlichkeit allfälliger Dringlichkeitssituationen abzuschätzen.

Gegen die Zulassung von Vollzeitangestellten zur nebensächlichen Berufsausübung als Rechtsanwalt lässt sich auch nicht einwenden, diese könnten sich der Pflicht zur Übernahme von Offizialmandaten entziehen. Einerseits könnte dies nur dann problematisch sein, wenn nicht genügend vollzeitlich freierwerbende Anwälte zur Verfügung stehen, die (finanziell) an derartigen Mandaten interessiert sind. Andererseits wird der nur nebenbei als freischaffender Anwalt Tätige die Übernahme solcher Mandate zwar nicht generell ablehnen dürfen, sich aber gegen eine übermässige entsprechende Beanspruchung legitimerweise zur Wehr setzen können (vgl. Urteil 2P.248/2001 vom 20. Dezember 2001, publ. in: Pra 91/2002 Nr. 50 S. 267).

Ausschlaggebend ist letztlich allein, ob der Anwalt darlegen kann, dass angesichts der Ausgestaltung seines Anstellungsverhältnisses keine Beeinträchtigung seiner Unabhängigkeit bzw. der gewissenhaften und allein im Interesse seiner Klienten liegenden Berufsausübung droht.

6.3

6.3.1 Der Beweis dafür, dass dem Arbeitgeber jegliches Weisungsrecht bezüglich der von seinem Angestellten in dessen Eigenschaft als selbständiger Anwalt betreuten Klienten abgeht und ihm auch kein Einsichtsrecht zusteht, kann und soll (jedenfalls bei Vollzeitangestellten) in der Regel durch Vorlage eines entsprechend formulierten Arbeitsvertrags bzw. allfälliger ergänzender Klauseln dazu erbracht werden. Das Bundesgericht hat sich zum möglichen Inhalt solcher vertraglicher Bestimmungen im bereits erwähnten Urteil 2P.151/1995 (RDAT 1997 II Nr. 10 S. 14) geäussert und dabei auf einen Entscheid der Zürcher Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte (publ. in: ZR 79/1980 Nr. 126 S. 265 ff.) verwiesen. Darauf kann abgestellt werden. Im Einzelnen sind folgende Punkte hervorzuheben:

Insbesondere bei vollamtlicher Anstellung muss aus dem Arbeitsvertrag oder aus einer Erklärung des Arbeitgebers hervorgehen, dass dieser über die nebenberufliche selbständige Anwaltstätigkeit

BGE 130 II 87 S. 106 seines Angestellten im Bilde und damit einverstanden ist. Ebenso muss

klargestellt sein, dass der Arbeitgeber keinen Einfluss auf diese Anwaltstätigkeit nehmen kann und dass weder er oder ihm nahe stehende Unternehmungen noch seine Kunden oder sonstige Geschäftspartner, sofern die Art der Beziehung dieser Personen zum Arbeitgeber für die Unabhängigkeit der Mandatsführung nicht zum Vornherein irrelevant erscheint, die anwaltlichen Dienstleistungen des Angestellten in Anspruch nehmen können. Auch die allfällige Führung von Mandaten gegen den Arbeitgeber oder dessen Kunden muss ausgeschlossen sein. Weiter soll dargetan sein, dass dem Arbeitgeber gegenüber keine

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Verpflichtungen bestehen, die den Anwalt davon abhalten könnten, den anwaltlichen Berufspflichten vollumfänglich nachzukommen und namentlich das Anwaltsgeheimnis zu wahren. So darf keine irgendwie geartete Auskunftspflicht gegenüber dem Arbeitgeber betreffend die ausgeübten Mandate bestehen. Des Weiteren muss das Verhältnis zum übrigen Personal des Arbeitgebers geklärt sein; es soll zumindest implizit ausgeschlossen werden, dass vom Arbeitgeber des Anwalts angestelltes und entlöhntes Personal Anwaltskanzleiarbeiten für den Anwalt ausübt.

Bei Teilzeitangestellten kann dann davon abgesehen werden, die Vorlage eines entsprechend ausgestalteten Arbeitsvertrags zu verlangen, wenn schon angesichts der Natur der Branche, in welcher der Arbeitgeber tätig ist, und der Art der Aufgaben, die der nebenberuflich den Anwaltsberuf ausübende Angestellte in der Unternehmung wahrnimmt, davon auszugehen ist, dass die Unabhängigkeit der Anwaltstätigkeit durch das Angestelltenverhältnis nicht beeinträchtigt werden kann.

6.3.2 Neben der Ausgestaltung des Arbeitsvertrags sind weitere Punkte von Bedeutung. Auf der Hand liegt die Notwendigkeit von Vorkehrungen für eine strikte Trennung von Vermögenswerten der Klienten nicht nur vom eigenen Vermögen des Anwalts (vgl. Art. 12 lit. h BGFA), sondern erst recht vom Vermögen von dessen Arbeitgeber. Auch unter dem Gesichtspunkt des Anwaltsgeheimnisses muss der Anwalt aufzeigen, dass er die Möglichkeit hat, die Akten von Anwaltsmandaten gesondert und für Organe, Vertreter oder Angestellte des Arbeitgebers unzugänglich aufzubewahren. Wenn Art. 5 Abs. 1 lit. d BGFA vorschreibt, dass im Anwaltsregister die Geschäftsadresse des Anwalts angegeben werden muss, ist dies nicht nur im Hinblick auf dieses letztgenannte

BGE 130 II 87 S. 107 Element, sondern allgemein unter dem Aspekt der "institutionellen" Natur der

Unabhängigkeit von Bedeutung. In der Tat ist nur schwer vorstellbar, dass der Anwalt für eigene Klienten in einer den Anforderungen des Unabhängigkeitsgebots genügenden Weise und unter vollständiger Wahrung des Anwaltsgeheimnisses tätig werden kann, wenn er seine Anwaltstätigkeit in den gleichen Räumlichkeiten ausübt, die ihm von seinem Arbeitgeber für die unselbständige Erwerbstätigkeit zugewiesen sind, und er dort beispielsweise Klienten empfängt. Jedenfalls ist eine auch in der räumlichen Organisation zum Ausdruck kommende Trennung von unselbständiger und selbständiger Tätigkeit unerlässlich. Dies setzt, wie das Bundesamt für Justiz in seiner Stellungnahme ausführt, grundsätzlich voraus, dass die Geschäftsadresse des Anwalts sich in einem Lokal befindet, das von den Räumlichkeiten seines Arbeitgebers verschieden ist.

6.4 Nicht näher einzugehen ist im vorliegenden Verfahren auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen bei öffentlichrechtlichen Körperschaften angestellte Personen sich für eine nebenberufliche Tätigkeit ins Anwaltsregister eintragen lassen können. Jedenfalls erscheint auch für derartige Fälle ein Registereintrag anwaltsrechtlich nicht grundsätzlich unzulässig, doch lassen sich angesichts der möglichen Verschiedenheiten der Verhältnisse allgemeingültige Kriterien nicht ohne weiteres aufstellen.

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7. Der Beschwerdegegner ist bei einer Arbeitgeberin angestellt, die nicht im

Anwaltsregister eingetragen ist. Er hat im kantonalen Rekursverfahren in seiner Rekursantwort unter Berufung auf ein Gespräch mit dem Vertreter des Beschwerdeführers dargelegt, dass er zu keiner Zeit beabsichtige, seine Arbeitgeberin oder deren Kunden in irgendeiner Art und Weise anwaltlich (vor Gericht) zu vertreten; selbstverständlich werde darüber hinaus keine Vertretung in Betracht gezogen, in welcher ein noch so entfernter Interessenkonflikt zur Arbeitgeberin entstehen könne; es gehe ihm einzig darum, in privatem Rahmen, beispielsweise für Familienmitglieder oder Freunde, allenfalls gerichtlich auftreten zu können. Nähere Angaben über das Arbeitsverhältnis hat der Beschwerdegegner zu keinem Zeitpunkt gemacht, weil er sich auf den Standpunkt stellt, dass das Arbeitsverhältnis für die Behandlung des Eintragungsgesuchs nicht massgeblich sei. Weder äussert er sich über seinen Beschäftigungsgrad, noch legt er eine Bestätigung der Arbeitgeberin vor, dass diese über seine nebenberufliche

BGE 130 II 87 S. 108 selbständige Anwaltstätigkeit informiert und damit einverstanden ist. Es lässt

sich insbesondere nicht feststellen, ob die Arbeitgeberin ihm irgendwelche diesbezügliche Auflagen macht. Der Beschwerdegegner hat es unterlassen, im erforderlichen Masse klare Verhältnisse zu schaffen. Gründe dafür, ihn von dieser grundsätzlichen Pflicht zu entbinden, bestehen keine:

Wenn er ausführt, er gedenke bloss in wenigen Fällen Bekannte oder Familienangehörige vor Gericht zu vertreten, so übersieht er, dass ihm mit dem Registereintrag ohne zusätzliche Überprüfung und ohne jegliche Einschränkung die (gewerbsmässige) Anwaltstätigkeit im Monopolbereich in sämtlichen Kantonen gestattet wird. Für eine derart weitgehende Ermächtigung müssen sämtliche Voraussetzungen, insbesondere die institutionell verstandene Unabhängigkeit, klar und nachweisbar erfüllt sein; verzichtet der Anwalt darauf, die hiefür notwendigen Angaben zu machen, kann er nicht beanspruchen, eingetragen zu werden. Will der Beschwerdegegner tatsächlich bloss ganz vereinzelt Bekannte vor Gericht vertreten, sollte ihm dies auch ohne Registereintrag möglich sein; diesfalls ist ihm zuzumuten, gestützt auf seinen Fähigkeitsausweis im (seltenen) Einzelfall bei der zuständigen kantonalen Behörde eine Ermächtigung einzuholen.

Unbehelflich ist der vor Bundesgericht erhobene Einwand, ein Anwalt könne sich ins Anwaltsregister eintragen lassen und erst kurz darauf ein Arbeitsverhältnis eingehen. Richtigerweise wird in einem solchen Fall die Aufsichtsbehörde, wenn sie vom Anstellungsverhältnis Kenntnis erhält, vom Betroffenen die notwendigen Auskünfte einholen und gegebenenfalls die Löschung im Register veranlassen (vgl. Art. 9 BGFA). Im Übrigen wäre der Anwalt wohl gestützt auf Art. 12 lit. a BGFA verpflichtet, der Aufsichtsbehörde Änderungen der Verhältnisse bekannt zu geben, die für die Frage der Unabhängigkeit von Bedeutung sein könnten.

Der Beschwerdeführer macht nach dem Gesagten zu Recht geltend, der Beschwerdegegner erfülle die Voraussetzungen für einen Registereintrag nicht bzw. habe den Nachweis hiefür nicht erbracht.

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8. Es bleibt damit zu prüfen, ob der Beschwerdegegner den Registereintrag gestützt auf Art. 36 BGFA erwirken kann, wovon offenbar die Aufsichtskommission in ihrem Beschluss vom 20. August 2002 ausging.

BGE 130 II 87 S. 109

8.1 Art. 36 BGFA hält fest, dass Personen, die auf Grund bisherigen kantonalen Rechts über ein Anwaltspatent verfügten, ins kantonale Anwaltsregister einzutragen sind, sofern sie in den anderen Kantonen nach Art. 196 Ziff. 5 BV eine Berufsausübungsbewilligung erhalten hätten. Als Übergangsbestimmung zu Art. 95 BV verpflichtet Art. 196 Ziff. 5 BV die Kantone bis zum Erlass einer Bundesgesetzgebung zur gegenseitigen Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen. Gemäss Art. 95 Abs. 2 BV sorgt der Bund für einen einheitlichen schweizerischen Wirtschaftsraum und gewährleistet, dass Personen mit einer wissenschaftlichen Ausbildung oder mit einem eidgenössischen, kantonalen oder kantonal anerkannten Ausbildungsabschluss ihren Beruf in der ganzen Schweiz ausüben können.

8.2 Art. 36 BGFA regelt als Übergangsbestimmung die Anerkennung von Anwaltspatenten, die möglicherweise den Voraussetzungen nicht genügen, welche nunmehr nach dem Anwaltsgesetz gelten. Nach seinem Wortlaut, insbesondere durch die Bezugnahme auf Art. 196 Ziff. 5 BV und damit auf Art. 95 BV, geht es ausschliesslich um die Massgeblichkeit und Anerkennung von Fähigkeitsausweisen. Angesprochen sind damit die fachlichen Voraussetzungen für die Berufsausübung bzw. den Registereintrag im Sinne von Art. 7 BGFA, nicht hingegen die persönlichen Voraussetzungen gemäss Art. 8 BGFA. Dafür, dass der Gesetzgeber die Übergangsbestimmung in einer anderen, vom Wortlaut abweichenden Weise verstanden haben wollte, bedürfte es klarer Indizien, insbesondere in den Materialien, oder sonst triftiger Gründe.

Nun wird in der bundesrätlichen Botschaft bezeichnenderweise einzig das Beispiel des Anwalts erwähnt, der ein Anwaltspatent erwerben konnte, ohne dass er ein mindestens einjähriges Praktikum absolvieren musste (BBl 1999 S. 6070 f. zum zu Art. 36 BGFA gewordenen Art. 33 des Entwurfs). Gedacht wurde auch an die Berner Fürsprecher, die ihr Patent nach der alten Regelung noch erwarben, ohne ihre Ausbildung - formell - mit einem Lizenziat abgeschlossen zu haben (VALLONI/STEINEGGER, a.a.O., S. 64 Fn. 126). Es handelt sich dabei um fachliche Voraussetzungen. In der Literatur gilt soweit ersichtlich als unbestritten, dass jedenfalls derjenige Anwalt, der die - persönlichen - Voraussetzungen gemäss Art. 8 Abs. 1 lit. a-c BGFA nicht erfüllt, sich nicht auf Art. 36 BGFA berufen kann. Was das Erfordernis der Unabhängigkeit gemäss Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA betrifft, wird teils die Meinung

BGE 130 II 87 S. 110 vertreten, dass aufgrund einer hinsichtlich angestellter Anwälte liberalen

kantonalen Praxis bisher zugelassene Anwälte gestützt auf Art. 36 BGFA ins Register eingetragen werden müssten, selbst wenn sie die restriktivere Eintragungsvoraussetzung gemäss Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA nicht erfüllten (klar in dem Sinne HANS NATER, Steiniger Weg zur Harmonisierung des Anwaltsrechts in der Schweiz, in: SJZ 98/2002 S. 362 ff., 364; tendenziell ähnlich ISAAK MEIER, Bundesanwaltsgesetz: Probleme in der Praxis, in: Plädoyer 2000

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5 S. 30 ff., 40, unter Hinweis auf die vom Autor allerdings wohl zu liberal eingeschätzte bisherige bundesgerichtliche Praxis). Gegenteiliger Auffassung ist BEAT HESS (a.a.O., S. 493 f.); er erachtet es als ausgeschlossen, dass angestellte Anwälte, die aufgrund der in Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA zum Ausdruck kommenden Vermutung nicht als unabhängig gelten, übergangsrechtlich zu einem Registereintrag gelangen können. Diese Auffassung trifft zu: Wie bereits umfassend dargelegt worden ist, wurde vor und wird nach Inkrafttreten des Anwaltsgesetzes das Erfordernis der anwaltlichen Unabhängigkeit als zentrale Voraussetzung für die Berufsausübung (insbesondere im Monopolbereich) betrachtet. Mit der vom Gesetzgeber getroffenen Lösung wird das Unabhängigkeitsgebot mithin nicht neu eingeführt, sondern es wird bloss klargestellt, dass bei angestellten Anwälten grundsätzlich eine (widerlegbare) Vermutung für das Fehlen der Unabhängigkeit besteht. Mit der grossen Bedeutung des Unabhängigkeitsgebots nicht zu vereinbaren wäre, wenn ein Rechtsanwalt den Registereintrag beanspruchen und damit das Recht erwirken könnte, in der ganzen Schweiz vor Gerichten aufzutreten, ohne mit den erforderlichen Angaben und Unterlagen die erwähnte Vermutung widerlegt zu haben. Es ist kein einleuchtender Grund ersichtlich, Art. 36 BGFA - über dessen Wortlaut hinaus - eine derart weitgehende Wirkung beizumessen.

8.3 Der Beschwerdegegner kann auch aus Art. 36 BGFA kein Recht auf Registereintrag ableiten.

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2010–1035 1 Bericht zur Abschreibung der Motion 07.3281 der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht beantragen wir Ihnen, den folgenden parlamentarischen Vorstoss abzuschreiben: 2008 M 07.3281 Pflichten und Rechte von rechtsberatend oder forensisch tätigen Angestellten. Gleichstellung mit freiberuflichen Anwältinnen und Anwälten (N 19.6.07, Kommission für Rechtsfragen NR; S 2.6.08) Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung. … Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Doris Leuthard Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova Bericht 1 Ausgangslage Die Rechtsberatung ist in der Schweiz nicht allgemein geregelt. Innerhalb eines Unternehmens kann diese durch Personen mit oder ohne rechtswissenschaftlichen Abschluss wahrgenommen werden. Bis jetzt sind in der Schweiz bloss der Anwalts-beruf (auf Bundes- und Kantonsebene) und die Notariatstätigkeit (auf Kantons-ebene) normiert; mit Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die Patentanwältinnen und Patentanwälte (Patentanwaltsgesetz, PaG) und dessen Ausführungsbestimmun-gen wird die Regelung des Patentanwaltsberufs hinzukommen. Auf Bundesebene legt das Bundesgesetz über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (Anwaltsgesetz, BGFA, SR 935.61) die Grundsätze für die Ausübung des Berufs der freiberuflichen Anwältin und des freiberuflichen Anwalts in der Schweiz fest. Will eine Person Parteien vor Gerichtsbehörden vertreten, so muss sie sich in ein kantonales Anwaltsregister eintragen lassen (Art. 4 BGFA). Sie muss dafür über ein kantonales Anwaltspatent verfügen und weitere persönliche sowie fachliche Voraussetzungen erfüllen. In einem Unternehmen angestellte, rechtsberatend tätige Personen sind, selbst wenn sie über ein Anwaltspatent verfügen, nach geltendem Recht nicht zur Eintragung in ein kantonales Anwaltsregister zugelassen. Einzige Ausnahme bilden Angestellte von Personen, die ihrerseits in einem kantonalen Anwaltsregister eingetragen sind (vgl. Art. 8 Abs. 1 Bst. d BGFA). Auf Unternehmensjuristinnen und Unternehmensjuristen sind die spezifischen Berufsregeln des Anwaltsgesetzes nicht anwendbar.

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Insbesondere unterstehen in einem Unternehmen rechtsberatend tätige Personen nicht dem in Artikel 13 BGFA verankerten Berufs-geheimnis. Diese unterschiedliche Rechtslage einerseits für freiberufliche Anwältinnen und Anwälte und andererseits für Personen, welche in einem Unternehmen rechtsbe-ratend tätig sind, hat in jüngster Zeit zu Diskussionen Anlass gegeben. Namentlich kann das fehlende Berufsgeheimnis für Unternehmensjuristinnen und Unternehmensjuristen zu einer Schwächung der rechtlichen Position von Schweizer Unter-nehmen in US-amerikanischen Zivilverfahren führen. In den USA zugelassene Anwältinnen und Anwälten haben im Sinne eines Berufsprivilegs Anspruch auf vertrauliche Behandlung ihres Arbeitsprodukts auch dann, wenn sie in einem Unter-nehmen angestellt sind. Rechtsberaterinnen und Rechtsberatern von Schweizer Unternehmen, welche in einem US-Zivilverfahren aussagepflichtig sind, würde dieses Recht in einigen Gliedstaaten nur dann zustehen, wenn das schweizerische Recht einen analogen Geheimnisschutz bietet. Im Rahmen der Beratungen zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts wurde beantragt, ein Zeugnisverweigerungsrecht für in einem Unternehmen rechtsberatend tätige Personen in die Strafprozessordnung aufzunehmen. Die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates gab diesem Antrag nicht statt. Sie verabschiedete stattdessen eine Motion, welche die weitgehende Gleichstellung der Personen, welche als Angestellte einer Unternehmung für diese rechtsberatend oder forensisch tätig sind, mit freiberuflich tätigen Anwältinnen und Anwälten fordert. Die Motion 07.3281 hat folgenden Titel: «Pflichten und Rechte von rechtsberatend oder forensisch tätigen Angestellten. Gleichstellung mit freiberuflichen Anwältinnen und Anwälten.» Der Bundesrat empfahl die Annahme der Motion, wies jedoch gleichzeitig darauf hin, dass es zu verhindern gelte, dass die Strafverfolgung oder die Feststellung des rechtswesentlichen Sachverhalts in einem Zivilprozess übermässig erschwert werde. Die Motion wurde am 19. Juni 2007 im Nationalrat (AB 2007 N 970) und am 2. Juni 2008 im Ständerat (AB 2008 S 364 f.) ohne Gegenstimmen überwiesen. 2 Vernehmlassungsverfahren Der Bundesrat eröffnete am 22. April 2009 das Vernehmlassungsverfahren über einen Vorentwurf für ein Bundesgesetz über die Unternehmensjuristinnen und Unternehmensjuristen (Unternehmensjuristengesetz, UJG). Der Vorentwurf sieht die fakultative Eintragung von Unternehmensjuristinnen und Unternehmensjuristen in ein kantonales Register vor. Mit der Eintragung sind die Pflicht zur Befolgung bestimmter Berufsregeln und das Recht verbunden, in Straf-, Zivil- und Verwal-tungsverfahren ein Berufsgeheimnis geltend zu machen. Das Vernehmlassungs-verfahren dauerte bis zum 31. Juli 2009. Es ging eine grosse Anzahl Stellungnahmen ein. Stellung genommen haben 26 Kantone, 5 politische Parteien und 21 Organisationen. Ausserdem haben 35 nicht offizielle Teilnehmer eine Stellungnahme eingereicht. Ausdrücklich auf eine Stel-lungnahme verzichtet haben 11 Vernehmlassungsteilnehmerinnen und Vernehmlassungsteilnehmer. 3 Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens

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Das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens zum Vorentwurf des Unterneh-mensjuristengesetzes (UJG) wird im Vernehmlassungsbericht des Bundesrates vom … 2010 detailliert dargestellt. Zusammenfassend stösst die Vorlage insbesondere auf Ablehnung bei einer Mehrheit der Kantone (ZH, BE; LU, SZ, ZG, SO, BL, BS, SG, TG, VD, NE, GE), bei einzelnen Behörden (beispielsweise der Wettbewerbs-kommission WEKO und der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht FINMA), bei einigen Parteien (SVP, Partei der Arbeit, Grüne), bei gewissen Verbänden (z.B. Swiss Mechanic SM Schweizerischer Verband mechanisch-technischer Betriebe, Kaufmännischer Verband Schweiz), ferner beispielsweise bei der Ordre des avocats de Genève und beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund. Folgende Hauptkritikpunkte werden an der Vorlage angebracht: – Erschwerung und Verlängerung von verwaltungs-, zivil- und strafrechtlichen Verfahren; – Fehlende Notwendigkeit eines Spezialgesetzes bzw. zu hoher Regulierungs-aufwand («Überregulierung»); eine Ergänzung der Verfahrensgesetze oder bilateraler Staatsvertrag mit den USA genügten; – Keine Gewähr für die Anerkennung eines Mitwirkungsverweigerungsrechts bzw. des «attorney-client privilege» von Unternehmensjuristinnen und Unternehmensjuristen schweizerischer Unternehmen in Zivilverfahren vor US-Gerichten; – Grosser finanzieller und administrativer Mehraufwand für die Kantone, wenn diese zur Registerführung und Aufsicht über die Unternehmensjuristinnen und Unternehmensjuristen verpflichtet werden; – Widerspruch bzw. unklares Verhältnis zwischen der vorgesehenen Pflicht der Unternehmensjuristin bzw. des Unternehmensjuristen zur fachlich unab-hängigen Beurteilung rechtlicher Fragen und dem arbeitsrechtlichen Wei-sungsrecht des Arbeitgebers; – Kein selbständiger Gehalt der Berufsregeln; die Sorgfaltspflicht gemäss Vorentwurf Unternehmensjuristengesetz ist identisch mit derjenigen im Arbeitsrecht. Die grosse Mehrheit der Wirtschaft begrüsst den Vorentwurf. Positiv gewertet werden am Vorentwurf namentlich die nachstehenden Punkte: – Stärkung des Wirtschaftsstandorts Schweiz und der compliance in den Unternehmen; – Schaffung von Rechtssicherheit bei der Frage des Berufsgeheimnisses von Unternehmensjuristinnen und Unternehmensjuristen;

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– Steigerung des Vertrauens in die unternehmensinterne Rechtsberatung; – Bessere Chancen auf Anerkennung eines «attorney-client privilege» von Unternehmensjuristinnen und Unternehmensjuristen schweizerischer Unter-nehmen in US-Zivilverfahren. 4 Begründung des Antrags auf Abschreibung der Motion Der Bundesrat hat beschlossen, der Bundesversammlung keine Botschaft zu einem Unternehmensjuristengesetz zu unterbreiten. Gestützt auf Artikel 122 Absatz 3 Buchstabe a des Parlamentsgesetzes (ParlG, SR 171.10) beantragt der Bundesrat aus den nachfolgenden Gründen die Abschreibung der Motion. 4.1 Innerstaatlich überwiegen die Nachteile Die kritischen Stellungnahmen im Vernehmlassungsverfahren, insbesondere der Mehrheit der Kantone, richten sich weniger gegen Details der Vorlage. Bestritten wird vielmehr in einem grundsätzlichen Sinn, dass ein eidgenössisches Unterneh-mensjuristengesetz notwendig sei. Die Vernehmlassungsergebnisse machen deutlich, dass der Nutzen der Schaffung eines Unternehmensjuristengesetzes eher unbestimmt bleibt, während die Nachteile der Vorlage, insbesondere die Erschwerung und Verlängerung von verwaltungs-, zivil- und strafrechtlichen Verfahren in der Schweiz, klar zutage treten. 4.2 Zwischenstaatliche Probleme bleiben ungelöst Einer der Hauptgründe für die Einreichung der Motion besteht nach Ansicht des Bundesrates in der Gefahr, dass in US-amerikanischen Zivilprozessen schweizerische im Vergleich zu US-amerikanischen Unternehmensjuristinnen und Unternehmensjuristen eine Schlechterbehandlung zu gewärtigen haben. Der Bundesrat nimmt dieses Problem ernst. Allerdings zeigt sich, dass die Schaffung eines Unternehmensjuristengesetzes allein dieses Problem nicht lösen kann. Probleme bestehen erstens nicht nur im Bezug auf einseitige Massnahmen gegenüber Unternehmensjuristinnen und Unternehmensjuristen, und sie betreffen zweitens auch nicht nur Zivilverfahren. Die Nichtgewährung bzw. Nichtanerkennung des attorney-client privilege für Unternehmensjuristinnen und Unternehmensjuristen schweizerischer Unternehmen vor US-Zivilgerichten stellt im Lichte des Vernehmlassungsergebnisses somit nur einen Teil eines weiteren zwischenstaatlichen Problems dar. Dieses besteht darin, dass durch unilaterale rechtliche Massnahmen ausländischer Staaten die Souveränität der Schweiz verletzt werden kann. Für ausländische Parteien und Dritte bzw. Zeuginnen und Zeugen – wozu auch Unternehmensjuristinnen und Unternehmensjuristen schweizerischer Unternehmen gehören können – besteht die Gefahr, dass sie unter Umständen in US-amerika-nischen Zivilprozessen zur Aussage oder Vorlage von Urkunden in den USA verpflichtet werden können, währenddem amerikanische Parteien resp. Dritte gegebenenfalls Mitwirkungsverweigerungsrechte geltend machen können.

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Bei der Bewertung dieses Problems ist zu berücksichtigen, dass die US-amerikanischen Gerichte das Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland und in Zivil- oder Handelssachen (Haager Beweisaufnahmeübereinkommen, HBÜ) in diesem Bereich teilweise nicht anwenden bzw. als unanwendbar qualifizieren. Mit der Verpflichtung zur Herausgabe von in der Schweiz gelegenen Beweismitteln kann eine Verletzung der Artikel 271 (Verbotene Handlungen für einen fremden Staat) oder 273 (Wirtschaftlicher Nachrichtendienst) des schweizerischen Strafgesetzbuches und in gewissen Konstellationen auch eine Verletzung spezialgesetzlicher Geheimhaltungsvorschriften, z.B. solcher im Bankengesetz (BankG; SR 952.0), verbunden sein. Ein Beispiel für eine solche drohende Souveränitätsverletzung ist die 2009 bei einem Gericht in Miami eingereichte zivilrechtliche Klage gegen die UBS AG auf Herausgabe von Bankkundendaten. In diesem Fall verstiess das unilaterale Vorgehen der amerikanischen Behörden gegen die im geltenden Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehenen Verfahren zum Informationsaustausch. Derartige einseitige rechtliche Massnahmen ausländischer Staaten bergen die Gefahr in sich, dass durch sie die schweizerische Rechtsordnung – wozu auch die von der Schweiz abgeschlossenen Staatsverträge gehören – ausgehöhlt wird. Völkervertragsrechtliche Sanktionsmöglichkeiten gegen einseitige Massnahmen bestehen mangels rechtlicher Grundlage und Durchsetzbarkeit in der Regel nicht. Es stellt sich somit die Frage des angemessenen generellen Schutzes der schweizerischen Souveränität und der innerstaatlichen Zuständigkeit für entsprechende Schutz- respektive Abwehrmassnahmen. Der Bundesrat erachtet die Frage als prüfenswert, ob diesbezüglich gesetzgeberischer Handlungsbedarf, z.B. in Form eines sog. «Souveränitätsschutzgesetzes», besteht. Inhalt eines solchen Erlasses würde die Festlegung von Abwehrmassnahmen und der zu ihrer Ergreifung zuständigen Behörden bilden. Beispielsweise könnten gesetzliche Grundlagen geschaffen werden, um in einer dem bereits erwähnten UBS-Fall ähnlichen Konstellation einer Bank die Herausgabe von Kundendaten ausdrücklich zu verbieten und gar die Verfügungsgewalt über die von den ausländischen Behörden geforderten Daten zu entziehen. Der Erlass solcher „Blocking Orders“ wäre dabei eine der (weitest reichenden) neuen gesetzlichen Abwehrmassnahmen, welche den schweizerischen Behörden erlauben sollen, Rechtsverletzungen präventiv zu verhindern und nicht nur nachträglich strafrechtlich zu verfolgen. Mit anderen Worten würde das Ziel der Regelung darin bestehen, den Schutz der staatlichen Herrschaftssphäre durch über das Strafrecht (siehe Artikel 271 StGB) hinausgehende Instrumente zu verstärken. In diesem Zusammenhang wäre ebenfalls zu prüfen, ob Bewilligungen für Handlungen für einen fremden Staat neu gestützt auf das sog. „Souveränitätsschutzgesetz“ durch eine zentrale Bundesstelle statt durch die Departemente erteilt werden sollten (vgl. Artikel 31 Absatz 1 der Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung vom 25. November 1998, SR 172.010.1). Eine solche Regelung vermöchte nicht nur die schweizerische Souveränität besser zu schützen, sondern würde dank der Vereinheitlichung der Bewilligungspraxis auch die Rechtssicherheit erhöhen. 4.3 Fazit

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Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Ansatz der Motion, welcher der Bundes-rat mit dem Vernehmlassungsentwurf für ein Unternehmensjuristengesetz umzusetzen versucht hat, allein die angesprochenen Schwierigkeiten nicht zu lösen vermag. Eine Ausweitung des «attorney-client privilege» auf Unternehmensjuristinnen und Unternehmensjuristen vermöchte – wenn überhaupt – nur einen kleinen Teils des zugrunde liegenden zwischenstaatlichen Problems zu lösen. Deshalb und vor dem Hintergrund der mit der Schaffung eines Berufsgeheimnisses für Unternehmens-juristinnen und Unternehmensjuristen verbundenen Nachteile beantragt der Bundes-rat der Bundesversammlung, die Motion 07.3281 abzuschreiben.

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09.04.2018: ZPR! Gesellschaften und Unternehmen im Zivilprozess

Unterlagen Referierende

Teil 2: Unterlagen Patricia Tschudi

Probleme der zivilprozessualen Vertretung von Gesellschaften und Unternehmen

Teil 3: Pascal Grolimund

Vorsorglicher Rechtsschutz bei gesellschaftsrechtlichen Klagen (insbes. Handelsregistersperre)

Teil 4: Unterlagen Roland Schmid

Das Verfahren vor Handelsgericht: aktuelle prozessuale Entwicklungen und Besonderheiten

Teil 5: Unterlagen Georg Naegeli

Prozessuale Tücken bei der Anfechtung von Gesellschaftsbeschlüssen – ein Erfahrungsbericht

Teil 6: Unterlagen Felix Dasser

Verantwortlichkeitsklagen: Zuständigkeiten, Strategien und deren Folgen

Teil 7: Unterlagen Daniel Staehelin

Prozessstandschaft und uneigentliche notwendige Streitgenossenschaft; Prozessuales zu Art. 260 SchKG

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Vorsorglicher Rechtsschutz bei gesellschaftsrechtlichen Klagen (insbesondere Handelsregistersperre)

Ein Referat im Rahmen der SJWZ-Tagung:

ZPR! Gesellschaften und Unternehmen im Zivilprozess

9. April 2018

Prof. Dr. Pascal GrolimundAdvokat, LL.M.

[email protected] 2

I. ÜBERSICHT

Ausgangspunkt

Beschluss/Verhalten z.B.

• Generalversammlung• Verwaltungsrat• Aktionär

verletzt

• Gesetz• Statuten• Reglemente• ABV

Bedürfnis nach sofortigem Handeln

= Vorsorglicher Rechtsschutz nach Art. 261 ff. ZPO

= Glaubhaft machen• Verletzung eines

Anspruchs• Dringlichkeit• Verhältnismässigkeit

= Dulden, Unterlassen, Leisten

= superprovisorisch, provisorisch

Spezialfall: Registersperre/Einsprache

= Eintragungsbedürftiges Vorhaben

• Gründung• Statutenänderung• Mutationen und

Domizilwechsel• Auflösung, Liquidation

und Löschung• Transaktionen nach

Fusionsgesetz (FusG)

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[email protected] 3

II. REGISTERSPERRE IN DER PRAXIS

09.04.2018

≈ 10 Entscheide in Swisslex zu Art. 162 f.HRegV seit 1.1.2008

1 gg. Neugründung

1 gg. Kapitalherabsetzung

3 gg. Kapitalerhöhung

5 gg. Mutation VR, Geschäftsführer

[email protected] 4

III. VERORDNUNGSTEXT

09.04.2018

Art. 162 HRegV: Registersperre

1 Auf schriftlichen Einspruch Dritter nimmt das Handelsregisteramt die Eintragung ins Tagesregister vorläufig nicht vor (Registersperre).2 Es informiert die Rechtseinheit über die Registersperre. Es gewährt der Einsprecherin oder dem Einsprecher Einsicht in die Anmeldung und in die Belege, sofern das Gericht dies anordnet.3 Das Handelsregisteramt nimmt die Eintragung vor, wenn:die Einsprecherin oder der Einsprecher dem Handelsregisteramt nicht innert zehn Tagen nachweist, dass sie oder er dem Gericht ein Gesuch um Erlass einer vorsorglichen Massnahme gestellt hat; oderdas Gericht das Gesuch um Erlass einer vorsorglichen Massnahme rechtskräftig abgelehnt hat.4 Das Gericht entscheidet im summarischen Verfahren unverzüglich über die Registersperre. Es übermittelt dem Handelsregisteramt eine Kopie des Entscheids.5 Erheben Dritte Einsprache gegen eine Eintragung, die bereits ins Tagesregister aufgenommen wurde, so sind sie an das Gericht zu verweisen.

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3

[email protected] 5

III. VERORDNUNGSTEXT (2)

09.04.2018

Art. 163 HRegV: Frist und Belege bei der Registersperre

1 Die Frist nach Artikel 162 Absatz 3 Buchstabe a beginnt:mit der Einreichung des Einspruchs beim Handelsregisteramt; oderam Datum des Poststempels, falls der Einspruch per Post eingereicht wird.2 Sie ist gewahrt, wenn der Nachweis spätestens bis um 17.00 Uhr am letzten Tag der Frist beim Handelsregisteramt eingeht.3 Der Nachweis ist erbracht, wenn die Einsprecherin oder der Einsprecher dem Handelsregisteramt folgende Belege einreicht:a. das ans Gericht adressierte Gesuch um Erlass einer vorsorglichen Massnahme;undb. die Aufgabebestätigung der Schweizerischen Post oder die Empfangsbestätigung desGerichts.

[email protected] 6

IV. VORAUSSETZUNGEN UND FOLGE

09.04.2018

schriftlicher Einspruch

eines Dritten

vor Eintragung im Tagebuch

ohne Begründung

ohne inhaltliche Überprüfung

vorläufige Nichteintragung

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[email protected] 7

V. VERFAHREN

09.04.2018

1. EinreichungEinspruch beim HRod. Postaufgabe

2. Gesuch um Erlasseiner vorsorglichenMassnahme

3. Nachweis desGesuchs gegenüberdem HR

Innert 10 Tagen 17.00 Uhr am letzten Tag beim HR

[email protected] 8

V. VERFAHREN (2)

09.04.2018

4. Entscheid übervorsorgliche Massnahme

Gutheissung(„rechtskräftig“)

Abweisung („rechtskräftig“)

Prosekution (ordnungsgemäss)

= Aufrechterhaltung der Registersperre

= Eintragung (Aufhebung der Registersperre)

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[email protected] 9

VI. RECHTSNATUR DER REGISTERSPERRE

Vorsorglicher Rechtsschutz

(vorgezogene) Vollstreckungshandlung?

„Selbsthilfe“ ?!

[email protected] 10

VII. MODALITÄTEN DES EINSPRUCHS

• bedingter/unbedingter Einspruch

= Zeitpunkt des Einspruchs

• umfassender/präzise umrissener Einspruch

= sachlicher Umfang des Einspruchs

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[email protected] 11

VIII. MAXIMALE DAUER EINER UNBERECHTIGTENREGISTERSPERRE

Einspruch Gesuch VV

Rückbezug der Rechtshängigkeit (63 ZPO)

Entscheid 1. Instanz

Entscheid 2. Instanz

Entscheid Bundesgericht

10 T. x + 1 Monat + y + z + …

Insbesondere: - Aufrechterhaltung der Rechtshängigkeit- aufschiebende Wirkung oder „rechtskräftige“

Entscheidung?

[email protected] 12

IX. KOSTEN, SICHERSTELLUNG UND SCHADENERSATZ

• im Einspracheverfahren?

• im Massnahmeverfahren

Streitwert? Schaden?

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[email protected] 13

X. VERHÄLTNIS EINSPRUCH – SUPERPROVISORISCHEMASSNAHME – PROVISORISCHE MASSNAHME

1. Alle Kombinationen sind möglich

Einspruch provisorische Massnahme

Einspruch superprovisorische Massnahme provisorische Massnahme

superprovisorische Massnahme Einspruch provisorische Massnahme

provisorische Massnahme Einspruch

2. Insbesondere: weitere Massnahmebegehren

[email protected] 14

XI. VORSORGLICHE MASSNAHME NACHTAGEBUCHEINTRAG

Art. 162 Abs. 5 HRegV

„vorläufige Streichung/Austragung/Löschung“ + „vorläufige Wiedereintragung“

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[email protected] 15

XII. ALLGEMEINE BEMERKUNGEN

Komplexität der Begehren

Faktor Zeit

Novenrecht

„grosse Herausforderung“

[email protected] 16

XIII. WEITERFÜHRENDE LITERATURHINWEISE• KUSTER, MATTHIAS, Die Handelsregistersperre nach revidierter

Handelsregisterverordnung, in: GESKR – Gesellschafts- undKapitalmarktrecht 2009, Dike Verlag, Zürich, S. 554-562

• MEISTERHANS, CLEMENS, Eintragung von Beschlüssen: Erfahrungen mitder Registersperre, in: Entwicklungen im Gesellschaftsrecht X, KunzPeter, V./Arter, Oliver/Jörg, Florian S. (Hrsg.), Stämpfli Verlag, Bern2015, S. 133-146

• FONTANET STÉPHANE/JEANDIN, NICOLAS, Le blocage du registre ducommerce et sa validation, in: Not@lex – Revue de droit privé et fiscaldu patrimoine 2016, Schulthess, Zürich, S. 55-64

• TAGMANN, ADRIAN, Zulässigkeit der Handelsregistersperre gegen dieEintragung vollstreckbarer behördlicher oder gerichtlicherAnordnungen?, in: Zeitschrift zur Rechtsetzung und Praxis imGesellschafts- und Handelsregisterrecht, REPRAX 2/2011, Schulthess,Zürich, S. 31-38

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Basel Bern Lausanne Sion ZürichHirschgässlein 11Postfach 257CH-4010 BaselTel. +41 58 200 30 00Fax +41 58 200 30 11

Effingerstrasse 1PostfachCH-3001 BernTel. +41 58 200 35 00Fax +41 58 200 35 11

Place Saint-François 1Case postale 7191CH-1002 LausanneTel. +41 58 200 33 00FAX +41 58 200 33 11

Rue du Scex 4Case postale 317CH-1951 SionTel. +41 58 200 34 00Fax +41 58 200 24 11

Rämistrasse 5PostfachCH-8024 ZürichTel. +41 58 200 39 00Fax +41 58 200 39 11

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Prof. Dr. Pascal GrolimundAdvokat, [email protected]

09.04.2018 17

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09.04.2018: ZPR! Gesellschaften und Unternehmen im Zivilprozess

Unterlagen Referierende

Teil 2: Unterlagen Patricia Tschudi

Probleme der zivilprozessualen Vertretung von Gesellschaften und Unternehmen

Teil 3: Pascal Grolimund

Vorsorglicher Rechtsschutz bei gesellschaftsrechtlichen Klagen (insbes. Handelsregistersperre)

Teil 4: Unterlagen Roland Schmid

Das Verfahren vor Handelsgericht: aktuelle prozessuale Entwicklungen und Besonderheiten

Teil 5: Unterlagen Georg Naegeli

Prozessuale Tücken bei der Anfechtung von Gesellschaftsbeschlüssen – ein Erfahrungsbericht

Teil 6: Unterlagen Felix Dasser

Verantwortlichkeitsklagen: Zuständigkeiten, Strategien und deren Folgen

Teil 7: Unterlagen Daniel Staehelin

Prozessstandschaft und uneigentliche notwendige Streitgenossenschaft; Prozessuales zu Art. 260 SchKG

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Das Verfahren vor Handelsgericht: aktuelle prozessuale Entwicklungen und Besonderheiten

Roland Schmid(Oberrichter, Vizepräsident am Handelsgericht des Kantons Zürich)

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Übersicht

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• Probleme (Stolpersteine) bei der Klageeinleitung

• Probleme (Stolpersteine) während der Phase desSchriftenwechsels

• Probleme (Stolpersteine) nach Abschluss des Schriftenwechsels(Aktenschluss)

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Probleme (Stolpersteine) bei der Klageeinleitung

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Ausgangspunkt Art. 221 ZPO

Art. 221 Klage

1 Die Klage enthält: a. die Bezeichnung der Parteien und allfälliger Vertreterinnen und

Vertreter; b. das Rechtsbegehren; c. die Angabe des Streitwerts; d. die Tatsachenbehauptungen;e. die Bezeichnung der einzelnen Beweismittel zu den behaupteten Tatsachen; f. das Datum und die Unterschrift.

2 Mit der Klage sind folgende Beilagen einzureichen: a. eine Vollmacht bei Vertretung; b. gegebenenfalls die Klagebewilligung oder die Erklärung, dass auf das

Schlichtungsverfahren verzichtet werde; c. die verfügbaren Urkunden, welche als Beweismittel dienen sollen; d. ein Verzeichnis der Beweismittel.

3 Die Klage kann eine rechtliche Begründung enthalten.

Verbesserung von mangelhaften Eingaben im Sinne von Art. 132 ZPO

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• Ungenügende Vollmacht

• Fehlender ausländischer Registerauszug

• Fehlendes oder mangelhaftes Beweismittelverzeichnis

• Ungenügende Parteibezeichnung

• Unleserliche Eingabe

• Weitschweifige Eingabe

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Ungenügende Vollmacht

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• Organvertreter müssen sich durch einen Handelsregister-auszug ausweisen

• Unterschrift muss lesbar und zuordenbar sein

• Vollmacht hat zeitaktuell und prozessbezogen zu sein

• Spezialfall der auf eine Anwaltskörperschaft lautendenVollmacht

Ausländischer Registerauszug

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Das ausländische Register muss in etwa die gleiche Funktion wie das hiesige Handelsregister erfüllen. In Betracht kommen daher auch Bescheinigungen der Handelskammern oder der Konsulate, aber auch sonstige Beweismittel, aus denen sich mit Bestimmtheit ergibt, dass die Partei im Ausland als kaufmännisches

Unternehmen anerkannt ist.

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Beweismittelverzeichnis

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Beilagenverzeichnis ist nicht gleich Beweismittelverzeichnis

Parteibezeichnung

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• Einzelunternehmung

• Einfache Gesellschaft

• Erbengemeinschaft

• Stockwerkeigentümergemeinschaft

• Abtretungsgläubiger im Konkurs

• Vorgehen bei Zweigniederlassungen

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Unleserliche Eingabe

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Massgebendes Kriterium zur Beurteilung der Unleserlich-keit ist, ob es für das Gericht und die Parteien noch zumutbar ist, die Eingabe ohne grosse Mühe zu lesen.

Weitschweifige Eingabe

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Massgebende Kriterien:

• Umfang der bisherigen (eigenen und gegnerischen)Rechtsschriften.

• Inhaltliche Abschweifung vom Prozessthema.

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Weitschweifige Eingabe

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Bei der Annahme von Weitschweifigkeit ist im Zweifelsfall Zurückhaltung geboten; wird vorschnell auf Weitschweifig-keit erkannt, kann darin eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegen.

Das Handelsgericht weist weitschweifige Eingaben im Sinne von Art. 132 ZPO aus dem Recht und setzt der betreffenden Partei entsprechend eine Nachfrist zur Verbesserung. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, im Detail aufzuzeigen, welche konkreten Passagen weitschweifig

oder schwer verständlich sind.

Weitschweifige Eingabe

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Das Handelsgericht bejahte beispielsweise in folgendem Fall die Frage der Weitschweifigkeit:

• Klageschrift der Klägerin (inklusive Beweismittelverzeichnis):Umfang: 24 Seiten; Gewicht: 137 Gramm.

• Klageantwort der Beklagten (inklusive Beweismittel-verzeichnis): Umfang: 265 Seiten; Gewicht: 1'546 Gramm.

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Ungenügende (mangelhafte) Klageschrift

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• Rechtsbegehren

• Streitwert

• Tatsachenbehauptungen

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Rechtsbegehren

Oberstes Gebot für die Formulierung eines Rechtsbegehrens ist die genügende Bestimmtheit.

Die Formulierung des Rechtsbegehrens muss so bestimmt sein, dass diese bei Gutheissung unverändert zum Urteil erhoben und das Urteil vollstreckt werden kann.

Auf Klagen mit Rechtsbegehren, die unklar, unvollständig oder unbestimmt sind, ist nicht einzutreten.

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Rechtsbegehren

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• Klagen auf Geldzahlungen müssen beziffert sein

Zu nennen sind sowohl der Betrag (inkl. Verzugszins) wie auchdie Währung, in welcher die Geldforderung lautet.

• Ausnahme der unbezifferten Forderungsklage (Art. 85 ZPO)

• Unbezifferte Forderungsklage im engeren Sinn

• Stufenklage

Rechtsbegehren

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• Anwendungsbereich der unbezifferten Forderungsklage (Art. 85ZPO).

Wenn es der klagenden Partei unmöglich oder unzumutbar ist,ihre Forderung bereits zu Beginn des Prozesses zu beziffern.

• Klagende Partei muss gemäss Art. 85 ZPO einen Mindest-streitwert angeben, der als vorläufiger Streitwert gilt.

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Rechtsbegehren

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Unterschied unbezifferte Forderungsklage im engeren Sinn zur Stufenklage

• Bei der unbezifferten Forderungsklage im engeren Sinn bildet dasErgebnis des Beweisverfahrens die Grundlage für die Bezifferungder Forderung.

• Die Stufenklage ist dagegen dadurch charakterisiert, dass einmateriellrechtlicher Hilfsanspruch auf Information, Auskunft,Edition oder Rechnungslegung mit einer unbeziffertenForderungsklage verbunden wird.

Rechtsbegehren

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• Unmöglichkeit

• Wenn die klagende Partei die Höhe ihres Anspruchs nichtkennen kann, weil diese von Informationen bzw.Tatsachen abhängig ist, über die sie nicht verfügt und dienicht in ihrem Einflussbereich liegen.

• Die Unmöglichkeit ist gegeben, wenn diese Informationenerst und nur durch das Beweisverfahren im Prozess oderdurch ein vorgängig zu behandelndes Informations-begehren im Rahmen einer Stufenklage erlangt werdenkönnen.

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Rechtsbegehren

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• Unzumutbarkeit setzt eine Behauptungsnot voraus; siebesteht etwa dort

• wo die klagende Partei vorgängig ein selbständigesVerfahren (z.B. ein vorsorgliches Beweis- oderBegutachtungsverfahren) zur Erlangung der zurBezifferung notwendigen Informationen zu durchlaufenhat.

• wo die Bezifferung zu einem übermässigen Aufwandoder zu Kosten führen würde, die in keinem Verhältnis

zum strittigen Schaden stehen.

Rechtsbegehren

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Nachweis, dass und inwieweit eine Bezifferung unmöglich oder unzumutbar ist, obliegt der klagenden Partei. Dafür genügt nicht, wenn sie einzig unter Hinweis auf fehlende Informationen auf die an sich erforderliche Bezifferung verzichtet.

Weder die unbezifferte Forderungsklage im engeren Sinn noch der Rechtsbehelf der Stufenklage dienen dazu, die beklagte Partei auszuforschen bzw. der klagenden Partei die Behauptungs- und Substantiierungslast abzunehmen.

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Rechtsbegehren

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• Die Stufenklage wird im gleichen Prozess in zwei Etappen, alsogestaffelt, beurteilt: zuerst (1. Stufe) das Hilfsbegehren(Informationsanspruch) und danach (2. Stufe) dasHauptbegehren.

• Die Stufenklage stellt einen Anwendungsfall der objektivenKlagenhäufung nach Art. 90 ZPO dar.

• Klageeinleitung mit zweiteiligem Rechtsbegehren (ist abernicht zwingend).

• Anforderungen an die Bestimmtheit des Informations-begehrens dürfen nicht allzu streng sein, da die klagende Parteigrundsätzlich noch gar nicht weiss, was genau der Inhalt der

von ihr verlangten Informationen ist.

Rechtsbegehren

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• Unterlassungsklage

Der Grundsatz, wonach das Rechtsbegehren bestimmtbezeichnet werden muss, gilt auch für Unterlassungs-klagen.

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Rechtsbegehren

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Beispiele von unbestimmten Rechtsbegehren aus der Praxis:

• "Die Beklagte sei zu verpflichten, sich aller übermässigen Einwirkungen auf das Eigentum der Klägerin zu enthalten."

• "Die Beklagte sei zu verpflichten, der Klägerin Schadenersatz in dem vom Gericht zu bestimmenden Umfang zu bezahlen."

• "Es sei die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin bei der technischen Umsetzung der eigenen Produktion zu unterstützen."

Rechtsbegehren

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Teilklage

• Ist ein Anspruch teilbar, so kann auch nur ein Teil eingeklagtwerden.

• Nach der Dispositionsmaxime kann sich die klagende Partei damitbegnügen, einzelne fällige Raten eines teilbaren Anspruchs (sog.unechte Teilklage) oder allgemein einen nicht individualisiertenTeilbetrag einer grösseren Geldsumme (sog. echte Teilklage)geltend zu machen.

• Vorteile der Teilklage: Senkung der Prozesskosten.

• Gefahr: Abwehr der Teilklage mit negativer Feststellungs-widerklage.

• Nachklagevorbehalt ist nicht nötig.

• Problem, wenn Teilklage mit mehreren Ansprüchen (objektiveKlagenhäufung) kombiniert wird.

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Rechtsbegehren

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Feststellungsklage

• Besonderheit der Feststellungsklage ist das Rechtsschutzinteresse.

