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a1 Deutscher Städte- und Gemeindebund www.dstgb.de Verlagsbeilage „Stadt und Gemeinde INTERAKTIV“ Ausgabe 5/2005 Zukunft der Kommunen DStGB DOKUMENTATION N O 46

Zukunft der Kommunen - DStGB · Der Oberbürgermeister von Hannover sprach von der „Ausweidung“ der Kommunen durch die Bundespolitik. Das war faktisch einerseits zutreffend und

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Page 1: Zukunft der Kommunen - DStGB · Der Oberbürgermeister von Hannover sprach von der „Ausweidung“ der Kommunen durch die Bundespolitik. Das war faktisch einerseits zutreffend und

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Deutscher Städte-und Gemeindebund

Deutscher Städte-und Gemeindebundwww.dstgb.de

Verlagsbeilage „Stadt und Gemeinde INTERAKTIV“ Ausgabe 5/2005

Zukunft der Kommunen

DStGBDOKUMENTATION NO 46

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Ohne starke Kommunen keine Zukunft!

Wir leben in einer Welt, die tief greifenden Wandlungen unterworfen ist. Schon ein Blick in die Tageszeitungen dokumentiert, dass die Bürgerinnen und Bürger mitt-lerweile fast jede Woche mit der Ankündigung eines neuen großen Reformvorha-bens konfrontiert werden. Dies gilt nicht nur für die Politik, die in Deutschland auf der Ebene des Bundes und der Bundesländer gestaltet wird. In einem immer grö-ßer werdenden Ausmaß wird für die Menschen und für die Unternehmen begreif-bar, wie sich Internationalisierungs- und Globalisierungsprozesse auf das Leben vor Ort, bis vor die eigene Haustüre hin auswirken. Dies zeigen zum Beispiel der fort-schreitende Integrationsprozess in der erweiterten Europäischen Union und die Tatsache, dass auch die Wirtschafts- und damit die Arbeitsmärkte zunehmend un-ter einem Globalisierungsdruck stehen, beziehungsweise von den internationalen Wirtschaftsentscheidungen mit geprägt werden.

In diesen aufgeregten Zeiten wächst unseren Städten und Gemeinden, unseren Heimatregionen eine wichtige Aufgabe zu. Die eigene Stadt und die eigene Ge-meinde prägen das unmittelbare Lebensumfeld unserer Bürgerinnen und Bürger und sind damit in besonderer Weise dazu prädestiniert, Identifizierung, Sicherheit und Vertrauen für die Bürgerinnen und Bürger zu stiften. Dies zeigt sich beispiels-weise in der aktuellen Diskussion über die Gewährleistung kommunaler Dienste der Daseinsvorsorge im Interesse der Menschen.

Diese Entwicklungen waren für den Deutschen Städte- und Gemeindebund An-lass genug, bei der vom Deutschen Bundestag herausgegebenen Zeitung „Das Par-lament“ eine Schwerpunktausgabe über den Zustand und über die Zukunft der Kommunen anzuregen. Diesem Appell ist „Das Parlament“ nachgekommen und mit der dann erarbeiteten Dokumentation ist es gelungen, mehr als nur einen Mo-mentausschnitt über die Situation der Städte und Gemeinden in Deutschland dar-zustellen und zu dokumentieren. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat sich dazu entschlossen, diese Sonderausgabe von „Das Parlament“ in dieser DStGB-Dokumentation auszugsweise festzuhalten und Ihnen zur Verfügung zu stellen. Die Sammlung der Beiträge und Aufsätze zeigt, wo die aktuellen Themen und Pro-bleme der Städte und Gemeinden in Deutschland liegen, allerdings auch, auf wel-che traditionsreiche Geschichte diese zurückblicken können und vor welchen Her-ausforderungen sie in der Zukunft stehen.

Zusammenfassend möchte ich hierzu festhalten, dass der Titel dieser Dokumen-tation „Zukunft der Kommunen“ durchaus auch in einem umgekehrten Sinne eine gleiche Berechtigung hätte: „Ohne starke Kommunen keine Zukunft!“

Ihr Dr. Gerd Landsberg

Nachdruck derAusgabe 1-2/2005 von

„Das Parlament“,mit freundlicher

Genehmigung derRedaktion

„Das Parlament“.

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Inhalt

Jenseits des JammertalsFür die Kommunen ändert sich in diesem Jahrzehntfast allesVon Rüdiger Soldt 2

„Wir wollen gar nicht wachsen“Schleswig-Holstein: In Gemeinden mit wenigerals 70 Einwohnern regeln die Bürger ihre Belange selbstVon Christian Hauck 4

Blick in einen Mikrokosmos der DemokratieIm badischen Waldkirch regiert der Gemeinderatim Konsens und doch kocht bisweilen heißer Streit hochVon Karl-Otto Sattler 5

Von A wie Abfallbeseitigung bis Z wie ZooKommunen erfüllen eine fast endlose Anzahlvon AufgabenVon Rainer Frey und Christoph Brake 8

„Die Regelungswut muss sofort beendet werden“Interview mit Dr. Gerd Landsberg,Geschäftsführendes Präsidialmitglied desDeutschen Städte- und Gemeindebundes 10

Die Verbände 10

„Die kommunale Selbstverwaltung verkommtmehr und mehr zur reinen Leerformel“Interview mit Stephan Articus, demHauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages 12

Ein steinerner WegZur Geschichte städtischer SelbstverwaltungVon Adelheid von Saldern 13

Porträt: Karl Freiherr vom und zum Stein 14

Mäuse zählen, Streichliste auspackenWie sich die Kommunen aus ihrer schwerenFinanzkrise befreien können, bleibt ein RätselVon Eva Haacke 16

Vom schwierigen Leben auf PumpStädte und Kommunen sind hoch verschuldet:Einige beängstigende DetailsVon Eva Haacke 18

Das Ende des KirchturmdenkensDer Wettbewerb der Gemeinden untereinanderist oft schädlich für alleVon Constanze Hacke 19

Wenn’s um Geld geht, fallen die HemmungenDie Sparkassen sind ein bedeutendes Element zurkommunalpolitischen Steuerung und ein wichtigerGeldgeber für Mittelstand, Vereine und KulturVon Sylke Wagner 21 Titelfoto: Corbis

„Die Bürger sollten mit uns Geduld haben“Auf Bürgerämtern gibt sich der Staat alsmoderner DienstleisterVon Ulrike Schuller 22

Das virtuelle Rathaus hat bisher nur beschränkteÖffnungszeitenBeim E-Government haben die Kommunen nochEntwicklungspotenzialVon Christiane Schulzki-Haddouti 24

Stabilitätsanker der ZivilgesellschaftErfahrungen aus der bürgerorientiertestenKommune DeutschlandsVon Andreas Osner 28

Die Stadt der StädteFrüher waren sie eigenständige Großkommunenam Rande Berlins – jetzt sind es StadtteileVon Claudia Heine 28

„Für das Ehrenamt bleibt wenig Zeit“Interview mit Wolfgang Giservius, dem Leiter derKommunal-Akademie der Friedrich-Ebert-Stiftung 30

Die Kommunen als Vorreiter für den BundDirekte Bürgerbeteiligung ist vertraute Praxisin vielen GemeindenVon Georg Nienaber 32

Ist nur das passiert, was auch in der Zeitung steht?Tageszeitungen stellen oft die einzige Möglichkeit dar,um eine lokale Öffentlichkeit zu erreichenVon Tilmann P. Gangloff 33

Europa ist zugleich Chance und BelastungDie Zukunft der Kommunen in einer immer einflussrei-cher werdenden EUVon Hiltrud Naßmacher 35

„Brüssel soll die Selbstverwaltung vor Ort respektieren“Interview mit Peter Straub, dem Präsidentendes EU-Ausschusses der Regionen 38

Die EU und die KommunenVon Karl-Otto Sattler 40

Das unbekannte Sprachrohr der KommunenDer Kongress der Gemeinden und Regionen in EuropaVon Jeannette Goddar 40

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Jenseits des Jammertals

Für die Kommunen ändert sichin diesem Jahrzehnt fast allesVon Rüdiger Soldt

Kommunalpolitik ist auf der nationalen politischen Bühne vor allem Lobbypolitik. Das war in den vergangenen drei Jahren zu beobachten, als Bürgermeister deutscher Groß-städte über ihre finanziellen Probleme diskutierten. Der Rückgang der Gewerbesteuereinnahmen und das Schei-tern einer Kommission zur Reform dieser Steuer bestimm-ten die Debatte. Führende Kommunalpolitiker traten vor allem als Bittsteller auf. Ihre immergleiche Forderung lau-tete: Gebt uns wieder mehr Geld, damit es uns wieder so gut geht wie früher. Gefordert wurde nichts anderes als der Erhalt des Status quo – in einem Land, in dem Globali-sierung, Wiedervereinigung und Wissensgesellschaft dazu geführt haben, dass wenig so bleiben wird, wie es ist.

Der Oberbürgermeister von Hannover sprach von der „Ausweidung“ der Kommunen durch die Bundespolitik. Das war faktisch einerseits zutreffend und andererseits politisch fatal: Zutreffend ist, dass die Kommunen vor der schwersten Finanzkrise der Nachkriegszeit stehen. Ein

Blick in den Gemeindefinanzbericht 2004 zeigt es: Das Fi-nanzierungsdefizit der Kommunen bleibt mit 8,25 Milliar-den Euro sehr hoch, die Ausgaben für Investitionen muss-ten um elf Prozent gekürzt werden, die Kassenkredite zur Finanzierung laufender Ausgaben sind weiter auf 17,7 Mil-liarden gewachsen, und gleichzeitig sind die Sozialausga-ben weiter gestiegen. Dass die Reformbemühungen der Kommunen noch nicht ausreichen, zeigt etwa die Ent-wicklung der Personalkosten: Sie sind trotz Personalabbau um 1,1 Prozent gestiegen.

Fatal an den Klagen der kommunalen Verbandsfunkti-onäre – vorgetragen im Jammerton – ist jedoch die Sug-gestion, wenn nur wieder Geld in die Stadtkassen komme, werde wieder alles, wie es zu Zeiten eines prosperierenden Wirtschaftswachstums einmal war. Stets sind die Kom-munalpolitiker in der alten Bundesrepublik treu dem Pfad der Wachstumspolitik gefolgt. Das kommunalpoliti-sche Rezept lautete etwa so: Investieren wir in die Infra-struktur, dann siedeln sich neue Firmen an, der Stadtkäm-merer bekommt wieder Geld in die Kasse, und die Politik muss diesen kommunalen Reichtum nur noch in Form von Schwimmbädern oder neuen Kinderspielplätzen an die Bürger verteilen. Diese Art von lokaler Verteilungspolitik hat auch für bürgerschaftliches Engagement in den Stadt- und Gemeinderäten gesorgt. Denn Politik ist erst interes-sant, wenn es etwas zu gestalten gibt.

Nun spricht einiges dafür, dass dieser Kreislauf kom-munaler Wohlfühlpolitik für immer durchbrochen sein könnte: Schon heute gibt es Regionen, in denen weniger als 50 Einwohner pro Quadratkilometer wohnen. In die-sen Gegenden gibt es – wenn überhaupt – Wachstum nur bei den aus den Sozialhaushalten der Kommunen fi-nanzierten sozialen und medizinischen Dienstleistungen. Den Anschluss an die urbanen Zentren der Wissensgesell-schaft werden Wittenberge oder Hoyerswerda nicht mehr finden; der demografische Wandel wird die ökonomischen Probleme dieser Kommunen verstärken. In Deutschland wird es entleerte und verödete Gegenden geben, in denen der Staat und die Kommunen die Daseinsfürsorge nicht aufrecht erhalten werden können. Pessimistisch gesagt: Auch die beste Infrastruktur kann diesen entlegenen Regi-onen nicht mehr helfen. Selbst in bestimmten ländlichen Regionen Hessens sind Bürgermeister heute der Auffas-sung, dass es statt öffentlich unterhaltener Buslinien in 20 Jahren nur noch ein elektronisch gesteuertes System von Sammeltaxis geben wird.

Auch wenn sich in der Föderalismuskommission keine Mehrheit für die Streichung der Leitvorstellung im Grund-gesetz finden mag, wonach die „Einheitlichkeit der Lebens-verhältnisse“ in allen Landesteilen herzustellen ist, dürfte es zunehmend schwierig werden, Ausgaben hierfür bei knappen Haushalten im Bund, in den Ländern sowie den Kommunen zur Verfügung zu stellen. Dieses Leitbild kom-munaler und ländlicher Entwicklung hat heute faktisch ausgedient. Eine Entwicklung, wie sie in Bayern seit Ende der 60er-Jahre zu beobachten war – die Transformation ei-nes Agrarlandes in ein Industrieland – wird sich wohl nicht wiederholen lassen. Diese Art von Subventionspolitik hätte heute keine politische Mehrheit mehr. Der Geldsegen wird sich nicht wieder einstellen. Gleichwohl werden die Aufga-

Auch wenn das Wasser den Kommunen bis zum Hals steht: Lamentieren allein reicht nicht mehr aus

Foto: W+S/eo

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ben für die Kommunen vergleichsweise anspruchsvoll wer-den. Einen Masterplan für diese Zukunftsaufgaben gibt es freilich nicht, gleichwohl lassen sich sechs kommunale Poli-tikfelder nennen: Modernisierung der Verwaltung, Bildung von Regionen zur interkommunalen Kooperation, Bewälti-gung des demographischen Wandels, Stärkung der Bürger-kommune und (abermals) eine Reform der Gewerbesteuer. Der Reihe nach: Die 90er-Jahre waren für die Kommunen das Jahrzehnt der Verwaltungsmodernisierung: Die Haus-haltsführung ist mit dem „Neuen Steuerungsmodell“ und der Einführung der kaufmännischen Buchführung ver-bessert worden; Einsparpotenziale haben sich durch ein verbessertes Management von Schulden, Zinsen und Im-mobilien ergeben; Ansätze zur Verschlankung der lokalen Förderbürokratie hat es gegeben. Kommu-nale Eigenbetriebe sind mit Erfolg priva-tisiert worden. Doch in vielen Kommunen verursacht die Anschaffung eines Basket-balls im Wert von vier Euro weiterhin Ver-waltungskosten von 14 Euro.

Die Erwartung, Geld zu sparen und die wachsenden Probleme der Suburbanisie-rung in den Griff zu bekommen, stärkt auch den Willen vieler Städte zur Bildung von Re-gionalverbänden. In Niedersachsen gibt es die Region Hannover, in Nordrhein-Westfa-len haben sich die acht größten Städte des Ruhrgebietes (Duisburg, Mülheim an der Ruhr, Oberhausen, Essen, Gelsenkirchen, Herne, Bochum, Dortmund) zur „Städteregion 2030“ zusammengeschlos-sen. Langfristig birgt diese Regionalisierung ein erhebli-ches Konfliktpotential zwischen regional kooperierenden Städten und Landkreisen.

Die regionale Kooperation wird aber noch aus einem anderen Grund an Bedeutung gewinnen: Der demografi-sche Wandel und die Schwierigkeiten bei der Integration von Bürgern mit Migrationshintergrund wird Städte und ihre Umlandgemeinden noch stärker zwingen, gemein-same Antworten auf diese Herausforderungen zu finden. Die Bevölkerungsstruktur vieler Kommunen wird sich in den kommenden 20 Jahren radikal verändern: „Bunter, lee-rer, schwieriger“ – so beschreiben Stadtsoziologen die Zu-kunft großer Städte. Gut verdienende Familienväter ziehen ins Umland, in den Innenstädten bleiben Rentner, Alleiner-ziehende, Arme und Ausländer. In den meisten Städten des Ruhrgebietes werden im Jahr 2015 etwa 40 Prozent aller Einwohner einen Migrationshintergrund haben.

Hinzu kommt etwas anderes: Ironischerweise nimmt die Heterogenität der Stadtbevölkerungen genau in dem Moment zu, in dem Kommunalpolitiker – aufgrund der Notwendigkeit von Einsparungen – immer häufiger auf die „Stadtbürgerschaft“ vertrauen. „Ein traditionelles Stadtbürgertum, das gemeinsame Interessen und Enga-gement auf die Heimatstadt richtete, könnte sich zuse-hends in einzelne Gruppen mit unüberbrückbaren Inte-ressenkonflikten auflösen“, heißt es in einer Analyse der von der Bundesregierung finanzierten Initiative „Stadt 2030“. Dennoch haben die Kommunalverwaltungen künf-tig keine andere Möglichkeit, als Bürgerengagement zu fördern und Netzwerke bürgerschaftlicher Gruppen zu

unterstützen. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass bürgerschaftliches Engagement zwar Geld sparen kann; eine Kommune, die aber überhaupt nicht zu Investitionen in der Lage ist und ihren öffentlichen Raum der Agonie überlässt, weder auf die Hilfe von Bürgern noch mit Nach-wuchs für die Parteien und somit auch qualifizierten Man-datsträgern rechnen kann.

Für all diese Aufgaben – und nicht zum Erhalt des Sta-tus quo – brauchen die Kommunen mehr (finanzielle) Au-tonomie im föderalen System und, langfristig gesehen, auch verlässliche Einnahmen. Formulierungsvorschläge für einen ergänzten Artikel 104a des Grundgesetzes gibt es. Er könnte lauten: „Führen die Gemeinden (Gemein-deverbände) auf Grund eines Bundesgesetzes Recht des

Bundes oder der Europäischen Union aus, das Geld- oder Sachleistungen vorsieht, trägt der Bund die sich dar-aus ergebenden, notwendigen Aus-gaben.“ Bei der Neufassung des Ar-tikels 84, Absatz 1 sind sich der Bund und die Länder weitgehend einig, den Ländern eine größere Freiheit bei der Einrichtung von Behörden und der Bestimmung der Verwaltungs-verfahren zu geben. Davon würden auch die Kommunen profitieren, weil es mittlerweile in allen Landesverfas-sungen das Konnexitätsprinzip („wer

bestellt, muss bezahlen“) gibt und es dem Bund künftig schwerer fallen dürfte, Städten und Kommunen neue Auf-gaben aufzubürden – wie bei der Einrichtung von Kinder-gartenplätzen geschehen –, ohne in ausreichendem Maße für die Finanzierung zu sorgen. Aber bei den Verhandlun-gen in der Föderalismuskommission hat sich abermals gezeigt, dass die Kommunen unter der verfassungsrecht-lichen Schwäche leiden, keine eigenständige staatliche Ebene zu sein: Sie haben in der Kommission kein Stimm-recht.

Gewiss nicht mehr in dieser Legislaturperiode, aber zwi-schen 2006 und 2010 wird sich die Frage nach einer Re-form der Gewerbesteuer noch einmal stellen. Die kom-munalen Spitzenverbände hatten sich vehement gegen die Abschaffung der Gewerbesteuer gewehrt, vor allem, weil sie Angst vor einer grundlegenden Reform und wei-teren Einnahmeverlusten hatten. Die Zahl derjenigen, die ein kommunales Heberecht auf die Körperschafts- und Einkommensteuer sowie einen höheren Anteil der Kom-munen an der Umsatzsteuer befürworten, um allzu gro-ße Unterschiede zwischen Stadt und Umlandgemeinden auszugleichen, ist in den vergangenen Jahren aber nicht geringer geworden, auch in den kommunalen Spitzenver-bänden. Anders gesagt: Für die Kommunen ändert sich im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts fast alles. Man-che sehen sich versucht, sogar von einem Jahrhundert der Kommunen zu sprechen. Gemessen an der Größe der Auf-gaben, die von Bürgermeistern und Gemeinderäten gelöst werden müssen, ist das angemessen.

Es spricht einigesdafür, dass der Kreis-

lauf kommunaler Wohlfühlpolitik für

immer durchbrochen sein könnte.

Rüdiger Soldt ist Redakteurder „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“

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Schleswig-Holstein:In Gemeinden mit weniger als70 Einwohnern regeln dieBürger ihre Belange selbst

„Wir wollen gar nicht wachsen“

Die Zahl 70 hat für 18 Gemeinden in Schleswig-Holstein eine ganz besondere Bedeutung. Deren Bürgermeister bli-cken im Jahr vor jeder Kommunalwahl mit Besorgnis auf ihre Bevölkerungsstatistik. Übersteigt die Einwohnerzahl an einem bestimmten Stichtag die 70, ist Schluss mit ei-nem in Deutschland seltenen Sonderstatus. Dann näm-lich müsste ein Gemeinderat gewählt werden. Zählt eine Kleinstkommune weniger als 70 Einwohner, regeln die Bürger ihre Angelegenheiten im Rahmen einer Gemeinde-versammlung selbst.

„Wir wollen gar nicht wachsen“, bekennt ganz offen Helmut Kuhrt, seit 1978 Bürgermeister von Friedrichsgra-ben im Kreis Rendsburg-Eckernförde. Mit derzeit 68 Ein-wohnern zählt Friedrichsgraben zu den Großen unter den Kleinsten der 1.126 selbstständigen politischen Gemein-den im nördlichsten Bundesland. Die kleinste Kommune ist mit nur vier Einwohnern Wiedenborstel im Kreis Stein-

burg. Offen spricht niemand darüber. Doch tatsächlich set-zen Kleinstgemeinden alles daran, ihre Struktur zu erhal-ten und die 70-Einwohner-Grenze nicht zu übersteigen. Notfalls, so ist zu hören, müssten rechtzeitig zum Stichtag eben einige Bürger ins Nachbardorf „umziehen“.

Die Geschichte Friedrichsgrabens ist exemplarisch für viele der Kleinstgemeinden im Norden. Um 1765 siedel-te Dänenkönig Friedrich westlich von Rendsburg einige aus Hessen stammende Kolonisten an, um die Moorland-schaft am Fluss Eider urbar zu machen. Zur politischen Ge-meinde wurde das Dorf jedoch erst nach der Eroberung Schleswig-Holsteins durch Preußen 1866. Mit 143 Einwoh-nern richtig groß war Friedrichsgraben 1946, als nach dem Zweiten Weltkrieg hunderttausende Flüchtlinge im Lande Aufnahme fanden. 1948 kam mit der Elektrizität zwar der Durchbruch in die Moderne. 1965 musste jedoch die Dorf-schule schließen, womit der Ort seine einzige kommunale Einrichtung verlor.

Heute umfasst Friedrichsgraben 538 Hektar vorwiegend landwirtschaftlich genutzte Fläche, sechs Bauernhöfe, 19 Wohnhäuser und eine Gaststätte. Die 20 Kinder besuchen Schulen und Kindergärten im acht Kilometer entfernten Hohn. Dort erledigt auch die Verwaltung des Amtes Hohn die laufenden Geschäfte der Gemeinde Friedrichsgraben. Alle Versuche einer Zusammenlegung mit benachbarten Kommunen blieben bislang erfolglos. Trotz finanzieller An-reize bewegte sich bei der großen Gebietsreform von 1970 gar nichts. Und sogar der Versuch der Nazis, Friedrichsgra-ben 1937 mit dem benachbarten Friedrichsholm zu verei-nigen, verlief im Sande. Akute Gefahren für die Selbststän-digkeit bestehen auch heute nicht. Im Kieler Landeshaus versichern beide große Parteien, dass auch bei einer mögli-chen Änderung der Verwaltungsstrukturen die politischen Gemeinden erhalten bleiben.

Keine Schulden, keine Sorgen

Nicht ohne Stolz präsentiert Kuhrt den Haushalt Fried-richsgrabens: „Wir haben keine finanziellen Sorgen und vor allem keine Schulden.“ Rund 45.000 Euro umfasst der Jahresetat, der mit einem Überschuss von 6.500 Euro ab-schließt. Einzelposten sind neben den Beiträgen für die Amtsverwaltung sowie den Schulverband die Kosten für den Unterhalt der Straßen. Und wenn Bürgermeister Kuh-rt zweimal im Jahr die 46 stimmberechtigten Einwohner zur Gemeindeversammlung in die Gaststätte „Hohner Fähre“ einlädt, gibt es statt Sitzungsgeld ein Essen mit einem Getränk. Schwierig wird es nur, wenn die „Hohner Fähre“ wegen Betriebsferien geschlossen hat. Dann müs-sen die Friedrichsgrabener ihren Haushaltsplan in Kuhrts guter Stube verabschieden.

Christian Hauck

Der Autor ist Redakteur im Büro Landeshauptstadtdes Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlags

Foto: Archiv W+S

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Im badischen Waldkirch regiert der Gemeinderat im Konsens und dochkocht bisweilen heisser Streit hoch / Von Karl-Otto Sattler

Blick in einen Mikrokosmos der DemokratieOben über der Stadt verbreitet nachts die illuminierte Ruine der Kastelburg ein anheimelndes Flair im Elztal. In der Herbstsonne starten vom Gipfel des 1.200 Meter ho-hen Kandel Drachenflieger zum majestätischen Flug hin-weg über die Dächer Waldkirchs ganz tief unten.Wer vom Bahnhof in die Innenstadt schlendert, entdeckt nirgend-wo Graffiti, hier ist es wahrhaft ordentlich und sauber. Der Bauernmarkt wirkt idyllisch, Landwirte verkaufen regi-onale Produkte: Äpfel, Honig, Salat, Kartoffeln, Karotten und vieles mehr. Entschieden ökologisch geht es hier zu: Die Eier stammen von freilaufenden Hühnern, an einem Stand prangt ein großes Foto, auf dem fröhliches Feder-vieh durch sattes Grün spaziert.

Über dem gemächlichen Treiben zwischen Landbrot und Schinken hängt am Rathaus ein Transparent mit ei-ner für Fremde auf den ersten Blick unverständlich anmu-tenden Parole: „Lebensqualität durch Nähe“. Diese Motto soll die Leitlinie der Kommunalpolitik beschreiben: die Ver-ankerung in „regionalen Kreisläufen“ und deren Stärkung von der Umwelt über die Wirtschaft bis zur Kultur. Dieses Konzept hat Waldkirch, knapp 20 Kilometer nördlich von Freiburg gelegen, sogar zur Mitgliedschaft im internatio-nalen Club „Slow City“ verholfen, in dem sich „lebenswerte Städte“ versammeln. Bundesweit Aufmerksamkeit erregt hat der Rückkauf des lokalen Stromnetzes vom einstigen Badenwerk: Seither genießen die Bürger niedrige Tarife, die Stadtwerke sind trotzdem profitabel und unterstützen überdies eine umweltfreundliche Energieerzeugung.

In Waldkirch mit seinen 20.000 Einwohnern sind, so scheint es, die Dinge wohlgefügt. Trotz der Pleiten einiger Betriebe stehen annähernd 7.000 Arbeitsplätze zur Verfü-gung, allein 1.000 bei Sick, einem Unternehmen für Sen-sorentechnik. Die Erwerbslosenquote ist mit sechs Prozent natürlich zu hoch, dürfte ostdeutsche Politiker indes nei-disch werden lassen.

Man merkt es Richard Leibinger an, dass er mit Wald-kirch und seiner 20-jährigen Regentschaft zufrieden ist. Der 1983 erstmals gewählte und stets mit satten Mehr-heiten im Amt bestätigte Bürgermeister, der „die Stadt in- und auswendig kennt“, ist von Schaffensdrang beseelt. Oft verlässt der SPD-Politiker abends als Letzter das Rathaus, auf dem Boden seines Büros stapeln sich Aktenberge, kürz-lich gekaufte und noch an der Wand lehnende Gemälde zeugen von kunstsinnigem Interesse. Der Schultes ist die dominierende Figur in Waldkirch.

Ob er politisch alles im Griff hat? Die Antwort wird von einem Understatement-Lächeln begleitet: „Das kann ich selbst nicht beurteilen, da müssen Sie andere fragen.“ Eine Richtschnur seiner Politik beschreibt der Bürgermeister so: „In Waldkirch kennt jeder jeden, und da hat man dau-erhaft nur Erfolg, wenn es in der Regel einen großen Kon-sens gibt.“ Der Gemeinderat trifft gut 90 Prozent aller Ent-scheidungen einmütig. Im lokalen Parlament haben die

CDU mit zwölf und die konservativen Freien Wähler mit fünf Sitzen die Mehrheit vor acht Sozialdemokraten und drei DOLVertretern; DOL steht für „Die Offene Liste“, fak-tisch sind es die Grünen.

Ja, der Konsens. Rummms, ruckzuck ist die Tür wieder zu. Thorsten Weinreich erinnert sich genau an diesen Mo-ment. Und auch diesen Satz hat der junge Mann noch im Ohr: „Ich führe Krieg gegen euch!“ So mussten die Macher vom AJZ, der „Aktion Jugendzentrum“, mit ihrer Kamera unverrichteter Dinge wieder abziehen: Für einen Videofilm über ihre selbstverwaltete Einrichtung, in der Rockkonzer-te, Kulturevents und politische Veranstaltungen etwa über die EU-Verfassung stattfinden, wollten sie einen ihrer Geg-ner interviewen. Um dieses AJZ, das in einem buntbemal-ten alten Gebäude residiert und schon von daher aus dem Rahmen fällt, tobt ein heftiger Kampf.

Weinreich hockt zusammen mit Alexander Schoch, der in den Siebzigern zu den Gründern gehörte und nun für die Grünen im Kreistag Emmendingen mitmischt, auf ei-nem alten Sofa im AJZ und klagt den Ortschaftsrat der Teilgemeinde Kollnau an, der dem Treff wegen angeblich zu lauten Lärms an den Kragen will: „Die haben ihre Be-schlüsse gegen uns gefasst, ohne zuvor mit uns ernsthaft zu reden.“ Schoch: „Streit dieser Art begleitet das AJZ seit 30 Jahren immer wieder.“ Bei einer Tagung des Ortschafts-rats hatten sich dessen Mitglieder mit Attacken gegen das AJZ regelrecht übertrumpft: CDU-Mann Jürgen Wer-net forderte einen „Schlussstrich“, SPD-Frau Gabi Schind-ler wollte das AJZ für ein Jahr schließen, andere verlang-ten, um 23 Uhr müsse Ruhe herrschen – also zu einer Zeit, wo republikweit das Leben in der Clubszene erst losgeht. Zur nächsten Sitzung des Kollnauer Ortschaftsrats sind die AJZ-Aktivisten von sich aus einfach hinmarschiert, um ihre Interessen zu verteidigen, auch wenn das heiße Thema übehaupt nicht auf der Tagesordnung stand. Das AJZ ver-buchte zudem mehrere hundert Unterstützer-Unterschrif-ten, seine Gegner brachten es auf 30.

Die SPD-Fraktion im Gesamtgemeinderat versammel-te die Kontrahenten zu einer Diskussion überhaupt ein-mal an einem Tisch. Vorsitzender Armin Welteroth („Wir

Foto: Archiv W+S

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können die jungen Leute nicht in den Wald verbannen“) sinniert in seinem Anwaltsbüro über den aufgeladenen Konflikt: „Vielleicht spielen hinter dem Streit um den Lärm unterschwellig kulturelle Dinge eine Rolle.“ Rockkonzerte im Freien müssen ja auch um 22 Uhr beendet werden, die Stadtmusik darf bis Mitternacht auftreten.

