4
Rechtsprechung MedR 2005, Heft 1 37 nur auf das Erstellen einer eigenen Diagnose verzichtet, son- dern sich darüber hinaus – anders als der Heilpraktiker – auf das Handauflegen beschränke. Nach dem Erscheinungsbild entspreche die Tätigkeit daher – anders als in dem früheren Fall – weniger der ärztlichen Tätigkeit. Diese Einschätzung leuchtet ein. Je weiter sich das Erscheinungsbild des Hei- lers von medizinischer Behandlung entfernt, desto geringer wird das Gefährdungspotential, das im vorliegenden Zusam- menhang allein geeignet ist, die Erlaubnispflicht nach dem Heilpraktikergesetz auszulösen. b) Gesteht man Verwaltung und Gerichten im Hinblick auf die Eignung der Erlaubnispflicht nach dem Heilprakti- kergesetz zur Abwehr mittelbarer Gefahren für die Volks- gesundheit eine Einschätzungsprärogative zu, fehlt es vor- liegend jedenfalls an der Erforderlichkeit dieser Maßnahme zum Schutz der Gesundheit. Da die mit der Tätigkeit verbundenen Gesundheitsge- fahren ersichtlich nur im Versäumen ärztlicher Hilfe lie- gen können, muss lediglich sichergestellt werden, dass ein solches Unterlassen nicht vom Beschwerdeführer veranlasst oder gestärkt wird. Einer Überprüfung seiner Kenntnisse und Fähigkeiten auf den Gebieten, die den Heilprakti- ker kennzeichnen, bedarf es hierzu aber nicht. Ausreichend sind vielmehr charakterliche Zuverlässigkeit und verantwor- tungsbewusstes Handeln. Es muss gewährleistet sein, dass der Beschwerdeführer die Kranken zu Beginn des Besuchs ausdrücklich darauf hinweist, dass er eine ärztliche Behand- lung nicht ersetzt. Das kann etwa durch einen gut sichtba- ren Hinweis in seinen Räumen oder durch entsprechende Merkblätter, die zur Unterschrift vorgelegt werden, gesche- hen (vgl. hierzu auch LG Verden, MedR 1998, 183 m. Anm. Taupitz). Es ist Sache der Behörden, auf die Ein- haltung derartiger Aufklärungsverpflichtungen hinzuwirken und sie durch Kontrollen der Gewerbeaufsicht durchzuset- zen. Im Rahmen einer Zuverlässigkeitsprüfung kann gege- benenfalls dem Schutzbedürfnis insbesondere von unheilbar Kranken vor Fehlvorstellungen und Ausbeutung durch die Möglichkeit der Gewerbeuntersagung Rechnung getragen werden. Eine gewerberechtliche Anzeigepflicht vor Auf- nahme der Heilertätigkeit kann solche Kontrollen erleich- tern. Jedenfalls bekämpfen Maßnahmen dieser Art Gesund- heitsgefährdungen, die durch unterlassene Heilbehandlung drohen, weit eher als die Kenntnisprüfung auf der Grund- lage des Heilpraktikergesetzes. c) Auch im Übrigen genügen die angegriffenen Entschei- dungen nicht der hier notwendig strengen Verhältnismäßig- keitsprüfung. Vorliegend ist der Eingriff in die Berufswahlfreiheit nur mit mittelbaren Gefahren für den zu schützenden Gemein- wohlbelang der Gesundheit der Bevölkerung begründet worden. Damit entfernen sich Verbot und Schutzgut so weit voneinander, dass bei der Abwägung besondere Sorg- falt geboten ist (vgl. auch BVerfGE 85, 248, 261; BVerfG, Beschl. der 2. Kammer des Ersten Senats, GewArch 2000, 418, 419). In solchen Fällen muss die Maßnahme gerade der Abwehr der konkreten, wenn auch nur mittelbaren Gefahr dienen, damit der Eingriff in die Berufswahlfreiheit nicht unverhältnismäßig erscheint. Daran fehlt es hier. Die Forderung an den Beschwerdeführer, eine Heilprak- tikerprüfung abzulegen, ist unangemessen, weil eine sol- che Prüfung mit der Tätigkeit, die der Beschwerdeführer auszuüben beabsichtigt, kaum noch in einem erkennbaren Zusammenhang steht. Die in der Heilpraktikerprüfung ge- forderten Kenntnisse in Anatomie, Physiologie, Pathologie sowie in Diagnostik und Therapie kann er sämtlich bei seiner Berufstätigkeit nicht verwerten. (Eingesandt von RechtsanwaltDr. iur. W. G. Tischler, D-24822 Schleswig; bearbeitet von Prof. Dr. iur. Jochen Taupitz, D-68131 Mannheim) DOI: 10.1007/s00350-004-1339-7 Zulässiges Vorbringen im Berufungsverfahren BGB § 823 Abs. 1; ZPO §§ 529 Abs. 1, 531 Abs. 2 Nr. 3 1. Auch nach der Reform der Zivilprozeßordnung dürfen beim Vortrag zu medizinischen Fragen im Arzt- haftungsprozeß an den Vortrag zu Einwendungen gegen ein Sachverständigengutachten ebenso wie an den klage- begründenden Sachvortrag nur maßvolle Anforderungen gestellt werden. 