Die klagende Partei hat dabei folgende Punkte nachzuweisen:

• Ungewissheit über die Rechtslage.

• Unzumutbarkeit des Fortbestands der Unsicherheit.

• Unmöglichkeit, die Ungewissheit anders (z.B. durch Leistungs-oder Gestaltungsklage) zu beseitigen.

• Subsidiarität der Feststellungsklage.

• Bei fehlendem Feststellungsinteresse hat einNichteintretensentscheid zu ergehen.

• Bestimmtheitsgebot gilt auch hier.

Rechtsbegehren

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• Vollstreckungsanordnung im Hauptsachenurteil

• Auf Antrag der obsiegenden Partei kann bereits daserkennende Gericht in seinem Urteil Vollstreckungs-massnahmen anordnen (direkte Vollstreckung; Art. 236 Abs. 3ZPO und Art. 337 Abs. 1 ZPO).

• Mögliche Anordnungen gemäss Art. 343 Abs. 1 ZPO:Strafandrohungen gemäss Art. 292 StGB, Ordnungsbusse,Zwangsmaßnahmen (z.B. Herausgabe von Gegenständen,Ausweisung von Mietern) und Ersatzvornahme.

• Im ordentlichen Verfahren kann der Antrag betreffendVollstreckungsmassnahmen analog Art. 227 ZPO nachträglichbis zur Hauptverhandlung ohne weitere Voraussetzungengestellt werden; danach (in der Hauptverhandlung) ist er nurnoch zulässig, wenn er auf neuen Tatsachen undBeweismitteln beruht (Art. 230 Abs. 2 lit. b ZPO).

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Rechtsbegehren

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• Rechtsbegehren sind grundsätzlich bedingungsfeindlich (einebedingte oder eventuelle Hauptklage ist nicht möglich).

• Rein vorsorgliche Klageerhebungen, welche vom Eintritt einerBedingung abhängig gemacht werden, sind somit unzulässig,würden doch dadurch die Wirkungen der Klage, namentlichdiejenigen der Rechtshängigkeit, ins Ungewisse gestellt.

• Ausnahmen vom Grundsatz der Bedingungsfeindlichkeit:

• Unbedingtes Klagebegehren auf eine bedingt zuerbringende Leistung (z.B. Klage auf Leistung Zug um Zug,Klage auf künftige oder suspensiv bedingte Leistungen).

• Eventualbegehren (für den Fall der Abweisung desHauptbegehrens).

• Eventuelle Streitgenossenschaft ist unzulässig.

Rechtsbegehren

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• Fixierung der Prozessparteien

• Der nachträgliche Einbezug von weiteren Parteien istunzulässig und führt zum Nichteintreten.

• Währung

• Grundsätzlich ist der Schuldner verpflichtet,Geldschulden in der geschuldeten Währung zu bezahlen(Art. 84 Abs. 1 OR).

• Gemäss Art. 58 ZPO darf das Gericht einer Partei nichtmehr und nichts anderes zusprechen, als sie verlangt(Dispositionsmaxime).

• Eine strenge Anwendung der Dispositionsmaxime kannunter Umständen als zu formalistisch erscheinen.

• Mehrwertsteuer

• Prozessuale Anträge

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Streitwert

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• Auf Geldzahlungen gerichtete Forderungsklagen

• Feststellungsklagen

• Streitwert bei objektiver Klagenhäufung von Pfand- undForderungsklage

• Streitwert einer negativen Feststellungswiderklage

• Streitwert bei Datenschutzfällen

• Streitwert im Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht

• Streitwert bei unbezifferter Forderungsklage

• Streitwert bei Stufenklage

• Streitwert bei Haupt- und Eventualbegehren

• Streitwert Hauptklage und Streitverkündungsklage

• Streitwert bei Anfechtung von GV-Beschlüssen

• Streitwert bei Stockwerkeigentümergemeinschaft

Tatsachenbehauptungen

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• Ungenügend behauptete Klage ist von der ungenügendbegründeten Klage abzugrenzen.

• Verweis auf Beilagen• Wenn in den Rechtschriften bei der Behauptung von Tatsachen auf

Beilagen verwiesen wird, stellt sich die Frage, ob ein solchesVorgehen der Behauptungs- und Substantiierungslast genügt.

• Das Bundesgericht hat in diesem Zusammenhang wiederholtfestgehalten, dass der blosse pauschale Verweis auf Beilagen inaller Regel nicht genügt.

• Der entsprechende Verweis in der Rechtsschrift muss spezifischein bestimmtes Aktenstück nennen und aus dem Verweis mussselbst klar werden, welche Teile des Aktenstücks alsParteibehauptung gelten sollen.

• Es genügt nicht, dass in den Beilagen die verlangten Informationenin irgendeiner Form vorhanden sind. Es muss ein problemloserZugriff darauf gewährleistet sein, und es darf keinInterpretationsspielraum entstehen.

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Sachliche Zuständigkeit

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• Bei objektiver Klagenhäufung betreffend Ansprüchen mitunterschiedlichen Streitwerten und Verfahrensarten (teilw.

unter und über CHF 30'000.--).

• Ansprüche die aufgrund ihrer Streitwerte einzeln betrachtetnicht in der gleichen Verfahrensart bzw. vom gleichenGericht beurteilt würden, können gehäuft werden, wennsie in einem engen sachlichen Zusammenhang stehen.

• Die einzelnen Ansprüche sind nach Art. 93 ZPO zunächstzusammenzurechnen. Resultiert daraus ein Streitwert vonüber CHF 30‘000.--, so kommt das ordentliche Verfahrenzur Anwendung und das Handelsgericht ist zur Beurteilungsämtlicher Ansprüche zuständig, selbst wenn einzelneStreitgegenstände für sich betrachtet im vereinfachtenVerfahren zu beurteilen wären.

Sachliche Zuständigkeit

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• Bei einfacher Streitgenossenschaft, wenn die Streitwerte dereinzelnen Ansprüche zum Teil über und zum Teil unterCHF 30'000.-- liegen oder nur insgesamt ein Streitwert vonüber CHF 30'000.-- vorliegt.

• Art. 93 Abs. 2 ZPO hält fest, dass bei einer einfachenStreitgenossenschaft die Verfahrensart trotzZusammenrechnung des Streitwertes erhalten bleibt.

• Gemäss Art. 243 Abs. 3 ZPO ist das Handelsgericht abernicht zur Beurteilung derjenigen Klagen zuständig, fürwelche das vereinfachte Verfahren gilt.

• Die Zuständigkeit des Handelsgerichts für die Klage gegeneinen Streitgenossen bzw. für die Klagen von einemStreitgenossen ist daher ausgeschlossen ist, wenn derStreitwert des betreffenden Anspruchs CHF 30‘000.-- nichtübersteigt.

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Sachliche Zuständigkeit

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• Bei Ansprüchen gegen eine einfache Streitgenossenschaft, wennnicht sämtliche Streitgenossen im Handelsregister eingetragensind.

• Ist für einzelne Streitgenossen das Vorliegen einerhandelsrechtlichen Streitigkeit zu bejahen, für andere hingegennicht, tritt das Handelsgericht auf die Klage nicht ein.

• Nach der handelsgerichtlichen und bundesgerichtlichenRechtsprechung sind die ordentlichen Gerichte zur Beurteilungsämtlicher subjektiv gehäufter Klagen, auch derjenigen gegenim Handelsregister eingetragene Parteien, sachlich zuständig.

• Das Bundesgericht stellte in diesem Zusammenhang fest,dass für alle eingeklagten Ansprüche die gleiche sachlicheZuständigkeit gelten müsse, was Art. 71 ZPO stillschweigendvoraussetze (BGE 138 III 471; BGE 140 III 155).

Sachliche Zuständigkeit

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• Streitwert von exakt CHF 30'000.--

• Art. 6 Abs. 2 ZPO setzt zur Begründung der sachlichenZuständigkeit des Handelsgerichts u.a. voraus, dass gegenden Entscheid die Beschwerde in Zivilsachen an dasBundesgericht offen stehen muss.

• Nach Art. 74 Abs. 1 BGG muss der Streitwert "mindestens"CHF 30'000.-- betragen.

• Art. 243 Abs. 1 ZPO umfasst vermögensrechtlicheStreitigkeiten "bis zu" einem Streitwert von CHF 30'000.--.

• Eine Klage mit einem Streitwert von genau CHF 30'000.--erfüllt zwar die Voraussetzungen von Art. 6 Abs. 2 ZPO, fälltaber gemäss Art. 243 Abs. 1 ZPO unter das vereinfachteVerfahren.

• Die Regelung der Verfahrensart geht jener über die sachlicheZuständigkeit vor (BGE 143 III 137; BGE 139 III 457), weshalbdie ordentlichen Gerichte und nicht das Handelsgericht füreine solche Klage zuständig sind.

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Mediationsklausel

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• Frage, ob bei einer vorhandenen Streitbeilegungsabrede(Mediationsklausel) die Durchführung eines Einigungs-versuchs eine Prozessvoraussetzung im Sinne von Art.59 ZPO darstellt oder nicht.

• Das Handelsgericht kam zum Schluss, dass dieBeachtung einer Mediationsklausel keine Prozess-voraussetzung darstellt; demgemäss wies dasHandelsgericht den betreffenden Antrag der beklagten

Partei, es sei auf die Klage nicht einzutreten, ab.

Probleme (Stolpersteine) während der Phase des Schriftenwechsels

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Widerklage

• Nach Art. 224 Abs. 1 ZPO ist eine Widerklage zulässig, wennder geltend gemachte Anspruch in derselben Verfahrensartzu beurteilen ist wie die Hauptklage.

• Vor Handelsgericht kann keine Widerklage erhoben werden,die im vereinfachten Verfahren nach Art. 243 Abs. 1 und 2ZPO zu beurteilen wäre.

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Widerklage

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• Widerklage gegen eine nicht im Handelsregister eingetragene Person

• Fall, wenn eine nicht im Handelsregister eingetragene (natürliche)Person aufgrund des Klägerwahlrechtes gemäss Art. 6 Abs. 3 ZPOeine Klage am Handelsgericht anhängig macht und die Beklagtedaraufhin mit der Klageantwort eine Widerklage erhebt.

• Trotz grundsätzlich fehlender sachlicher Zuständigkeit desHandelsgerichts für eine derartige Widerklage ist auf eine solcheeinzutreten, wenn:

1. Der geltend gemachte Anspruch mit dem Hauptklageanspruchkonnex ist.

2. Die übrigen Voraussetzungen der handelsgerichtlichenZuständigkeit, insbesondere das Erfordernis der gleichenVerfahrensart, erfüllt sind (vgl. dazu ZR 113 [2014] Nr. 46, S. 149ff. und BGE 143 III 495 ff. E. 2.2).

Widerklage

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• Ungleiche Verfahrensarten schliessen die Zulässigkeit einerWiderklage aus.

• Dieser Grundsatz gilt nicht, wenn es sich bei derHauptklage um eine Teilklage handelt und die beklagtePartei als Reaktion darauf eine negative Feststellungsklageerheben möchte.

• Wer in Wirklichkeit mehr als CHF 30'000.-- fordert, sollsich nicht auf Art. 243 Abs. 1 ZPO berufen und damiteine negative Feststellungswiderklage verhindernkönnen (BGE 4A_576/2016 vom 13. Juni 2017 E. 4.4).

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Klageänderung

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• Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Klageänderung gemässArt. 227 ZPO:

• Gleiche Verfahrensart.

• Sachlicher Zusammenhang oder Zustimmung der Gegenpartei.

Klageänderung

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• Wann ist der sachliche Zusammenhang gegeben?

• Wenn gestützt auf den gleichen Lebensvorgang einweiterer oder anderer Anspruch geltend gemacht wird.

• Wenn der andere oder weitere Anspruch zwar nichtmehr auf dem ursprünglichen Lebenssachverhalt beruht,aber mit diesem in einem engen Zusammenhang steht(Streitsache basiert auf einem benachbarten oderkonnexen Lebensvorgang, auf der identischenAnspruchsgrundlage oder betrifft das gleicheStreitobjekt).

• Zwischen einem Anspruch aus Kaufvertrag bezüglich ein-er Wasseraufbereitungsanlage und einem Anspruch aufEntschädigung der Nutzung dieser Anlage lag daher nachAnsicht des Bundesgerichts der erforderliche sachlicheZusammenhang vor (vgl. dazu BGE 4A_255/2015 vom1. Oktober 2015 E. 2.2./2.3 sowie ZR 116 [2017] Nr. 23).

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Klageänderung

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• Zeitpunkt der Klageänderung vor Aktenschluss

• Frühere Praxis Handelsgericht: Eine Klageänderungkonnte mittels einer beliebigen Eingabe in den Prozesseingebracht werden. Die klagende Partei musstedemnach nicht bis zu ihrem zweiten Vortrag damit warten(ZR 111 [2012] Nr. 86).

• Neue Praxis Handelsgericht: Die Möglichkeit zurVornahme einer Klageänderung nach Art. 227 ZPO isteinzig auf die gesetzlich vorgesehenen Verfahrensschrittebeschränkt; d.h. eine Klageänderung vor Aktenschlussmittels beliebiger Eingabe und zu einem beliebigenZeitpunkt ist nicht zulässig (ZR 116 [2017] Nr. 52).

Probleme (Stolpersteine) nach Abschluss des Schriftenwechsels (Aktenschluss)

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• Nach Abschluss des zweiten Schriftenwechsels istAktenschluss, d.h.:

• Weitere Eingaben nach Aktenschluss sind dahergrundsätzlich unbeachtlich (und werden aus dem Rechtgewiesen).

• Ausnahme: Ausübung des Noven- und des Replikrechts.

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Novenrecht

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• Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen grundsätzlich nurnoch berücksichtigt werden,

• wenn sie "ohne Verzug" nach der Entdeckungvorgebracht werden (als ohne Verzug vorgebracht gilteine Eingabe innert zehn Tagen; d.h. es kann nicht biszur Hauptverhandlung zugewartet werden).

• wenn die Zulässigkeitsvoraussetzungen gemäss Art.229 Abs. 1 ZPO in zeitlicher und inhaltlicher Hinsichterfüllt sind.

Replikrecht

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• Recht, von allen bei Gericht eingereichten StellungnahmenKenntnis zu erhalten und sich dazu äussern zu können,unabhängig davon, ob die Eingaben neue und/oderwesentliche Vorbringen enthalten.

• Ausübung des Replikrechts muss umgehend erfolgen,ansonsten Verzicht angenommen wird.

• Was unter "umgehend" zu verstehen ist, hängt von denkonkreten Umständen des Einzelfalles ab. Ein Verzicht aufAusübung des Replikrechts darf in der Praxis aber nicht vorAblauf von zehn Tagen angenommen werden (vgl. dazu etwaBGE 5D_81/2015 vom 4. April 2016 E. 2.3.3 m.w.H.).

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Kombination von Noven- und Replikrecht

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• Ausgangslage: Eingang einer umfangreichen Duplik. Damittritt der Aktenschluss ein. Die Duplik wird der klagendenPartei zugestellt. Eine Fristansetzung für eine allfälligeStellungnahme erfolgt vom Handelsgericht praxisgemässnicht (da im Gesetz auch nicht so vorgesehen).

• Wie soll die klagende Partei in einer solchen Situation(umfangreiche Duplik mit diversen Noven einerseits undPflicht zur umgehenden Ausübung des Replikrechtsandererseits) vorgehen?

• Wenn die klagende Partei es unterlässt, ihr Replikrechtwahrzunehmen, bedeutet dies nicht, dass sie die von derGegenseite in der Duplik vorgebrachten Novenanerkennt.

Kombination von Noven- und Replikrecht

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• Die in der Duplik enthaltenen Noven können für dieEntscheidfindung entweder relevant oder irrelevant sein.

• Nur wenn es sich bei den in der Dupliknoven um relevanteNoven handelt, mithin solche auf die das Gericht abzustellengedenkt, ist der klagenden Partei vor der Urteilsfällung imSinne eines "Antwortrechts" Gelegenheit zur Stellungnahmezu den betreffenden (genau bezeichneten) relevantenDupliknoven zu geben (BGE 142 III 48 E. 4.1.1 S. 53 f.).

• Fehlt es an entscheidrelevanten Dupliknoven, so gibt esauch kein "Antwortrecht".

• Die Nicht-Ausübung des Replikrechts bleibt so oder anders(d.h. unabhängig davon, ob entscheidrelevante Novenvorliegen) ohne Folgen.

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Kombination von Noven- und Replikrecht

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• Bei sehr umfangreichen Duplikschriften ist es sinnvoll, dieklagende Partei bereits gleichzeitig mit der Zustellung der Duplikdarauf hinzuweisen, dass ihr die Möglichkeit geboten wird, zuallfälligen (relevanten) Dupliknoven im weiteren Verlauf desVerfahrens Stellung zu nehmen.

• Wenn ein solcher Hinweis ergeht, ist die klagende Partei, die aufDupliknoven der Gegenpartei ihrerseits mit eigenen Novenreagieren will, in ihrem Vertrauen zu schützen, indem sie(ausnahmsweise) von der sofortigen Geltendmachung dieser(meist wohl unechten) Noven entbunden ist,

• In allen anderen Verfahren müssen allfällige Noven aber ohneVerzug vorgebracht werden.

Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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Roland Schmid

(Oberrichter, Vizepräsident am Handelsgericht des Kantons Zürich)

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Das Verfahren vor Handelsgericht: aktuelle prozessuale Entwicklungen und Besonderheiten

ROLAND SCHMID

(Oberrichter, Vizepräsident am Handelsgericht des Kantons Zürich) INHALTSVERZEICHNIS I. Einleitung II. Probleme (Stolpersteine) bei der Klageeinleitung

1. Ausgangspunkt Art. 221 ZPO

2. Verbesserung von mangelhaften Eingaben im Sinne von Art. 132 ZPO

2.1. Ungenügende Vollmacht 2.2. Fehlender ausländischer Registerauszug 2.3. Fehlendes oder mangelhaftes Beweismittelverzeichnis 2.4. Ungenügende Parteibezeichnung 2.5 Unleserliche Eingabe 2.6. Weitschweifige Eingabe

3. Ungenügende (mangelhafte) Klageschrift

3.1. Rechtsbegehren 3.1.1. Genügende Bestimmtheit 3.1.2. Leistungsklage 3.1.2.2. Bezifferung als Grundsatz 3.1.2.2. Unbezifferte Forderungsklage als Ausnahme 3.1.2.3. Die Unterlassungsklage im Besonderen 3.1.2.4. Beispiele von unbestimmten Rechtsbegehren 3.1.3. Teilklage 3.1.4. Feststellungsklage 3.1.5. Vollstreckungsanordnungen 3.1.6. Bedingungsfeindlichkeit 3.1.7. Diverses 3.1.7.1. Fixierung der Prozessparteien 3.1.7.2. Währung 3.1.7.3. Mehrwertsteuer 3.1.7.4. Prozessuale Anträge 3.2. Streitwert 3.2.1. Allgemeines 3.2.2. Zur Ermittlung des Streitwertes im Besonderen 3.2.2.1. Auf Geldzahlungen gerichtete Klagen 3.2.2.2. Feststellungsklagen 3.2.2.3. Pfand- und Forderungsklagen 3.2.2.4. Negative Feststellungswiderklage 3.2.2.5. Datenschutzfälle 3.2.2.6. Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht 3.2.2.7. Unbezifferte Forderungsklage 3.2.2.8. Stufenklage

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3.2.2.9. Haupt- und Eventualbegehren 3.2.2.10. Haupt- und Streitverkündungsklage 3.2.2.11. Anfechtung von GV-Beschlüssen 3.2.2.12. Stockwerkeigentümergemeinschaft 3.3. Tatsachenbehauptungen

4. Frage der sachlichen Zuständigkeit

4.1. Grundlage 4.2. Zur sachlichen Zuständigkeit des Handelsgerichtes 4.2.1. Bei objektiver Klagenhäufung 4.2.2. Bei einfacher Streitgenossenschaft 4.2.2.1. Ansprüche mit unterschiedlichen Streitwerten 4.2.2.2. Nicht alle Streitgenossen im HR eingetragen 4.2.3. Vorrang der Verfahrensart 4.2.4. Streitwert exakt CHF 30'000.-- 4.2.5. Forderungsansprüche aus dem Immaterialgüterrecht

5. Diverses

5.1. Mediationsklausel 5.2. Verjährungsunterbrechung durch Klageeinleitung/Klagerückzug III. Probleme (Stolpersteine) während der Phase des Schriftenwechsels

1. Schriftenwechsel

1.1. Widerklage 1.1.1. Aus dem Anwendungsbereich von Art. 243 ZPO 1.1.2. Gegen eine nicht im HR eingetragene Person 1.1.3. Ausnahme der negativen Feststellungswiderklage 1.2. Streitverkündung / Streitverkündungsklage 1.2.1. Streitverkündung 1.2.2. Streitverkündungsklage 1.3. Klageänderung 1.3.1. Voraussetzung für eine Klageänderung 1.3.2. Zeitpunkt der Vornahme einer Klageänderung

2. Vergleichsverhandlung

3. Verzicht Replik / Duplik IV. Probleme (Stolpersteine) nach Abschluss des Schriftenwechsels (Aktenschluss)

1. Aktenschluss nach Abschluss des zweiten Schriftenwechsels

2. Novenrecht / Replikrecht

2.1. Zum Novenrecht 2.2. Zum Replikrecht 2.3. Zur Kombination von Noven- und Replikrecht

3. Hauptverhandlung

3.1. Teilverzicht möglich 3.2. Durchführung der Hauptverhandlung

4. Beweisverfahren

4.1. Durchführung des Beweisverfahrens 4.1.1. Zulassung zum Beweis als Voraussetzung 4.1.2. Grundsätze für die Durchführung des Beweisverfahrens 4.2. Antizipierte Beweiswürdigung V. Schlussbemerkung

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I. Einleitung

Das Handelsgericht des Kantons Zürich (nachfolgend als Handelsgericht

bezeichnet) entscheidet die ihm zugewiesenen Streitigkeiten nach Art. 5 ZPO und

Art. 6 ZPO entweder als Kollegialgericht (sog. «HG-Geschäfte» ) oder als

Einzelgericht (sog. «HE-Geschäfte» ). Diese organisatorische Zweiteilung findet

ihre Grundlage im kantonalen Recht. So bestimmt § 44 GOG, welche Streitigkeiten

das Handelsgericht im Kollegium entscheidet, und § 45 GOG weist einzelne

Geschäfte dem Einzelgericht des Handelsgerichts zur Beurteilung zu. Während die

Angelegenheiten des summarischen Verfahrens – insbesondere mit Blick auf die

Zielsetzung dieser Verfahrensart – dem Einzelgericht des Handelsgerichts

zugewiesen sind, kommt vor dem Kollegialgericht grundsätzlich nur die

Verfahrensart des ordentlichen Verfahrens (Art. 219 ff. ZPO) zur Anwendung. Die

nachfolgenden Ausführungen beziehen sich auf den Verfahrensgang vor dem

Kollegialgericht (vgl. dazu auch die ausführliche Darstellung von

DAETWYLER/STALDER, Allgemeiner Verfahrensgang und Zuständigkeit des

Handelsgerichts, in: BRUNNER/NOBEL [HRSG.], Festschrift Handelsgericht Zürich

1866-2016, S. 141 ff.).

Das Referat gliedert sich grundsätzlich in drei Teile. Es werden prozessuale

Probleme (Stolpersteine) während verschiedenen Verfahrensphasen beleuchtet;

und zwar (1.) bei der Klageeinleitung, (2.) während der Phase des

Schriftenwechsels und (3.) nach Abschluss des Schriftenwechsels (Aktenschluss).

II. Probleme (Stolpersteine) bei der Klageeinleitung

1. Ausgangspunkt Art. 221 ZPO

Art. 221 ZPO lautet wie folgt:

Art. 221 Klage

1 Die Klage enthält: a. die Bezeichnung der Parteien und allfälliger Vertreterinnen und Vertreter; b. das Rechtsbegehren; c. die Angabe des Streitwerts; d. die Tatsachenbehauptungen;

e. die Bezeichnung der einzelnen Beweismittel zu den behaupteten Tatsachen;

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f. das Datum und die Unterschrift. 2 Mit der Klage sind folgende Beilagen einzureichen: a. eine Vollmacht bei Vertretung; b. gegebenenfalls die Klagebewilligung oder die Erklärung, dass auf das

Schlichtungsverfahren verzichtet werde; c. die verfügbaren Urkunden, welche als Beweismittel dienen sollen; d. ein Verzeichnis der Beweismittel. 3 Die Klage kann eine rechtliche Begründung enthalten.

Aufgrund dieser Bestimmung werden vorab das bzw. die Rechtsbegehren und die

Vollständigkeit der Akten (u.a. Anzahl Rechtsschriften, Anzahl Beilagen,

Verzeichnis der Beweismittel, Vorliegen von Vollmachten etc.) geprüft. Sodann wird

überprüft, ob bereits gleichartige Verfahren bestehen, konnexe Fälle angelegt

wurden bzw. ob zur Prozessthematik von der Gegenpartei früher eine Schutzschrift

(Art. 270 ZPO) eingereicht worden war.

Zu prüfen ist insbesondere auch, ob eine erhöhte Dringlichkeit besteht

(superprovisorische Massnahmebegehren). Nachdem bei Fehlen von

Prozessvoraussetzungen kein Urteil in der Sache ergehen darf (Art. 59 Abs. 1 ZPO

e contrario), erweist sich ferner bereits zu Beginn des Verfahrens eine erste

Prüfung derselben als zweckmäßig, auch wenn keine entsprechende Pflicht zur

Vorabprüfung besteht (BGE 140 III 159 E. 4.2.4). Aus Gründen der

Prozessökonomie soll ein Nichteintretensentscheid ergehen, sobald feststeht, dass

es definitiv an einer Prozessvoraussetzung fehlt (BSK ZPO-GEHRI N 5-6 zu Art. 60).

Ungeachtet des Grundsatzes der amtswegigen Prüfung der

Prozessvoraussetzungen trifft die Parteien eine Mitwirkungsobliegenheit (BBl 2006

7221, Ziffer 5.3.2 S. 7276; BK ZPO-ZINGG, N 5 zu Art. 60). Zu den

Prozessvoraussetzungen gehört auch die gehörige Verfahrenseinleitung

(Obergericht des Kantons Zürich, Beschluss NP160019-O/U vom 7. Dezember

2016 E. 2.3; BK ZPO-ZINGG, N 159-160 zu Art. 59), welche mit den in Art. 59 Abs.

2 ZPO ausdrücklich genannten Prozessvoraussetzungen in einem engen

Zusammenhang steht. Eine nicht explizit in Art. 59 Abs. 2 ZPO genannte

Prozessvoraussetzung bilden insbesondere die ausreichend individualisierten

Rechtsbegehren. Nur aufgrund einer hinreichenden Individualisierung der Klage

lässt sich beurteilen, ob das Gericht sachlich sowie örtlich zuständig (Art. 59 Abs.

2 lit. b ZPO) und die Sache nicht anderweitig rechtshängig (Art. 59 Abs. 2 lit. d ZPO)

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oder rechtskräftig entschieden (Art. 59 Abs. 2 lit. e ZPO) ist. Angesichts des

Dispositionsgrundsatzes verbietet sich diesbezüglich eine Konkretisierung durch

das Gericht.

2. Verbesserung von mangelhaften Eingaben gemäss Art. 131 ZPO und Art. 132

ZPO

Stellt das Gericht verbesserliche Mängel fest (z.B. ungenügende Anzahl an

Exemplaren der Klageschrift, fehlendes Beweismittelverzeichnis, unzureichende

Parteiangaben, fehlende Unterschrift und fehlende Vollmacht) setzt das

Handelsgericht der klagenden Partei eine kurze Nachfrist an, um diese Mängel zu

beheben, andernfalls die Eingabe als nicht erfolgt gilt (Art. 131 ZPO und Art. 132

Abs. 1 ZPO); gleiches gilt für unleserliche, ungebührliche, unverständliche oder

weitschweifige Eingaben (Art. 132 Abs. 2 ZPO). Art. 132 ZPO nimmt somit nur auf

formelle Mängel Bezug, nicht jedoch auf inhaltliche Unzulänglichkeiten wie

fehlende oder ungenügende Begründung der Klage. Immerhin kann unter gewissen

Umständen - z.B. Einreichung einer entsprechenden Klage durch eine anwaltlich

nicht vertretene Klägerin - auch im ordentlichen Verfahren einer Partei nach dem

Grundsatz von Treu und Glauben gemäss Art. 52 ZPO sowie in Anwendung von

Art. 56 ZPO (richterliche Frage- und Aufklärungspflicht) Gelegenheit zur

Verbesserung einer mangelhaften oder zur Nachreichung einer fehlenden

Begründung eingeräumt werden (vgl. dazu ZR 111 [2012] Nr. 76, E. 3a sowie

nachfolgend unter Ziff. 3.3.).

2.1. Ungenügende Vollmacht

Lässt sich die klagende Partei im Prozess vertreten, so ist mit der Klage eine

Vollmacht einzureichen, aus welcher das betreffende Vertretungsverhältnis

hervorgeht (Art. 221 Abs. 2 lit. a ZPO; Art. 68 Abs. 3 ZPO). Organvertreter müssen

sich durch einen Handelsregisterauszug ausweisen.

In der Praxis kommt es oft vor, dass aufgrund nicht leserlicher bzw. nicht

zuordenbarer Unterschrift nicht ersichtlich ist, wer die Vollmacht der Klägerin mit

welcher Zeichnungsberechtigung unterzeichnet hat. Da die Personen, welche die

Vollmacht unterzeichnet haben, berechtigt sein müssen, für die juristische Person

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zu handeln, sind bei unleserlichen Unterschriften geeignete Vorkehren zu treffen,

um entsprechend Klarheit zu schaffen (z.B. Ergänzung der Unterschriftszeile durch

Namen des Unterzeichnenden in Blockschrift; vgl. zum Ganzen auch

STAEHELIN/SCHWEIZER, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger, ZPO Komm.,

N 28 zu Art. 68 ZPO).

Die Vollmacht hat im Übrigen zeitaktuell und (selbstverständlich) prozessbezogen

zu sein. In der Regel genügt eine Kopie. Originale werden nur in Zweifelsfällen

verlangt.

Spezialfall der auf eine Anwaltskörperschaft lautenden Vollmacht: Eine Vollmacht,

die auf eine Anwaltskörperschaft (z.B. XY Rechtsanwälte AG) lautet, ist

ungenügend, da die Prozessvollmacht für die Parteivertretung vor Gericht auf die

die jeweilige Partei vertretenden Anwälte zu lauten hat (BSK ZPO-TENCHIO, N 14b

zu Art. 68 m.w.H.; vgl. auch Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I.

Zivilkammer, vom 5. Dezember 2011, Geschäfts-Nr. RT110116, E. 9). Das

Handelsgericht setzt daher der betreffenden Partei (auch) in solchen Fällen stets

Frist zur Einreichung einer prozessgenügenden Vollmacht an.

Bei einer allfälligen Säumnis wird (androhungsgemäss) vollmachtloses Handeln

angenommen bzw. auf die Klage nicht eingetreten.

2.2. Fehlender ausländischer Registerauszug (Art. 6 Abs. 2 lit. c ZPO)

Für eine handelsrechtliche Streitigkeit wird in sachlicher Hinsicht unter anderem der

Eintrag der Parteien im schweizerischen Handelsregister oder in einem

vergleichbaren ausländischen Register vorausgesetzt (Art. 6 Abs. 2 lit. c ZPO). Oft

ist es schwierig zu ermitteln, ob der Eintrag in einem ausländischen Register den

schweizerischen Verhältnissen entspricht. Das ausländische Register muss

jedenfalls in etwa die gleiche Funktion wie das hiesige Handelsregister erfüllen. In

Betracht kommen daher auch Bescheinigungen der Handelskammern oder der

Konsulate, aber auch sonstige Beweismittel, aus denen sich mit Bestimmtheit

ergibt, dass die Partei im Ausland als kaufmännisches Unternehmen anerkannt ist

(vgl. dazu BK ZPO-BERGER, N 19 zu Art. 6).

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Fehlt - was in der hiesigen Praxis nicht selten vorkommt - ein derartiger

Registerauszug bzw. eine entsprechende ausländische Bescheinigung, so setzt

das Handelsgericht der klagenden Partei Frist an, um ein entsprechendes

amtliches Dokument im Original (allenfalls mit deutscher Übersetzung der

wesentlichen Passagen) einzureichen, aus dem die Eintragung der Partei im

betreffenden Land, die eintragende Amtsstelle, die Firmendetails und weiter auch

die konkreten Zeichnungsberechtigungen hervorgehen.

2.3. Fehlendes oder mangelhaftes Beweismittelverzeichnis

Das mit der Klage einzureichende Verzeichnis der Beweismittel (Art. 221 Abs. 2 lit.

d ZPO) ist Teil der gehörigen Beweisantretung und hat sowohl die beigelegten

(Urkunden) als auch die beantragten (etwa Zeugen, Gutachten) Beweismittel (Art.

168 ff. ZPO) zu enthalten. Ein blosses Verzeichnis der Beilagen (Urkunden) genügt

nicht, sofern sich die klagende Partei in ihrer Rechtschrift nebst Urkunden auch

noch auf andere Beweismittel beruft.

Bei fehlendem oder mangelhaftem Beweismittelverzeichnis wird der klagenden

Partei Frist zur Nachreichung angesetzt (Art. 132 Abs. 1 ZPO). Die spezielle

Säumnisfolge von Art. 132 Abs. 1 ZPO, wonach die Klageeingabe als nicht erfolgt

gilt, ist dagegen kaum gerechtfertigt, da Art. 221 Abs. 2 lit. d ZPO eine blosse

Ordnungsvorschrift ist, die dem Gericht die Arbeit erleichtern soll (namentlich

sollten in diesem Verzeichnis die Zeugenadressen vollständig aufgelistet werden).

Am Handelsgericht ergeht in diesem Zusammenhang vielmehr die Androhung,

dass bei Säumnis die Beweismittel der Klage als nicht formgerecht angeboten

angesehen werden. Das Gericht kann demnach bei nicht fristgerechter

Nachreichung von der Abnahme der Beweismittel absehen oder allenfalls gemäss

Art. 153 Abs. 2 ZPO Beweis von Amtes wegen erheben, wenn die klägerische

Sachdarstellung unbestritten bleibt, aber erhebliche Zweifel an deren Richtigkeit

bestehen (BSK ZPO-WILLISEGGER, N 49 zu Art. 221). Eine andere Möglichkeit, die

am Handelsgericht allerdings nicht praktiziert wird, besteht in der nachträglichen

Erstellung des Beweismittelverzeichnisses durch das Gericht auf Kosten der

säumigen Partei (vgl. dazu HEINRICH ANDREAS MÜLLER, ZPO - Praktische Fragen

aus Richtersicht, in: SJZ 110 [2014] S. 371).

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8

2.4. Ungenügende Parteibezeichnung

Die Parteien sind nach Art. 221 Abs. 1 lit. a ZPO genau zu bezeichnen, so dass

über ihre Identität kein Zweifel besteht. Bei natürlichen Personen sind zumindest

der vollständige Name (Vor- und Nachname) und die genaue aktuelle

Wohnsitzadresse anzugeben (vgl. BGE 4A_364/2013 vom 5. März 2014 E. 16.1);

bei juristischen Personen sowie partei- und prozessfähigen Handelsgesellschaften

richten sich die Angaben nach dem Eintrag im Handelsregister bzw. dem

entsprechenden ausländischen Register. Die genaue Bezeichnung der

Prozessparteien ist eine zentrale Voraussetzung für die Prüfung ihrer Partei- und

Prozessfähigkeit wie auch ihrer Legitimation (vgl. dazu BGE 4A_510/2016 vom 26.

Januar 2017 E. 3.1 m.w.H.).

Bei (eingetragenen) Einzelunternehmungen ist nicht die Firma, sondern stets der

jeweilige Inhaber anzugeben.

Gesamthandschaften wie einfache Gesellschaften (Art. 530 ff. OR) oder

Erbengemeinschaften (Art. 602 ZGB) bilden eine notwendige

Streitgenossenschaft, die als solche nicht partei- und prozessfähig ist, sondern aus

mehreren Hauptparteien besteht, die einzeln zu bezeichnen sind (z.B.

Erbengemeinschaft von X, bestehend aus A, B und C oder Baukonsortium Y

"ARGE", bestehend aus D, E und F). Es sind also alle Erben bzw. Gesellschafter

als Parteien gesondert aufzuführen, allenfalls mit dem Zusatz "Erbengemeinschaft

X" oder mit der Bezeichnung der einfachen Gesellschaft (vgl. dazu BK ZPO-KILLIAS,

N 4 ff. zu Art. 221; PAHUD, DIKE-Komm-ZPO, N 2 zu Art. 221; BSK ZPO-

WILLISEGGER, 3. Aufl. 2017, N 7 zu Art. 221; STAEHELIN/SCHWEIZER, a.a.O., N 27 zu

Art. 66 sowie GAUCH, Der Werkvertrag, 5. Aufl., Zürich 2011, N 243 ff.).

Eine differenzierte Betrachtung ist dagegen bei gerichtlichen Streitigkeiten, die sich

auf Stockwerkeigentum beziehen, vorzunehmen, weil die

Stockwerkeigentümergemeinschaft mit Bezug auf das Sondervermögen ihrer

Verwaltungstätigkeit beschränkt partei- und prozessfähig ist (Art. 712l Abs. 2 ZGB).

Ausserhalb der Verwaltung des Stockwerkeigentums bzw. dessen

gemeinschaftlicher Teile verfügt die Stockwerkeigentümergemeinschaft über keine

Handlungs- und Prozessfähigkeit. Je nachdem (ob das Sondervermögen betroffen

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9

ist oder nicht) haben der oder die Stockwerkeigentümer, einzeln oder gemeinsam,

oder die Gemeinschaft der Stockwerkeigentümer als solche zu klagen.

Demgemäss muss auch die Parteibezeichnung im Rubrum der Klageschrift

eindeutig sein. Allein aus der in der Praxis häufig verwendeten Formulierung

"Stockwerkeigentümergemeinschaft XY, bestehend aus den

Stockwerkeigentümern A, B, C, D und E" lässt sich nicht immer mit der nötigen

Sicherheit ableiten, ob nun die Stockwerkeigentümergemeinschaft unter ihrem

Namen als Klägerin auftritt oder ob die einzelnen Stockwerkeigentümer als Kläger

auftreten. Bei zweifelhaften Parteibezeichnungen ist es daher unumgänglich, dass

in der Klageschrift geeignete Präzisierungen angebracht werden, aus denen sich

klar ergibt, wer nun genau klagt, also die Gemeinschaft selber oder die einzelnen

(bzw. einzelne) Eigentümer als einfache Streitgenossen. Dies hat unmittelbar

Auswirkungen auf die von Amtes wegen zu prüfende Voraussetzung der Partei-

bzw. Prozessfähigkeit und kann im Übrigen auch die materiellrechtliche

Sachlegitimation beschlagen. Es stellt sich stets die Frage, ob eine

Stockwerkeigentümergemeinschaft nicht nur fähig ist zu handeln, sondern im

betreffenden Rechtsverhältnis auch berechtigt ist, dieses Recht geltend zu machen

(vgl. dazu BGE142 III 623 ff.; BGE 5C.246/2005 vom 6. Februar 2006 E. 2.1 sowie

WERMELINGER, Das Stockwerkeigentum, 2. Aufl. 2014, N 164 ff. zu Art. 712l ZGB).

Die klagende Partei, die Ansprüche der Konkurs- oder Liquidationsmasse im

Prozess geltend machen will, muss angeben, dass sie als Abtretungsgläubigerin

nach Art. 260 SchKG handelt und eine Abtretungsverfügung ins Recht legen, was

eine Prozessvoraussetzung darstellt. Die Parteibezeichnung könnte in einem

solchen Fall z.B. wie folgt lauten: "Peter Muster,… als Abtretungsgläubiger nach

Art. 260 SchKG der XY AG in Konkurs …" (vgl. dazu BSK ZPO-WILLISEGGER, 3.

Aufl. 2017, N 7 zu Art. 221 sowie PAHUD, DIKE-Komm-ZPO, N 3 zu Art. 221).

Weder partei- noch prozessfähig ist die Zweigniederlassung. Eine

Zweigniederlassung ist ein kaufmännischer Betrieb, der rechtlich Teil einer

Hauptunternehmung ist, von der er abhängt, und der in eigenen Räumlichkeiten

dauernd eine gleichartige Tätigkeit wie jene ausübt, wobei er über eine gewisse

wirtschaftliche und geschäftliche Unabhängigkeit verfügt. Eine Zweigniederlassung

bildet mithin zusammen mit dem Hauptsitz eine rechtliche Einheit und ist selbst

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weder in der Lage (als Klägerin) Rechte geltend zu machen noch (als Beklagte) in

Anspruch genommen zu werden. Trotzdem kommt es in der handelsgerichtlichen

Praxis immer wieder vor, dass Zweigniederlassungen im Rubrum der Klageschrift,

entweder als klagende oder beklagte Partei, aufgeführt werden.

Fehlt die von Amtes wegen zu prüfende Prozessvoraussetzung der Parteifähigkeit

(Art. 60 i.V.m. Art. 59 Abs. 2 lit. c ZPO), so führt dies grundsätzlich zum

Nichteintreten auf die Klage (Art. 59 Abs. 1 ZPO e contario; KUKO ZPO-DOMEJ, N

11 zu Art. 66; BGE 4A_242/2016 vom 5. Oktober 2016 E. 3.4). Ergibt die Auslegung

der Klage jedoch, dass sich eine Partei bloss in der Bezeichnung vergriffen hat, so

ist die fehlerhafte Bezeichnung von Amtes wegen zu berichtigen. In diesem Sinne

hat auch das Bundesgericht eine Berichtigung der Parteibezeichnung wiederholt

als zulässig erachtet, sofern bei Aufführung der Zweigniederlassung im Rubrum

keine Zweifel über die Identität der Partei (Hauptunternehmung) bestehe und damit

jede Gefahr einer Verwechslung ausgeschlossen werden könne (vgl. BGE

4A_510/2016 vom 26. Januar 2017 E. 3.2 m.w.H).

Nur in Zweifelsfällen hat das Gericht seine Fragepflicht (Art. 56 ZPO) auszuüben,

um festzustellen, wer klagt bzw. wer verklagt werden soll (KUKO ZPO-DOMEJ, N 11

ZU ART. 66). Bei anwaltlich vertretenen Parteien ist, wie das Bundesgericht

mehrfach betont hat, allerdings Zurückhaltung bei der gerichtlichen Fragepflicht

geboten (vgl. dazu etwa BGE 4A_336/2014 vom 18. Dezember 2014 E. 7.6; BGE

4A_57/2014 vom 8. Mai 2014 E. 1.3.2 sowie BGE 4D_57/2013 vom 2. Dezember

2013 E. 3.2).

Bei Zweigniederlassungen wird das Rubrum demnach immer dann bereits von

Amtes wegen korrigiert, wenn es sich bei der falschen Parteibezeichnung um ein

blosses Redaktionsversehen handelt und jede Verwechslungsgefahr

ausgeschlossen ist

In der Praxis wurden Berichtigungen von Parteibezeichnungen zudem für zulässig

erachtet, wenn beispielsweise eine Einzelfirma statt deren Inhaber als physische

Einzelperson, eine einfache Gesellschaft unter einer Firmenbezeichnung statt der

einzelnen Gesellschafter, die "Erben des H.S." statt die in der Klage genannten

einzelnen Erben oder ein Verstorbener statt die in den Akten genannten Erben als

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Partei aufgeführt wurden (vgl. dazu BK ZPO-KILLIAS, N 7 zu Art. 221;

FRANK/STRÄULI/MESSMER, Kommentar zur zürcherischen ZPO, 3. Aufl., Zürich

1997, N 5 zu § 108, mit zahlreichen Hinweisen auf die Rechtsprechung sowie

LEUENBERGER, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger, ZPO Komm., N 22 zu

Art. 221).

Die blosse Berichtigung einer Parteibezeichnung ist schliesslich abzugrenzen von

einem eigentlichen Parteiwechsel, der (ohne Veräusserung des Streitobjekts) nach

Art. 83 Abs. 4 ZPO grundsätzlich nur mit Zustimmung der Gegenpartei zulässig ist

(vgl. BGE 131 I 57 E. 2.2 S. 63; BGE 4A_116/2015 vom 9. November 2015 E. 3.5.1,

nicht publ. in: BGE 141 III 539).

2.5. Unleserliche Eingabe

Massgebendes Kriterium zur Beurteilung der Unleserlichkeit ist, ob es für das

Gericht und die Parteien noch zumutbar ist, die Eingabe ohne grosse Mühe zu

lesen. Die Unleserlichkeit einer Eingabe kann etwa darin begründet sein, dass sie

sich aufgrund von häufigen Verweisen und Abkürzungen nicht in einem Zug lesen

lässt, sondern den Leser zum ständigen Blättern zwingt (vgl. dazu KRAMER/ERK,

DIKE-Komm-ZPO, N 9 zu Art. 132).

Als in diesem Sinne unzumutbar erachtete das Handelsgericht etwa eine Klage,

welche zahlreiche – teilweise über die Hälfte einer Seite einnehmende – Fussnoten

enthielt, in welchen auf engem Raum (teils weitschweifig) rechtliche mit

tatsächlichen Ausführungen vermischt wurden. Die Tatsachenbehauptungen

hätten durch den Leser mit den Ausführungen in den Fussnoten ergänzt bzw.

abgeglichen werden müssen. Eine solche Mühe bei der Lektüre einer

Klagebegründung ist weder dem Gericht noch der Gegenpartei, welcher dadurch

ein substantiiertes Bestreiten unnötigerweise erschwert würde, zumutbar. Da die

Klagebegründung aufgrund ihrer Unleserlichkeit keine zumutbare Grundlage eines

Prozesses darstellt, wurde dem Kläger eine Nachfrist angesetzt, um die

betreffenden Mängel zu beheben und dem Gericht eine verbesserte Eingabe

einzureichen (Verfügung des Handelsgerichts HG170204 vom 20. Oktober 2017).

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2.6. Weitschweifige Eingabe

Auf die Frage, ob eine Rechtsschrift weitschweifig ist und somit den Gang der

Rechtspflege behindert, geben grundsätzlich insbesondere die folgenden Kriterien

Auskunft: (1) Umfang des angefochtenen Entscheids sowie früherer oder

gegnerischen Rechtsschriften und (2) inhaltliche Abschweifung vom

Prozessthema. Übermässige Weitschweifigkeit wird etwa angenommen bei

langatmigen Ausführungen und ständigen Wiederholungen bezüglich einzelner

Tat- oder Rechtsfragen, die zur Wahrung eines Anspruchs nicht erforderlich sind

und/oder sich in keiner Weise auf das Prozessthema beziehen. Weitschweifigkeit

kann aber auch darin gesehen werden, dass eine Partei zahlreiche Beilagen zu

einer Rechtsschrift einreicht, die nicht in erkennbarer Weise mit der konkreten

Streitfrage im Zusammenhang stehen.

Bei der Annahme von Weitschweifigkeit ist aber im Zweifelsfall Zurückhaltung

geboten; wird vorschnell auf Weitschweifigkeit erkannt, kann darin eine Verletzung

des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegen. Gerade die Darlegung komplizierter

Sachverhalte und komplexer Rechtsverhältnisse erfordert unter Umständen

ausführliche Erörterungen, die, da sachlich geboten, nicht als (übermässig)

weitschweifig zurückzuweisen sind. Auch in derartigen, grundsätzlich zulässigen

Fällen darf aber eine Beschränkung auf das Wesentliche erwartet werden. Das

Erfordernis der Verständlichkeit verlangt sodann nach einer nachvollziehbaren

Struktur der Eingabe. Ob eine Eingabe diesen Anforderungen genügt, hängt auch

von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. BGE 9C_440/2017 vom 19. Juli 2017

E. 5.2. m.w.H. auf Lehre und Rechtsprechung).

Das Handelsgericht weist weitschweifige Eingaben im Sinne von Art. 132 ZPO aus

dem Recht und setzt der betreffenden Partei entsprechend eine Nachfrist zur

Verbesserung. Dabei ist es nicht Aufgabe des Gerichts, im Detail aufzuzeigen,

welche konkreten Passagen weitschweifig oder schwer verständlich sind (vgl. BGE

1C_162/2010 vom 18. Mai 2010 E. 4.6.2.). Dies auch deshalb, weil das Gericht sich

ohnehin nicht mit jedem und sämtlichen Vorbringen befassen muss, sondern sich

mit der Behandlung der relevanten Streitpunkte und Fragen begnügen kann (BGE

126 I 97 E. 2b S. 102 f. m.w.H.).

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Denkbar ist indessen auch, dass lediglich einzelne Passagen, welche vom Gericht

als weitschweifig beurteilt werden, bei ausbleibender oder ungenügender

Verbesserung unbeachtlich bleiben, was der betreffenden Partei gleichzeitig mit

der dieser anzusetzenden Nachfrist zur Kenntnis gebracht werden muss.

Umfangreiche Rechtschriften werden oft mit überhöhten

Substantiierungsanforderungen der Gerichte (und insbesondere des

Handelsgerichts) zu rechtfertigen versucht. Dem ist entgegenzuhalten, dass die

Substantiierung von dem Gericht unterbreiteten Ansprüchen vom Bundesrecht

beherrscht wird und daher nicht von der Praxis des Handelsgerichts, sondern von

jener des Bundesgerichts abhängt. Entscheidend ist jedenfalls, dass die

Parteivorträge so zu gestalten sind, dass Gericht und Gegenpartei wissen, auf

welche Tatsachen bestimmte Ansprüche gestützt werden. Auch soll klar sein,

welche Tatsachenvorbringen des Gegners anerkannt und welche bestritten

werden, was wiederum dafür von Belang ist, worüber überhaupt Beweis zu führen

sein wird (vgl. z.B. BGE 127 III 365 E. 2b). Sind diese Voraussetzungen gegeben,

dürfen die Gerichte keine weiteren (und namentlich nicht überspannte)

Anforderungen an die Substantiierung stellen.

Das Handelsgericht bejahte beispielsweise in folgendem Fall die Frage der

Weitschweifigkeit:

- Klageschrift der Klägerin (inklusive Beweismittelverzeichnis): Umfang: 24 Seiten; Gewicht: 137 Gramm.

- Klageantwort der Beklagten (inklusive Beweismittelverzeichnis): Umfang: 265 Seiten; Gewicht: 1'546 Gramm.

Mit der Nachfristansetzung erhielt die Beklagte die Auflage, ihre Vorbringen in einer

Rechtsschrift vorzutragen, die den Umfang von 100 Seiten nicht übersteigt

(HG120210/Z03, Verfügung vom 10. Dezember 2012).

Ähnlich wurde jüngst auch in einem Fall (umfangreicher Bauprozess) am

Handelsgericht vorgegangen, in welchem die Klägerin mit einer einheitlichen

Klageschrift zwei Beklagte gleichzeitig ins Recht fasste. Nachdem der Klägerin Frist

angesetzt wurde, um eine zweite Rechtsschrift (Replik) zu erstatten, reichte die

Klägerin aber zwei Repliken ein, obschon sie hierzu weder gerichtlich aufgefordert

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wurde noch einen Antrag auf Verfahrenstrennung gestellt hatte. Da die

eingereichten Repliken zahlreiche Überschneidungen und Wiederholungen

aufwiesen, die Beweismittelverzeichnisse – trotz teilweise unterschiedlicher

Nummerierung – weitestgehend deckungsgleich waren und die Anträge sowie der

jeweilige Prozessstoff gleichermassen beide Beklagten betraf, wurde der Klägerin

eine Nachfrist angesetzt, mit der Aufforderung eine einheitliche, inhaltlich stringente

Replik mit einem einzigen Beweismittelverzeichnis und einem übersichtlichen

Inhaltsverzeichnis einzureichen und dem Hinweis, dass unnötige Wiederholungen

zu vermeiden seien. Für den Fall einer allfälligen Säumnis wurde festgehalten, dass

die als "Replik" bezeichneten Eingaben der Klägerin als nicht erfolgt gelten und

Verzicht auf eine zweite Rechtsschrift (Replik) angenommen wird (HG160041/Z12,

Verfügung vom 7. Dezember 2017). Auf eine von der Klägerin dagegen erhobene

Beschwerde ist das Bundesgericht - weil es der Klägerin nicht gelang, einen ihr

durch die betreffende Verfügung drohenden nicht leicht wiedergutzumachenden

Nachteil darzulegen - nicht eingetreten (BGE 4A_665/2017 vom 22. Dezember

2017). In der Folge ist die Klägerin den gerichtlichen Aufforderungen

nachgekommen.