Nicht nur beim AJZ brechen unvermittelt Gegensätze auf. So liegen sich der Teilort Buchholz und das Waldkir-cher Rathaus wochenlang wegen der Bestellung des dor-tigen Ortsvorstehers in den Haaren. Zwei Mal nominiert der Ortschaftsrat den bisherigen Amtsinhaber Rolf-Dieter Stoicov, zwei Mal aber findet der im Waldkircher Gemein-derat nicht die nötige Mehrheit. Worum es sich bei diesem Konflikt dreht, erfährt die Öffentlichkeit nicht. In Buchholz empört man sich, dass der Sprengel in Waldkirch untergebuttert werden solle. Im Kommunalparlament munkelt man hingegen in Andeutungen, die Gründe für die Ablehnung Stoicovs lägen in dessen „Person“ und in dessen „Amtsführung“.

Böse Briefe werden geschrieben, Pres-seerklärungen verschickt, die Junge Uni-on fordert ein CDU-Gemeinderatsmit-glied zum Rücktritt auf und wirft dem Bürgermeister vor, „die Buchholzer Ver-waltung ganz unter seine Kontrolle zu bringen“. Beim Abend einer Bürgeriniti-ative der Teilgemeinde wird gewettert, Leibinger habe „an einem Kegelabend nach Mitternacht“ einem Buchholzer Bürger das Amt des Ortsvorstehers angetragen. Als das Eisen zu heiß zu werden droht, treffen sich Gemeinderat und Ortschaftsrat kurzerhand hinter verschlossenen Tü-ren, manches soll wohl unter der Decke bleiben. Mutmaß-lich wird Stoicov übrigens nicht mehr Ortsvorsteher.

Kleinklein, bald abgehakt, und dann dürfte in Wald-kirchs Politik wieder das einkehren, was Martin Stocker ein „vernünftiges Klima“ nennt. Der CDUFraktionsvorsit-zende erzählt im Büro seines Bestattungsunternehmens, das in einem beschaulichen Hinterhof in der City residiert, zum Beispiel vom „Bayersepple“. Das ist ein Gasthaus, das schräg gegenüber vom Rathaus auf der anderen Seite des Marktplatzes liegt, und dort quatschen sich die Gemeinde-räte – die meisten sind per Du – nach ihren Sitzungen frak-tionsübergreifend beim Bier aus. Stocker: „Das bleibt nicht ohne positive Auswirkungen.“ Seinen Kollegen Bernd Zick-graf von den Freien Wählern beschleicht zuweilen das Ge-fühl, „dass manche mit dem Auseinanderhalten von per-sönlicher Sympathie und politischem Streit ein Problem haben“.

Leibinger weiß, wie wichtig es ist, „auch beim Bier die Kollegialität zu pflegen“. Und er unterstreicht: Als haupt-beruflicher Bürgermeister dürfe man gegenüber dem eh-renamtlich tätigen Gemeinderat „nicht überheblich wer-den“, man müsse sich gegenseitig respektieren. Einen solchen Respekt gegenüber dem Rathauschef hegen ih-rerseits auch die Fraktionen. Josef Rothmund von der DOL: „Leibinger ist ein Profi durch und durch, er praktiziert die Mehrheitssuche sehr geschickt.“ Martin Stocker von der CDU assistiert: „Es ist perfekt, wie er sich Mehrheiten in al-

len Lagern beschafft.“ Armin Welteroth meint für die SPD: „Die Macht in Waldkirch ist zwar verteilt, aber der Bürger-meister hat schon eine starke Stellung.“ Und Bernd Zick-graf bewundert „die hohe politische und fachliche Kompe-tenz Leibingers. Das imponiert mir.“

Der Beschluss über die Einrichtung einer Ganztags-grundschule illustriert die Politik à la Waldkirch ganz gut. SPD und DOL machen sich aus familienpolitischen Grün-den für mehr Kinder- und Schülerbetreuung stark. „Doch es nützt nichts, mit wehenden Fahnen herumzurennen“, sagt Welteroth, „man muss im Vorfeld einer Entscheidung miteinander reden.“ Der Bürgermeister betont, es gehe darum, „die Leute mitzunehmen“, das „soziale Faible“ von

SPD, DOL und ihm selbst, das reiche nicht aus. Immerhin regen sich bei der CDU Wi-derstände gegen die Ganztagsschule, Sto-cker sieht bei deren Befürwortern auch „Ideologie“ im Spiel. Die Abstimmung im Parlament endet bemerkenswert: Nur Stocker bleibt beim Nein, drei CDURä-te enthalten sich, der Rest ist dafür. Zum Votum seiner Fraktion meint Stocker, da habe sich wohl „der öffentliche Druck aus-gewirkt“. In einem Landesparlament oder im Bundestag wäre ein Fraktionschef, den die eigenen Leute derart im Regen stehen lassen, weg vom Fenster. Nicht so in Wald-kirch.

A propos öffentlicher Druck: In basisdemokratischen Ak-tivitäten sieht Josef Rothmund im Kern die Kraft der klei-nen DOL: „Wir sammeln Unterschriften etwa für Discobus-se, veranstalten Podiumsdebatten, machen Info-Stände.“ Verschmitzt fügt er im Blick auf die Presse an: „Wir haben auch gute Leserbriefschreiber.“

Rothmund ist in keinem der 200 Waldkircher Vereine Mitglied: „Die DOL schafft es auch ohne Vereinsmeierei, obwohl wir manchmal merken, dass uns dieses Forum fehlt.“ Zwar meint CDU-Mann Stocker, „dass Vereine für Kommunalpolitiker irgendwie dazugehören“. Bei den Ge-meinderatswahlen im vergangenen Juni entpuppten sich Narrenvogt Michael Behringer für die CDU und Ursula Querfurth von der Arbeiterwohlfahrt für die SPD auch als Stimmenkönige. Armin Welteroth ist jedoch überzeugt: „Heute kann man mit Vereinsarbeit keinen großen Ima-gegewinn mehr erzielen.“ Bernd Zickgraf von den Freien Wählern sieht das ebenfalls so: Der Musiklehrer am Gym-nasium hat seinerseits ein PR-Plus, weil er in Waldkirch Konzerte gibt.

Noch etwas hat sich verändert: Die Honoratiorenzirkel von einst sucht man vergebens – Handwerker, Bauunter-nehmer, Rechtsanwälte, Bankchefs, Schulrektoren, Archi-tekten, die im gesellschaftlichen Leben kungelten und im Lokalparlament dafür sorgten, dass ihre Interessen nicht zu kurz kamen. Welteroth: „Das ist weitgehend ver-schwunden.“ Leibinger erinnert sich, dass er vor 20 Jahren anfangs noch mit jenen zu tun hatte, „die den örtlichen Grundstücks- und Baumarkt beherrschten“. Heute aber seien kaum noch Freiberufler und Unternehmer politisch aktiv, „die haben keine Zeit mehr“. Stattdessen machen andere Druck im Rathaus: Gruppen, die punktuelle Anlie-

Heute sind kaum noch Freiberufler

und Unternehmer kommunalpolitisch

aktiv, denn ihnen fehlt schlicht und einfach die Zeit.

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gen verfolgen – etwa Elterninitiativen, die eine Schulhof-sanierung durchsetzen wollen. Oder, worüber der Bürger-meister richtig wütend werden kann: Da weist die Stadt ein Baugebiet aus, und die jetzigen Bewohner entdecken plötzlich den Natur- und Lärmschutz, um unter diesem Deckmantel die Errichtung neuer Häuser in der Nachbar-schaft zu verhindern.

Der Gemeinderat ist keineswegs sonderlich geneigt, sich mit den Bürgern anzulegen. Der Etat ist hoch ver-schuldet, der Ausgleich gelingt nur über den Verkauf von Grundstücken. Es müsste kräftig gespart werden, und zu diesem Zweck setzte das Parlament eigens ein Gremium mit dem imposanten Namen Haushaltsstrukturkommis-sion ein. Man wälzte Etatpläne, prüfte Zahlenkolonnen und Bilanzen. Allerdings, ob der kleine Zoo, die Bibliothek, das Elztalmuseum mit seiner Drehorgelsammlung, die Schwimmbäder, der Stadtbus, die Musikschule, das Rote Haus als Treff in einem sozial schwierigen Viertel, die Feu-erwehr: „Wir fanden einfach nichts zum Sparen“, resü-miert Josef Rothmund die vergeblichen Anstrengungen. Bernd Zickgraf bringt das Dilemma so auf den Punkt: „Bei allen Projekten finden sich Argumente, die gegen Kürzun-gen sprechen.“ Hier wird ein wenig gestrichen, dort wer-den Gebühren angehoben, das ist es dann. Kämmerer Richard Seng fragt schon besorgt, „was passiert, wenn die verkaufbaren Grundstücke verkauft sind“.

Besonders stolz ist Richard Leibinger auf den „Leitbild-Prozess“: ein vom Rathaus gemanagtes bürgerschaftli-ches Engagement, bei dem sich rund 100 Waldkircher in Projektgruppen die Köpfe über die Leitlinien der Kommu-nalpolitik zerbrachen. Der Bürgermeister: „Das war kei-ne Beschäftigungstherapie.“ In den Fraktionen gilt dieses Modell, das im Konzept „Lebensqualität als Nähe“ gipfel-te, ebenfalls als Erfolg. Auch einige praktische Ergebnisse wurden gezeitigt. Die Initiative „Kastelburg in Not“ küm-mert sich um die Restaurierung der Ruine. Aus dem Ziel einer besseren Kinderbetreuung leitet sich das Votum für die Ganztagsschule ab, in deren Kantine regionale Produk-te auf den Tisch kommen sollen. Ältere Bürger werden nach ihren Wünschen befragt. Sogar eine „Vandalismus“-Arbeitsgruppe müht sich um die Bekämpfung desselben: Das mutet erstaunlich an, wo doch laut Polizei solch bö-

ses Tun in Waldkirch gar nicht signifikant hoch ist – aber dann müssen bemalte Waggons der Regionalbahn als Be-leg herhalten.

Bei so viel herbeigeführter Harmonie ist Streit eigent-lich fehl am Platz. Aber es gibt die Konflikte eben doch, um das AJZ, um Herrn Stoicov aus Buchholz, um den weiteren Ausbau der Kinderbetreuung. Los geht auch die Kontro-verse um die „Stadtbildsatzung“, die Hauseigentümern in der City penible Vorschriften für die Fassaden–, Dach- und Fenstergestaltung bis hin zum Material von Türklin-geln macht. Martin Stocker von der CDU ist für diese Maß-nahme, Armin Welteroth („Da gibt es Feuer“) hält dies für eine „unsägliche Regelung“, auch Betroffene sind wenig begeistert. Überdies zieht ein kleiner Kulturkampf herauf. Eine Schülergruppe und der Jugendgemeinderat fordern, im Rathaus zwei Bilder abzuhängen, die aus der Nazi-Zeit stammen und derzeit mit kritisch-erklärenden Hinweisen versehen sind. Stocker will, da dürfte er seine Partei hin-ter sich wissen, die Gemälde als „Teil der Waldkircher Ge-schichte“ im Rathaus belassen. SPD-Schultes Leibinger hingegen unterstützt den Vorstoß der Jugendlichen ge-gen die Blut-und-Boden-Gemälde: „Ich bin dafür, dass die wegkommen.“

Aber deutet die niedrige Beteiligung von 53 Prozent beim Urnengang im Juni nicht darauf hin, dass die Bürger die Kommunalpolitik nicht gerade als spannende Kampf-arena empfinden? Es ist ja auch so, dass die SPD nur noch selten junge Leute als Neuzugänge gewinnt. Bei der CDU sind die meisten Mitglieder 60 und älter. Man höre oft den Satz, „die machen eh was sie wollen“, kommentiert Mar-tin Stocker das Desinteresse an der Rathauspolitik. „Die Frontstellung ist nicht mehr so konfrontativ wie früher“, überlegt Armin Welteroth. Immer dann, wenn es wirk-lich um was gehe, meint Josef Rothmund, „sind die Leute mobilisiert“. Bernd Zickgraf hat beobachtet, dass man die überschaubare Zahl aktiver Waldkircher stets aufs Neue antrifft, bei Kulturprojekten, in Initiativen, in der Politik: „Manchmal habe ich den Eindruck, dass über dem gesell-schaftlichen Leben eine gewisse Müdigkeit, eine gewisse Lethargie liegt.“

Karl-Otto Sattler arbeitet als freier Journalist

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Kommunen erfüllen eine fastendlose Anzahl von AufgabenVon Rainer Frey und Christoph Brake

Von A wie Abfallbeseitigung bis Z wie ZooIm gesamtstaatlichen Organisations- und Aufgabengefüge der Bun-desrepublik spielen Städte und Gemeinden eine gewichtige Rolle. Be-reits ein flüchtiger Blick auf das kommunale Aufgabenportfolio lässt erahnen, dass die Kommunen eine enorme Aufgabenbandbreite zu be-wältigen haben: Sie reicht von A wie Abfallbeseitigung bis Z wie Zoo. Eine generelle Bestimmung des kommunalen Aufgabenkreises ist aber schwierig. Die Probleme ergeben sich zunächst daraus, dass in Artikel 28 Absatz 2 des Grundgesetzes konkretisiert wird, dass den Gemeinden das Recht gewährleistet sein muss, „alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu re-geln“. Die Frage, was „Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“ sind, beantwortet das Grundgesetz jedoch nicht.

Trotz der begrifflichen Unschärfe und der damit verbun-denen Schwierigkeiten lassen sich die von den Gemeinden wahrzunehmenden Aufgaben nach unterschiedlichen Kri-terien klassifizieren. So kann nach der Aufgabenbedeu-tung zwischen Existenzaufgaben, also Aufgaben, deren Erledigung unabdingbare organisatorische Voraussetzun-gen für das handlungsfähige Bestehen der Gemeinden ist, und Zweckaufgaben, das heißt Aufgaben, die die fachli-chen Politikbereiche abdecken, unterschieden werden. Weiter lassen sich in räumlicher Hinsicht örtliche und übe-rörtliche Aufgaben und unter zeitlichen Aspekten Dauer-aufgaben und einmalig zu erfüllende Aufgaben unter-scheiden. Diese Hinweise verdeutlichen, dass kommunale Aufgaben einem ständigen Wandel unterworfen sind, je nach der Funktion der Kommunen im Staatsaufbau und den gesellschaftlich-politischen und ökonomischen Pro-blemlagen.

Das wichtigste Unterscheidungsmerkmal für kommu-nale Aufgaben ist jedoch das Maß der Eigenverantwort-lichkeit, also die Dimension der Weisungsabhängigkeit von der unmittelbaren Staatsverwaltung bei der Aufga-benerfüllung. Nach dem Grad der Eigenverantwortlichkeit lassen sich Selbstverwaltungsaufgaben, Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung, Auftragsangelegenheiten und Organleihen unterscheiden. Selbstverwaltungsauf-gaben untergliedern sich in freie und pflichtige Selbstver-waltungsaufgaben. Beide werden unter eigener Ver-antwortung und mit eige-nen Organen und Personal bearbeitet. Dabei unter-liegen sie der allgemeinen Kommunalaufsicht, die ge-währleistet, dass die Kom-munen sich im Rahmen der Gesetze bewegen.

Der Kreis der freiwilligen

Aufgaben kann sehr umfangreich sein. Letzt-endlich entscheidet die kommunale Finanz- und Leistungskraft über den Aufgabenkatalog. Eine finanzschwache Gemeinde wird naturgemäß immer nur das Allernotwendigste planen und ausführen können, wohingegen reichere Städte und Gemeinden in der Erfüllung der freiwilligen Aufgaben entsprechend großzügiger sein wer-den. Zu beachten ist aber, dass die Pflichtaufga-ben in der Ausführung Priorität genießen. In der Folge bilden die freiwilligen Aufgaben sowohl in der Rangfolge der Aufgabenerledigung als auch in der Finanzierung das letzte Glied in der kom-munalen Aufgabenkette. Beispiele für freiwilli-ge Aufgaben sind unter anderen die Errichtung und Unterhaltung von Gemeindehallen, Sport-anlagen, Büchereien sowie Orchestern. Zu den pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben gehö-ren beispielsweise Schulen, die Abfallbeseiti-gung, Wasserver- und Wasserentsorgung sowie die Bauleitplanung.

Weiter kann der Gesetzgeber den Kommu-nen Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Wei-

sung auftragen. Sie unterscheiden sich von den Selbstver-waltungsaufgaben dadurch, dass der Kommunalaufsicht nicht nur die Rechtsaufsicht zusteht, sondern dass sie auch fachliche Direktiven erlassen kann. Zu den Pflicht-aufgaben zur Erfüllung nach Weisung werden das Melde- und Personenstandswesen, das Ordnungswesen sowie der Zivilschutz gezählt.

Um die Einheit der kommunalen Verwaltung zu wahren und um den öffentlichen Verwaltungsapparat nicht noch komplexer zu gestalten, obliegt den Gemeinden auch die Verwaltung staatlicher Aufgaben. Auftragsangelegenhei-ten sind demnach keine Selbstverwaltungsaufgaben, son-dern vom Staat durch Gesetz übertragene Aufgaben. Sie werden von den Gemeinden verwaltet, sie verfügen aber über keinerlei Gestaltungsfreiheit. Die Verwaltung erfolgt insofern nach Anweisung durch den Staat. Zu differenzie-ren sind Auftragsangelegenheiten nach Bundes- und sol-che nach Landesrecht. Zu letzteren gehören die Durch-führung von Landtagswahlen, Aufgaben auf dem Gebiet des Gesundheits–, Kataster- und Kassenwesens und die Flüchtlingsbetreuung. Beispiele für Auftragsangelegen-heiten nach Bundesrecht sind behördlicher Luftschutz und Leistungen zum Lebensunterhalt (Sozialhilfe). Schließlich ist von den Auftragsangelegenheiten die Organleihe zu unterscheiden. Hier obliegt dem Bürgermeister die Durch-führung aller Aufgaben, die ihm aufgrund gesetzlicher Vorschriften übertragen sind.

Soweit die Darstellung der Aufgaben. Mit der Zu-ordnung ist aber noch kei-ne Aussage über die Art und Weise der Erfüllung getroffen worden. Gerade hier hat sich in den vergan-genen zwei Jahrzehnten un-ter dem Stichwort Aufga-benkritik viel verändert. Vor

Die Kommunen sind zu Opfern ihrereigenen Erfolgsstory geworden, indem

ihnen – zu Lasten der freiwilligenAufgaben – immer neue staatliche

Aufgaben zugewiesen wurden.

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Eine im wahrsten Sinne des Wortes riesige Aufgabe von Kommunen:Fütterung im Zoo Foto: SAKRET

allem die kommu-nale Praxis schenkte den Problemen der Steuerung und der Erfolgskontrolle zu-nehmend Aufmerk-samkeit, wenn auch in einer meist stark an konkreten Pro-blemen orientierten Betrachtungsweise. Damit einher gingen Versuche, die Kosten des Verwaltungshan-delns besser zu er-fassen und Aufgaben in Randbereichen wie Schlachthöfe, Müllabfuhr und Straßenreinigung mehr und mehr an Dritte zu vergeben. Denn im Unterschied zum pri-vatwirtschaftlichen Sektor, in dem Steuerung und Erfolgs-kontrolle systemimmanent durch Marktmechanismen und Gewinne und Verluste miteinander verknüpft sind, fehlten im kommunalen Bereich vergleichbar elegante Rückkoppelungsmechanismen. Für die 80er- und 90er-Jahre ist so eine Entwicklung sichtbar, die sich überspitzt als Modernisierung der Kommunalverwaltung kennzeich-nen lässt.

Diese Modernisierungsdebatte mit der Stoßrichtung einer Effektivierung und Beschleunigung der administra-tiven Prozesse hat die Kommunalverwaltung vor neue An-forderungen gestellt. Vor allem die unter den Stichwörtern „Neues Steuerungsmodell“ oder „New Public Manage-ment“ firmierenden Ansätze sind stark betriebswirtschaft-lich geprägt und haben in ihrer Folge zu einer „Ökonomi-sierung der Verwaltung“ geführt.

Der Grundgedanke, Strategien aus der Wirtschaft auf die Prozesse in der Kommunalverwaltung zu übertragen, barg die Hoffnung auf eine Effektivitätssteigerung des ad-ministrativen Handelns und der Dienstleistungen von Ver-waltungen. Auch wenn heute unumstritten sein dürfte, dass öffentliche Verwaltungstätigkeit bei weitem nicht in allen Fällen vergleichbar ist mit Aufgaben von privatwirt-schaftlichen Unternehmen, so bedeuten die prozessöko-nomischen Ansätze dieser Public-Management-Strategien doch erhebliche Steuerungsgewinne für Kommunalver-waltungen. Schließlich führten diese Ansätze und Stra-tegien zu Kooperationen und Partnerschaften zwischen kommunalem und privatem Sektor, die unter dem Begriff Public-Private-Partnership firmieren. Hier dürften wohl kaum Zweifel daran bestehen, dass diese Entwicklung er-neut wichtige Wandlungsprozesse auslösen wird.

Vor diesem Hintergrund des Aufgabenwandels und des stetigen Modernisierungsdrucks fällt auf, dass etwa 75 bis 85 Prozent der kommunalen Aufgaben zu den Pflichtaufgaben oder Auftragsangelegenheiten zählen, mithin nicht originär kommunaler Natur sind. Der Raum

für Selbstverwaltungs-aufgaben bewegt sich nur zwischen 15 und 25 Prozent. Realistischen Annahmen zur Folge stehen den Kommu-nen maximal fünf Pro-zent des Gesamtetats – bei fallender Tendenz – zur Bestreitung dieser wichtigen Aufgaben zur Verfügung. Das Resultat der Aufgabenaufbür-dung auf die Städte und Gemeinden versetzt die Kommunalpolitiker in die immer gleichen

Handlungszwänge: mitunter scharfe Einschnitte bei den freiwilligen Aufgaben. Die Erhöhung von Eintrittsgeldern bei Museen, die Pflegereduzierung bei städtischen Grün-anlagen bis hin zur Schließung von Schwimmbädern und Theatern sind landauf, landab bekannte, staatlich er-zwungene Handlungsmuster. Letztendlich provoziert die Überlastung der Kommunen mit staatlichen Pflichten ei-nen Abbau der freiwilligen Aufgaben. Die Einbindung der Kommunen in die staatliche Problemverarbeitung hat sie in ihrer Handlungs- und Steuerungsfähigkeit nachhaltig geschwächt, de facto werden die Kommunen bei ihrer Aufgabenwahrnehmung fremdbestimmt.

Diesem Phänomen steht ein Bedeutungszuwachs der kommunalen Ebene gegenüber. Der Aufgabenumfang der Städte und Gemeinden ist seit der Gründung der Bundes-republik stetig gewachsen. Gerade ihre hohe Problemver-arbeitungsfähigkeit hat den Kommunen immer wieder neue Aufgaben beschert. Das Ergebnis ist paradox: Der Erfolg der Kommunen hinsichtlich ihrer Funktionsfähig-keit hat sie auf der anderen Seite zu Opfern ihrer eigenen Erfolgsstory werden lassen, indem ihnen – zu Lasten der freiwilligen Aufgaben – immer neue staatliche Aufgaben zugewiesen wurden.

Den traditionell ausgedehnten und hochwertigen kom-munalen Aufgabenstandard werden die Kommunen auf-grund ihrer Finanznot nicht auf dem bisherigen Niveau halten können. Sollte die Unterfinanzierung anhalten, wo-von momentan auszugehen ist, muss mit weiteren Aufga-benliquidierungen, zumindest mit Qualitätseinbußen im Bereich der freiwilligen Aufgaben gerechnet werden. Der klar zu beobachtende Trend der Auslagerung kommuna-ler Aufgaben in Privatunternehmen wird dann weiter zu-nehmen, ebenso wie die vielschichtigen Formen, die unter dem Begriff Public-Private-Partnership zusammengefasst werden, an Bedeutung gewinnen.

Professor Rainer Frey lehrt Kommunalpolitik an derUni Münster, Christoph Brake ist Mitarbeiter am dortigenInstitut für Politikwissenschaft

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Interview mit Gerd Landsberg, GeschäftsführendesPräsidialmitglied des Deutschen Städte- und Gemeinde-bundes

„Die Regelungswut musssofort beendet werden“

In Deutschland agieren drei kommunale Spitzenverbände: Der Deutsche Städtetag, der Deutsche Städte- und Ge-meindebund und der Deutsche Landkreistag. Sie konkurrieren – teils historisch, teils aus Interessenlage begründet – auf verschiedenen Feldern. Dennoch haben sie sich bereits vor über 50 Jahren in der Bundesvereinigung der kom-munalen Spitzenverbände zusammengeschlossen und betreiben ein gemeinsames Europabüro in Brüssel. Die Feder-führung liegt beim Städtetag.

Dessen Gründung 1905 in Berlin war der erste reichsweite Zusammenschluss der Städte. Traditionell gilt der Städ-tetag als Vertreter der großen Kommunen. Nach der Zwangsvereinigung 1933 mit anderen kommunalen Spitzenver-bänden gründete sich der Städtetag 1945 erneut. Laut eigenen Angaben gehören ihm über 5.500 Städte mit 51 Milli-onen Einwohnern an. Präsidentin ist die Oberbürgermeisterin von Frankfurt am Main, Petra Roth.

Der Städte- und Gemeindebund entstand in dieser Form 1973 aus einer Fusion von Städtebund und Gemeinde-tag. Traditionell vertritt der Städte- und Gemeindebund eher die kleineren kreisangehörigen Städte und Gemeinden. Nach eigenen Angaben repräsentieren seine Mitgliedsverbände über 14.000 Städte und Gemeinden mit über 47 Mil-lionen Einwohnern. Präsident ist seit 2003 Bautzens Oberbürgermeister Christian Schramm.

Der Deutsche Landkreistag existiert unter diesem Namen seit 1922. Ihm gehören mittelbar über die Landkreis-verbände in den 13 Flächenländern alle 323 Landkreise an. Der Landkreisbereich umfasst rund 96 Prozent der Fläche Deutschlands, dort leben knapp 56 Millionen Einwohner, etwa 68 Prozent der Bevölkerung. Präsident ist seit Ende ver-gangenen Jahres Hans Jörg Duppré, Landrat des Landkreises Südwestpfalz. bis

Das ParlamentWie schätzen Sie die Situation der Städte und Gemein-

den ein?Gerd Landsberg

Die Kommunen befinden sich in der schwersten Finanz-krise seit dem Bestehen der Bundesrepublik. Der im letzten Jahr erfolgte und von der Bundesregierung in den Medien immer wieder thematisierte Anstieg bei den Einnahmen aus der Gewerbesteuer hat den Kommunen nur partielle Mehreinnahmen gebracht. Dies betraf lediglich eine Ein-nahmeart und reichte bei weitem nicht aus.

Wir gehen davon aus, dass dies auch in diesem Jahr so sein wird, da wir weiterhin mit einer rückläufigen Entwick-lung bei anderen Einnahmearten wie dem gemeindlichen Anteil an der Einkommensteuer rechnen. Hinzu kommt ein Anstieg bei den Ausgaben für Pflichtaufgaben wie den sozialen Leistungen. Dies zeigt: Die Absenkung der Gewerbesteuerumlage ist zwar ein richtiger Schritt, aber sie allein löst weder in diesem Jahr, noch in den künftigen Jahren die strukturellen Probleme in der finanziellen Aus-stattung der kommunalen Haushalte.Das Parlament

Wie haben sich die kommunalen Finanzen konkret ent-wickelt?Gerd Landsberg

Im Jahr 2004 wird nach den bisher vorliegenden Ergeb-nissen mit einem Defizit in den kommunalen Haushal-ten zwischen acht und neun Milliarden Euro zu rechnen sein, realistisch wird in etwa der Wert aus dem Jahr 2003, nämlich 8,5 Milliarden Euro sein. Zur Orientierung: Diese

8,5 Milliarden Euro waren einmal ein beispielloser Rekord-wert, auf dessen Niveau wir nun verharren. Dies war na-hezu eine Verdoppelung gegenüber dem Jahr 2002 mit annähernd 4,7 Milliarden Euro. Im Jahr 2000 lag das Fi-nanzierungssaldo der Kommunen noch bei Plus 1,9 Milli-arden Euro. Das darf nicht in Vergessenheit geraten, wenn heute von angeblichen Entlastungen der Kommunen die Rede ist.

Zudem beobachten wir seit Jahren einen kontinuierli-chen Anstieg der Ausgaben für soziale Leistungen. Eine der Ursachen hierfür möchte ich am Beispiel Grundsicherung erläutern: Diese grundsätzlich zu begrüßende Verbesse-rung für Menschen mit keinen oder nur geringen Ansprü-chen auf Rente wurde zum 1. Januar 2003 durch Bundes-gesetz eingeführt. Zur Finanzierung zieht der Bund die Kommunen heran, die aufgrund der bundesgesetzlichen Kompetenzzuweisungen keine finanzielle Erstattung vom Bund für diese Mehrbelastung bekommen. Zwar wurden die Kommunen gleichzeitig bei der Sozialhilfe entlastet, allerdings übersteigen die Belastungen durch die Grund-sicherung diese Entlastungen um ein Vielfaches. Für Städ-te und Gemeinden hat dies ganz konkrete Auswirkungen: Im ersten Halbjahr 2004 lagen wir bei einem Ausgabenzu-wachs um sieben Prozent, auf das Jahr berechnet gehen wir von circa sechs Prozent aus. Dies zeigt: Eine Begren-zung der Ausgaben der Kommunen kann nur durch einen Entlastung bei den Aufgaben erreicht werden.Das Parlament

Welche Vorschläge hat der Städte- und Gemeindebund für eine Begrenzung der Zuweisung von Aufgaben an die Kommunen?

DieVerbände

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Gerd LandsbergWir fordern im Rahmen der Modernisierung der bun-

desstaatlichen Ordnung, dem Bund die Möglichkeit zu nehmen, den Kommunen überhaupt Aufgaben zuzuwei-sen. Die kommunale Selbstverwaltung, wie sie in Artikel 28 Absatz 2 des Grundgesetzes garantiert wird, läuft teil-weise ins Leere. Dies hat im Wesentlichen zwei Gründe: Zum einen haben Bund und Länder in der Vergangenheit sukzessive die kommunale Selbstverwaltung ausgehöhlt, durch eine Verschiebung der Aufgabenverteilung in der bundesstaatlichen Ordnung, die die Interessen der Kom-munen nur zu selten berücksichtigte.