2. Der Patient und sein Prozeßbevollmächtigter sind nicht verpflichtet, sich zur ordnungsgemäßen Prozeß- führung medizinisches Fachwissen anzueignen. 3. Läßt das Berufungsgericht Fehlervorbringen nicht zu, weil es zu Unrecht dieses für neu hält oder Nachläs- sigkeit bejaht (§ 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO), so kann es sich nicht auf die Bindung an die erstinstanzlich festgestell- ten Tatsachen berufen, wenn die Berücksichtigung zu Zweifeln i.S. von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hätte führen müssen. BGH, Urt. v. 8. 6. 2004 – VI ZR 199/03 (OLG Köln) Problemstellung: In der nachstehend abgedruckten Entscheidung nimmt der BGH zur Zulässigkeit des Be- rufungsvorbringens eines Patienten vor dem Hintergrund der §§ 531 Abs. 2 Nr. 3, 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Stellung. In konsequenter Fortführung seiner bisherigen Recht- sprechung stellt der BGH an den klagebegründenden Sachvortrag des Patienten nur maßvolle Anforderungen und läßt es genügen, wenn der Kläger erst im Beru- fungsverfahren seinen bereits erstinstanzlich erhobenen Behandlungsfehlervorwurf auf das Vorliegen einer bes- ser geeigneten Behandlungsalternative stützt. Ein solches Vorbringen ist nach Meinung des BGH nicht präklu- diert i.S. des § 531 II ZPO. Der klagende Patient erhält damit die Möglichkeit, einen bereits erstinstanzlich erho- benen und schlüssigen Behandlungsfehlervorwurf noch im Berufungsverfahren auf gänzlich andere Tatsachen zu stützen. Gleichzeitig hat der Senat jedoch das Vorbrin- gen des Klägers zurückgewiesen, womit er erstmals im Berufungsverfahren geltend gemacht hatte, ein Morbus Sudeck sei nicht nur nicht prophylaktisch, sondern tat- sächlich fehlerhaft nicht behandelt worden. Hierbei han- delt es sich nach Auffassung des BGH nicht um eine medizinische Frage, so daß zum entsprechenden Vortrag keine medizinischen Fachkenntnisse erforderlich seien. Es beruhe daher auf Nachlässigkeit des Klägers, wenn die behauptete Unterlassung der Behandlung des aufgetrete- nen Morbus Sudeck nicht bereits erstinstanzlich geltend gemacht wurde. Wesentliches Unterscheidungsmerkmal ist, ob der Kläger als medizinischer Laie ohne Aneignung von Fachkenntnissen in der Lage war, bereits erstinstanz- lich umfassend vorzutragen. Die Frage nach einer vor- zugswürdigen Behandlungsalternative ist eine medizini- sche Frage, die in der Berufungsinstanz neu aufgeworfen werden kann, die Frage, ob postoperativ der sich ent- wickelnde Morbus Sudeck überhaupt behandelt worden ist, ist eine rein tatsächliche Frage, die der Kläger erst- instanzlich hätte aufwerfen und einer Beweisaufnahme zugänglich machen müssen. Durch diese Entscheidung stärkt der Senat die Rechte der Patienten, relativiert jedoch gleichzeitig das erklärte Ziel der Zivilprozeßreform einer Verfahrensbeschleuni- gung und -konzentration. Nicht ausdrücklich entschieden hat der Senat, ob die Grundsätze der Entscheidung auch für die Beklagtenseite gelten. Da der Senat seine Auffassung jedoch auf die durch mangelnde Sachkenntnis des Patienten begrenzte Substantiierungspflicht im Arzthaftungsprozeß stützt, ist