3. Ungenügende (mangelhafte) Klageschrift

3.1. Rechtsbegehren

Das Rechtsbegehren ist das Herzstück der Klage und bildet die Grundlage eines

jeden Zivilprozesses. Die klägerische Partei gibt mit Einreichen ihrer

Rechtsbegehren bekannt, bezüglich welcher Ansprüche sie eine gerichtliche

Beurteilung anstrebt. Insofern legen die Rechtsbegehren den Streitgegenstand

fest. Als zwingender Klageinhalt formuliert das Rechtsbegehren die Frage bzw.

Behauptung, welche eine klagende Partei beurteilt haben möchte. Das Gegenstück

dazu ist das Urteilsdispositiv, welches die Antwort bzw. das Ergebnis der gerichtlich

ergangenen Überprüfung festhält. Mit den Rechtsbegehren wird somit der

Streitgegenstand bestimmt (fixiert) und der Rahmen für die Prozessfolgen

abgesteckt. So sind die Rechtsbegehren nicht nur für die Zuständigkeit, für die

objektive Klagenhäufung (Art. 90 ZPO) und die Bestimmung der gerichtlichen

Kognition im Rahmen der Dispositionsmaxime (Art. 58 Abs. 1 ZPO) von

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entscheidender Bedeutung, sondern spielen auch eine massgebende Rolle für die

materielle Rechtskraft (Art. 59 Abs. 2 lit. e ZPO), die Rechtshängigkeit (Art. 59 Abs.

2 lit. d ZPO), die Zulässigkeit einer Klageänderung (Art. 227 ZPO), die Kosten- und

Entschädigungsfolgen (bzw. Kostenvorschuss und Sicherheit für

Parteientschädigung) sowie die Vollstreckung (vgl. dazu RAMON MABILLARD,

Grundsätze zur Formulierung von Rechtsbegehren, in: Das Rechtsbegehren im

Zivilverfahren: Theoretische Fragen, praktische Antworten, Bern 2016, S. 2 ff.;

FRÉDÉRIC KRAUSKOPF, Rechtsbegehren im Haftpflichtrecht, in: Das

Rechtsbegehren im Zivilverfahren: Theoretische Fragen, praktische Antworten,

Bern 2016, S. 29 ff.). Wie ein Rechtsbegehren zu formulieren ist, hängt von der

jeweiligen zivilprozessualen Klageart ab. Oberstes Gebot für die Formulierung

eines Rechtsbegehrens ist grundsätzlich die genügende Bestimmtheit.

3.1.1. Genügende Bestimmtheit

Die Formulierung des Rechtsbegehrens muss so bestimmt sein, dass dieses bei

Gutheissung unverändert zum Urteil erhoben und das Urteil vollstreckt werden

kann (Bestimmtheitsgrundsatz; BGE 142 III 102 E. 5.3.1.; BGE 137 III 617 E. 4.3

S. 619; BGE 4A_686/2014 vom 3. Juni 2015 E. 4.3.1; LEUENBERGER, a.a.O. N. 28

zu Art. 59). Für die Forderungsklage konkretisieren Art. 84 Abs. 2 ZPO und Art. 85

ZPO die Anforderungen an das Rechtsbegehren. Diese Bestimmungen bilden

jedoch lediglich Ausfluss des allgemeinen Bestimmtheitsgrundsatzes, welcher der

Dispositionsmaxime (Art. 58 Abs. 1 ZPO) entstammt (FÜLLEMANN, DIKE-Komm-

ZPO, N. 4 zu Art. 84 ZPO). Bei der Prüfung, ob das Rechtsbegehren dem

Bestimmtheitsgrundsatz genügt, ist dieses unter Berücksichtigung der

Parteibehauptungen nach Treu und Glauben (Art. 52 ZPO) auszulegen (BK ZPO-

HURNI, N. 18 zu Art. 58 ZPO). Dabei sind die Anforderungen an die Bestimmtheit

eines Rechtsbegehrens höher als jene an die Substantiierung von

Tatsachenbehauptungen, geht es doch bei der Substantiierung von

Tatsachenbehauptungen insbesondere darum, dass die Gegenpartei diese

substantiiert bestreiten kann, während beim Bestimmtheitsgrundsatz auch die

Vollstreckbarkeit vom Zweck mitumfasst ist. Im Übrigen darf zur Auslegung eines

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unklaren Rechtsbegehrens (selbstverständlich) auf die Klagebegründung

abgestellt werden (vgl. BGE 137 II 313 E. 1.3).

Der Bestimmtheitsgrundsatz erfüllt drei Funktionen (zum Ganzen: ANNETTE DOLGE,

in: Karl Spühler/Annette Dolge/Myriam Gehri, Schweizerisches Zivilprozessrecht,

9. Aufl. 2010, 7. Kapitel Rz. 59). Erstens fixiert das Rechtsbegehren zusammen mit

dem tatsächlichen Klagefundament den Streitgegenstand; zweitens dient der

Bestimmtheitsgrundsatz der Wahrung des rechtlichen Gehörs der Gegenpartei,

welche wissen muss, wogegen sie sich zu verteidigen hat und drittens muss

schliesslich das aufgrund des Rechtsbegehrens zu fällende Urteil die

Zwangsvollstreckung ermöglichen, ohne dass es dazu weiterer Abklärungen bedarf

(vgl. dazu BGE 4A_686/2014 vom 3. Juni 2015 E. 4.3.1; LEUENBERGER, a.a.O.,

N. 29 zu Art. 221 ZPO sowie FÜLLEMANN, DIKE-Komm-ZPO, N. 4 zu Art. 84 ZPO).

Der letzte Grundsatz ist insbesondere bei nicht auf Geldleistung gerichteten

Klagen, bei denen keine eigentliche Bezifferung möglich ist, von grosser Bedeutung

(SUTTER-SOMM, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2012, Rz. 523). Am

Massstab der Vollstreckbarkeit hat sich deshalb ein Herausgabebegehren zu

messen (vgl. FÜLLEMANN, DIKE-Komm-ZPO, N. 4 zu Art. 84 ZPO).

Bezüglich der beantragten Herausgabe von Dokumenten kann jedoch dann auf die

Bezeichnung der einzelnen Belege (z.B. Regierapporte oder Transaktionen) im

Rechtsbegehren verzichtet werden, wenn die Dokumente dergestalt umschrieben

werden, dass sie klar bestimmbar sind, so dass die Gegenpartei genau erkennt,

welche Dokumente im Rahmen der Dispositionsmaxime von ihr herausverlangt

werden (und folglich auch das Vollstreckungsgericht beurteilen kann, ob die

Anordnung zur Herausgabe befolgt worden ist). Auf diese Weise lassen sich

jedenfalls - immer vorausgesetzt, dass die geforderten Dokumente klar

identifizierbar sind - unübersichtlich lange und detaillierte Rechtsbegehren

vermeiden (vgl. dazu BGE 4A_686/2014 vom 3. Juni 2015 E. 4 sowie mit Bezug

auf den Umfang der Rechenschaftsablegung gemäss Art. 400 OR ZR 114 [2015]

Nr. 38). Im Weiteren ist festzuhalten, dass Gesuche um Rechenschaft und

Dokumentenherausgabe - insbesondere solche, die sich auf Auftragsverhältnisse

beziehen, die über "viele Jahre" gedauert haben, im Rechtsbegehren auch den

Zeitraum spezifizieren müssen, über den sie Rechenschaft bzw. Herausgabe

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verlangen (vgl. dazu MARKUS AFFOLTER, Die Durchsetzung von

Informationspflichten im Zivilprozess, Diss. St. Gallen, 1994, S. 56). In

Ermangelung einer derartigen zeitlichen Präzisierung besteht die Gefahr, dass die

allfällige Vollstreckung des Rechenschafts- bzw. Herausgabeanspruchs nicht

gewährleistet ist.

Auf Klagen mit Rechtsbegehren, die unklar, unvollständig oder unbestimmt sind, ist

nicht einzutreten. Das Gericht kann aber unter Umständen (z.B. bei nicht anwaltlich

vertretenen Parteien) im Rahmen seiner Fragepflicht auf die Klärung solcher

Begehren hinwirken. Die Neufassung eines undeutlich formulierten, aber inhaltlich

gleichbleibenden Rechtsbegehrens stellt denn auch keine Klageänderung dar (BK

ZPO-KILIAS, N 15 zu Art. 221; BSK ZPO-WILLISEGGER, N 20 und N 21 zu Art. 221).

3.1.2. Leistungsklage

3.1.2.1. Bezifferung als Grundsatz

Die Leistungsklage ist in Art. 84 ZPO geregelt und strebt die gerichtliche

Verurteilung zu einem Tun, Unterlassen oder Dulden an. Für Leistungsklagen

bedeutet das Bestimmtheitsgebot, dass das Rechtsbegehren die begehrte Leistung

nach Art und Umfang so genau bezeichnen muss, dass keine Ungewissheit über

das Geforderte besteht. Erforderlich ist ein konkreter vollstreckungsfähiger Inhalt.

Der Vollstreckungsbehörde muss daher auch ohne Lektüre des Urteils klar sein,

was Gegenstand der Vollstreckung bildet.

Für Klagen auf Geldzahlungen (Forderungsklagen) präzisiert Art. 84 Abs. 2 ZPO

den Grundsatz der Bestimmtheit dahingehend, dass eine genaue Bezifferung der

eingeklagten Forderung verlangt wird. Erforderlich ist eine ziffernmässig genaue

Angabe des beanspruchten Geldbetrages. Zu nennen sind sowohl der Betrag (inkl.

Verzugszins) wie auch die Währung, in welcher die Geldforderung lautet. Nicht ins

Rechtsbegehren gehört dagegen die Bezeichnung der dem Anspruch zugrunde

liegende Rechtsgrundlage, weil das Recht nicht in der Disposition der Parteien

steht, sondern vom Gericht uneingeschränkt von Amtes wegen angewendet wird.

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3.1.2.2. Unbezifferte Forderungsklage als Ausnahme

a) Unbezifferte Forderungsklage im engeren Sinn

Für den Fall, dass es der klagenden Partei unmöglich oder unzumutbar sein sollte,

ihre Forderung bereits zu Beginn des Prozesses zu beziffern, sieht Art. 85 ZPO die

Möglichkeit vor, eine unbezifferte Forderungsklage zu erheben. Dabei muss die

klagende Partei einen Mindeststreitwert angeben, der als vorläufiger Streitwert gilt.

Dies hat insbesondere dort zu gelten, wo erst das Beweisverfahren die Grundlage

der Bezifferung der Forderung abgibt; hier ist dem Kläger zu gestatten, die

Präzisierung erst nach Abschluss des Beweisverfahrens vorzunehmen. Dabei

regelt Art. 85 Abs. 1 ZPO sowohl die unbezifferte Forderungsklage im engeren

Sinne einerseits wie die Stufenklage andererseits (BGE 140 III 409 E. 4.3. und

E. 4.3.1. sowie BGE 4A_375/2015 vom 26. Januar 2016 E. 3. und 5.3.1.).

Bei der unbezifferten Forderungsklage im engeren Sinne wird die Bezifferung als

Ergebnis des Beweisverfahrens nachträglich möglich bzw. zumutbar, wobei die

klagende Partei entsprechende Begehren auf Edition von Urkunden oder

Einvernahmen von Zeugen stellt, die ihr zur notwendigen Information zur

Bezifferung verhelfen (BK ZPO-MARKUS, N 3 zu Art. 85). Sie wird vor diesem

Hintergrund auch als "nachträglich zu beziffernde Forderungsklage aufgrund des

Beweisergebnisses" bezeichnet (NICOLAS GUT, Die unbezifferte Forderungsklage

nach der Schweizerischen Zivilprozessordnung, Diss. Basel, Basel 2014 = BSR

Reihe A Bd. 116, Rz. 274). Die Stufenklage ist dagegen dadurch charakterisiert,

dass ein materiell-rechtlicher Hilfsanspruch auf Rechnungslegung mit einer

unbezifferten Forderungsklage verbunden wird (BGE 140 III 409 E. 4.3.; BGE 143

III 297 ff. E. 8.2.5).

Die Bezifferung des Rechtsbegehrens ist insbesondere dann als unmöglich

anzusehen, wenn die klagende Partei die Höhe ihres Anspruchs nicht kennen kann,

weil diese von Informationen bzw. Tatsachen abhängig ist, über die sie nicht verfügt

und die nicht in ihrem Einflussbereich liegen. Die Unmöglichkeit ist gegeben, wenn

diese Informationen erst und nur durch das Beweisverfahren im Prozess oder durch

ein vorgängig zu behandelndes Begehren auf Abrechnung im Rahmen einer

Stufenklage erlangt werden können. Erst wenn die fehlenden Informationen

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überhaupt vorprozessual erlangt werden können, stellt sich die Frage nach der

Zumutbarkeit der entsprechenden Massnahmen (GUT, a.a.O., Rz. 116 f.).

Die Zulassung der unbezifferten Forderungsklage ist restriktiv zu handhaben. Der

blosse Umstand, dass es schwierig ist, einen Schaden zu quantifizieren, stellt für

sich genommen grundsätzlich keine Unzumutbarkeit dar, die Forderung zu

beziffern (KLETT, Schadenersatzrente: Die Rahmenbedingungen aus dem

Verfahrensrecht und aus dem Anwaltsrecht, in: HAVE Personen-Schaden-Forum

2011, S. 76). Der Begriff der Unzumutbarkeit ist eng zu umschreiben, da das

Beweisverfahren grundsätzlich nicht dazu dienen soll, Lücken bezüglich der

Bezifferung oder der Behauptungen zu schliessen. Die Unzumutbarkeit ist deshalb

nur für Situationen annehmbar, in welchen sich die klagende Partei in einer

regelrechten Behauptungsnot befindet (vgl. dazu ausführlich ZR 115 [2016] Nr. 47;

YVES WALDMANN, Informationsbeschaffung durch Zivilprozess, Diss. Basel, Basel

2009 = BSR Reihe A Bd. 96, S. 286 f.; BSK ZPO-SPÜHLER, Art. 85 N 5; für einen

grosszügigeren Massstab dagegen KUKO ZPO-OBERHAMMER, N 4 ff. zu Art. 85).

Unzumutbarkeit besteht sodann etwa dort, wo die klagende Partei vorgängig ein

selbständiges Verfahren (z.B. ein vorsorgliches Beweis- oder

Begutachtungsverfahren) zur Erlangung der zur Bezifferung notwendigen

Informationen zu durchlaufen hat oder im Fall, wo die Bezifferung zu einem

übermässigen Aufwand oder zu Kosten führen würde, die in keinem Verhältnis zum

strittigen Schaden stehen (vgl. dazu FRÉDÉRIC KRAUSKOPF, a.a.O., S. 42 ff. m.w.H.).

Im Weiteren ist hervorzuheben, dass sich die Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit

auf die Forderungsbezifferung beziehen muss. Besteht diesbezüglich kein

Informationsdefizit, kann von vornherein keine Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit

vorliegen und muss die Klage auch von Beginn weg beziffert werden (SABINE

BAUMANN WEY, Die unbezifferte Forderungsklage nach Art. 85 ZPO, Diss. Luzern,

Zürich/Basel/Genf 2013 = LBR Bd. 75, Rz. 426 f.; anschaulich auch Entscheid des

Obergerichts des Kantons Thurgau ZB 96 118 vom 18. Februar 1997, publiziert in:

RBOG 1997 200).

Das Beweisverfahren dient nicht dazu, dem Kläger seine Behauptungs- und

Substantiierungslast abzunehmen, wenngleich die unbezifferte Forderungsklage

diesen Grundsatz natürlich betreffend die Bezifferung des Forderungsbetrags

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abmildert, insoweit diese nicht möglich oder zumutbar ist (vgl. auch

BGE 140 III 409, E. 4.3.1.). Ein Editionsbegehren kann über diesen engen Rahmen

hinaus aber - ausser es ist Teil einer zulässigen Stufenklage - gerade nicht der

Beschaffung rechtsgenügender Tatsachenbehauptungen dienen, sondern bloss

dem Beweis derselben (vgl. Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich

HG020374 vom 15. November 2004, publiziert in: sic! 2007 843 ff., E. 4.1.3.). Wird

eine (für ein Beweisverfahren erforderliche) rechtsgenügliche Substantiierung des

Hauptanspruchs erst aufgrund der zu edierenden Informationen möglich, ist

vielmehr ein Vorgehen mittels Stufenklage notwendig (BOPP/BESSENICH, ZPO-

Kommentar, N 10 zu Art. 85; so auch SABINE BAUMANN WEY, a.a.O., Rz. 123). Die

Zulassung der unbezifferten Forderungsklage im engeren Sinne darf nicht den Weg

für eine unzulässige Beweisausforschung ebnen (SABINE BAUMANN WEY, a.a.O.,

Rz. 451; BK ZPO-MARKUS, Art. 85 N 14).

Schliesslich obliegt der klagenden Partei der Nachweis, dass und inwieweit eine

Bezifferung unmöglich oder unzumutbar ist. Dafür genügt nicht, wenn sie einzig

unter Hinweis auf fehlende Informationen auf die an sich erforderliche Bezifferung

verzichtet (BGE 140 III 409, E. 4.3.2.; ZR115 [2016] Nr. 47).

b) Stufenklage

Die ebenfalls aus Art. 85 ZPO abgeleitete Stufenklage zeichnet sich dadurch aus,

dass ein materiell-rechtlicher Hilfsanspruch auf Auskunft, Rechnungslegung oder

Herausgabe mit einer unbezifferten Forderungsklage verbunden wird. Anders als

bei der unbezifferten Forderungsklage im engeren Sinn versucht die klagende

Partei mit der Stufenklage ihr Informationsdefizit jedoch nicht durch künftige

Beweiserhebungen zu beseitigen, sondern durch die von der Beklagten gemäss

dem Hilfsbegehren verlangten Informationen. Dies setzt aber voraus, dass die

klagende Partei über einen selbständig klagbaren materiellrechtlichen

Informationsanspruch verfügt, der sich gegen die Beklagte richtet und den sie somit

in einem eigenständigen Rechtsbegehren - und nicht lediglich im Sinne eines

prozessualen Beweiserhebungsantrages - geltend machen kann (z.B.

Rechenschaftspflicht des Beauftragten gegenüber der Auftraggeberin gemäss Art.

400 Abs. 1 OR).

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Auch bei der Stufenklage hat die klagende Partei - wie bei der unbezifferten

Forderungsklage im engeren Sinn - einen Mindeststreitwert anzugeben und die

Bezifferung in einem späteren Zeitpunkt (nach Erhalt der betreffenden

Informationen) vorzunehmen. Die Stufenklage wird im gleichen Prozess in zwei

Etappen, also gestaffelt, beurteilt: zuerst das Hilfsbegehren und danach das

Hauptbegehren. Sobald die klagende Partei aufgrund des gutgeheissenen

Hilfsbegehrens in die Lage versetzt wird, ihre Ansprüche zu beziffern, hat sie die

Bezifferung unmittelbar nachzuholen. In Übereinstimmung mit der unbezifferten

Forderungsklage im engeren Sinn ist auch für die Stufenklage darauf abzustellen,

ob eine Bezifferung zu Beginn des Prozesses (noch) unmöglich oder unzumutbar

ist oder nicht. Darüber hinaus muss - wie erwähnt - ein selbständiger Anspruch des

materiellen Rechts auf Information, Auskunft, Edition oder Rechnungslegung

bestehen. Ein solcher Anspruch kann sich aber auch aus Vertrag oder dem Gebot

von Treu und Glauben ergeben. Die Stufenklage stellt einen Anwendungsfall der

objektiven Klagenhäufung nach Art. 90 ZPO dar, weshalb sich der Hilfsanspruch

gegen denselben Passivlegitimierten (des Hauptanspruchs) richten muss.

Dieser Rechtsbehelf ist aber nicht dazu da, die beklagte Partei in beliebige

Richtungen hin auszuforschen. Aus der Hilfsfunktion des präparatorischen

Informationsanspruchs im Rahmen einer Stufenklage folgt, dass er sich nur auf

relevante Informationen bezieht, das heisst auf solche, die für die inhalts- oder

umfangmässige Bestimmung des Zielanspruchs von Interesse sind. Das

Ausforschungsverbot will in erster Linie verhindern, dass die klagende Partei ihren

Informationsanspruch dazu missbraucht, einen bloss vermuteten Hauptanspruch

ausfindig zu machen oder Anspruchsvoraussetzungen nachzuspüren, die den

Inhalt oder Umfang des Hauptanspruchs gar nicht tangieren. Festzuhalten ist

sodann, dass die Anforderungen an die Bestimmtheit des Informationsbegehrens

nicht allzu zu streng sein dürfen. Da die klagende Partei grundsätzlich noch gar

nicht weiss, was genau der Inhalt der ihr zustehenden Informationen ist, kann von

ihr nicht verlangt werden, jeden verlangten Beleg einzeln zu bezeichnen. Vielmehr

muss es genügen, wenn sie mit ihrem Antrag Klarheit darüber schafft, zu welchem

Zweck sie worüber Auskunft oder Rechnungslegung verlangt und für welchen

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Zeitraum und in welcher Form sie dies begehrt (vgl. dazu ausführlich BGE 143 III

297 ff. E. 8.2.5 sowie ZR 114 [2015] Nr. 38).

Um Klarheit hinsichtlich der beiden separaten und unabhängigen Begehren zu

schaffen, sollten sie getrennt in zwei Rechtsbegehren verfasst werden. Ein solches

Vorgehen ist aber nicht zwingend: Vielmehr bleibt es der klagenden Partei

unbenommen, das dafür Erforderliche (z.B. Edition einer Urkunde) im Rahmen

eines Beweisverfahrens einer unbezifferten Forderungsklage zu beantragen

(FRÉDÉRIC KRAUSKOPF, a.a.O., S. 46 ff.). Das Rechtsbegehren sollte bei einer

Stufenklage in etwa folgendermassen lauten (SABINE BAUMANN WEY, Teilklage,

unbezifferte Forderungsklage, Stufenklage - die Qual der Wahl, in: HAVE,

Haftpflichtprozess 2014, S. 110):

"1. Es sei der Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die vollständigen, sie betreffenden Patientenakten, die im Behandlungszeitraum vom 4. Februar 2012 bis zum 15. November 2016 angelegt wurden, herauszugeben.

2. Es sei die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin einen nach der Auskunftserteilung gemäss Ziffer 1 noch zu beziffernden Betrag (mindestens CHF 65'000) zuzüglich Zins von 5% ab 15. November 2016 zu bezahlen."

3.1.2.3. Die Unterlassungsklage im Besonderen

Der Grundsatz, wonach das Rechtsbegehren bestimmt bezeichnet werden muss,

gilt auch für Unterlassungsklagen. Die zu unterlassenden Handlungen müssen

nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts möglichst genau und bestimmt

bezeichnet sein, denn die Vollstreckung des verlangten Verbots muss möglich sein,

ohne dass der Vollstreckungsrichter eine materielle Beurteilung des fraglichen

Verhaltens vorzunehmen hat (BGE 131 III 70 E. 3.3; vgl. auch Urteil des

Handelsgerichts HG160058 vom 26. März 2018 E. 4.3). Ein Verbotsbegehren darf

demnach nicht so undeutlich gefasst sein, dass der Streitgegenstand nicht mehr

klar umrissen ist, sich die beklagte Partei deshalb nicht erschöpfend verteidigen

kann und im Ergebnis das Vollstreckungsgericht darüber befinden muss, was der

beklagten Partei verboten ist. Immerhin hat das Bundesgericht in einem älteren

Entscheid festgehalten, dass eine Klage auf Beseitigung der Störung dem Sinn

nach zugleich die Klage auf Unterlassung drohender Störung erfasst (BGE 95 II

481 E. 11).

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3.1.2.4. Beispiele von unbestimmten Rechtsbegehren aus der Praxis

"Die Beklagte sei zu verpflichten, sich aller übermässigen Einwirkungen auf das Eigentum der Klägerin zu enthalten."

Bemerkung dazu: Unklar, was unter dem Begriff "übermässige Einwirkungen" genau zu verstehen ist.

"Die Beklagte sei zu verpflichten, der Klägerin Schadenersatz in dem vom Gericht zu bestimmenden Umfang zu bezahlen."

Bemerkung (aus den Erwägungen des Beschlusses des Handelsgerichts vom 8. August 2018 HG150213 E. 4.4) dazu: Weder den Tatsachenbehauptungen noch der rechtlichen Begründung in der Klageschrift ist zu entnehmen, wie dieses Begehren zu verstehen ist. Dem Wortlaut nach stellt der Kläger den Umfang der Klage in das gerichtliche Ermessen. Wäre dies die Absicht des Klägers, würde dies freilich einen Verstoss gegen die Dispositionsmaxime darstellen (vgl. Art. 58 Abs. 1 ZPO). Damit liegt ein unzulängliches Rechtsbegehren vor, weshalb auf dieses nicht einzutreten ist.

"Es sei der Beklagten zu verbieten, das eigene Know-how betreffend die von ihr entwickelten Verfahren zur Herstellung des Produktes P ohne schriftliche Zustimmung der Klägerin zu benützen bzw. sonst zu verwerten."

Vgl. dazu ZR 116 [2017] Nr. 3 E. 6.3, mit dem Hinweis, dass die Umschreibung im Rechtsbegehren, was das "eigene Know-how" der Beklagten beinhalte, sich zwar an § 1 des Lizenzvertrages mit dem Titel "Vertragsgegenstand" anlehne; die in dieser Vertragsbestimmung verwendeten Formulierungen wie "die vom Lizenzgeber entwickelten Verfahren…" oder "Weiterentwicklungen, die der Lizenzgeber im Laufe der Zusammenarbeit hervorbringen wird" im Vertrag jedoch nicht näher definiert seien, so dass unklar bleibe, was darunter im Einzelnen zu verstehen sei, was sich schon an den gegensätzlichen Auffassungen der Parteien zur Frage des wesentlichen Vertragsinhaltes zeige. Die Anlehnung des Rechtsbegehrens an den Vertragstext erweise sich daher als unbehelflich. Auch die Ausführungen der Klägerin zu dieser Thematik seien nicht geeignet, die Bedeutung dessen, was das "eigene Know-how" umfasse, in einer Weise zu verdeutlichen, dass das betreffende Rechtsbegehren zum Urteilsdispositiv erhoben und ohne weitere Verdeutlichung vollstreckt werden könnte.

"Es sei die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin alle Dokumente bzw. Datenträger bzw. das Know-how zu übertragen, mit welchem ihr die Herstellung des Produktes P ermöglicht wird, das dieselben Eigenschaften betreffend Beschaffenheit, Geruch, Geschmack und Farbe aufweist, wie das zuletzt an B gelieferte Produkt Z.".

Vgl. dazu ZR 116 [2017] Nr. 3 E. 6.4 und E. 6.5, mit den Hinweisen, dass weder den Ausführungen der Klägerin noch den weiteren Akten zu entnehmen sei, was unter den erwähnten (unbestimmten) Begriffen und Werten (wie etwa dass die "Beschaffenheit" "Fein, frei fliessend", "Geruch" und "Geschmack" "Typisch" und die "Farbe" "Beige bis bräunlich" zu sein habe) zu verstehen sei und welche Eigenschaften das in jenem Zeitpunkt gelieferte Produkt P aufgewiesen habe, die Eigenschaften von P mithin unklar und unbestimmt seien.

"Es sei die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin bei der technischen Umsetzung der eigenen Produktion zu unterstützen."

Vgl. dazu ZR 116 [2017] Nr. 3 E. 6.7, mit dem Hinweis, dass was unter dem Begriff der "technischen Umsetzung" zu verstehen sei, weder im streitgegenständlichen Lizenzvertrag definiert werde noch den Ausführungen der Klageschrift zu entnehmen sei.

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"Es sei der Beklagten zu verbieten, die Klägerin durch mündliche und/oder schriftliche Äusserungen in ihrer Persönlichkeit zu verletzen."

Bemerkung dazu: Unklar, welche "Äusserungen" damit im Einzelnen genau gemeint sind.

"Es sei der Beklagten zu verbieten, folgende Äusserungen gegenüber Medien oder Geschäftspartnern und Auftraggebern direkt oder sinngemäss zu äussern oder weiter zu verbreiten…".

Grenzfall: Es fragt sich, ob mit der Wendung "oder sinngemäss" dem Bestimmtheitsgebot von Rechtsbegehren Genüge getan wurde. Das Bundesgericht hat in einem aktuellen Fall betreffend Persönlichkeitsverletzung entgegen der Ansicht der Vorinstanz entschieden, dass die Wendung, wonach "ähnliche Formulierungen mit gleichem Sinngehalt" vom Verbot der Weiterverbreitung erfasst sein sollten, den Anforderungen an die Bestimmtheit eines Unterlassungsbegehrens genügen (BGE 5A_658/2014 vom 6. Mai 2015 E. 3; vgl. dazu auch Urteil des Handelsgerichts vom 8. Februar 2016 HG150112 E. 4.5). .

"Es sei die Beklagte zu verpflichten, die bestehenden Persönlichkeitsverletzungen der Gastarbeitnehmer im Land K, die in den Bau der Infrastruktur für den Anlass X in K. involviert sind, unter Androhung der Ungehorsamsstrafe nach Art. 292 StGB, zu beseitigen, indem sie: bei den zuständigen Behörden oder Institutionen des Landes K sowie den in den Bau der Infrastruktur involvierten Unternehmen bzw. Arbeitgebern der Gastarbeitnehmer darauf hinwirkt, dass diese sich zur Einhaltung der Menschenrechte bzw. Persönlichkeitsrechte der Gastarbeiternehmer verpflichten."

Bemerkung (aus den Erwägungen des Beschlusses des Handelsgerichts vom 3. Januar 2017 HG160261 E. 3.2.2 - E. 3.2.4) dazu: Die klagenden Parteien spezifizieren überhaupt nicht, auf welche Art und Weise der Beklagte seine Bemühungen ("Hinwirken") in die Tat umsetzen soll bzw. an wen er sich im Land K zu wenden hätte. Begriffe, wie die "zuständigen Behörden oder Institutionen des Landes K" und "die in den Bau der Infrastruktur involvierten Unternehmen oder Arbeitgeber durch den übrigen Ausführungen der Klägerinnen Gastarbeitnehmer", erscheinen als (reichlich) konstruiert und unspezifisch, und damit - nachdem auch das übrige Vorbringen der klagenden Parteien nichts zur diesbezüglichen Klärung beizutragen vermag - als unbestimmt.

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3.1.3. Teilklage

Die Teilklage wird in Art. 86 ZPO geregelt. Liegt ein teilbarer Anspruch vor, so ist

es zulässig, auch nur einen Teil davon einzuklagen. Bei Geldforderungen ist die

Teilbarkeit immer gegeben und es besteht somit stets die Möglichkeit, eine

Teilklage zu erheben. Wenn die Leistungen quantitativ teilbar sind, ist die

Teilbarkeit aber auch bei anderen Leistungsklassen möglich (vgl. KUKO ZPO-

Oberhammer, N 1b zu Art. 86 m.w.H.).

Die Erhebung einer Teilklage kann aus den folgenden Gründen interessant sein:

Der Streitwert wird durch das Rechtsbegehren bestimmt (Art. 91 Abs. 1 Satz 1

ZPO). Macht ein Kläger nicht seinen gesamten Anspruch geltend, sondern nur

einen Teil davon, kann er den Streitwert damit reduzieren. Der Streitwert ist in der

Regel maßgebend für die Festlegung der sachlichen Zuständigkeit, der

Verfahrensart, der Zulässigkeit von Rechtsmitteln sowie der Höhe der Gerichts- und

Parteikosten. Weiter kann eine Teilklage dazu dienen, bei reduziertem Streitwert

und damit betragsmässig grundsätzlich reduziertem Kostenrisiko einen

sogenannten “Test- oder Pilotprozess” zu führen. Die Wahl einer Teilklage kann

aber auch angezeigt sein, wenn nur für einen Teil der Forderung die erforderlichen

Beweismittel zur Verfügung stehen. Je grösser die Ungewissheit über den Ausgang

des Prozesses oder auch über die Zahlungsfähigkeit der beklagten Partei ist, umso

mehr wird ein Kläger eine Reduktion des Kostenrisikos anstreben (SABINE BAUMANN

WEY, Teilklage, unbezifferte Forderungsklage, Stufenklage - die Qual der Wahl, in:

HAVE, Haftpflichtprozess 2014, S. 101 ff.; BK ZPO-Markus, Art. 86 N 14).

Zu beachten ist allerdings, dass die vom Kläger mit einer Teilklage angestrebten

Ziele durch die beklagte Partei mit der Erhebung einer Widerklage auf Feststellung

des Nichtbestehens des gesamten Anspruchs zunichte gemacht werden können.

Das Bundesgericht erachtet die Erhebung einer solchen negativen

Feststellungswiderklage als Antwort auf eine Teilklage nach konstanter

Rechtsprechung zu Recht als zulässig (vgl. etwa BGE 4A_414/2013 vom 28.

Oktober 2013 E. 3.3). Abzustellen ist auf den Streitwert des höheren

Rechtsbegehrens (Art. 94 Abs. 1 ZPO) und somit auf den Streitwert der negativen

Feststellungswiderklage, die den gesamten Anspruch und nicht lediglich einen Teil

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davon erfasst. Das Bundesgericht hatte vor kurzem die Frage zu beantworten, in

welcher Verfahrensart eine Widerklage zu behandeln ist, wenn die Hauptklage im

vereinfachten Verfahren erhoben wird und der Streitwert die Widerklage die

Streitwertgrenze von CF 30’000.-- übersteigt. Das Bundesgericht gelangte zur

Auffassung, eine negative Feststellungswiderklage, die als Reaktion auf eine echte

Teilklage erhoben werde, könne auch im vereinfachten Verfahren erhoben werden.

Art. 224 Abs. 1 ZPO müsse in dieser Hinsicht einschränkend verstanden werden

und beide Klagen seien in solchen Fällen zusammen im ordentlichen Verfahren zu

behandeln (BGE 4A_576/2016 vom 13. Juni 2017 E. 4.4; vgl. dazu auch die

Besprechung dazu von FRANZISKA RHINER/MARC WOHLGEMUTH, in: AJP 2018 S.

111).

In dogmatischer Hinsicht wird zwischen echten und unechten Teilklagen

unterschieden. Eine echte Teilklage liegt vor, wenn von einem behaupteten

Gesamtanspruch lediglich ein Teil eingeklagt wird (z.B. von einer

Schadenersatzforderung von gesamthaft CHF 100'000.-- wird nur ein Teilbetrag

von CHF 20'000.-- eingeklagt). Bei einer unechten Teilklage wird von

verschiedenen Ansprüchen, die einem einzigen Rechtsgrund entspringen, nur

einer davon eingeklagt (z.B. von mehreren fälligen Monatslöhnen wird nur einer

eingeklagt). In beiden Arten von Teilklagen entfaltet das Urteil nur im Umfang des

klägerischen Rechtsbegehrens Rechtskraftwirkung, da sich die Rechtskraft nur auf

das Dispositiv beschränkt und das Gericht in einem allfälligen weiteren Prozess

über die Restforderung nicht an die Feststellungen und rechtlichen Erwägungen

gebunden ist, auch wenn sich die Tragweite des Entscheides des Erstprozesses

vielfach erst aus den Urteilserwägungen ergibt (vgl. dazu BSK ZPO-DORSCHNER, N

14 zu Art. 86).

Eine weitere Unterscheidung, die hinsichtlich Teilklagen vorgenommen werden

kann, ist diejenige der offenen und der verdeckten Teilklage. Die verdeckte Variante

enthält ein Rechtsbegehren, welches schlicht auf Verurteilung eines Teils der

Geldforderung lautet, während das Rechtsbegehren einer offenen Teilklage

zusätzlich einen ausdrücklichen Nachklagevorbehalt enthält. Ein solcher Vorbehalt

ist allerdings - auch nach der Praxis des Handelsgerichts (vgl. Urteil des

Handelsgerichts vom 2. November 2015 HG100315 E. 1.3) - grundsätzlich

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entbehrlich, da sich die materielle Rechtskraft des Urteils nur auf den eingeklagten

Teil erstreckt. Im einzelnen Fall kann aber die Anbringung eines

Nachklagevorbehaltes zwecks Vermeidung von Unklarheit, ob auf den

Rechtsanspruch verzichtet wird, empfehlenswert sein (vgl. dazu auch FRÉDÉRIC

KRAUSKOPF, a.a.O., S. 51 sowie BGE 4A_401/201 vom 18. Januar 2012 E. 4). Im

Übrigen tritt auch die Verjährungsunterbrechung bei Klageeinreichung stets nur im

Umfang des im Rechtsbegehren beantragten Teilanspruchs ein (vgl. BGE 133 III

675 E. 2.3.2).

In der Praxis stellen sich vor allem Probleme, wenn die klagende Partei dem

Rechtsbegehren eine Mehrzahl von Ansprüchen zugrunde legt, aber bloss einen

Teil des Gesamtbetrages einklagt, sei es dass sie damit von jedem Anspruch einen

Anteil oder einzelne Ansprüche ganz und andere teilweise dem Gericht zur

Beurteilung unterbreiten möchte. Hier liegt eine Kombination von objektiver

Klagenhäufung gemäss Art. 90 ZPO und Teilklage im Sinne von Art. 86 ZPO vor.

Was muss bei einer solchen Kombination beachtet werden? Das Bundesgericht

hatte in diversen jüngeren Entscheiden Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen.

In BGE 142 III 683 hatte der Kläger in einem Arbeitsrechtsprozess von behaupteten

Forderungen auf Bar-Boni der Jahre 2011-2013 einen Pilotprozess über CHF

30’000.-- angestrengt. Das Bundesgericht trat auf die Klage nicht ein, weil das

Rechtsbegehren zufolge alternativ objektiver Klagenhäufung nicht genügend

bestimmt bzw. individualisiert sei (E. 5.4). Gemäss Bundesgericht hatte der Kläger

mit den eingeklagten drei Jahren drei separate, eigenständige Ansprüche und

damit eine objektive Klagenhäufung vorgenommen (E. 5.3.1). Weil der Kläger in

der Klage nicht präzisiert habe, in welcher Reihenfolge und bzw. oder in welchem

Umfang die einzelnen Ansprüche geltend gemacht würden, liege eine alternative

objektive Klagenhäufung vor (E. 5.4). In einem anderen Fall forderte der Kläger

gestützt auf ein Unfallereignis im Straßenverkehr teilklageweise CHF 500’000.-- für

verschiedene Schadenersatzansprüche sowie eine Genugtuung ohne allerdings

darzulegen, wie die eingeklagte Summe auf die Schadenersatz- und

Genugtuungsforderung anzurechnen ist. Eine solche Klage wurde sowohl vom

Handelsgericht (Urteil HG060245 vom 23. November 2016) als auch vom

Bundesgericht (BGE 143 III 254 ff. = BGE 4A_26/2017 vom 24. Mai 2017)

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geschützt. Das Bundesgericht hielt im Wesentlichen fest, dass der

Lebenssachverhalt und Streitgegenstand bei einer Klage aus einem Unfallereignis

trotz Teilklage auf unterschiedliche Schadenspositionen wie beispielsweise

Schadenersatz und Genugtuung dieselben blieben. Das Rechtsbegehren auf

Schadenersatz und Genugtuung aus einem Unfall genüge demnach den

Bestimmtheitsanforderungen von Art. 86 ZPO (E. 3.7). Diese Rechtsprechung

bekräftigte das Bundesgericht im Urteil 4A_15/2017 vom 8. Juni 2017, wo der

Kläger teilklageweise Schadenersatz von CHF 30'000.-- für Erwerbsausfall

während 12,5 Jahren verlangte. Das Bundesgericht ging auch hier vom Bestand

eines einzigen Streitgegenstandes, nämlich dem gesamten Schaden aus einer

Körperverletzung (als maßgebender Lebenssachverhalt) aus. Liege somit der

Teilklage bloss ein einziger Streitgegenstand zugrunde, bestehe keine objektive

(bzw. unzulässige alternative) Klagenhäufung (E. 3.3.1 und E. 3.3.2). Dass der

Lohn als Erwerbsausfall aus dem Autounfall aus periodischen Leistungen bestehe,

ändere nichts daran, dass der ganze Erwerbsausfallschaden aus dem Unfall

resultiere und damit innerhalb desselben Streitgegenstands liege. Durch die

Periodizität der Lohnansprüche werde der Schadenersatzanspruch nicht zur

periodischen Leistung (E. 3.3.5).

Entscheidend ist also, ob dem Rechtsbegehren ein einziger Streitgegenstand oder

eine Mehrzahl von Streitgegenständen zugrunde liegen. Das zu erkennen ist gar

nicht so einfach. Während für das Bundesgericht einerseits drei Bonusforderungen

aus drei verschiedenen Jahren und gestützt auf einen Arbeitsvertrag auf

verschiedenen Lebenssachverhalten gründen (nicht der Arbeitsvertrag sondern die

Zeitabschnitte werden hier als massgeblich erachtet), geht es bezüglich sämtlicher

Schadenspositionen, welche auf ein Unfallereignis zurückgehen, von einem

Lebenssachverhalt aus; und zwar unbesehen davon, dass den Ersatzforderungen

für einzelne Schadensposten und der Genugtuung verschiedene zusätzliche

Sachverhaltselemente zugrunde liegen. Rechtliche Differenzierungen, ob sich die

nämliche Forderung auf Schadenersatz oder Genugtuung stützt, haben

demgemäss keinen Einfluss auf die Frage, ob eine objektive Klagenhäufung

vorliegt.

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Als Empfehlung kann Folgendes festgehalten werden: Bei Teilklagen mit objektiver

Klagenhäufung ist genau anzugeben, in welchem Umfang die einzelnen

Lebenssachverhalten als Anspruchsgrundlage geltend gemacht werden. Die

klagende Partei muss die Rechtsbegehren bei objektiver (oder auch subjektiver)

Klagenhäufung kumulieren (“sowohl als auch”) und kann sie nicht alternieren

(“entweder oder”); Alternativklagen bzw. alternative Rechtsbegehren sind

unzulässig (vgl. dazu auch PAHUD, Dike-Komm-ZPO, N 6 zu Art. 221; BK-HURNI, N

40 zu Art. 58; BK ZPO-KILLIAS, N 16 zu Art. 221; BSK ZPO-WEBER, N 16 zu Art.

15). Demnach wäre beispielsweise die Einklagung von CHF 1'000.-- aus dem

ersten Darlehen aus dem Jahre 1990 oder - also nicht eventualiter - aus dem

zweiten Darlehen aus dem Jahre 1991 nicht erlaubt (SUTER, Zur objektiven

Klagenhäufung, insbesondere zur eventuellen Häufung nach baselstädtischem

Zivilprozessrecht, BJM 1997, S. 288). Ist unklar, ob von einem Lebenssachverhalt

oder verschiedenen Lebenssachverhalten auszugehen ist, mithin eine objektive

Klagenhäufung überhaupt vorliegt, sollte die klagende Partei in der

Klagebegründung aus Vorsichtsgründen eine Prüfungsreihenfolge hinsichtlich der

einzelnen Ansprüche festlegen (vgl. dazu ausführlich KNEZEVIC/KAMBER,

Prozessuale Anforderungen an die objektiv gehäufte Teilklage, in: AJP 2017 S.

1039 ff. sowie BSK ZPO-WILLISEGGER, N 17 zu Art. 221). Ein einmal eingereichtes

Rechtsbegehren kann schliesslich nur noch nach den Voraussetzungen der

Klageänderung (vgl. Art. 227/230 ZPO) geändert werden.

3.1.4. Feststellungsklage

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist die Feststellungsklage

zuzulassen, wenn die klagende Partei an der sofortigen Feststellung des

Bestehens oder Nichtbestehens von Rechten oder Rechtsverhältnissen ein

erhebliches schutzwürdiges Interesse hat, welches nicht nur rechtlicher, sondern

auch tatsächlicher Natur sein kann. Diese Voraussetzung ist namentlich gegeben,

wenn die Rechtsbeziehungen der Parteien ungewiss sind und die Ungewissheit

durch die richterliche Feststellung beseitigt werden kann und ihre Fortdauer der

Klagepartei nicht zugemutet werden kann, weil sie sie in ihrer Bewegungs- und

Entscheidungsfreiheit behindert (BGE 133 III 282 E. 3.5; BGE 136 III 523 E. 5).

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Die Feststellungsklage ist damit gegenüber anderen Klagen grundsätzlich subsidiär

(BGE 135 III 378 E. 2.2), d.h. die klagende Partei muss auf Leistung oder Änderung

eines Rechts oder Rechtsverhältnisses klagen, wenn eine Leistungs- bzw.

Gestaltungsklage möglich ist. Dies gilt aber nicht unbeschränkt. Vielmehr kann sich

auch bei Möglichkeit der Leistungs- oder Gestaltungsklage ein selbständiges

Interesse an der gerichtlichen Feststellung ergeben (BGE 4A_280/2015 vom 20.

Oktober 2015 E. 6.2.2 m.w.H.). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung wird

dies bejaht, wenn es darum geht, nicht nur die fällige Leistung zu erhalten, sondern

die Gültigkeit des ihr zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses auch für dessen

künftige Abwicklung feststellen zu lassen (vgl. dazu BGE 5A_174/2015 vom 14.

Oktober 2015 E. 7.2; BGE 4A_589/2011 vom 5. April 2012 E. 4.1 und BGE 84 II

685 ff. E. 2) oder wenn die Ungewissheit der Rechtsbeziehungen zwischen den

Parteien durch die richterliche Feststellung behoben werden kann und ihre

Fortdauer für die klagende Partei unzumutbar ist, etwa wenn eine Klage auf

Leistung oder vollen Schadenersatz auf längere Zeit nicht möglich ist (BGE 123 III

49 E. 1a). Die Subsidiarität gilt demnach nur insofern, als die Feststellungsklage

nicht einen anders gearteten bzw. umfassenderen Rechtsschutz gewährt und sie

gerade dieses Schutzes bedarf (STAEHELIN/STAEHELIN/GROLIMUND,

Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Zürich 2013, § 14 N 25; BSK ZPO-WEBER, N 15 zu Art.

88).

Das vom Bundesgericht verwendete Kriterium der Behinderung in der

Entscheidungs- (BGE 110 II 352 E. 2 S. 357 unter Hinweis auf BGE 96 II 129 E. 3a

S. 131; dem folgend BGE 114 II 253 E. 2a S. 256) und Bewegungsfreiheit (BGE

120 II 20 E. 3a S. 22; BGE 123 III 414 E. 7b S. 429; BGE 131 III 319 E. 3.5 S. 324-

325) findet sich in der Praxis in zwei Anwendungsfällen: Einerseits bei der

Zulässigkeit einer negativen Feststellungsklage, wenn es sich nicht mehr um

Bagatellbeträge handelt (BGE 120 II 20 E. 3b S. 24; BGE 123 III 414 E. 7b S. 430;

BGE 131 III 319 E. 3.6 S. 326-327; BGE 4A_530/2007 vom 14. Mai 2008 E. 2.2),

wobei der Begriff “Bagatellbeträge” selbstverständlich stets im Zusammenhang mit

den wirtschaftlichen Möglichkeiten des Schuldners zu sehen ist, und zudem nach

neuerer Praxis der im Streit stehende Forderungsbetrag freilich keine Rolle mehr

spielt, wenn der mutmassliche Gläubiger eine Betreibung eingeleitet hat (BGE 141

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III 68 E. 2.7 S. 78-79). Andererseits bei der Zulässigkeit der Klage auf Feststellung

des grundsätzlichen Bestehens einer Schadenersatzpflicht, wenn die Verletzung

noch andauert und der Schaden noch wächst (BGE 99 II 172 E. 2 S. 174; dem

folgend BGE 114 II 253 E. 2a S. 255), mithin die Feststellungsklage dem Kläger ein

Mehr an Rechtsschutz oder Rechtsschutz anderer Qualität als die Leistungsklage

vermittelt (BGE 84 II 685 E. 2 S. 691-692; dem folgend BGE 4A_551/2008 vom

23. Mai 2009 E. 3.1; BERNHARD BODMER, Die allgemeine Feststellungsklage im

schweizerischen Privatrecht, Zürich 1984, S. 101; FLAVIA VANESSA WEBER, Die

Feststellungsklage nach der schweizerischen Zivilprozessordnung, Basel 2013, S.

139 ff.; FÜLLEMANN, DIKE-Komm-ZPO, N. 12 und 13 zu Art. 88 ZPO; OBERHAMMER,

a.a.O., N. 18 zu Art. 88 ZPO). Die tatsächlichen Voraussetzungen des

Feststellungsinteresses sind von der klagenden Partei nachzuweisen (BGE 123 III

49 E. 1a S. 51; BGE 4A_280/2015 vom 20. Oktober 2015 E. 6.2.1). Fehlt es an

einem Feststellungsinteresse, hat ein Nichteintretensentscheid zu ergehen (Art. 59

Abs. 1 ZPO e contrario). Bei einer auf Nichtbestehen einer Forderung (nach

eingeleiteter Betreibung durch die Gegenpartei) gerichteten negativen

Feststellungsklage entfällt das Rechtsschutzinteresse, wenn die Betreibung

zurückgezogen wird (vgl. dazu BGE 4A_226/2016 vom 20. Oktober 2016 E. 5 und

BGE 142 III 210 sowie die kritische Besprechung dazu von MATTHIAS SCHWAIBOLD,

Bundesgerichtliche Nägel zum Sarg der negativen Feststellungsklage, in SZZP

2017 S. 379 ff.)

In einem am Handelsgericht vor kurzem entschiedenen Fall ging es um die

Zulässigkeit einer Vertragskündigung. Die Beklagte kündigte den zwischen den

Parteien bestehenden Rahmenvertrag samt Zusatzvereinbarung, worauf die

Klägerin vor allem auf gerichtliche Feststellung der Weitergeltung der betreffenden

Verträge klagte. Im Rahmen dieses Verfahrens bestritt die Beklagte zunächst in

prozessualer Hinsicht das Vorliegen eines schutzwürdigen Feststellungsinteresses

und verlangte, dass auf die Klage entsprechend nicht einzutreten sei. Das

Handelsgericht stellte fest, dass die zwischen den Parteien bestehende

Meinungsverschiedenheit über die Gültigkeit der Kündigung bereits zur Bejahung

einer rechtserheblichen Ungewissheit führe, mit dem Hinweis, dass die

Feststellung der Gültigkeit einer Kündigung auch gemäss der h.L. einen

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32

Hauptanwendungsfall einer Feststellungsklage darstelle (statt vieler:

BOPP/BESSENICH, ZPO-Kommentar, N 4 zu Art. 88 ZPO). Die Wirkung einer

ausgesprochenen Kündigung bilde Sachurteilsvoraussetzung, nicht

Prozessvoraussetzung; es handle sich insofern um eine doppelrelevante Tatsache.

Darüber hinaus wurde auch die Unzumutbarkeit bejaht. Die Fortdauer der

Ungewissheit über die Gültigkeit der Kündigung könne der Klägerin angesichts des

hohen, mehrere Millionen betragenden Werts der streitgegenständlichen Verträge

nicht zugemutet werden. Dies stehe im Einklang mit der bisherigen Praxis des

Handelsgerichts, habe dieses die Unzumutbarkeit im Rahmen einer (negativen)

Feststellungsklage doch bereits bei einem Betrag von knapp CHF 40'000.-- bejaht.

Schließlich sei auch die Voraussetzung der Subsidiarität gegeben. So schade es

der Klägerin nicht, dass einzelne Teilleistungen kurz nach Klageeinreichung fällig

geworden seien. Denn auch dann sei es der Klägerin unmöglich gewesen, den

Gesamtbetrag mittels Leistungsklage einzufordern. Die Klägerin habe auf die

Fälligkeit einzelner Teilforderungen mittlerweile mit der Einreichung einer

Klageänderung reagiert, was prozessual zulässig sei und nicht zum Entfallen des

(verbleibenden) Feststellungsinteresses führe. Zusammenfassend trat das

Handelsgericht auf die Klage ein (Urteil vom 28. November 2017 HG150187 E.

1.2.3., noch nicht rechtskräftig, publ. in: SJZ 2018 S. 98-99).