Andererseits ging dies einher mit einer strukturellen Verschiebung bei der Finanzausstattung der Kommunen im Verhältnis von Bund und Ländern. Im Rahmen einer Ge-meindefinanzreform müssen wir den ursprünglichen An-teil der Gemeinden am Steueraufkommen deshalb wieder erreichen. Die Absenkung der Gewerbesteuerumlage, die den Kommunen im Jahr 2004 etwa 2,5 Milliarden an Ent-lastung verspricht, reicht bei weitem nicht aus.Das Parlament

Sie fordern nach wie vor eine Gemeindefinanzreform?Gerd Landsberg

Erforderlich ist endlich ein großer Wurf, der in der Lage ist, die Inkongruenz von Aufgaben und Ausgaben nachhal-tig zurückzuführen. Wir sind dabei offen für Vorschläge, die dies zu leisten im Stande sind und den Gemeinden die nö-tigen finanziellen Spielräume zurückgeben.Das Parlament

Was müsste eine Gemeindefinanzreform, die ihrer An-sicht nach ihrem Namen gerecht wird, leisten?Gerd Landsberg

Die Kommunen können in ihrer krisenhaften Situation nur eine Reform mittragen, die ihnen mehr Einnahmen als bisher beschert, und zwar langfristig gesehen. Denn viel-fach geht es erst einmal darum, die gemeindliche Finanz-autonomie wieder herzustellen. Wichtig erscheint mir au-ßerdem, dass es keine Verwerfungen zwischen einzelnen Kommunen geben darf, beziehungsweise dass diese an-gemessen ausgeglichen werden. Es geht hier um die Fra-ge der Verteilungsgerechtigkeit. Außerdem darf es nicht – wie bei nahezu jeder Reform – zu einer Erhöhung des Verwaltungsaufwands kommen, denn dies würde wie-derum Mehrkosten zur Folge haben. Auch möchte ich betonen: Die Gewerbesteuer, deren Abschaffung zuletzt wieder vielfach gefordert wurde, muss solange erhalten bleiben, bis es eine echte Alternative dazu gibt.

Aus meinen Ausführungen zur Aushöhlung der ge-meindlichen Selbstverwaltung folgt aber auch: Eine Ge-meindefinanzreform kann sich nicht bloß auf die Einnah-menseite beschränken. Gemeinden brauchen größere Spielräume bei der Aufgabenwahrnehmung.Das Parlament

Wie könnten den Kommunen größere Handlungsspiel-räume verschafft werden?Gerd Landsberg

Ohne Bürokratieabbau wird es in Deutschland keinen Aufschwung geben. Der Deutsche Städte- und Gemein-

debund fordert weniger und bessere Gesetze in Deutsch-land. Zu viele Normen und Standards schränken die Hand-lungsspielräume der Städte, Gemeinden, Bürger und Wirtschaft ein und verhindern damit Innovation, Wachs-tum und Selbstverantwortung. Wir brauchen eine Reform der Gesetzgebung. Notwendig sind verständlichere und praxisorientierte Gesetze. Die Regelungswut muss sofort beendet werden.

In der 8. Wahlperiode des Bundestages (1976 bis 1980) wurden insgesamt 339 Gesetze verkündet, in der vergan-genen Wahlperiode (1998 bis 2002) waren es bereits 546. Derzeit gelten in Deutschland rund 2.150 Bundesgesetze und rund 3.130 Rechtsverordnungen. Hinzukommen für je-den Bundesbürger mehrere hundert Landesgesetze und -verordnungen sowie kommunale Satzungen. Das gelten-de Recht der Europäischen Union umfasst allein 105.000 Seiten. Mit dieser Flut von Regelungen hat der Einsatz neu-er Instrumente und Methoden im Gesetzgebungsverfah-ren nicht Schritt gehalten.Das Parlament

Und wie wollen Sie die Gesetzgebung verbessern?Gerd Landsberg

Wir fordern, dass jedes Gesetzgebungsverfahren eine umfassende Gesetzesfolgenabschätzung durchlaufen muss. Die Prüfung europäischer Rechtssetzungsvorhaben ist durch eine neue Form der Normfolgenabschätzung zu erweitern. Die Bundesregierung muss feststellen, welcher Änderungsbedarf sich durch europäische Regelungen im Bundesrecht ergibt und welche Kosten für wen daraus entstehen. Soweit möglich, sind Gesetze, Rechtsverord-nungen und Verwaltungsvorschriften zeitlich zu befristen. Ein „Gesetzes-TÜV“, das heißt die regelmäßige Prüfung der Normen auf Notwendigkeit und Praxistauglichkeit, ist einzuführen. Bei jedem Gesetzesvorhaben sollte zunächst auch geprüft werden, ob als Alternative eine freiwillige Selbstvereinbarung oder ein kooperatives Modell in Be-tracht kommt.Das Parlament

Gibt es Vorbilder für diese Forderungen und sind sie nicht unrealistisch?Gerd Landsberg

Im Gegenteil. In Österreich wurde der so genannte Kon-sultationsmechanismus sogar in der Verfassung geregelt. Danach darf der Bund die anderen Ebenen (Länder oder Kommunen) nur belasten, wenn über die Kostenfolge eine einvernehmliche Regelung getroffen wurde. Aber auch ohne eine Änderung des Grundgesetzes könnte die Bun-desregierung auf der Grundlage einer Selbstverpflichtung solche Verfahren sofort praktizieren. Auch die Europäische Union wird sich in dem EU-Verfassungsentwurf zu einer umfassenden Einbindung und Anhörung der repräsen-tativen Verbände verpflichten. Da dürfen wir in Deutsch-land nicht zurück stehen. Wir stehen in unserem Land alle miteinander vor schweren, aber unvermeidbaren Reform-schritten. Der Bund und die Länder müssen erkennen, dass sie diesen Reformweg ohne die Kommunen nicht werden zurücklegen können.Die Fragen stellte Bert Schulz

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Interview mit Stephan Articus, dem Hauptgeschäfts-führer des Deutschen Städtetages

„Die kommunale Selbst-verwaltung verkommt mehr und mehr zur reinen Leerformel“

Das ParlamentWelche Bedeutung haben die Kommunen für die Bür-

ger?Stephan Articus

Mit den Kommunen kommen die Bürgerinnen und Bür-ger alltäglich unmittelbar in Berührung. Ob sie ins Theater gehen oder ins Schwimmbad, ob sie mit Bus oder Straßen-bahn unterwegs sind oder ob ihre Kinder im Kindergarten betreut werden – all das sind zumeist kommunale Ange-bote. Vielen Menschen ist gar nicht bewusst, welch vielfäl-tige Leistungen die Städte und Gemeinden erbringen. Die Kommunen haben aber noch aus einem anderen Grund eine Schlüsselfunktion für unser Gemeinwesen: Auf keiner anderen politischen Ebene wird Demokratie für die Men-schen so unmittelbar erfahrbar, wie das in den Kommu-nen der Fall ist. Es gilt im wahrsten Sinne des Wortes: Ohne Städte ist kein Staat zu machen.Das Parlament

Wie hat sich die Situation der Kommunen in Deutsch-land in den vergangenen zehn Jahren verändert?Stephan Articus

Die entscheidendste Veränderung ist, dass sich die Ge-staltungsspielräume der Kommunen erheblich verringert haben. Unter dem seit Anfang der 90er-Jahre herrschen-den massiven Konsolidierungsdruck haben die Städte in Deutschland ihre Investitionen drastisch reduzieren müs-sen – inzwischen um mehr als zwölf Milliarden Euro jähr-lich gegenüber dem Jahr 1992 – und ihre freiwilligen Leis-tungen zurückfahren müssen. Gleichzeitig haben Bund und Länder den Städten immer mehr Aufgaben übertra-gen, ohne für eine angemessene Finanzierung zu sorgen. Es steht zu befürchten, dass die im Grundgesetz garantier-te kommunale Selbstverwaltung angesichts dieser Trends zu einer reinen Leerformel verkommt.Das Parlament

Haben die Kommunen in den vergangenen zehn Jah-ren an politischer Bedeutung verloren, oder woran liegt es, dass ihre Anliegen von Bundesund Landespolitikern oft ge-flissentlich ignoriert wurden?Stephan Articus

Ich glaube nicht, dass die Kommunen an Bedeutung verloren haben, denn sie waren rein verfassungsrechtlich betrachtet schon immer Teil der Länder und hatten somit keine Möglichkeit, wie Bund und Länder an der Gesetzge-bung mitzuwirken. Das daraus folgende Grundproblem ist, dass sich Bund und Länder oft zu Lasten der Kommu-nen einigen. Bei eigenen Finanzproblemen ist die Versu-

chung dazu besonders groß. Die Kommunen können sich dagegen aufgrund fehlender Rechte nicht angemessen zur Wehr setzen, obwohl sie genauso durch demokratische Wahlen legitimiert sind. Zur Lösung der kommunalen Fi-nanzkrise brauchen die Kommunen deshalb nicht nur eine Gemeindefinanzreform, sondern es muss auch ihre struk-turelle Benachteiligung gegenüber Bund und Ländern auf-gehoben werden.Das Parlament

Ist eines der Probleme, dass das Grundgesetz den Städ-ten und Gemeinden die Selbstverwaltung zwar zusichert, die Kommunen diese jedoch nur in sehr geringem Maße mit eigenen Steuermitteln ausstatten können?Stephan Articus

Es ist in der Tat sehr problematisch, wenn den Städten und Gemeinden die kommunale Selbstverwaltung zwar im Grundgesetz garantiert wird, für die konkrete Umset-zung dieser Garantie aber vielerorts die Finanzmittel feh-len. Deshalb haben die Kommunen in den Beratungen über eine Gemeindefinanzreform nicht nur eine Entlas-tung bei den Ausgaben verlangt, sondern stets auch dar-auf hingewiesen, dass die Steuereinnahmen der Städte und Gemeinden gestärkt und verstetigt werden müssen. Um die strukturelle Finanzkrise der Kommunen zu be-kämpfen, sind aber auch verfassungsrechtliche Korrektu-ren nötig. Im Grundgesetz sollte unserer Meinung nach ausdrücklich festgestellt werden, dass zur Garantie der kommunalen Selbstverwaltung auch die dazu erforderli-che Finanzausstattung gewährleistet werden muss.Das Parlament

Die Gewerbesteuereinnahmen der Kommunen sind im ersten Halbjahr 2004 wieder gestiegen. War dies eine Trendwende hin zu den glorreichen Zeiten Ende der 90er-Jahre?Stephan Articus

Der zum Teil kräftige Anstieg der Gewerbesteuereinnah-men in vielen – keineswegs in allen – Städten ist erfreulich, und wir hoffen natürlich, dass dieser positive Trend anhält. Denn die Einbrüche der Gewerbesteuer in den Jahren 2001 und 2002 haben die schon zuvor vorhandenen kommu-nalen Finanzprobleme sehr verschärft. Die jetzt erkenn-baren Zuwächse der Gewerbesteuer brauchen die Städte deshalb dringend, um ihren Aufgaben wieder besser ge-recht werden zu können. Die kommunalen Investitionen sind jahrelang verfallen, die Sozialausgaben steigen und steigen, die Kassenkredite haben eine nie da gewesene Rekordhöhe erreicht. An diesen Fakten sehen Sie, dass wir

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aus einem tiefen Tal kommen und jetzt erste Schritte wie-der aufwärts gehen können. Glorreiche Zeiten, in denen wir Gipfel stürmen können, sind also noch längst nicht angebrochen.Das Parlament

Müssen die Kommunen stärker an der Gesetzgebung des Bundes und der Länder beteiligt werden? Sollte es etwa eine „Dritte Kammer“ geben?Stephan Articus

Eine verbindliche Beteiligung der Kommunen an Ge-setzgebungsverfahren des Bundes hält der Deutsche Städ-tetag für zwingend notwendig. Es ist sehr ärgerlich, dass die Föderalismus-Kommission dieses Thema trotz mehr-facher Vorstöße der kommunalen Spitzenverbände nicht aufgegriffen hat. Wir fordern, dass ins Grundgesetz ein An-hörungsrecht der Kommunen aufgenommen wird. Außer-dem muss es eine systematische Abschätzung der finanzi-ellen Folgen von Gesetzen geben, damit den Kommunen nicht immer wieder immense Kosten aufgeladen werden. In den Fällen, in denen der Bundesgesetzgeber Kosten auf die Kommunen überträgt, muss er die Kosten selber tra-gen. Eine „Dritte Kammer“ hat auf den ersten Blick sicher Charme. In einer Zeit, da vor allem über die Entflechtung der Gesetzgebungskompetenzen diskutiert wird, wäre es jedoch nicht zielführend, einen genau in die entgegenge-setzte Richtung weisenden Vorschlag zu machen.

Zur Geschichte städtischer Selbstverwaltung / Von Adelheid von Saldern

Ein steinerner Weg

Das ParlamentWelche Auswirkungen hat die gestiegene Bedeutung

der EU in Fragen der Gesetzgebung auf die Städte und Ge-meinden und wie reagieren die Kommunen darauf?Stephan Articus

Wir gehen davon aus, dass rund 70 Prozent aller Ent-scheidungen auf der EU-Ebene einen kommunalen Be-zug haben. Sie greifen entweder direkt in lokale Aufga-benbereiche ein oder sind im Rahmen der nationalen Umsetzung von EU-Recht von den Kommunen anzuwen-den. Spätestens mit der Einführung des Europäischen Bin-nenmarktes im Jahre 1986 ist Europa auch im Rathaus an-gekommen. Der europäische Rahmen erfordert von der kommunalen Politik erhebliche Anpassungsprozesse, die zum Teil durch kommunale Europabeauftragte und zum Teil durch ein verstärktes Engagement der kommunalen Spitzenverbände und anderer Netzwerke organisiert wer-den. Besonders wichtig ist, dass bei aller notwendigen In-tegration die Belange der Kommunen nicht übergangen werden. Vor diesem Hintergrund ist es sehr erfreulich, dass der europäische Verfassungsvertrag die kommunale Selbstverwaltung ausdrücklich erwähnt und die Stärkung des Subsidiaritätsprinzips in der Europäischen Union an-erkennt.

Die Fragen stellte Bert Schulz

Die Geschichte der städtischen Selbstverwaltung ist engstens mit der Person des Freiherrn vom Stein (1757-1831) verbunden. Er gehört zu den wenigen Staatsmän-nern, die in allen Phasen deutscher Geschichte geschätzt wurden, selbst in der NS-Zeit. Stein zählt zu den großen preußischen Reformern des frühen 19. Jahrhunderts. Ihm ging es im Kern um die weitgehende Loslösung der Stadtverwaltung aus dem spätabsolutistischen preußischen Herrschaftsgefüge. Die Selbstheilungskräfte sah Stein im städtischen Bürgertum als den Trägern von Handel, Finanzen und langsam aufkommender Industrie. Um ein städtisches Innovationsmilieu zu schaffen, sollten alle unnötigen staatlichen Eingriffsmöglichkeiten abgeschafft werden.

Preußens Aufgeschlossenheit gegenüber Reformen re-sultierte zum einen aus der leeren Staatskasse, zum ande-ren aus der Angst, es könnte nach dem Vorbild Frankreichs auch hierzulande eine Revolution ausbrechen. Wie auch auf anderen Gebieten, wurden die preußischen Reformen, so die Städtereform von 1808, in der Folgezeit ein Stück weit zurückgenommen und die Staatsaufsicht über die Städte wieder verstärkt. Hinzu kam, dass das Städterecht in den einzelnen preußischen Provinzen, aber auch in ganz Deutschland unterschiedlich geregelt blieb.

Gleichwohl entwickelten sich die Städte im 19. Jahrhun-dert überall de facto zum gesetzlich legitimierten Herr-schaftsgebiet des hausbesitzenden Bürgertums. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden allerdings die älteren

Honoratioren-Verwaltungen durch eine schnell wachsende Kommunal-bürokratie ersetzt und professionali-siert. Vergleichende zeitgenössische Erhebungen und Beobachtungen zeigen, dass die Handlungsspiel-räume von Stadt zu Stadt recht un-terschiedlich genutzt wurden. Ins-gesamt zeichnet sich die Bilanz städtischer Selbstverwaltung im Zeitalter der Industrialisierung und

Urbanisierung vielerorts durch eindrucksvolle Aktivitä-ten und Leistungen aus, die im Spannungsfeld von Ge-meinwohldenken und Klasseninteressen standen. Die Verfolgung von Klasseninteressen wurde durch das Klas-senwahlrecht oder andere undemokratische Wahlrechts-regelungen ermöglicht. Frauen hatten ebenfalls bis 1919 kein Wahlrecht, obwohl gerade sie auf dem Gebiet kom-munaler Wohltätigkeit ehrenamtlich tätig waren.

Die mangelnde Bereitschaft in Stadt und Staat, die Stadtverfassungen zu demokratisieren, wurde mit dem Argument zu legitimieren versucht, dass allein eine un-politische, über den Parteien schwebende, nur am städ-tischen Gemeinwohl orientierte Selbstverwaltung die Stadtentwicklung optimal vorantreiben könne. Hiermit

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war es nach bürgerlichem Selbstverständnis durch die De-mokratisierung des Kommunalwahlrechts und den Einzug von Sozialdemokraten in die Stadtparlamente 1919 vorerst vorbei. Die Kommunalpolitik wurde zu einem umkämpf-ten Feld der Parteien. In der großen Wirtschaftskrise um 1930 kam es zu Ansätzen, die politische Parteiendemokra-tie in den Kommunen erneut zu entmachten. Zu denken ist vor allem an das Änderungsgesetz der Berliner Kom-munalverfassung von 1931. Unter einem solchen Aspekt gesehen war der 1933 erfolgte Übergang zum Führerprin-zip fl ießend. Aus dem Konzept einer autoritären Kommu-nalverfassung wurde allerdings eine nach dem Führer-prinzip geregelte, diktatoriale Einparteienherrschaft. Die Nationalsozialisten interpretierten die auf solchen Grund-

sätzen basierende Deutsche Gemeindeordnung von 1935 fälschlicherweise als die wahre Form von deutscher Selbst-verwaltung, wie sie vorgeblich der Freiherr vom Stein ver-fochten habe.

Doch die Vereinnahmung des Freiherrn durch die Natio-nalsozialisten konnte diesem nichts anhaben: Fest veran-kert im kulturellen Gedächtnis des deutschen Bürgertums gelang es ohne viel Anstrengung, den christlich gesinnten Staatsmann in den 50er-Jahren wieder zu einer Leit- und Symbolfi gur für Selbstverwaltung und Liberalität zu stili-sieren. Dazu hatten die westlichen Besatzungsbehörden bereits realiter die Grundlagen geschaffen. Sie wollten keinen zentralistischen Einheitsstaat, sondern reaktivier-ten die föderalistische Tradition inklusive kommunaler

Porträt

Karl Freiherr vom und zum SteinEr hatte nur ein gutes Jahr Zeit, um sich als einer der bedeutendsten deutschen Staatsreformer in den Geschichtsbü-

chern zu verewigen: Am 30. September 1807 ernennt König Friedrich Wilhelm III. den Reichsfreiherrn Karl vom und zum Stein zum leitenden Minister. Jener zögert nicht lange und beginnt, weitreichende Verfassungsänderungen anzustoßen, von denen er selbst die Bauernbefreiung und die Städteordnung umsetzt. Schon im November des folgenden Jahres muss er auf Druck Napoleons den Dienst quittieren und schließlich nach Russland fl iehen.

Es war nicht Steins erste Zwangspause. Der 1757 in Nassau Geborene studiert in Göttingen Jura, Geschichte und Wirt-schaftswissenschaft. 1780 tritt er in den preußischen Staatsdienst ein und arbeitet in der Verwaltung. 1804 ernennt ihn der König zum Staatsminister. Stein soll die weit aufgefächerte Verwaltung in den preußischen Ländern durch eine zentrale und fachlich gegliederte Behörde ersetzen. Der Freiherr, der nicht zu den umgänglichsten Menschen gehört, scheitert je-doch; schlimmer noch: Anfang 1807 fällt er beim Regenten in Ungnade und wird entlassen. Seine – letztlich kurze – Auszeit nutzt Stein: Er zieht sich in seine Heimat zurück und verfasst im Juni 1807 die danach benannte „Nassauer Denkschrift“. Sie enthält die theoretischen Grundlagen der Steinschen Städteordnung und wird zu seinem bekanntesten Werk.

Stein geht darin von der Annahme aus, dass nach der militärischen Katastrophe von 1806 Preußen nur wieder erstar-ken könne, wenn die Bevölkerung stärker in die Staatsstrukturen eingebunden würde: Der „Einklang zwischen dem Geist der Nation, ihren Ansichten und Bedürfnissen und denen der Staatsbehörden“ müsse wieder hergestellt werden. Freilich bezieht er dies nur auf die „gebildeten Klassen“ – für Stein waren dies vor allem Haus- und Grundeigentümer. Jene sollen durch „Überzeugung, Teilnahme und Mitwirkung bei den Nationalangelegenheiten an den Staat geknüpft“ werden; „den Kräften der Nation“ solle „eine Richtung auf das Gemeinnützige“ gegeben werden. Kurz: Gemeingeist, Bürgersinn und Vaterlandsliebe müssten geweckt werden. Er zielt damit weniger auf eine allgemein verstärkte gesellschaftliche Mitbe-stimmung. Stein will den Einfl uss der Beamten zurückdrängen: Eigentümer fühlten sich, so seine Überzeugung, dem Ge-meinwesen stärker verpfl ichtet. Nach dem Frieden von Tilsit 1807 und dem Verlust großer Gebiete Preußens bekommt der Freiherr auf Drängen Napoleons die Chance, den preußischen Staat neu zu strukturieren und seine Reformen zu verwirkli-chen. Mit dem Edikt vom 9. Oktober jenes Jahres wird die Freiheit der Person und des Grundeigentums ausgerufen, die Erb-untertänigkeit der Bauern wird aufgehoben. Die Städteordnung wird am 19. November 1808 Realität.

Wenige Tage später ist Stein auf der Flucht: Er hatte sich an den militärischen Vorbereitungen Österreichs und Russlands gegen Frankreich beteiligt. Ab 1812 fi ndet er Anstellung als Berater von Zar Alexander, auf dem Wiener Kongress ist er nur als dessen Vertrauter ohne politischen Einfl uss anwesend. Ein Jahr darauf zieht er sich auf sein Gut zurück und widmet sich der Geschichtsforschung. Im Alter von 70 Jahren wird ihm noch einmal ein öffentliches Amt angetragen: Ab 1826 sitzt er als „Marschall“ – sprich Präsident – den ersten drei westfälischen Provinziallandtagen vor und versucht dabei, die regionale Selbstverwaltung weiter zu entwickeln. Am 29. Juni 1831 stirbt er auf seinem Landgut. bis

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Selbstverwaltungen – und das alles seit 1949 auf der Basis grundgesetzlich verankerter demokratischer Repräsenta-tivverfassungen. Die Kommunalverwaltungen, die vielfach von personeller Kontinuität zur NSZeit geprägt waren, ta-ten sich indessen schwer, wieder Macht an die Stadtpar-lamente abzugeben, Sozialdemokraten in der städtischen Bürokratie vorrücken zu sehen und vom trügerischen Leit-bild einer unpolitischen Kommunalpolitik Abstand zu neh-men. Bevor der Generationenwechsel einsetzte, blieb die kommunale Parteiendemokratie deshalb für zahlreiche Kommunalbeamten gewöhnungsbedürftig.

Herausforderung Demokratisierung

Kaum war die kommunale Parteiendemokratie richtig eingespielt und mental verkraftet, machte sich seit den späten 60er- und in den 70er-Jahren der Anspruch der Bürger und Bürgerinnen auf direkte Partizipation an den kommunalpolitischen Entscheidungen bemerkbar. Die Kommunalverwaltungen und Stadtparlamente empfan-den diesen außerparlamentarischen Mitsprachewillen und die darauf beruhenden Bürgerinitiativen als massive Herausforderung. Schließlich lernten sie jedoch, auf solche Mitbestimmungswünsche durch intensivierte Kommuni-kationsangebote und Bekundungen grundsätzlicher Dia-log- und Aushandlungsbereitschaft mehr oder weniger produktiv um-zugehen.

Von solchen Herausforderungen konnte in der DDR in jener Zeit noch keine Rede sein. Auf der Basis des so genannten demokratischen Zentra-lismus war 1949 ein zentralistischer Einheitsstaat errichtet, die kommu-nale Selbstverwaltung abgeschafft und zudem die Kommunalverwal-tung mit der SED verzahnt worden. Was blieb, war die Stadt als Sozi-al- und Kulturraum, außerdem Rest-funktionen der Stadtverwaltung und der Stadtverordnetenversammlun-gen, die für das alltägliche Zusam-menleben der Menschen jedoch nie ganz bedeutungslos wurden. 1989 waren es nicht zufällig die Stadtzentren, in denen sich eine kritische Öffentlichkeit artikulierte, in denen Bürgerinnen und Bürger für Freiheit und Demokratie demonstrierten und dabei auch gegen die undemokratische Handhabung der Kommunalwah-len protestierten

Wer die Geschichte der Selbstverwaltung im 20. Jahr-hundert verfolgt, muss freilich noch auf einen ganz an-deren Aspekt eingehen: Gemeint sind die mannigfachen Aufgaben der modernen, fl ächendeckenden Staatsver-waltung, die eine komplizierte Steuerverteilungspolitik zwischen Bund, Land und Kommunen nach sich zog und dabei die autonom zu bestimmenden fi nanziellen Hand-lungsräume der Kommunen beschränkte. Schon die Erz-bergersche Finanzreform von 1920 hatte den Stein ins Rollen gebracht. Die Große Finanzreform von 1969 inten-sivierte das Steuerverbundsystem zwischen Kommunen,

Land und Bund. Dadurch sollten die Kommunalfi nanzen gestärkt, die Konjunkturanfälligkeit verringert und die Pla-nungsmöglichkeiten gesteigert werden. Größere Investi-tionen bedurften allerdings stets der Mischfi nanzierung, das heißt der fi nanziellen Beteiligung durch Land und Bund. Wegen der fi nanzpolitischen Abhängigkeiten der Gemeinden sprachen Politikwissenschaftler seit den 70er-Jahren von lokaler Politik anstelle von Kommunalpolitik und Selbstverwaltung. Hiermit signalisierten sie zudem einen Paradigmenwechsel, insofern es galt, die Gesamt-heit des politischen und gesellschaftlichen Systems auf lo-kaler Ebene in den Blick zu nehmen. Die Gebietsreform der 60er- und frühen 70er-Jahre beendete in rund 16.000 Ge-meinden die herkömmliche Form der Selbstverwaltung.

Die leeren Kassen zwangen die Kommunen in der Fol-gezeit außerdem, nicht nur vermehrt auf Land und Bund zu sehen, sondern auch auf die Wirtschaft: Während zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Modell einer möglichst umfassenden, selbstbestimmten und selbstplanenden Dienstleistungskommune dominierte, prägten am Ende des 20. Jahrhunderts neoliberale Vorstellungen das Leit-bild. Auf Grund dieses Paradigmenwechsels und ange-sichts massiver Finanzprobleme beschritten die Kom-munen den Weg, der zur Reprivatisierung kommunaler Einrichtungen und zur Ökonomisierung der Stadtpolitik,

aber auch zu einer Ver-waltungsmodernisie-rung führte.

Doch sorgten die Städ-te durch ihre oftmals glanzvollen Selbstreprä-sentationen bei Stadtju-biläen dafür, dass trotz des einschneidenden strukturellen Wandels das traditionelle Bild kommunaler Selbst-verwaltung in der Öf-fentlichkeit nicht ganz verblasste. Mit guten Gründen konnte und kann nach wie vor auf den Freiherrn vom Stein

verwiesen werden, wenn es nämlich um die Geschichte von Emanzipation und Liberalität sowie um das Aufzei-gen eines historischen Beispiels geht, bei dem die Mobi-lisierung ziviler Kräfte im Mittelpunkt steht. Doch sollte dabei nicht vergessen werden, dass sich in den zurücklie-genden 200 Jahren der Bürgerbegriff entscheidend verän-dert hat. Meinte der Freiherr vom Stein mit dem Begriff des Bürgers im Kern den männlichen, bürgerlichen Haus- und Grundbesitzer, so umfasst der heutige Bürger-Begriff alle Bewohner und Bewohnerinnen inklusive der Migran-ten und Migrantinnen. Darauf beruht zumindest die Visi-on einer aktiven, gemeinwohlorientierten Bürgerkommu-ne im Rahmen einer sich weitgehend selbstregulierenden Zivilgesellschaft.

Adelheid von Saldern ist emeritierte Professorinfür Neuere Geschichte an der Uni Hannover

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Wie sich die Kommunen aus ihrer schweren Finanzkrisebefreien können, bleibt ein RätselVon Eva Haacke

Mäuse zählen, Streichliste auspackenDie Städte und Gemeinden in Deutschland stecken in ihrer schwersten Fi-nanzkrise seit Bestehen der Bundesrepublik. Die Einnahmen stagnieren, die Ausgaben steigen, und ein Ausweg ist nicht in Sicht. Die für vergangenes Jahr vorgesehene große Gemeindefinanzreform bleibt bisher Kosmetik, und von Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) haben die Kommunen nichts zu er-warten.

Der Traum eines jedenStadtkämmerers:Blühende Industrielandschaf-ten, hier das Werksgelände von Volkswagen in Wolfsburg

Foto: Autostadt/Marc-Oliver Schulz

Der Essener Stadtkämmerer Günter Berndmeyer lässt sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen, aber ein Blick auf die Kassenlage genügt, um ihn zu düsteren Progno-sen hinzureißen: „Keine Ahnung, wie lange das noch gut gehen kann. Die Stadt gibt nur für die laufenden Kosten täglich fast eine Million Euro mehr aus, als sie einnimmt. Das wird noch ganz bitter.“ Essen ist mit 1,1 Milliarden Euro verschuldet, allein die Kassenkredite für die laufenden Ver-waltungskosten beliefen sich für 2004 auf 800 Millionen Euro. Berndmeyer zahlt jährlich 88 Millionen Euro Zinsen an die Banken. Die Kommunalverwaltung zeigt den Stadt-vätern mittlerweile die rote Karte und fordert ein Haus-haltsicherungskonzept.

Wie Kämmerer Berndmeyer geht es bundesweit den meisten städtischen und kommunalen Kassenwarten. Das Prinzip heißt: Mäuse zählen und Streichlisten auspacken. Der Deutsche Städtetag erwartet für das vergangene Jahr ein Gesamtdefizit der kommunalen Haushalte von über 8,5 Milliarden Euro. Dabei sieht die Einnahmenseite der von Finanznot geplagten Städte und Gemeinden gar nicht schlecht aus: Im ersten Halbjahr 2004 stiegen die Ge-werbesteuereinnahmen brutto um 12,8 Prozent, das ent-spricht mehr als 1,5 Milliarden Euro. Die ostdeutschen Län-der haben sogar rund 27 Prozent mehr eingenommen. Bis Ende des vergangenen Jahres sollte das Gesamt-Gewer-besteueraufkommen bis zu 23 Milliarden Euro betragen. „Von leeren Kassen kann da nicht gesprochen werden“,

erklärt Karl Heinz Däke, der Präsident des Bundes der Steuerzahler, gegenüber „Das Parlament“. „Die übrigen Einnahmen, also die kommunalen Gebühren und Schlüssel-zuweisungen, sind in den ersten Monaten 2004 bundesweit um fast drei Prozent ge-wachsen.“

Nörgelei seitens der klammen Kommunen wehrt auch Bundesfinanzminister Hans Eichel gerne mit dem Hinweis auf weitere 2,5 Milliarden Euro aus der Reform der Gewer-besteuer ab. Bislang mussten 28 Prozent der Gewerbe-steuereinnahmen als so genannte Gewerbesteuerumlage an den Bund abgeführt werden. Jetzt sind es nur noch 20 Prozent. 2005 spüle dies den Kommunen über drei Milliar-den Euro in die Kassen, so Eichel. Die Gewerbesteuer ist die wichtigste Einnahmequelle. Sie muss von den ansässigen Unternehmen je nach Ertrag bezahlt werden; ihre Höhe wird von den Kommunen über einen Hebesatz festgelegt. Allzu fest dürfen die Stadtväter allerdings nicht an dieser Einnahmeschraube drehen, weil ihre Kommune sonst un-attraktiv werden würde.