Demgegenüber wurde z.B. das folgende Klagebegehren vom Handelsgericht als

unzulässig qualifiziert:

"Es sei die Widerrechtlichkeit der Persönlichkeitsverletzung gegenüber dem Kläger festzustellen".

Bemerkung (aus den Erwägungen des Beschlusses des Handelsgerichts vom 3. Januar 2017 HG160261) E. 3.2.5) dazu: Mit einer Feststellungsklage will eine klagende Partei feststellen lassen, dass ein bestimmtes, zurückliegendes Verhalten der beklagten Partei ihre Persönlichkeit widerrechtlich verletzt (AEBI-MÜLLER, Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, 3. Aufl. 2016, N. 8 zu Art. 28a ZGB; vgl. hierzu auch BGE 4C.138/2003 vom 25. August 2003 E. 2.3). Dies setzt voraus, dass im Rechtsbegehren genau angegeben wird, welches Verhalten vom Gericht zu beurteilen und gegebenenfalls als Persönlichkeitsverletzung festzustellen ist bzw. wogegen sich der Beklagte zu verteidigen hat. Diesen Anforderungen genügt das Klagebegehren aber nicht. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, unter Berücksichtigung der gesamten Begründung den mutmasslichen Willen der klagenden Partei zu erschliessen.

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33

3.1.5. Vollstreckungsanordnungen

Vollstreckungsfähig sind nur Leistungsurteile, die zu einem Tun, Unterlassen oder

Dulden verurteilen, nicht aber Feststellungs- und Gestaltungsurteile, da diese ihre

Wirkungen unmittelbar mit dem Entscheid entfalten (BSK ZPO-ZINSLI, N 3 zu Art.

343; vgl. auch Art. 335 Abs. 2 ZPO). Einen besonderen Fall der Leistungsklage

stellt die Klage auf Abgabe einer Willenserklärung dar. Hierzu gehören z.B. die

Unterzeichnung eines Vertrags oder die Vornahme einer Zession. Wird die

beklagte Partei zur Abgabe einer Willenserklärung verpflichtet, wird das Urteil des

erkennenden Gerichts gemäss Art. 344 Abs. 1 ZPO dadurch vollstreckt, dass die

Verurteilung zur Abgabe der Willenserklärung die Erklärung durch die beklagte

Partei ersetzt; die Willenserklärung wird mithin fingiert und eine Vollstreckung nach

Art. 343 ZPO erübrigt sich (vgl. dazu BSK ZPO-Dorschner, N 13 zu Art. 84 sowie

BSK ZPO-ZINSLI, N 1 ff. zu Art. 344). Damit die Willenserklärung durch das

Erkenntnisgericht ersetzt werden kann, ist es notwendig, dass der Erklärungsinhalt

vom Erkenntnisgericht bereits genau festgelegt wird, was wiederum ein genügend

bestimmtes Rechtsbegehren voraussetzt (vgl. dazu vorstehend Ziffer 3.1.1.). Die

praktische Bedeutung von Art. 344 ZPO ist allerdings eher gering (vgl. in diesem

Sinne auch OFK ZPO-RAINER EGLI, N 7 zu Art. 345).

Vollstreckungsanordnungen im Hauptsachenurteil setzen ein entsprechendes

Begehren der klagenden Partei voraus. Auf Antrag der obsiegenden Partei kann

bereits das erkennende Gericht in seinem Urteil Vollstreckungsmassnahmen

anordnen (direkte Vollstreckung; Art. 236 Abs. 3 ZPO und Art. 337 Abs. 1 ZPO; vgl.

dazu auch BGE 140 III 355). Die klagende Partei hat bloss Antrag auf Vollstreckung

zu stellen. Das Gericht entscheidet von Amtes wegen, welche Vollstreckungsmittel

zur Anwendung gelangen; es ist dabei nicht an den Antrag der klagenden Partei

gebunden, sondern hat unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit

die zur Durchsetzung des betreffenden Anspruchs wirksamste Anordnung zu

treffen (BSK ZPO-ZINSLI, N 4 zu Art. 343 sowie BSK ZPO-STECK/BRUNNER, N 43 zu

Art. 237).

Folgende Anordnungen stehen dem Vollstreckungsgericht gemäss Art. 343 Abs. 1

ZPO zur Verfügung: Strafandrohungen gemäss Art. 292 StGB, Ordnungsbusse,

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Zwangsmaßnahmen (z.B. Herausgabe von Gegenständen, Ausweisung von

Mietern), Ersatzvornahme. Mit Bezug auf die Ersatzvornahme hat das

Bundesgericht in einem jüngeren Entscheid klar festgehalten, dass eine

Leistungsklage gestützt auf Art. 236 Abs. 3 ZPO für den Fall des Obsiegens mit

einem Begehren um direkte Vollstreckung durch Ersatzvornahme (Art. 343 Abs. 1

lit. e ZPO) verbunden werden kann (BGE 142 III 321 ff.; vgl. auch die zustimmenden

Bemerkungen dazu von JÖRG SCHMID, Ersatzvornahme: Voraussetzungen,

Vorschuss, Durchführung, in: Schweizerische Baurechtstagung 2017 … für alle, die

bauen, S. 117 ff.).

Im ordentlichen Verfahren kann der Antrag betreffend Vollstreckungsmassnahmen

analog Art. 227 ZPO nachträglich bis zur Hauptverhandlung ohne weitere

Voraussetzungen gestellt werden; danach (in der Hauptverhandlung) ist er nur

noch zulässig, wenn er auf neuen Tatsachen und Beweismitteln beruht (Art. 230

Abs. 2 lit. b ZPO).

3.1.6. Bedingungsfeindlichkeit

Das Rechtsbegehren ist bedingungsfeindlich (BGE 134 III 332, E. 2). Entsprechend

muss es unbedingt formuliert sein. Rein vorsorgliche Klageerhebungen, welche

vom Eintritt einer Bedingung abhängig gemacht werden, sind somit unzulässig,

würden doch dadurch die Wirkungen der Klage, namentlich diejenigen der

Rechtshängigkeit, ins Ungewisse gestellt (STAEHELIN/STAEHELIN/GROLIMUND,

a.a.O., § 14 N 8). Eine eventuelle oder bedingte Hauptklage ist deshalb nicht

möglich.

Zulässig sind jedoch unbedingte Klagen auf eine bedingte Leistung, beispielsweise

eine Klage auf eine Leistung Zug um Zug oder eine Klage auf künftige oder

suspensiv bedingte Leistungen (zur Vollstreckung einer bedingten Leistung vgl. Art.

342 ZPO). Im Weiteren können neben einem Hauptbegehren für den Fall, dass

dieses abgewiesen wird, Eventualbegehren gestellt werden. Möglich ist auch eine

eventuelle Widerklage, welche nur für den Fall der Gutheissung der Hauptklage

erhoben wird. Bei Eventualbegehren oder einer eventuellen Widerklage wird der

Prozessgang im Gegensatz zur eventuellen oder bedingten Hauptklage nicht

aufgehalten, vielmehr ergibt sich aus diesem selbst, ob die Bedingung eintritt

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35

(ANNETTE DOLGE, in: Karl Spühler/Annette Dolge/Myriam Gehri, Schweizerisches

Zivilprozessrecht, 9. Aufl. 2010, 9. Kapitel Rz. 89). Der Kläger kann zwar seine

Rechtsbegehren in eine Rangfolge bringen (Haupt- und Eventualbegehren), wenn

die behaupteten Rechtsfolgen ungewiss sind; er muss diese Begehren jedoch

unbedingt stellen und begründen. Es ist daher stets zwischen der zulässigen

Bedingung des materiellen Anspruchs und der verpönten Bedingung des darauf

gerichteten Rechtsschutzgesuchs zu unterscheiden. Nur letzteres ist aufgrund der

Bedingungsfeindlichkeit der Prozesshandlungen für Hauptbegehren

ausgeschlossen (vgl. RAMON MABILLARD, a.a.O., S. 19 ff.).

Vor diesem Hintergrund hat das Bundesgericht mit Bezug auf die

Streitverkündungsklage in einem jüngeren Entscheid klargestellt, dass es sich

hierbei nicht - wie von einem Teil der Lehre vertreten - um eine bedingte Klage

handelt; vielmehr stehe der Anspruch, der mit der Streitverkündungsklage geltend

gemacht werde, unter der entsprechenden Bedingung (BGE 142 III 102 E. 5.3.2;

vgl. auch KUKO ZPO-DOMEJ, N 3 zu Art. 81). Mit der Streitverkündungsklage

können mithin nur Ansprüche geltend gemacht werden, die vom Bestand des

Hauptklageanspruchs abhängen. Zu denken ist etwa an Regress-,

Gewährleistungs- und Schadloshaltungsansprüche, aber auch etwa an an

vertragliche oder gesetzliche Rückgriffsrechte (BGE 139 III 67 E. 2.4.3), die mit

einer Streitverkündungsklage geltend gemacht werden für den Fall, dass die

Hauptklage erfolgreich ist. Die Streitverkündungsklage stellt damit eine Klage dar,

mit welcher suspensiv bedingte Ansprüche geltend gemacht werden; bedingt durch

die erfolgreiche Durchsetzung der Hauptklage, aufschiebend bedingt, da erst nach

dem Entscheid über die Hauptklage das Schicksal allfälliger Regressansprüche

entschieden werden kann (vgl. BSK ZPO-FREI, N 11 zu Art. 81). Entscheidend ist

damit stets das Vorhandensein eines vom Bestand des Hauptklageanspruchs

abhängigen Anspruchs und nicht allein der Ausgang des Hauptprozesses.

Sind die Voraussetzungen für eine Streitverkündungsklage aber nicht erfüllt, kann

die Durchführung eines Gesamtverfahrens nicht unter Berufung auf die

Bestimmungen über die einfache Streitgenossenschaft herbeigeführt werden. Dies

würde einer Umgehung der Bestimmungen über die Streitverkündungsklage

gleichkommen bzw. das Streitverkündungsklageverfahren auf die Beurteilung

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konnexer Ansprüche ausdehnen (vgl. BGE 4A_341/2014 vom 5. November 2014

E. 3.3.). Insofern erweist sich eine eventuelle Streitgenossenschaft als unzulässig.

Eine solche liegt vor, wenn ein Streitgenosse mit dem Hauptbegehren und ein

zweiter mit einem Eventualbegehren eingeklagt wird für den Fall, dass die Klage

gegen den ersten Streitgenossen nicht geschützt werden sollte. Bei der eventuellen

Streitgenossenschaft wird somit eine Priorität festgesetzt, welche Klage

gutzuheissen ist (VON HOLZEN, Die Streitgenossenschaft im schweizerischen

Zivilprozessrecht, S. 46).

Zwar mögen insoweit prozessökonomische Gründe für die Zulässigkeit einer

eventuellen Streitgenossenschaft sprechen, als sich die Hauptklage und falls nötig

auch die Eventualklage im selben Verfahren beurteilen lassen, womit die

Rechtsstreitigkeit widerspruchsfrei abgeschlossen werden kann. Wie von Holzen

überzeugend darlegt, stehen dem jedoch gewichtige Nachteile entgegen:

Einerseits resultiert eine Kostenpflicht für die Abweisung einer der beiden Klagen.

Andererseits verläuft das Beweisverfahren für die Streitgenossen unter Umständen

nicht identisch, wenn verschiedene Tatsachen geltend gemacht und bewiesen

werden müssen. Dazu kommt, dass die eventuell ins Recht gefassten

Streitgenossen bereits Schritte zu ihrer Entlastung einleiten müssten, obwohl sie

gegebenenfalls gar nie ins Recht gefasst würden. Mithin dürften die Kosten gar

geringer ausfallen, wenn erst nach Klageabweisung gegen die eventuellen

Streitgenossen vorgegangen wird. Auch in einem allfälligen Rechtsmittelverfahren

entstünden Probleme, zumal der obsiegende Streitgenosse sicherheitshalber

ebenfalls zur Anfechtung gezwungen wäre, wodurch ein schwerfälliges und

kompliziertes Verfahren droht (VON HOLZEN, a.a.O., S. 44).

Der fünfte Titel der Schweizerischen ZPO befasst sich mit den „Parteien sowie mit

der Beteiligung Dritter" (so die Überschrift vor Art. 66 ff. ZPO). Dass ein Dritter

klageweise in einen Prozess einbezogen wird, so dass daraus ein aus drei

Hauptparteien bestehendes Gesamtverfahren entsteht, ist dabei einzig im

Zusammenhang mit der Streitverkündungsklage (Art. 81 f. ZPO) vorgesehen.

Dieses Gesamtverfahren besteht bekanntlich aus zwei selbständigen Klagen

(Hauptklage sowie Streitverkündungsklage).

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Da ein derartiges Dreiparteien-Gesamtverfahren zu einer „gewissen Komplikation

und Verlängerung des Prozesses führt” (so bereits: Botschaft ZPO, S. 7284 f.), ist

die Streitverkündungsklage nur unter restriktiven formellen und materiellen

Voraussetzungen zulässig (vgl. dazu insbesondere Art. 82 ZPO sowie BGE

4A_375/2015 vom 26. Januar 2016 E. 5.3.2). Die blosse Konnexität eines

Anspruches genügt demgegenüber nicht; auch liegt keine Abhängigkeit vor, wenn

ein Anspruch lediglich eventualiter zu prüfen ist, also nur bei erwiesener

Nichtexistenz des primär eingeklagten Anspruchs (BGE 4A_341/2014 vom 5.

November 2014 E. 3).

Wäre eine eventuelle Streitgenossenschaft zulässig, käme es dadurch zu einem

ebenfalls aus zwei selbständigen Klagen bestehenden Dreiparteien-

Gesamtverfahren mitsamt den damit verbundenen und zur Streitverkündungsklage

analogen Komplikationen (siehe dazu VON HOLZEN, a.a.O., S. 44; vgl. auch

REINHARD BORK, in: Stein/Jonas, Kommentar zur [dt.] ZPO, 22. A., 2004, N 4a vor

§ 59), ohne dass die vorerwähnten Voraussetzungen erfüllt wären. Dadurch würde

die vom Gesetzgeber bewusst restriktiv ausgestaltete Regelung eines nur

ausnahmsweise zulässigen Dreiparteien-Gesamtverfahrens umgangen. Im Lichte

dieser Auslegung erweist sich eine eventuelle Streitgenossenschaft nach

Schweizerischer ZPO als unzulässig (vgl. Beschluss des Handelsgerichts

HG160230 vom 17. November 2016 E. 3 sowie ZR 116 [2017] Nr. 48).

3.1.7. Diverses

3.1.7.1. Fixierung der Prozessparteien

Die Rechtshängigkeit gemäss Art. 64 ZPO bewirkt grundsätzlich - unter Vorbehalt

eines zulässigen Parteiwechsels (Art. 83 ZPO) oder aus anderen gesetzlichen

Gründen - eine Fixierung der Prozessparteien (OFK ZPO-MORF, N 1 zu Art. 64;

ZÜRCHER, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger, ZPO Komm., N 70 ff. zu

Art. 59). Mit der Rechtshängigkeit stehen die Parteien eines Verfahrens

grundsätzlich fest und es steht einer Partei demnach nicht frei, nachträglich weitere

Parteien ins Verfahren einzubeziehen. Ein Einbezug im Rahmen der einfachen

Streitgenossenschaft (Art. 71 ZPO) ist demgegenüber über eine neue Klage

vorzunehmen. Der offensichtlich unzulässige (nachträgliche) Einbezug weiterer

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Parteien ist als fehlende Prozessvoraussetzung (Art. 59 Abs. 1 ZPO) zu betrachten

und führt zum Nichteintreten (vgl. dazu Beschluss des Handelsgerichts HG170156

vom 7. November 2017 E. 2.1 mit Verweis auf das Urteil des Bundespatentgerichts

O2016_016 vom 16. Mai 2017 E. 4).

3.1.7.2. Währung

Grundsätzlich ist der Schuldner verpflichtet, Geldschulden in der geschuldeten

Währung zu bezahlen (Art. 84 Abs. 1 OR). Das Gericht darf nur eine Zahlung in der

geschuldeten Fremdwährung zusprechen (BGE 134 III 151 E. 2.2 - E. 2.4). Gemäss

Art. 58 ZPO darf das Gericht einer Partei nicht mehr und nichts anderes

zusprechen, als sie verlangt, und nicht weniger, als die Gegenpartei anerkannt hat.

Hat die Partei Bezahlung in Schweizer Franken verlangt, würde die Zusprechung

einer Geldleistung in einer geschuldeten Fremdwährung etwas "anderes" im Sinne

dieser Bestimmung bedeuten und ist daher nicht statthaft (vgl. BGE 4A_391/2015

vom 1. Oktober 2015 E. 3 sowie BGE 4A_341/2016 vom 10. Februar 2017 E. 2.2).

Nicht anders verhält es sich, wenn eine Partei die Zusprechung eines Betrags in

einer bestimmten Fremdwährung verlangt, obwohl der Betrag in einer anderen

Fremdwährung geschuldet wäre.

Eine strenge Anwendung der Dispositionsmaxime würde zur Abweisung der Klage

führen, da die eingeklagte Währung nicht geschuldet ist, während die geschuldete

nicht eingeklagt wurde. Eine solche Lösung erscheint indessen je nach dem

gegebenen Umständen als (zu) formalistisch, insbesondere wenn die Forderung in

der Sache zugesprochen werden müsste und eine Auslegung ergibt, dass das

Klagebegehren nur so verstanden werden kann, dass die tatsächlich geschuldete

Fremdwährungsschuld (und nicht etwa der im Rechtsbegehren aufgeführte CHF-

Betrag) verlangt wird. Grundsätzlich sind alle Prozesshandlungen der Parteien, und

damit auch deren Rechtsbegehren, nach den allgemeinen Regeln über die

Auslegung von Willenserklärungen dem erkennbaren Sinn gemäss auszulegen,

wobei alle Umstände zu berücksichtigen sind, unter denen die Erklärung

abgegeben wurde. Sofern sich aus der Klagebegründung oder den Klagebeilagen

unmissverständlich ergibt, dass die klagende Partei in der Sache die Zusprechung

einer Fremdwährungsforderung beantragt, liegen solche Umstände vor und das

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Begehren kann unter objektiven Gesichtspunkten nicht anders verstanden werden,

als dass über die tatsächlich geschuldete Fremdwährungsschuld zu urteilen sei

(vgl. RÜETSCHI/STAUBER, Die Durchsetzung von Fremdwährungsforderungen in der

Praxis, BlSchKG 2006, Heft 2, S. 45 ff., m.w.H.; NICOLAS OLLVIER/GRÉGOIRE

GEISSBÜHLER, La monnaie des conclusions dans les litiges bancaires, in: AJP 2017

S. 1439 ff.; ALFRED KOLLER, Anwaltsrevue 2017, S. 262 ).

Ansonsten ist daran zu erinnern, dass die ZPO keine richterliche Aufklärungspflicht,

sondern nur die gerichtliche Fragepflicht gemäss Art. 56 ZPO kennt, welche

allerdings - gerade bei anwaltlich vertretenen und/oder rechtskundigen Parteien -

zurückhaltend anzuwenden ist.

3.1.7.3. Mehrwertsteuer

Ist einer mehrwertsteuerpflichtigen Partei eine Parteientschädigung zuzusprechen,

hat dies zufolge Möglichkeit des Vorsteuerabzugs ohne Berücksichtigung der

Mehrwertsteuer zu erfolgen. Ist die anspruchsberechtigte Partei nicht im vollen

Umfange zum Abzug der Vorsteuer berechtigt, ist die Parteientschädigung um den

entsprechenden Faktor anteilsmässig anzupassen. Solche aussergewöhnlichen

Umstände hat eine Partei zu behaupten und zu belegen (BGE 4A_552/2015 vom

25. Mai 2016 E. 4.5; ZR 104 [2005] Nr. 76; SJZ 101 [205] S. 531 ff.).

Für eine Partei, die den Mehrwertsteuerzusatz ersetzt haben will, bedeutet dies,

dass sie die Mehrwertsteuer zunächst im Rechtsbegehren geltend machen muss

(der Vermerk "zuzüglich MwSt" genügt) und darüber hinaus im Einzelnen

darzulegen hat, inwieweit sie die für die Rechtsvertretung bezahlte Mehrwertsteuer

nicht als Vorsteuerabzug gelten machen kann. Fehlen Behauptungen im Hinblick

auf die geforderten aussergewöhnlichen Umstände, ist der betreffenden Partei die

Parteientschädigung ohne Mehrwertsteuer zuzusprechen.

Keine Pflicht zur Ablieferung von Mehrwertsteuer besteht dagegen, wenn die

betreffende Partei ihren Wohn- oder Geschäftssitz im Ausland hat (Kreisschreiben

der Verwaltungskommission des Obergerichts vom 17. Mai 2006/17. September

2010, Ziff. 2.1.1). Damit gibt es unter dem Titel Parteientschädigung auch nichts

zusätzlich zu vergüten.

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40

3.1.7.4. Prozessuale Anträge

Diese sind neben den eigentlichen Rechtsbegehren separat - und für das Gericht

gut erkennbar (also nicht etwa mitten in der Rechtschrift) - aufzuführen.

3.2. Streitwert

3.2.1. Allgemeines

Der Streitwert, d.h. der Wert des Streitgegenstandes, bestimmt sich nach

Massgabe von Art. 91 ff. ZPO. Für die Streitwertermittlung ist stets auf den

objektiven Wert der geforderten Leistung abzustellen. Die Angabe des Streitwertes

ist nur bei Klagen über eine vermögensrechtliche Streitigkeit notwendig, denn nur

solche können überhaupt einen Streitwert aufweisen. Zum Erfordernis der

Bezifferung der Klage im Rechtsbegehren ist auf die Ausführungen unter Ziff. 3.1.2.

vorstehend zu verweisen.

Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist entscheidend, ob mit der Klage

letztlich und überwiegend ein wirtschaftlicher Zweck verfolgt wird. Ist dies der Fall,

liegt eine vermögensrechtliche Streitigkeit vor. Ein Vermögensinteresse besteht

nicht nur, wenn direkt die Leistung einer bestimmten Geldsumme umstritten ist,

sondern schon dann, wenn der Entscheid unmittelbar finanzielle Auswirkungen

zeitigt oder mittelbar ein Streitwert konkret beziffert werden kann; in diesen Fällen

werden von den Betroffenen letztlich wirtschaftliche Zwecke verfolgt. Als

nichtvermögensrechtlich sind demgegenüber Streitigkeiten über ideelle Inhalte zu

betrachten, über Rechte, die ihrer Natur nach nicht in Geld geschätzt werden

können; es muss sich um Rechte handeln, die weder zum Vermögen einer Person

gehören noch mit einem vermögensrechtlichen Rechtsverhältnis eng verbunden

sind (BGE 142 III 145 ff. m.w.H.).

3.2.2. Zur Ermittlung des Streitwertes im Besonderen

3.2.2.1. Auf Geldzahlungen gerichtete Forderungsklagen

Lautet das Rechtsbegehren auf eine Geldzahlung, deckt sich der Streitwert mit dem

Begehren. Analoges gilt für Feststellungsklagen, die auf einen Geldbetrag lauten

(BSK ZPO-RÜEGG/RÜEGG, N 3 zu Art. 91).

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41

3.2.2.2. Feststellungsklagen

Bei Feststellungsklagen ist auf den Wert des Rechts oder Rechtsverhältnisses

abzustellen ist, dessen Bestand oder Nichtbestand durch das Urteil festgestellt

werden soll; bei der der negativen Feststellungsklage ist zu eruieren, welchen Wert

die angebliche Verpflichtung für die klagende Partei hat (vgl. STEIN-WIGGER, in:

Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger, ZPO Komm., N 16 zu Art. 91; BGE

4A_80/2013 E. 6.4).

3.2.2.3. Streitwert bei objektiver Klagenhäufung von Pfand- und Forderungsklage

gegen die gleiche Partei

Umstritten ist die Streitwertberechnung in Verfahren, in welchen eine Pfandklage

mit einer Forderungsklage kombiniert wird. Gemäss Art. 91 Abs. 1 ZPO wird der

Streitwert durch das Rechtsbegehren bestimmt. Im Falle einer Klagenhäufung

werden die geltend gemachten Ansprüche zusammengerechnet, sofern sie sich

gegenseitig nicht ausschliessen (Art. 93 Abs. 1 ZPO). Unklar ist insbesondere, ob

sich die Ansprüche auf definitive Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts und

auf Bezahlung der Werklohnforderung gegenseitig ausschliessen. Namentlich mit

Blick auf das erhöhte wirtschaftliche Gesamtinteresse am Prozess spricht sich ein

gewichtiger Teil der Lehre für die Zusammenrechnung der Ansprüche aus (BSK

ZPO-RÜEGG/RÜEGG, N 2 zu Art. 93; DIGGELMANN, DIKE-Komm-ZPO, N 1 zu Art. 93;

SCHUMACHER, Bauhandwerkerpfandrecht, in: BR 2014, S. 160, 163; a.M. noch in:

Das Bauhandwerkerpfandrecht, Ergänzungsband zur 3. Aufl., 2011, N 726).

Demgegenüber vertritt ein Teil der Lehre die Auffassung, dass es sich um

voneinander abhängige Ansprüche handle, welche nicht zusammenzurechnen

seien (STEIN-WIGGER, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger, ZPO Komm., N

N 10 zu Art. 93; BK ZPO-STERCHI, N 6 zu Art. 93; RICKLI, Der Streitwert im

schweizerischen Zivilprozessrecht, Diss. 2014, N 259; je m.w.H.). Auch die

Rechtsprechung - einschliesslich der bundesgerichtlichen - ist in dieser Hinsicht

uneinheitlich (Zusammenrechnung der Ansprüche vgl. BGE 4D_30/2009 vom

1. Juli 2009 = BGE 135 I 221 nicht publ. E. 1.1 sowie Urteil der II. Zivilkammer des

Obergerichts des Kantons Zürich RB130014 vom 4. Juni 2013 E. 2.4; keine

Zusammenrechnung der Ansprüche vgl. BGE 106 II 22 E. 1; BGE 55 II 39 E. 1;

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42

BGE 4A_183/2011 vom 16. Juni 2011 E. 1.1 und 4C.95/2003 vom 25. August 2003

E. 2).

Gemäss der Praxis des Handelsgerichts erfolgt zur Streitwertermittlung bei

objektiver Klagenhäufung bezüglich Werklohnforderung und Pfandanspruch stets

eine Zusammenrechnung der Ansprüche im Sinne von Art. 93 Abs. 1 ZPO.

Massgebend ist, dass im Falle der Kombination einer Pfandklage mit der

Werklohnforderung zwei verschiedene Begehren gestellt werden (ein Begehren auf

Bezahlung des Werklohnes und ein Begehren auf Eintragung des Pfandrechts im

Grundbuch), welche unterschiedliche Voraussetzungen aufweisen, die vom Gericht

zu prüfen sind. Auch wenn unbestritten ist, dass das Bauhandwerkerpfandrecht in

materieller Hinsicht von der Werklohnforderung abhängt (sog. Akzessorietät) und

die Pfandklage lediglich einen präparatorischen Charakter hat, handelt es sich

letztlich formal um zwei Begehren. Im Weiteren ist bei diesen Klagen in rechtlicher

Hinsicht zwar derselbe Lebenssachverhalt betroffen. Dennoch geht es nicht um die

gleiche "wirtschaftliche Leistung", dient das eine doch dem direkten Erhalt von Geld

und das andere "nur" der Sicherung dieses Anspruches.

Demgemäss erfolgt auch die Berechnung der Gerichtsgebühr und die Festsetzung

der Parteientschädigung grundsätzlich auf dem addierten Streitwert. Auf Grund des

Zusammenhanges der Begehren besteht allerdings von Vornherein eine Synergie,

die eine Vereinfachung des Verfahrens mit sich bringt. Dieser Einsparung im

Aufwand ist im Rahmen der Gebührenfestsetzung entsprechend Rechnung zu

tragen. Vor diesem Hintergrund wird der verlangte Kostenvorschuss nach

Einreichung der Klage auf 75% der ordentlichen Gerichtsgebühr reduziert (d.h.

ausgehend vom addierten Streitwert wird der Kostenvorschuss nach dem Tarif

gemäss der GebV des Obergerichts des Kantons Zürich nicht - wie sonst üblich -

auf 100% sondern auf 75% festgesetzt).

3.2.2.4. Streitwert einer negativen Feststellungswiderklage

Gemäss Art. 94 ZPO bestimmt sich der Streitwert, wenn sich Klage und Widerklage

gegenüberstehen, nach dem höheren Rechtsbegehren. Auch der Streitwert einer

negativen Feststellungsklage hängt vom entsprechenden Rechtsbegehren ab:

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43

Lautet es auf Feststellen des Nichtbestehens einer Gesamtschuld, ist diese dem

Streitwert gleichzusetzen (vgl. BSK ZPO-RÜEGG/RÜEGG, N 3 zu Art. 94).

3.2.2.5. Streitwert bei Datenschutzfällen

Zunächst ist bei Datenschutzfällen abzuklären, ob mit der Klage (auf

Nichtherausgabe von Daten) eine vermögensrechtliche Streitigkeit vorliegt, da nur

in einem solchen Fall die sachliche Zuständigkeit des Handelsgerichts - welche

einen Mindeststreitwert im Sinne von Art. 6 Abs. 2 lit. b ZPO voraussetzt - überhaupt

in Frage kommt (vgl. dazu BGE 139 III 67 ff.). Nach der bundesgerichtlichen

Rechtsprechung liegt - wie eingangs unter Ziff. 3.2.1. bereits erwähnt - eine

vermögensrechtliche Streitigkeit vor, wenn mit der Klage letztlich und überwiegend

ein wirtschaftlicher Zweck verfolgt wird (vgl. BGE 142 III 145 E. 6.1 und 6.2 mit

Hinweisen; BGE 4A_83/2016 vom 22. September 2016 E. 4.3; BGE 139 II 404,

E. 12.1; BGE 135 III 578, E. 6.3; BGE 118 II 528, E. 2c; BGE 108 II 77, E. 1a, je mit

Hinweisen). Dies ist insbesondere dann zu bejahen, wenn die Herausgabe der

Daten und Informationen für die klagende Partei mit dem hohen Risiko verbunden

ist, in ein ausländisches (i.d.R. US-amerikanisches) [Straf]-Verfahren mit

entsprechenden möglichen Konsequenzen und hohen Sanktionen involviert zu

werden. Die damit einhergehende Publizität kann für die im Visier der

ausländischen bzw. US-amerikanischen (Steuer- und Justiz-)Behörden stehende

Person - sei es eine natürliche oder juristische - ohne Weiteres dazu führen, dass

diese aufgrund des eintretenden Reputationsschadens im Hinblick auf

gegenwärtige und weitere geschäftliche Tätigkeiten/Dienstleistungen nicht mehr

bzw. nicht tragbar ist und eine Datenherausgabe erhebliche wirtschaftliche

Konsequenzen zur Folge hat. Insofern steht für die klagende Partei die Vermeidung

des Verlustes von geschäftlichem Schaden im Vordergrund, wogegen im Vergleich

dazu dem Schutz ihrer Persönlichkeit eine untergeordnete Bedeutung zukommt.

Praxisgemäss setzt das Handelsgericht den Streitwert bei Datenschutzfällen

vermögensrechtlicher Natur auf CHF 500'000.-- pro klagende Partei fest; bei

mehreren Klägern ist das wirtschaftliche Interesse eines jeden einzelnen davon

massgebend und der Gesamtstreitwert erhöht sich in Anwendung von Art. 93 Abs.

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44

1 ZPO entsprechend (vgl. dazu etwa Urteil des Handelsgerichts HG160128 vom

21. März 2018 E. 2.2).

3.2.2.6. Streitwert im Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht

Der Streitwert in Angelegenheiten, die sich mit dem Bestand oder der Verletzung

von Immaterialgüter- und Wettbewerbsrechten befassen, ist schwer bestimmbar.

In der Lehre wird deshalb vorgeschlagen, es seien aufgrund von Erfahrungswerten

über den Wert der umstrittenen Rechte Richtlinien oder Eckdaten aufzustellen, die

vermutungsweise der Schätzung des prozessual massgebenden Streitwerts

zugrunde gelegt werden können (vgl. dazu JOHANN ZÜRCHER, Der Streitwert im

Immaterialgüter- und Wettbewerbsrechtsprozess, in: sic! 2002, S. 493 ff.; LUCAS

DAVID, Der Rechtsschutz im Immaterialgüterrecht, Schweizerisches

Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht [SIWR], Bd. I/2, 2. Aufl. 1998, S. 29; LEONZ

MEYER, Der Streitwert in Prozessen um Immaterialgüterrechte und Firmen, in: sic!

6/2001 S. 559/560).

Demgemäss hat sich in der Praxis im Bereich des Schutzes von Marken, Muster

oder Modellen bei der Streitwertbemessung eine Dreiteilung entwickelt, wonach der

Streitwert bei eher unbedeutenden Zeichen zwischen CHF 50'000.-- und CHF

100'000.-- beträgt, bei bedeutenderen Zeichen, hinter denen erhebliche Werte

stehen (Umsatz, Werbung etc.), schnell Streitwerte von CHF 500'000.-- bis CHF 1

Mio, und bei sehr bekannten (berühmten) Zeichen Streitwerte, die über den Betrag

von CHF 1 Mio hinausgehen, zur Anwendung gelangen (JOHANN ZÜRCHER, a.a.O.,

S. 505; LEONZ MEYER, a.a.O., S. 563; LUCAS DAVID, a.a.O., S. 29). Von diesem

Erfahrungswert kann für die Schätzung des Streitwerts ausgegangen werden,

wenn die Eintragung etwa einer Marke umstritten ist und keine konkreten

Anhaltspunkte für einen höheren oder niedrigeren Wert der strittigen Marke

sprechen.

Bei lauterkeitsrechtlichen Streitigkeiten handelt es sich regelmässig um

vermögensrechtliche Streitigkeiten (ZÜRCHER, a.a.O., S. 505; RÜETSCHI/ROTH,

a.a.O., N. 79 zu Vor Art. 9-13a UWG). Die Festlegung des Streitwerts richtet sich

nach den Art. 91-94 ZPO (BSK UWG-RÜETSCHI/ROTH, N 8, 81 zu Vor Art. 9-13a).

Lautet das Rechtsbegehren nicht auf eine bestimmte Geldsumme, so setzt das

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45

Gericht den Streitwert fest, sofern sich die Parteien darüber nicht einigen oder ihre

Angaben offensichtlich unrichtig sind (Art. 91 Abs. 2 ZPO; vgl. auch BGE

5A_461/2015 vom 6. August 2015 E. 3). Bei lauterkeitsrechtlichen Streitigkeiten ist

der Streitwert grundsätzlich durch Schätzung zu bestimmen (BSK UWG-

RÜETSCHI/ROTH, N. 83 zu Vor Art. 9-13a; BGE 4C.9/2002 vom 23. Juli 2002 E. 1.1).

Massgeblich ist dabei das wirtschaftliche Interesse der klagenden Partei an der

beantragten Unterlassung bzw. Beseitigung zum Zeitpunkt der Klageerhebung. Bei

Unterlassungsklagen dient der zu erwartende Schaden der klagenden Partei als

Indiz für den Streitwert (BSK UWG-RÜETSCHI/ROTH, N. 83 zu Vor Art. 9-13a UWG;

ZÜRCHER, a.a.O., S. 505; Kassationsgericht Zürich, 29. Oktober 2000, 99/351 Z,

E. II./4.6c = sic! 2001, 340 ff., 342, E. II./4.6c). Insgesamt kommt dem Gericht bei

der Schätzung des Streitwertes ein nicht unerhebliches Ermessen zu.

3.2.2.7. Streitwert bei unbezifferter Forderungsklage

Gemäss Art. 85 Abs. 1 ZPO hat die klagende Partei zu Beginn des Verfahrens

einen Mindeststreitwert anzugeben, welcher als vorläufiger Streitwert dient. Die

definitive Bezifferung der Forderung und damit die Konkretisierung des Streitwertes

erfolgt erst später, d.h. sobald die klagende Partei dazu nach Abschluss des

Beweisverfahrens oder nach erfolgter Auskunftserteilung hierzu in der Lage ist

(BSK ZPO-STEIN-WIGGER, N 23 zu Art. 91; NICOLAS GUT, a.a.O., Rz 489 ff.).

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46

3.2.2.8. Streitwert bei Stufenklage

Die Stufenklage besteht bekanntlich in der objektiven Häufung eines

unabhängigen, materiellen, zivilrechtlichen Informationsanspruchs und einer

nachträglich zu beziffernden Forderungsklage nach Art. 85 ZPO. Die Besonderheit

liegt darin, dass das Gericht zunächst nur den Informationsanspruch

(Rechnungslegung und/oder Auskunftserteilung) behandelt und darüber einen

Teilentscheid fällt, und in der Folge die klagende Partei gestützt darauf ihre

unbezifferte Forderungsklage zu beziffern hat. Der Informationsanspruch

entstammt - wie unter Ziff. 3.1.2.2 vorstehend bereits ausgeführt - dem materiellen

Recht und ist insofern selbständig und unabhängig, als dass er auch ohne

Kombination mit der Hauptforderung in einem reinen Informationsprozess geltend

gemacht werden könnte. Er hat diesfalls auch unbestrittenermassen einen eigenen

Streitwert (SAMUEL RICKLI, Der Streitwert im schweizerischen Zivilprozessrecht,

Diss., Zürich/St. Gallen 2014, Rz 280 ff.). Demgemäss sind für die beiden

Ansprüche nicht nur getrennte Streitwerte zu ermitteln, sondern sie müssen auch

bei der Gebührenfestsetzung gesondert berücksichtigt werden. Es besteht also

(m.E.) kein Gesamtstreitwert, in welchem der Anteil des Auskunfts- bzw.

Rechnungslegungsbegehrens aufgeht. Diese sind auch nicht zu kumulieren;

vielmehr hat jede Stufe ihren eigenen Streitwert (ZÜRCHER, a.a.O., S. 498). Eine

gefestigte Praxis dazu besteht aber - soweit ersichtlich - nach wie vor noch nicht.

3.2.2.9. Streitwert bei Haupt- und Eventualbegehren

Nach Art. 91 ZPO wird der Streitwert durch die Rechtsbegehren bestimmt, wobei

weder Zinsen und Verfahrenskosten noch allfällige Eventualbegehren

hinzugerechnet werden (Art. 91 Abs. 1 ZPO). Zu den Zinsen gehören vertragliche

und gesetzliche, laufende und rückständige Zinsen, Verzugszinsen und

akzessorisch neben einer Kapitalforderung verlangte Schadenszinsen;

demgegenüber sind Zinsen zu berücksichtigen, die als selbständige Forderung

eingeklagt werden oder die Bestandteil einer Hauptforderung geworden sind (vgl.

dazu BSK ZPO-RÜEGG/RÜEGG, N 5 zu Art. 91 sowie STEIN-WIGGER, in: Sutter-

Somm/Hasenböhler/Leuenberger, ZPO Komm., N 30/31 zu Art. 91).

Eventualbegehren haben auf den Streitwert keinen Einfluss, soweit sie denjenigen

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47

des Hauptantrags nicht übersteigen. Ist hingegen der Wert des Eventualbegehrens

höher als derjenige des Hauptbegehrens, ist dieser höhere Wert massgebend

(BGE 4A_46/2016 vom 20. Juni 2016 E. 1.3; vgl. auch BK ZPO-STERCHI, N 12 zu

Art. 91).

3.2.2.10. Streitwert Hauptklage und Streitverkündungsklage

Im Gesetz nicht geregelt und - soweit ersichtlich - höchstrichterlich noch nicht

entschieden ist, ob die Streitwerte der Haupt- und Streitverkündungsklage zur

Festlegung der Gerichtskosten zusammenzurechnen sind. Es finden sich lediglich

entsprechende Bestimmungen zur Klagenhäufung und zur Widerklage (vgl. BK

ZPO-GROSS/ZUBER, N 29 ff. zu Art. 82). In beiden Fällen - insbesondere bei der

Widerklage, welches Institut am ehesten mit der vorliegenden

Streitverkündungsklage vergleichbar ist - werden die Streitwerte zur Bestimmung

der Prozesskosten zusammengerechnet, sofern sich die Ansprüche nicht

gegenseitig ausschliessen (Art. 93 Abs. 1 ZPO bzw. Art. 94 Abs. 2 ZPO). Von einer

entsprechenden analogen Anwendung ist aber abzusehen, setzt doch in

Kostenfragen das Legalitätsprinzip einer analogen Anwendung einer nicht

einschlägigen Bestimmung Grenzen (vgl. BGE 132 I 117 E. 4.1). Zudem spricht

gegen eine analoge Anwendung, dass der Gesetzgeber für die genannten

Sondertatbestände die Streitwertberechnung gesondert geregelt hat, nicht jedoch

für die Streitverkündungsklage. Das deutet darauf hin, dass in den anderen Fällen

die allgemeinen Regeln gelten sollen. Dies umso mehr, als Art. 94 Abs. 2 ZPO

lediglich eine singuläre Spezialvorschrift darstellt (vgl. BSK ZPO-RÜEGG, N 4 zu Art.

94), die es eng auszulegen gilt (BK ZPO-ZUBER/GROSS, N 29 ZU ART. 82; vgl. auch

den Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern ZK 15 233 vom 17. Juli 2015,

E. 19.1, mit weiteren Hinweisen).

Damit sind die Gerichtsgebühren für Haupt- und Streitverkündungsklage nicht

zusammenzurechnen, sondern je separat festzusetzen (vgl. dazu auch die

Verfügung des Handelsgerichts HG150102 vom 9. September 2016 S. 4).

Eine Streitverkündungsklage kann im Übrigen zu Recht unbeziffert sein, wenn die

Hauptklage ihrerseits die Voraussetzungen von Art. 85 ZPO erfüllt. Kann der

Hauptkläger seine Forderung nicht beziffern, weil diese von einem

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48

Beweisverfahren oder von Auskünften der Gegenpartei abhängt (Art. 85 Abs. 2

ZPO), muss dies gleichermassen auch für den Streitverkündungskläger gelten

(BGE 142 III 102 ff. E. 3.1). Ferner kann der Streitverkündungskläger immer dann

auf eine Bezifferung verzichten, wenn seine Klage selber die Voraussetzungen von

Art. 85 ZPO erfüllt, wenn also beispielsweise unabhängig vom Ausgang des

Hauptverfahrens für die Beurteilung der Ansprüche gegenüber dem

Streitverkündungsbeklagten ein Beweisverfahren erforderlich und deswegen die

Bezifferung unzumutbar ist (BGE 142 III 102 ff. E. 3.2). Von diesen beiden Fällen

abgesehen ist die Streitverkündungsklage aber stets zu beziffern (BGE 142 III 102

ff. E. 3.1 und E. 3.2.).

3.2.2.11. Streitwert bei Anfechtung von GV-Beschlüssen

Bei der Anfechtung von Beschlüssen der Generalversammlung einer

Aktiengesellschaft ist mit Bezug auf den Streitwert auf das Interesse der

Gesellschaft, d.h. der Gesamtheit der Aktionäre am Prozessausgang und nicht auf

das Interesse des klagenden Aktionärs abzustellen, weil die Aufhebung des

Generalversammlungsbeschlusses gegenüber sämtlichen Aktionären wirksam

wird. Bei Klagen auf Anfechtung von Generalversammlungsbeschlüssen einer

Aktiengesellschaft ist daher für den Streitwert vom Interesse der Gesellschaft am

Ausgang des Prozesses auszugehen (vgl. dazu BGE 133 III 372 E. 1.3.2, BGE

4A_461/2009 vom 1. März 2010 E. 1.2, BGE 92 II 246; BGE 75 II 152; ZR 90 Nr.

61, ZR 110 [2011] Nr. 30 sowie DIGGELMANN, DIKE-Komm-ZPO, N 53 zu Art. 91 mit

Verweis auf BGE 66 II 48).

Beim Fehlen von konkreten Anhaltspunkten rechtfertigt es sich (aus

Praktikabilitätsgründen), hinsichtlich der Höhe des Streitwertes auf das

Aktienkapital abzustellen (vgl. dazu BGE 4A_465/2008 vom 28. November 2008 E.

1.5. sowie BGE 4C.88/2000 vom 27. Juni 2000 E. 4b; ebenso ZR 110 [2011] Nr. 30

und CAN 2014 Nr. 49 S. 152).

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49

3.2.2.12. Streitwert bei Stockwerkeigentümergemeinschaft

Auch bei der Anfechtung von Beschlüssen einer

Stockwerkeigentümergemeinschaft handelt es sich grundsätzlich um eine

vermögensrechtliche Angelegenheit. Das gilt namentlich, wenn bauliche

Massnahmen im Zusammenhang mit gemeinschaftlichen Teilen betroffen sind. Für

die Bestimmung des Streitwertes kommt es auf die streitigen Rechte und nicht auf

den geltend gemachten Grund für die Anfechtung der Beschlüsse (wie etwa die

Missachtung von Quorumsvorschriften) an. Massgebend ist (auch hier)

regelmässig das Interesse der beklagten Gemeinschaft als Gesamtes und nicht

dasjenige der klagenden Stockwerkeigentümer (vgl. dazu BGE 140 III 571 ff. E.

1.1).

3.3. Tatsachenbehauptungen

Gestützt auf Art. 221 Abs. 1 ZPO hat eine Klage neben der Bezeichnung der

Parteien, dem Rechtsbegehren und der Angabe des Streitwerts auch die

Tatsachenbehauptungen und die dazu angerufenen Beweismittel zu enthalten. Die

klagende Partei ist demzufolge verpflichtet, die einzelnen Tatsachen anzugeben,

auf die sie ihr Begehren stützt. Wird der Behauptungslast ungenügend

nachgekommen, ist die Klage unvollständig begründet. Von einer offensichtlich

unvollständigen Begründung ist auszugehen, wenn klar ersichtlich ist, dass das

Tatsachenfundament unvollständig ist und deshalb zentrale

Anspruchsvoraussetzungen unbegründet bleiben (BSK ZPO-WILLISEGGER, N 27 f.

zu Art. 221 ZPO).

Stellt die klagende Partei den Sachverhalt, welcher im Rahmen der Klage beurteilt

werden soll, nicht oder offensichtlich unvollständig dar, entspricht ihre Klage nicht

den Voraussetzungen von Art. 221 Abs. 1 ZPO. Immerhin verlangt diese

Bestimmung die Nennung der relevanten Tatsachenbehauptungen (lit. d) wie auch

der zugehörigen Beweismittel (lit. e). Auf eine derart unvollständige Klage ist in

analoger Anwendung von Art. 132 ZPO nicht einzutreten, da der erforderlichen

Behauptungslast nicht genügend nachgekommen worden ist (vgl. dazu BSK ZPO-

WILLISEGGER, N 24 zu Art. 220 sowie N 27 ff. zu Art. 221).

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50

Gerade bei anwaltlich nicht vertretenen, rechtsunkundigen Parteien kommt es

gelegentlich vor, dass diese eine Klage entweder ganz ohne Begründung oder

dann mit einem derart rudimentär dargestellten Klagefundament einreichen (häufig

ohne Nennung und Zuordnung von Beweismitteln zu den einzelnen

Tatsachenbehauptungen), dass diese Klagebegründung keine brauchbare

Grundlage für die Beantwortung der Klage abgibt und eine Fortführung des

Verfahrens nicht erlaubt. In solchen Fällen fordert das Handelsgericht die

betreffende Partei nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gemäss Art. 52 ZPO

sowie in Anwendung von Art. 56 ZPO (richterliche Fragepflicht) zur Verbesserung

einer mangelhaften oder zur Nachreichung einer fehlenden Begründung auf, mit

der Androhung, dass bei Säumnis auf die Klage nicht eingetreten wird (vgl. dazu

auch PAHUD, DIKE-Komm-ZPO, N 15 zu Art. 221).

Von diesem Sachverhalt (der ungenügend behaupteten Klage) abzugrenzen ist

eine ungenügend begründete Klage. Bei einer solchen sind die erforderlichen

Tatsachenbehauptungen zwar vorhanden (und damit der Behauptungslast Genüge

getan), doch ist die Klage als Ganze nicht genügend substantiiert. Die

Substantiierungslast verlangt dabei, dass die anspruchsbegründenden Tatsachen

konkret und bestimmt vorgebracht werden (BSK ZPO-WILLISEGGER, N 27 f. zu Art.

221 ZPO; vgl. dazu auch BGE 4A_281/2017 vom 22. Januar 2018 E. 4). Eine

solche Klage ist anhand zu nehmen und gegebenenfalls - soweit die Mängel im

Verlauf des Verfahrens nicht behoben werden - abzuweisen. Die Abgrenzung

zwischen den beiden Fällen ist im Einzelfall vorzunehmen. Im Bereich der

Verhandlungsmaxime sind jedoch der gerichtlichen Fragepflicht bei ungenügender

Substantiierung - vor allem bei anwaltlich vertretenen Parteien - enge Grenzen

gesetzt (vgl. dazu BSK ZPO-GEHRI, N 12 ff. zu Art. 56; PATRICIA TSCHUDI,

Substantiierungslast versus gerichtliche Fragepflicht, in: Plädoyer 3/17 S. 34 ff.;

ROLAND SCHMID, Verfahrens- und Beweisfragen bei Personenschadensfällen, in:

HAVE, Haftpflichtprozess 2015, S. 171 f. sowie BGE 4A_284/2017 vom 22. Januar

2018 E. 3.2).

Häufig wird in den Rechtschriften bei der Behauptung von Tatsachen auf Beilagen

verwiesen, womit sich dann unmittelbar die Frage stellt, ob ein solches Vorgehen

der Behauptungs- und Substantiierungslast genügt. Das Bundesgericht hat in

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51

diesem Zusammenhang wiederholt festgehalten, dass der blosse pauschale

Verweis auf Beilagen in aller Regel nicht genügt (BGE 4A_281/2017 vom 22.

Januar 2018 E. 5; BGE 4A_264/2015 vom 10. August 2015 E. 4.2.2; BGE

5A_61/2015 vom 20. Mai 2015 E. 4.2.1.3; BGE 4A_317/2014 vom 17. Oktober

2014 E. 2.2; BGE 4A_195/2014 und BGE 197/2014 vom 27. November 2014 E.

7.3, nicht publ. in BGE 140 III 602). Es geht darum, dass nicht das Gericht und die

Gegenpartei aus den Beilagen die Sachdarstellung zusammensuchen müssen. Es

ist nicht an ihnen, Beilagen danach zu durchforsten, ob sich daraus etwas zu

Gunsten der behauptungsbelasteten Partei ableiten lässt. Das bedeutet aber nicht,

dass es nicht ausnahmsweise zulässig sein kann, seinen

Substantiierungsobliegenheiten durch Verweis auf eine Beilage nachzukommen.

Auch das Handelsgericht verlangt nicht, dass Beilagen, die der Substantiierung

dienen, zwingend integral im Volltext in die Rechtsschriften übernommen werden.

Unter Umständen wird durch ein derartiges Vorgehen vielmehr die Lesbarkeit der

betreffenden Rechtsschrift erhöht und die Kontrolle der einzelnen Angaben

erleichtert, indem nicht die gesamte Rechtsschrift, sondern nur die einschlägigen

Beilagen hinzugezogen werden müssen. Gerade in derartigen Situationen kann es

überspitzt formalistisch sein, eine Übernahme der Beilage in die Rechtsschrift

selbst zu verlangen, da dies zu einem unnützen Leerlauf führen würde. Bei den

formellen Anforderungen an die Substantiierung ist daher immer zu beachten, dass

eine sinnvolle Prozessführung möglich sein muss.

Werden Tatsachen in ihren wesentlichen Zügen oder Umrissen in einer

Rechtsschrift behauptet und wird für Einzelheiten auf eine Beilage verwiesen, ist

demnach stets zu prüfen, ob die Gegenpartei und das Gericht damit die

notwendigen Informationen in einer Art erhalten, die eine Übernahme in die

Rechtsschrift als blossen Leerlauf erscheinen lässt, oder ob der Verweis

ungenügend ist, weil die nötigen Informationen in den Beilagen nicht eindeutig und

vollständig enthalten sind oder aber daraus zusammengesucht werden müssten.

Es genügt nicht, dass in den Beilagen die verlangten Informationen in irgendeiner

Form vorhanden sind. Es muss auch ein problemloser Zugriff darauf gewährleistet

sein, und es darf kein Interpretationsspielraum entstehen. Der entsprechende

Verweis in der Rechtsschrift muss spezifisch ein bestimmtes Aktenstück nennen

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52

und aus dem Verweis muss selbst klar werden, welche Teile des Aktenstücks als

Parteibehauptung gelten sollen. Ein problemloser Zugriff ist gewährleistet, wenn

eine Beilage selbsterklärend ist und genau die verlangten (beziehungsweise in der

Rechtsschrift bezeichneten) Informationen enthält. Sind diese Voraussetzungen

nicht gegeben, kann ein Verweis nur genügen, wenn die Beilage in der

Rechtsschrift derart konkretisiert und erläutert wird, dass die Informationen ohne

weiteres zugänglich werden und nicht interpretiert und zusammengesucht werden

müssen. Der Verweis auf eine Beilage ist jedenfalls immer dann ungenügend, wenn

die Beilagen für sich selbst nicht erlauben, die geltend gemachten Positionen zu

prüfen und gegebenenfalls substantiiert zu bestreiten, und die Beilagen in den

Rechtsschriften nicht hinreichend konkretisiert und erläutert werden (BGE

4A_281/2017 vom 22. Januar 2018 E. 5.1, 5.2 und 5.3).

Das Handelsgericht hatte jüngst einen Fall (Bauprozess) zu beurteilen, in welchem

die Klägerin zur Darlegung des Bestandes der Gesamtforderung pauschal auf die

Bau-Schlussabrechnung sowie auf die dazugehörigen Ausmasse verwies und den

Inhalt dieser Urkunden zum integrierten Bestandteil ihrer Rechtsschrift erklärte. Die

betreffenden Ausmasse waren in einer Tabelle über zahlreiche Seiten verteilt, ohne

dass spezifiziert wurde, welche Ausmasse letztlich welcher Position in der

Schlussabrechnung zuzurechnen sind. Eine entsprechende Zuordnung war somit

nicht möglich. Im Urteil hielt das Handelsgericht dazu wörtlich fest:

"Es ist aber nicht Aufgabe des Gerichts oder der Gegenpartei, sich aus insgesamt 65 Seiten Schlussrechnung und Ausmasse die jeweils zusammengehörigen Positionen herauszusuchen. Es zählt zur Behauptungslast der Klägerin, dass sie die Tatsachen, auf welche sie ihre Forderung stützt, eindeutig bezeichnet. Nur so ist es der Gegenseite möglich, die einzelnen Tatsachen substantiiert zu bestreiten und nur so kann das Gericht über die einzelnen Behauptungen Beweis abnehmen. Dies hätte auch dann zu gelten, wenn die Klägerin die genannten Dokumente in ihre Rechtsschrift kopiert hätte. Der pauschale Hinweis auf die Schlussrechnung und die Ausmasstabelle eignet sich entsprechend nicht, um eine bestrittene Forderung in genügender Weise zu substantiieren"

Demgemäss wurde die Klage vollumfänglich abgewiesen (Urteil des

Handelsgerichts HG150238 vom 5. April 2017 E 2.4.2.2). Dieser Entscheid wurde

in der Folge vom Bundesgericht mit Urteil vom 22. Januar 2018 bestätigt (BGE

4A_281/2017 vom 22. Januar 2018).

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53

4. Frage der sachlichen Zuständigkeit

Das Gericht prüft von Amtes wegen, ob die Prozessvoraussetzungen, namentlich

das Vorliegen der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts

(vgl. Art. 59 Abs. 2 lit. b ZPO), erfüllt sind (vgl. Art. 60 ZPO). Fehlt es an einer

Prozessvoraussetzung, ist auf die Klage nicht einzutreten (Art. 59 Abs. 1 ZPO e

contrario).

4.1. Grundlage

Das Handelsgericht ist zur Beurteilung eines Anspruchs sachlich zuständig, wenn

eine handelsrechtliche Streitigkeit gemäss Art. 6 Abs. 2 ZPO vorliegt. Eine solche

ist gegeben, wenn die geschäftliche Tätigkeit mindestens einer Partei betroffen ist

(Art. 6 Abs. 2 lit. a ZPO), gegen den Entscheid die Beschwerde in Zivilsachen an

das Bundesgericht offen steht (Art. 6 Abs. 2 lit. b ZPO) und die Parteien im

schweizerischen Handelsregister oder in einem vergleichbaren ausländischen

Register eingetragen sind (Art. 6 Abs. 2 lit. c ZPO). Ist nur die beklagte Partei im

schweizerischen Handelsregister oder in einem vergleichbaren Register

eingetragen, sind aber die übrigen Voraussetzungen erfüllt, so hat die klagende

Partei die Wahl zwischen dem Handelsgericht und dem ordentlichen Gericht (Art. 6

Abs. 3 ZPO). Das Handelsgericht ist ferner zuständig für Streitigkeiten gemäss Art.

5 Abs. 1 lit. a-e und lit. h ZPO sowie für Streitigkeiten aus dem Recht der

Handelsgesellschaften und Genossenschaften (Art. 6 Abs. 4 lit. a ZPO i.V. mit § 44

lit. a GOG und Art. 6 Abs. 4 lit. b ZPO).

Zunächst kann im Zusammenhang mit Fragen betreffend die sachliche

Zuständigkeit des Handelsgerichts - um Wiederholungen zu vermeiden - auf die

einlässliche Darstellung von DAETWYLER/STALDER, Allgemeiner Verfahrensgang

und Zuständigkeit des Handelsgerichts, in: BRUNNER/NOBEL [HRSG.], Festschrift

Handelsgericht Zürich 1866-2016, S. 162-202 verwiesen werden. Nachfolgend ist

daher nur kurz auf die aktuellen prozessualen Entwicklungen hinsichtlich der

handelsgerichtlichen Zuständigkeit einzugehen.

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54

4.2. Zur sachlichen Zuständigkeit des Handelsgerichts im Einzelnen

4.2.1. Frage der sachlichen Zuständigkeit bei objektiver Klagenhäufung betreffend Ansprüchen mit unterschiedlichen Streitwerten und Verfahrensarten (teilweise unter und über CHF 30'000.--)

Nach Art. 90 ZPO kann die klagende Partei mehrere Ansprüche gegen dieselbe

Partei in einer Klage vereinen, sofern das gleiche Gericht dafür sachlich zuständig

ist und die gleiche Verfahrensart anwendbar ist. Ansprüche die aufgrund ihrer

Streitwerte einzeln betrachtet nicht in der gleichen Verfahrensart bzw. vom gleichen

Gericht beurteilt würden, können jedenfalls dann gehäuft werden, wenn sie in

einem engen sachlichen Zusammenhang stehen. Die sachliche Zuständigkeit und

die Verfahrensart müssen aufgrund der addierten Streitwerte gleich sein. In einer

Klage vor dem Handelsgericht können daher zusammen mit einem

Rechtsbegehren auf Zahlung einer Summe über CHF 30'000.-- auch

Rechtsbegehren mit Summen unter dieser Schwelle eingeklagt werden. Mit

anderen Worten ist zunächst Art. 93 ZPO und erst dann Art. 90 ZPO anzuwenden.

Bejaht man die Zulässigkeit einer Zusammenrechnung und resultiert daraus ein

Streitwert von über CHF 30‘000.--, so kommt das ordentliche Verfahren zur

Anwendung (Art. 93 Abs. 2 ZPO e contrario) und das Handelsgericht ist zur

Beurteilung sämtlicher Ansprüche zuständig, selbst wenn einzelne

Streitgegenstände für sich betrachtet im vereinfachten Verfahren zu beurteilen

wären (vgl. dazu BGE 142 III 788 ff. und das entsprechende Urteil des

Handelsgerichts HG150162 vom 2. Februar 2016 E. 3 sowie ALEXANDER

WINTSCH/RICHARD MEYER, Streitwertaddition bei Klagenhäufung und einfacher

Streitgenossenschaft, in: ZZZ 2016, S. 275 ff.).

4.2.2. Frage der sachlichen Zuständigkeit bei einfacher Streitgenossenschaft

4.2.2.1. Bezüglich Ansprüchen mit unterschiedlichen Streitwerten (teilweise unter und über CHF 30'000.--)

Die Prozessführung durch oder gegen eine einfache Streitgenossenschaft (aktive

oder passive einfache Streitgenossenschaft) setzt voraus, dass die gleiche

Verfahrensart anwendbar ist (Art. 71 Abs. 2 ZPO). Weiter muss die gleiche

sachliche Zuständigkeit für alle eingeklagten Ansprüche gelten (BGE 138 III 471 E.

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55

5.1). Fraglich ist, inwiefern sich die vorstehenden Ausführungen zur objektiven

Klagenhäufung auf die einfache Streitgenossenschaft übertragen lassen, wenn

etwa mehrere einfache passive Streitgenossen ins Recht gefasst werden und die

Streitwerte der einzelnen Ansprüche zum Teil über und zum Teil unter

CHF 30‘000.-- liegen oder nur insgesamt ein Streitwert von über CHF 30‘000.--

vorliegt. Durch eine Zusammenrechnung der einzelnen Streitwerte könnte zwar der

nach Art. 6 Abs. 2 lit. b ZPO massgebliche Streitwert erreicht werden. Insofern wäre

– falls auch die übrigen Voraussetzungen gemäss Art. 6 Abs. 2 ZPO vorliegen –

die sachliche Zuständigkeit des Handelsgerichts zu bejahen. Zu beachten ist aber

die Regelung von Art. 93 Abs. 2 ZPO, welche eine Änderung der Verfahrensart

ausschliesst. Die Verfahrensart würde sich daher weiterhin nach den jeweiligen

Streitwerten der gegen die einzelnen Streitgenossen geltend gemachten

Ansprüche richten. Aufgrund von Art. 243 Abs. 3 ZPO wäre das Handelsgericht

aber nicht zur Beurteilung derjenigen Klagen zuständig, für welche das vereinfachte

Verfahren gilt. Dies führt letztlich dazu, dass die Zuständigkeit des Handelsgerichts

für die Klage gegen einen Streitgenossen bzw. für die Klagen von einem

Streitgenossen ausgeschlossen ist, wenn der Streitwert des betreffenden

Anspruchs CHF 30‘000.-- nicht übersteigt (vgl. dazu Urteil des Handelsgerichts

HG110207 vom 25. März 2013 E. 3.2).

4.2.2.2. Bezüglich Ansprüchen gegen eine einfache Streitgenossenschaft, wenn nicht sämtliche Streitgenossen im Handelsregister eingetragen sind

Mit Beschluss vom 11. Dezember 2011 ist das Handelsgericht des Kantons Zürich

auf eine Klage gegen eine einfache Streitgenossenschaft nicht einge-treten, weil

nicht sämtliche Streitgenossen im Handelsregister eingetragen waren und damit

die Voraussetzungen der sachlichen Zuständigkeit des Handelsgerichts nicht für

jeden einzelnen Streitgenossen erfüllt waren. Ist für einzelne Streitgenossen das

Vorliegen einer handelsrechtlichen Streitigkeit zu bejahen, für andere hingegen

nicht, sind nach der handelsgerichtlichen Rechtsprechung die ordentlichen

Gerichte zur Beurteilung sämtlicher subjektiv gehäufter Klagen, auch derjenigen

gegen im Handelsregister eingetragene Parteien, sachlich zuständig (HG110187

E. 5). Das Bundesgericht hat eine gegen diesen Entscheid erhobene Beschwerde

abgewiesen und damit diese Praxis bestätigt. Es stellte fest, dass für alle

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56

eingeklagten Ansprüche die gleiche sachliche Zuständigkeit gelten müsse, was Art.

71 ZPO stillschweigend voraussetze. Im Rahmen seiner Kompetenz zur Regelung

der sachlichen Zuständigkeit der Gerichte (Art. 4 ZPO) müsse es den Kantonen

erlaubt sein, aus prozessökonomischen Gründen und zur Vermeidung

widersprüchlicher Urteile eine einheitliche sachliche Zuständigkeit für einfache

passive Streitgenossen vorzusehen und damit die (zwingende) sachliche

Zuständigkeit der Handelsgerichte zu durchbrechen. Die Zuständigkeit könne

allerdings nicht gesamthaft dem Handelsgericht übertragen werden, denn dessen

Zuständigkeit sei durch das Bundesrecht begrenzt und könne nicht auf weitere

Fälle ausgedehnt werden. Hingegen spreche nichts dagegen, die Zuständigkeit des

Handelsgerichts für solche Fälle aufzuheben und das ordentliche Gericht für alle

Klagen zuständig zu erklären (BGE 138 III 471 E. 5.1; BGE 140 III 155 E. 4.2; vgl.

auch die kritischen Anmerkungen zur bundesgerichtlichen Rechtsprechung von

CHRISTOPH LEUENBERGER, Die Rechtsprechung des Bundesgerichts zum

Zivilprozessrecht im Jahr 2012, in: ZBJV 150 [2014], S. 1 ff. und BENJAMIN

SCHUMACHER/ZOE HONEGGER, Klagen gegen einfache Streitgenossen:

Handelsgericht, Bezirksgericht oder beide? in, AJP 2017 S. 863 ff., welche die

Annahme einer stillschweigenden Zuständigkeitsregelung als problematisch

erachten).

4.2.3. Vorrang der Verfahrensart

Nach Art. 243 Abs. 3 ZPO findet vor dem Handelsgericht das vereinfachte

Verfahren keine Anwendung. Was das Verhältnis zwischen handelsgerichtlicher

Zuständigkeit und dem vereinfachten Verfahren betrifft, hat das Bundesgericht

entschieden, dass die Verfahrensart der sachlichen Zuständigkeit vorgeht (BGE

139 III 457 E. 4.4.3.3.). Das Handelsgericht ist damit sachlich nicht zuständig für

Streitigkeiten, die gemäss Art. 243 Abs. 1 und 2 ZPO im vereinfachten Verfahren

zu beurteilen sind.

4.2.4. Streitwert von exakt CHF 30'000.--

Nach Art. 243 Abs. 1 ZPO gilt das vereinfachte Verfahren für vermögensrechtliche

Streitigkeiten bis zu einem Streitwert von CHF 30‘000.-- Eine Streitigkeit mit einem

Streitwert von genau CHF 30‘000.-- wird daher entsprechend vom vereinfachten

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57

Verfahren erfasst. Geht nach der oben erwähnten bundesgerichtlichen

Rechtsprechung die Verfahrensart der sachlichen Zuständigkeit vor, so hat dies zur

Folge, dass Streitigkeiten mit einem Streitwert von exakt CHF 30‘000.-- von den

ordentlichen Gerichten im vereinfachten Verfahren zu entscheiden sind, selbst

wenn nach Art. 6 Abs. 2 ZPO die Zuständigkeit des Handelsgerichts zu bejahen

wäre (Mindeststreitwert für die Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht

beträgt gemäss Art. 74 Abs. 1 BGG bei nicht miet- und arbeitsrechtlichen Fällen

CHF 30'000.--). Das Handelsgericht ist in einem solchen Fall somit nicht zuständig,

da der Streitwert die Verfahrensart bestimmt und diese die Zuständigkeit des

Handelsgerichts einschränkt (vgl. dazu BGE 143 III 137 sowie Urteil des

Handelsgerichts HG160195 vom 11. Oktober 2016 E. 3.4 ff.).

4.2.5. Frage der sachlichen Zuständigkeit für obligatorische Ansprüche mit einem Streitwert von unter CHF 30'000.-- aus Verträgen, die Immaterialgüterrechte zum Gegenstand haben

Gemäss Art. 5 Abs. 1 lit. a ZPO i.V.m. § 44 lit. a GOG entscheidet das

Handelsgericht als einzige kantonale Instanz Streitigkeiten im Zusammenhang mit

geistigem Eigentum einschliesslich der Streitigkeiten betreffend Nichtigkeit,

Inhaberschaft, Lizenzierung, Übertragung und Verletzung solcher Rechte. Der

Anwendungsbereich von Art. 5 Abs. 1 lit. a ZPO ist (in der Lehre) allerdings

umstritten. Fraglich ist, ob sich diese Bestimmung nur auf Streitigkeiten bezieht, die

sich als spezifische Bestandes- und Abwehrklagen des gewerblichen

Rechtsschutzes erweisen oder darüber hinaus auch Vertragsklagen umfasst, die

eine Nicht- oder Schlechterfüllung von Kauf-, Abtretungs- oder Lizenzverträgen

über Immaterialgüterrechte, mithin obligatorische Ansprüche aus Vertrag zum

Gegenstand haben. Das Handelsgericht bejahte seine sachliche Zuständigkeit für

solche vertragsrechtlichen Klagen mit dem Hinweis, dass dies dem Willen des

Gesetzgebers entspreche, der für derartige Vertragsklagen eine einzige kantonale

Instanz vorsehe (Beschluss des Handelsgerichts HG110118 vom 16. August 2011

E. 3.6 und 3.7). Das Handelsgericht ist damit im Anwendungsbereich von Art. 5

Abs. 1 lit. a ZPO - und damit unabhängig vom Streitwert - für die Beurteilung von

obligatorischen Ansprüchen zuständig.

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58

5. Diverses

5.1. Mediationsklausel

Am Handelsgericht stellte sich in einem Fall kürzlich die Frage, ob bei einer

vorhandenen Streitbeilegungsabrede (Mediationsklausel) die Durchführung eines

Einigungsversuchs eine Prozessvoraussetzung im Sinne von Art. 59 ZPO darstellt

oder nicht. Das Handelsgericht kam zum Schluss, dass die Beachtung einer

Mediationsklausel keine Prozessvoraussetzung darstellt; demgemäss wies das

Handelsgericht den betreffenden Antrag der beklagten Partei, es sei auf die Klage

nicht einzutreten, ab (Beschluss des Handelsgerichts HG170120 vom 22.

Dezember 2017 E. 3.2. = ZR 117 [2018] Nr. 10).

Aus den Erwägungen:

"Die Schweizerische Zivilprozessordnung geht von der Freiwilligkeit der Mediation aus (vgl. BOTSCHAFT ZPO, S. 7337, welche die Freiwilligkeit als Kernelement der Mediation bezeichnet). Die Freiwilligkeit der Mediation bedeutet insbesondere auch, dass jede Partei jederzeit einseitig auf die Fortsetzung der Mediation verzichten kann (BOTSCHAFT ZPO, S. 7337). Dagegen verbietet die Freiwilligkeit der Mediation nicht, dass sich die Parteien in einer obligatorischen Mediationsklausel in einem Vertrag dazu verpflichten, vor der Einleitung eines Gerichtsverfahrens betreffend Streitigkeiten im Zusammenhang mit diesem Vertrag in einer Mediation zu versuchen, eine gütliche Einigung zu finden (RUGGLE, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2017, N. 14 und N. 15 vor Art. 213-218 ZPO). Indem der Gesetzgeber aber grundsätzlich von der Freiwilligkeit der Mediation ausgegangen ist, stellt die Durchführung einer Mediation bei Vorliegen einer Streitbeilegungsabrede entsprechend keine Prozessvoraussetzung dar. Der Gesetzgeber hat – anders als bei Schiedsvereinbarungen in Art. 61 ZPO – denn auch nicht vorgesehen, dass das angerufene staatliche Gericht bei Missachtung einer Mediationsvereinbarung seine Zuständigkeit ablehnt. Wenn jede Partei – wie in der Botschaft ZPO [S. 7337] wörtlich festgehalten – jederzeit eine Mediation abbrechen kann, muss es einer Partei auch jederzeit möglich sein, zu erklären, nicht länger an die Mediationsklausel gebunden sein zu wollen. Eine solche (konkludente) Erklärung ist in einer sofortigen Klageeinleitung trotz vereinbarter Mediationsklausel zu sehen. Hinzu kommt, dass die Prozessvoraussetzungen in der ZPO abschliessend geregelt sind. Die Einhaltung einer Mediationsklausel gehört – nach dem Gesagten – nicht dazu. Entsprechend fehlt für einen Nichteintretensentscheid wegen einer (angeblich) nicht erfüllten Prozessvoraussetzung (Nichtbeachtung einer Streitbeilegungsklausel) die Grundlage, was auch der in der Lehre überwiegend vertretenen Meinung entspricht (vgl. dazu RUGGLE, a.a.O., N. 8 zu Art. 213 ZPO; LIATOWITSCH/MORDASINI, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO), Sutter-Somm, Hasenböhler, Leuenberger [Hrsg.], 3. Aufl. 2016, N. 42b zu Art. 213 ZPO; GLOOR/UMBRICHT

LUKAS, in: Schweizerische Zivilprozessordnung, Kurzkommentar, Oberhammer/Domej/Haas [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 10 zu Art. 213 ZPO; GÖKSU, Schiedsgerichtsbarkeit, Zürich/St. Gallen 2014, N. 79; MÖHLER, in: Kommentar ZPO, Gehri/Jent-Sorensen/Sarbach [Hrsg.], 2. Aufl. 2015, N. 16 zu Art. 213 ZPO; PETER, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, Bd. II, 2012, N. 58 zu Vorbemerkungen zu Art. 213-218 ZPO; ders. in: Gerichtsnahe Mediation, Kommentar zur Mediation in der ZPO, 2011, Grundlagen, Rz. 57 f.; ROBERT, Spielregeln für das Recht in der Mediation, in: Anwaltsrevue 2017, S. 272; WALTHER, e-confidence in e-commerce durch Alternative Dispute Resolution, in: AJP 2001 S. 762; WIRZ, Zum Sinn und Zweck von Mediationsklauseln in Verträgen, in: recht 2013, S. 92 ff.).

Wird eine Mediationsklausel durch die sofortige Anrufung des Gerichts verletzt, erscheint es somit vielmehr angezeigt, auf die bereits in der ZPO verankerten Rechtfolgen einer im Rahmen eines Entscheidverfahrens gemeinsam beantragten Mediation zurückzugreifen und das Verfahren – auf

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59

entsprechenden Antrag einer Partei hin – zu sistieren (vgl. Art. 214 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO; so auch PETER, a.a.O., N. 58 zu Vorbemerkungen zu Art. 213-218 ZPO; MÖHLER, a.a.O., N. 16 zu Art. 213 ZPO). Führt die dann durchgeführte Mediation zu einer einvernehmlichen Lösung, kann das Verfahren abgeschrieben und dem Umstand der verfrühten Verfahrenseinleitung durch die Klägerschaft und damit den dadurch verursachten Kosten über Art. 108 ZPO (sprich Kostenauflage zulasten der Klägerschaft) Rechnung getragen werden, sofern nicht auch dieser Punkt Gegenstand der Einigung bildet. Führt die Mediation zu keiner Streitbeilegung, kann das bereits eingeleitete Verfahren fortgesetzt werden und die Kosten sind nach Verfahrensausgang zu verlegen (Art. 106 ZPO). Liegt kein entsprechender Antrag einer Partei auf Sistierung vor und/oder haben nicht alle am Verfahren beteiligten Hauptparteien die Mediationsabrede abgeschlossen, kommt eine Sistierung nicht in Fragen (PETER, a.a.O., N. 59 zu Vorbemerkungen zu Art. 213-218 ZPO), sodass diesfalls die Verletzung der Mediationsabrede – zumindest in prozessualer Hinsicht – folgenlos bleibt. Einen anderen Schluss lässt das geltende Recht nicht zu. Den Parteien steht es selbstverständlich frei, für den Fall einer Verletzung einer solchen obligatorischen Mediationsklausel eine Konventionalstrafe zu vereinbaren oder allenfalls Schadenersatz zu verlangen, um der Gefahr, eine betreffende Regelung zu unterlaufen, entgegenzuwirken (RUGGLE, a.a.O., N. 9 zu Art. 213 ZPO; PETER, a.a.O., N. 60 zu Vorbemerkungen zu Art. 213-218 ZPO)."

5.2. Verjährungsunterbrechung durch Klageeinleitung mit anschliessendem Klagerückzug

Die teilweise praktizierte Möglichkeit, dass eine klagende Partei zur Unterbrechung

der Verjährung beim Handelsgericht eine (noch nicht im Einzelnen ausgearbeitete)

Klage einreicht, diese aber zwecks Vermeidung der Fortführungslast vor der

Zustellung der Klage an die Gegenpartei wieder zurückzieht, ist mit prozessualen

Gefahren verbunden. Wer eine Klage beim zum Entscheid zuständigen Gericht

zurückzieht, kann gegen die gleiche Partei über den gleichen Streitgegenstand

keinen zweiten Prozess mehr führen, sofern das Gericht die Klage der beklagten

Partei bereits zugestellt hat und diese dem Rückzug nicht zustimmt (Art. 65 ZPO).

Nach der Praxis des Handelsgerichts wird nach Klageeingang und Anlegen des

Geschäfts in der Geschäftsverwaltung nach erster (summarischer) Prüfung der

Prozessvoraussetzungen durch den Vorsitzenden der Klageeingang mittels

Verfügung bestätigt, der klagenden Partei gleichzeitig Frist zur Leistung eines

Kostenvorschusses nach Art. 98 ZPO angesetzt und zudem die Klageschrift samt

Klagebeilagen sogleich an die Gegenpartei zugestellt. Mit Zustellung der Klage an

die Gegenpartei (der Versand der Klageschrift allein genügt also noch nicht!)

beginnt grundsätzlich die Fortführungslast zu wirken. Bis zu diesem Zeitpunkt

(Eingang der Klage bei der Gegenpartei nach den Grundsätzen von Art. 138 ff.

ZPO) kann die Klage gemäss Art. 65 ZPO ohne Zustimmung der Gegenseite

jederzeit ohne Rechtsverlust (unter Vorbehalt der Verwirkung von Fristen)

zurückgezogen werden. Danach (also nach erfolgter Zustellung) kommt einem

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60

allfälligen Klagerückzug - ausser es liegt eine entsprechende Zustimmung der

Gegenseite vor - die Wirkung einer Klageabweisung zu; d.h. einer erneuten Klage

würde dann die Einrede der res judicata entgegenstehen (Art. 241 Abs. 2 ZPO).

Vor diesem Hintergrund kann daher die klagende Partei mit dem Erklären des

Klagerückzuges nicht allzu lange zuwarten, ansonsten gegebenenfalls die

erwähnte (oft nicht gewollte) Fortführungslast eintritt (Art. 65 ZPO). Es liegt

jedenfalls einzig in der Verantwortung der klagenden Partei selbst, den Rückzug

der Klage rechtzeitig zu erklären; Ersuchen um Zuwarten etc. sind dabei weder

bindend noch vermögen sie - nach Zustellung der Klageschrift - den Beginn der

Fortführungslast zu verhindern (Verfügung des Handelsgerichts HG160160 vom 2.

August 2016 E. 3, publiziert in ZR 115 [2016] Nr. 39; vgl. dazu auch BSK ZPO-

INFANGER, N 2 ff. zu Art. 65 sowie BK ZPO-BERGER-STEINER, N 3 ff. zu Art. 65).

III. Probleme (Stolpersteine) während der Phase des Schriftenwechsels

1. Schriftenwechsel

Nach Leistung des Gerichtskostenvorschusses wird der beklagten Partei i.d.R. Frist

zur Erstattung der Klageantwort angesetzt. Möglich ist aber auch, dass der Prozess

(zunächst) auf eine strittige oder zweifelhafte Prozessvoraussetzung oder eine

andere Frage bzw. ein Rechtsbegehren beschränkt wird und den Parteien

diesbezüglich vorgängig Frist zur Stellungnahme bzw. zu einer beschränkten

Klageantwort angesetzt wird (vgl. Art. 125 lit. a ZPO und Art. 222 Abs. 3 ZPO). Erst

nach Leistung des Vorschusses wird auch über allfällige Sistierungsanträge

entschieden (Art. 126 ZPO). In der Mehrzahl der Fälle beschränkt sich die beklagte

Partei auf die Beantwortung der Klage. Verschiedentlich werden in der

Klageantwort bzw. in einer separaten Eingabe aber auch das Fehlen von

Prozessvoraussetzungen gerügt, Begehren um Leistung einer Sicherheit für die

Parteientschädigung gestellt (Art. 99 ZPO) oder die Beschränkung des Verfahrens

auf einzelne Fragen oder auf einzelne Rechtsbegehren (Art. 125 lit. a ZPO)

beantragt. Die beklagte Partei hat sodann die Möglichkeit, in der Klageantwort eine

Widerklage zu erheben (Art. 224 ZPO), die Zulassung einer

Streitverkündungsklage zu beantragen (Art. 81 f. ZPO) oder einem Dritten -

gegebenenfalls bereits zu einem früheren Zeitpunkt - nach Art. 78 ff. ZPO den Streit

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zu verkünden (vgl. zu all diesen Punkten - und in Ergänzung zu den nachfolgenden

Ausführungen dazu - die umfassende Darstellung bei DAETWYLER/STALDER,

Allgemeiner Verfahrensgang und Zuständigkeit des Handelsgerichts, in:

BRUNNER/NOBEL [HRSG.], Festschrift Handelsgericht Zürich 1866-2016, S. 202 ff.).

Demgegenüber kann die klagende Partei im weiteren Verlauf des Verfahrens eine

Klageänderung vornehmen (Art. 227 ZPO und Art. 230 ZPO).

1.1. Widerklage (Frage der sachlichen Zuständigkeit)

1.1.1. Widerklage aus dem Anwendungsbereich von Art. 243 ZPO

Nach Art. 224 Abs. 1 ZPO ist eine Widerklage zulässig, wenn der geltend gemachte

Anspruch in derselben Verfahrensart zu beurteilen ist wie die Hauptklage. In einem

ordentlichen Verfahren kann keine Widerklage erhoben werden, die im

vereinfachten Verfahren zu behandeln wäre (BSK ZPO-WILLISEGGER, N 43 zu Art.

224; PAHUD, DIKE-Komm-ZPO, N 15 zu Art. 224; a.M. BK ZPO-KILLIAS, N 25 zu Art.

224 sowie LEUENBERGER, in Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger, ZPO

Kommentar, N 14 zu Art. 224, beide unter Hinweis auf prozessökonomische

Gründe). Dies gilt sowohl für vermögensrechtliche Streitigkeiten bis zu einem

Streitwert von (inkl.) CHF 30'000.-- (Art. 243 Abs. 1 ZPO) als auch für Streitigkeiten,

welche streitwertunabhängig im vereinfachten Verfahren zu behandeln sind

(Art. 243 Abs. 2 ZPO; BGE 4A_648/2016 vom 27. Februar 2017 E. 2.2). Die

klagende Partei darf nicht dazu gezwungen werden, über eine Forderung die im

zeitlich vorteilhaften vereinfachten Verfahren zu beurteilen wäre, einen ordentlichen

Prozess zu führen. Entsprechend ist eine Widerklage, die im vereinfachten

Verfahren zu beurteilen wäre, in einem ordentlichen Verfahren nicht zulässig und

es ist daher nicht auf sie einzutreten (vgl. dazu etwa Urteil des Handelsgerichts HG

160003 vom 21. Juni 2017 E. 1.2. und 1.3 = ZR 117 [2018] Nr. 8 sowie PAHUD,

DIKE-Komm-ZPO, N 16 zu Art. 224 und ALAIN GRIEDER, Die Widerklage nach der

Schweizerischen Zivilprozessordnung, Basel 2016, S. 168 ff).

1.1.2. Widerklage gegen eine nicht im Handelsregister eingetragene Person

Erhebt eine nicht im Handelsregister eingetragene (natürliche) Person aufgrund

des Klägerwahlrechtes gemäss Art. 6 Abs. 3 ZPO eine Klage am Handelsgericht,

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ist trotz grundsätzlich fehlender sachlicher Zuständigkeit für eine Widerklage auf

eine solche dann einzutreten, wenn erstens der geltend gemachte Anspruch mit

dem Hauptklageanspruch konnex ist (d.h. wenn die beiden Klagen a) auf dem

gleichen vertraglichen oder ausservertraglichen Rechtsverhältnis beruhen, b) aus

dem gleichen Lebenssachverhalt hervorgehen oder dasselbe Objekt zum

Gegenstand haben oder c) Ausfluss eines gemeinsamen Rechtsverhältnisses sind

oder sonst eine enge rechtliche Beziehung zueinander haben), und zweitens die

übrigen Voraussetzungen der handelsgerichtlichen Zuständigkeit, insbesondere

das Erfordernis der gleichen Verfahrensart, erfüllt sind (vgl. ZR 113 [2014] Nr. 46,

S. 149 ff.; BGE 143 III 495 ff. E. 2.2 sowie die Bemerkungen dazu von ROMAN

HUBER in: AJP 2017 S. 1 ff.).

1.1.3. Ausnahme der negativen Feststellungswiderklage

Der Grundsatz, wonach ungleiche Verfahrensarten die Zuständigkeit einer

Widerklage ausschliessen gilt jedoch nicht, wenn es sich - wie vorne unter Ziff.

3.1.3. zur Teilklage bereits erwähnt - bei der Hauptklage um eine Teilklage im

Anwendungsbereich von Art. 243 Abs. 1 ZPO (vermögensrechtliche Streitigkeit bis

zu CHF 30'000.--) handelt und die beklagte Partei als Reaktion darauf eine negative

Feststellungsklage erheben möchte. Wer in Wirklichkeit mehr als CHF 30'000.--

fordert, soll sich nicht auf Art. 243 Abs. 1 ZPO berufen und damit eine negative

Feststellungsklage verhindern können. Sowohl die echte Teilklage wie die negative

Feststellungswiderklage müssen dann bei entsprechendem Streitwert der

Widerklage im ordentlichen Verfahren beurteilt werden (BGE 4A_576/2016 vom 13.

Juni 2017 E. 4.4).

1.2. Streitverkündung / Streitverkündungsklage

1.2.1. Streitverkündung

Eine Partei, die für den Fall ihres Unterliegens eine dritte Person belangen will oder

den Anspruch einer dritten Person befürchtet, kann diese auffordern, sie im

Prozess zu unterstützen (Art. 78 Abs. 1 ZPO). Die Streitverkündung ist

grundsätzlich in jedem Stadium des Verfahrens bis zu dessen rechtskräftigem

Abschluss möglich (Botschaft ZPO, S. 7283). Die Vormerknahme der

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63

Streitverkündung und deren Mitteilung an die Streitberufene erfolgen mit separater

Verfügung. Der Streitberufene kann jederzeit, d.h. bis zum Abschluss des

handelsgerichtlichen Verfahrens, in den Prozess eintreten (BK ZPO-ZUBER/GROSS,

N 17 zu Art. 79). Anspruch auf Akteneinsicht (bzw. Zustellung von Akten) besteht

aber nach der Praxis des Handelsgerichts erst, wenn die Streitberufene dem

Verfahren als Nebenintervenientin beigetreten ist oder sie den Prozess anstelle der

Hauptpartei führt (vgl. in diesem Sinne auch BGE 4A_212/2015 vom 4. November

2015 E. 4.3 sowie BK ZPO-ZUBER/GROSS, N 33 zu Art. 78; BK ZPO-HURNI, N 9 zu

Art. 53 und BSK ZPO-FREI, N 3 zu Art. 79). Bis zu diesem Zeitpunkt ist es Sache

der streitverkündenden Partei die Streitberufene über den Rechtsstreit sowie den

Stand des Verfahrens zu unterrichten und dieser Einsicht in die relevanten

Unterlagen zu gewähren (BK ZPO-ZUBER/GROSS, N 33 zu Art. 78; BSK ZPO-FREI,

N 3 zu Art. 79), jedenfalls sofern die Streitberufene um Informationen über den

Rechtsstreit nachsucht.

1.2.2. Streitverkündungsklage

Will die streitverkündende Partei für den Fall eines Unterliegens im Hauptprozess

einen Dritten in Anspruch nehmen, kann sie unter den Voraussetzungen von

Art. 81 f. ZPO eine Streitverkündungsklage erheben. Mit der Erhebung einer

Streitverkündungsklage können Ansprüche verschiedener Beteiligter in einem

einzigen Prozess - statt in sukzessiven Einzelverfahren - behandelt werden. Der

Prozess erweitert sich dadurch zu einem Gesamt- bzw. Mehrparteienverfahren, in

dem sowohl über die Leistungspflicht des Beklagten (Hauptprozess) als auch über

den Anspruch der unterliegenden Partei gegenüber einem Dritten

(Streitverkündungsprozess) befunden wird (BGE 139 III 67 E. 2.1 S. 71). Zu

beurteilen sind zwei je selbständige Klagen (BGE 142 III 102 E. 5.3.2 S. 109). Die

Erweiterung zu einem Gesamtverfahren ändert nichts daran, dass mit der Haupt-

und Streitverkündungsklage je eigene Prozessrechtsverhältnisse begründet

werden mit unterschiedlichen Parteikonstellationen und Rechtsbegehren (BGE 139

III 67 E. 2.1 S. 71 mit Hinweisen). Die Streitverkündungsbeklagte ist mithin im

Hauptprozess nicht Hauptpartei, sie (die Streitverkündungsbeklagte) kann aber als

Nebenintervenientin am Hauptprozess teilnehmen (BGE 142 III 271 ff.).

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64

Die Streitverkündungsklage ist beim Gericht, das mit der Hauptsache befasst ist,

anzuheben (Art. 81 Abs. 1 ZPO, Art. 16 ZPO); und zwar spätestens mit der Replik

(Art. 82 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Sie kann nur im ordentlichen Verfahren und bei gleicher

sachlicher Zuständigkeit erhoben werden (BGE 139 III 67 ff. E. 2.4.2).

Im Weiteren muss der mit der Streitverkündungsklage geltend gemachte Anspruch

in einem sachlichen Zusammenhang mit dem Hauptklageanspruch stehen, was

bedeutet, dass die mit der Streitverkündungsklage geltend gemachten Ansprüche

- wie unter Ziff. II/3.1.6. oben bereits erwähnt - vom Bestand des

Hauptklageanspruchs abhängen müssen. Dabei handelt es sich nebst Regress-,

Gewährleistungs- und Schadloshaltungsansprüche auch etwa um vertragliche oder

gesetzliche Rückgriffsrechte (DANIEL SCHWANDER, in: Sutter-

Somm/Hasenböhler/Leuenberger, ZPO Komm., N 16 ff. zu Art. 81 ZPO m.w.H.).

Werden solche Ansprüche geltend gemacht, besteht der sachliche Zusammenhang

zum Hauptklageanspruch und ist auch das Rechtsschutzinteresse gegeben. Eine

gesonderte Prüfung, ob ein schutzwürdiges Interesse besteht (Art. 59 Abs. 2 lit. a

ZPO), erübrigt sich demnach.

Damit der sachliche Zusammenhang der eingeklagten Ansprüche überprüft werden

kann, hat die streitverkündende Partei die Rechtsbegehren, die sie gegen die

streitberufene Person zu stellen gedenkt, zu nennen und kurz zu begründen

(Art. 82 Abs. 1 ZPO). Zum Zwecke der Zulassungsprüfung der

Streitverkündungsklage ist es ausreichend, wenn der Streitverkündungskläger den

sachlichen Zusammenhang glaubhaft macht. Konkret ist glaubhaft zu machen,

dass der Anspruch gegenüber dem Streitverkündungsbeklagten mit dem Ausgang

des Hauptverfahrens zusammenhängt. Eine materielle Prüfung der behaupteten

Ansprüche findet im Zulassungsverfahren nicht statt (BGE 139 III 67 ff. E. 2.4.3).

Prozessökonomischen Anliegen ist nicht mit der Zulassungsverweigerung der

Streitverkündungsklage Rechnung zu tragen, sondern mit der in Art. 82 Abs. 3 ZPO

in Verbindung mit Art. 125 ZPO vorgesehenen Möglichkeit, den Haupt- und

Streitverkündungsprozess zu trennen, falls die Verfahrenseffizienz in einem

Gesamtverfahren nicht mehr gewährleistet ist (BSK ZPO-FREI, N 20 zu Art. 81). Bei

einer allfälligen Trennung stellt sich entsprechend die Frage der Sistierung des

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65

einen Verfahrens (Streitverkündungs- oder Hauptprozesses) bis zur rechtskräftigen

Erledigung des anderen Prozesses. Möglich ist selbstverständlich auch, das

Verfahren auf einzelne Fragen oder auf einzelne Rechtsbegehren zu beschränken

(Art. 125 lit. a ZPO). Das Gericht hat zu entscheiden, welcher Fortgang des

Verfahrens im Einzelfall am sinnvollsten erscheint. Am Handelsgericht hat es sich

bewährt, möglichst frühzeitig unter Einbezug aller Beteiligten eine

Vergleichsverhandlung durchzuführen.

1.3. Klageänderung

1.3.1. Voraussetzungen für eine Klageänderung

Eine Klageänderung ist zulässig, wenn der geänderte oder neue Anspruch nach

der gleichen Verfahrensart zu beurteilen ist und mit dem bisherigen Anspruch in

einem sachlichen Zusammenhang steht oder die Gegenpartei zustimmt (Art. 227

Abs. 1 ZPO). Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Klageänderung nach Art. 227

ZPO sind Voraussetzungen dafür, dass über die Klage nach der Änderung in der

Sache verhandelt und darüber ein Sachurteil ergehen darf. Das Gericht prüft von

Amtes wegen (vgl. Art. 60 ZPO), ob die Klageänderung zulässig ist, weil es sich um

eine besondere streitgegenstandsbezogene Prozessvoraussetzung handelt Wird

die Frage der Zulässigkeit verneint, ist auf die Klage in geänderter Form nicht

einzutreten (Art. 59 Abs. 1 ZPO e contrario); die ursprüngliche Klage bleibt jedoch

rechtshängig (BSK ZPO-WILLISEGGER, N. 39 und N. 55 zu Art. 227 ZPO).

Das Bundesgericht hat sich bislang nur eingeschränkt dazu geäussert, wann der

vom Gesetz geforderte "sachliche Zusammenhang" gemäss Art. 227 Abs. 1 lit. a

ZPO gegeben ist. Der sachliche Zusammenhang ist ohne Weiteres gegeben, wenn

gestützt auf den gleichen Lebensvorgang ein weiterer oder anderer Anspruch

geltend gemacht wird, der das Rechtsbegehren verändert. Es fragt sich aber, ob

noch ein sachlicher Zusammenhang im Sinne von Art. 227 Abs. 1 lit. a ZPO

gegeben ist, wenn der andere oder weitere Anspruch nicht mehr auf dem

ursprünglichen Lebenssachverhalt beruht. Das Bundesgericht wies in einem

jüngeren Entscheid darauf hin, dass nach einem Teil der Lehre ein sachlicher

Zusammenhang noch gegeben sei, wenn der andere oder weitere Anspruch zwar

nicht mehr auf dem ursprünglichen Lebenssachverhalt beruhe, aber mit dem

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66

ursprünglichen Lebenssachverhalt in einem engen Zusammenhang stehe und

damit auf einem benachbarten oder konnexen Lebensvorgang basiere. Nach einer

anderer etwas engeren Umschreibung bestehe der sachliche Zusammenhang,

wenn Ansprüche dem gleichen Lebensvorgang entspringen oder das gleiche

Streitobjekt betreffen würden (BGE 4A_255/2015 vom 1. Oktober 2015 E. 2.2.1 mit

zahlreichen Nachweisen). Das Bundesgericht hat in diesem Entscheid sodann

festgehalten, dass der Auffassung, wonach ein sachlicher Zusammenhang gemäss

Art. 227 Abs. 1 lit. a ZPO nur bei identischer Anspruchsgrundlage ("demselben

Vertrag") oder identischem Lebenssachverhalt bestehe, nicht zu folgen sei. Einem

zu engen Verständnis (Beschränkung auf Fälle, wo bei gleichbleibendem

Klagefundament eine Klageänderung durch eine Erhöhung des Rechtsbegehrens

stattfinde) stehe der Zweck von Art. 227 ZPO entgegen, einen Interessenausgleich

zwischen den Prozessparteien zu ermöglichen, indem einerseits dem Beklagten

die Verteidigung nicht übermässig erschwert werden dürfe, andererseits aber aus

Gründen der Prozessökonomie und der materiellen Wahrheit gewisse Änderungen

doch zuzulassen seien (BGE 4A_255/2015 vom 1. Oktober 2015 E. 2.2.3).

Wie weit der neue Lebensvorgang entfernt sein darf, damit noch ein sachlicher

Zusammenhang besteht, bleibt aber unklar. Im erwähnten BGE 4A_255/2015 vom

1. Oktober 2015 hatte die klagende Partei zunächst einen Kaufpreis für eine

Wasseraufbereitungsanlage verlangt und forderte dann in der Replik eine

Entschädigung für die Nutzung dieser Anlage. Diese Klageänderung war nach

Auffassung des Bundesgerichts zulässig. Der geänderte Anspruch stand mit dem

ursprünglichen Lebenssachverhalt in einem engen Zusammenhang und konnte als

benachbarter oder konnexer Lebensvorgang bezeichnet werden (BGE

4A_255/2015 vom 1. Oktober 2015 E. 2.3; vgl. zur Frage der Konnexität auch ZR

116 [2017] Nr. 23 betreffend Datenlieferungen an die USA).

1.3.2. Zeitpunkt der Vornahme einer Klageänderung vor Aktenschluss

Nach neuerer Praxis des Handelsgerichts ist die Möglichkeit zur Vornahme einer

Klageänderung nach Art. 227 ZPO einzig auf die gesetzlich vorgesehenen

Verfahrensschritte beschränkt; d.h. eine Klageänderung vor Aktenschluss mittels

beliebiger Eingabe und zu einem beliebigen Zeitpunkt ist nicht zulässig. In diesem

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67

Zusammenhang wird auch in der Literatur und Rechtsprechung zu Recht

ausgeführt, dass die Zulassung von ungefragten Eingaben zur Sache ausserhalb

der gesetzlich vorgesehenen Verfahrensschritte die gerichtliche Verfahrensleitung

unterlaufen würde (vgl. BSK ZPO-WILLISEGGER, N. 53 zu Art. 227 ZPO;

Bundespatentgericht, Auszug aus der Verfügung vom 22. Februar 2017,

O2016_012).

Die Zulassung von Klageänderungen zu einem beliebigen Zeitpunkt bis zum

Aktenschluss könnte sodann zu Prozessverschleppungen, zu einer

Verkomplizierung und Ausweitung des Verfahrens mit unüberblickbaren

Schriftenwechseln sowie letztlich auch dazu führen, dass die Eventualmaxime - in

Widerspruch zu den in BGE 140 III 312 fixierten Regeln - in das Ermessen und die

Hände der Parteien gelegt wird. Um derartige negative Auswirkungen zu

verhindern, ist die Möglichkeit zur Vornahme von Klageänderungen nach Art. 227

ZPO auf die gesetzlich vorgesehenen Verfahrensschritte zu beschränken. Eine

derartige Anwendung des Gesetzes reiht sich schliesslich in die bisherigen

Entscheide des Bundesgerichts ein (vgl. dazu insbesondere BGE 140 III 312 und

BGE 141 III 481) und steht im Einklang mit dessen Rechtsprechung (vgl. auch ZR

116 [2017] Nr. 52).

Eine Klageänderung, die nach Aktenschluss vorgenommen wird, ist dagegen nur

noch zulässig, wenn sie auf neuen Tatsachen und Beweismitteln im Sinne von Art.

229 ZPO beruht (Art. 230 ZPO). Solche Noven sind ohne Verzug vorzubringen, um

zulässig zu sein. Nach dem Einbringen der Noven kann sich die betreffende Partei

aber bis zur Hauptverhandlung Zeit lassen, um die Klageänderung vorzunehmen,

denn das Gesetz verlangt nicht, dass die Klageänderung ebenfalls unverzüglich

einzureichen ist (vgl. dazu auch BSK ZPO-WILLISEGGER, N 9 zu Art. 230 sowie

CHRISTOPH LEUENBERGER, Aktenschluss, Noven und Klageänderung nach der

Schweizerischen ZPO, in: Festschrift für Ivo Schwander, Zürich/St. Gallen 2011, S.

959).

2. Vergleichsverhandlung

Nach Eingang der Klageantwort bzw. bei einer Widerklage nach Eingang der

Widerklageantwort führt das Handelsgericht in der Regel eine

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Vergleichsverhandlung durch, Demgemäss ergeht an die Parteien eine "Vorladung

zur Vergleichsverhandlung", in welcher darauf hingewiesen wird, dass die

Vergleichsverhandlung dem Versuch einer Einigung (Art. 124 Abs. 3 ZPO) dient

und die Parteien nicht zu Parteivorträgen zugelassen werden, mithin keine

Instruktionsverhandlung im Sinne von Art. 226 ZPO stattfindet. Eine Mehrzahl der

eingeleiteten Verfahren wird in diesem Stadium vergleichsweise erledigt. Im

Nichteinigungsfall wird das Verfahren in der Regel mit einem zweiten

Schriftenwechsel fortgesetzt; denkbar ist aber auch, dass für den Fortgang des

Verfahrens (Replik/Duplik etc.) direkt zur Hauptverhandlung vorgeladen wird. Zu

den Einzelheiten betreffend Vergleichsverhandlungen vor dem Handelsgericht ist

auf die ausführliche Darstellung von ROLAND SCHMID, Vergleichsverhandlungen vor

dem Zürcher Handelsgericht, in: BRUNNER/NOBEL [HRSG.], Festschrift

Handelsgericht Zürich 1866-2016, S. 235 ff., zu verweisen.

3. Verzicht Replik / Duplik

Nach der Rechtsprechung kann sich jede Partei (nur) zweimal unbeschränkt

äussern: Ein erstes Mal im Rahmen des ersten Schriftenwechsels; ein zweites Mal

entweder im Rahmen eines angesichts der Verhältnisse vom Gericht als

erforderlich erachteten zweiten Schriftenwechsels (Art. 225 ZPO) oder an einer

Instruktionsverhandlung (Art. 226 ZPO) oder zu Beginn der Hauptverhandlung vor

den ersten Parteivorträgen (Art. 229 Abs. 2 ZPO). Wird nach Anordnung eines

zweiten Schriftenwechsels auf eine Replik verzichtet oder diese versäumt, entfällt

auch die Duplik. Die Duplik ist primär eine Antwort auf die Replik, auch wenn darin

Noven unbeschränkt vorgetragen werden können. Eine Partei, die in der

Klageantwort absichtlich wichtige Behauptungen oder Beweismittel zurückbehält,

um sie erst in der Duplik zu platzieren, ist nach Treu und Glauben (Art. 52 ZPO)

nicht zu schützen. Wenn ein zweiter Schriftenwechsel angeordnet wurde, die

Parteien aber auf entsprechende Eingaben - dies gilt selbstverständlich auch für

die Duplik - verzichteten, gilt der doppelte Schriftenwechsel als durchgeführt, womit

der Aktenschluss eintritt (vgl. dazu BGE 4A_494/2017 vom 31. Januar 2018 E.

2.4.1 und E. 2.4.2; BGE 4A_338/2017 vom 24. November 2017 E. 2.1 und 2.4.3,

zur Publikation vorgesehen; BGE 143 III 297 E. 6.6; BGE 141 III 481 E. 3.2.4 S.

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486 sowie BGE 140 III 312 E. 6.3.2.3). Echte und unechte Noven können aber

selbstverständlich nach Massgabe von Art. 229 Abs. 1 ZPO immer noch

vorgebracht werden.

IV. Probleme (Stolpersteine) nach Abschluss des Schriftenwechsels

(Aktenschluss)

1. Aktenschluss nach Abschluss des zweiten Schriftenwechsels

Die Zivilprozessordnung normiert in Art. 225 ZPO lediglich eine (allfällige)

Anordnung eines zweiten Schriftenwechsels; weitere Schriftenwechsel sind

gesetzlich nicht vorgesehen. Nach Abschluss des zweiten Schriftenwechsels

besteht somit grundsätzlich Aktenschluss; neue Tatsachen und Beweismittel

können nur noch beschränkt unter der Voraussetzung von Art. 229 Abs. 1 ZPO

vorgebracht werden, ein dritter Schriftenwechsel mit Triplik und Quadruplik ist

ausgeschlossen (vgl. dazu BSK ZPO-WILLISEGGER, N 12 zu Art. 225;

LEUENBERGER, in: Sutter-Somm/ Hasenböhler/ Leuenberger, ZPO Komm., N 20 f.

zu Art. 225 und N 4 zu Art. 229; PAHUD, DIKE-Komm-ZPO, N 5 zu Art. 225 und N

9 zu Art. 229, sowie BK ZPO-KILLIAS, N 10 zu Art. 225). Dies hat auch das

Bundesgericht wiederholt ausdrücklich bestätigt (BGE 4A_338/2017 vom 24.

November 2017 E. 2.4.3 und BGE 140 III 312; vgl. dazu auch: HEINRICH ANDREAS

MÜLLER, ZPO – Praktische Fragen aus Richtersicht, in: SJZ 110 [2014] S. 369 ff.).