Weitere Einnahmequellen sind die laufenden Zuwei-sungen von Bund und Ländern – sie betragen für 2004 etwa 38 Milliarden Euro – sowie Investitionszuweisungen in Höhe von 8,6 Milliarden Euro. Die Einnahmen aus Ge-bühren ärgern zwar die Bürger – 2004 werden es etwa 16 Milliarden Euro sein –, sie dürfen im Stadtsäckel aber nicht als Gewinn verbucht werden, sondern dienen lediglich der Kostendeckung der Verwaltung. Trotzdem versuchen vie-le Städte immer wieder, erhöhte Abfall- oder Stadtreini-gungsgebühren und Kita-Kosten in bare Münze für den Stadthaushalt zu verwandeln. „Das heißt bei uns neuer-dings griechische Buchhaltung“, erklärt ein Stadtkäm-merer aus Rheinland-Pfalz. Die Tricks: Fantasievoll wer-

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den immer neue Kostenpositionen zur Begründung der Gebührenerhöhungen herangezogen. Zudem neigen die Kämmerer dazu, etwa bei einer Müllverbrennungsanlage nicht die reine Abschreibung bei den Kosten mit ein zu be-rechnen, sondern den aktuellen Wiederbeschaffungswert – der natürlich jedes Jahr steigt.

Tatsächlich müssen Städte und Gemeinden jährlich be-trächtliche Ausgaben stemmen: In den alten und neuen Ländern belaufen sich die Gesamtausgaben 2004 voraus-sichtlich auf 152,5 Milliarden Euro. Den Löwenanteil davon machen Personalkosten (knapp 41 Milliarden Euro) und Sa-chaufwand für die Verwaltung (29 Milliarden Euro) aus. Das kommunale Finanzierungsdefizit erklärt der Deut-sche Städtetag vor allem durch die um rund acht Prozent gestiegenen Ausgaben für soziale Leistungen (alte Län-der: 27,6 Milliarden Euro, neue Länder: 4,5 Milliarden Euro). Weitere große Ausgabeposten sind der Schuldendienst mit bundesweit über fünf Milliarden Euro für Zinsen im Jahr 2004 sowie schließlich die für die Zukunft zentralen Sachinvestitionen (alte Länder: 16,5 Milliarden Euro, neue Länder: fünf Milliarden Euro). Ein Preis der Finanzkrise und des Sparzwangs: Die kommunalen Investitionen sind von 2002 auf 2003 um 9,3 Prozent gesunken. Das sind 38 Pro-zent oder zwölf Milliarden Euro weniger für Investitionen als noch 1992.

Trotz solcher Sparmaßnahmen sind die Städte mehr denn je gezwungen, laufende Ausgaben und Sozialtrans-fers mit Kassenkrediten zudecken: Sie stiegen seit 2003 um über fünf Milliarden Euro auf 16,25 Milliarden Euro. „Die Kassenkredite dienen eigentlich nur zur Überbrü-ckung kurzfristiger Finanzierungsengpässe“, erklärt Volker Bestlein, Sprecher des Deutschen Städtetages, „mittler-weile sind sie Dauerzustand.“

Ende 2003 sollte eine Gemeindefinanzreform die Kom-munalfinanzen auf sichereren Boden stellen. Finanzminis-ter Eichel wollte, dass künftig auch Freiberufler Gewer-besteuer zahlen, diese aber mit der Einkommensteuer verrechnen können. Außerdem sollte die Bemessungs-grundlage für die Gewerbesteuer auf Mieten, Pachten und Zinserträge ausgedehnt werden, mit dem Ziel, mehr Geld in die Kommunalkassen zu spülen. Das Ergebnis wäre eine wirtschaftlich problematische Substanzsteuer gewesen. Trotzdem sprachen sich hunderte Bürgermeister und der Deutsche Städtetag dafür aus. Doch das Modell scheiterte im Vermittlungsausschuss an der Union. Dort einigte man sich nur auf eine Art Nothilfeprogramm: 2,5 Milliarden Euro für die Kommunen durch die Senkung der Gewerbe-steuerumlage zu Lasten des Bundes.

Außerdem stellte sich zu Beginn des vergangenen Jah-res bei der im Hartz IV-Gesetz geplanten Zusammenle-gung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe heraus, dass es nicht zu der versprochenen Entlastung der Gemeinden um 2,5 Milliarden Euro kommen würde. Weil die Regierung auf die Reform des Arbeitsmarkts noch eine des Wohngeldes drauf gesattelt hatte, sahen sich die Gemeinden Mehrkos-ten in Milliardenhöhe gegenüber. Wirtschaftsminister Cle-ment musste nachbessern: Per Revisionsklausel stellt der Bund nun einen „zeitnahen und kassenwirksamen Aus-gleich“ im Falle „unerwarteter Mehrbelastungen durch Hartz IV“ in Aussicht. „Möglich war das nur, weil der Bund

die Städte zur Umsetzung seiner Arbeitsmarktreformen dringend braucht“, erklärt ein Vertreter des Deutschen Landkreistages „diesen Kuhhandel“.

Politischer „Kuhhandel“um Finanzen

Jedenfalls kann von einer echten Gemeindefinanzre-form keine Rede sein. Alle Bemühungen dazu scheinen auf Eis gelegt. Der Deutsche Städtetag sieht Reformbe-darf, klammert sich prinzipiell aber noch an der unsiche-ren Haupteinnahmequelle der Städte, der Gewerbesteuer, fest. Die Union sei über lediglich kurzfristige „Übergangs-lösungen“ nicht hinausgekommen, so die Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth, selbst CDU-Mitglied. Und die Bundesregierung mag das Thema nach dem Scheitern im Vermittlungsausschuss nicht so schnell wieder auf die Tagesordnung bringen.

Derweil dringt der Bund der Steuerzahler auf Abschaf-fung der Gewerbesteuer: „Auf der Einnahmeseite muss die konjunkturanfällige und steuersystematisch bedenkliche Gewerbesteuer vollständig abgeschafft werden“, erklärt Steuerzahler-Präsident Däke. „Sie ist durch eine höhere Be-teiligung an der Umsatzsteuer und durch Hebesatzrechte auf die Einkommen- und Körperschaftsanteile der Kom-munen zu ersetzen.“ Dies seien verlässlichere Einkom-mensquellen, sie vergrößerten die kommunale Selbstver-waltung in Deutschland. Auf der Ausgabenseite fordert Däke „strenge Ausgabendisziplin, Einsparungen bei den Verwaltungskosten“ und „verstärkt Privatisierungserlöse zum Abbau des kommunalen Schuldenbergs“.

Viele andere Möglichkeiten, um der Finanzmisere zu entkommen, haben die Kommunen bisher nicht. Was die Finanzausstattung angeht, bleiben sie Bittsteller bei Bund und Ländern. Ernsthafte Personaleinsparungen sind an-gesichts der beschlossenen Arbeitsmarktreformen mit neuen kommunalen Aufgaben mittelfristig eher un-wahrscheinlich. Was bleibt, sind sinkende Investitionen, Schließung von Schwimmbädern, Schulen, Theatern, Bür-gerdiensten – nichts davon macht Städte wirtschaftlich attraktiv. Einige setzen auf den Verkauf von Tafelsilber, aber hier gilt: wie gewonnen, so zerronnen. In der Regel fließen solche Erlöse zwar direkt in die Schuldentilgung, reichen aber bei weitem nicht zu einer echten Entlastung.

An die Erschließung mancher neuer Sparvarianten trau-en sich viele Stadtväter nicht heran – Bedenken sind dabei durchaus berechtigt. Eine Form sind die so genannten „Pu-blic-Private-Partnerships (PPP): Darüber lassen sich etwa Immobilienprojekte mit der Unterstützung privater Inves-toren realisieren. Das kann erfolgreich klappen. Allerdings muss dafür das Risiko von Anfang an zwischen den Part-nern geteilt werden und darf nicht als Bürgschaft oder Risikoübernahme bei der Stadt hängen bleiben. In jedem Fall wird es den Städten und Gemeinden in Deutschland nur gelingen, durch eine Mischung aus harten Einsparun-gen und sinnvollen Investitionen wieder auf einen grünen Zweig zu kommen – und auch das nur in Kombination mit einer echten Gemeindefinanzreform.

Eva Haacke ist Korrespondentinim Berliner Büro der „WirtschaftsWoche“

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Städte und Kommunen sindhoch verschuldet:

Einige beängstigende Details

Vom schwierigen Leben auf Pump

Den meisten Städten und Ge-meinden geht es nicht besser als vielen ihrer Einwohner: Sie leben auf Pump. Defizite und Verschul-dung der öffentlichen Haushalte in Deutschland haben Rekord-niveau erreicht. München steht mit rund 2,1 Milliarden Euro in der Kreide, Frankfurt mit 1,9 Mil-liarden, Leipzig mit knapp 900 Millionen und Halle mit über 316 Millionen. Das sind nur einige Beispiele: Bundesweit be-laufen sich die Schulden der Städte und Gemeinden auf über 100 Milliarden Euro. Und dies besagt nur die offizielle Statistik; real sind sie weit höher.

Der hohe Schuldenstand ist umso verblüffender, denn streng genommen dürfen sich Kommunen nur soweit verschulden, dass sie neben den laufenden Ausgaben dauerhaft den gesamten Schuldendienst (Zinsen und Til-gungen) aus den Einnahmen ihres Verwaltungshaushalts leisten können. Die Folge ist, dass strukturschwache Städte mit schwacher Steuerkraft und hohen Sozialhilfebelastun-gen wesentlich geringere Verschuldungsmöglichkeiten besitzen als vergleichbare Städte mit hoher Wirtschafts-kraft. Doch das gilt mittlerweile nur noch in der Theorie. Wie kommt es zu der hohen Verschuldung?

„Tatsächlich ist es leider fast schon üblich, dass Städte mit defizitären Haushalten zum Teil über mehrere Jahre zur Finanzierung ihrer laufenden Ausgaben auf Kassen-kredite zurückgreifen“, sagt Volker Bestlein, Sprecher des Deutschen Städtetages. Einen Kassenkredit kann man sich wie einen Überziehungskredit beim Girokonto vorstel-len, nur dass Städte und Gemeinden zwei bis drei Prozent Zinsen zahlen, während der Normalbürger mit zwölf und mehr Prozent dabei ist.

Viele Kommunen in Nordrhein-Westfalen vertuschen nach Einschätzung des Bundes der Steuerzahler ihren wahren Schuldenstand mit Hilfe von Kassenkrediten. „Be-zieht man diese Kredite mit ein, betragen die Schulden der Städte und Gemeinden in NRW fast 32 Milliarden Euro“, erklärt Haushaltsexperte Eberhard Kanski vom Steuerzah-lerbund. „Offiziell ausgewiesen werden aber nur 25 Milli-arden Euro.“ In machen Städten übersteigen die kurzfris-tigen Kredite die langfristigen Schuldverpflichtungen: In Wuppertal etwa stehen den langfristigen Verbindlichkei-ten von 463 Millionen Euro zusätzliche Kassenkredite von rund 498 Millionen Euro gegenüber – insgesamt also 961 Millionen Euro Schulden. Oberhausen hat 340 Millionen Euro langfristige Schulden und muss 610 Millionen Euro kurzfristige Kredite bedienen. Das wahre Ausmaß der Ver-schuldung wird so verschleiert.

Eigenbetriebe in der Kreide

Ähnlich trübe ist das Bild in Hessen: Die fünf großen hessischen Städte sind wesentlich höher verschuldet, als offiziell ausgewiesen. Frankfurt, Wiesbaden, Kassel, Darmstadt und Offenbach kommen im Jahr 2004 real auf knapp 5,18 Milliarden Euro Schulden und damit auf etwa zwei Milliarden mehr als in der amtlichen Statistik. Bun-

desweit werden durchschnittlich bereits 17 Prozent der Schulden über Kassenkredite finanziert. In den neuen Bundesländern verlief die Verschuldung noch rasanter als im Westen: Bereits nach fünf Jahren standen sie – je Einwoh-ner gerechnet – annähernd so hoch in der Kreide wie die west-deutschen Kommunen nach 45 Jahren. Tendenz: steigend. So

wuchsen die Kredite in Mecklenburg-Vorpommern 2004 auf 10,6 Milliarden Euro; von den sechs kreisfreien Städten schafft nur Stralsund einen ausgeglichenen Haushalt. In Brandenburg finanziert etwa Cottbus 42,3 Prozent seines Verwaltungshaushalts über Kassenkredite, in Eisenhüt-tenstadt sind es 41,5 Prozent.

Ein anderer, beliebter Weg der Kreditaufnahme ist die Verschuldung von städtischen Eigenbetrieben und Kran-kenhäusern, „die ebenfalls nicht in der Statistik auftau-chen, obwohl die Städte für diese ausgelagerten Schul-den voll verantwortlich sind“, sagt Ulrich Fried, Chef des hessischen Steuerzahlerbundes. Überall lauern solche fi-nanziellen Tretminen, und die Belastungen kumulieren sich von Jahr zu Jahr. Zum größten Problem der Kommu-nalhaushalte entwickeln sich die Soll-Fehlbeträge. Das sind die höheren laufenden Ausgaben früherer Jahre, die erst im Nachhinein zu finanzieren sind. Diese „Ver-lustvorträge“ – ein weiteres Instrument, um einen Haus-haltsplan besser aussehen zu lassen, als er ist – wuchsen in den 160 größten Städten Deutschlands 2004 um fast elf Prozent.

Als „Vorzeige-Schuldenberater“ wenn es um städtische Finanzen geht, gilt laut der „Welt am Sonntag“ der Düs-seldorfer Oberbürgermeister Joachim Erwin. Zum sechs-ten Mal in Folge präsentierte er einen ausgeglichenen Haushalt. Die Verbindlichkeiten Düsseldorfs sind seit sei-nem Amtsantritt von 1,6 Milliarden auf 989 Millionen Euro gesunken. Die Stadt zahlt rund 36 Prozent weniger Zinsen als noch vor fünf Jahren. Erwins Konzept ist vielschichtig. Erstens geht er unkonventionelle Wege. Gerade hat er zum Beispiel eine Wandelanleihe auf die RWE-Aktien der Stadt aufgenommen. Zweitens setzt er auf die Privatisie-rung kommunalen Vermögens. Einen Teil der Stadtwer-ke verkaufte Erwin für rund 450 Millionen Euro; das Geld floss komplett in die Entschuldung. Drittens hat er eiser-nes Sparen als Devise ausgegeben.

Viertens nutzt Erwin so genannte Cross-Boarder-Lea-sing- Geschäfte, das heißt, er hat Düsseldorfs Straßen-bahnschienen und Tunnel an einen ausländischen Inves-tor verkauft, der rund zwei Milliarden Dollar investierte und daraus im Heimatland Steuervorteile ziehen kann. Schließlich gibt es für fragwürdige Großprojekte keine Subventionen. Mit Investoren verhandelt Erwin direkt, er hasst Dienstwege. Die Bürger sind jedenfalls zufrieden mit dem Schuldenabbau: Trotz Ärger um Erwins persönli-che Steuererklärung wurde er Ende September vergange-nen Jahres glatt wiedergewählt.

Eva Haacke

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Der Wettbewerb der Gemeinden unter-einander ist oft schädlich für alleVon Constanze Hacke

Das Ende desKirchturmdenkensManchmal geht es nur um wenige Minuten. Ein kleiner Vorsprung, der entscheidet, wo Arbeitsplätze entstehen. In diesem Fall waren es knapp zehn Kilometer, die der oberbergischen Gemeinde zur Autobahnauffahrt fehlten. Kilometer, die für ein Speditionsunternehmen entschei-dend waren: Je länger der Weg zur Autobahn, desto länger die Gesamtstrecke der Lastwagen. Der Spediteur rechnete dem Rat der Stadt Hückeswagen seine potenziellen Ver-luste in Minuten vor – und entschied, sein Unternehmen im neuen Gewerbegebiet der benachbarten Stadt anzu-siedeln. Denn dort war man mit der neuen Umgehungs-straße direkt an die A 1 angebunden und konnte sich auch über gut 50 hinzugewonnene Arbeitsplätze freuen.

Infrastruktur ist eine der wesentlichen Trumpfkarten vieler Kommunen im Standortwettbewerb. Gleich ob es um die Anbindung an einen Zubringer oder um die Er-schließung eines neuen Industriegebiets geht: Städte und Gemeinden versuchen seit jeher, mit der optimalen Kom-bination von Standortfaktoren Unternehmen anzulocken – und damit sowohl Arbeitsplätze als auch Steuereinnah-men zu sichern. In Zeiten leerer Kassen, hoher Arbeitslo-sigkeit und strukturellen Wandels ist die Ansiedlung von Unternehmen für viele Kommunen zur Überlebensfrage geworden. Finanzknappheit gehört dabei zu den schwer-wiegendsten Problemen: Stärker denn je hängen Städte und Gemeinden am Tropf von Landeszuweisungen, die die Unterschiede zwischen armen und reichen Gemein-den ausgleichen sollen, und an den durch schwindende Steuereinnahmen ebenfalls sinkenden Zuteilungen von Einkommen- und Umsatzsteuer.

Die Antwort der Kommunen fiel über Jahre vielfach ähn-lich aus: Fast alle Städte und Gemeinden schlugen diesel-ben Wege der kommunalen Wirtschaftsförderung ein und traten miteinander in scharfe Kon- kurrenz. Dabei ist das Gewerbesteueraufkommen nicht nur die wichtigste Einnahme-quelle der Kommunen, sondern war in der Vergangenheit oft auch eine der Stellschrauben im Wettbewerb: Die Gemeinden können die Höhe der Gewerbesteuer beeinflussen und über einen prozentualen He-besatz festlegen, wie viel Gewer-besteuer die Unternehmen am Ort

zahlen müssen. So versuchten Gemeinden quer durch das ganze Bundesgebiet, mit niedrigen Hebesätzen Firmen anzulocken. Eine kurzsichtige Rechnung, denn die von den Kommunen so dringend benötigten Gewerbesteuer-einnahmen – an sich schon stark konjunkturabhängig im Aufkommen – fielen so noch geringer aus.

Dem Wettlauf der kommunalen Lockangebote schob das Bundesfinanzministerium im vergangenen Jahr ei-nen Riegel vor und legte einen Mindesthebesatz fest. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund lehnt einen bloßen Wettlauf um die niedrigsten Hebesätze ohnehin ab: „Wir sind der Auffassung, dass die Absenkung der Hebesätze dann ihre Grenzen findet, wenn daraus nur noch ein Ein-nahmeverzicht resultiert. Die Standorte in Deutschland haben hohe Qualität, und das hat seinen Preis. ‚Geiz ist geil‘ ist kein Werbeslogan für Städte und Gemeinden und schädlich für die Wirtschaftsentwicklung“, meint Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Verbandes.

Die Abhängigkeit von eigenen Steuereinnahmen sorg-te in vielen Kommunen zudem für eine Abhängigkeit von großen Gewerbesteuerzahlern und führte so zu einer ver-schärften Rivalität zwischen den Gemeinden. Planlose Industrieansiedlung um jeden Preis, billige Grundstücke und großzügig ausgewiesene Gewerbeflächen waren die Folge. Das Ergebnis fiel oft zweifelhaft aus, sind Gertru-de Penn-Bressel und Andreas Troge vom Bundesumwelt-amt überzeugt: In ihren Thesen zur Flächeninanspruch-nahme kritisieren sie den interkommunalen Wettbewerb um Einnahmequellen. Bundesweit wachse der Bestand an Brachflächen jeden Tag um ungefähr zehn Hektar pro Tag, Investitionen in neue Gewerbeflächen führten in der Gesamtbilanz oft nur zu Betriebsverlagerungen zwi-schen den Gemeinden einer Region – ein Wettbewerb, der auf Dauer für alle Beteiligten kontraproduktiv sei. Ein fairer Wettbewerb zwischen den Kommunen ist jedoch unwahrscheinlich. Dafür müssten in allen Städten und Gemeinden gleiche Startvoraussetzungen und gleiche In-teressenslagen vorherrschen. Das aber entspricht nur sel-ten der Realität.

Auch in Nagold war das nicht so. Die Stadt im Nord-schwarzwald hat seit jeher mit mehreren Problemen zu kämpfen: Nicht nur die benachbarte starke Wirtschafts-region Stuttgart übt eine enorme Sogwirkung aus. Auch die Kommunen rund um Nagold betrieben mit geringen Grundstückskosten und niedrigen Gewerbesteuerhebe-

sätzen eine aggressive Ansiedlungs-politik, um auswärtige Unterneh-men anzulocken und aus Nagold abzuwerben. Ein Wettbewerb, der die Kreisstadt in den Ruin treiben könnte, würde sie sich darauf ein-lassen. Andere Antworten muss-ten gesucht werden, um in der Standortkonkurrenz eine ernst-zunehmende Größe darzustel-len. Also gingen die Nagolder in die Offensive und luden zu ei-ner regionalen Wirtschaftskon-ferenz, um klarzumachen, dass

viele Probleme nur gemeinsam

Foto: BauGrund

Nahegelegene große Unternehmen und eine

gute Infrastruktur sollen weitere Firmen anlocken

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gelöst werden können. Kooperation statt Konkurrenz, um nicht die einzelne Stadt, sondern die Region insgesamt zu vermarkten – und den Unternehmen neue Dienstleis-tungen anzubieten. Das Ergebnis: die Entwicklung eines Dienstleistungszertifikats Nordschwarzwald „Kommuna-le Kompetenz“. Das Gütesiegel wird Gemeinden und Behörden verliehen, die Qualitätsanforderungen wie Kun-den- und Prozessorientierung in der Verwaltungspraxis erfüllen. Drei Land-kreise und rund 20 Kommunen sind beteiligt; sie erarbeiteten ausgehend von einer Stärken-Schwächen-Analyse einen ganzheitlichen Qualitätsstan-dard, der die Anforderungen an die Dienstleistungen öffentlicher Verwal-tungen definiert.

Die Verbesserung der Serviceange-bote steht angesichts der von zahl-reichen Unternehmen beklagten Bürokratie ganz oben auf der Agenda vieler Kommunen. Zumindest der gefühl-ten Bürokratie soll damit etwas entgegengesetzt werden. „Ein wirtschaftsfreundliches Klima kann beispielsweise darin zum Ausdruck kommen, dass Unternehmen mög-lichst nur einen Ansprechpartner in der Stadtverwaltung – so genannte one-stop agencies – haben, der sie durch den ‚Behörden- Dschungel‘ lotst“, urteilt Mechthild Scholl von der Abteilung Kommunalpolitik der Konrad-Adenauer- Stiftung. Neu seien diese Erkenntnisse aber keineswegs, an ihrer Umsetzung hapere es allerdings oft.

Gute Praxis-Beispiele gibt es aber auch jenseits des Nordschwarzwalds: zum Beispiel im westfälischen Arns-berg, das mit einem aktiven Ideen- und Beschwerdema-nagement Unternehmen bei der Lösung von Problemen hilft. Durch eine speziell installierte Software haben alle Mitarbeiter Zugriff auf die Historie des Problems, kurze Wege und kompetente Erstkontakte sind das A und O des Beschwerdemanagements. Hintergrund dieser Initiative war eine schlichte Erkenntnis: Viele Beschwerden errei-chen eine Verwaltung überhaupt nicht, je nach Branche tragen nur vier von 100 Kunden eine Beschwerde tatsäch-lich in der Behörde vor. Mit einem anderen drängenden Problem von Unternehmen befasst sich seit Jahren die Kreisverwaltung Soest: Zug um Zug wurde dort das Bauge-nehmigungsverfahren als interaktive Internetanwendung gestaltet. Das Ziel: die papierlose Baugenehmigung.

Die Bemühungen der Kommunen, eine intensive Be-treuung und Information zu gewährleisten, Kommunika-tion, Marketing und interkommunale Kooperation auszu-bauen und bessere Serviceangebote für Unternehmen zu bieten, sind jedoch nur einige Steine im Mosaik der Stand-

ortentscheidung. Wichtig ist für Unternehmen auch das Angebot an qualifizierten Arbeitskräften – und dass die-se am Ort gehalten werden: „Die Gemeinden können die so genannten weichen Standortfaktoren beeinflussen, indem sie ein wirtschaftsfreundliches Umfeld schaffen.

Dazu gehören kulturelle Angebo-te, die Förderung eines lebendigen Vereinslebens, Sport- und Freizeit-einrichtungen und vieles mehr, um den Arbeitnehmern ein attrak-tives Wohnumfeld zu bieten“, ar-gumentiert Gerd Landsberg vom Deutschen Städte- und Gemein-debund. Eine aktuelle Studie im Auftrag des Bundesfamilienminis-teriums gibt ihm recht: Demnach gewinnt Familienfreundlichkeit als Standortfaktor an Bedeutung; die Vereinbarkeit von Beruf und

Familie könne entscheidenden Einfluss auf die erfolgrei-che Suche und das Halten von Personal erlangen, heißt es dort.

Standortentscheidungen werden somit nicht nur zu-gunsten oder gegen einzelne Kommunen getroffen. Sie beziehen das gesamte regionale Umfeld mit all seinen harten und weichen Faktoren ein. Und damit nicht ge-nug: „Die Maßstabsvergrößerung durch den erweiterten und intensivierten europäischen Binnenmarkt führt mehr denn je dazu, dass einzelne Kommunen für sich mit der An-werbung von Unternehmen, Beschäftigten und Einwoh-nern überfordert sind und dass sie in europäischen oder gar globalen Dimensionen gar nicht mehr wahrgenom-men werden“, warnt die Kommunalforscherin Mechthild Scholl. Womöglich ist das Bündeln der Kräfte verschiede-ner Kommunen einer Region also die einzige Möglichkeit, um die eigene Position im europäischen Standortwettbe-werb zu behaupten: nicht nur im Kampf um die Ansied-lung von Unternehmen, sondern auch im Wettbewerb um die durch die demografische Entwicklung zunehmend knapper werdende Ressource „Bevölkerung“.

Auch die kleine oberbergische Gemeinde Hückeswagen hat sich nach den Erfahrungen mit der Speditionsfirma mittlerweile zu einer Kooperation entschlossen: Ausge-rechnet in der Kreisstadt des Nachbarkreises Remscheid fand man einen Verbündeten und schmiedete so mit einer gemeinsamen Wirtschaftsförderungsgesellschaft eine re-gionale Allianz. Der Autobahnanschluss ist damit zumin-dest ein kleines Stückchen näher gerückt.

Fast alle Städte undGemeinden schlugen die

gleichen Wege der kommu-nalen Wirtschaftsförderung ein und traten miteinander

in scharfe Konkurrenz.

Constanze Hacke arbeitet als freieWirtschaftsjournalistin in Köln

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Die Sparkassen sind ein bedeutendes Element zur kommunalpolitischen Steuerung und ein wichtiger Geldgeber für Mittelstand, Vereine und Kultur

Wenn’s um Geld geht, fallen die Hemmungen

30 bis 50 Millionen Euro sollte der Verkauf der Sparkasse der hoch verschuldeten Hansestadt Stralsund in die leeren Kassen spülen. Doch die Schweriner Landesregierung hat das lukrative Geschäft vereitelt. Zum Jahreswechsel fusi-onierte das Institut nun mit der Sparkasse Vorpommern. Statt der erhofften Finanzspritze für den sanierungsbe-dürftigen Stadthaushalt muss der Rat mit einem weiteren Minus in der Kasse rechnen. Denn allein 2002 hat die Sparkasse einen Verlust in Höhe von 13 Millionen Euro produziert.

Der Versuch der Stralsunder Stadtväter, ihr defizitäres Kreditins-titut Gewinn bringend loszuschla-gen, hat die Debatte um die Rolle der Sparkassen erneut entfacht. Der Deutsche Städte- und Gemeinde-bund (DStGB) lehnt die Privatisie-rung der öffentlichen Institute rund-weg ab. Der Grund: Die Kommunalpolitiker fürchten, dies würde die flächendeckende Versorgung des Mittelstan-des mit Krediten und Finanzdienstleistungen gefährden. Immerhin führen 75 Prozent der Mittelständler ein Ge-schäftskonto bei ihrer örtlichen Sparkasse. Diese stellen rund 40 Prozent aller Kredite an Unternehmen und Selbst-ständige zur Verfügung. Bei der Kreditvergabe an Hand-werksbetriebe erreichen die öffentlichen Institute sogar eine Quote von 67 Prozent.

Für die Kommunen seien die Sparkassen „Instrument und Partner für eine gute Wirtschaftspolitik vor Ort“, ar-gumentieren diese. Eine Privatisierung hätte zudem ne-gative Auswirkungen auf Kultur- und Sportsponsoring, so die Befürchtung der Kommunalpolitiker. Die Sparkassen sind vor Ort häufig die wichtigsten Geldgeber für Sport-vereine, soziale Einrichtungen, Kunst und Kultur. Die Spar-kassenfinanzgruppe unterhält mehr als 500 Stiftungen und ist damit der größte Förderer von Kunst und Kultur in Deutschland. Allein 2001 wandten die Kreditinstitute 340 Millionen Euro für Sponsoring auf. „Alle diese Vorteile des

bestehenden kommunalen Sparkassenmodells könnten bei einer Privatisierung verloren gehen“, sieht der Städ-teund Gemeindebund wirtschaftliche und regionalpoliti-sche Projekte in Gefahr.

Die Befürworter einer Privatisierung wie der Chef des Bundesverbandes Deutscher Banken, Rolf Breuer, richten das Augenmerk allerdings weniger auf den öffentlichen Auftrag der Sparkassen, sondern vielmehr auf die Positi-on der deutschen Banken im internationalen Geschäft. So-lange es ein Nebeneinander von Privatbanken, Sparkassen und genossenschaftlichen Instituten gebe, werde es auch keine Konsolidierung im deutschen Bankensektor geben, ist Breuer überzeugt. Er gibt der Struktur des deutschen Bankensystems die Schuld an den im internationalen Ver-gleich geringeren Gewinnmargen der Kreditinstitute.

Durch eine Übernahme der Sparkassen könnten die Banken im krisensicheren Privatkundengeschäft ähnliche

Größenordnungen wie ihre internationa-len Konkurrenten erreichen, glaubt der Auf-sichtsratschef der Deutschen Bank – mög-licherweise zu Lasten günstiger Kredite für den Mittelstand. Da-bei gehe es jedoch nicht darum, den Sparkassen-Sektor unter den privaten Banken aufzutei-len. Der Bankenver-band dränge viel-

mehr darauf, den Sparkassen volle unternehmerische Freiheit zu geben, damit diese selbst ent-scheiden können, mit wem sie zusammengehen wollen, ver-sucht er den Eindruck einer feind-lichen Übernahme zu zerstreuen.

Breuer vergisst bei seiner Ar-gumentation jedoch, dass gera-de die Großbanken wie etwa die Deutsche Bank in den vergange-nen Jahren das Privatkundengeschäft zurückgefahren und Filialen vor Ort geschlossen haben. Nicht ohne Grund: Die Betreuung der Privaten ist zwar krisensicher, aber auch kostenintensiv. Die rund 500 Sparkassen unterhalten bundesweit rund 16.000 Filialen und beschäftigen etwa 280.000 Mitarbeiter. Das ausgedehnte Filialnetz schlägt sich in hohen Verwaltungskosten nieder.

Bevor Sparkassen allerdings überhaupt erst privatisiert werden können, müssten zunächst die Länderparlamente

Die Sparkassen-finanzgruppe ist der größte Förderer von Kunst und Kultur in Deutschland. Allein 2001 wandten die Kreditinstitute 340 Millionen Euro für

Sponsoring auf.

Immerhin 75 Prozent der Mittelständler

führen ein Geschäfts-konto bei ihrer

örtlichen Sparkasse.

Foto: Sparkasse Hannover

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einer Änderung der geltenden Sparkassengesetze zustim-men und sie von ihrem öffentlichen Auftrag entbinden. Mit dieser Argumentation sehen sich die Gegner eines solchen Schrittes auf der sicheren Seite. Denkbar wäre ein Modell nach österreichischem Vorbild. Dort sind Stiftun-gen oder Vereine Träger der Sparkassen. Die Institute agie-ren wie jede andere Bank am Markt, sind jedoch verpflich-tet, einen Teil ihrer Gewinne für gemeinnützige Zwecke zu verwenden.

Der Städte- und Gemeindebund setzt in der Diskus-sion um die Privatisierung der Sparkassen vor allem auf die Weitsicht der Ratsherren. Ein Verkauf der kommuna-len Kreditinstitute füllt zwar die kommunale Kasse. Doch dies ist nur ein Einmaleffekt. Zudem dürfen Städte und Gemeinden den Erlös nicht zur Sanierung des Haushal-tes verwenden, sondern sind laut Sparkassengesetz ver-pflichtet, ihn für gemeinnützige Aufgaben oder kulturelle Projekte einzusetzen. Diese Regelung dürfte den Anreiz für viele Kommunen erheblich verringern, ihre Sparkassen an Privatbanken zu verkaufen.

Auf Bürgerämtern gibt sich der Staat als moderner DienstleisterVon Ulrike Schuler

„Die Bürger sollten mit uns Geduld haben“

Beratung auf dem Amt heute

Doch auch für die Sparkassen wird das Geschäft schwie-riger. Für Städte und Gemeinden bedeutet dies, dass sie sich künftig auf geringere Gewinne bei ihren Kreditinsti-tuten einstellen müssen. Denn die Europäische Kommissi-on hat entschieden, dass die staatliche Haftung für Spar-kassen und Landesbanken ab diesem Jahr entfällt. Brüssel sieht darin eine unerlaubte staatliche Beihilfe und infolge dessen Wettbewerbsverzerrungen.

Durch diese Entscheidung geraten die öffentlichrechtli-chen Kassen stark unter Druck. Der Zugang zu günstigem Geld wird für die Sparkassen erschwert. Sie werden sich unter wachsendem Wettbewerbsdruck umstrukturieren und in einem sich wandelnden Markt neu positionieren müssen. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi sieht be-reits Arbeitsplätze in Gefahr. Wenn auch die Privatisierung der Sparkassen nach der Debatte um das Stralsunder Ins-titut zunächst vom Tisch ist, werden weitere Fusionen der öffentlichrechtlichen Banken kaum zu vermeiden sein.

Sylke Wagner

Erst einmal ist da diese Menschentraube. So groß und dicht, dass sich für den Hinzukommenden schwer feststellen lässt, ob er überhaupt vor der richtigen Tür ansteht. Im Bürgeramt des Rathauses Berlin-Neukölln haben sich etliche Besucher lange vor Öffnung in der Warteschleife zwischen Haupteingang und der noch verschlossenen, zu den Amtszimmern führenden Glastür eingefun-den. „Nur so kann es klappen, statt drei bis vier nur ein bis zwei Stunden war-ten zu müssen“, erklärt eine junge Frau. Nicht nur im Erdgeschoss des grauen Sieben-Stock-Gebäudes hoffen Wartende auf einen schnellen Aufruf. Sie ver-teilen sich bis auf die Straße hinaus – rauchend, Kinder beruhigend oder noch einen Bissen Frühstück kauend.

Als besonders unbürokratisch und nutzerfreundlich werden die Bürgerämter angepriesen. Ob Meldeangele-genheit, Passerneuerung, Antrag auf Lohnsteuerkarte oder allgemeine Fragen: Alles soll vom Bürger an einer Stelle er-ledigt werden können. Mit der Zentralisierung solle sich auch der Charakter der Ämter ändern und der Besucher nicht als Bittsteller, sondern Kunde gesehen werden. Ein „Höchstmaß an Bürgerfreundlichkeit“ fordert das Berliner Abgeordnetenhaus in einem Beschluss vom Oktober 2003. In der Hauptstadt wurde Ende der 90er-Jahre begonnen, einzelne Bürgerberatungsstellen zu Bürgerämtern umzu-strukturieren. Inzwischen gibt es über die Stadt verteilt 56 Bürgerämter, 61 sollen es einmal sein.

Im Bezirk Neukölln ist die Bürgerfreundlichkeit inmitten der Besuchermasse zunächst nicht zu spüren: Je näher die Zeiger der Amtsuhr auf die Elf-Uhr-Marke zuticken, desto mehr nimmt die Unruhe der Menschenansammlung zu. Dann öffnet sich die Glastür, und zwei Amtsmitarbeiter bilden eine Schleuse, die nur einzeln zu durchlaufen ist.

„Was wollen Sie?“, ist die barsch gehal-tene Frage. Nach einer Antwort bekom-men die ersten Hereingelassenen die be-gehrten niedrigen Nummern in die Hand gedrückt. Später ist dann die Reaktion auf alle Anliegen immer gleich: „Marke im Warteraum ziehen, auf Aufruf war-ten!“ Ob die Schleuse immer da ist? „Nur zu Beginn, sonst kloppen die sich um die Wartemarken“, erklärt die rechte Seite der Schleuse, eine blonde Dame.

Obwohl es erst zwei Minuten vor elf Uhr ist, sind Warteraum und Flur bereits überfüllt: Schrei-ende Babys, unruhig hin und her laufende junge Männer, Stimmengewirr in unterschiedlichsten Sprachen. Yeliz und Gülhan haben keinen Sitzplatz mehr gefunden. Sie

Foto: Archiv W+S

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rutschen mit dem Rücken die längst nicht mehr weißen Wände herunter und setzen sich auf den gelben PVC-Bo-den mit den vielen abgenutzten Stellen. Einen neuen Aus-weis möchte Yeliz. Sie hat die Nummer 355 gezogen. 54 Be-sucher sind vor ihr an der Reihe. „Wir rechnen damit, dass es lange dauert“, sagt die 16-Jährige. Ihre Freundin Gülhan ist mitgekommen. So vergeht die Zeit schneller. Der War-teraum gegenüber besteht aus acht Reihen mit je sechs Stühlen, strikt in Richtung der Anzeigetafel angeordnet. Wird eine Nummer aufgerufen, blinkt es grün an der Ta-fel. Eher unauffällig klebt ein schon zerrissenes Plakat mit dem Titel „Was erledige ich wo“ an der Eingangstür zum Warteraum. Trotz des hohen Ausländeranteils im Bezirk liegen keine Broschüren oder Anträge in verschiedenen Sprachen aus.

Von Meldestellenplatz 7 kommen zwei junge Frauen zu-rück und fragen aufgeregt nach einem Kugelschreiber. Sie sind aus dem Kosovo, die Schwägerin will sich anmelden, es gibt Verständigungsprobleme. „Ich habe nicht alle Fra-gen verstanden, und man hat sie mir auch nicht erklärt“, sagt eine der jungen Frauen und bittet um Hilfe. Eine Mitarbeiterin kommt vorbei und fordert sie auf, nicht an der Wand, sondern an den Stehtischen im Warteraum zu schreiben. Die sind längst und ständig mit über Formu-laren angestrengt brütenden Menschen besetzt. „Außer-dem wollte man mir keinen Kugelschreiber leihen“, erzählt die Kosovarin. Weil die Leute klauen würden, hätte die Mit-arbeiterin gesagt. Yeliz und Gülhan warten inzwischen in Sichtweite der Anzeigetafel. Sie sind gleich dran. Als alles erledigt ist, rechnen sie aus, dass es anderthalb Stunden gedauert hat. Das sei okay, finden beide.

Für den Neuköllner Abteilungsleiter für Bürgerdienste und Wohnen, Torsten Vogel, besteht die besondere Bür-gerfreundlichkeit der Ämter darin, dass die Mitarbeiter von sich aus zusätzliche Tipps und Hilfestellungen gäben. „Eine junge Mutter, die sich im Bezirk anmelden will, wird auch darüber informiert, dass sie Kindergeld beantragen kann“, sagt Vogel. Allerdings seien die Mitarbeiter des Be-zirks mit den meisten Sozialhilfeempfängern und hohem Ausländeranteil besonderen Belastungen ausgesetzt. „Wir haben sechs Prozent zu wenig Personal“, sagt Vogel. Un-gefähr 20 Mitarbeiter müssten sich an manchen Tagen in dem seit 2001 bestehenden Amt um einen Ansturm von bis zu 800 Besuchern kümmern. Dass sich das Rathaus durch Dolmetscher oder mehrsprachige Anträge und Bro-schüren mehr Mühe mit seinen ausländischen Besuchern geben müsste, ist für Vogel nicht unbedingt ersichtlich. Mehr Service würde die Leistungen verteuern. „Das wür-de bei der nächsten Jahreszumessung der Gelder bestraft“, ist Vogel überzeugt. „Wir erwarten, dass sich die Antrag-steller selber helfen und jemanden mitbringen, der besser Deutsch kann.“ Bürgeramtsleiterin Brigitte Maier denkt da schon weiter: „Natürlich überlegen wir, wie die Kommuni-kation mit den ausländischen Bürgern verbessert werden kann.“ Seit September existiere ein Arbeitskreis mit Bür-geramtsvertretern verschiedener Bezirke, der berate, wie beispielsweise mit mehrsprachigen Informationsblättern und Anträgen gearbeitet werden könne.

Das Fehlen von Informationen in verschiedenen Spra-chen hat eine Studie der Berliner Landtagsfraktion der

PDS – die im Land Berlin mitregiert – als besonders großes Manko ausgemacht. Was den Umgang mit Ausländern angeht, konstatiert auch Heinrich Bücker-Gärtner von der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege in Ber-lin „einen Riesenmangel“. „Es müsste in den Behörden, die viel mit Ausländern zu tun haben, immer Leute geben, die in der Lage sind, in drei bis fünf Sprachen auf Alltags-niveau zu kommunizieren“, fordert der Professor. Zudem sollte den Mitarbeitern interkulturelle Kompetenz vermit-telt werden, damit sie mit unterschiedlichen Mentalitäten umzugehen lernten.

Standortwechsel: Morgens 7.30 Uhr in Berlin-Zehlen-dorf, einem Stadtteil mit tendenziell gut situierter Bevöl-kerung. Vor dem Altbau des Bürgeramtes steht eine ein-same Kastanie. Niemand, der wartet. Das Amt ist schon geöffnet, der Warteraum mit Spielecke, Kaffeeautomat und im Rund angeordneten Stühlen leer. Im Flur sitzt eine Zeitung lesende Frau. Elke Kallenbach ist schon um 7 Uhr – eine Stunde vor Öffnung – ins Bürgeramt gekommen, um einen neuen Pass zu beantragen. Nun ist sie ange-nehm überrascht, dass nichts auf lange Schlangen hin-deutet. Um 7.50 Uhr öffnet die Anmeldung, Frau Kallen-bach bekommt Wartenummer eins und wird kurze Zeit später aufgerufen. Inzwischen sind ein paar Besucher da-zugekommen, die im Flur die recht gepflegten Wände und den marmorierten Fußboden betrachten. Der gebürtige Engländer Joseph Carson wundert sich über die „altmodi-sche“ Sache mit den Nummerzetteln. Und überhaupt: „In England faxt man zur Anmeldung eine Kopie des Mietver-trages, und das war‘s.“

Ungefähr 15 Minuten wartet er, bis er die Formalitäten für seinen Protokollausweis als Botschaftsangestellter er-ledigen kann. Elke Kallenbach wird noch zu einem Gang zum S-Bahn-Fotoautomaten verdonnert. Die mitgebrach-ten Passfotos der Referentin im Bundesfinanzministerium sind nicht im erforderlichen Halbprofil gemacht. Als die Frau mit den neuen Bildern zurück ins Bürozimmer eilt, hört man ein „wunderbar“ von der Mitarbeiterin. Um 8.30 Uhr kann sie das Bürgeramt wieder verlassen.

Beim zweiten Besuch in Zehlendorf zum Gespräch mit der stellvertretenden Amtsleiterin ist es, eine halbe Stun-de vor Öffnung um 10.30 Uhr, etwas voller. Die Atmosphä-re bleibt jedoch entspannt, bis zum Mittag füllt sich der Warteraum, aber es bleiben immer Plätze frei. Dennoch ist der Bezirk Steglitz-Zehlendorf im Bürgeramtstest der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege nur auf einem der „Ausreichend“-Plätze gelandet. Getestet wur-den Auskunftsqualität, kundenorientiertes Verhalten und die Erreichbarkeit per Telefon und E-Mail.

„Der besondere Schwerpunkt des Tests war die Frage, wie es um die fachliche Qualität der Auskünfte steht“, erläutert Heinrich Bücker-Gärtner. Insgesamt bekamen fünf der zwölf Berliner Bezirke für ihre Bürgerämter die Note „ausreichend“, viermal gab es „befriedigend“, ein-mal „gut“ und zweimal „sehr gut“. „Insbesondere ist uns aufgefallen, dass es Bezirke gibt, in denen die sachliche Richtigkeit der Auskünfte flächendeckend in Ordnung war, Bezirke, in denen sie variiert, und solche, in denen flächen-deckend Verbesserungsbedarf besteht“, sagt der Profes-sor. „Ein besonders niederschmetternder Befund war, dass

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das computergestützte Info-System faktisch nicht genutzt wurde.“

Der Bezirk Neukölln bekam bei der Beurteilung für seine Auskünfte die Note „sehr gut“. Die Schwerpunktsetzung auf der Qualität der Auskünfte habe allerdings dazu ge-führt, dass nicht alle relevanten Punkte im Umgang mit Bürgerämtern behandelt worden seien, räumt Bücker-Gärtner ein. So sei die Wartezeit nicht erfasst worden und in Bezug auf Ausländer seien die Ergebnisse „absolut aussagelos“. Die testenden Studierenden seien Deutsche gewesen, die ihre Anliegen konkret hätten formulieren können. Die PDS-Studie stellt „gravierende Defizite“ hin-sichtlich der Bürgerfreundlichkeit fest. Es fehle in einigen Ämtern an Informationstresen, Sitzgelegenheiten und Spielmöglichkeiten für Kinder. Auch sei das Leistungsge-fälle unter den Bürgerämtern zu groß.

Für die festgestellten fachlich nicht korrekten Auskünf-te hat die stellvertretende Amtsleiterin des seit Mai 2003 bestehenden Zehlendorfer Standortes, Renate Ziegler, eine Erklärung: „Das liegt daran, dass wir über einen langen Zeitraum kurzfristig angelernte Kräfte in der Informati-on hatten.“ Auch seien die Mitarbeiter des Meldewesens noch nicht hundertprozentig in die anderen Sachgebiete

eingearbeitet. „Wir befinden uns noch im Aufbau“, konsta-tiert Ziegler. Schulungen für das computergestützte Info-System habe es nicht gegeben. Aber so hundertprozentig überzeugt mag die 58-Jährige nicht für mehr Ausbildung plädieren. „Dann würden noch mehr Akten liegen bleiben.“ Das große Problem sei der Personalmangel. Das gehe auf Kosten der Bürgernähe, da viele Nachfragen dann doch als lästig empfunden würden. „Die Bürger sollten mit uns Ge-duld haben, wenn wir nicht alle Auskünfte geben können und umgekehrt genauso“, empfiehlt die Amtsleiterin.

Die PDS scheint mit ihrer Geduld hingegen am Ende. Sie möchte Bonuspunkte an besonders bürgerfreundliche Behörden vergeben und die Bürgerämter, die bestimm-te Qualitätskriterien nicht erfüllen, finanziell sanktionie-ren. Für mehr Kontrolle, um den Wandel der Amtsstuben zu Dienstleistern perfekt zu machen, spricht sich auch Heinrich Bücker-Gärtner aus: „Man sollte in den Ämtern regelmäßig den Service testen – nicht nur um zufriede-ne Kunden zu haben, sondern auch damit fachlich richtige Auskünfte gegeben werden.“

Ulrike Schuler arbeitet als freie Journalistin in Berlin.

In Baden-Württem-berg kann seit 2004

auf die Grund-büchereiniger Ämter

online zu-gegriffen

werden.

Beim E-Government haben die Kommunen noch Entwicklungspotenzial

Das virtuelle Rathaus hat bishernur beschränkte Öffnungszeiten

Im Bereich der elektronischen Be-schaffung gehen Experten davon

aus, dass der Staat zwischen fünf

und zehn Prozent einsparen kann.

Foto/Composing: W+S

Flächennutzungspläne einsehen und Angebote abge-ben, Ratsversammlungen besuchen und Petitionen ein-reichen, Auto ummelden und Mülltonne bestellen: All das sollen Unternehmen und Bürger einmal online erledigen können, wenn es nach dem Willen der Kommunen geht. Doch in welchem Maße sind sie wirklich schon vernetzt?

Im Sommer 2003 beschloss die Ministerpräsidenten-konferenz die „Strategie DeutschlandOnline“. Bürger sol-len bis 2005 mit jeder Behörde auf elektronischem Wege kommunizieren können, untereinander sollen alle Behör-den ab Ende 2007 kommunizieren können. 2008 schließ-lich sollen alle geeigneten Verwaltungsverfahren online bereitstehen. Die Kommunen konnten in den vergange-nen Jahren bereits deutliche Fortschritte erzielen: Inzwi-schen gibt es in den allermeis-ten Städten und Gemeinden umfangreiche Informations-angebote. Viele Formulare sind im Netz verfügbar, zahlreiche Behörden sind per E-Mail er-reichbar. Komplette Online-Transaktionen sind hingegen noch selten. Hier ist nicht nur eine komplexe Technik, son-dern auch die Abstimmung über mehrere Verwaltungse-benen hinweg gefordert. Zwar

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„Deutschland steht beim

kommunalen E-Government erst am Beginn

des Weges.“Helmut Drüke,

Deutsches Institut für Urbanistik

gibt es bereits einige Entwicklungen aus Pilotprojekten, doch der flächendeckende Roll-Out lässt noch auf sich warten.

Professor Herbert Kubicek von der Universität Bremen weist darauf hin, dass Deutschland „im internationalen Vergleich von E-Government-Lösungen regelmäßig relativ schlecht abschneidet“. Wo integrative, Behörden übergrei-fende Lösungen gefragt seien, wären andere Staaten sehr viel weiter. Busso Grabow vom Deutschen Institut für Ur-banistik (Difu) hingegen meint, dass sich gutes E-Govern-ment nur an bestimmten Zielvorstellungen wie Sicherheit, Wirtschaftlichkeit oder Bürgerbeteiligung messen lasse. Er hält das schlechte Abschneiden Deutschlands in den Benchmarking- Studien für teilweise unbegründet, da be-stimmte Dienstleistungen von den Studien gar nicht er-fasst werden: „Je nachdem wo man guckt, findet man an-dere Vorreiter.“

Im Bereich der Bürgerbeteiligung etwa ist Deutschland nicht so weit wie Frankreich und Finnland, die komplette Integration von E-Government haben die USA und Groß-britannien schneller gelöst. Nach einer Untersuchung des Difu nimmt Deutschland gemessen an zehn Erfolgsfakto-ren wie Strategie, Organisation, Nutzen und Kosten und Rechtmäßigkeit allerdings gemeinsam mit den USA, Groß-britannien und Finnland international sogar eine Spit-zenposition ein. Gleichwohl ist in der Bundesrepublik der Abstand einiger weniger Vorreiterkommunen zum Lan-desdurchschnitt noch relativ groß.

Entwicklungsschwerpunkt Sicherheit

Deutschland hat seinen Entwicklungsschwerpunkt zu-nächst auf den Bereich Sicherheit gelegt. Busso Grabow räumt ein: „Das hat zwar zunächst andere Entwicklungen verzögert, doch viele Länder orientieren sich nun in diesem Bereich nach Deutschland, da man Sicherheit bei der Ab-wicklung sicherer, rechtsverbindlicher Dienste zwischen Verwaltung und Büger braucht.“ Derzeit gebe es zwar noch „keine vernünftige Anwendungssituation“ zwischen Bürger und Verwaltung, doch zwischen Unternehmen und Verwaltung gebe es einige Anwendungsfälle. In der Media@komm-Stadt Bremen wurden jedoch bereits bis Herbst 2003 50.000 Signaturtransaktion durchgeführt, davon 48.500 im Business-Bereich. Die meisten Transak-tionen entfielen auf Online-Mahnverfahren. Grabow: „Für jeden Rechtsanwalt und Notar ist das Online-Mahnverfah-ren ein Massenverfahren, das den Postweg und damit Zeit-verzögerungen ausschaltet.“ Im Frühjahr 2003 standen den Nutzern in den Media@Komm-Städten Bremen, Ess-lingen und im Städteverbund Nürnberg insgesamt rund 150 signierfähige Anwendungen zur Verfügung. Außer-halb von Media@Komm finden sich hingegen nur ein gu-tes Dutzend Praxisbeispiele für die Anwendung der elek-tronischen Signatur.

Konkret konnten in Bremen durch die Einführung des Online-Mahnverfahrens im Amtsgericht 60 Prozent der Personalkapazitäten eingespart werden. Von der elektro-nischen Verfahrensabwicklung sowie des elektronischen Austauschs mit anderen Behörden versprechen sich die Kommunen in Zeiten knapper Kassen neben einer gestei-

gerten Produktivität vor allem Kosteneinsparungen und höhere wirtschaftlicher Leistungserstellung. Umfassende Wirtschaftlichkeitsberechnungen gibt es zwar nicht, jedoch selektive Rechnungen und Abschätzungen. Franz-Reinhard Habbel vom Deutschen Städte- und Gemeindebund prog-nostiziert etwa, dass durch konsequente Vernetzung und die Bereitstellung von Services im Netz bis zum Jahre 2010 bis zu 20 Prozent der Kosten eingespart werden könnten. Das Ein-sparungspotenzial ist groß, denn immerhin geben die Kom-munen mit ihren 1,5 Millionen Mitarbeitern jährlich mehr als 70 Milliarden Euro für Personal- und Sachkosten aus.

Im Bereich der elektronischen Beschaffung gehen Ex-perten davon aus, dass der Staat zwischen fünf und zehn Prozent einsparen kann. Aber auch die Firmen sollen spa-ren können: Im Schnitt kostet der Bezug von Vergabe-unterlagen zwischen 30 und 150 Euro. Online sollen die Firmen nur einmalig ähnlich hohe Kosten für die Signatur-karte und das Kartenlesegerät aufbringen. Nach Informa-tionen des IT-Branchenverbandes Bitkom informieren sich jedoch erst 30 Prozent der Unternehmen über Online-Me-dien, 45 Prozent der mittelständischen Unternehmen grei-fen „bei der Suche“ nach öffentlichen Aufträgen auf neue Informationskanä-le zurück. „Die Bieter nutzen doch lieber weiter die herkömmlichen schriftlichen Verfahren, weil sie die Vorteile der elek-tronischen Beschaffung nicht erkennen oder ihnen diese nicht ausreichen“, sagt Bitkom- Experte Pablo Mentzinis: „Intel-ligente Lösungen wie Plausibilitätstests oder zentrale Formularserver können sowohl für die Unternehmen als auch für die öffentliche Hand deutliche Er-leichterungen bringen.“

Kommunen können E-Government auch als eine Art Standortmarketing begreifen, wenn sie online ihre spezifi-schen Stärken herausstellen. So erlaubt etwa die Website der Wirtschaftsregion Fulda Unterneh-men, online geeignete Gewerbeflächen auszusuchen – nach den Kriterien Preis, Fläche und Entfernung zur Autobahn. Die Website von Neubrandenburg hat mit ge-ografischen Karten freie Flächen und Gewerbegebiete in Detailkarten ebenfalls strukturiert und informativ auf-bereitet. Das Angebot der Wirtschaftsförderung Bad Wil-dung hingegen bietet umfangreiche Informationen zur Wirtschaftsförderung und -beratung.

E-Government kann aber auch mehr E-Demokratie be-deuten: Wird das virtuelle Rathaus nicht nur zur Informa-tionsvermittlung, sondern auch für die elektronisch unter-stützte Willensbildung und Meinungsäußerung genutzt, sorgt dies für mehr Transparenz und Bürgerbeteiligung. Die Teilhabe am kommunalen Leben via Internet kann informell über Chats, Foren oder Umfragen zu aktuellen kommunalen Themen laufen. Praktisch keine Rolle spielen Online-Wahlen. Die Stadt Dortmund etwa hat ein städti-sches Call-Center eingerichtet und ermöglicht eine Bür-gerbeteiligung in mehr als 100 Projekten, vom Flächen-nutzungsplan über die Freiwilligenagentur bis hin zur Familienpolitik.

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Eine im Oktober 2004 veröffentlichte Studie zur elek-tronischen Bürgerbeteiligung zeigt, dass fast alle großen Kommunen ihre Bürger per Internet an Entscheidun-gen beteiligen. Allerdings stellte sie auch fest, dass zwar vielerorts Meinungen abgefragt werden, diese jedoch oft ungehört im politischen Prozess verpuffen. Solche „Schein-Beteiligung“ verstärke jedoch die zunehmende Enttäuschung von der Politik, warnten die Verfasser der Studie, darunter das Fraunhofer EGovernment- Zentrum und das Internetportal politikdigital. de. Für Helmut Drüke vom Difu steht fest: „Deutschland steht beim kommuna-len E-Government erst am Beginn des Weges.“ Es müsse dringend konsequent auf den elektronischen Geschäfts-

Erfahrungen aus der bürgerorientiertesten Kommune Deutschlands

Stabilitätsanker der Zivilgesellschaft

verkehr umstellen und dabei eine große Anzahl von Nut-zern beteiligen. Denn nur mit einer kritischen Masse kön-nen Effizienzgewinne erzielt werden. Und erst wenn sich die Umstellung auf elektronische Workflows rechnet, kön-nen auch Projekte der elektronischen Beteiligung finan-ziert werden.

Christiane Schulzki-Haddouti

Die Autorin ist freie Fachautorin und Hochschuldozentin in Bonn

www.wirtschaftsregionfulda.de; http://neubrandenburg. de; www.win-bad-wildungen.de

Freiwilliges Engagement und demokratische Teilhabe sind die wichtigsten Kulturelemente der Zivilgesellschaft. Beides ist allerdings nicht selbstverständlich: Mit Anreizen unterschiedlicher Art und Eigeninitiativen der Kommunen können sie effizient gefördert werden. Das nutzt letztlich dem ganzen Gemeinwesen: Engagement und Teilhabe können so zu nachhaltigen Trägern einer belebten Demo-kratie werden.

Samstagvormittag in einer Kleinstadt, irgendwo in Deutschland. Der Kommunalwahlkampf läuft. Die Passan-ten eilen mit vollen Einkaufstüten in der Hand über den Marktplatz, um noch schnell etwas zu erledigen. Auf der Bühne steht ein abgekämpfter Landespolitiker, der extra zur Unterstützung des örtlichen Listenkandidaten einge-flogen wurde. In seiner abgelesenen Rede appelliert er an das Verantwortungsgefühl der Mitbürger und ruft alle auf, am Sonntag zur Wahlurne zu schreiten. Am Ende mündet sein Appell in die Feststellung „Unsere Kommunen, das sind doch die Keimzellen der Demokratie.“ Vorbeigehende Zuschauer werfen einen Blick auf die Bühne mit dem ört-lichen Listenplatzhalter, den sie nicht kennen. Einige klat-schen müde.

Diese erfundene Szenerie hat etwas Wahres an sich: Un-sere repräsentative Demokratie ist in die Jahre gekommen. Der Mehltau der Parteienverdrossenheit hat sich über das Land gelegt. Mit den alten Mitteln der Wählermobilisie-rung lockt man heute kaum noch Wähler zur Urne. Die po-litischen Analysten sind froh, wenn die Wahlbeteiligung in den Kommunen über 50 Prozent liegt. Gleichzeitig belegen repräsentative Umfragen, dass trotz hoher Unzufrie-denheit mit den Leistungen von Spit-zenpolitikern in der Bevölkerung eine hohe Wertschätzung der repräsenta-tiven Demokratie besteht. 77 Prozent der Deutschen meinen, dass sie die beste Staatsform ist. Interessant sind auch die hohen Vertrauenswerte, die die lokalen Gemeindeverwaltungen

unter den Bürgern genießen: Sie liegen mit 1,2 auf einer Skala von -5 bis +5 ziemlich dicht hinter den Gerichten, die einen Wert von 1,8 erreichen. Nur die Polizei ist mit 2,7 noch besser angesehen.

Stabil geblieben ist die hohe Bereitschaft, sich zu en-gagieren. Gut 34 Prozent der Deutschen arbeiteten An-fang 2004 in einem Verein oder in freien Initiativen mit, Tendenz: steigend, so eine Studie der Forschungsgruppe Wahlen. Deutschland verfügt über ein enormes Potenzial im Bereich der Beteiligung und des Bürgerengagements, das genutzt werden will. Allerdings wandelt sich deren Struktur: Weg von traditionellen Verbänden, den Kirchen, den Parteien, hin zu innovativeren Formen und zeitlich be-fristeten, projektbezogenen Engagements. Auch die Rah-menbedingungen und Interessenlagen für Engagement verändern sich.

Unabhängig davon, dass Freiwilligenengagement per se eine schöne Sache ist, hat eine Förderung der lokalen Bür-gergesellschaften einen tieferen, demokratischen Grund: Empirisch nachgewiesen ist, dass ehrenamtlich Aktive überdurchschnittlich oft an Parlaments- und Kommunal-wahlen teilnehmen und sich intensiver mit Politik befas-sen als Nicht-Aktive. Bürgerengagement bildet ein positi-ves soziales Umfeld für politische Teilhabe und stärkt so die Demokratie.

Die Bertelsmann-Stiftung hat den Gedanken der Kom-munen als „Keimzellen der Demokratie“ bereits in den 90er-Jahren aufgegriffen. Im Civitas-Projekt wurde nach

dem bundesweiten Wettbewerb „Bür-gerorientierte Kommune“ 1999 die schwäbische Stadt Nürtingen mit ihren rund 40.000 Einwohnern als Preisträgerin ermittelt und ein Netz-werk von elf bürgerschaftlich enga-gierten Kommunen gegründet. In Nürtingen sind die klimatischen Be-dingungen ausgesprochen gut, nicht nur im meteorologischen Sinne. Über zehn Jahre wurde kontinuierlich in

Unsere repräsentativeDemokratie ist in dieJahre gekommen. Der

Mehltau der Parteienver-drossenheit hat sich über

das Land gelegt.