Weitere Eingaben nach Aktenschluss sind daher grundsätzlich unbeachtlich (BGE

4A_338/2017 vom 24. November 2017 E. 2.5; BGE 140 III 312 E. 6; ZR 113 [2014]

S. 176) und werden aus dem Recht gewiesen. Vorbehalten bleibt einzig die

Ausübung des Noven- und des Replikrechts bzw. des Antwortrechts (vgl. dazu

nachstehend). Ein allgemeines stellungnehmendes Plädieren ist dagegen

gesetzwidrig und nicht statthaft.

2. Novenrecht / Replikrecht

2.1. Zum Novenrecht

Soweit eine Partei (nach der Duplik i.d.R. die klagende Partei) selber nach zwei

Rechtsschriften neue Tatsachen nachreichen will, gilt Folgendes: Neue Tatsachen

und Beweismittel sind "ohne Verzug" (Art. 229 Abs. 1 ZPO Ingress), d.h. in der Tat

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unverzüglich und nicht - wie in Art. 229 Abs. 1 Satz 1 missverständlich formuliert -

erst an der Hauptverhandlung vorzubringen (BSK ZPO-LEUENBERGER, N 9 zu Art.

229). Das Gesetz unterscheidet zwischen echten und unechten Noven. Erstere

sind erst nach Aktenschluss entstanden, während Letztere zwar bereits vor

Aktenschluss vorhanden, aber trotz zumutbarer Sorgfalt nicht vorher vorgebracht

werden konnten. Unabhängig von der begrifflichen Unterscheidung in echte und

unechte Noven liegt das massgebliche Kriterium für die Zulässigkeit von Noven in

der Entschuldbarkeit der Verspätung (PAHUD, DIKE-Komm-ZPO, N 12 zu Art.. 229).

Es obliegt derjenigen Partei, welche das Novenrecht beansprucht, substantiiert

darzutun, dass die Zulässigkeitsvoraussetzungen von Art. 229 Abs. 1 ZPO in

zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht erfüllt sind (DAETWYLER/STALDER, Allgemeiner

Verfahrensgang und Zuständigkeit des Handelsgerichts, in: BRUNNER/NOBEL

[HRSG.], Festschrift Handelsgericht Zürich 1866-2016, S. S. 211). Sie hat daher

auszuführen, inwiefern die Verspätung entschuldbar ist, und insbesondere, warum

ein früheres Vorbringen nicht möglich war, und worin die von ihr unternommenen

Anstrengungen bestanden haben sollen (PAHUD, DIKE-Komm-ZPO, N 15 zu

Art.. 229). Hätten etwa neue Beweismittel bereits früher beschafft werden können,

sind diese aber aus Nachlässigkeit nicht in den Prozess eingeführt worden, so

erweisen sich solche Noven als unzulässig.

Ohne Verzug werden Noven nur dann vorgebracht, wenn sie unverzüglich nach der

Entdeckung in den Prozess eingeführt werden. Mit dem Beschleunigungsgebot

(Art. 124 Abs. 1 ZPO) nicht vereinbar ist es, wenn mit dem Vortragen von Noven,

die nach dem zweiten Schriftenwechsel oder einer Instruktionsverhandlung

entdeckt worden sind, bis zu Hauptverhandlung, die Wochen oder Monate später

stattfindet, zugewartet wird. Es ist aber auch nicht mit dem Grundsatz von Treu und

Glauben (Art. 52 ZPO) vereinbar, wenn Noven von einer Partei während Wochen

oder Monaten zurückgehalten werden, um diese erst an der Hauptverhandlung in

den Prozess einzuführen. Zur Vermeidung des dilatorischen Taktierens müssen

alle Noven jeweils sofort vorgebracht werden (Botschaft ZPO, S. 7341). Wird daher

grundlos mit dem Vorbringen eines Novums zugewartet, ist dessen Beibringung

verspätet und bleibt unbeachtet (vgl. dazu auch BSK ZPO-LEUENBERGER, N 9 zu

Art. 229). Als ohne Verzug vorgebracht gilt eine Eingabe innert zehn Tagen (vgl.

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71

ZR 112 [2013] Nr. 35 S. 141 und ZR 113 [2014] Nr. 54 S. 176 mit Verweis auf BSK

ZPO-LEUENBERGER, N. 9 f. zu Art. 229; BGE 4A_707/2016 vom 29. Mai 2017 E.

3.3.2; Urteil des Handelsgerichts HG120008 vom 23. Oktober 2013 E. 4.2;

DAETWYLER/STALDER, Allgemeiner Verfahrensgang und Zuständigkeit des

Handelsgerichts, in: BRUNNER/NOBEL [HRSG.], Festschrift Handelsgericht Zürich

1866-2016, S. 211 sowie CHRISTOPH REUT, Noven nach der Schweizerischen

Zivilprozessordnung, Zürich/St. Gallen 2017, S. 88 ff. mit diversen weiteren

Hinweisen auf Lehre und Rechtsprechung).

2.2. Zum Replikrecht

Gemäss Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK haben die Parteien eines

Gerichtsverfahrens Anspruch auf rechtliches Gehör. Diese Garantie umfasst auch

das Recht, von den beim Gericht gemachten Eingaben der Gegenpartei Kenntnis

zu erhalten und sich dazu äussern zu können (sog. Replikrecht; BGE 133 I 98

E. 2.1 S. 99; BGE 137 I 195 E. 2.3.1 S. 197). Die Wahrnehmung des Replikrechts

setzt voraus, dass die fragliche Eingabe der Partei zugestellt und diese damit

informiert wird. Eine förmliche Aufforderung zur Stellungnahme kann dagegen

unterbleiben; durch die Information wird die betreffende Partei hinreichend in die

Lage versetzt, die Notwendigkeit einer Stellungnahme von ihrer Seite zu prüfen und

ein derartiges Anliegen wahrzunehmen. Seitens des Handelsgerichts wird

jedenfalls keine Frist angesetzt und praxisgemäss kann auch keine entsprechende

(im Gesetz ohnehin nicht vorgesehene) Fristansetzung verlangt werden (vgl. dazu

BGE 142 III 48 E. 4.1.1; BGE 138 I 484 E. 2.4 sowie DAETWYLER/STALDER,

Allgemeiner Verfahrensgang und Zuständigkeit des Handelsgerichts, in:

BRUNNER/NOBEL [HRSG.], Festschrift Handelsgericht Zürich 1866-2016, S. 146 und

S. 147).

Im Übrigen hat - wie das Novenrecht - auch die Ausübung des Replikrechts

umgehend zu erfolgen, ansonsten im Hinblick auf einen zu fällenden Entscheid

angenommen werden darf, die Partei verzichte auf weitere Eingaben (BGE

4A_61/2017 vom 31. August 2017 E. 6.2.2 m.w.H.; BGE 138 III 252 E. 2.2; BGE

133 I 98 E. 2.2). Bei der von der Rechtsprechung praxisgemäss angewendeten

Zeitdauer, während der das Gericht die allfällige Wahrnehmung des sog.

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unbedingten Replikrechts abwarten muss, geht es somit lediglich darum, dass das

Gericht nach Ablauf dieser Dauer zu urteilen berechtigt ist, ohne sich dem Vorwurf

einer Gehörsverletzung auszusetzen. Die Dauer dieser Frist beträgt in der Praxis

mindestens zehn Tage (vgl. dazu BGE 5D_81/2015 vom 4. April 2016 E. 2.3.3

m.w.H.). Indessen besteht kein Raum für ein umgehendes Replikrecht, solange

dieses im weiteren Verfahrensverlauf (z.B. anlässlich der Hauptverhandlung)

sowieso noch ausgeübt werden kann (vgl. zum Ganzen auch HEINRICH ANDREAS

MÜLLER, ZPO – Praktische Fragen aus Richtersicht, in: SJZ 110 [2014] S. 374 und

S. 375; HUNSPERGER/WICKI, Fallstricke des Replikrechts im Zivilprozess - eine

Replik, in: AJP 2017 S. 453 ff. sowie JEAN-DANIEL SCHMID/THOMAS HOFER,

Bestreitung von neuen Tatsachenbehauptungen in der schriftlichen Duplik, in: ZZZ

2016, S. 282 ff.).

2.3. Zur Kombination von Noven- und Replikrecht

In der handelsgerichtlichen Praxis kommt es oft vor, das sehr umfangreiche

Duplikschriften eingereicht werden, die auch zahlreiche Noven enthalten. Mit dem

Eingang der Duplik als letzter zweiten Rechtsschrift tritt bekanntlich der

Aktenschluss ein. Danach erfolgt seitens des Gerichts die Zustellung der Duplik an

die klagende Partei, dies aber - wie oben erwähnt - ohne weitere Fristansetzung für

eine allfällige Stellungnahme. Wie soll nun eine klagende Partei in einer solchen

Situation (sehr umfangreiche Duplik mit diversen Noven einerseits und Pflicht zur

umgehenden Ausübung des Replikrechts andererseits) reagieren und welche

Fragen stellen sich für das Gericht?

In diesem Zusammenhang ist Folgendes zu beachten: Der im Zivilprozessrecht

erwähnte Gehörsanspruch (Art. 53 Abs. 1 ZPO) umfasst nach der Rechtsprechung

ein "Antwortrecht" ("droit de répondre") und ein "Replikrecht" ("droit de répliquer").

Wenn ein "Antwortrecht" besteht, muss das Gericht eine Frist zur Antwort bzw.

Stellungnahme ansetzen und die Säumnisfolgen nach Art. 147 Abs. 3 ZPO

androhen. Ein solches Antwortrecht ist dann zu gewähren, wenn neue Anträge oder

Vorbringen vorgetragen werden, auf welche das Gericht abzustellen gedenkt, weil

sie relevant für die Entscheidfindung sind. Unabhängig von diesem "Antwortrecht"

besteht nach der Rechtsprechung das vorstehend beschriebene unbedingte

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"Replikrecht", wofür jedoch - wie ausgeführt - die Zustellung der betreffenden

Rechtsschrift reicht und eine Fristansetzung nicht nötig ist (BGE 142 III 48 E. 4.1.1

S. 53 f. sowie BGE 4A_61/2017 vom 31. August 2017 E. 6.2).

Bei den in der Duplik enthaltenen Noven kann es sich auch um irrelevante Noven

handeln, die für die Entscheidfindung nicht notwendig sind, weil der massgebende

Prozessstoff schon in den vorhergehenden Rechtsschriften vorgetragen wurde. Die

klagende Partei ist in dieser Situation aber mit dem Problem konfrontiert, dass sie

nicht abschätzen kann, ob das Gericht allfällige Dupliknoven für entscheidrelevant

hält oder nicht. Und das Gericht ist mit der Schwierigkeit konfrontiert, dass es sich

zunächst ein Bild über die Parteibehauptungen und eine Vorstellung über die

Urteilsbegründung machen muss, bevor es die Entscheidrelevanz von Dupliknoven

abschätzen kann. Jedenfalls kann es bei umfangreichen Prozessen nicht

zielführend sein, die klagende Partei generell zur Stellungnahme zu neuen

Vorbringen in den Duplikschriften aufzufordern, weil dies das Verfahren unnötig

aufbläht und verzögert. Die von klagenden Parteien häufig beantragten Fristen von

mehreren Monaten zur schriftlichen Stellungnahme zu den Dupliknoven lassen

erahnen, was zu erwarten wäre und wohin dies führen würde (Endlos-Schlaufen

von Stellungnahmen; vgl. dazu auch DOMINIK BAERISWYL, Replikrecht, Novenrecht

und Aktenschluss - endloser Weg zur Spruchreife? in: SJZ 111 [2015] S. 513 ff.).

Nur wenn sich herausstellen sollte, dass neue Tatsachenbehauptungen und

Beweisanträge in der Duplikschrift entscheidrelevant sind, müsste das Gericht der

klagenden Partei vor der Urteilsfällung unter Androhung der Säumnisfolgen

gemäss Art. 147 Abs. 3 ZPO Frist zur Stellungnahme zu den genau bezeichneten

relevanten Dupliknoven geben (BGE 142 III 48 E. 4.1.1 S. 53 f.; HEINRICH ANDREAS

MÜLLER, ZPO-Praktische Fragen aus Richtersicht, SJZ 110 [2014], S. 375).

Entsprechend ist es gerade bei sehr umfangreichen Duplikschriften sinnvoll, die

klagende Partei in einer derartigen Situation möglichst früh - d.h. bereits gleichzeitig

mit der Zustellung der Duplik - darauf hinzuweisen, dass ihr spätestens an der noch

ausstehenden Hauptverhandlung (gegebenenfalls mittels entsprechender

gerichtlicher Verfügung bereits früher) die Möglichkeit geboten wird, zu allfälligen

(relevanten) Noven in der zweiten Rechtsschrift der Beklagten Stellung zu nehmen.

Im Umkehrschluss folgt daraus, dass keine Frist zur Stellungnahme zu Dupliknoven

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anzusetzen ist, wenn in der Duplik keine relevanten Noven vorgebracht worden

sind.

Das Replikrecht gewährt daher lediglich das Recht auf Wahrung des rechtlichen

Gehörs im Hinblick auf eine Stellungnahme der Gegenseite; nicht mehr und nicht

weniger. Eine Partei, die nach abgeschlossenem Behauptungsverfahren nicht von

sich aus ihr Replikrecht wahrnimmt, anerkennt damit nicht die von der Gegenseite

im letzten Vortrag vorgebrachten Noven; solche Noven können demnach nicht als

unbestritten gelten, wenn eine Partei nicht von sich aus durch einen von der

Prozessordnung nicht vorgesehenen Vortrag solche Bestreitungen erhebt. Ob die

Klägerin ihr Replikrecht ohne Fristansetzung im Sinn der Rechtsprechung

wahrnehmen will, bleibt letztlich ihr überlassen (vgl. HEINRICH ANDREAS MÜLLER,

ZPO – Praktische Fragen aus Richtersicht, in: SJZ 110 [2014] S. 374 und S. 375).

Wie ist vorzugehen, wenn die klagende Partei auf eine sehr umfangreiche, mit

zahlreichen Noven versehene Duplikschrift mit eigenen Noven reagieren will?

Diese Fragestellung ist nach dem oben Ausgeführten nur für den Fall relevant, dass

in der Duplik überhaupt entscheidrelevante Noven vorhanden sind. Insofern wird

der klagenden Partei aber - wie gesehen - eine Frist zur Stellungnahme zu den

genau bezeichneten relevanten Dupliknoven angesetzt. Kann nun aber die

klagende Partei vor diesem Hintergrund mit dem Einbringen von eigenen Noven

bis zu einer allfälligen Fristansetzung zur Stellungnahme zuwarten oder hat

ungeachtet dessen - wie bei Noven allgemein üblich - ein unverzügliches

Vorbringen zu erfolgen? Aus einem Zuwarten lässt sich angesichts der in diesem

Zusammenhang gerichtlich angesetzten Frist zur Stellungnahme weder eine

Missachtung des Beschleunigungsgebotes ableiten noch liegt eine Verletzung des

Grundsatzes von Treu und Glauben (Art. 52 ZPO) durch dilatorisches Taktieren

vor. Wird der klagenden Partei bereits mit der Zustellung der Duplik signalisiert,

dass ihr im Falle des Vorliegens von entscheidrelevanten Noven die Möglichkeit

geboten wird, zu solchen (relevanten) Noven Stellung zu nehmen, so erscheint es

m.E. als gerechtfertigt, die klagende Partei in ihrem Vertrauen zu schützen, indem

die klagende Partei von der sofortigen Geltendmachung von eigenen (meist wohl

unechten) Noven (als Reaktion auf das Novenvorbringen der Gegenseite)

entbunden ist und im Sinne der Ausführungen des Gerichtes damit entsprechend

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zuwarten darf (zum Vertrauensschutz vgl. auch den zur Publikation bestimmten

BGE 4A_338/2017 vom 24. November 2017 E. 2.4.3). Ein solches Vorgehen

erweist sich in der Praxis bei Verfahren mit sehr umfangreichen Rechtschriften

auch als realistisch, wäre es doch für die betreffende klagende Partei eine

Zumutung, innert weniger Tage ("unverzüglich") auf eine nicht selten mehrere

hundert Seiten umfassende Duplikschrift mit einer eigenen Novenstellungnahme

reagieren zu müssen.

In allen anderen Verfahren müssen allfällige Noven aber - wie eingangs bereits

wiederholt erwähnt - ohne Verzug vorgebracht werden. Sieht sich die klagende

Partei somit veranlasst, gestützt auf Dupliknoven eigene Noven vorzubringen, so

hat dies unverzüglich, d.h. innert weniger Tage nach Zustellung der Duplikschrift

zu geschehen. Ein solches Verhalten darf von den Parteien, die mit dem

Prozessgegenstand bestens vertraut sind, bei weniger umfangreichen und damit

überschaubaren Prozessen denn auch ohne Weiteres erwartet werden. Ansonsten

gelten die Ausführungen zum Replik - und Antwortrecht aber auch hier analog.

3. Zur Hauptverhandlung

3.1. Teilverzicht möglich

Nach Art. 228 ff. ZPO haben die Parteien Anspruch auf die Durchführung einer

mündlichen Hauptverhandlung. Die Hauptverhandlung ist in drei Teile gegliedert,

nämlich die Parteiverhandlung (Art. 228 ZPO), die Beweisverhandlung (Art. 232

ZPO) und die Schlussverhandlung (Art. 232 ZPO). Gemäss Art. 233 ZPO haben

die Parteien die Möglichkeit, gemeinsam auf die Durchführung einer

Hauptverhandlung zu verzichten. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung

können die Parteien mit einem Verzicht nach Art. 233 ZPO sowohl auf die

vollständige Hauptverhandlung als auch auf einen der drei Teilabschnitte der

Hauptverhandlung (Parteivorträge, Beweisabnahme, Schlussvorträge) verzichten.

Die Verzichtserklärung ist bedingungsfeindlich und unwiderrufbar (BSK ZPO-

WILLISEGGER, N 9 zu Art. 233). Sofern die Parteien bloss einen Verzicht auf die

Parteivorträge erklären, entfallen die beiden anderen Teilabschnitte aber

gleichwohl, sofern sich die Angelegenheit als spruchreif erweist und direkt ein

Entscheid gefällt werden kann. Es besteht mithin - bei Verzicht auf die

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Parteivorträge - kein Anspruch auf einen «letzten Vortrag», bevor ein Entscheid

ergeht (vgl. dazu BGE 4A_47/2015 vom 2. Juni 2015 E. 3.2, mit zahlreichen

Hinweisen auf die Literatur; BGE 4A_301/2016 / 4A_311/2016 vom 15. Dezember

2016, nicht in BGE 143 III 79 publ. E. 7.2.1 sowie DAETWYLER/STALDER, Allgemeiner

Verfahrensgang und Zuständigkeit des Handelsgerichts, in: BRUNNER/NOBEL

[HRSG.] Festschrift Handelsgericht Zürich 1866-2016, S. 210 und S. 211).

3.2. Durchführung der Hauptverhandlung

Am Handelsgericht stellt der Vorsitzende (Präsident oder Vizepräsident) den

Parteivertretern vor einer Hauptverhandlung (nach erfolgtem Aktenschluss) einen

Brief zu, worin die Rahmenbedingungen für die Hauptverhandlung festgelegt sind.

Die Parteien werden insbesondere darauf hingewiesen:

- dass der Aktenschluss erfolgt sei und daher grundsätzlich keine neuen Tatsachenbehauptungen und Beweismittel in den Prozess eingeführt werden könnten;

- dass Noven "ohne Verzug" und unter Beachtung der Zulässigkeitsvoraussetzungen gemäss Art. 229 Abs. 1 ZPO in das Verfahren einzuführen seien und ein Zuwarten bis zur Hauptverhandlung unzulässig sei;

- dass rechtliche Ausführungen der Parteien anlässlich der Hauptverhandlung nicht protokolliert würden (Art. 235 Abs. 2 ZPO);

- dass gleiches auch für Ausführungen tatsächlicher Art, die bereits in den Schriftsätzen enthalten seien, gelte und übrige tatsächliche Vorbringen nur dem wesentlichen Inhalt nach protokolliert würden;

- dass die Parteivorträge zudem kurz und prägnant zu halten seien, wobei für die ersten Vorträge praxisgemäss pro Partei höchstens je 20 Minuten Redezeit zur Verfügung stehe und es für Replik/Duplik gemäss Art. 228 Abs. 2 ZPO weniger sein würde.

Nach Durchführung der Hauptverhandlung bzw. nachdem die Parteien auf eine

solche verzichtet haben, wird - je nach Spruchreife - entweder direkt ein

Endentscheid gefällt (Art. 236 Abs. 1 ZPO) oder es ergeht ein Beweisverfahren.

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77

4. Beweisverfahren

4.1. Durchführung des Beweisverfahrens

4.1.1. Zulassung zum Beweis als Voraussetzung

Der Beweisführungsanspruch verschafft der beweispflichtigen Partei einen

Anspruch darauf, für rechtserhebliche Vorbringen zum Beweis zugelassen zu

werden (Recht auf Beweis), soweit entsprechende Anträge form- und fristgerecht

gestellt worden sind (BGE 133 III 295 E. 7.1; BGE 4A_540/2014 vom 18. März 2015

E. 2.1).

Ein Beweismittel ist nur dann als formgerecht angeboten zu betrachten, wenn sich

die Beweisofferte eindeutig der damit zu beweisenden Tatsachenbehauptung

zuordnen lässt und umgekehrt (Prinzip der Beweisverbindung). In der Regel sind

die einzelnen Beweisofferten unmittelbar im Anschluss an die

Tatsachenbehauptungen aufzuführen, die damit bewiesen werden sollen. Zweck

dieses Erfordernisses ist, dass das Gericht erkennen kann, auf welche Tatsachen

sich die klagende Partei stützt und womit sie diese beweisen will, sowie die

Gegenpartei weiss, gegen welche konkreten Behauptungen sie sich verteidigen

muss (BGE 4A_281/2017 vom 22. Januar 2018 E. 5; BGE 4A_487/2015 vom 6.

Januar 2016 E. 5.2; BGE 4A_56/2013 vom 4. Juni 2013 E. 4.4). Demgemäss ist

etwa das Angebot der Nachreichung oder Einreichung weiterer Beweismittel im

Sinne der Floskel "weitere Beweismittel im Bestreitungsfalle vorbehalten"

unzulässig (Urteil Handelsgericht HG110271 vom 7. April 2014 E. 2.2.1). Wenn zu

einem Beweisthema keine Beweismittel angeboten werden, ist das Gericht nicht

gehalten, Beweismittel abzunehmen, die in einem anderen Zusammenhang

angeboten worden sind; und ein späteres Nachreichen ist nur möglich, sofern noch

neue Tatsachen und Beweismittel in den Prozess eingeführt werden können

(LEUENBERGER, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger, ZPO Komm., N 51 zu

Art. 221).

Des Weiteren muss die Angabe der Beweismittel spezifisch sein. Zeugen und

Editionspflichtige sind vollständig (mit Name und Adresse) zu bezeichnen. Die

Einholung eines Gutachtens setzt voraus, dass der Beweisführer einzelne

Tatsachen oder Indizien geltend macht, die dartun, dass die zu beweisende

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Tatsache erheblich und ohne Beizug eines Sachverständigen nicht abgeklärt

werden kann. Beim Urkundenbeweis hat die Bezeichnung unter genauer

Bezugnahme auf die Urkunde zu erfolgen. Ein pauschaler Verweis auf eine

Urkundenansammlung oder eine umfangreiche Urkunde ist nicht zulässig.

Vielmehr ist bei einem mehrseitigen Dokument die relevante Seite oder Stelle

anzugeben (Art. 180 Abs. 2 ZPO). Es geht demnach auch nicht an, einen ganzen

Sachverhaltskomplex zu schildern und sich zum Beweis am Schluss dieser

Behauptungen pauschal auf einen Stoss Akten oder eine Anzahl Zeugen zu

berufen (vgl. dazu BSK ZPO-LEUENBERGER, N 51 zu Art. 221; PAHUD, DIKE-Komm-

ZPO, N 17 zu Art. 221). Vor diesem Hintergrund verneinte das Handelsgericht die

Zulässigkeit der angebotenen Beweismittel z.B. in einem Fall, in welchem die

klagende Partei zahlreiche (strittige) Bauleistungen aufführte und am Schluss

dieser gesamten Aufzählung undifferenziert diverse Zeugen und Urkunden zum

Beweis offerierte. Das Handelsgericht erwog, dass die Klägerin für jede individuelle

Leistung hätte aufzeigen müssen, wer diese wann mit welchem Ergebnis erbracht

habe. Denn nur so wäre es auch möglich gewesen, den bzw. die jeweiligen

Mitarbeiter zu den Einzeltatsachen als Zeuge(n) anzurufen. Insofern die Klägerin

auf ganze Ordner als Beweismittel verweise, seien die Beweisofferten ohnehin

unzulässig, da viel zu unspezifisch (Urteil Handelsgericht HG150056 vom 29.

September 2016 E. 6.3).

Die Nichtabnahme von Beweisen, die nicht rechtzeitig beantragt worden sind bzw.

zu denen nicht substantiiert ausgeführt worden ist, welche Tatsachen damit

bewiesen werden sollen, verstösst mithin nicht gegen Art. 8 ZGB (vgl. BGE

4A_262/2016 vom 10. Oktober 2016 E. 4.1 und BSK ZPO-WILLISEGGER, N 35 zu

Art. 221).

Als nicht gehörig angebotene Beweismittel gelten grundsätzlich auch

fremdsprachige Urkunden, denen keine Übersetzung beiliegt. Fremdsprachige

Urkunden / Dokumente sind in der Regel immer zusammen mit einer deutschen

Übersetzung einzureichen. Am Handelsgericht besteht gewöhnlich allerdings eine

Ausnahme in Bezug auf englisch- und französischsprachige Urkunden. Versäumt

eine Partei die Übersetzungspflicht, ist ihr auf Antrag der Gegenpartei oder von

Amtes wegen eine Frist zur Verbesserung anzusetzen. Kommt die zur Übersetzung

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verpflichtete Partei der Aufforderung nicht nach, oder ist sie nicht in der Lage, für

die Kosten einer privaten Übersetzung aufzukommen, muss das Gericht eine

amtliche Übersetzung in Auftrag geben (WEIBEL, in: SUTTER-

SOMM/HASENBÖHLER/LEUENBERGER, ZPO Komm. N 14 zu Art. 180 ZPO). Diesfalls

kann von der beweisführenden Partei ein Beweiskostenvorschuss erhoben werden.

Mangels ausdrücklicher Regelung und aufgrund des Verbotes des überspitzten

Formalismus dürfte es nicht zulässig sein, die Urkunden als nicht eingereicht zu

behandeln bzw. aus den Akten zu weisen, auch nicht nach entsprechender

Androhung (BK ZPO-RÜETSCHI, N 25 zu Art. 180 ZPO, mit Hinweisen auf

Rechtsprechung und Literatur). Es wäre überspitzt formalistisch, eine bloss in einer

Fremdsprache, also ohne Übersetzung eingereichte Urkunde aus dem Recht zu

weisen oder nicht darauf abzustellen. Beweismittel bleibt letztlich ohnehin die

(fremdsprachige) Originalurkunde und nicht die Übersetzung davon.

4.1.2. Grundsätze für die Durchführung des Beweisverfahrens

Der zentrale Teil jedes Beweisverfahrens ist die in Art. 154 ZPO geregelte

Beweisverfügung. Die Beweisverfügung ist eine prozessleitende Verfügung

gemäss Art. 124 Abs. 1 Satz 2 ZPO. In ihr werden die zugelassenen Beweismittel

bezeichnet, und es wird bestimmt, welcher Partei zu welchen Tatsachen der Haupt-

und Gegenbeweis obliegt. Die Beweisverfügung bestimmt somit den formellen

Ablauf und die konkrete Gestaltung des Beweisverfahrens, indem sie - ausgehend

vom tatsächlichen Vorbringen und von den Beweisanträgen der Parteien - das

Programm ("Drehbuch") für die Beweiserhebung festlegt. Sie stellt damit im

Wesentlichen eine Kombination zwischen Beweisauflage- und

Beweisabnahmebeschluss nach der früheren Zürcher ZPO dar, bestehend aus den

3 Elementen (i) Umschreibung des Beweisthemas, (ii) Zuteilung der Beweislast und

(iii) Auflistung der zulässigen Beweismittel.

Grundlage jeder Beweisverfügung sollte - gerade bei grösseren Verfahren - ein

Exposé sein.

Die Beweisverfügung ist frühestens nach der schriftlichen Klage und Klageant-wort

und spätestens vor der Beweisabnahme zu erlassen (Art. 154 Satz 1 ZPO). In

dieser Zeitspanne ist das Gericht in der Terminierung der Beweisverfügung frei. In

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komplexen Verfahren empfiehlt es sich, mit der Beweisverfügung bis nach

Aktenschluss zuzuwarten.

Die Beweisabnahme im Sinne von Art. 155 ZPO wird grundsätzlich (zumindest im

Kanton Zürich) einer Gerichtsdelegation übertragen. Nach Art. 155 Abs. 2 ZPO

kann aber eine Partei aus wichtigen Gründen (ausnahmsweise) die Be-

weisabnahme durch das urteilende Gericht, mithin den gesamten Spruchkörper,

verlangen. Ob ein Grund wichtig ist, muss aufgrund einer Interessenabwägung

zwischen dem geltend gemachten wichtigen Grund und den für eine Delegation

sprechenden Gründen (insbes. Prozessökonomie) entschieden werden. Je ent-

scheidender ein Beweismittel ist, das der unmittelbaren Abnahme zugänglich ist,

desto eher dürfte Unmittelbarkeit geboten sein.

Die Formvorschriften von Art. 176 ZPO hinsichtlich der Protokollierung sind genau

zu befolgen. Es muss kein Wortprotokoll geführt werden. Seit dem 1. Mai 2013 ist

neu Absatz 3 von Art. 176 ZPO in Kraft, wonach bei einer Zeugeneinvernahme

darauf verzichtet werden kann, der Zeugin bzw. dem Zeugen das Protokoll

vorzulesen oder zum Lesen vorzulegen und von der Zeugin bzw. dem Zeugen

unterschreiben zu lassen, sofern die Aussagen mit technischen Hilfsmitteln

aufgezeichnet werden.

Nach der Beweisabnahme ist den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme zum

Beweisergebnis einzuräumen (Art. 232 Abs. 1 ZPO). Diese sog. "Schlussvorträ-ge"

können entweder mündlich im Anschluss an die Beweisabnahme stattfinden oder

dann - was bei grösseren Verfahren häufig der Fall sein dürfte - schriftlich erfolgen,

sofern die Parteien dies so beantragen (vgl. Art. 232 Abs. 2 ZPO).

Nach Abschluss der Hauptverhandlung bzw. nach Erstattung der Schlussvorträge

tritt der Prozess in die Entscheidphase, welche im Rahmen der Urteilsberatung

insbesondere auch die Beweiswürdigung umfasst. Diese besteht in der Bewertung

des Beweisergebnisses. Nach dem gemäss Art. 157 ZPO geltenden Grundsatz der

freien Beweiswürdigung und unter Beachtung des entsprechend anwendbaren

Beweismasses hat das Gericht frei von formellen Beweisregeln darüber zu

befinden, ob der Beweis für eine bestimmte Tatsache erbracht worden ist oder

nicht.

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81

4.2. Antizipierte Beweiswürdigung

Das Recht auf den Beweis oder den Gegenbeweis schliesst allerdings eine

antizipierte Beweiswürdigung nicht aus. Danach darf das Gericht von der Abnahme

weiterer Beweismittel im Interesse der Verfahrenskonzentration und der

Prozessökonomie absehen, wenn:

(1) Das angerufene Beweismittel als untauglich qualifiziert wird.

Objektive Untauglichkeit liegt vor, wenn das betreffende Beweismittel den angestrebten Beweis gar nicht erbringen kann (z.B. wenn ein Zeuge nur vom "Hörensagen" berichten kann und keine eigenen Wahrnehmungen gemacht hat). Diese Form der antizipierten Beweiswürdigung ist unbedenklich. Problematischer ist dagegen, wenn das Gericht von einer subjektiven Untauglichkeit ausgeht, weil die Beweiskraft eines Beweismittels, das an sich beweisbildend sein könnte, im konkreten Fall negativ beurteilt wird (z.B. Zeuge der an Altersdemenz leidet).

(2) Die weitere Beweisabnahme wegen bereits feststehendem Beweisergebnis

abgelehnt wird.

Bei dieser Form der antizipierten Beweiswürdigung lehnt das Gericht die Abnahme von Beweismitteln (bzw. von gewissen Beweismitteln) ab, weil seine Willensbildung bereits abgeschlossen ist und durch die Abnahme zusätzlicher Beweismittel nicht mehr erschüttert (umgestossen) werden kann. Wenn z.B. stichhaltige Urkunden vorliegen, kann unter Umständen auf die zusätzlich beantragte Einvernahme von Zeugen verzichtet werden. Durch die Beschränkung auf gewisse Beweismittel besteht allerdings die Gefahr, dass Beweise einseitig gewürdigt werden.

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(3) Aus einer Vielzahl gleichartiger Beweismittel eine Selektion getroffen wird.

Gerade bei umfangreichen Beweisofferten besteht nicht nur am Handelsgericht die Praxis, die Beweisabnahme auf ein vernünftiges Mass zu beschränken. Diese Beschränkung kann das Gericht von sich aus anordnen, oder die Parteien können aufgefordert werden, von sich aus eine Selektion zu treffen. Denkbar ist auch, in der Beweisverfügung einstweilen nur die Abnahme einer bestimmten Auswahl von Beweismitteln vorzusehen und weitere Beweismittel vorzubehalten. In der Stellungnahme zum Beweisergebnis im Rahmen der Schlussvorträge (Art. 232 ZPO) steht es den Parteien indessen frei, eine ergänzende Beweisverfügung zu beantragen.

Im Übrigen kann der Richter, wenn an der Richtigkeit einer streitigen Tatsache

erhebliche Zweifel bestehen, gemäss Art. 153 Abs. 2 ZPO auch von Amtes wegen

Beweis erheben. Die vorweggenommene Beweiswürdigung erlaubt es, das

Beweisverfahren auf die wesentlichen Beweismittel zu beschränken bzw. im

Einzelfall sogar ganz auf ein Beweisverfahren zu verzichten. Dadurch werden die

Verfahren vereinfacht und beschleunigt. Umgekehrt birgt die antizipierte

Beweiswürdigung aber auch die Gefahr, dass das Recht auf Beweis - und das

rechtliche Gehör - der beweisbelasteten Partei beschnitten wird. Wird mit dem

Instrument aber sorgfältig und bedacht umgegangen, ist es im Beweisverfahren

unerlässlich (vgl. zum Ganzen BGE 4A_76/2016 vom 30. August 2016 E. 3.1; BGE

141 I 60 E. 3.3; BK ZPO-BRÖNNIMANN, N 58 zu Art. 152; MARTIN TANNER, Antizipierte

Beweiswürdigung nach der ZPO, in: AJP 2015 S. 743 ff. sowie KUKO ZPO-Hans

SCHMID, N 14 ff. zu Art. 157 und OFK ZPO-ROLAND SCHMID, N 11 ff. zu Art. 152, je

m.w.H.).

V. Schlussbemerkung

Die Praxis zeigt, wie wichtig es ist, den verfahrensrechtlichen Anforderungen die

gebührende Beachtung und nötige Sorgfalt zu schenken. Dies gilt für die Parteien

bzw. deren Rechtsvertretungen gleichermassen wie für das Gericht. Denn die

materielle Beurteilung der Streitsache setzt stets voraus, dass der Prozess in

formeller Hinsicht korrekt eingeleitet und geführt wird. Ich hoffe, dass dieses Referat

dazu beiträgt, unliebsame formelle Entscheide zu vermeiden.

Roland Schmid / 16.03.2018

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[email protected] I www.sjwz.ch

09.04.2018: ZPR! Gesellschaften und Unternehmen im Zivilprozess

Unterlagen Referierende

Teil 2: Unterlagen Patricia Tschudi

Probleme der zivilprozessualen Vertretung von Gesellschaften und Unternehmen

Teil 3: Pascal Grolimund

Vorsorglicher Rechtsschutz bei gesellschaftsrechtlichen Klagen (insbes. Handelsregistersperre)

Teil 4: Unterlagen Roland Schmid

Das Verfahren vor Handelsgericht: aktuelle prozessuale Entwicklungen und Besonderheiten

Teil 5: Unterlagen Georg Naegeli

Prozessuale Tücken bei der Anfechtung von Gesellschaftsbeschlüssen – ein Erfahrungsbericht

Teil 6: Unterlagen Felix Dasser

Verantwortlichkeitsklagen: Zuständigkeiten, Strategien und deren Folgen

Teil 7: Unterlagen Daniel Staehelin

Prozessstandschaft und uneigentliche notwendige Streitgenossenschaft; Prozessuales zu Art. 260 SchKG

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der

Stiftung juristische Weiterbildung Zürich

ZPR! Gesellschaften und Unternehmen im Zivilprozess

9. April 2018

Prozessuale Tücken bei der Anfechtung von Gesellschaftsbeschlüssen

Ein Erfahrungsbericht

Georg Naegeli

RA Dr. iur., Homburger AG

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Inhaltsverzeichnis

I. Sachverhalt .................................................................................................................................. 3

II. Im Prozess strittige Fragen ........................................................................................................ 3

III. Allgemeines zur Beschlussfassung und Anfechtung von Gesellschaftsbeschlüssen

in der Kommanditgesellschaft ................................................................................................... 4

A. Beschlussfassung und Änderungen des Gesellschaftsvertrags ........................................ 4

B. Die Zustimmung der Gesellschaft zur Übertragung von Gesellschaftsanteilen ................. 5

C. Die Geltendmachung mangelhafter Beschlussfassung ...................................................... 6

D. Passivlegitimation bei Geltendmachung mangelhafter Beschlussfassung ........................ 6

E. Die Frist zur Geltendmachung mangelhafter Beschlussfassung ........................................ 7

IV. Fehlende Passivlegitimation der EMC ...................................................................................... 7

V. Welche Gesellschafter sind für die Anfechtungsklage von Dario Mahler

passivlegitimiert? ........................................................................................................................ 7

VI. Heilung der fehlerhaften Klageeinleitung? ............................................................................... 8

A. Übersicht über den Meinungsstand .................................................................................... 9 1. Juristische Literatur .................................................................................................. 9 2. Gerichtsentscheide ................................................................................................. 10

B. Beurteilung ........................................................................................................................ 11 1. Die nachträgliche Einbeziehung notwendiger Streitgenossen im Allgemeinen ..... 11 2. Zur nachträglichen Einbeziehung notwendiger Streitgenossen nach Ablauf

einer Verwirkungsfrist ............................................................................................. 12

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I. Sachverhalt

Die Ed. Mahler & Co (EMC) ist ein erfolgreicher Malereibetrieb. Sie ist als Kommanditgesellschaft

gemäss Art. 594 ff. OR organisiert und wird in zweiter Generation von den Geschwistern Angela,

Beat, Carla und Dario Mahler als unbeschränkt haftende Komplementäre geführt. Der Bruder

Enrico Mahler sowie die Ed. Mahler Immobilien GmbH (EMImm) sind Kommanditäre der EMC,

je mit einer Kommanditsumme von CHF 50'000.

Der Gesellschaftsvertrag, welcher der EMC zugrunde liegt, sieht vor, dass jeder Gesellschafter

seine Anteile ohne Zustimmung der übrigen Gesellschafter an seine Nachkommen in direkter

Linie übertragen kann. An anderer Stelle bestimmt der Gesellschaftsvertrag, dass Beschlüsse

über Vertragsänderungen und Aufnahme neuer Gesellschafter durch die Gesellschafterver-

sammlung zu fassen seien, wobei für die Aufnahme ein qualifiziertes Mehr von 60% erforderlich

ist. Ob diese Regelung auch im Fall einer nicht zustimmungspflichtigen Schenkung des Anteils

eines Gesellschafters an seine Nachkommen in direkter Linie gilt, ist im Gesellschaftsvertrag nicht

ausdrücklich geregelt.

Beschlüsse der Gesellschafterversammlung können gemäss ausdrücklicher Regelung im Gesell-

schaftsvertrag innert zweier Monate seit Kenntnis der Beschlüsse beim Gericht am Sitz der Ge-

sellschaft angefochten werden.

Der Komplementär Beat Mahler wollte sich nach Erreichung des 60. Altersjahres teilweise aus

dem Unternehmen zurückziehen und übertrug daher schenkungsweise die Hälfte seiner bei der

EMC verbuchten Kapitaleinlage zu gleichen Teilen an seine Kinder Xaver und Yvonne Mahler,

wobei deren Beteiligung als Kommanditeinlage eingetragen werden sollte. Die Aufnahme von

Xaver und Yvonne Mahler wurde für die nächste Gesellschafterversammlung vom 13. Mai 2015

traktandiert. Vier Gesellschafter genehmigten die entsprechende Änderung des Gesellschafts-

vertrages; Dario Mahler stimmte dagegen, und die EMImm enthielt sich der Stimme.

Dario Mahler erhob am letzten Tag der zweimonatigen Frist gemäss Gesellschaftsvertrag bei der

zuständigen Schlichtungsbehörde Klage auf Anfechtung des entsprechenden Gesellschafterbe-

schlusses. Die Klage richtete sich gegen die bisherigen Gesellschafter Angela, Beat, Carla und

Enrico Mahler, die EMImm sowie gegen die EMC, nicht aber gegen die neu aufgenommenen

Gesellschafter Xaver und Yvonne Mahler.

Die Schlichtung blieb erfolglos. Nach Ausstellung der Klagebewilligung reichte Dario Mahler die

Klage ein, wobei er Xaver und Yvonne Mahler als zusätzliche Beklagte aufführte.

II. Im Prozess strittige Fragen

1. Ist die EMC passivlegitimiert?

2. War die Anfechtungsklage nur gegen die bisherigen Gesellschafter oder auch gegen die

neu aufgenommenen Gesellschafter zu richten?

3. Falls letzteres zutrifft:

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Hat Dario Mahler die zweimonatige Klagefrist gewahrt, wenn er seine Klage nur ge-

gen die bisherigen Gesellschafter richtete?

Wenn nicht: Konnte Dario Mahler diesen Mangel beheben, indem er nach Ablauf der

Klagefrist zusätzlich die neu aufgenommenen Gesellschafter einklagte?

4. Kann ein Komplementär seine Kapitaleinlage ganz oder teilweise einem Dritten als Kom-

manditeinlage zuwenden?

5. Braucht es für die Aufnahme neuer Gesellschafter einen Beschluss der Gesellschafterver-

sammlung, wenn die neuen Gesellschafter Nachkommen in direkter Linie eines bisherigen

Gesellschafters sind, dieser ihnen einen Anteil seiner Kapitaleinlage geschenkt hat und der

Gesellschaftsvertrag für solche Schenkungen ausdrücklich kein Zustimmungserfordernis

der übrigen Gesellschafter vorsieht?

Die Fragen 1 – 3 sind Gegenstand des heutigen Vortrags.

III. Allgemeines zur Beschlussfassung und Anfechtung von Gesellschaftsbeschlüs-

sen in der Kommanditgesellschaft

A. Beschlussfassung und Änderungen des Gesellschaftsvertrags

Gemäss Art. 598 Abs. 1 OR richtet sich das Rechtsverhältnis der Gesellschafter einer Komman-

ditgesellschaft unter sich zunächst nach dem Gesellschaftsvertrag. Soweit keine Vereinbarung

getroffen ist, kommen die Vorschriften über die Kollektivgesellschaft zur Anwendung, jedoch mit

den Abweichungen, die sich aus dem Recht der Kommanditgesellschaft ergeben (Art. 598 Abs. 2

OR).

Das Recht der Kommanditgesellschaft kennt keine besonderen Bestimmungen über die Fassung

und Anfechtung von Gesellschaftsbeschlüssen. Gemäss der Verweisung in Art. 598 Abs. 2 OR

ist somit das Recht der Kollektivgesellschaft massgebend. Dieses verweist für die Beziehungen

der Gesellschafter untereinander ebenfalls zunächst auf den Gesellschaftsvertrag und im Übrigen

auf die Vorschriften über die einfache Gesellschaft (Art. 557 OR).

Art. 534 OR hält fest, dass Beschlüsse einer einfachen Gesellschaft mit Zustimmung aller Gesell-

schafter gefasst werden, wenn nicht nach dem Vertrag Stimmenmehrheit genügt. Weitere Vor-

schriften über die Gesellschaftsbeschlüsse lassen sich dem Gesetz nicht entnehmen.

Gesellschaftsbeschlüsse sind zwei oder mehrseitige Rechtsgeschäfte, die dazu dienen, in einer

gemeinsamen Angelegenheit eine einheitliche Entscheidung zu treffen. Die Willenserklärungen

werden nicht ausgetauscht, sondern gegenüber dem Leiter der Gesellschafterversammlung ab-

gegeben.1

1 BK-FELLMANN|MÜLLER, Art. 534 OR N 15.

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Änderungen des Gesellschaftsvertrags bedürfen nach allgemeinen vertragsrechtlichen Grunds-

ätzen grundsätzlich übereinstimmender gegenseitiger Willenserklärungen der Gesellschafter.

Diese können jedoch im Gesellschaftsvertrag vorsehen, dass Vertragsänderungen durch Gesell-

schaftsbeschluss genehmigt werden müssen.2 Das gilt namentlich für die Übertragung von Ge-

sellschaftsanteilen und die Aufnahme neuer Gesellschafter.3

B. Die Zustimmung der Gesellschaft zur Übertragung von Gesellschaftsanteilen

Die Übertragung von Anteilen an der Kommanditgesellschaft richtet sich mangels eigener Be-

stimmungen im Recht der Kommandit- und der Kollektivgesellschaft ebenfalls nach dem Recht

der einfachen Gesellschaft.4

Gemäss Art. 542 OR kann ein Gesellschafter ohne die Einwilligung der übrigen Gesellschafter

keinen Dritten in die Gesellschaft aufnehmen. Die einseitige Abtretung eines Gesellschaftsanteils

an einen Dritten verschafft diesem keine Gesellschafterstellung. Mit der Übertragung des Gesell-

schaftsanteils befasst sich die Bestimmung nicht direkt.

In der Lehre ist anerkannt, dass Gesellschaftsanteile übertragbar sind, und zwar gemäss h.L. auf

der Grundlage eines gültigen Verpflichtungsgeschäftes nach den Vorschriften über die Zession.5

Die Übertragung bedarf grundsätzlich der Zustimmung sämtlicher Gesellschafter,6 wobei diese

ihr Einverständnis bereits im Gesellschaftsvertrag erklären können. So kann dieser vorsehen,

dass bestimmte Kategorien von Personen generell in die Gesellschaft aufgenommen werden.7

Das Erfordernis der Zustimmung sämtlicher Gesellschafter ist nach h.L. nicht zwingender Natur;

es ist zulässig, dafür das Mehrheitsprinzip vorzusehen.8 Allerdings genügt ein im Gesellschafts-

vertrag vereinbartes allgemeines Mehrheitsprinzip für Gesellschaftsbeschlüsse nicht; vielmehr

bedarf es einer Bestimmung, die ausdrücklich das Mehrheitsprinzip für die Aufnahme neuer Ge-

sellschafter bzw. die Genehmigung der Übertragung von Gesellschaftsanteilen vorsieht.

2 BK-FELLMANN|MÜLLER, Art. 534 OR N 48, 159; ZK-HANDSCHIN|VONZUN, Art. 534-535 OR N 11, 14. 3 ZK-HANDSCHIN|VONZUN, Art. 534-535 OR N 15. 4 ZK-HANDSCHIN|CHOU, Art. 598 OR N 8. 5 BK-FELLMANN|MÜLLER, Art. 542 N 112 ff.; ZK-HANDSCHIN|VONZUN, Art. 542 N 27 ff., 31; BSK OR II-HANDSCHIN, Art. 542

N 3; grundlegend KARIN MÜLLER, Die Übertragung der Mitgliedschaft bei der einfachen Gesellschaft, Zürich 2003,

Rz 325 ff. 6 BK-FELLMANN|MÜLLER, Art. 542 N 109; ZK-HANDSCHIN|VONZUN, Art. 542 N 8, 36; BSK OR II-HANDSCHIN, Art. 534 N 5;

MÜLLER (Fn. 5) Rz 338. 7 MÜLLER (Fn. 5) Rz 178 und 338; BSK OR II-HANDSCHIN, Art. 542 N 1; BK-FELLMANN|MÜLLER, Art. 542 OR N 19. 8 BK-FELLMANN|MÜLLER, Art. 542 OR N 22 f.; BSK OR II-HANDSCHIN, Art. 534 N 5; MÜLLER (Fn. 5) Rz 181; a.M. ZK-HAND-

SCHIN|VONZUN, Art. 542 OR N 8, wonach eine mehrheitliche Entscheidfindung über die Aufnahme neuer Mitglieder nur

möglich sei, wenn ein "vertragsrelevanter Beschlussgegenstand" vorliege (dazu ZK-HANDSCHIN|VONZUN, Art. 534-535 OR

N 18 f.); ein solcher liegt nach den Kommentatoren bei der Übertragung von Gesellschaftsanteilen vor, wenn aufgrund

des Gesellschaftsvertrags der Kreis der von der Regelung betroffenen Personen bestimmbar ist.

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6 | 13

C. Die Geltendmachung mangelhafter Beschlussfassung

Das Recht der Personengesellschaften kennt kein besonderes Verfahren zur prozessualen Gel-

tendmachung von Mängeln bei der Beschlussfassung. Es gelten die im Einzelfall anwendbaren

allgemeinen zivil- und prozessrechtlichen Vorschriften.9

In der schweizerischen Rechtslehre ist anerkannt, dass Mängel von Gesellschaftsbeschlüssen je

nach ihrer Art zu deren Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit führen.10 Mit der Nichtigkeit von Gesell-

schaftsbeschlüssen werde ich mich im Folgenden nicht weiter befassen.

Ein anfechtbarer Gesellschaftsbeschluss bleibt in der Schwebe. Wird die Anfechtungsklage gut-

geheissen, erfolgt eine Aufhebung des Beschlusses ex tunc. Andernfalls wird er definitiv gültig.11

D. Passivlegitimation bei Geltendmachung mangelhafter Beschlussfassung

Die Klage auf Anfechtung eines mangelhaften Gesellschaftsbeschlusses ist gemäss der Lehre

zum Recht der einfachen Gesellschaft gegen diejenigen Gesellschafter zu richten, die der Auf-

hebung des Beschlusses widersprechen. Im Prozess sind alle Gesellschafter entweder auf der

Seite des Klägers oder derjenigen der Beklagten in den Prozess einzubeziehen: es besteht eine

notwendige Streitgenossenschaft.12 Soweit ersichtlich wird in Lehre und Rechtsprechung für die

Kommanditgesellschaft keine abweichende Auffassung vertreten.

Die Gesellschaft selbst ist im Prozess auf Anfechtung eines Gesellschaftsbeschlusses nicht pas-

sivlegitimiert. Die Prozessfähigkeit der Kommanditgesellschaft besteht nach der gesetzlichen Re-

gelung nur im Aussenverhältnis. Art. 602 OR, gemäss welchem die Gesellschaft unter ihrer Firma

Rechte erwerben, Verbindlichkeiten eingehen und vor Gericht klagen und verklagt werden kann,

steht im dritten Abschnitt über das "Verhältnis der Gesellschaft zu Dritten". Das Verhältnis der

Gesellschafter unter sich ist Gegenstand des vorangehenden zweiten Abschnittes; dieser kennt

keine Art. 602 OR entsprechende Anordnung, sondern verweist auf den Gesellschaftsvertrag und

die Vorschriften über die Kollektivgesellschaft, die ihrerseits auf das Recht der einfachen Gesell-

schaft weiterverweisen. Weder bei der einfachen Gesellschaft noch bei der Kollektivgesellschaft

können Gesellschaftsbeschlüsse durch Klage gegen die Gesellschaft angefochten werden, weil

den Gesellschaften diesbezüglich die Prozessfähigkeit fehlt. Dies gilt bei der einfachen Gesell-

schaft generell und bei der Kollektivgesellschaft für Klagen aus dem Innenverhältnis (Art. 562 OR

e contrario).