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eine auf Engagement angelegte Infrastruktur der Stadt in-vestiert. Das honorieren die Bürger. Der seinerzeitige Ober-bürgermeister Alfred Bachofer hat mit den politischen Spitzen des Rathauses ein Klima geschaffen, in dem sich 240 Vereine und 85 freie Bürgerinitiativen tummeln. Gut 40 Prozent der Nürtinger sind engagiert, signifikant mehr als der Bundesdurchschnitt. Auch gewann im tiefschwar-zen Nürtingen bei den vergangenen Oberbürgermeister-wahlen von einem Jahr ausgerechnet der SPD-Kandidat Otmar Heirich – weil er das überzeugendere Konzept zum Ausbau der Bürgerkommune hatte.

Die Förderung bürgerschaftlichen Engagements auf breiter Front und ihre Vernetzung mit der herkömmlichen Aufgabenstellung und der Organisation der Kommune ist eine Frage der inneren Haltung, die sich in Nürtingen durch die gesamte Verwaltung gezogen hat, angeführt von einer politischen Spitze mit Visionen. Diese war bereit, in eine bürgerfreundliche Infrastruktur dauerhaft zu investieren. Zum Beispiel, indem man ein städtisches Haus, den „Nür-tinger Bürgertreff“, eigens als Vernetzungszentrale einge-richtet hat. Der Bürgertreff wird jährlich mit rund 100.000 Euro bezuschusst. Wie ein öffentlich gefördertes Gründer-zentrum im Gewerbepark kleinen und mittelständischen Unternehmen beim Aufbau von Firmen und Arbeitsplät-zen hilft, so ist der Bürgertreff zugleich Hebamme, Keim-zelle und Netzwerk für Bürgerengagement. Zentrale Lage, Ausstattung und Ausstrahlung der Einrichtung laden ein: Fenster ohne Gardinen und helle, freundliche Räume ver-mitteln den Eindruck, dass Engagierte willkommen sind. Ein hauptamtlicher Beauftragter, der Leiter der Geschäfts-stelle für Bürgerengagement, ist der Organisator von Ver-anstaltungen, Ansprechpartner für Bürger, Verwaltung und Politik und nicht zuletzt auch konzeptioneller Vorden-ker im Rathaus.

Die gewählten Kommunalpolitiker gehen schon immer im Bürgertreff ein und aus. Sie praktizieren die „kleine De-mokratie“, die alltägliche Form der Mitwirkung auf vielen, nicht immer politischen Feldern. Hier findet zum Beispiel mehrmals im Jahr der kommunalpolitische Dialog statt, eine Veranstaltungsform zum Ideenaustausch zwischen Politik und Bürgern. Der ganze Titel lautet: „Es dämmert beim Schoppen: Politiker fragen – Bürger antworten“. Die ungewöhnliche Konferenz stellt das Klischee auf den Kopf: Wo Politiker sonst immer reden, hören sie zu, und wo Bür-ger sonst nicht angehört werden, sind sie hier gefragte Ex-perten. Mit kreativer Moderation und in entspannter At-mosphäre wird Verständigung und inhaltlicher Austausch erreicht.

Eine weitere jährliche Veranstaltung ist die Sozialkon-ferenz. Hier werden, professionell vorbereitet und mode-riert, Denkanstöße für das Zusammenspiel von Eigennutz und Gemeinsinn gegeben. Die Konferenz ist als Kooperati-onsprojekt von städtischen Profis und Bürgern als Exper-ten in eigener Sache konzipiert und liefert am Ende immer einen konkreten Handlungsplan, zum Beispiel zur Grün-dung eines lokalen Ausbildungs- und Beschäftigungsför-derungsnetzes, zur Eröffnung eines integrativen Cafés, wo Menschen mit und ohne Behinderung arbeiten oder zur Gründung eines Vereins für die mobile Jugend- und Sozi-alarbeit. In Zusammenarbeit mit der Stiftung Mitarbeit in

Je größer die Identifi-kation der Menschen mit ihrem Gemein-

wesen ist, desto eher kann Solidarität und Eigenverantwortung

wachsen.

Bonn werden begleitende Zukunftskonferenzen mit be-troffenen Experten durchgeführt, die die Umsetzung der aufgegriffenen Themen konkretisieren.

Die Nürtinger Politik belässt es nicht bei wohlmeinen-den Appellen zur Bürgergesellschaft: Nicht nur durch Eh-rungen von Ehrenamtlern wird Dank gespendet. Auch die Nürtinger Wirtschaft zeigt sich spendabel: Seit 1997 gibt es in Zusammenarbeit mit Handel, Banken, Gewer-be, Krankenkassen und Verwaltung den Nürtinger Frei-willigenpass als lokales Bonussystem im Wert von rund 8.000 Euro. Mit diesem Pass kommen Engagierte günsti-ger ins Kino oder Theater, fahren billiger mit dem Bus und kommen umsonst ins Schwimmbad. Dies sind zwar mate-rielle Belohnungen, doch sie werden in keinem Fall in bar ausgezahlt – das würde dem Sinn des Engagements und dem Anliegen vieler aktiver Bürger widersprechen. Dafür stehen aber einige Vergünstigungen oft in einem inhaltli-chen Zusammenhang mit der Freiwilligenarbeit.

Noch gezielter wird der Nachwuchs herangezogen, in-dem Nürtingen ganz ungeniert auf die Verbindung zwi-schen gemeinschaftlichem Engagement und Eigennutz im Fortkommen setzt. Im „Tu-Was-Tagebuch“ dokumen-tieren Schüler und Auszubildende ihr Engagement als Ju-gendtrainer oder Chormitglied, als Jugendrat oder Streit-schlichter. Am Schuljahresende erhalten sie ein Zertifikat zum Nachweis sozialer Kompetenz.

Dieses Verfahren wurde mit der Wirtschaft und den aus-bildenden Betrieben der Stadt abgestimmt. Dazu gehört auch das „Azubi-Volunteering“ der Firmen, deren Auszu-bildende in einem Freiwilligendienst soziale Projekte in der Stadt unterstützen. Alle haben etwas davon: Junge Leute lernen dazu, der Zusammenhalt wird gestärkt und die Firmen bekommen vielseitigere Mitarbeiter plus Ima-gegewinn.

Ein solcher Sozialkompetenz-Nachweis ist transparent und ehrlich, denn er trägt den Motivationsveränderungen in unserer Gesellschaft mehr Rechnung als die goldene Ehrennadel: Immer mehr Menschen kombinieren Engage-ment mit eigennützigen Zielen. Und speziell Jugendliche sind hier an sehr konkreten Ergebnissen interessiert, so-wohl für die Gemeinschaft wie auch für sie selbst.

Was bringt eine solche Beteiligungskultur und kann sich ein Gemeinwesen diesen Luxus überhaupt fi-nanziell erlauben? Städte mit einer aktiven Förder-politik bauen über die Zeit einen Kapitalstock auf, der sich „social capital“ nennt. Dieser wirkt jenseits der Buchhaltung, er steht in keinem Haushalt. Trotzdem besteht die Dividende aus stetigen Rückflüssen: Pri-vate leisten etwas für die Produktion öffentlicher Güter und Dienstleistungen. Das können beispielsweise spezielles Wissen, Arbeitszeit, Kre-ativität und Energie oder auch gestiftetes Geld sein. Wenn auch die Mitarbeit vieler Bürger sich im sozialen oder kul-

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turellen Bereich abspielt, so wird an dieser Haushaltsstelle Geld frei, das an anderer Stelle, etwa in der Stadtentwick- lung oder im Schuldenabbau, sinnvoll eingesetzt werden kann.

Nicht zuletzt geht es um den Aufbau des wichtigsten Kapitals der Demokratie, des Vertrauens, das die Politik oft so schmerzlich vermisst. Wie in den Unternehmen auf „corporate identity“ gesetzt wird und in das betriebliche Humankapital investiert wird, so muss unser Gemeinwe-sen in sein demokratisches Kapital investieren. Je größer die Identifikation der Menschen mit ihrem Gemeinwesen ist, desto eher kann Solidarität und Eigenverantwortung wachsen, desto größer ist auch der Sinn für das Politische in unserer Gesellschaft.

An Konzepten und Literatur, wie so die Zivilgesellschaft gestärkt wird, herrscht kein Mangel. Auch engagierte Bür-ger gibt es überall. Die örtlich „richtige“ Förderungsstrate-

Früher waren sie eigenständige Grosskommunenam Rande Berlins – jetzt sind es Stadtteile

Die Stadt der Städte

gie ist aber leider selten. Und es fehlen in vielen Kommu-nen allerdings nach wie vor die richtigen Köpfe und die erforderliche Professionalität bei den politischen Initia-toren. Vor allem müssen engagierte Kommunen sich sys-tematisch vernetzen, um sich gegenseitig anzuspornen und voneinander zu lernen. Auch wenn die Bertelsmann-Stiftung in ihrem Civitas-Netzwerk nicht zum Ziel hatte, alle anderen 13.500 deutschen Kommunen und ihre rund 225.000 Kommunalpolitiker so zu überzeugen und zu qua-lifizieren, dass Nürtingen zum Standard geworden wäre, bleibt dies eine wichtige Vision.

Andreas Osner

Dr. Andreas Osner ist Mitarbeiter der Bertelsmann-Stiftungund hat dort das Civitas-Projekt betreut

Als Berlin 2001 seine Stadtstruktur neu ordnete, hatte es den Anschein, als könne manchen Bezirken nichts Schlim-meres passieren, als mit einem anderen zusammengelegt zu werden. Es war die größte Umgestaltung der Berliner Verwaltung seit 1920: Sie schuf einheitlich große Bezirke mit jeweils etwa 300.000 Bewohnern, und aus 23 Bezirken wurden mit einem Schlag zwölf, mit plump zusammenge-bastelten Namen wie Charlottenburg-Wilmersdorf, Friedrichshain-Kreuzberg oder Treptow-Köpenick. Die meisten Be-zirke mussten nicht nur ihren Namen zusammenschmeißen, aber schon das reichte, um emotionale Befindlichkeiten größerer Dimension zu wecken: Die Be-völkerung wurde befragt, Unterschriften gesammelt, es wurde sogar vor Gericht gezogen, wie im Fall des neuen Großbe-

zirks Pankow, der aus Prenzlauer Berg, Pankow und Wei-ßensee besteht.

Lediglich Neukölln, Reinickendorf und Spandau blieben aufgrund ihrer Größe Singlebezirke. Für Spandau, das älter ist als die ursprüngliche Siedlung Berlin, wäre ein Fusion sowieso fast unvorstellbar gewesen: „Das hätte bestimmt Proteste gegeben. Hier in Spandau hätte man sich lieber

mit Nauen oder anderen Regionen aus Brandenburg vereint, als mit Charlot-tenburg“, sagt Andrea Theissen, die Lei-terin des dortigen Stadtgeschichtlichen Museums. Warum? „Weil es Berlin ist“, antwortet Theissen mehr im Scherz und fügt hinzu: „Das hat auch was mit dem Selbstbild als ‚Perle des Havellan-des‘ zu tun.“

Die Gründe für solche Befindlichkei-

Fotos: Archiv W+S

Die (Vor-)Städte Berlins hatten ein großes Pro-blem: Sie mussten auf die massenhafte Zu-

wanderung reagieren.

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ten liegen in der Geschichte: Viele Berliner Bezirke waren einmal mehr als das, nämliche eigene Städte, die immer enger mit Berlin zusammenwuchsen, je mehr Menschen Ende des 19. Jahrhunderts in die wachsenden Industrien und Verwaltungen der preußischen Residenz strömten. Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges explodierten die Bevöl-kerungszahlen regelrecht: Allein in Berlin zwängten sich in unerträglicher Enge nun ungefähr zwei Millionen Men-schen. Charlottenburg, inzwischen eine Großstadt mit 300.000 Einwohnern, war zur elftgrößten Stadt des Deut-schen Reiches geworden. In Spandau, eine der stärksten preußischen Festungsstädte, lebten 100.000 Menschen. Rein äußerlich war eine Abgrenzung dieser „Vorstädte“, die Berlin wie eine Kette umschlossen, kaum noch zu er-kennen.

All diese Städte, auch die kleineren wie Köpenick oder Rixdorf (seit 1912 Neukölln), hatten ein großes gemeinsa-mes Problem: Sie mussten auf die massenhafte Zuwande-rung reagieren und konnten es nicht, weil getrennte Ver-waltungen den Weg versperrten, gemeinsame Lösungen für den Ballungsraum Berlin zu finden. Wohnungen oder ein Ausbau der Verkehrswege wurden oft aneinander und an den Bedürfnissen vorbei geplant. Dennoch war der Wi-derstand gegen eine Verwaltungsreform im Sinne eines „Groß-Berlin“ enorm. Während sich die Berliner Kommu-nalpolitiker für einen solchen Zusammenschluss stark machten, hielten besonders die vornehmen westlichen und südwestlichen Vorortgemeinden nichts davon. Sie weigerten sich entschieden, mit Berlin und den Arbeiter-vorstädten des Nordens und Ostens in einen Topf gewor-fen zu werden. Von dort wanderten nämlich die bürgerli-chen Schichten zunehmend in die Vororte ab.

Die finanzielle Situation Berlins verschlechterte sich zu-sehends, während die Fluktuation Gemeinden wie Zehlen-dorf, Wilmersdorf oder Charlottenburg kräftige Steuerzuwächse bescherte. Prächtige Gründerzeitfassaden und Rathäuser zeugen noch heute vom Stolz jener Tage. Angesichts der immer unhaltbarer werdenden kommunalpo-litischen Zustände wuchs jedoch der Druck so sehr, dass 1911 immerhin ein „Zweckverband Groß-Berlin“ gegrün-det wurde, der im Namen schon aus-drückt, was er nicht war: eine „Liebes-verbindung“. Davon zeugt auch ein aus Spandau überlieferter Spruch jener Zeit: „Mög schützen uns des Kaisers Hand vor Groß- Berlin und Zweckverband.“ In dessen Rahmen konnten sich Städte und Gemeinden zur Lösung einzelner kommunaler Aufgaben zusammen-schließen; allerdings blieben die meisten Projekte bereits in der Planungsphase stecken und der Erfolg eher mäßig.

1920 war es dann schließlich doch soweit: Jahrelange Bemühungen, besonders der Berliner Sozialdemokraten, machten nach dem Ende der Monarchie den Weg frei für das „Gesetz über die Bildung einer neuen Stadtgemeinde Berlin“. Es beinhaltete einen absolut einmaligen Vorgang, an dessen Ende die neue Großgemeinde eine Stadt der Su-perlative wurde: den Zusammenschluss von acht Städten

– Berlin, Charlottenburg, Köpenick, Lichtenberg, Neukölln, Schöneberg, Spandau und Wilmersdorf –, 59 Landgemein-den unterschiedlichster Größe und 27 Gutsbezirken zu 20 neuen Verwaltungsbezirken. Berlin mit nun vier Millionen Einwohnern hatte sich von 66 auf 883 Quadratkilometer ausgedehnt. Mit dem Gesetz wurde zudem der rechtliche Rahmen für die Selbstverwaltung der Bezirke geschaffen: Bezirksämter, Bezirksversammlungen und Bezirksdeputa-tionen. Diese Organe konnten jedoch nicht darüber hin-wegtäuschen, dass die politische Bedeutung nicht mehr die gleiche war. Das Eingriffs- und Kontrollrecht des Ma-gistrats war unübersehbar, denn die Bezirksverwaltungen wurden lediglich als „ausführende Organe des Magistrats“ definiert.

Ohne Reibung vollzog sich dieser Eingemeindungspro-zess schon damals nicht. So führten Zwistigkeiten um Kompetenzverteilungen dazu, dass sich bald danach eini-ge Bezirke wieder von Berlin lösen wollten, darunter Span-dau und Köpenick, heute Treptow-Köpenick. Dank ihrer damaligen Erfolglosigkeit gehören sie heute immer noch dazu. Mittlerweile scheinen sie sogar einige Gemeinsam-keiten entwickelt zu haben. Im Nordwesten beziehungs-weise Südosten der Stadt gelegen kann es schon 90 Mi-nuten dauern, um von einem in den anderen Bezirk zu gelangen. Ohne konkreten Anlass tut das kaum jemand. „Es ist die Randlage, die auch eine bestimmte Kultur her-vorbringt“, beschreibt Andrea Theissen die Gemeinsamkei-ten von Spandau und Treptow-Köpenick: „Im 19. Jahrhun-dert entstanden hier wie dort zahlreiche Ausflugslokale. Man fuhr ‚raus‘, und in andere Bezirke fuhr man ‚rein‘.“ Das ist heute immer noch so und markiert eine imaginä-re Grenze, ab der man drinnen und draußen ist. Natur und Wasser charakterisieren beide Bezirke und verbinden die Menschen mit diesen in besonderer Weise. Nicht nur An-

drea Theissen, auch ihre Kollegin aus Treptow hebt diesen Punkt hervor. Aber: „Sie sind alle Berliner, wohnen in einer Metropole und sind sich dessen auch bewusst. Sie sind auch of-fen für vielfältige Kulturen, die es hier gibt“, sagt Barbara Zibler, Leiterin des Heimatmu-seums Treptow. Und noch eine entschei-dende (wenn auch trennende) Gemeinsam-keit gibt es; eine die die Berliner nicht nur in Spandauer und Treptower und Köpeni-cker teilt: „Der Berliner ist ein Kiezmensch“, sagt Theissen. Und Barbara Zibler fügt hinzu: „Baumschulenweger sind Baumschulenwe-ger und nicht Treptower und erst recht nicht Treptow- Köpenicker.“ Das muss kein Wider-

spruch zum Metropolenbewusstsein sein. Vielmehr bildet das nahe Wohnumfeld den überschaubaren Rahmen, der Orientierung verspricht. Man lehnt die Metropole nicht ab, nur „weil man sich über den Kiez auch der Anonymität der Millionenstadt entzieht“, skizziert Theissen das Wechsel-spiel.

Beim Gang durch die engen Gassen der Spandauer oder Köpenicker Altstadt merkt man von einer Millionenstadt tatsächlich nicht viel. Ob ehemalige Fischerhütten im Süd-osten oder die Zitadelle in Spandau – „über solche Gebäu-de drückt sich Geschichte aus und über sie gelingt es, sich

„Mög schützen uns des Kaisers Hand

vor Groß-Berlin und Zweckverband.“

Aus Spandau überliefer-ter Spruch aus der Zeit um

1910

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Interview mit Wolfgang Giservius

„Für das Ehrenamt bleibt wenig Zeit“

mit dem Ort zu identifizieren“, sagt Andrea Theissen. Und so wundert es wenig, wenn beide Museumschefinnen auf die Frage, was das Besondere an beiden Bezirken ist, ant-worten: „Die Geschichte“.

Konflikte über die Zusammenlegung mit Köpenick und den neuen Namen hat es in Treptow nicht gegeben, so Zibler. Letztlich sei das – im Gegensatz zu anderen Bezir-ken – mehr als Verwaltungsakt empfunden worden. Die Harmonie hier im Süden führt jedoch keineswegs dazu, alles in einen Topf zu werfen, und so betont die Museums-leiterin auch Unterschiede: „Köpenick war ja eine richtige kleine Stadt, wohingegen sich Treptow mehr aus kleinen Dorfgemeinden zusammensetze. Beide haben also eine recht unterschiedliche Geschichte. Es wäre schwierig, hier

inhaltlich eine gemeinsame Klammer zu finden.“ Also gibt es, trotz Fusion, immer noch zwei Heimatmuseen.

Dennoch müssen sie über den engen historischen Be-zug hinausschauen und eine Einordnung in den großen Rahmen Berlin versuchen. Regelmäßig trifft sich ein Ar-beitskreis der Museen, um über gemeinsame Projekte zu beraten. Andrea Theissen begründet warum: „Wir haben gemerkt, dass nur wenn wir uns abstimmen auch so et-was wie ein Berliner Gesamtkomplex herauskommt.“

Claudia Heine

Die Autorin arbeitet als freie Journalistin in Berlin

Die meisten Kommunalpolitiker ar-beiten ehrenamtlich. In Zeiten enger finanzieller Spielräume und komple-xer werdenden Sachverhalten ist es für sie unumgänglich, sich stärker auf ihrer Aufgabe vorzubereiten. Neulin-ge unterschätzen die Arbeit, die auf sie zukommt, sagt Wolfgang Gise-vius, der Leiter der Kommunal-Aka-demie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Gleichzeitig fordert er, ehrenamtlich Tätige besser zu beraten.

Das ParlamentDie Kommunal-Akademie der Fried-

rich-Ebert-Stiftung wirbt damit, Kom-munalpolitikern die nötigen Kompe-tenzen für eine erfolgreiche politische Laufbahn zu vermitteln. Wie sehen die-se aus?Wolfgang Gisevius

Das sind einmal die Schlüsselqualifi-kationen, aber auch Fachkompetenzen, zum Beispiel: Wie gehe ich mit dem Haushalt um? Oder: Wie beeinflusse ich kommunale Planungen? Es geht auch um Methodenkompetenz: Projektma-nagement, Zeitmanagement, Selbstorganisation und ähn-liche Dinge. Und natürlich spielt auch Basiswissen im Be-reich der Sozialkompetenz eine Rolle, also die Fragen: Wie gehe ich mit anderen Menschen um, wie stelle ich mich in der Öffentlichkeit dar.Das Parlament

Sind denn die zu ihnen kommenden Politiker sich vorher nicht bewusst, was auf sie zukommt?Wolfgang Gisevius

Die Kommunalpolitik wendet sich ja im politischen Eh-renamt an ganz normale Bürgerinnen und Bürger, die sich in ihrer Kommune für das Umfeld einsetzen wollen. Da wäre es natürlich zuviel verlangt, dass sie schon im Voraus perfekt Bescheid wissen. In der Regel steht der Wunsch, sich zu engagieren im Vordergrund, ohne dass die Bürger genau wissen, was alles auf sie zukommt. Was die Verwal-tung zum Beispiel von ihnen fordert, wie Techniken zum Lesen von Verwaltungsvorlagen. Oder auch in den vielen Fachbereichen, was es da im Einzelnen für Bestimmungen im Sozialgesetzbuch oder im Planungsrecht gibt. Das kön-nen sie natürlich nicht vorher wissen. Wie schwierig die Kommunikation mit den Bürgern ist, wissen sie oft auch nicht.

Das ParlamentDer Druck, sich auch in fachlicher

Hinsicht zu qualifizieren, ist gerade für ehrenamtliche Kommunalpolitiker enorm. Sie haben nicht die Mitarbeiter, die ihnen für einzelne Fachgebiete zu-arbeiten. Da stößt selbst richtig erlern-tes Zeitmanagement an Grenzen.Wolfgang Gisevius

Dieses Dilemma kann man nicht auflösen. Wenn man berufstätige Bür-ger für das politische Ehrenamt gewin-nen will – was ja schon schwierig ist, weil es sich die meisten nicht leisten

können, neben ihrem Beruf und ihren familiären Verpflich-tungen ein Ehrenamt zu übernehmen – dann brauchen sie Unterstützung. Zum Beispiel erfordern die permanent ab-nehmenden kommunalen Finanzmöglichkeiten heutzuta-ge in erheblichem Maß eine andere Art von Kommunalpo-litik. Den Bürgern zu erklären, warum man ein Hallenbad schließt oder eine Bibliothek, erfordert ganz andere Kom-petenzen als früher, wo man sich belobigen lassen durf-te, weil man wieder eine neue Bibliothek eröffnet hat. Die daraus entstehenden Zwänge – die sich in dem neu-en kommunalen Finanzmanagement oder in dem neuen Steuerungsmodell auf kommunaler Ebene ausdrücken – verlangen heute sehr viel von Kommunalpolitikern.Das Parlament

Inwiefern haben sich mit den Herausforderungen auch die Handlungsspielräume ehrenamtlicher Kommunalpoli-tiker in den vergangenen Jahren verändert?Wolfgang Gisevius

Es ist schwieriger geworden, Kommunalpolitik zu ma-chen. Zum einen ist es komplizierter geworden, mit we-niger Geld qualitativ Gutes zu bewirken. Zum anderen ist das Ganze auch viel komplexer geworden. Das bedeutet, heute gibt es kommunalpolitische Ergebnisse selten iso-

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liert nur auf einem Gebiet, sondern in der Regel nur, wenn man verschiedene Aufgabenfelder zusammenbindet und zum Beispiel Netzwerke schafft. Das ist natürlich viel schwieriger als früher, wo man in nur einem Aufgabenfeld zu Entscheidungen kommen konnte. Heute haben eigent-lich alle wesentlichen Entscheidungen Auswirkungen auf andere Fachbereiche. Diese Auswirkungen vorauszusehen, das überfordert heute oft politische Ehrenamtler.Das Parlament

Immer mehr sehr junge Menschen strömen heutzutage in die Politik, manchmal ohne Berufserfahrung. Kann ein so junger Mensch den Herausforderungen in der Kommu-nalpolitik überhaupt gerecht werden?Wolfgang Gisevius

Berufserfahrungen sind sehr wichtig, aber alles hat wie immer zwei Seiten. Das Positive, was junge Menschen in solche politischen Ehrenämter hineintragen, ist ganz ein-fach eine Freude an der Gestaltung und die unverkrampfte Suche nach Alternativen. Sie haben noch nicht resigniert, wie das bei vielen älteren Kollegen der Fall ist. Viele Räte sind überaltert, weil leider die mittleren Jahrgänge fehlen oder zu schwach vertreten sind. Man merkt ganz einfach, dass die jungen Leute eine andere Lebenssicht haben. Die-se neue Online-Generation, die geht viel ungezwungener an manche Probleme heran.Das Parlament

Kommunalpolitik wird oft als „Ehrenamt ohne Ehre“ be-schrieben. Muss da nicht ein Umdenken stattfinden?Wolfgang Gisevius

Es ist teilweise wirklich eine Zumutung, dass Leute, die sich für solche politischen Ehrenämter zur Verfügung stel-len, sich auch noch beschimpfen lassen müssen. Oft be-gegnen sie auch dem Vorurteil, zu viel Geld zu bekommen. Da müsste mehr Aufklärungsarbeit stattfinden.Das Parlament

Die Finanzmisere der Kommunen und die geringe ge-sellschaftliche Anerkennung ehrenamtlicher Tätigkeit sind nicht gerade Motivationen für einen Kommunalpolitiker. Warum tun sie es trotzdem?Wolfgang Gisevius

Die Probleme verschwinden ja nicht. Wenn sich ein jun-ger Mensch im Bildungsbereich einsetzen will, weil dies seine Kinder berührt, dann ist das auch heute noch eine ganz starke Motivation. Hier sind ja die Probleme viel-leicht eher noch gewachsen. Es gibt viele Gründe, sich einzuschalten. Nicht nur, wenn der Kanaldeckel vor der

Tür klappert. Es sind vielfach grundsätzliche Herausfor-derungen, wie das soziale Zusammenleben in der Stadt gestaltet werden soll oder wie Verkehrsplanung erfolgen müsste. Diese übergeordneten Überlegungen spielen eine wichtige Rolle. Hinzu kommt, dass die Engagierten, die in die Kommunalpolitik gehen, in der Regel den Wertehinter-grund einer Partei haben, den sie durch ihr Engagement verteidigen wollen.Das Parlament

Wie können denn die Parteien die ehrenamtlichen Politi-ker wirksam unterstützen?Wolfgang Gisevius

Da ist natürlich noch viel zu tun. Die Parteien versu-chen es durch Bildungsarbeit, aber eigentlich müssten sie viel stärker neue Formen nutzen. In Form von Datenban-ken zum Beispiel, die sie den ehrenamtlichen Politikern zu Verfügung stellen. In Form von Beratungsangeboten, Coa-chings, aber auch Hotlines oder Internet-Wissenspools, die den Aktiven ganz schnell Informationen zur Verfügung zu stellen und sie damit unterstützen.Das Parlament

Es wird ja auch immer wieder diskutiert, ob man diese ehrenamtliche Tätigkeit nicht finanziell entschädigt.Wolfgang Gisevius

Ich plädiere, bei allen Schwierigkeiten, dafür, es beim Eh-renamt zu belassen. Aber dieses Ehrenamt muss besser unterstützt werden. Das Ehrenamt müsste besser bera-ten werden, aber nicht einfach mehr Geld in die Hand be-kommen. Eine Bezahlung könnte Menschen anlocken, die eigentlich nicht gemeint sind für die Kommunalpolitik, die dann des Geldes wegen kommen, aber nicht wegen des sozialen Zusammenlebens in der Stadt.Das Parlament

Ist die Politik nicht in einem Dilemma, wenn sie einer-seits längere Arbeitszeiten fordert und andererseits auf Menschen angewiesen ist, die sich in ihrer Freizeit ehren-amtlich engagieren?Wolfgang Gisevius

Also, die SPD fordert das nicht und ich denke auch, dass das insgesamt ein Druck ist, der in die falsche Richtung geht. Denn bei dieser Form von längerer Arbeitszeit und schärferem Arbeitsdruck geht natürlich vieles kaputt, was wir an sozialem Kitt brauchen.

Das Interview führte Claudia Heine

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Direkte Bürgerbeteiligung ist vertraute Praxis in vielen GemeindenVon Georg Nienaber

Die Kommunen als Vorreiter für den BundEs war eine Art politischer Vertrauensbeweis an ein zusehends erwach-sen gewordenes Volk: Willy Brandt formulierte vor drei Jahrzehnten mit seinem Aufruf, Deutschland dürfe, könne und müsse „mehr Demokra-tie wagen“ ein Richtung weisendes Polit-Postulat. Er traute den Bürgern mehr Verantwortung und das Vermögen zu, über ihre Angelegenheiten selbst entscheiden zu können. Gerade die partizipativen Initiativen und mutigen Aktionen der Menschen in der DDR haben diese Aufforderung später aufgenommen und die Demokratisierungswünsche in Deutsch-land nach 1990 verstärkt – vermehrt in Richtung direkter Demokratie. Nirgendwo haben die Menschen diese Forderung stärker umgesetzt als auf der kommunalen Ebene.

Nirgends leben und erleben Bürger politische Beteili-gung intensiver als in ihren Gemeinden. Als Vorreiterin ge-rade im Bereich der direkten Demokratie erweist sich die lokale Ebene dabei einmal mehr als „Schule der Demokra-tie“. Auch wenn die repräsentative Demokratie – ebenfalls wie auf Landes–, Bundes- und Europaebene – nach wie vor das vorherschende System ist, hat die direkte Bürgerbetei-ligung in vielen Bereichen in der kommunalen Politik ih-ren etablierten Platz gefunden. Für die Kommunen sind dabei in jüngster Vergangenheit besonders zwei hervor-stechende Neuerungen hin zu mehr Demokratie zu unter-streichen: die Einführung von Bürgerbegehren und Bürge-rentscheiden sowie die Direktwahl des Bürgermeisters in nahezu allen Gemeindeordnungen. Die Landesgesetzge-ber haben damit verfassungsrechtlich eine starke Betei-ligungschance der Bürger an ihren Ortsangelegenheiten festgeschrieben.