9 ZK-HANDSCHIN|VONZUN, Art. 534-535 OR N 133. 10 BK-FELLMANN|MÜLLER, Art. 534 OR N 174; ZK-HANDSCHIN|VONZUN, Art. 534-535 OR N 134. 11 BK-FELLMANN|MÜLLER, Art. 534 OR N 185. 12 BK-FELLMANN|MÜLLER, Art. 534 OR N 188; ZK-HANDSCHIN|VONZUN, Art. 534-535 OR N 137.

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E. Die Frist zur Geltendmachung mangelhafter Beschlussfassung

Eine gesetzliche Frist für die Anfechtungsklage besteht nicht. Es ist zulässig, vertraglich eine

Klagefrist zu vereinbaren, soweit es um (nur) anfechtbare Mängel geht.13 Die Geltendmachung

von Nichtigkeitsgründen ist an keine Fristen gebunden.14

IV. Fehlende Passivlegitimation der EMC

Wie dargelegt ist die Klage auf Anfechtung eines mangelhaften Gesellschaftsbeschlusses gegen

diejenigen Gesellschafter zu richten, die der Aufhebung des Beschlusses widersprechen, und ist

die Gesellschaft selbst nicht passivlegitimiert. Auf die Klage gegen die EMC konnte somit nicht

eingetreten werden, was Kosten- und Entschädigungsfolgen zulasten des Klägers Dario Mahler

zur Folge hatte.

V. Welche Gesellschafter sind für die Anfechtungsklage von Dario Mahler passivle-

gitimiert?

Gemäss den vorstehenden Ausführungen ist die Klage auf Anfechtung der Aufnahme neuer Ge-

sellschafter gegen diejenigen Gesellschafter zu richten, die der Aufhebung der Beschlüsse wi-

dersprechen. Das sind im vorliegenden Fall alle Gesellschafter ausser dem Kläger Dario Mahler,

also Angela, Beat, Carla und Enrico Mahler sowie die EMImm.

Die Frage stellt sich aber, ob Dario Mahler die Klage nicht auch gegen die neu aufgenommenen

Gesellschafter Xaver und Yvonne Mahler hätte einreichen müssen.

Gemäss der vorstehend erwähnten Lehre soll sich die Anfechtungsklage gegen die Gesellschaf-

ter richten, die der Aufhebung des Beschlusses widersprechen, bzw. gegen alle übrigen Gesell-

schafter. Es besteht eine notwendige Streitgenossenschaft dergestalt, dass sämtliche Gesell-

schafter auf der einen oder anderen Seite Partei des Anfechtungsprozesses sein müssen.

Wird ein Beschluss angefochten, mit dem neue Gesellschafter aufgenommen wurden, so ist der

Kreis der Gesellschafter, die mit dem Beschluss einverstanden sind, regelmässig nicht identisch

mit dem Kreis der Gesellschafter, welche über die Aufnahme der neuen Gesellschafter befunden

haben. Vielmehr werden in aller Regel auch die neu aufgenommenen Gesellschafter, die an der

Beschlussfassung über ihre Aufnahme nicht mitwirken konnten, dem Beschluss nicht widerspre-

chen wollen.

13 ZK-HANDSCHIN|VONZUN, Art. 534-535 OR N 135; BK-FELLMANN|MÜLLER, Art. 534 OR N 189. 14 ZK-HANDSCHIN|VONZUN, Art. 534-535 OR N 136.

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Die Frage der Passivlegitimation der neuen Gesellschafter steht und fällt daher mit der Frage, ob

diese trotz der Anfechtung des Gesellschaftsbeschlusses bereits als Gesellschafter gelten.

Das Gesetz legt nicht fest, dass ein Gesellschaftsbeschluss erst mit Ablauf der Anfechtungsfrist

gültig werde. Die Anfechtung von Beschlüssen einer Kommanditgesellschaft wird im Gesetz gar

nicht geregelt. Die Auffassung, dass die mit dem angefochtenen Beschluss aufgenommenen Ge-

sellschafter bis zur Entscheidung über die Klage als Gesellschafter zu qualifizieren sind, steht im

Einklang mit dem Konzept des sich in der Schwebe befindlichen Gesellschaftsbeschlusses. Die-

ser ist nur dann – allerdings mit Rückwirkung – nicht gültig, wenn das Gericht die Anfechtungs-

klage gutheisst. Wird keine Klage erhoben, wird sie zu spät erhoben oder wird sie abgewiesen,

bleibt der Beschluss gültig.

Damit ergibt sich folgendes: Xaver und Yvonne Mahler wurden anlässlich der Gesellschafterver-

sammlung vom 13. Mai 2015 mit Mehrheitsbeschluss als neue Gesellschafter aufgenommen.

Dieser Beschluss befindet sich infolge seiner Anfechtung in einem Schwebezustand. Xaver und

Yvonne Mahler sind auflösend bedingt als Gesellschafter der EMC zu qualifizieren. Sie verlieren

ihre Gesellschafterstellung nur im Fall der Gutheissung der Anfechtungsklage, dann allerdings

rückwirkend.

Dario Mahler hätte daher nach hier vertretener Auffassung seine Anfechtungsklage auch gegen

Xaver und Yvonne Mahler richten müssen.

Diese Auffassung ist m.E. auch sachgerecht. Neu aufgenommene Gesellschafter haben ein legi-

times Interesse daran, sich am Prozess über die Frage beteiligen zu können, ob der Gesell-

schaftsbeschluss über ihre Aufnahme gültig zustande gekommen sei.

VI. Heilung der fehlerhaften Klageeinleitung?

Dario Mahler erhob seine Anfechtungsklage am letzten Tag der zweimonatigen Frist gemäss

Gesellschaftsvertrag bei der zuständigen Schlichtungsbehörde. Er unterliess es jedoch, nach hier

vertretener Auffassung fälschlicherweise, die neu aufgenommenen Gesellschafter Xaver und

Yvonne Mahler als Mitbeklagte aufzuführen. Erst bei Einreichung der Klageschrift beim zuständi-

gen Gericht holte er dies nach.

Kann Dario seine Unterlassung so heilen? Oder ist die Klage abzuweisen, weil Dario Mahler in-

nert der vertraglichen Anfechtungsfrist nicht sämtliche notwendigen Beklagten ins Recht gefasst

hat und die Frist im Zeitpunkt, als er dies nachholte, abgelaufen war?

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A. Übersicht über den Meinungsstand

1. Juristische Literatur

Die schweizerische Zivilprozessordnung äussert sich nicht explizit zu dieser Frage. Art. 70 Abs. 1

ZPO beschränkt sich auf den Grundsatz, dass bei notwendiger Streitgenossenschaft sämtliche

beteiligten Personen gemeinsam beklagt werden müssen.

Nach der Praxis gewisser Kantone vor Inkrafttreten der schweizerischen Zivilprozessordnung war

die nachträgliche Einbeziehung fehlender notwendiger Streitgenossen zulässig.15

Unter der neuen schweizerischen Zivilprozessordnung wird die Frage kontrovers diskutiert:

DOMEJ16 hält die nachträgliche Einbeziehung für zweckmässig und im Interesse aller Par-

teien liegend, vertritt aber die Auffassung, sie stehe im Widerspruch zur Wertung, die

Art. 83 Abs. 4 ZPO zugrunde liege. Nach dieser Bestimmung ist ohne Veräusserung des

Streitobjektes ein Parteiwechsel nur mit Zustimmung der gegnerischen Partei zulässig.

Dies müsse auch für den Fall des nachträglichen Einbezugs einer zusätzlichen Partei in

den Prozess gelten.

LEUENBERGER und UFFER-TOBLER17 stellen fest, dass die ZPO keine Beiladung wie z.B. in

Art. 24 Abs. 2 lit. a BZP kennt. Sie würden einen richterlichen Hinweis auf die Gefahr der

Klageabweisung in Fällen begrüssen, in denen keine Verwirkungsfrist zur Diskussion steht.

Nach BORLA-GEIER18 ist eine Klageverbesserung nach Art. 132 ZPO nicht möglich, da sich

diese Bestimmung lediglich auf die Nachbesserung formeller Mängel beziehe. Auch im

Rahmen von Art. 60 ZPO über die Prüfung der Prozessvoraussetzungen sei eine nach-

trägliche Einbeziehung ausgeschlossen, weil die Bestimmung nicht vorsehe, dass den Par-

teien bei einem Mangel Frist zu dessen Behebung angesetzt werde. Auch sie weist zudem

auf das Erfordernis der Zustimmung der Gegenseite für einen gewillkürten Parteiwechsel

hin. BORLA-GEIER hält das Ergebnis aus prozessökonomischen Gründen für unbefriedi-

gend, postuliert im Einklang mit der Botschaft19 den "Mut zur Lücke" und regt an, dass die

Rechtsprechung die nachträgliche Einbeziehung eines Streitgenossen in das Verfahren

15 Z.B. Zürich, FRANK|STREULI|MESSMER, Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, 3. A., Zürich 1997, § 39 N 24;

Aargau: BÜHLER|EDELMANN|KILLER, Kommentar zur aargauischen Zivilprozessordnung, Aarau 1998, § 53 N 6; vgl. auch

für St. Gallen LEUENBERGER|UFFER-TOBLER, Kommentar zur Zivilprozessordnung des Kantons St. Gallen, Bern 1999,

Art. 45 N 4; ferner ANDREA MEIER, Einbezug Dritter vor internationalen Schiedsgerichten, Zürich 2007, S. 16. 16 KUKO ZPO-DOMEJ, Art. 70 ZPO N 14. 17 LEUENBERGER|UFFER-TOBLER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2. A. Bern 2016, Rz. 3.36. 18 BORLA-GEIER, in: Brunner|Gasser|Schwander (Hrsg.), Schweizerische Zivilprozessordnung, Kommentar, 2. A., Zürich und

St. Gallen 2016, Art. 70 N 14 ff. 19 Botschaft ZPO, S. 7236.

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ermöglichen solle. Sie weist allerdings auf einen Entscheid des Bundesgerichts hin, in dem

dieses entschied, es könne einen Miterben bei einer Erbteilungsklage, der im bundesge-

richtlichen Beschwerdeverfahren nicht einbezogen worden war, weder von Amtes wegen

als Beschwerdegegner behandeln noch im Sinn von Art. 24 Abs. 2 lit. a BZP zum Streit

beiladen.20

RUGGLE21 hält die Fristansetzung zur Ausdehnung der Klage bzw. zum Beitritt der nicht

involvierten Streitgenossen trotz fehlender ausdrücklicher Rechtsgrundlage in Anlehnung

an das frühere kantonale Recht für zulässig.

STAEHELIN und SCHWEIZER22 sowie GASSER und RICKLI23 sind zwar der Auffassung, dass eine

Beiladung der fehlenden Prozesspartei von Amtes wegen nicht in Frage komme, halten

aber das Gericht für berechtigt, auf das Fehlen eines Streitgenossen aufmerksam zu ma-

chen. Sie dürften sich demzufolge den Autoren anschliessen, welche die nachträgliche

Sanierung der fehlenden Beteiligung notwendiger Streitgenossen für zulässig halten.

Dies gilt auch für GROSS und ZUBER;24 sie weisen darauf hin, dass das Prozessrecht nicht

Selbstzweck sei, sondern der Verwirklichung des materiellen Rechts und der effizienten

Streitbeilegung dienen solle. Das Gericht habe demnach zu prüfen, wie Fehler bei der Kla-

geeinleitung nachträglich korrigiert werden könnten.

2. Gerichtsentscheide

Dem Autor sind keine Entscheidungen schweizerischer Gerichte bekannt, die sich direkt mit der

vorliegenden Problematik befassen würden, insbesondere keine Bundsgerichtsurteile oder kan-

tonalzürcherische Entscheide.

Aus dem Sachverhalt zum nicht veröffentlichten Bundesgerichtsurteil 4A_27|2015 ergibt sich im-

merhin, dass das Handelsgericht des Kantons Zürich bei einer allerdings nur teilweise vergleich-

baren Ausgangslage die Korrektur einer fehlerhaften Klageeinleitung bei notwendiger Streitge-

nossenschaft zuliess. Im fraglichen Fall hatte die klagende Partei zuerst eine Klage gegen eine

Partei und einen Monat später eine gleichlautende Klage gegen eine zweite Partei eingereicht.

Das Handelsgericht beschränkte vorerst den Prozess "auf die Frage der Prozessvoraussetzun-

gen" und stellte fest, dass es sich bei den Beklagten in den beiden Verfahren um eine notwendige

Streitgenossenschaft handle. Obwohl die Klagen gegen die Beklagten mit einer Differenz von

einem Monat anhängig gemacht worden seien, könnten die beiden Verfahren vereinigt werden

20 BGer 5A_809|2011, E. 2.3. 21 BSK ZPO-RUGGLE, Art. 70 N 25. 22 E. STAEHELIN|SCHWEIZER, in Sutter-Somm|Hasenböhler|Leuenberger, Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessord-

nung, 3. A., Zürich 2016, Art. 70 N 56. 23 GASSER|RICKLI, Schweizerische Zivilprozessordnung, Kurzkommentar, 2. A., Zürich und St. Gallen 2014, Art. 70 N 3. 24 BK ZPO-GROSS|ZUBER, Art. 70 N 36.

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und sei aufgrund der besonderen Umstände, die dazu geführt hatten, dass die Klagen vor Han-

delsgericht nicht gleichzeitig eingereicht worden waren, die Passivlegitimation der Beklagten zu

bejahen.

Soweit ersichtlich stellte sich im Verfahren vor dem Handelsgericht allerdings nicht die Frage, ob

mit der zweiten Klage die mangelhafte Klageeinleitung geheilt wurde, obwohl im Zeitpunkt der

zweiten Klageanhebung die für den eingeklagten Anspruch laufende Verwirkungsfrist abgelaufen

war.

B. Beurteilung

1. Die nachträgliche Einbeziehung notwendiger Streitgenossen im Allgemeinen

Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt (oben Abschnitt A.1), wird der nachträgliche

Einbezug ursprünglich nicht eingeklagter Streitgenossen in der schweizerischen Rechtslehre all-

gemein als wünschbar und von der wohl herrschenden Lehre auch als zulässig angesehen. Eine

dogmatisch hieb- und stichfeste Begründung für diese Auffassung liegt bislang allerdings nicht

vor.

Der Einwand von DOMEJ,25 dass der nachträgliche Einbezug der ursprünglich nicht eingeklagten

notwendigen Streitgenossen gegen die Wertung verstosse, die Art. 83 Abs. 4 ZPO zugrunde

liege, erscheint nicht zwingend. Solange nicht materiellrechtliche Gründe gegen den nachträgli-

chen Einbezug sprechen, wäre es ein prozessualer Leerlauf, ihn nicht zuzulassen und den Kläger

zu zwingen, nochmals von vorne zu beginnen, d.h. die Klage neu gegen sämtliche notwendigen

Streitgenossen zu erheben. Insofern ist mit der wohl herrschenden Lehre zu postulieren, dass

das Gericht den Kläger auf die mangelhafte Klageeinleitung aufmerksam machen soll. Es wäre

dann allerdings Sache des Klägers, das Notwendige vorzukehren; das Gericht hat keine gesetz-

liche Handhabe, die fehlenden Parteien von Amtes wegen einzubeziehen.

Wie BORLA-GEIER26 zutreffend ausführt, lässt sich ein solches Vorgehen weder auf Art. 132 ZPO

stützen, bei dem es nur um die Nachbesserung formeller Mängel geht, noch auf Art. 60 ZPO über

die Prüfung der Prozessvoraussetzungen. Die direkte Anwendung von Art. 60 ZPO scheidet nach

hier vertretener Auffassung allerdings nicht deshalb aus, weil die Bestimmung keine Fristanset-

zung zur Behebung von Mängeln voraussetzt. Es ist in der Lehre zu Recht anerkannt, dass das

25 KUKO ZPO-DOMEJ, Art. 70 ZPO N 14. 26 BORLA-GEIER, in: Brunner|Gasser|Schwander (Hrsg.), Schweizerische Zivilprozessordnung, Kommentar, 2. A., Zürich und

St. Gallen 2016, Art. 70 N 14 ff.

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Gericht die Parteien auf heilbare Mängel von Prozesshandlungen hinweisen und ihnen Gelegen-

heit zur Verbesserung geben soll.27 Doch handelt es sich beim Fehlen notwendiger Streitgenos-

sen nicht um eine Prozessvoraussetzung, sondern um eine Frage der Sachlegitimation, was zur

Abweisung der Klage führt.28

Es erscheint aber als vertretbar, mit BORLA-GEIER eine Lücke im Gesetz anzunehmen. Es beste-

hen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber mit seinem Schweigen den nachträglichen

Einbezug notwendiger Streitgenossen ausschliessen wollte. Folgt man dem Aufruf "Mut zur Lü-

cke" in der Botschaft zur ZPO und nimmt man deren Aufforderung ernst, dass "das Regelwerk

der Praxis den nötigen Spielraum geben [muss], den Einzelfall effizient und sachgerecht abzuwi-

ckeln",29 so spricht nichts dagegen, in Analogie zu Art. 132 ZPO dem Gericht die Möglichkeit

einzuräumen, den Kläger auf die mangelhafte Klageeinleitung hinzuweisen und ihm eine Frist zur

Behebung des Mangels einzuräumen.

2. Zur nachträglichen Einbeziehung notwendiger Streitgenossen nach Ablauf einer

Verwirkungsfrist

Komplexer stellt sich die Rechts- und Interessenlage dar, wenn die Wahrung der Rechte des

Klägers an eine Verwirkungsfrist gebunden ist.

Die Festlegung einer Verwirkungsfrist ist nicht Selbstzweck, sondern dient der Rechtssicherheit.

Sie soll der von einem Anspruch potentiellen belasteten Partei innert eines bestimmten Zeitraums

die Gewissheit verschaffen, dass der drohende Anspruch nicht oder nicht mehr besteht und sie

dadurch in ihrer wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit nicht mehr behindert wird. Die belastete Par-

tei hat demgemäss ein schützenswertes Interesse daran, dass Verwirkungsfristen formell und

materiell korrekt eingehalten werden.

Auf der anderen Seite führt die Verwirkung eines Anspruchs zur Klageabweisung ohne materielle

Anspruchsprüfung, also zu einem Rechtsverlust, der den säumigen Kläger für seine Untätigkeit

strafen soll. Dem Grundsatz folgend, dass jede Person angemessenen Rechtsschutz ohne über-

triebene formale Hindernisse erlangen können soll, ist Verwirkung nicht leichthin anzunehmen.

Wo sich eine Partei bemüht hat, ihre Rechte fristgemäss zu wahren, sollte sie nicht ohne Not

wegen formaler Fehler abgewiesen werden, zumal dann nicht, wenn über das richtige Vorgehen

keine Klarheit bestand.

Diese letzteren Überlegungen mögen dafür sprechen, prozessuale Grosszügigkeit walten zu las-

sen, wenn ein Kläger Schritte zur Wahrung der Verwirkungsfrist unternimmt, dabei aber inhaltli-

che Fehler begeht, indem er nicht sämtliche notwendige Streitgenossen einklagt. Doch sollte man

27 BSK ZPO-GEHRI, Art. 60 N 8; KUKO ZPO-NAEGELI|RICHERS, Art. 220 N 10. 28 KUKO ZPO-DOMEJ, Art. 70 N 10. 29 Botschaft ZPO, S. 7236.

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sich bewusst sein, dass die Zulassung des nachträglichen Einbezugs notwendiger Streitgenos-

sen nach Ablauf der Verwirkungsfrist ein Eingriff in materielles Recht ist: eine Verwirkungsfrist

begrenzt die Dauer eines materiellen Rechtes; ihr Ablauf führt zum Untergang des Rechts.30 Sollte

hier Prozessrecht korrigierend in dem Sinn eingreifen, dass eine nicht perfekte Wahrung der Frist

die Verwirkung nicht eintreten lässt und den Untergang des Rechts hindert, so wäre dies ein

Eingriff in das materielle Recht. Ein solcher Eingriff ist nicht undenkbar, aber es wäre zumindest

zu fordern, dass er ausdrücklich erfolgt.

Hätte also der Gesetzgeber gewollt, dass die Klage gegen einen Teil der notwendigen Streitge-

nossen auch nach Ablauf der Verwirkungsfrist erhoben werden kann, falls die anderen notwen-

digen Streitgenossen rechtzeitig eingeklagt worden sind, so hätte er das nach hier vertretener

Ansicht ausdrücklich normieren sollen.

_________________________

30 GAUCH|SCHLUEP|EMMENEGGER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil Bd. II, 10. A., Zürich 2014, Nr. 3386.

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[email protected] I www.sjwz.ch

09.04.2018: ZPR! Gesellschaften und Unternehmen im Zivilprozess

Unterlagen Referierende

Teil 2: Unterlagen Patricia Tschudi

Probleme der zivilprozessualen Vertretung von Gesellschaften und Unternehmen

Teil 3: Pascal Grolimund

Vorsorglicher Rechtsschutz bei gesellschaftsrechtlichen Klagen (insbes. Handelsregistersperre)

Teil 4: Unterlagen Roland Schmid

Das Verfahren vor Handelsgericht: aktuelle prozessuale Entwicklungen und Besonderheiten

Teil 5: Unterlagen Georg Naegeli

Prozessuale Tücken bei der Anfechtung von Gesellschaftsbeschlüssen – ein Erfahrungsbericht

Teil 6: Unterlagen Felix Dasser

Verantwortlichkeitsklagen: Zuständigkeiten, Strategien und deren Folgen

Teil 7: Unterlagen Daniel Staehelin

Prozessstandschaft und uneigentliche notwendige Streitgenossenschaft; Prozessuales zu Art. 260 SchKG

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4/10/2018

1

Verantwortlichkeitsklagen: Zuständigkeit, Strategien und deren Folgen

Felix Dasser

9. April 2018

SJWZ – Gesellschaften undUnternehmen im Zivilprozess

Neulich im Magazin der International Bar Assoc.

9. April 2018 2

IBA Global Insight, Feb/Mar 2018, 32

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4/10/2018

2

Potentielle Parteien

9. April 2018 3

Kläger (je nachdem ob unmittelbare oder mittelbare Schädigung und ob ausser oder im Konkurs)

Gesellschaft

Aktionäre

Gläubiger

9. April 2018 4

Beklagte(r)

Verantwortliche für den Emissionsprospekt (Art. 752 OR)

Gründer (Art. 753 OR)

Verwaltungsräte (Art. 754 OR)

Weitere Geschäftsleitungsorgane (CEO, CFO, Direktoren, etc.) (Art. 754 OR)

Liquidatoren (Art. 754 OR)

Revisionsstelle (Art. 755 OR)

Faktische Organe

Auf jeden Fall fast immer mehrere mögliche Beklagte

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4/10/2018

3

Wohnsitzstaaten von Verwaltungsräten (SMI 2013)

9. April 2018 5

Ein Zuständigkeits-Buffet

9. April 2018 6

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4/10/2018

4

Verfahrensdauer vor staatlichen Gerichten

EU-Justizbarometer 20179. April 2018 7

Schweiz

Unterschiedliches Vertrauen in staatliche Gerichte

9. April 2018 8

EU-Justizbarometer 2016

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4/10/2018

5

Es kommt darauf an, vor welchem Gericht Sie landen!

9. April 2018 9

Zuständigkeiten im Binnenverhältnis

9. April 2018 10

Art. 40 ZPO:

„Für Klagen aus gesellschaftsrechtlicher Verantwortlichkeit ist das Gericht am Wohnsitz oder Sitz der beklagten Partei oder am Sitz der Gesellschaft zuständig.“

Art. 42 ZPO: lex specialis für Klagen aus FusG:

Gerichtsstand "am Sitz eines beteiligten Rechtsträgers"

Art. 15 ZPO: Gerichtsstand der einfachen passiven Streitgenossenschaft (relevant bei Klage am Sitz eines Beklagten anstatt am Sitz der Gesellschaft)

Art. 17 ZPO: Gerichtsstandsvereinbarung

Art. 61, 354 f. ZPO: Schiedsvereinbarung

Art. 34 ZPO: lex specialis für arbeitsrechtliche Streitigkeiten

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4/10/2018

6

Zuständigkeit im internationalen Verhältnis: Lugano-Übereinkommen

9. April 2018 11

[Art. 22 (Nr. 2) LugÜ]

Art. 2 Abs. 1 LugÜ: Beklagten(wohn)sitz

Art. 5 Nr. 1 lit. a LugÜ: Erfüllungsort bei Vertrag (inkl. Statuten) (?)

Art. 5 Nr. 3 LugÜ: Handlungs- oder Erfolgsort bei unerlaubten Handlungen

Art. 5 Nr. 4 LugÜ: Adhäsionsklagen

Art. 6 Nr. 1 LugÜ: einfache passive Streitgenossenschaft

Art. 23 LugÜ: Gerichtsstandsvereinbarung

Art. 24 LugÜ: Einlassung

Art. 18 ff.: leges speciales für Arbeitsrecht

Zuständigkeit im internationalen Verhältnis:Subsidiär IPR-Gesetz

9. April 2018 12

Art. 151 Abs. 1 und 2 IPRG: Zuständigkeit wahlweise am schweizerischen Sitz der Gesellschaft oder am Wohnsitz (bzw. gewöhnlichen Aufenthaltsort) des Beklagten.

Art. 152 IPRG: Verantwortlichkeitsklagen gegen ausländische Gesellschaften, die in der Schweiz geführt werden: Verwaltungssitz bzw. Wohnsitz des Beklagten

Art. 5 IPRG: Gerichtsstandsvereinbarung (nur noch anwendbar bei Wahl eines Gerichtsstandes ausserhalb des LugÜ-Raumes)

Art. 8a IPRG: einfache passive Streitgenossenschaft (innerhalb Schweiz)

Art. 7 und 178 IPRG: Schiedsvereinbarung

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7

... bzw. ausländisches nationales Recht

9. April 2018 13

Niemand will z.B. in den USA eingeklagt werden...

Art. 149 Abs. 2 bzw. Art. 165 Abs. 1 IPRG als Notnagel:

Grundsätzlich keine Anerkennung und Vollstreckung in der Schweiz gegen Personen mit Wohnsitz in der Schweiz

Ausnahme: Klage am ausländischen Sitz der Gesellschaft

Strategien auf Klägerseite (angebliche [!] Gläubiger)

9. April 2018 14

Maximale prozessuale Druckausübung zwecks Vergleichsabschluss

Klage gegen mehrere Organe am Wohnsitz eines Organes

Erlaubt oft grosse Auswahl von Gerichtsständen und damit ausgedehntes forumshopping

Unter LugÜ weitgehend problemlose Vollstreckung in der Schweiz

"Reframing" als z.B. unerlaubte Handlung bzw. strafbares Verhalten: beliebt in den USA, zunehmend auch in Europa

Art. 5 Nr. 3 bzw. Nr. 4 LugÜ

Z.T. als Versuch, Gerichtsstandsvereinbarungen zu umgehen (EuGH C-352/13)

[In der Schweiz Teilklage zur Reduktion des Kostenrisikos]

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4/10/2018

8

Strategien auf Beklagtenseite (angebliche [!] Schädiger)

9. April 2018 15

Gerichtsstandsvereinbarung (gegen forum shopping)

Streitverkündung bzw. Streitverkündungsklage:

Klage: Art. 6 Nr. 2 LugÜ, Art. 8b IPRG, Art. 16 ZPO (vgl. BGE 139 III 67; 4A_271/2016, 16.1.2017)

Forum running

Früher in der Schweiz gegenüber dem Ausland schwierig

Schlichtungsverfahren oft zwingend, aber unter LugÜ nicht unbedingt rechtshängigkeitsbegründend

Bundesgericht verneinte Rechtsschutzinteresse bei negativen Feststellungsklagen unter Schweizer Recht (Anknüpfung an lex causae)

9. April 2018 16

Neu:

Schlichtungsverfahren genügt für Rechtshängigkeit nach Art. 30 LugÜ(EuGH C-467/16, 20.12.2017, Schlömp)

Bundesgericht ändert Rechtsprechung zum Rechtsschutzinteresse bei negativen Feststellungsklagen zugunsten Klagen in der Schweiz radikal

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4/10/2018

9

EuGH C-467/16, 20.12.2017Brigitte Schlömp g. Landratsamt Schwäbisch Hall

9. April 2018 17

"55 [...] die Schlichtungsbehörden bei der Ausübung der ihnen durch die ZPO übertragenen Aufgaben als "Gericht" im Sinne von Art. 62 des Lugano-II-Übereinkommens eingeordnet werden können."

"58 [...] bei Rechtshängigkeit ein "Gericht" zu dem Zeitpunkt als angerufen gilt, zu dem ein obligatorisches Schlichtungsverfahren bei einer Schlichtungsbehörde nach Schweizer Recht eingeleitet worden ist."

Medienmitteilung des Bundesgerichts vom 3. April 2018

9. April 2018 18

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4/10/2018

10

4A_417/2017

9. April 2018 19

Das Feststellungsinteresse untersteht als Frage der Justizgewährung der lex fori:

E. 4.3.1: "Soweit es um das Feststellungsinteresse als Prozessvoraussetzung geht [...], ist die prozessrechtliche Natur und damit die Anwendung der lex fori zu bejahen."

Offengelassen, ob das LugÜ aufgrund des Grundsatzes des effet utileerhöhte nationale Anforderungen an negative Feststellungsklagen verhindert. (E. 5.1.2)

9. April 2018 20

"Beim Interesse an einer negativen Feststellungsklage handelt es sich um ein tatsächliches Interesse, gewisse praktische Nachteile nicht gewärtigen zu müssen [...]" (E. 5.3.1)

"[...] mit der bisherigen Rechtsprechung zum forum running in der Schweiz klagewillige Parteien im internationalen Verhältnis benachteiligt wurden [...]" (E. 5.3.2)

"Das tatsächliche Interesse, einen Prozess in diesem und nicht in jenem Staat zu führen, und damit daran, eine negative Feststellungsklage in der Schweiz erheben zu können, kann erheblich sein, allein wegen der unterschiedlichen Verfahrensrechte, der unterschiedlichen Verfahrenssprache, Dauer und Kosten der Verfahren etc. [...]" (E. 5.3.2)

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Organe müssen nicht zwingend "sitting ducks" bleiben

9. April 2018 21

Danke für Ihre Aufmerksamkeit

Prof. Dr. iur. Felix Dasser, LL.M.

[email protected]

T +41 43 222 10 00

www.homburger.chHomburger AG │ Prime Tower │ Hardstrasse 201 │ CH-8005 Zürich

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Lausanne, 3. April 2018

Medienmitteilung des Bundesgerichts

Urteil vom 14. März 2018 (4A_417/2017)

Swatch Group hat ausreichendes Rechtsschutzinteresse für Klage in der Schweiz

Das Handelsgericht des Kantons Bern muss sich erneut mit der Klage der SwatchGroup befassen, mit der diese die Feststellung verlangt, dass sie nicht zur Belie-ferung eines englischen Unternehmens mit Ersatzteilen für Uhren der Swatch Groupverpflichtet ist. In Änderung der bisherigen Rechtsprechung ist die Absicht einerPartei, sich im internationalen Verhältnis für einen bevorstehenden Rechtsstreiteinen Gerichtsstand in der Schweiz zu sichern, als ausreichendes Interesse für eineentsprechende Feststellungsklage zu erachten.

Auf Ende 2015 hatte die Swatch Group AG die Belieferung von Grosshändlern mitErsatzteilen für Uhren der Swatch Group eingestellt. Ein englisches Unternehmen for-derte in der Folge von der Swatch Group AG und von zwei ihrer Tochtergesellschaften(im Folgenden "Swatch Group") die Wiederaufnahme der bisherigen Belieferung, an-sonsten sie ohne weitere Ankündigung Klage erheben werde. Noch bevor das englischeUnternehmen dann tatsächlich in England seine Leistungsklage einreichte, war dieSwatch Group bereits ans Handelsgericht des Kantons Bern gelangt und hatte die Fest -stellung beantragt, dass sie keine Pflicht zur Belieferung treffe und dass sie demenglischen Unternehmen wegen der Einstellung der Belieferung nichts schulde. DasHandelsgericht beschränkte das Verfahren auf die Frage, ob die Swatch Group an ihrer"negativen Feststellungsklage" ein ausreichendes Rechtsschutzinteresse habe. Es ver -neinte dies, weil das Interesse einer Partei, sich mit einer negativen Feststellungsklage

CH-1000 Lausanne 14

Korrespondenznummer 11.5.2/07_2018

B u n d e s g e r i c h t

T r i b u n a l f é d é r a l

T r i b u n a l e f e d e r a l e

T r i b u n a l f e d e r a l

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einen Gerichtsstand in der Schweiz zu sichern, gemäss Rechtsprechung keinausreichendes Rechtsschutzinteresse begründe. Das Handelsgericht trat auf die Klagedeshalb nicht ein.

Das Bundesgericht heisst die Beschwerde der Swatch Group gut. In Änderung der bis -herigen Rechtsprechung ist jedenfalls im internationalen Verhältnis das Ziel einer Partei,sich bei einem bevorstehenden Gerichtsverfahren einen ihr genehmen Gerichtsstand zusichern, als genügendes Rechtsschutzinteresse für eine negative Feststellungsklage zuqualifizieren. Für diese Praxisänderung bestehen ernsthafte und sachliche Gründe.Unter anderem ist zu beachten, dass bis anhin im internationalen Verhältnis Parteienbenachteiligt wurden, welche zur Sicherung des Gerichtsstandes in der Schweiz klagenwollten, denen aber gemäss bisheriger Praxis eine Klagemöglichkeit verwehrt wurde,während im Ausland von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht werden konnte. Dastatsächliche Interesse einer Partei, einen Prozess in diesem oder einem anderen Staatzu führen, kann allein wegen der unterschiedlichen Verfahrensrechte, der Sprache, derDauer oder der Kosten eines Verfahrens erheblich sein.

Die Sache wird zur Fortführung des Verfahrens ans Berner Handelsgericht zurückgewie-sen. Dieses wird – vor einer materiellen Beurteilung der Klage der Swatch Group – überdie bisher offen gelassene Frage seiner internationalen und örtlichen Zuständigkeitentscheiden müssen.

Kontakt: Peter Josi, MedienbeauftragterTel. +41 (0)21 318 91 53; Fax +41 (0)21 323 37 00E-Mail: [email protected]

Hinweis: Die Medienmitteilung dient zur Information der Öffentlichkeit und der Medien. Die verwendeten Formulierungen können vom Wortlaut des Urteils abweichen; für die Recht-sprechung ist einzig das schriftliche Urteil massgebend.

Das Urteil ist ab 3. April 2018 um 13:00 Uhr auf www.bger.ch abrufbar: Rechtsprechung > Rechtsprechung (gratis) > Weitere Urteile ab 2000 > 4A_417/2017 eingeben.

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1.06 Judicial independenceIn your country, how independent is the judicial system from influences of the government, individuals, or companies? [1 = not independent at all; 7= entirely independent]

Source: World Economic Forum, Executive Opinion Survey. For more details, refer to Appendix C of this [i]Report[i]

Rank/137 Country / Economy Score Trend Distance from best Rank/137 Country / Economy Score Trend Distance from best

1 Finland 6.82 New Zealand 6.73 Norway 6.64 Switzerland 6.55 Netherlands 6.46 United Kingdom 6.37 Ireland 6.38 Australia 6.39 Canada 6.210 Luxembourg 6.211 Denmark 6.112 Sweden 6.113 Hong Kong SAR 6.114 Israel 6.115 Japan 6.016 United Arab Emirates 5.817 Iceland 5.818 Estonia 5.719 Singapore 5.720 Belgium 5.621 Austria 5.622 Uruguay 5.623 Rwanda 5.624 Germany 5.525 United States 5.526 Costa Rica 5.427 Qatar 5.328 France 5.329 Namibia 5.330 Saudi Arabia 5.231 Egypt 5.132 Bahrain 5.133 Jordan 5.034 Mauritius 5.035 Portugal 4.936 South Africa 4.937 Chile 4.938 Jamaica 4.839 Bhutan 4.740 Cyprus 4.741 Malaysia 4.742 Oman 4.743 Ghana 4.644 Kuwait 4.645 Czech Republic 4.546 China 4.547 Trinidad and Tobago 4.548 Taiwan, China 4.549 Tajikistan 4.450 Azerbaijan 4.451 Malta 4.452 Indonesia 4.453 India 4.454 Cape Verde 4.355 Kenya 4.256 Lithuania 4.257 Botswana 4.258 Spain 4.259 Brazil 4.160 Brunei Darussalam 4.161 Malawi 4.162 Thailand 4.163 Seychelles 4.064 Nepal 4.065 Italy 4.066 Sri Lanka 3.967 Romania 3.968 Tanzania 3.869 Lao PDR 3.8

70 Tunisia 3.871 Greece 3.872 Korea, Rep. 3.873 Gambia, The 3.874 Lesotho 3.875 Morocco 3.876 Slovenia 3.777 Senegal 3.778 Ethiopia 3.779 Kazakhstan 3.680 Pakistan 3.681 Iran, Islamic Rep. 3.682 Nigeria 3.683 Latvia 3.684 Viet Nam 3.685 Montenegro 3.686 Swaziland 3.687 Georgia 3.688 Philippines 3.689 Guatemala 3.690 Russian Federation 3.591 Algeria 3.592 Uganda 3.493 Zambia 3.494 Mali 3.395 Bangladesh 3.396 Armenia 3.397 Liberia 3.398 El Salvador 3.299 Poland 3.2100 Argentina 3.2101 Hungary 3.2102 Kyrgyz Republic 3.1103 Turkey 3.1104 Cameroon 3.1105 Lebanon 3.1106 Peru 3.0107 Benin 3.0108 Bulgaria 3.0109 Zimbabwe 3.0110 Mongolia 3.0111 Colombia 3.0112 Sierra Leone 2.9113 Mexico 2.9114 Croatia 2.9115 Mozambique 2.9116 Mauritania 2.9117 Bosnia and Herzegovina 2.8118 Serbia 2.8119 Slovak Republic 2.8120 Panama 2.8121 Honduras 2.7122 Cambodia 2.6123 Albania 2.6124 Yemen 2.5125 Guinea 2.5126 Haiti 2.4127 Congo, Democratic Rep. 2.4128 Madagascar 2.4129 Ukraine 2.3130 Dominican Republic 2.3131 Burundi 2.3132 Moldova 2.1133 Paraguay 2.1134 Chad 2.1135 Ecuador 1.7136 Nicaragua 1.6137 Venezuela 1.1

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[email protected] I www.sjwz.ch

09.04.2018: ZPR! Gesellschaften und Unternehmen im Zivilprozess

Unterlagen Referierende

Teil 2: Unterlagen Patricia Tschudi

Probleme der zivilprozessualen Vertretung von Gesellschaften und Unternehmen

Teil 3: Pascal Grolimund

Vorsorglicher Rechtsschutz bei gesellschaftsrechtlichen Klagen (insbes. Handelsregistersperre)

Teil 4: Unterlagen Roland Schmid

Das Verfahren vor Handelsgericht: aktuelle prozessuale Entwicklungen und Besonderheiten

Teil 5: Unterlagen Georg Naegeli

Prozessuale Tücken bei der Anfechtung von Gesellschaftsbeschlüssen – ein Erfahrungsbericht

Teil 6: Unterlagen Felix Dasser

Verantwortlichkeitsklagen: Zuständigkeiten, Strategien und deren Folgen

Teil 7: Unterlagen Daniel Staehelin

Prozessstandschaft und uneigentliche notwendige Streitgenossenschaft; Prozessuales zu Art. 260 SchKG

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Prozessstandschaft und uneigentliche notwendige Streitgenossenschaft; Prozessuales zu Art. 260 SchKG

Prof. Dr. Daniel StaehelinKellerhals Carrard

www.sjwz.ch

I. Die Abtretung nach Art. 260 SchKG

www.sjwz.ch

• Zweck der Abtretung

• Gegenstand der Abtretung

• Verzicht der Gläubiger

• Abtretungsbegehren• Fristansetzung

• Fristverlängerung?

• Verwirkungsfrist

• Wiederherstellung

• Abtretungserklärung• Fristansetzung

• Mitteilung, wer eine Abtretung erhalten hat

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II. Spezielles im Bankenkonkurs

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• Keine Gläubigerversammlung

• Ev. Gläubigerausschuss

• Gebühr von CHF 200.--

• Anwendbares Recht auf Fristenlauf

• Abtretung nach Art. 260 SchKG ist keineVerwertungshandlung (Art. 34 Abs. 3 BIV-FINMA)

• Rechtsmittel gegen Entscheid der Liquidatoren

III. Rechtsfolgen der Abtretung

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• Prozessstandschaft

• Konkursmasse verliert Verfügungsrecht

• Rechtsbegehren: Zahlung an Abtretungsgläubiger

• Möglichkeit, Befugnisse der Masse vorzubehalten

• Verlängerung der Klagefrist

• Verlängerung der Klagefrist nur für Antragsteller?

• Keine Überprüfung der Kollokation im Prozess

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IV. Zulässigkeit der Einreden

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• Einreden gegenüber dem Gemeinschuldner,resp. der Konkursmasse: zulässig

• Einschränkung durch sog. Raschein-Theorie

• Immer zulässig: Verrechnung gegenGemeinschuldner

• Keine persönlichen Einreden gegen Kläger

V. Abtretung laufender Prozesse

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• Analoge Anwendung von Art. 83 Abs. 4 ZPO(Parteiwechsel)

• Keine Anwendung von Art. 83 Abs. 2 ZPO(solidarische Haftung)

• Keine Anwendung von Art. 83 Abs. 2 ZPO (Anspruchauf Sicherstellung in begründeten Fällen)

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VI. Abtretung nach Vergleichsschluss

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• «Echter» Vergleich ist kein Verzicht

• Abtretung fakultativ

• Abtretung gegen Vergleichsinteresse

VII. Unentgeltliche Rechtspflege

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• Kein Anspruch der Konkursmasse

• Anspruch des Abtretungsgläubigers

• Individueller Anspruch auch bei mehrerenAbtretungsgläubigern

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VIII. Mehrere Abtretungsgläubiger(1)

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• Jeder Abtretungsgläubiger kann klagen oder davonabsehen

• Kein Zwang zum gemeinsamen Prozessieren→ "uneigentliche notwendigeStreitgenossenschaft"

• Entscheid in einem Urteil

• Rechtsbegehren: Zahlung (an alle)

• Die Gläubiger haben sich abzusprechen, wo dieKlage einzureichen ist

VIII. Mehrere Abtretungsgläubiger(2)

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• Ein Richter darf die Klage einzelner Gläubiger nichtbeurteilen, solange nicht feststeht, dass kein anderermehr klagen kann

• Weisungen des Konkursamtes auf Antrag einzelnerGläubiger

• Gläubiger müssen nachweisen, dass nicht Klagendeverzichtet haben oder dass Abtretung widerrufenwurde

• Fristansetzung für Nachweis

• Umstritten, ob Voraussetzung, dass alle klagen,Prozessvoraussetzung ist

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VIII. Mehrere Abtretungsgläubiger (3)

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• Art. 70 Abs. 2 ZPO: Rechtshandlungen einesEinzelnen wirken auch für Säumige

• Vereinigung mehrerer Klagen gem. Art. 125 lit. c ZPO

• Verzicht auf das Schlichtungsverfahren bedarfZustimmung aller Abtretungsgläubiger

• Strittig, ob ein Klagerückzug, ein Vergleichsschlussoder die Ergreifung eines RechtsmittelsEinstimmigkeit aller Abtretungsgläubiger erfordert

VIII. Mehrere Abtretungsgläubiger(4)

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• Einzelner Klagerückzug mögl.

• Einzelner Vergleichsschluss nur mögl., wennübrige Gläubiger nicht tangiert werden

• Einzelnes Rechtsmittel problematisch, wennMöglichkeit der Anschlussberufung besteht

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IX. Konsortialvereinbarung

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• Einfache Gesellschaft

• Gesellschafterversammlung

• Exekutivorgan

• Prozessvertreter, Honorierung

• Finanzierung

• Ev. Prozessfinanzierer

• Austritt

• Ausschluss

X. Organ als Abtretungsgläubiger

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• Keine Abtretung an Schuldner der Forderung

• Wo kann dies gerügt werden?

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XI. Schluss des Konkursverfahrens

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• Abtretung gilt fort

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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!Daniel Staehelin

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Prof. Dr. Daniel Staehelin

Prozessstandschaft und uneigentliche notwendige

Streitgenossenschaft; Prozessuales zu Art. 260 SchKG

I. DIE ABTRETUNG NACH ART. 260 SCHKG

1. Zweck der Abtretung: Möglichkeit, dass einzelne Gläubiger einen Prozess

führen, den die Masse nicht führen möchte.

2. Gegenstand der Abtretung: Einziehung bestrittener Forderungen, Vindi-

kation von Gegenständen, Anfechtungsklagen, Verantwortlichkeitskla-

gen, Abwehr von Eigentumsansprachen Dritter, Abwehr gegen den Ge-

meinschuldner im Zeitpunkt der Konkurseröffnung bereits eingeklagter

Forderungen.

3. Verzicht der Gläubiger: auch in Summarverfahren durch Zirkular

(BGE 134 III 75 E. 2.3 = Pra 2008 Nr. 92). Keine Abtretung bei Konkurs-

einstellung mangels Aktiven. Abtretung ohne Verzicht ist nichtig, was im

folgenden Prozess von Amtes wegen zu beachten ist

(BGE 136 III 534 E. 4.1).

4. Abtretungsbegehren: Fristansetzung durch die Konkursverwaltung übli-

cherweise 10 Tage, bei Wohnsitz im Ausland Anspruch auf Verlängerung

(Art. 33 Abs. 2 SchKG). Frist ist Verwirkungsfrist (BGE 138 III 219

E. 3.4.1 = Pra 2012 Nr. 121). Wiederherstellung der Frist gem. Art. 33

Abs. 4 SchKG nur mögl. wenn kein Verschulden. Fristverlängerung gem.

Praxis möglich (Urteil des KGer SG vom 22. September 2014 E. 5a,

GVP 2014, Nr. 83, S. 284; vgl. auch BSK SchKG EB-BAUER Art. 260

ad N 24). Problem: Art. 33 Abs. 1 SchKG.

5. Abtretungserklärung: mit obligatorischem Formular Nr. 7 gem. Art. 2

Ziff. 6 KOV (s. Beilage), Fristansetzung zur Klage und Mitteilung, wer

sonst eine Abtretung erhalten hat.

II. SPEZIELLES IM BANKENKONKURS

1. Grundsätzlich keine Gläubigerversammlung (Art. 14 BIV-FINMA) sofern

es Konkursliquidator nicht für angebracht hält, eine derartige einzuberu-

fen. Daher praxisgemäss kein Entscheid der Gläubiger über Verzicht not-

wendig, auch nicht auf dem Zirkularweg.

2. Wenn Gläubigerausschuss eingesetzt, so entscheidet das von der FINMA

erlassene Reglement über dessen Kompetenz (Art. 15 Abs. 1 BIV-

FINMA).

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3. Gebühr von CHF 200.- praxisgemäss. Wird nicht zurückerstattet, wenn

nach Abtretung darauf verzichtet wird.

4. Anwendbares Recht auf Fristenlauf: umstritten, ob SchKG/ZPO oder

VwVG.

5. Abtretung nach Art. 260 SchKG ist keine Verwertungshandlung (Art. 34

Abs. 3 BIV-FINMA). Daher kann von der FINMA diesbezüglich keine an-

fechtbare Verfügung gefordert werden (vgl. Art. 24 Abs. 2 BankG).

6. Daher kein Rechtsmittel gegen Entscheid der Liquidatoren, bloss Auf-

sichtsbeschwerde gem. Art. 6 BIV-FINMA. Entscheid der FINMA ist keine

anfechtbare Verfügung.

III. RECHTSFOLGEN DER ABTRETUNG

1. Prozessstandschaft: keine Abtretung des Rechtes. Geltendmachung im

eigenen Namen.

2. Konkursmasse verliert Verfügungsrecht.

3. Möglichkeit, Befugnisse der Masse vorzubehalten: beispielsweise Vor-

nahme verjährungsunterbrechender Massnahmen.

4. Rechtsbegehren: Zahlung an Abtretungsgläubiger (BGE 139 III 391 E. 5

= Pra 2014 Nr. 19).

5. Verlängerung der Klagefrist: Praxisgemäss möglich, Problem ebenfalls

Art. 33 Abs. 1 SchKG.

6. Verlängerung der Klagefrist nur für Antragsteller (so BSK SchKG EB-

BAUER, Art. 260 ad N 50 b); m. E. Verlängerung für alle Abtretungsgläu-

biger.

7. Keine Überprüfung der Kollokation im Prozess (BGE 132 III 342 E. 2.2.1).

IV. ZULÄSSIGKEIT DER EINREDEN

1. Einreden gegenüber dem Gemeinschuldner resp. der Konkursmasse: zu-

lässig (BSK SchKG-BERTI, Art. 260 N 62).

2. Einschränkung durch sogenannte Raschein-Theorie (vgl. PETER BÖCKLI,

Schweizer Aktienrecht, 4. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2009, § 18

Ziff. 298 ff.); da Anspruch der Gläubigergesamtheit keine Einreden aus

der Willensbetätigung der Gesellschaft vor dem Konkurs, Décharge.

3. Immer zulässig: Verrechnung mit Forderung gegen Gemeinschuldner

(BGE 136 III 148 = Pra 2010 Nr. 114).

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4. Keine persönlichen Einreden gegen Kläger (BSK SchKG-BERTI Art. 260

N 62; vgl. CORDULA LÖTSCHER, Die Prozessstandschaft im schweizerischen

Zivilprozess, Basel 2016, Rz. 271).

V. ABTRETUNG LAUFENDER PROZESSE

1. Analoge Anwendung von Art. 83 Abs. 4 ZPO (Parteiwechsel): JEANDIN,

Comm. CPC, Art. 83 N 31; LÖTSCHER, a.a.O., Rz. 466 f.

2. Keine Anwendung von Art. 83 Abs. 2 ZPO (solidarische Haftung)

3. Keine Analoge Anwendung von Art. 83 Abs. 2 ZPO (Anspruch auf Sicher-

stellung in begründeten Fällen)

VI. ABTRETUNG NACH VERGLEICHSSCHLUSS

1. «Echter» Vergleich ist kein Verzicht (BGE 86 III 124 E. 3 S 129; 67 III 33

E. 2 S. 39; BSK SchKG-Hierholzer, Art. 250 N 75).

2. Abtretung fakultativ (LUKAS BOPP/MILENA GROB, Vergleichskompetenz der

Konkursmasse, Jusletter 29. Mai 2017, Rz. 17).

3. Abtretung gegen Vergleichsinteresse.

VII. UNENTGELTLICHE RECHTSPFLEGE

1. Kein Anspruch der Konkursmasse (BGE 125 V 371 E. 5c)

2. Anspruch des Abtretungsgläubigers (BGE 109 Ia 5 E. 2 S. 8)

3. Individueller Anspruch auch bei mehreren Abtretungsgläubigern

(BGE 115 Ia 193 = Praxis 1990 Nr. 49)

VIII. MEHRERE ABTRETUNGSGLÄUBIGER

1. Jeder Abtretungsgläubiger kann klagen oder davon absehen

(BGE 121 III 488 E. 2c S. 492 f.).

2. Kein Zwang zum gemeinsamen Prozessieren (BGE 121 III 488 E. 2c

S. 493 f.; 121 III 291 E. 3a S. 294 f.). Jeder Gläubiger, der klagt, kann

einzelne von den übrigen Abtretungsgläubigern unabhängige — selbst

widersprechende — Vorbringen geltend machen und sich durch einen ei-

genen Anwalt vertreten lassen (BGE 121 III 488 E. 2c S. 493;

121 III 291 E. 3a S. 294). Es besteht eine sog. "uneigentliche notwen-

dige Streitgenossenschaft".

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3. Entscheid in einem Urteil (BGE 136 III 534 E. 2.1): Das Gericht muss

jedoch über einen Anspruch der Masse auch dann in einem einzigen Urteil

entscheiden, wenn eine Abtretung an mehrerer Gläubiger vorgenommen

wurde.

4. Rechtsbegehren: Zahlung (an alle); über Verteilung entscheidet nicht das

Gericht, sondern die Konkursverwaltung in spez. Verteilungsliste (Formu-

lar Nr. 7 K Ziff. 5).

5. Die Gläubiger haben sich daher abzusprechen, wo die Klage einzureichen

ist (BGE 121 III 488 E. 2d).

6. Ein Richter darf die Klage einzelner Gläubiger nicht beurteilen, solange

nicht feststeht, dass kein anderer mehr klagen kann (BGE 121 III 488

E. 2d).

7. Weisungen des Konkursamtes auf Antrag einzelner Gläubiger: Stehen

„verschiedene Gerichtsstände zur Verfügung oder vermögen sich die pro-

zesswilligen Abtretungsgläubiger auf ein prozessual abgestimmtes Vor-

gehen nicht zu einigen, so ist es Sache des Konkursamtes [resp. in casu

der Liquidatorin], auf entsprechendes Begehren eines Gläubigers die er-

forderlichen Weisungen zu erteilen, um ein gemeinsames prozessuales

Vorgehen sicherzustellen“ (BGE 121 III 488, 494). Die Sanktion, welche

die Konkursverwaltung androhen kann, wenn ihren Anweisungen nicht

Folge geleistet wird, ist der Widerruf der Abtretung (FRANCO LORANDI, Be-

sprechung von BGE 121 III 488, AJP 1996, S. 1302, S. 1306 Ziff. 2b).

8. Die klagenden Gläubiger haben dann, wenn nicht alle Abtretungsgläubi-

ger klagen, mit Klageeinreichung nachzuweisen, dass diejenigen Gläubi-

ger, die nicht am Prozess vor diesem Gericht teilnehmen, auf ihr Prozess-

führungsrecht verzichtet haben (Urteil des OGer ZH vom 3. November

1997 E. II.1.a, ZR 1999, Nr. 24, S. 97; Urteil des HGer ZH vom 24. Au-

gust 1994 E. 4, ZR 1996, Nr. 97, S. 304) oder es von der Konkursver-

waltung widerrufen worden ist. Der Verzicht muss gegenüber der Kon-

kursverwaltung ausgesprochen worden sein (vgl. CHRISTOPH LEUENBERGER,

Die Streitgenossenschaft der Abtretungsgläubiger nach Art. 260 SchKG,

in: FS Spühler, Zürich/Basel/Genf 2005, S. 195 ff., S. 198).

9. Fristansetzung für Nachweis: Sieht der Richter aufgrund der Nennung der

Abtretungsgläubiger in der Abtretungsurkunde, dass nicht alle Abtre-

tungsgläubiger bei ihm Klage eingereicht haben, so hat er den klagenden

Gläubigern Frist anzusetzen, den entsprechenden Nachweis zu erbringen

(Art. 56 ZPO; LORANDI, a.a.O., S. 1306 Ziff. 2a.; LEUENBERGER, a.a.O.,

S. 198; Urteil des HGer ZH HG 120129-O vom 20. August 2012 E. 4.1.2,

CAN 2012, Nr. 85, S. 223).

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5

10. Es ist umstritten, ob Erfordernis, dass alle klagen, Prozessvoraussetzung

ist: Gemäss der einen Auffassung ist das Erfordernis, dass alle Abtre-

tungsgläubiger, die nicht auf ihr Prozessführungsrecht verzichtet haben

oder denen es nicht entzogen worden ist, klagen und zwar am gleichen

Orte und beim gleichen Gericht, eine Prozessvoraussetzung, da es sich

aus dem SchKG und nicht aus dem materiellen Recht ergibt. Auf eine

Klage, die nicht von allen Abtretungsgläubigern beim gleichen Gericht

eingereicht worden ist, wäre demzufolge nicht einzutreten (LORANDI,

a.a.O., S. 1305 Ziff. 2a; LEUENBERGER, a.a.O., S. 198). Gemäss anderer

Auffassung fehlt es dann an der Aktivlegitimation, womit die Klage abzu-

weisen wäre (Urteil des HGer ZH HG 120129-O vom 20. August 2012

E. 4.1.2, CAN 2012, S. 223).

11. Art. 70 Abs. 2 ZPO: Rechtshandlungen eines Einzigen wirken zu Gunsten

Säumiger. Nur möglich bei bewahrenden Rechtshandlungen, nicht bei

solchen, bei denen über den Streitgegenstand verfügt wird.

12. Haben mehrere Abtretungsgläubiger beim selben Gericht selbständige

Klagen eingereicht, so hat das Gericht diese gemäss Art. 125 lit. c ZPO

zu vereinigen (vgl. BGE 121 III 488, 493 E. 2d; LORANDI, a.a.O., S. 1305

Ziff. 2a; LEUENBERGER, a.a.O., S. 199).

13. Ein Verzicht auf das Schlichtungsverfahren ist nur mit Zustimmung aller

Abtretungsgläubiger möglich (LORANDI, a.a.O., S. 1305 Ziff. 1d; LEUENBER-

GER, a.a.O., S. 200).

14. Darüber hinaus ist strittig, ob ein Klagerückzug, ein Vergleichsschluss

oder die Ergreifung eines Rechtsmittels Einstimmigkeit aller Abtretungs-

gläubiger erfordert (so LORANDI, a.a.O., S. 1305 Ziff. 1d) oder nicht (so

LEUENBERGER, a.a.O., S. 203 ff.). M. E. darf ein Einzelner nicht zum Nach-

teil der Anderen über den Anspruch verfügen. D.h.:

a. Einzelner Klagerückzug mögl.

b. Einzelner Vergleichsschluss nur mögl., wenn übrige Gläubiger nicht

tangiert werden.

c. Einzelnes Rechtsmittel problematisch, wenn Möglichkeit der An-

schlussberufung besteht.

IX. KONSORTIALVEREINBARUNG

1. Einfache Gesellschaft

2. Gesellschafterversammlung

3. Exekutivorgan

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4. Prozessvertreter, Honorierung

5. Finanzierung

6. Ev. Prozessfinanzierer

7. Austritt

8. Ausschluss

X. ORGAN ALS ABTRETUNGSGLÄUBIGER

1. Keine Abtretung an Schuldner der Forderung (BGE 107 III 91 E. 2).

2. Wer hat dies zu überprüfen? Umstritten, ob darüber der Konkursverwal-

ter, resp. auf Beschwerde hin die Aufsichtsbehörde, in der Abtretungs-

verfügung zu befinden hat (BSK SchKG EB-BAUER Art. 260 ad N 30), oder

der Richter (AB GE vom 14. Juni 2012 E. 2.2, BlSchK 2013, S. 82).

3. Wenn Abtretung nichtig ist, kann dies auch vom Gericht überprüft werden

(Urteil des HGer ZH HG 120129-O vom 20. August 2012 E. 5.5, CAN

2012, S. 223; BSK SchKG-Berti, Art. 260 N 30; KURT AMONN/FRIDOLIN

WALTHER, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 9. Aufl.,

Bern 2013, § 47 N 53).

4. Namentlich bei Pauschalabtretungen gegen alle Organe, wenn noch nicht

klar ist, wer überhaupt passivlegitimiert ist und bei denen ein Organ An-

sprüche gegen andere Organe haben kann, sollte es nicht Aufgabe der

Konkursverwaltung sein, hierüber bei der Abtretung zu entscheiden

(BGE 107 III 91E. 2).

XI. SCHLUSS DES KONKURSVERFAHRENS

1. Abtretung gilt fort (Art. 95 KOV; 36 Abs. 2 BIV-FINMA; BSK SchKG EB-

BAUER, Art. 260 ad N 35).

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Form. r K

Abtretungvon Rechtsansprüchender MassegsmässArt. 260SchKG

Die unterzeichnete Konkursverwaltung im Konkurs

bescheinigt hiermit, dass die Mehrheit der Gläubiger dieses Konkurses mit Beschluss vom

anlässlich der Gläubigerversammlung von diesem Datum

gestützt auf einen Antrag durch Zirkular vom

auf die Geltendmachung folgender Rechtsansprüche der Masse verzichtet hat:

Nachdem in

im Konkurse mit einer Forderung von Fr.

in der Klasse zugelassen, innert der hierfür angesetzten Frist nach Art. 260 SchKG

Abtretung dieser Massarechte veriangt hat, wird hiermit

zur Geltendmachung dieser Rechte an Stelle der Masse, in eigenem Namen und auf eigene Rechnung und Gefahr

zur Fortsetzung des von der Masse gegen

gegen die Masse von

eingeleiteten Prozesses an Stelle der Masse, In eigenem Namen und auf eigene Rechnung und Gefahr ausdrücklichermächtigt, gemäss den auf der Rückseite festgesetzten Bedingungen.

Eine aotehe&mächtigung ist bezüglich dergleichen Rechte gleichzeitig auch noch ausgestellt worden an folgende andereKonkursgläubiger

8. 96 10000 34705

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In

mit einer zugelassenen Konkursforderung von Fr.

Diese Ermächtigung ist an folgende Bedingungen geknüpft:

1. Die Abtretung der Prozessführungsrechte an Dritte ist nur zusammen mit der zugelassenen Konkureforderung statthaft.

2. Über das Resultat der Geltendmachung der Massarechte, ob sie gerichtlich oder aussergerichtlich erfolgte, ist der Kon-kursvenvaltung ungesäumt unter Vorlage der Belege Bericht zu erstatten.

3. Sind die auf die Geltendmachung der Rechte gerichteten Schritte ganz oder teilweise von Erfolg begleitet, so kann dasErgebnis, soweit es in barem Geld besteht, nach Abzug der Kosten zur Deckung der obenerwähnten Forderung zurück-behalten werden; ein Ubarschuss ist an die Masse abzuliefern. Besteht das Ergebnis nicht in barem Geld, so ist es derKonkursverwaltung zur Vornähme der Verwertung auszuhändigen.

4. Über die entstandenen Kosten sind der Konkursverwaltung die Ausweise vorzulegen. Eine allfältige gesprochene Pro-zesskostenforderung an die Gegenpartei ist dabei entweder In Abzug zu bringen oder der Konkursverwaltung zum Ein-zug abzutreten.

5. Sind hinsichtlich der gleichen Massarechte mehrere Abtretungen an verschiedene Gläubiger erfolgt, so haben diese ineinem alltälligen Prozessverfahren als Streitgenossen aufzutreten und werden die auf jeden entfallenden Anteile amErlös von der Konkursverwaltung in einer nach Bngang des Berichtes über das Resultat der Geltendmachung derAnsprüche zu erstellenden Verteilungsliste bestimmt.

6. Die Konkursverwaltung behält sich die Annullierung der Abtretung für den Fail vor, dass nicht binnen einer von ihr anzu-setzenden Frist gerichtliche Geltendmachung erfolgt.

7. Für den der Masse aus einer schuldhaften Prozessführung entstehenden Nachteil sind die betreffenden Gläubiger haft-bar.

Ort und Datum Die Konkursverwaltung

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Urteilskopf

121 III 488

94. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 28. November 1995 i.S. S. AG gegen I. AG (Berufung)

Regeste

Art. 260 SchKG; Abtretung an mehrere Gläubiger. Haben sich mehrere Gläubiger denselben Anspruch der Masse abtreten lassen, bilden sie unter sich eine

notwendige Streitgenossenschaft, da nur ein einziges Urteil über den Anspruch ergehen kann; es muss ihnen aber das Recht gewahrt bleiben, unabhängig voneinander Tatsachenbehauptungen aufzustellen, ihren Rechtsstandpunkt zu vertreten und auf eine Weiterführung des Prozesses ohne Rechtsverlust für die übrigen Gläubiger zu verzichten.

Sachverhalt ab Seite 489

BGE 121 III 488 S. 489

Die S. AG (im folgenden Klägerin) gelangte am 28. März 1994 mit Klageschrift und Weisung an das Handelsgericht des Kantons Zürich und beantragte, die I. AG Basel (im folgenden Beklagte) sei zu verpflichten, ihr 200 Namenaktien der M. AG herauszugeben. Sie begründete ihr Begehren im wesentlichen damit, die Beklagte habe die Aktien am 1. Dezember 1987 von F. zur Hinterlegung erhalten; der Kaufvertrag vom selben Tag sei nur simuliert gewesen. Im Konkurs von F. habe das Konkursamt D. ein Aktivum "Anfechtung des Verkaufs von 200 Aktien der M. AG" ins Inventar aufgenommen. Dieser Anspruch sei am 16. August 1988 von der Konkursmasse F. an die Masse der inzwischen ebenfalls konkursiten O. AG abgetreten worden. Die Klägerin belegte, dass ihr dieser Anspruch am 1. April 1993 gemäss Art. 260

SchKG abgetreten worden war und bemerkte, neben ihr seien noch dreizehn weitere Gläubiger zur gerichtlichen Geltendmachung ermächtigt worden. Sie hielt ihre Aktivlegitimation dadurch jedoch in keiner Weise in Frage gestellt, da bis anhin noch keiner der weiteren Gläubiger gerichtlich tätig geworden sei und die anderen Abtretungsgläubiger dem klägerischen Prozess allenfalls beizutreten hätten.

Das Handelsgericht des Kantons Zürich trat mit Entscheid vom 12. Juni 1995 auf die Klage nicht ein, nachdem es der Klägerin mit Beschluss vom 24. August 1994 Frist angesetzt hatte, entweder eine Verzichtserklärung der andern elf Gläubigerinnen - die inzwischen ebenfalls Klage eingereicht hatten - oder eine Erklärung dieser elf Klägerinnen sowie der Beklagten beizubringen, dass sie zum Beitritt im Prozess bereit bzw. mit dem entsprechenden Parteiwechsel einverstanden seien. Zur Begründung hatte das

BGE 121 III 488 S. 490

Handelsgericht im Beschluss vom 24. August 1994 ausgeführt, die prozesswillige Abtretungsgläubigerin könne im Fall einer mehrfachen Abtretung den Prozess nur zusammen mit den andern Abtretungsgläubigerinnen führen, soweit diese den Anspruch ebenfalls gerichtlich geltend machen wollten; zur selbständigen Prozessführung hingegen sei sie nicht legitimiert. Da der Zwang zur Koordination zur Abtretungsbedingung gemacht worden sei, fehle der Klägerin mangels Einhaltung dieser Bedingung das Prozessführungsrecht.

Mit Berufung vom 20. Juli 1995 stellt die Klägerin den Antrag, die Ziffern 1 bis 4 des Beschlusses des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 12. Juni 1995 aufzuheben und die Vorinstanz anzuweisen, auf die von der Klägerschaft am 28. März 1994 erhobene Klage auf Herausgabe von 200 Namenaktien der "M. AG", Pfäffikon SZ, je à nom. Fr. 1'000.-- einzutreten.

Das Handelsgericht des Kantons Zürich hält in der Vernehmlassung an seiner Rechtsauffassung fest. Die Beklagte enthält sich in ihrer Antwort eines Antrages zum materiellen Teil des Berufungsbegehrens, verwahrt sich gegen die von der Klägerin beantragte Kosten- und Entschädigungsfolge und schliesst sich in der Begründung der Ansicht der Vorinstanz an.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Das Handelsgericht hat im angefochtenen Entscheid auf den Beschluss vom 24. August 1994 verwiesen und es demnach gestützt auf Art. 260 SchKG abgelehnt, auf die Klage einzutreten. Die Klägerin macht im Ergebnis in einer Art. 55 Abs. 1 lit. c OG entsprechenden Weise geltend, das Handelsgericht habe Art. 260

SchKG verletzt, indem es davon ausgegangen sei, zwischen den einzelnen Gläubigerinnen, denen Ansprüche der Masse abgetreten worden sind, bestehe notwendige Streitgenossenschaft.

Nach Art. 260 Abs. 1 SchKG ist jeder Gläubiger berechtigt, die Abtretung derjenigen Rechtsansprüche der Masse zu verlangen, auf deren Geltendmachung die Gesamtheit der Gläubiger verzichtet. Das Ergebnis dient nach Abzug der Kosten zur Deckung der Forderungen derjenigen Gläubiger, an welche die Abtretung stattgefunden hat, nach dem unter ihnen bestehenden Rang. Der Überschuss ist an die Masse abzuliefern

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(Abs. 2). Das obligatorische Formular 7F betreffend die Abtretung sieht namentlich vor, dass die Gläubiger gemeinsam vorgehen müssen, wenn derselbe Anspruch an mehrere unter ihnen abgetreten worden ist. Ziffer 5 bestimmt: "Sind hinsichtlich

BGE 121 III 488 S. 491

der gleichen Massarechte mehrere Abtretungen an verschiedene Gläubiger erfolgt, so haben letztere in einem allfälligen Prozessverfahren als Streitgenossen aufzutreten und werden die auf jeden entfallenden Anteile am Erlös von der Konkursverwaltung in einer nach Eingang des Berichts über das Resultat der Geltendmachung der Ansprüche zu erstellenden Verteilungsliste bestimmt" (vgl. FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, Bd. II, Zürich 1993, S. 353 N 38). Die Verpflichtung zu gemeinsamem Vorgehen trifft dabei freilich nur diejenigen Gläubiger, welche tatsächlich von der Abtretung Gebrauch machen und gerichtlich vorgehen wollen (BGE 121 III 291 E. 3a mit Verweisen auf die einhellige Lehre; vgl. auch den in der amtlichen Sammlung nicht veröffentlichten Entscheid des Bundesgerichts vom 3. September 1993 i.S. M./B., E. 3b, publiziert in SJ 1994 S. 62). Ob dagegen die Mehrzahl der prozesswilligen Gläubiger, denen derselbe Anspruch nach Art. 260 SchKG abgetreten wird, unter sich eine notwendige Streitgenossenschaft bilden oder nur eine einfache, ist in der Lehre umstritten und wurde in der Rechtsprechung bislang offengelassen (BGE 121 III 291 E. 3a S. 295, BGE 107 III 91 E. 3c S. 96).

a) Die Streitgenossenschaft ist eine notwendige, wenn mehrere Personen Rechte nur gemeinsam geltend machen oder wenn Rechte ihnen gegenüber nur als Gesamtheit geltend gemacht werden können bzw. wenn mehrere Personen an einem Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass für alle Beteiligten nur im gleichen Sinn entschieden werden kann; in diesem Fall können sie auch im Prozess nur gemeinsam als Partei auftreten; ob dies zutrifft, ergibt sich aus dem materiellen Recht (GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl., Zürich 1979, S. 296, VOGEL, Grundriss des Zivilprozessrechts, 4. Aufl., Bern 1995, S. 138, HABSCHEID, Schweizerisches Zivilprozess- und Gerichtsorganisationsrecht, 2. Aufl., Basel 1990, S. 153, STRÄULI/MESSMER, Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, 2. Aufl., Zürich 1982, N 1 zu § 39, LEUCH/MARBACH/KELLERHALS, Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 4. Aufl., Bern 1995, N 1a und N 2a zu Art. 36, M.-F. SCHAAD, La consorité en procédure civile, Diss. NE 1993, S. 42). Ob sich aus Art. 260 SchKG in gleicher Weise wie aus gewissen Vorschriften des materiellen Bundesrechts eine notwendige Streitgenossenschaft derjenigen Abtretungsgläubiger ergibt, die den abgetretenen Anspruch gerichtlich geltend machen wollen, ist im vorliegenden Fall zu entscheiden. Denn nur unter der Voraussetzung einer notwendigen Streitgenossenschaft durfte die Vorinstanz der Klägerin ohne

BGE 121 III 488 S. 492

Verletzung von Bundesrecht verwehren, den Prozess unabhängig von den übrigen prozesswilligen Abtretungsgläubigerinnen zu führen.

b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts handelt es sich bei der Abtretung nach Art. 260 SchKG

um ein betreibungs- und prozessrechtliches Institut sui generis (BGE 113 III 135 E. 3a; BGE 109 III 27 E. 1a S. 29). VOGEL (a.a.O., 5. Kap. N 40, S. 136) bezeichnet sie als eine Form der Prozessstandschaft. Die Abtretungsgläubiger handeln zwar im Prozess in eigenem Namen, auf eigene Rechnung und auf eigenes Risiko, werden durch die Abtretung indes nicht Träger des abgetretenen Anspruchs; abgetreten wird ihnen nur das Prozessführungsrecht der Masse (FRITZSCHE/WALDER, a.a.O., S. 344 N 21, GILLIÉRON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, 3. Aufl. Lausanne 1993, S. 348). Dass sie denselben, einheitlichen Anspruch geltend machen, spricht im Grundsatz dafür, sie auch zu einem einheitlichen prozessualen Verhalten im Sinn einer notwendigen Streitgenossenschaft zu verpflichten, wie dies die Vorinstanz mit einem Teil der Doktrin vertritt (GILLIÉRON, a.a.O., S. 350 und JdT 1983 II S. 124/125, LEUCH/MARBACH/KELLERHALS, a.a.O., N 1d, 2a zu Art. 36, GULDENER, a.a.O., S. 297 lit. 1e). Denn mit dem Institut der Abtretung nach Art. 260 SchKG geht es nicht nur darum, widersprechende Urteile zu vermeiden (BGE 121 III 291 E. 3a); vielmehr muss die beklagte Partei sich auch nicht auf einen Prozess eines einzelnen Abtretungsgläubigers einlassen, nachdem jeder die gesamte abgetretene Forderung einklagen und der Beklagte mit befreiender Wirkung nur an sämtliche prozessführenden Gläubiger leisten kann (GILLIÉRON, JdT 1983 II S. 125). Diesen Anforderungen haben jedoch kantonale Gerichte zum Teil dadurch Rechnung getragen, dass sie auf Begehren der beklagten Partei oder von Amtes wegen auch bei Ablehnung der Notwendigkeit einer Streitgenossenschaft die Prozesse vereinigt haben (Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 30. April 1953, ZR 52/1953 Nr. 149 S. 250/51, Urteil des Amtsgerichts Luzern-Stadt vom 10. Oktober 1989 in LGVE 1989 I Nr. 16 S. 38, vgl. auch STRÄULI/MESSMER, a.a.O., N 2 und 3 zu § 40).

c) Art. 260 SchKG belässt jedem Abtretungsgläubiger nicht nur das Recht, von der Klageeinleitung überhaupt abzusehen; vielmehr ist ihm auch freigestellt, einen aussergerichtlichen oder gerichtlichen Vergleich abzuschliessen oder aber eine eingeleitete Klage wieder zurückzuziehen (BGE 105 III 135 E. 3 S. 138 mit Verweis). Das Bundesgericht hat denn auch betont, selbst wenn es sich bei der Abtretung nach Art.

260 SchKG um eine

BGE 121 III 488 S. 493

notwendige Streitgenossenschaft handeln würde, bildeten die Streitgenossen kein unteilbares Ganzes. Keiner von ihnen werde an der prozessualen Durchsetzung seines Rechtes gehindert; auch bei der Annahme, es liege eine notwendige Streitgenossenschaft vor, könne der einzelne von den übrigen Gläubigern unabhängige - selbst widersprechende - Vorbringen geltend machen und sich durch einen

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eigenen Anwalt vertreten lassen (BGE 121 III 291 E. 3a S. 294; BGE 107 III 91 E. 3c S. 96). In diesem Sinn gebietet Art. 260 SchKG somit im Unterschied zu gewissen, eine notwendige Streitgenossenschaft begründenden Normen des materiellen Bundesrechtes nicht, dass sämtliche gemeinsam Berechtigte den Prozess einleiten, führen und übereinstimmend handeln (VOGEL, a.a.O. 5. Kap. N 58 S. 141). In der Lehre wird denn auch von einer uneigentlichen notwendigen Streitgenossenschaft (FRITZSCHE/WALDER; a.a.O., S. 355 N 43 Fn. 75; HABSCHEID, a.a.O. S. 154 N 284) bzw. von einer bedingten notwendigen Streitgenossenschaft (SCHAAD, a.a.O., S. 372) gesprochen.

d) Art. 260 SchKG verlangt indes, dass der Richter über einen Anspruch der Masse auch dann in einem einzigen Urteil entscheidet, wenn die Prozessführungsbefugnis über diesen Anspruch an mehrere Gläubiger abgetreten wurde. Nur unter dieser Voraussetzung ist gewährleistet, dass das Ergebnis nach Abzug der Kosten zur Deckung der Forderungen der prozessführenden Abtretungsgläubiger entsprechend ihrem Rang verwendet werden kann, wie es Art. 260 Abs. 2 SchKG vorschreibt. Das Anliegen, widersprechende Urteile über denselben Anspruch zu vermeiden, - das namentlich dann unabdingbar ist und nicht nur im Interesse des Beklagten liegt, wenn wie im vorliegenden Fall ein Anspruch auf Herausgabe einer bestimmten Sache oder Sachgesamtheit Gegenstand der Abtretung bzw. der prozessualen Geltendmachung durch die Gläubiger bildet - könnte zwar auch durch die Grundsätze der materiellen Rechtskraft und der Litispendenz gewahrt werden. Damit wäre jedoch dem Prinzip der Gleichbehandlung nicht Rechnung getragen. Die Gläubiger, welche sich einen Anspruch abtreten lassen und diesen mittels Klage durchsetzen wollen, haben sich daher abzusprechen, wie es Ziffer 5 des Formulars verlangt. Sie bilden in dem Sinn eine notwendige Streitgenossenschaft, als der Richter die Klage eines einzelnen oder einzelner Gläubiger nicht beurteilen darf, solange nicht feststeht, dass kein anderer mehr klagen kann. Sofern der mit der Klage einzelner Gläubiger befasste Richter zur Beurteilung des abgetretenen Anspruchs ausschliesslich zuständig ist, erscheint es zwar bundesrechtlich

BGE 121 III 488 S. 494

nicht als ausgeschlossen, verschiedene Klagen zu vereinigen und den bundesrechtlichen Anforderungen auf diese Weise Rechnung zu tragen (BGE 107 III 91 E. 3c S. 96, LGVE 1989 Nr. 16, STRÄULI/MESSMER, a.a.O., N 2 und 3 zu § 40). Stehen jedoch verschiedene Gerichtsstände zur Verfügung oder vermögen sich die prozesswilligen Abtretungsgläubiger auf ein prozessual abgestimmtes Vorgehen nicht zu einigen, so ist es Sache des Konkursamtes, auf entsprechendes Begehren eines Gläubigers die erforderlichen Weisungen zu erteilen, um ein gemeinsames prozessuales Vorgehen sicherzustellen.

e) Der Richter ist somit von Bundesrechts wegen nicht verpflichtet, die Klage bloss einzelner prozesswilliger Abtretungsgläubiger zu behandeln, und ist überdies auch nicht berechtigt, auf einzelne Klagen einzutreten, wenn z.B. wegen verschiedener möglicher Gerichtsstände die Klagen sämtlicher Gläubiger nicht vereinigt werden können. Besteht die Möglichkeit, alle Klagen in einem einheitlichen Verfahren zu vereinigen, so ist es Sache des kantonalen Prozessrechts, zu bestimmen, in welchem Zeitpunkt und auf welche Weise dies zu geschehen hat. Das Bundesrecht hingegen schreibt vor, dass sämtliche Klagen im selben Verfahren beurteilt werden und dass über den einheitlichen Anspruch, der Gegenstand der mit der Abtretung verliehenen Prozessführungsbefugnis bildet, ein einheitliches Urteil ergeht. In diesem Sinn ist die Streitgenossenschaft der Abtretungsgläubiger eine notwendige. Eine einheitliche Prozessführung darf indes von den Gläubigern nicht verlangt werden. Auch wenn sie nach dem massgebenden kantonalen Recht die Verfahrensregeln der notwendigen Streitgenossenschaft zu beachten haben, muss ihnen daher vorbehalten bleiben, unabhängig von den andern Klägern Tatsachenbehauptungen aufzustellen, ihren Rechtsstandpunkt zu vertreten und auf eine Weiterführung des Prozesses zu verzichten, ohne dass dies den Rechtsverlust für die übrigen Gläubiger zur Folge hätte.

f) Im vorliegenden Fall ist die Vorinstanz auf die Klage nicht eingetreten, weil weitere elf Gläubigerinnen denselben Anspruch ebenfalls eingeklagt haben. Sie hat auf den Beschluss vom 24. August 1994 verwiesen und es damit aus Gründen des kantonalen Prozessrechts als unmöglich bezeichnet, die Verfahren im aktuellen Stadium der Prozesse zu vereinigen, was der Überprüfung durch das Bundesgericht im vorliegenden Verfahren nicht zugänglich ist (Art. 43 OG). Mit der Auffassung, sämtliche prozesswilligen Gläubigerinnen seien nach Art. 260 SchKG notwendigerweise zu einer

BGE 121 III 488 S. 495

Streitgenossenschaft verpflichtet, wenn sie den identischen Anspruch der Masse einklagen wollen, hat die Vorinstanz demnach die massgebliche Norm des Bundesrechts zutreffend ausgelegt. Dies führt zur Abweisung der Berufung.

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96. 97. 302- -303 97.

Schlusses befanden und andere Verbind-lichkeiten an dem Orte zu erfüllen, wo derSchuldner zur Zeit ihrer Entstehung seinenWohnsitz hatte. Dabei wird bei eegenseitigenVerträ en der Erfüllun sort 'eder Einzel-ver flichtun für sich alleine bestimmt- es hat

nicht der Vertrag als solcher einen Erfüllungs-ort. Vielmehr kann es innerhalb desselben

Vertragsverhältnisses mehrere Erfüllungsortegeben (Weber, Berner Kommentar zu Art.68-96 OR, Bern 1983, N 54 zu Art. 74 OR,m.w.H.).

6.2. Im Rahmen des Zuständi^keitsent-scheides ist dabei von dem'eni en Sachverhaltauszu eben auf den der Klä er seinen An-s ruch stützt (vgl. dazu auch Ziff. IV3.2. undIV.4. vorstehend). Insbesondere ist es also vor-liegend nicht Auf abe des Handels erichtsdie materielle Prüfun vorwe zunehmen undabzuklären ob die Parteien auch tatsächlicheinen Vertra eschlossen haben um hernach

daraus auf einen allfälligen (vereinbarten odergesetzlichen) Erfüllungsort zu schliessen. Dieshiesse wahrlich das Pferd am Schwänze aufzu-zäumen.

6.3. Dass nun in casu bezüglich der Leistungder Beklagten ein Erfüllungsort in Zürich ge-geben wäre, kann angesichts der klägerischenEinkaufsbestätigung ohne weiteres ausge-schlössen werden: Wenn die Parteien über-

haupt (stillschweigend; eine ausdrückliche Er-klärung findet sich ohnehin nicht) einen Er-füllungsort vereinbart haben, so liegt diesersicherlich nicht im Kanton Zürich, sondern

allenfalls in Novopolock. Darauf könnte dieWendung <wird durch uns aufgegeben> hin-deuten; der Incoterm <fot Novo olock> da e-en betrifft nicht den Erfüllun sort sondern

die Kosten- oder allenfalls die Gefahrtra undes Trans orts Weber, a. a. O., N73 zuArt. 74OR, m.w.H.).

Der gesetzliche Erfüllungsort befindet sichebenfalls nicht in Zürich, ist doch Vertragsge-genstand eine Gattungsware (<etwa 400 Ton-nen LDPE>) und sind solche Verbindlichkei-ten nach Art. 74 Abs. 2 Ziff. 3 OR am Wohn-sitz des Schuldners zu erfüllen. Dieser liegtaber in Belgien.

6.4. Die Klägerin kann demnach die von ihrbehauptete Zuständigkeit des Handelsge-

richts Zürich auch nicht auf Art. 113 IPRGabstützen.

7. Nur am Rande sei noch erwähnt, dassauch nach belgischem Recht Erfüllungsort derbeklagtischen Verpflichtung nicht Zürichwäre: Gemäss Art. 1247 des belgischen CodeCivil ist ebenfalls zunächst massgebend, wasdie Parteien vereinbart haben. Hiezu kann aufdie unter Ziff. IV6.3. vorstehend gemachtenAusführungen verwiesen werden. Ist ein über-einstimmender Parteiwille nicht eruierbar, so

stehen zwei gesetzliche Erfüllungsorte zurDiskussion: Während bestimmte Sachen an

deren Lageort zu übergeben sind (Art. 1247Abs. l belg. CC), haben alle ändern Schulden- also insbesondere auch Gattungsschulden -am Sitz des Schuldners beglichen zu werden(Art. 1247 Abs. 2 belg. CC).

V. Auf die Klage ist daher mangels örtlicherZuständigkeit nicht einzutreten. (... ).»

Beschluss des Handelsgerichtesvom 9. Januar 1996

(Mitgeteilt von lic. iur. Martin Langmeier)

97.Art. 260 SchKG. Mehrheit von Abtre-

tungsgläubigern.Nach Art. 260 SchKG sind sämtliche pro-zesswilligen Gläubiger notwendigerweise zueiner Streitgenossenschaft verpflichtet. Eindiesbezüglicher Mangel in der Klageeinlei-tung kann nach z. ürcherischem Prozessrechtnicht durch die Vermehrung der Parteiengeheilt werden.

Aus den Erwägungen:«Hintergrund des Sistierungsstreites ist die

Frage, ob der prozesswillige Abtretungsgläu-biger den Ans räch im Falle einer mehrfachenAbtretun nur zusammen mit den ändern el-tend machen kann oder ob er zur selbstän-.di en Prozessführun le itimiert ist. Entschei-dend ist hierbei, ob Ziffer 5 des vom Bundes-

gericht vorgeschriebenen Abtretun sformularsals zwin end an esehen wird oder nicht. Dort

wird dem Abtretungsgläubiger zur <Bedingung>gemacht, dass er <in einem allfälligen Prozess-verfahren als Streitgenosse aufzutreten habe>.

. 1. Die Antwort kann nicht einheitlich aus-fallen. Sie hat danach zu unterscheiden obauch die anderen Abtretun s läubi er von ih-rem Prozessführun srecht Gebrauch machenwollen oder nicht. Falls nicht kann Ziffer 5keine Bedeutun haben. Zu einem gemeinsa-men Vorgehen mit solchen Gläubigern bestehtkein Anlass. Die Durchsetzung des Anspru-ches wird dadurch nicht gefördert. Im Gegen-teil. Eine Pflicht zum gemeinsamen Vorgehenwürde nur dazu führen, dass die untätigen denprozesswilligen Abtretungsgläubiger behin-dem oder dessen Klage sogar verhindernkönnten. Dem Abtretungsgläubiger ist ja kei-ne Möglichkeit gegeben, um die ändern zumMitmachen zu zwingen. Der prozesswilligeGläubiger wäre damit zu Konzessionen hin-sichtlich des Prozesserlöses gezwungen. Daskann aber nicht der Sinn des Abtretungsfor-mulars sein. Die passiven Abtretungsgläubi-ger verdienen keinen Schutz. Es ist nicht ein-zusehen, wieso sie die gerichtliche Geltendma-chung erschweren und unattraktiv machensollen können. Lehre und Rechts rechunsind sich denn auch eini dass die Re el von

Ziffer 5 im Verhältnis zu untäti en Abtre-tun s läubi ern keine zwin ende Bedeu-tun haben kann. Jeder Abtretun s läubi ersoll e enteilsden anzenAns ruchunabhän-i von den anderen eltend machen und sich

sofern er mit seinem ProzessErfol hat darausauch ohne Rücksicht auf die anderen befriedi-en können. Nur so wird gewährleistet, dass

der Anspruch auch wirklich durchgesetzt wird,und zwar selbst dann, wenn nur einer von vielenbereit ist, die Mühen und Risiken eines Prozesseseinzugehen (BGE 4l III 337-339, 43 III 164-165,107 III 95; Jean Rachsmann, Die Abtretungder Rechtsansprüche der Konkursmasse nachArt. 260 SchKG, Affoltem 1927, S. 105 f. ; RalfSchlaepfer, Abtretung streitiger Rechtsansprü-ehe im Konkurs, Zürich 1990, S. 172 f. ).

2. Im Verhältnis zu Abtretun s läubi erndie ihre Prozessführun srechte ebrauchenund selbst kla en wollen ist die Situation

anders. Hier liegt das Problem mehr in derKoordination der verschiedenen Inkasso-

bemühungen. Ein getrenntes Vorgehen kostetnämlich nicht nur mehr, es führt auch zu gegen-seitigen Behinderungen. Es kann nicht dereine das Inkasso durch einen Vergleich errei-chen und der andere im selben Moment einenProzess durchführen wollen. Trotz Auftretenim ei enen Namen machen'a alle Abtretun s-läubi er dasselbe Recht derselben Konkurs-

masse eltend. Einer mehrfachen Prozessfüh-

rung steht deshalb auch die Rechtshängigkeitdes Erstprozesses entgegen. Soll die Abtre-tun nicht zu einem <Rennen> um die ersteKla eeinleitun ausarten muss den Gläubi-em also ein Zwan zur Koordination aufer-

le t werden. Und darin lie t auch der Sinn vonZiffer 5. Die dort statuierte Pflicht zum ge-meinsamen Auftreten führt die Abtretungs-gläubiger weg vom schädlichen Konkurrenz-druck und hin zu einer gegenseitigen Koordi-nation und Kontrolle. Damit wird die Sor faltin der Rechtsdurchsetzun efördert und wer-den Einzelabs rächen mit dem Drittschuldnerverunmö licht. Ziffer 5 des Abtretungsformu-lars ist damit zweifellos zwin ender Natur.

Lehre und Rechtsprechung sprechen von<Abtretungsbedingungen>. Der Zwang wirddadurch bewirkt, dass das Prozessführun s-recht von der Konkursverwaltun nicht vor-aussetzun slos ab etreten sondern mit der<Bedin un > von Ziffer 5 verbunden wird. Das

Prozessführungsrecht wird also davon abhän-gig gemacht, dass die Gläubiger gemeinsamvorgehen. Der Abtretungsgläubiger kann denMasseanspruch deshalb nur dann einklagen,wenn kein anderer in derselben Sache klagt.Und ein von ihm erwirkter Ver leich ist für dieMasse nur dann verbindlich wenn alle Pro-zessführun srechtsinhaber zustimmen. Diese

gegenseitige Abhängigkeit ist nichts anderesals eine besondere Art von notwendi er Streit-enossenschaft (BGE 43 III 164-166, 49 III

124-125, 93 III 64; Flachsmann, a. a. O., S. 21-

22; Schlaepfer, a.a.O., S. 179-186; Max Gulde-ner, Schweizerisches Zivilprozessrecht, Zürich1979, S. 297; Hans-Ulrich Wälder, Problem umArt. 260 SchKG, SJZ 22 [1958] S. 65-71; GeorgLeuch, Zivilprozessordnung für den KantonBern, Bern 1956, S. 71; Jürg Geiger, Streit-

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97. -304- 305 97. 98.

genossenschaft und Nebenintervention,Aarau 1969, S. 113 und S. 131; WaltherHabscheid, Schweizerisches Zivilprozess-recht, Basel 1990, N 284).

3. Diese Streit enossenschaft ist insofernetwas besonderes als sie ihren Grund nicht immateriellen sondern im formellen Recht fin-

det. Klagen einzelner Abtretungsgläubigerscheitern im Unterschied zu anderen Streitge-nossenschaften nicht an der Begründetheit desAnspruches, sondern am Recht, den Anspruchfür die Masse geltend zu machen. Denn wenndie Abtretungsgläubiger auch nicht gemein-sam auftreten, so kann der geltend gemachteAnspruch ja trotzdem begründet sein. Hiersind allein die Rechte des Gemeinschuldners

massgebend. Bei einem Ziffer 5 widers re-chenden Vor eben wird auch nicht die derKonkursmasse zustehende Le itimation amAns ruch tan iert. Diese richtet sich allein

nach dem Umfang des Konkursbeschlages. Anwas es aber fehlt ist das Recht über den An-s rych einen Prozess zu führen oder kürzer:das Prozessführun srecht. Auch wenn der Ab-

tretungsgläubiger im eigenen Namen auftritt,so will er ja nicht Träger des Anspruches sein,sondern diesen nur stellvertretend für dieMasse geltend machen. Kla t er in Verletzunder in Ziffer 5 esetzten Bedin un so masster sich damit nicht einen fremden Ans ruchan sondern nur das Recht einen fremden An-s räch eltend zu machen. Sein Vor ebenleicht einer Kla eeinleitun ohne Prozess-

vollmacht. Und es erscheint angemessen, seineKlage auch so wie die eines nicht bevollmäch-tigten Vertreters zu behandeln: Ihr keineFol e zu eben und nicht auf sie einzutreten(Habscheid, a. a. O-, N281 und N284; Sträuli/Messmer, Kommentar zur Zürcherischen Zivü-

prozessordnung, Zürich 1982, N3 zu §29 ZPOund Text zu § 38 ZPO; SträuU/Häuser, Kom-mentar zur Zivüprozessordnung, Zürich 1939,S. 110; HansUlrich Wälder, Prozesseriedigungohne Anspruchsprüfung, Zürich 1966, S. 16).

4. Es stellt sich damit die Fra e ob einsolcher Man el in der Kla eeinleitun nach-trä lich eheilt werden kann. Im ersten

Moment scheinen verschiedenste prozess-rechtliche Institute anwendbar. Eine nähere

Analyse des Zürcher Prozessrechtes zeigt in-

des, dass nur diejenigen Aussicht auf Erfolghaben, die nicht die Parteien vermehren, son-dem nur deren Prozessführungsrechte. An-satzpunkt ist dabei die Re el von 38 ZPOwonach bei fehlender oder ungenügenderVollmacht dem Vertreter und der Partei Gele-enheit zur Behebun des Man eis gegeben

wird, und eine nachgebrachte Vollmacht dannals Genehmigung der früheren Prozesshand-lungen gilt. Bei vorprellenden Abtretungs-gläubigem ist vom Träger des Anspruches, derKonkursmasse, zwar keine Genehmigung zuerwarten; deren Verwaltung ist verpflichtet,die vom Bundesgericht erlassenen Bedingun-gen weiterzugeben und kann nicht im Einzel-fall davon abweichen (Art. 2 Ziff.. 6 KOV).Und die anderen Abtretungsgläubiger kön-nen, da sie nicht Träger des Anspruches sind,dessen Prozessführung auch nicht wirklich ge-nehmigen. Da Ziffer 5 des Abtretungsformu-lars das Prozessführungsrecht des Klagendenindes vom Prozessführungsrecht und Handelnder anderen Abtretungsgläubiger abhängigmacht, können sie die Situation bei gutem Wil-len aber trotzdem retten. Sie können nämlichentweder rückwirkend auf ihr Prozessfüh-run srecht verzichten oder dieses dem Kla-enden nachträ lich_übertra en. In einem wie

im anderen Fall wird eine Situation eschaf-fen die es dem Kla enden erlaubt den Mas-senans ruch nun ohne Anfeindun en hin-sichtlich seiner Person durchzuführen (BGE86 I 8; Sträuli/Messmer, a. a. O., Text zu § 38ZPO mit vielen Hinweisen).

5. Prozessrechtliche Institute die den Man-

el durch eine Vermehrun der Parteien zuändern suchen sind nach dem hiesi en Pro-zessrecht indes nicht zulässi . Die Zürcher Zi-vilprozessordnung geht nämlich von der Fixie-rung der Parteien im Zeitpunkt der Rechts-hängigkeit aus und bietet der klagenden Seiteausser im Falle der unrichtigen Parteibezeich-nung keine Möglichkeit, sich dabei ohne Zu-Stimmung der Gegenseite zu verbessern (§ 49Abs. 2 ZPO; Oscar Vogel, Grundriss des Zivil-prozessrechts, Bern 1992, N 57a zum 8. Kapi-tel; Sträuli/Messmer, a.a.O., N 3 zu § 107 ZPO;Habscheid, a.a.O-, N 296). Vor der Revisionvon 1976 war solches zwar noch möglich. Da-mals erlaubte die Zürcher Rechtsprechung,

die Sachlegitimation durch eine Vermehrungder Parteien nachträglich herzustellen (ZR 24[1925J S. 193 f, ZR 35 (1936) S. 182 f, ZR 53[1954] S. 316; kritisch Geiger, a. a.O, S. 74-76).Grundlage dieser Rechtsprechung war §37Abs. 2 aZPO. Dieser wurde in der Revision1976 indes ersatzlos gestrichen. Und zwar des-halb, weil man die Folgen (und damit auch dieMöglichkeiten zur Heilung) von fehlerhaftenProzesseinleitungen dem materiellen Rechtüberlassen wollte, bei Streitgenossenschaftenaus materiellem Recht also bewusst eine Ab-

Weisung mangels Sachlegitimation in Kaufnahm (Votum Prof. Güldener zu § 37 Abs. 2aZPO im Vorentwurf zur Revision der Zivil-prozessordnung vom 14. August 1963; Proto-koll der Expertenkommission zur Revisionder Zürcher Zivilprozessordnung, S. 47). Dementspricht, dass in derselben Revision aucheine andere Art der Korrektur fehlerhafterKlagen, nämlich die Beiladung, ausdrücklichabgelehnt wurde (Protokoll S. 48-50; ZR 90[1991] S. 29). Der Prozessbeitritt wurde des-gleichen auf Sachlegitimationsänderungennach Eintritt der Rechtshängigkeit beschränkt(Sträuli/Messmer, a. a. O., N l undN 9zu §49ZPO); und die Prozessvereinigung nur bei dereinfachen Streitgenossenschaft 'vorgesehen,dort also, wo sowieso nur prozessökonomischeund nicht materiell- oder prozessführungs-rechtliche Gründe eine Rolle für die Zusam-

menfassung der Klagen spielen können (§ 40Abs. 3 ZPO im Unterschied zu §39 ZPO;Sträuli/Messmer, a.a. O., N 10 zu § 40 ZPO;Geiger, a.a.O-, S. 12 f. ; Güldener, a.a.O., S. 298 f;und S. 303). Damit wird aber klar, dass die vor1976 angewandten Rechtsbehelfe heute keineAnwendung mehr finden können. Und nachheutigem Prozessrecht ist es, ausser die Gegen-seite sei einverstanden, mcht mehr mögUch, dieSachlegitimation durch eine Vermehrung derParteien im nachhinein richtigzustellen. Es be-steht kein Anlass, es bei Mängeln im Prozessfüh-rungsrecht nach Art. 260 SchKG anders zu hal-ten (so im Ergebnis schon ZR 22 (1923) S. 93 f.).»

Aus den Erwägungen des Bundesgerichtes:«2....

e) Der Richter ist somit von Bundesrechtswe en nicht ver fliehtet die Kla e bloss ein-

zelner rozesswilli erAbtretun s läubi er zubehandeln und ist überdies auch nicht berech-ti t auf einzelne Kla en einzutreten wennZ. B. we en verschiedener mö licher Gerichts-stände die Kla en sämtlicher Gläubi er nichtvereini t werden können. Besteht die MO -lichkeit alle Kla en in einem einheitlichenVerfahren zu vereini en so ist es Sache deskantonalen Prozessrechts zu bestimmen inwelchem Zeit unkt und auf welche Weise dieszu eschehen hat. Das Bundesrecht hin e enschreibt vor dass sämtliche Kla en im selbenVerfahren beurteilt werden und dass über deneinheitlichen Ans ruch der Ge enstand dermit der Abtretun verliehenen Prozessfüh-run sbefu nis bildet ein einheitliches Urteiler eht. In diesem Sinn ist die Streit enossen-schaft der Abtretun s läubi er eine notwen-di e. Eine einheitliche Prozessführun darfindes von den Gläubi ern nicht verian t wer-

den. Auch wenn sie nach dem massgebendenkantonalen Recht die Verfahrensregeln dernotwendigen Streitgenossenschaft zu beach-ten haben, muss ihnen daher vorbehaltenbleiben unabhän i von den ändern Klä ernTatsachenbehau tun en aufzustellen ihrenRechtsstand unkt zu vertreten und auf eineWeiterführun des Prozesses zu verzichten,ohne dass dies den Rechtsveriust für die übri-enGläubi er zur Fol e hätte.»

Handelsgericht, Beschluss vom 24. August 1994;Bundesgericht, Urteil vom 28. November 1995(Mitgeteilt von Dr. Marcel Rochaix)

98.Art. 3, 13, 59 MSchG. Art. 28c ZGB. Mar-kenschutz. Vorsorgliche Massnahmen. Ge-genseitiges Dulden. Gleichgewichtslage.Verwirkung durch Zuwarten.Jahrzehntelanges gegenseitiges Dulden ver-bietet das Abstellen auf formale Rechts-Positionen. Behaßen der Parteien aufRechts-begehren. Verwirkung des Anspruches aufErlass vorsorglicher Massnahmen durch

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ZR 98 (1999) -97- 24. 25.

24.Art. 260 SchKG. Prozessführungsrechteines Abtretungsgläubigers von mehreren.Wird ein Masseanspruch einer Kollektivge-Seilschaft abgetreten, so kann ein Abtre-tungs gläubiger jenen nur dann alleine ein-klagen, wenn kein anderer Kollektiv gesell-schafter in derselben Sache klagt.

Aus den Erwägungen des Obergerichtes:«II.

l. Am 23. September 1992 wurde die Kläge-rin, eine Kollektivgesellschaft, - nebst dreiweiteren Konkursgläubigern - im Konkursdes A. ermächtigt, folgenden Anspruch gegenden Beklagten auf eigene Rechnung und Ge-fahr geltend zu machen:

<Schadenersatzforderung von mindestens Fr.50 000-wegen unzulässiger Übernahme von Man-daten gegen die Interessen des Konkursiten.>

a) Mit der Abtretun im Smne von Art. 260SchKG an mehrere Abtretun s läubi er erhält'eder einzelne die Befu nis und die Verpflich-tun zur Geltendmachun des anzen Rechts.

Die Abtretungsgläubiger bilden eine Streitge-nossenschaft, die in Lehre und Rechtsprechungzum Teil als notwendige, zum Teil als einfacheund teilweise als uneigentliche Streitgenossen-schaft bezeichnet wird (FrüzscheAValder,Schuldbetreibung und Konkurs nach schweize-rischem Recht, Band II, Zürich 1993, § 51 N 43mit Verweisen; Schlaepfer, Abtretung streitigerRechtsansprüche im Konkurs, Diss. Zürich1990, S. 172 ff. ; ZR 95 Nr. 97; BGE 121 III 488 ff.mit Verweisen auf frühere Entscheide).

EinAbtretun s läubi er kann den Masse-absprach nur dann - alleine - einkla en wennkein andere^m_derselben_Sache_klagt, Ziff. 5des - vom Bundesgericht vorgeschriebenen -Abtretungsformulars hält dies fest und machtdas Prozessführungsrecht des Klagenden voneben diesem Recht der anderen Abtretungs-gläubiger und deren Handeln abhängig. Jenekönnen - auch rückwirkend - auf ihr Prozess-

fuhryn srecht verzichten oder dieses demKläger nachträ lichübertra en BGE 121 III490, 493 f. . Eine Heilun des Man eis ist

damitmöglich, indessen vom Kläger d_arzytyn§§ 54, 113 ZPO .

b) Nachdem sich vorlie end aus den Aktenergibt, dass ausser der Klä erin noch dreiweitere Abtretungs läubi er vorhanden sindüber deren Willen zur Ausübun ihres Rechtsaber nichts aktenkundi ist leidet die Klage

der Klägerin am erwähnten Man el da siediesfalls alleine kein Klagerecht hat. Nachdemder Bekla te diesen Umstand schon vor Vor-

Instanz gerügt und die Klägerin nicht reagiertJ]^, braucht sie hiezu nicht nochmals angehörtzu werden (Sträuli/Messmer, Kommentar zurZürcherischen Zivilprozessordnung, § 55 N 6).Fol edessenistaufdieKla e nicht einzutreten(ZR 95 Nr. 97 S. 304 E. 3 mit Hinweisen undBGE 121 III 494).»

Obergericht, I. Zivilkammer,Beschluss vom 3. November 1997

(Mitgeteilt von Dr. R. Klopfer)

(Das Kassationsgericht hat die gegen denobergerichtlichen Entscheid gerichtete Nich-tigkeitsbeschwerde mit Beschluss vom 25. Juli1998 abgewiesen.)

25.Art. 187 Ziff. l Abs. 3 StGB. Einbeziehen

eines Kindes in eine sexuelle Handlung viaTelefon ist möglich, auch wenn das Kinddie sexuelle Bedeutung des Vorgangesnicht versteht.

Die akustische Wahrnehmung (in casu auf-fälliges Atmen und Stöhnen sowie Ge-spräche sexuellen Inhalts) reicht, um einKind in eine sexuelle Handlung einz. ubezie-hen. Art. 187 StGB strebt einen umfassen-den Jugendschutz. an und will verhindern,dass ein Kind zum Sexualobjekt gemachtwird (Erw. III).

Aus einem Entscheid des Obergerichts:«III. l. Bei Art. 187 StGB steht das Schutz-

gut der normalen, ungestörten sexuellen Ent-Wicklung junger Menschen im Vordergrund.Kinder und Jugendliche sollen vor verfrühten