Mit den Bürgerbegehren haben die Souveräne der Kom-mune die Gelegenheit, den gewählten Räten eine konkrete Sachentscheidung aus der Hand zu nehmen und verbind-lich direktdemokratisch zu entscheiden. Dazu können die Bürger beantragen – hier setzt das Begehren ein –, dass sie an Stelle des Rates eine örtliche Angelegenheit entschei-den können, also einen Bürgerentscheid durchführen. Für das Begehren im ersten wie für den Entscheid im zweiten Schritt sind bestimmte Quoren per Unterschriftenlisten zu erreichen, um als erfolgreich gelten zu können. Die kon-kreten Regelungen dazu sind in den Bundesländern unter-schiedlich gefasst. Gemein ist ihnen jedoch allen, dass nur eine beachtliche organisatorische Initiatorenbewegung zu entsprechenden Schritten führen kann.

Die Gemeindebevölkerung muss die Entscheidungen ihrer einmal gewählten Ratsvertreter nicht mehr wider-standslos hinnehmen. Die Möglichkeit zur entscheiden-den Mitsprache bleibt während der gesamten Wahlperi-ode bestehen, so dass die Gemeindebürger nicht nur alle paar Jahre in der Wahlkabine ihre Souveränität entschei-dend ausdrücken können.

Das bleibt nicht ohne Folgen für die gewählten Gemein-devertreter: Allein das „Drohpotenzial“ eines Bürgerbegeh-rens veranlasst viele Ratsmitglieder, sich in ihren Entschei-

dungen näher am Bürgerwillen zu orientieren. Damit ist neben der tatsächlichen Anwendung der Beteiligungsinstrumente ein nicht unbe-deutender Nebeneffekt angesprochen, den die Statistiken über Nutzungshäufigkeiten von Bür-gerbegehren und Bürgerentscheiden nicht er-fassen können. Dennoch können auch Zahlen den Demokratisierungsschub der Kommunen dokumentieren: Rund 2.500 Bürgerbegehren und -entscheide vor allem zu den Themenge-bieten der Verkehresfragen, Bauvorhaben und öffentlicher Einrichtungen und Infrastruktur wurden bis 2002 durchgeführt. Dabei ist die

Nutzungshäufigkeit in den Bundesländern durchaus un-terschiedlich. Beispiel Bayern: Über 1.100 direktdemokra-tische Verfahren haben die Bürger in den Freistaat-Ge-meinden seit 1995 initiiert. In den übrigen Bundesländern liegen die Zahlen weit darunter, zwischen 232 in NRW über 165 in Sachsen bis hin zu 57 in Sachsen-Anhalt oder 78 in Rheinland-Pfalz. Als Vergleichsindikator kann daher vor allem das Verhältnis von Begehren zu Einwohnerzah-len dienen. So kommt in Bayern auf 64.000 Einwohner jährlich ein Bürgerbegehren, während der Wert in Baden-Württemberg bei knapp 800.000 Gemeindebürgern liegt.

Bei der genaueren Analyse ist jedoch auch festzustel-len, dass es besonders partizipationsfreudige Gemeinden gibt: Bislang 15 Bürgerbegehren allein in München, zwölf in Nürnberg wie auch in Regensburg und immerhin acht Verfahren in kleineren Städten wie Passau oder Neu-Ulm sprechen für einen enormen Beteiligungswillen der heimi-schen Bevölkerung. Allerdings hat die große Mehrheit der Kommunen bislang noch gar keine Bürgerbegehren gese-hen. Die Anwendungshäufigkeiten weisen demnach regi-onale Unterschiede auf, beweisen aber auch, dass die ple-biszitären Elemente durchaus politischen Einsatz finden. Grund für diese Divergenzen ist unter anderem die un-terschiedliche Ausgestaltung der Bürgerbegehren. So sind zum Beispiel in der Gemeindeordnung Niedersachsens mehr Themenbereiche für ein Begehren ausgeschlossen als in Bayern. Und natürlich ist die Frage der Quorumshö-he immer auch eine Frage der Attraktivität des direktde-mokratischen Instrumentes.

Nach bisherigen Erfahrungen kann festgehalten wer-den: Das Bürgerbegehren als partizipatives Instrument hat sich bewährt. Ein befürchtetes Entscheidungschaos kann bislang nicht festgestellt werden. Die Bürger nut-zen in vielen Fällen ihr direktdemokratisches Recht, auch wenn die Beteiligung an den Abstimmungen häufig nur niedrig ist und gerade die Gültigkeitshürden überwinden. Klar muss dabei aber auch sein, dass der verstärkte Betei-ligungswunsch einhergeht mit strukturellen Veränderun-gen im Bewusstsein der lokalen Parteien und damit auch des Gedankens der repräsentativen Demokratie: In Teilen findet eine Machtverschiebung statt. Ein Stück weit müs-

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sen die Räte und damit die Parteien Einfluss abgeben. Da-mit wird Lokalpolitik bürgernäher, aber – das ist der Preis – in vielen Fällen auch unberechenbarer. Und: In manchen Fällen erscheinen die Ankündigungen von Bürgerbegeh-ren auch als bloße Wahltaktiererei bestimmter Fraktionen oder Bürgergruppen. Zudem beklagen sich einige Kommu-nen auch über die Vertretung von reinen Partikularinter-essen im Rahmen eines Bürgerbegehrens – eine Gefahr, die bei niedrigen Gültigkeitsquoren auch nicht ganz aus-zuschließen ist.

Lokalpolitik wird auch durch die Direktwahl der Bürger-meister bürgernäher und demokratischer. Durch die be-sonders in den 90er-Jahren in fast allen Bundesländern eingeführte Urwahl des Rathauschefs büßt auch hier die repräsentative Demokratie an Mitsprache ein. Sehr zen-trale Personalentscheidungskompetenzen gingen auf die Bürgerschaft direkt über. Die Gemeindebevölkerung selbst wählt aus, wer die Geschicke der Kommune leiten soll. Auch wenn die Vorentscheidungen über die Kandidaten der Parteien in der Regel parteiintern getroffen werden, fällt die letztendliche Entscheidung allein der Bürger.

Letztlich kann – das sehen die meisten Gemeindeord-nungen vor – sich jeder um das Bürgermeisteramt bewer-ben, auch als parteiunabhängiger Einzelbewerber. Da die Amtsinhaber meist auch auf ihre Wiederwahl hoffen, ver-halten sie sich oft besonders bürgernah und beteiligungs-freundlich, wie eine aktuelle Studie zur Direktwahl der Bürgermeister in NRW gezeigt hat. Allein in diesen Rah-menbedingungen deutet sich schon unmissverständlich ein Plus an lokaler Direktdemokratie an. Ein Demokrati-sierungsgewinn, den die direkt gewählten Bürgermeister selbst überdeutlich als Vorteil sehen: Über 90 Prozent der 1999 in NRW erstmals urgewählten Bürgermeister werte-ten die Direktwahl als positives Partizipationsinstrument.

Allerdings birgt das Direktwahlsystem auch Fallstricke, die das kommunale Regierungssystem behindern, wenn nicht sogar lähmen können: Durch die getrennte Wahl der Ratsmitglieder und des Bürgermeisters ist es gar nicht sel-ten zu regelrechten Cohabitations-Systemen gekommen: Ein Bürgermeister der A-Partei steht einem von der B-Par-

tei dominierten Rat gegenüber. In manchen Gemeinden hat dieses Blockadeverhältnis zu massiven Behinderun-gen der Gemeindeorgane geführt. Demokratie ja – aber in diesen Fällen kann das auch die Gefahr des tendenziellen Abschieds von der lokalen Effizienz bedeuten.

Die Einführung der Direktwahl war beseelt vom Wunsch, die Menschen näher an die Kommunalpolitik zu führen. Allerdings sagt die Statistik, dass die Urwahl keine besondere Wahlmotivation zu sein scheint: In NRW etwa lag die Wahlbeteiligung bei den Kommunalwahlen 1999 mit der ersten Bürgermeister-Direktwahl unter der vorhe-rigen. Dieser Abwärtstrend muss seit längerem beobach-tet werden und hat sich bei den jüngsten Kommunalwah-len weiter verstärkt.

Neben den beiden hier beleuchteten, zentralen Betei-ligungsinstrumenten haben auf der kommunalen Ebene auch viele weitere Einbindungsmöglichkeiten der Bürger-schaft ihr Zuhause: Vom Bürgerhaushalt über Bürgerinitia-tiven bis hin zu Planungszellen oder Runden Tischen reicht die Partizipationspalette. Die Bürgermeister der genann-ten Befragung maßen diesen Instrumenten auch hohe Be-deutung bei – und wollen sie teils sogar weiter ausbauen.

Bürgerbegehren, Bürgerentscheide und die Direktwahl der Bürgermeister als aktuelle und zentrale Beteiligungs-instrumente ermöglichen ohne Frage ein Mehr an lokaler Mitsprache der Bürger, auch wenn die Beteiligungen an den partizipativen Abstimmungen bisher manchmal noch zu wünschen übrig lassen. Die Partizipationsorientierung in der Kommune hat sich bewährt und kann Vorbildfunk-tion für die übrigen politischen Ebenen haben. Insgesamt darf festgehalten werden, dass Willy Brandt den Bürgern nicht zu viel zugetraut hat: Man kann, man sollte und man wird den Menschen mehr Mitsprache in ihren eigenen An-gelegenheiten einräumen und darf also getrost „mehr De-mokratie wagen“.

Dr. Georg Nienaber ist Lehrbeauftragter am Institut fürPolitikwissenschaft der Uni Münster und Persönlicher Referent des Oberbürgermeisters von Eisenach

Tageszeitungen stellen oft die einzige Möglichkeit dar,um eine lokale Öffentlichkeit zu erreichen

Ist nur das passiert, was auch in der Zeitung steht?Eigentlich sitzen Kommunikationswissenschaftler und

Journalisten ja in einem Boot. Reden die einen über die an-deren, kann man sich allerdings des Eindrucks nicht erweh-ren: Die sind sich spinnefeind. Das gilt offenbar vor allem für die Beziehung zwischen Wissenschaftlern und Lokal-journalisten. Die Forscher kratzen schon seit Jahrzehnten an einem Gut, das Zeitungen generell beschwören wie den Heiligen Gral: die Glaubwürdigkeit. Der freundlichste Vor-wurf in diesem Zusammenhang ist noch „Symbiose“. Den Vorwurf der „Versippung“ muss man in den Lokalredaktio-nen glatt als Ohrfeige empfinden.

Kein Wunder, dass mancher Lokalchef die Erkenntnisse

der Forscher als „zeitungsfeindlich“ betrachtet. Dabei will die Wissenschaft vor allem eins: die Meinungsvielfalt er-halten. Die aber, so eine landläufige These, leide propor-tional zur Pressekonzentration, was in der Tat nur logisch erscheint: Je weniger Zeitungen es gibt, desto übersicht-licher wird auch die Anzahl der vertretenen Positionen. Horst Röper, Zeitungsforscher aus Dortmund, formuliert das so: „Eine Vielzahl miteinander konkurrierender Zeitun-gen ist noch keine Garantie für inhaltliche Vielfalt, aber die Voraussetzung.“

Gerade auf kommunaler Ebene ist diese Maxime von elementarer Bedeutung, denn in der Regel stellen die Ta-

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das Geschäft im Konkurrenzkampf sogar leichter, „weil die Haushaltsabdeckung insgesamt höher ist“.

Auch Bernd Mathieu, Chefredakteur der „Aachener Zei-tung“ wie auch des vermeintlichen Konkurrenzblattes „Aa-chener Nachrichten“, votiert vehement für den Forumsge-danken. Er geht sogar noch einen Schritt weiter: „Eine gut recherchierte offene Lokalzeitung ist mir lieber als zwei schlecht gemachte, schlecht besetzte, schlechte geschrie-bene Zeitungen, die nur eine Schein-Konkurrenz darstel-len.“ Für Mathieu sind Lokalzeitungen zudem „nach wie vor wohl das glaubwürdigste, ausführlichste und damit kompetenteste Medium“, um kommunalpolitische Öf-fentlichkeit herzustellen.

Gerade die Glaubwürdigkeit hat in den letzten Jahrzehn-ten jedoch erheblich gelitten. Umfragen des Allensbacher Instituts für Demoskopie belegen, dass das Vertrauen im-mer mehr bröckelt: nicht nur in die Zeitung, sondern in in-stitutionalisierte Einrichtungen generell. Gerichte sind von diesem Verlust ebenso betroffen wie Parteien, Gewerk-schaften und die Kirchen. Im Gegensatz zum Fernsehen rächen sich gerade bei Lokalzeitungen zudem auch Fehler im Detail: Auf regionaler Ebene ist die Chance viel größer, dass Leser Zeuge eines Ereignisses waren, das tags drauf in der Zeitung ihrer Meinung nach ganz anders dargestellt wird, als sie es selbst erlebt haben.

Horst Röper hegt zudem erhebliche Zweifel an der Fo-rumsbehauptung, die seiner Meinung wissenschaftlich längst revidiert sei. Am Beispiel des Essener „WAZ“-Kon-

zerns lasse sich zudem belegen, dass regionale Zeitungsverlage immer dort in ihre Lokalredaktio-nen investierten, wo Wettbewerb herrsche. „Aber schon im Nachbar-gebiet, wo man ein Monopol mit möglicherweise ungleich höherer Auflage besitzt, müssen die Redak-tionen mit weniger Mitarbeitern und weniger Seiten auskommen.“

Kein Wunder, dass außerhalb der Verlagshäuser landauf, landab vor der Novelle des Ge-setzes zur Pressefusionskontrolle gewarnt wird. Siegfried Weischenberg, Direktor des Instituts für Journalistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Hamburg, spricht gar von einer „Bedrohung der Demokratie“. Denn: „Das neue Gesetz ist ein ‚WAZ‘-Gesetz.“ Im Gegensatz zu Röper stellt er den von den Redakteuren beschworenen Fo-rumsgedanken nicht in Frage, fürchtet aber, dass sich die Journalisten gerade in Gebieten mit einem Zeitungsmo-nopol „auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zurückzie-hen“. Viele Zeitungen hätten mittlerweile den Charakter eines Generalanzeigers: „Das ist nicht das, was wir brau-chen.“

Im Sinne Röpers bestreitet allerdings auch Weischen-berg, dass Zeitungsvielfalt Garantie für Meinungsvielfalt sei. Er belegt dies am Beispiel der Hamburger Zeitungs-landschaft, in der es vier Tageszeitungen mit lokaler Be-richterstattung gibt: „Hamburger Abendblatt“, „Die Welt“, „Bild“ sowie „Hamburger Morgenpost“ (zu erwähnen wäre zudem noch die linksalternative „tageszeitung“). „Es wür-de zu weit gehen zu behaupten, dass Dinge systematisch

geszeitungen die wichtigste Möglichkeit dar, um eine loka-le Öffentlichkeit herzustellen. Natürlich gibt es auch ande-re Medien. Amtliche Mitteilungsblätter sind so manchem Zeitungsverlag ein Dorn im Auge, ganz zu schweigen von jenen Anzeigenblättern, die neben Reklame in Ausnah-mefällen gar bis zu 30 Seiten mit redaktionellen Texten bieten. Doch viele Anzeigenzeitungen gehören den örtli-chen Verlagshäusern, die Lokalradios – an denen die Verla-ge nicht selten ebenfalls beteiligt sind – bieten häufig nur Dudelfunk, und das Ballungsraumfernsehen steckt immer noch in den Kinderschuhen. Die Alternative der einstmals streitlustigen Stadtzeitschriften ist längst kommerziali-siert worden, so dass mittler-weile allein die Offenen Kanä-le noch eine ernstzunehmende Gegenöffentlichkeit darstellen.

Gerade im ländlichen Raum sind Kommunalpolitiker und sämtliche Interessengemein-schaften mit öffentlichem An-liegen also auf Gedeih und Verderb den lokalen Zeitungen ausgeliefert. Der Plural ist aller-dings der reine Euphemismus: Laut Röper gibt es in über 60 Prozent der Kreise und kreisfreien Städte nur noch eine Zeitung. Die Schlussfolgerung ist klar: Wer will, dass die Öffentlichkeit etwas erfährt, braucht die örtliche Tages-zeitung. Der Umkehrschluss: Was die Lokalzeitung ver-schweigt, ist so gut wie nicht passiert.

Eine enorme Verantwortung, der sich die Lokalchefs of-fenbar bewusst sind. Tobias Engelsing, Leiter der Konstan-zer Lokalredaktion des „Südkurier“, weist die wissenschaft-lich fundierten Vorwürfe besonders energisch zurück. Er formuliert eine moderne Position, die mittlerweile in vie-len Verlagshäusern anzutreffen ist. Die Zeiten der par-teipolitischen Ausrichtung von Lokalzeitungen gehörten doch längst der Vergangenheit an: „Liberale Zeitungshäu-ser wie der ‚Südkurier‘ betrachten ihre Aufgabe gerade in einem Monopolmarkt als Aufforderung, ein Forum für vie-le Gruppierungen und Meinungen zu bieten.“ Seine Erklä-rung leuchtet ein: „Nur weil wir in Konstanz die einzige Ta-geszeitung anbieten, heißt das noch lange nicht, dass uns auch sämtliche Haushalte abonniert haben.“ Tatsächlich, ergänzt sein Chefredakteur Werner Schwarzwälder, sei

„Selbst wenn wir wollten: Wir könnten eine Nachricht gar nicht

willkürlich unterschlagen.“ Werner Schwarzwälder, Chefredakteur

des „Südkurier“

Ohne Lokalzeitung wüssten viele Bürger nicht, wer in der Kommunalpolitik die Hosen anhat. Foto: Archiv W+S

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„Die Berichterstattung schließt alles aus,

was sich unterhalb der etablierten,

organisierten Öffent-lichkeit befindet.“

Otfried Jarren,Medienwissenschaftler

verschwiegen werden. Aber eine bestimmte Grundmelo-die in der kommunalpolitischen Berichterstattung wird vom ‚Abendblatt‘ vorgegeben und von den anderen nicht konterkariert.“ Kein Wunder: Drei der fünf Titel stammen aus dem Axel Springer Verlag. Allein in „Morgenpost“ und „taz“ gebe es auch mal Kritik an der in Hamburg regieren-den CDU.

In Monopolsituationen sei dieses Missverhältnis naturgemäß stärker. Dort sieht Weischenberg „eine Art Ar-rangement zwischen Tageszeitungen und herrschenden Parteien“. Otfried Jarren geht noch einen Schritt weiter, wenn er von „Versippung“ spricht. Der Ordinarius für Publizistikwissenschaft an der Universität Zürich denkt dabei vor allem an die „Wertheim- Studie“, in der schon vor über 30 Jahren die These formuliert wurde, dass lokale Berichter-stattungspraxis elitendominiert sei. Jarren bestätigt zwar den Forums-Charakter der Zeitungen, „weil es sich die Verlage aus ökonomischen Gründen gar nicht mehr leis-ten können, schwarze oder rote Positionen zu vertreten“. Doch er stellt auch fest: „Die Berichterstattung schließt al-les aus, was sich unterhalb der etablierten, organisierten Öffentlichkeit befindet.“ Das treffe in erster Linie die Sub-kultur, die keine Anzeigen schalte. Vor allem aber verliere der Lokaljournalismus in Monopolgebieten seine Aufgabe als „Watchdog“: „Die Frühwarnfunktion der Medien wird größtenteils ausgeblendet.“ Jarren nennt das die „struk-turelle Beißhemmung“ und spricht von „korporatistischen

Interessen“, weil die Berichterstattung weitgehend ökono-misch gesteuert sei.

Die Betroffenen sehen das selbstredend ganz anders. Werner Schwarzwälder verweist auf die publizistische

Konkurrenz, etwa in Gestalt des öffent-lichrechtlichen Rundfunks, den Mitar-beitern von Presseagenturen oder freier Journalisten. „Selbst wenn wir wollten: Wir könnten eine Nachricht gar nicht willkürlich unterschlagen.“ Gerade für eine Zeitung wie den „Südkurier“, des-sen Verbreitungsgebiet vom Bodensee über den Schwarzwald bis zum Hochr-hein reicht, habe die lokale Berichterstat-tung zudem enorme Bedeutung: „Mit dem Mantel verändern wir an der Aufla-ge gar nichts.“

Für Tobias Engelsing hat engagierter Journalismus ohnehin nichts mit der Marktsituation zu tun: „Die Strukturen

sind nicht Schuld, wenn der Lokalchef ein Hasenfuß ist.“ Die weitaus größere Crux liegt seiner Meinung nach in der Ausbildung der nachwachsenden Journalistengeneratio-nen, denen man neben Liebe zum Handwerk auch Mut zu kritischem Denken vermitteln müsse. Vor allem aber soll-ten sie sich darüber im Klaren sein, dass man als Lokaljour-nalist nicht „Everybody’s Darling“ sein könne: „Als Lokal-chef muss man auch eine Krawallschachtel sein.“

Tilmann P. Gangloff ist freier Medienjournalistund lebt in Allensbach am Bodensee

Die Zukunft der Kommunen in einer immer einflussreicher werdenden EUVon Hiltrud Nassmacher

Europa ist zugleich Chance und BelastungDie EU-Osterweiterung und Verfassungsdiskussionen haben vielen kommunalen Akteuren wieder ins Bewusstsein gerufen, dass Europa Belastung und Chance zugleich sein kann. Dennoch überwiegen aus städtischer Sicht zunächst die Befürchtungen, die aus der Erweiterung resultieren. Diese beziehen sich vor allem auf den Rückgang von För-dermitteln, in Niedriglohn- und Niedrigsteuerländer abwandernde Be-triebe sowie – mit einiger Verzögerung – die Konkurrenz von billigen Arbeitskräften vor Ort.

Von der Osterweiterung sind allerdings nicht alle Kom-munen im gleichen Maße betroffen, denn die räumliche Entfernung zu den Erweiterungsländern dürfte selbst bei wachsender Mobilität noch immer eine Rolle spielen. Mögliche finanzielle Ausfälle treffen aber auch weiter ent-fernt liegende Kommunen, die im Vergleich zu den Neu-zugängen wirtschaftlich besser dastehen. Sie werden sich in Zukunft auf reduzierte Fördermittel einrichten müssen, selbst wenn dies nur einen Teil der möglichen Finanzzu-

weisungen betrifft. So bleibt festzuhalten, dass angesichts hoher Haushaltsdefizite und zum Teil schmerzhafter Sanierungsvorgaben der kommu-nalen Aufsicht für die Haushalte hier Kürzungen möglich sind und Phantasie für die Ausschöp-fung neuer Finanzquellen nötig ist.

Im Zuge der Integration Europas bis hin zur heutigen EU sind viele Entscheidungen auf eu-ropäischer Ebene gefallen, die als empfindliche Einschränkungen der Handlungsmöglichkeiten

der Kommunen empfunden wurden. So müssen Verord-nungen der EU unmittelbar umgesetzt werden, die Richtli-nien (künftig Rahmengesetzgebung, laut EU Verfassungs-entwurf) nach entsprechender Gesetzgebung des Bundes oder Landes. Erwähnt seien vor allen Dingen die Deregu-lierung des Strommarktes und des öffentlichen Personen-nahverkehrs, das Erfordernis europaweiter Ausschreibun-gen bei der Auftragsvergabe ab einer bestimmten Höhe und Auflagen im Umweltschutz.

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Die Versorgung mit Strom, Wasser und öffentlichem Nahverkehr war bis zu den Eingriffen der EU Aufgabe der Stadtwerke, geschützt durch Konzessions- und Demarkati-onsverträge. Mit einer Mischkalkulation konnten die Kom-munalpolitiker den notorisch defizitären öffentlichen Per-sonennahverkehr im Rahmen des Versorgungsverbundes zugunsten des Umweltschutzes fördern, indem sie durch Gewinne beim Wasser- und Energieverkauf die Fahrpreise niedrig hielten. Diese Quersubventionierung ist nun nicht mehr möglich. Die Versorgungsunternehmen als Mono-polanbieter müssen sich dem europaweiten Wettbewerb stellen, um dem Verbraucher den Zugang zur günstigsten Versorgung zu ermöglichen. Die Folge sind schon jetzt Zu-sammenschlüsse ehemaliger selbstständiger städtischer Anbieter.

Bei europaweiten Ausschreibungen von Auftragsverga-ben wurde vor allem der aufgezwungene Mehraufwand (unter anderem Ausschreibung in englischer Sprache, mehr Bewerber und damit die Verlängerung der Aus-wahlverfahren) gesehen. Inzwischen wissen Kommunal-verwaltungen mit diesem Erfordernis umzugehen und bleiben bei Vergaben möglichst unter den festgesetzten Schwellenwerten, so dass sich das Problem nur für Groß-projekte ergibt. Ebenso verursachten Richtlinien zum Um-weltschutz mehr Verwaltungsaufwand. Sie führten zur Einführung von Abfallbeseitigungsplänen und zur Um-weltverträglichkeitsprüfung für Investitionsvorhaben. Auch Normen für Emissionen bei der Müllverbrennung wurden erlassen. Diese hätten allerdings nach Sensibili-sierung der Öffentlichkeit für das Thema Umweltschutz ohnehin auf die Agenda der kommunalen Politik gesetzt werden müssen oder wurden bereits eingehalten.

Im Lichte dieser veränderten Rahmenbedingungen lässt sich kein Stillstand der Stadtpolitik erkennen. Die Städte überbieten sich mit Investitionen im Freizeitbereich und sie weisen neue Flächen für Wohnen und Gewerbeansied-lung aus. Jede Stadt sieht als ihre besondere Herausforde-rung die Gefahr, dass ihre Attraktivität für die eigenen Bür-ger sowie für diejenigen des Umlandes verloren geht und will mit Aktivitäten in diesen Bereichen den möglichen Ab-stieg vermeiden. Das Gebot einer Gleichwertigkeit der Le-

Hinter diesen Mauern werden die Entscheidungen getroffen, die für die deutschenKommunen von immer größerer Bedeutung werden: Gebäude des EU-Parlaments in Straßburg Foto: Archiv W+S

bensbedingungen wird dabei häufig überinterpretiert und ordnet sich ganz den schein-bar gerade modischen Be-dürfnissen unter: Waren es in den 70er-Jahren die Mehr-zweckhallen und Schwimm-bäder für die Sportvereine, so sind heute Spaßbäder mit Wellnesseinrichtungen sowie Mehrzweckarenen für den Zuschauersport und andere Großevents das A und O. Fand in den 70er- Jahren das Ein-kaufserlebnis in den Fußgän-gerzonen statt, so sind derzeit gigantische, wetterunabhän-gige Malls angesagt. All diese Maßnahmen sollen dazu die-

nen, die Zentralität in der Konkurrenz zu anderen Städten zu erhalten und die Anziehungskraft zu verbessern.

Möglich werden diese Großinvestitionen meist durch Public-Private-Partnership, wobei die Städte und Gemein-den neben den Ländern und der EU nur mitfinanzieren. Sie bleiben aber – wie sich inzwischen bei vielen ganz oder teilweise gescheiterten Großprojekten zeigt – auf einem ziemlich unkalkulierbaren Restrisiko sitzen. Die sich aus diesem Wettkampf ergebenden Probleme, unter anderem Investitionsruinen, sind größtenteils hausgemacht. Der Verweis auf überörtliche Schuldige erweist sich als bloße Externalisierung der Verantwortung.

Europaweit gültige Entscheidungen können auch als Chancen gesehen werden, längst überfällige Handlungs-optionen zu nutzen und Handlungszwänge abzustreifen. Handlungsoptionen sind beim öffentlichen Nahverkehr zu erkennen. So sind die Verkehrsverbünde durch abge-stimmte Fahrpläne und einheitliche Preissysteme unter-schiedlicher Anbieter für die Benutzer von Vorteil. Hand-lungszwänge entfallen beispielsweise durch das Verbot, finanzielle und geldgleiche Leistungen im Rahmen der Wirtschaftsförderung an private Unternehmen zu trans-ferieren. Dadurch könnte der Konkurrenzdruck der Städte untereinander, der Attraktivität für Ansiedlungsinteres-senten durch Subventionen bearbeitete, zumindest gemil-dert werden. Allerdings bleibt die Frage, ob außer in ekla-tanten Fällen eine Einhaltung dieser Regeln durch die EU überprüft werden kann.

Stadtentwicklungspolitik wird heute immer noch als Baupolitik gesehen. Wenn sich in der Stadt die Baukrä-ne drehen, gilt das als Sprung nach vorn. Stadtqualität misst sich allerdings nicht nur an einem modernen Stadt-bild, sondern auch am friedlichen Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher sozialer Schichten und Her-kunft. Die Bedeutung der „sozialen Stadt“ ist stärker ins Bewusstsein gerückt, nachdem Ghettos von Bewohnern ausländischer Herkunft und sozial schwächeren Bevölke-rungskreisen insbesondere in großen Städten zunahmen. Eine wesentliche Hilfe zur Integration bedeutet es, dass nunmehr alle EU-Bürger in dem Mitgliedstaat, in dem sie längerfristig ihren Wohnsitz haben, auf der kommunalen

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Ebene wählen und gewählt werden dürfen. Allerdings sind die örtlichen Organisationen am Zuge, diese Chance mit Leben zu erfüllen. Dies gilt besonders für die Parteien, die unterschiedliche Interessen bündeln sollen. Sie sind gefor-dert, diese Bevölkerungskreise zu ermuntern, ihre Proble-me in den Willensbildungsprozess einzubringen und sie für die Wahrnehmung ihrer Rechte zu gewinnen.

Insgesamt sind die Kommunen durch die EU in einen immer komplizierteren Handlungsrahmen eingebunden. Städte und Gemeinden müssen darin als Unternehmer tätig werden. Dabei sind verwaltungsstarke Großstädte in einer besseren Ausgangsposition, weil sie bei Projekten auch selbst als Einzellobbyisten in Brüssel auftreten kön-nen. Den mittleren und kleinen Städte bleibt nur, sich auf ihre Verbände zu verlassen, die auch im beratenden Aus-schuss der Regionen vertreten sind. Selbst mittlere Städ-te leisten sich zuweilen bereits einen EU-Beauftragten, der einerseits vielfältige Lobbyfunktionen bei den politischen Akteuren auf der europäischen Ebene wahrnimmt, ande-rerseits die finanziellen Fördermöglichkeiten im Hinblick auf die Finanzierung von ergänzenden Leistungen prüft.

Der Verfassungsentwurf benennt als zwischen EU und Mitgliedstaa-ten geteilte Zuständigkeiten bezie-hungsweise als Koordinierungsund Ergänzungsmaßnahmen unter an-derem Verkehr und transeuropäi-sche Netze, Energie, Sozialpolitik, Wirtschaft, Umwelt, Verbraucher-schutz, Gesundheit, Bildung, Sport, Kultur und Zivilschutz. Nach dem Subsidiaritätsprinzip wird die EU nur tätig, soweit „die Ziele der in Be-tracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zen-traler noch auf regionaler oder loka-ler Ebene ausreichend erreicht wer-den können“ (Artikel 9). Eine stärkere Vertretung der Kommunen ist auch im Verfassungsentwurf (Artikel 31) nicht vorgesehen. Sie würde das Entscheidungssystem der EU noch komplizier-ter und damit handungsunfähiger machen.

Die Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung ist auch nach Einbindung in den Politik- und Finanzverbund der EU nicht in Gefahr. Nicht umsonst betont die seit den 90er-Jahren forcierte Verwaltungsreform neben der Effizienz der Aufgabenerledigung die Bürgernähe der Kommunen. Das Übergewicht der Verwaltung wurde durch neue Betei-ligungsformen abgemildert. Die Frage ist allerdings, ob die gegebene Kleinteiligkeit der Entscheidungen durch mehr Kooperation bei Großprojekten abgelöst werden müsste. Einerseits ist Konkurrenz wichtig für die Aktionsbereit-schaft der Akteure. Andererseits hat die Konkurrenz der Städte vielfach zu Überinvestitionen und damit zu deren mangelhafter Auslastung geführt, was wiederum als Ver-schwendung öffentlicher und privater Mittel für Konsum-zwecke abqualifiziert werden muss.

Beispiele finden sich nicht nur im Freizeitbereich, son-dern auch bei der Ausweisung und Erschließung von Flä-chen für die Ansiedlung von Gewerbe. Trotz zunehmender

Leerstände bei Läden in den Stadtzentren werden diese durch großräumige Einkaufszentren ergänzt. Um in Zu-kunft Fehlinvestitionen zu vermeiden wäre es angesagt, dass sich die Städte und Gemeinden bei Investitionsvor-haben in der Region stärker abstimmen. Die EU trägt zwar durch ihre Vergabeprinzipien für finanzielle Zuschüsse zur Regionalisierung bei. Allerdings sind die Kriterien doch sehr allgemein.

Seit Jahrzehnten wird auch durch Raumordnung und Landesplanung versucht, die Probleme in den Griff zu be-kommen. Landesregierungen setzen sich inzwischen für eine aktive Implementation der Rahmenplanungen ein, zum Beispiel mit Programmen zur Stärkung der Stadtmit-te und zum Stopp ausufernder Entwicklung von Einkaufs-gelegenheiten auf der grünen Wiese. Selbstverpflichtun-gen im Rahmen von Kernstadt-Umland-Vereinbarungen, die die weitere Zersiedlung der Landschaft durch eine Ab-stimmung bei Flächenausweisungen für Wohnen und Ge-werbe vermeiden sollten, hatten nur geringen Erfolg.

Dies ist auf die eher schwache Institutionalisierung der Zusammenarbeit in Regionen zurückzuführen, während

die Einbindung der Kommunen in das Ent-scheidungssystem des Gesamtstaates his-torisch gewachsen und im Grundgesetz fest verankert ist. Daher sind die regionalen, koo-perativen Diskussions- und Entscheidungs-gremien, die zum Teil auch nicht-staatliche Akteure aus Wirtschaft und Umweltschutz einbeziehen, weniger durchsetzungsstark. Dies gilt, obwohl gemeinsamer Problem-druck aller Beteiligten (beispielsweise Wie-der- und Umnutzung alter Industriegebiete, Abwanderung von Bevölkerung und Wirt-schaft aus den Kernstädten) den Anstoß zur Zusammenarbeit gab. Ein gutes Beispiel da-für ist das Ruhrgebiet mit seiner seit Jahren etablierten Kooperation und verbleibender, intensiver Städtekonkurrenz. Hier fallen die von der Wissenschaft vielfach formulierten

Erwartungen an zukunftsträchtige Kooperationen und die tatsächlich erreichten Wirkungen immer noch weit aus-einander.

An die Regionen müssten Genehmigungskompetenzen von den Städten übertragen werden, die sich auf Investi-tionsvorhaben von stadtübergreifender Bedeutung be-ziehen. Die kommunale Selbstverwaltung wird dadurch nicht überflüssig, im Gegenteil. Eine zielgenaue Förderung der quartierspezifischen Entwicklung verlangt Entschei-dungsträger, die kleinräumig Probleme erkennen und die Wirkungen von Lösungswegen einschätzen können.

Hiltrud Naßmacher ist Professorin für Politikwissenschaftan der Uni Oldenburg

Insgesamt sind die Kommunen durch die

EU in einen immer komplizierteren Hand-

lungsrahmen einge-bunden. Städte und Gemeinden müssen

darin als Unternehmer tätig werden.

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Interview mit Peter Straub, dem Präsidentendes EU-Ausschusses der Regionen

„Brüssel soll die Selbstverwaltung vor Ort respektieren“

Deutliche Kritik an der weitreichenden Einmischung Brüs-sels in die Kommunalpolitik vor Ort übt Peter Straub, Prä-sident des Ausschusses der Regionen (AdR) in der EU. Die-ses Hineinregieren schränke die Selbstverwaltung der Gemeinden und regionalen Gebietskörperschaften erheb-lich ein, beklagt der Präsident des baden-württembergi-schen Landtags im Interview. Bisher spiele die Subsidia-rität in der EU-Politik eine zu geringe Rolle. Hoffnungen setzt der CDU-Politiker in die künftige EU-Verfassung, die auf EU-Ebene erstmals Kontrollmöglichkeiten zur Wah-rung des Subsidiaritätsprinzips eröffne und dem AdR Klagen gegen dessen Verletzung vor dem Luxemburger Gerichtshof erlaube. Insgesamt zeigt sich Straub indes op-timistisch, dass sich EU-weit eine Politik der Dezentralisie-rung im Interesse der kommunalen und regionalen Auto-nomie durchsetzen werde.

Das ParlamentDie Handlungsspielräume in den Rathäusern werden

durch die chronische Finanzknappheit faktisch immer mehr eingeengt. Droht aber nicht auch eine Strangulie-rung der Selbstverwaltung vor Ort durch das Hineinregie-ren der EU in die Kommunal- und Regionalpolitik?Peter Straub

In der Tat ist das leider der Fall. Die Vorgaben und Auf-lagen aus Brüssel schränken die kommunale Planungsho-heit teilweise erheblich ein. Da stellt sich schon die Frage, ob dieses Hineinregieren sinnvoll ist. Meine Antwort ist klar: Die EU sollte sich zurückhalten.Das Parlament

In welchen Bereichen gehen denn die Brüsseler Regle-mentierungen zu weit?Peter Straub

Da fällt mir zum Beispiel die Fauna- Flora-Habitat-Richt-linie ein: Dieses EU-Gesetz schreibt recht weitreichend die Ausweisung von Schutzgebieten zur Erhaltung natürlicher Lebensgrundlagen sowie wildlebender Tiere und Pflanzen vor. Ein großes Konfliktthema ist die Daseinsvorsorge und dabei besonders die Wasserversorgung. Aus meiner Sicht muss dies eine kommunale Aufgabe bleiben, in Deutsch-land waren die Bürger bislang sehr zufrieden mit der Leis-tung der Gemeinden auf diesem Gebiet. Man darf nicht vergessen, dass es sich dabei neben der Höhe der Kubik-meterpreise um ganz prinzipielle Dinge wie die Versor-gungssicherheit und die Standards bei der Wasserqualität dreht. Brüssel will diesen Sektor EU-weit verpflichtend für

den freien Markt und für private Unternehmen öffnen. Ich vertrete jedoch mit Nachdruck die Auffassung, dass der Bereich der elementaren Daseinsvorsorge nicht vollstän-dig der Kommerzialisierung unterworfen werden darf. Wenn das andere Staaten so handhaben wollen, dann ist das deren Sache. Aber es darf da keinen Zwang für alle ge-ben.Das Parlament

Warum muss sich eigentlich Brüssel in die kommuna-le und regionale Autonomie einmischen? Welchen politi-schen Nutzen sieht die EU, die ja Bürgermeister und Ge-meinderäte wohl nicht einfach ärgern will?Peter Straub

Die EU verfolgt das Ziel, überall auf dem Kontinent mög-lichst gleiche Lebensverhältnisse durchzusetzen. Diese Tendenz zur Vereinheitlichung finde ich nicht gut. Es darf und muss Vielfalt geben, das stellt eine Bereicherung für Europa dar. Es darf und muss nicht überall alles über einen Kamm geschert werden. Brüssel soll sich um die großen Leitlinien in der Politik kümmern, aber die Selbstverwal-tung vor Ort respektieren. Nur wenn diese Bürgernähe ge-währleistet ist, wird die EU von den Menschen akzeptiert.Das Parlament

Sie sprechen von der Subsidiarität. Aber steht dieser viel beschworene Grundsatz in der EU nicht bloß auf dem Pa-pier?Peter Straub

Kein Zweifel: Der Gedanke der Subsidiarität wurde in der EU bislang zu wenig berücksichtigt, Demokratiedefi-zite sind in der Gemeinschaft nicht zu übersehen. Unse-re Hoffnungen ruhen jetzt darauf, dass die neue EU-Ver-fassung tatsächlich in Kraft tritt. Wir vom Ausschuss der Regionen haben im Konvent zwar nicht alles erreicht, was wir wollten. Aber in der Verfassung, und das ist ein großer Erfolg, wird erstmals eine wirksame Kontrolle der Einhal-tung des Subsidiaritätsprinzips verankert. Neben den na-tionalen Parlamenten hat künftig auch der AdR das Recht, vor dem EU-Gerichtshof gegen eine Verletzung der Subsi-diarität durch die Brüsseler Politik zu klagen. Das ist schon ein wichtiger Hebel.Das Parlament

Aber Städte, Gemeinden und regionale Gebietskörper-schaften haben doch kaum Einfluss auf die EU-Gesetzge-bung, die wird im Dreieck zwischen Brüsseler Kommission, Straßburger Parlament und den nationalen Regierungen beschlossen.

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Peter StraubGanz so stimmt das nicht. Richtig ist, dass der Regional-

ausschuss keine effektiven Mitbestimmungsrechte hat, wir sind nun mal ein Gremium mit beratender Funktion. Immerhin muss die Kommission ihre Gesetzentwürfe dem AdR zuleiten, und wir können dann unsere Kritik und unse-re Forderungen formulieren, im Brüsseler Sprachgebrauch sind dies Empfehlungen. Wird dann von diesen Positionen abgewichen, so muss dies uns gegenüber begründet wer-den. Klar, einen machtvollen Einfluss kann man so natür-lich nicht nehmen. Aber wir setzen darauf, dass mit der künftigen Verfassung in der EU die Sensibilität gegenü-ber Kommunen und Regionen zunimmt und dass allein schon die potentielle Drohung mit Klagen in Luxemburg ihre Wirkung entfaltet.Das Parlament

Das klingt aber doch danach, dass der Regionalaus-schuss eher ein Papiertiger ist.Peter Straub

Wir sind kein Papiertiger, das weise ich zurück, dass trifft die Situation nicht. Selbstverständlich wünschen wir uns mehr effektive Kompetenzen und ein stärkeres Durchset-zungsvermögen in Brüssel. Aber im Laufe der Jahre ist un-ser Gewicht erheblich gewachsen, vor allem gegenüber der Kommission, aber auch gegenüber dem Parlament, wo es lange Zeit erhebliche Vorbehalte gegenüber dem AdR gab. Und, um das zu betonen: Es geht ja nicht um unser Gremium an sich, wir vertreten die Interessen von Kom-munen und Regionen in der EU.Das Parlament

Wird denn das Klagerecht vor dem EU-Gerichtshof we-gen Verletzung der Subsidiarität konkret viel nutzen?Peter Straub

Die Handhabung dieser Möglichkeit wird in der Praxis Probleme mit sich bringen. Ist ein EU-Gesetz in Kraft ge-treten, so muss der Regionalausschuss innerhalb von zwei Monaten Klage einreichen, falls er einen unzulässigen Ein-griff in die kommunale und regionale Selbstverwaltung in einem Land sieht. Das ist natürlich eine kurze Frist, auch wenn wir die Problematik vom Gesetzgebungswerk her schon kennen. Der AdR hat ja keinen großen Apparat, der ihm zuarbeitet. Ich denke, wir werden für diese Frage eine spezielle Kommission einrichten. Nötig wird es auch sein, mit regionalen Instanzen in den Nationalstaaten wie dem Bundesrat oder auch dem Städetetag hierzulande ein Netzwerk zu schaffen, um den Informationsaustausch über die jeweilige Situation vor Ort zu verbessern. Ich rech-ne im Übrigen nicht mit einer Klageflut. Entscheidend ist, dass die EU-Politik gegenüber der kommunalen und regi-onalen Autonomie sensibler wird und wir gar nicht erst nach Luxemburg gehen müssen.Das Parlament

Wie überall spielt sich auch in der EU die Politik nicht nur auf dem formellen Instanzenweg ab. Kungeln denn Sie und die anderen AdR-Macher in den Brüsseler Kulis-sen kräftig mit?Peter Straub

Von Kungelei will ich nicht reden. Aber selbstverständ-

lich ist die informelle Ebene sehr wichtig. Man muss die richtigen Leute an den richtigen Stellen kennen, man muss Kontakte knüpfen und pflegen. Da haben wir vom Regio-nalausschuss schon einen gewissen Nachteil, weil wir nicht ständig in Brüssel präsent sind. Die AdR-Delegierten sind nun mal keine Profi-Europäer, wir sind allesamt in un-seren Herkunftsländern gewählte Mandatsträger, und die Doppelfunktion zu Hause und in Brüssel kostet halt Zeit.Das Parlament

Was haben denn Sie und Ihre Mitstreiter bisher in der EU für Kommunen und Regionen herausgeholt?Peter Straub

Unser größter Erfolg ist ohne Zweifel die im Konvent er-arbeitete neue EU-Verfassung mit ihrem Bekenntnis zur Subsidiarität, was sich langfristig als Segen für die Selbst-verwaltung vor Ort erweisen wird. Erinnern möchte ich dabei an den Einsatz des baden-württembergischen Mi-nisterpräsidenten Erwin Teufel im Konvent als Beauftrag-ter des Bundesrats. Ein anderes Beispiel: In die Abwicklung der verschiedenen EU-Förderprogramme bezieht die Brüs-seler Kommission inzwischen nicht mehr allein die natio-nalen Regierungen, sondern auch regionale Instanzen mit ein: Die entscheiden nun mit, welche Gelder wo eingesetzt werden.Das Parlament

Brüssel regiert kräftig in die Politik der Rathäuser hin-ein, und anders als in der föderalen Bundesrepublik ha-ben kommunale und regionale Gebietskörperschaften in manch anderen Staaten nicht viel zu melden. Welche Li-nie wird sich denn in der EU durchsetzen: der Zentralismus oder die Dezentralisierung?Peter Straub

Ich bin da sehr optimistisch. Die Tendenz geht jedenfalls in Richtung Dezentralisierung, und wir vom Ausschuss der Regionen wollen in der EU diese Entwicklung weiter vor-antreiben. Da gibt es viele Beispiele in Europa. In Finnland werden jetzt erstmals regionale Gremien gewählt: Diese Instanzen haben zwar nicht die Macht und den Einfluss deutscher Länder, aber immerhin die Kompetenzen fran-zösischer Regionalräte wie etwa im Elsass. Selbst im tra-ditionell zentralistischen Frankreich will die Regierung die Autonomie von Städten und Regionen stärken. Der neue Madrider Ministerpräsident Rodriguez Zapatero hat ange-kündigt, den Regionen in Brüssel mehr Mitbestimmungs-rechte einräumen und ihnen in Spanien Zuständigkeiten wie unseren Bundesländern geben zu wollen. Auch in den neuen EU-Ländern in Osteuropa gewinnen die kommu-nalen und regionalen Gebietskörperschaften zusehends an Gewicht. Am 19./20. Mai nächsten Jahres veranstaltet der Ausschuss der Regionen in Breslau einen EU-Gipfel zum Thema Dezentralisierung. Wir hoffen, dass von die-sem Kongress gerade im Osten des Kontinents eine Sig-nalwirkung zur Stärkung der kommunalen und regionalen Selbstverwaltung ausgeht.

Das Interview führte Karl-Otto Sattler.

Peter Straub ist Präsident des Ausschusses der Regionen der EU.

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Die EU und die KommunenRund 70 Prozent aller EU-Rechtsvorschriften werden in Städten und Gemeinden sowie in regionalen Gebietskörper-

schaften konkret umgesetzt. Allein diese Ziffer illustriert, wie weitreichend Brüssel inzwischen in die kommunalen Belan-ge hineinregiert. Ob es um EU-weite Ausschreibungen für größere Investitionsprojekte, um die Stadtentwicklung, um den öffentlichen Nahverkehr, um die Sparkassen, um die Umweltpolitik, um die Energieversorgung, um die Abwasserwirtschaft oder um manch anderes Thema geht: Bei vielen Gemeinderatssitzungen und in zahlreichen Rathausbüros sitzt die EU vir-tuell mit am Tisch, deren Vorschriften es zu beachten gilt. Aktuell keimt republikweit viel Unmut wegen der „Flora-Fauna- Habitat“-Richtlinie (FFH) auf, die Kommunen und Bundesländer zur Ausweisung neuer Naturschutzgebiete in erheblichem Umfang zwingt. Ein Beispiel: Das baden-württembergische Riedlingen an der Donau wehrt sich gegen die FFH-Klassifizie-rung eines Gebiets auf seiner Gemarkung, weil dann der lange geplante Bau einer Umgehungsstraße verboten und der Ort so in seiner Entwicklung ausgebremst werde.

Aufgabe des Ausschusses der Regionen (AdR) ist es, bei der EU-Gesetzgebung die regionalen und kommunalen Interes-sen zur Geltung zu bringen. Allerdings hat dieses 1991 im Vertrag von Maastricht beschlossene und 1994 ins Leben gerufe-ne Gremium keine verbrieften Mitbestimmungsrechte, sondern kann als Instanz mit einer Beratungsfunktion nur indirekt Einfluss zu nehmen versuchen. Seit der Erweiterung der EU zählt der AdR nunmehr 317 Delegierte aus den 25 Mitglieds-staaten. Deutschland schickt 24 Abgesandte nach Brüssel, 21 werden von den Ländern bestimmt, drei Vertreter repräsentie-ren die Kommunen. Die AdR-Politiker sind anders als die Brüsseler Kommissare oder die Straßburger Parlamentarier keine „Berufseuropäer“: Sie müssen zu Hause ein Wahlamt bekleiden, sie können in einem Parlament sitzen oder als Regierungs-chef und Minister einer Volksvertretung verantwortlich sein. Diese Doppelfunktion soll sicherstellen, dass die AdR-Mitglie-der als Bindeglied zwischen Brüssel und den Bürgern vor Ort fungieren.

Präsident des AdR ist seit dem Frühjahr dieses Jahres der baden-württembergische Landtagspräsident Peter Straub. Der deutschen Delegation gehört auch Petra Roth an, Oberbürgermeisterin von Frankfurt und Präsidentin des Deutschen Städ-tetags. Karl-Otto Sattler

Der Kongress der Gemeinden und Regionen in Europa

Das unbekannte Sprachrohr der KommunenEs ist noch keine zehn Jahre her, dass das so idyllisch an-

mutende Kopenhagen vor dem finanziellen Kollaps stand. Die Gemeinde verkaufte einen großen Teil ihrer Gebäude, auch Teile der städtischen Versorgung gingen in private Hände über. Kritisch machten die Stadtoberen sich an die Ursachenforschung. Dabei stellten sie fest, dass die däni-sche Hauptstadt über die Jahre massenhaft Steuerzah-ler verloren hatte. Vor allem Familien mit kleinen Kindern hatten der 500.000-Einwohner-Stadt den Rücken gekehrt. Gründe dafür gab es einige; einer von ihnen war schlicht städtebaulicher Natur. Jede zweite Kopenhagener Woh-nung hat nur ein oder zwei Zimmer und macht Familienle-ben somit fast unmöglich. Hinzu kam, dass die Stadtflucht der Mittelschicht eine Sogwirkung auslöste. Immer mehr Menschen, die es sich leisten konnten, zogen weg. Es ent-standen Wohnviertel, in die keiner ziehen will und deren Bewohner in immer mehr Hinsichten auf staatliche Unter-stützung angewiesen waren.

Nicht nur als Berlinerin kommt einem diese Geschichte bekannt vor. Ob London oder Paris, Barcelona und Athen, Amsterdam oder Warschau – nahezu jede Großstadt er-lebt in den vergangenen Jahren eine unübersehbare Ver-änderung ihrer Innenstädte. Und auch Kleinstädte kämp-fen mit dem Abdriften ganzer Stadtteile.

Weil das so ist, saßen im Auswärtigen Amt im Novem-ber vergangenen Jahres 160 Teilnehmer aus 20 Ländern zusammen und diskutieren etwas, was im Titel der Konfe-renz in bestem Soziologendeutsch „Integrierte Strategien

für Kinder und Jugendliche in benachteiligten Stadtteilen“ heißt. Die Dänin Lykke Leonardsen war angereist, um ih-ren Kollegen einen Eindruck davon zu vermitteln, wie die Kopenhagener Stadtverwaltung mit Hilfe des Programms „Lifting up the Neighbourhood“ versucht, die verarmten Quartiere und vor allem deren Bewohner zu weniger be-nachteiligten zu machen. Anschließend berichtete eine Teilnehmerin aus Amsterdam, wie man sich dort bemüht, überwiegend marokkanische Bürger zu motivieren, sich in ihren Wohngegenden zu engagieren.

Im Publikum saßen Bürgermeister und Stadtamtsleiter, Jugendamtsmitarbeiter und Stadtentwickler, die längst nicht alle aus Metropolen stammten: Der Bürgermeister von Korfu war da, ein Gemeindemitarbeiter aus Bologna, eine Jugendarbeiterin aus Plovdiv und ein Jugendarbeiter aus Vilnius. Die Deutschen kamen unter anderem aus Hal-le und Mannheim, Chemnitz, Karlsruhe und Lübeck. Am Ende der zweitägigen Konferenz verabschiedeten die Teil-nehmer gemeinsame Eckpunkte zur Entwicklung der sozi-alen Stadt für Kinder und Jugendliche.

Veranstalter war neben dem Bundesfamilienministe-rium der Kongress der Gemeinden und Regionen in Eur-opa (KGRE). Dieser Kongress, der der allgemeinen Öffent-lichkeit bis heute weitgehend unbekannt ist, ist so etwas wie die Stimme der Kommunen im Europarat. Gegründet wurde er 1994 als Nachfolgeorganisation der Ständigen Konferenz der Gemeinden und Regionen Europas. In Kür-ze funktioniert der KGRE so: Sämtliche 46 Mitgliedstaaten

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des Europarats entsenden Vertreter – in der Regel Bürger-meister, Stadtratsmitglieder, Landräte oder andere Kom-munalpolitiker. Deutschland stellt 18 der 630 Mitglieder; ihre Wahl wird von der Bundesvereinigung der kommuna-len Spitzenverbände organisiert. Einmal im Jahr tritt der Kongress, der aus einer Kam-mer der Gemeinden und einer Kammer der Regionen besteht, zusammen.

Der Hauptteil der Arbeit wird ganzjährig von 40 Mitarbeitern in Straßburg erledigt. Vier Ausschüsse beschäftigen sich mit Fra-gen der institutionellen Selbstverwaltung, Kultur und Erziehung, sozialer Kohäsion und nachhaltiger Entwicklung. Der erste Aus-schuss konzentriert sich auf das Monitoring von Fortschritten und Rückschlägen in Fra-gen der Kommunal- und Regionaldemokra-tie. Seine Mitglieder reisen in regelmäßigen Abständen durch die 46 Europarats-Staaten und verfassen Berichte und Empfehlungen. Institutionell ist der Kongress ein beratendes Organ des Europarats und leitet sämtliche Empfehlungen an diesen weiter.

Außerdem stehen jährlich etwa zwölf internationa-le Konferenzen auf dem Programm, die sich meist einem Thema aus einem der drei weiteren Ausschüsse verschrei-ben. Die soziale Entwicklung in den Kommunen, sagt Ge-neralsekretär Ulrich Bohner, sei dabei ein ganz klassisches Thema für den Kongress. Europaweit kämpfen Bürger-meister und Stadträte mit ähnlichen Problemen: „Die so-ziale Sprengkraft nimmt zu, der Mangel an Perspektiven für Kinder und Jugendliche ab. Wir wollen einen grenzü-berschreitenden Dialog über die Frage organisieren, wie man dieser Lage am besten begegnet.“ Hinter dem En-gagement für Kinder und Jugendliche steckt nicht zuletzt die „Europäische Charta der Beteiligung der Jugend am Le-ben der Gemeinde und der Region“, die der Kongress 2003 verabschiedet hat. Diese fordert das Recht auf Mitsprache und Mitgestaltung für Jugendliche in allen Kommunen und Regionen.

Hintergrund des Engagements des KGRE ist aber auch eine weitere grenzüberschreitende Gemeinsamkeit: Euro-

paweit fühlen Kommunalpolitiker sich von ihren föderalen und nationalen Regierungen allein gelassen. Als letzte im Glied einer Kette von Verantwortlichen seien sie häufig die mit dem wenigsten Geld, dem geringsten Einfluss und den größten Problemen, sagt Bohner: „Wir wollen Stim-men hören, die sonst allzu oft untergehen, und ihnen zu mehr Bedeutung verhelfen.“

Im besten Fall vereinigen sich all diese Stimmen bei den gemeinsamen Treffen zu einer und sprechen gemeinsa-me Forderungen aus, an deren Erfüllung dann weiterhin gemeinsam gearbeitet wird. In Stuttgart ist das im Jahre 2003 geglückt. Dort kamen 350 Kommunalpolitiker aus 30 Ländern unter dem Motto „Integration und Partizipa-tion von Migranten in den Städten Europas“ zusammen. Zwei Tage lang debattierte man jenseits parteipolitischer Zwänge und weitgehend frei von Ideologien über das Zu-sammenleben der Kulturen in den Kommunen und wie weit die Integration von Minderheiten gediehen ist.

Die Unterschiede in den einzelnen Kommunen, die da-bei deutlich wurden, waren enorm: Während in Rotterdam längst das aktive wie passive kommunale Wahlrecht für je-den, der länger als fünf Jahre in der Stadt lebt, verwirklicht ist und acht Sitze im Gemeinderat Migranten vorbehalten

sind, hat in Moskau die Diskussion über die Beteiligung von Migranten kaum be-gonnen. Und während die meisten Städ-te sich des kommunalen Wahlrechts für Ausländer oder der Existenz von mehr oder weniger einflussreichen Ausländer-beiräten rühmen, setzt man in Großbri-tannien, wo sowieso zahllose Inder und Pakistani eingebürgert sind, auf umfang-reiche Antidiskriminierungsgesetze.

Dennoch kam am Ende der Konferenz eine einstimmig verabschiedete „Stutt-garter Erklärung“ zu Stande. Diese be-nennt drei strategische Ziele: Chancen-gleichheit sowie gleiche Rechte und

Pflichten sollen durch Integration und politisches Mitwir-ken erreicht werden. Jeder hat ein Recht auf Ausübung sei-ner Religion. Kulturelle Vielfalt soll so verstanden werden, dass auch der öffentliche Dienst und andere städtische Angebote interkulturell ausgerichtet werden. Zu guter Letzt spricht sich der KGRE für ein kommunales Wahlrecht auch für Nicht-EU-Ausländer aus.

Vor allem aber ist es der Stuttgarter Konferenz geglückt, ein Netz zu knüpfen, das nun die Basis für eine regelmäßi-ge Zusammenarbeit bietet. Vor sechs Wochen kamen die Vertreter der Städte und Gemeinden erneut am Neckar zusammen, um über Erfolge, Rückschläge, weitere Schritte und jüngste Erkenntnisse zu beraten. Im Mittelpunkt der Folgekonferenz stand eines der Themen, die im Vorjahr als zentral erachtet wurden: die interkulturelle Öffnung der Verwaltung, also die Frage, wie es gelingen kann, mehr Ein-wanderer in den Dienst der Stadt zu stellen. Das nämlich schafft nicht nur Arbeitsplätze für Einwanderer – sondern bringt die soziale Stadt auch ihren zahlreichen zugewan-derten Bewohnern näher.

Jeannette Goddar

Einmal im Jahr tritt der Kongress, der

aus einer Kammer der Gemeinden undeiner Kammer der Regionen besteht,

zusammen.

Die Kopenhagener Uferstraße Foto: Archiv W+S

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Bisher in dieser Reihe erschienenNo 45 Neustart in der Arbeitsmarktpolitik fortsetzen

Bilanz 2004 und Ausblick 2005 der deutschen Städte und Gemeinden“ 1-2/2005

No 44 „Die Kommunen sind nicht die Kolonien des Staates“Beiträge von Dr. Wulf Haack aus 25 Jahren Tätigkeit imDeutschen Städte- und Gemeindebund(nur Online-Version) 12/2004

No 43 Auslegungshilfe zu den wegerechtlichen Bestimmungenim neuen Telekommunikationsgesetz 12/2004

No 42 Stadt macht Schule 10/2004

No 41 Das BauGB 2004 – Eine Arbeitshilfe für die kommunale Praxis 9/2004

No 40 Genossenschaften – Miteinander von Bürgern,örtlicher Wirtschaft und Kommunen 9/2004

No 39 Interkommunale Zusammenarbeit 7-8/2004

No 38 Saubere Kommune – Rote Karte gegen den wilden Müll 7-8/2004

No 37 Stadt und Verkehr – 100 Leitsätze zur Verkehrsgestaltungin Städten und Gemeinden 4/2004

No 36 Kommunale AuftragsvergabeGrundlagen, Vergabeverfahren, Rechtsschutz 3/2004

No 35 „Nach der Reform ist vor der Reform – Bilanz 2003 undAusblick 2004 der deutschen Städte und Gemeinden“ 1-2/2004

No 34 Cross-Border-Leasing – Ein Weg mit Risiken 12/2003

No 33 Kommune schafft Sicherheit – Trends und Konzeptekommunaler Sicherheitsvorsorge 12/2003

No 32 Neustart in der Sozialpolitik 11/2003

No 31 Korruptionsprävention bei der öffentlichen AuftragsvergabeManipulation verhindern, Korruption bekämpfen 5/2003

No 30 Neue Wege der Tourismusfinanzierung vor Ortmit der Leistungskarte 4/2003

No 29 Bilanz 2002 und Ausblick 2003 1-2/2003No 28 Public-Private-Partnership –

Neue Wege in Städten und Gemeinden 12/2002No 27 Erwartungen der Städte und Gemeinden an den neuen

Bundestag und die neue Bundesregierung – Auszüge ausder Koalitionsvereinbarung 11/2002

No 26 Kommunalfinanzen auf TalfahrtDaten und Fakten des Jahres 2001 10/2002

No 25 Planungsrechtliche Steuerung von Windenergieanlagendurch Städte und Gemeinden 7-8/2002

No 24 Erwartungen der Städte und Gemeinden an den neuenBundestag und die neue Bundesregierung 6/2002

No 23 Der Erschließungsvertrag nach § 124 BauGB 4/2002No 22 Bilanz 2001 und Ausblick 2002: Daten – Fakten – Hintergründe 1-2/2002No 21 eVergabe öffentlicher Aufträge

Chancen, Verfahren und Lösungen 11/2001No 20 Mit Familien die Zukunft gewinnen!

Perspektiven des Deutschen Städte- und Gemeindebundeszur Familienpolitik in Deutschland 8/2001