Zulässiges Vorbringen im Berufungsverfahren

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Page 1: Zulässiges Vorbringen im Berufungsverfahren

Rechtsprechung MedR 2005, Heft 1 37

nur auf das Erstellen einer eigenen Diagnose verzichtet, son-dern sich darüber hinaus – anders als der Heilpraktiker – aufdas Handauflegen beschränke. Nach dem Erscheinungsbildentspreche die Tätigkeit daher – anders als in dem früherenFall – weniger der ärztlichen Tätigkeit. Diese Einschätzungleuchtet ein. Je weiter sich das Erscheinungsbild des Hei-lers von medizinischer Behandlung entfernt, desto geringerwird das Gefährdungspotential, das im vorliegenden Zusam-menhang allein geeignet ist, die Erlaubnispflicht nach demHeilpraktikergesetz auszulösen.

b) Gesteht man Verwaltung und Gerichten im Hinblickauf die Eignung der Erlaubnispflicht nach dem Heilprakti-kergesetz zur Abwehr mittelbarer Gefahren für die Volks-gesundheit eine Einschätzungsprärogative zu, fehlt es vor-liegend jedenfalls an der Erforderlichkeit dieser Maßnahmezum Schutz der Gesundheit.

Da die mit der Tätigkeit verbundenen Gesundheitsge-fahren ersichtlich nur im Versäumen ärztlicher Hilfe lie-gen können, muss lediglich sichergestellt werden, dass einsolches Unterlassen nicht vom Beschwerdeführer veranlasstoder gestärkt wird. Einer Überprüfung seiner Kenntnisseund Fähigkeiten auf den Gebieten, die den Heilprakti-ker kennzeichnen, bedarf es hierzu aber nicht. Ausreichendsind vielmehr charakterliche Zuverlässigkeit und verantwor-tungsbewusstes Handeln. Es muss gewährleistet sein, dassder Beschwerdeführer die Kranken zu Beginn des Besuchsausdrücklich darauf hinweist, dass er eine ärztliche Behand-lung nicht ersetzt. Das kann etwa durch einen gut sichtba-ren Hinweis in seinen Räumen oder durch entsprechendeMerkblätter, die zur Unterschrift vorgelegt werden, gesche-hen (vgl. hierzu auch LG Verden, MedR 1998, 183 m.Anm. Taupitz). Es ist Sache der Behörden, auf die Ein-haltung derartiger Aufklärungsverpflichtungen hinzuwirkenund sie durch Kontrollen der Gewerbeaufsicht durchzuset-zen. Im Rahmen einer Zuverlässigkeitsprüfung kann gege-benenfalls dem Schutzbedürfnis insbesondere von unheilbarKranken vor Fehlvorstellungen und Ausbeutung durch dieMöglichkeit der Gewerbeuntersagung Rechnung getragenwerden. Eine gewerberechtliche Anzeigepflicht vor Auf-nahme der Heilertätigkeit kann solche Kontrollen erleich-tern. Jedenfalls bekämpfen Maßnahmen dieser Art Gesund-heitsgefährdungen, die durch unterlassene Heilbehandlungdrohen, weit eher als die Kenntnisprüfung auf der Grund-lage des Heilpraktikergesetzes.

c) Auch im Übrigen genügen die angegriffenen Entschei-dungen nicht der hier notwendig strengen Verhältnismäßig-keitsprüfung.

Vorliegend ist der Eingriff in die Berufswahlfreiheit nurmit mittelbaren Gefahren für den zu schützenden Gemein-wohlbelang der Gesundheit der Bevölkerung begründetworden. Damit entfernen sich Verbot und Schutzgut soweit voneinander, dass bei der Abwägung besondere Sorg-falt geboten ist (vgl. auch BVerfGE 85, 248, 261; BVerfG,Beschl. der 2. Kammer des Ersten Senats, GewArch 2000,418, 419). In solchen Fällen muss die Maßnahme gerade derAbwehr der konkreten, wenn auch nur mittelbaren Gefahrdienen, damit der Eingriff in die Berufswahlfreiheit nichtunverhältnismäßig erscheint. Daran fehlt es hier.

Die Forderung an den Beschwerdeführer, eine Heilprak-tikerprüfung abzulegen, ist unangemessen, weil eine sol-che Prüfung mit der Tätigkeit, die der Beschwerdeführerauszuüben beabsichtigt, kaum noch in einem erkennbarenZusammenhang steht. Die in der Heilpraktikerprüfung ge-forderten Kenntnisse in Anatomie, Physiologie, Pathologiesowie in Diagnostik und Therapie kann er sämtlich beiseiner Berufstätigkeit nicht verwerten.

(Eingesandt von Rechtsanwalt Dr. iur. W. G. Tischler,D-24822 Schleswig;bearbeitet von Prof. Dr. iur. Jochen Taupitz, D-68131 Mannheim)

DOI: 10.1007/s00350-004-1339-7

Zulässiges Vorbringen im BerufungsverfahrenBGB § 823 Abs. 1; ZPO §§ 529 Abs. 1, 531 Abs. 2 Nr. 3

1. Auch nach der Reform der Zivilprozeßordnungdürfen beim Vortrag zu medizinischen Fragen im Arzt-haftungsprozeß an den Vortrag zu Einwendungen gegenein Sachverständigengutachten ebenso wie an den klage-begründenden Sachvortrag nur maßvolle Anforderungengestellt werden.

2. Der Patient und sein Prozeßbevollmächtigter sindnicht verpflichtet, sich zur ordnungsgemäßen Prozeß-führung medizinisches Fachwissen anzueignen.

3. Läßt das Berufungsgericht Fehlervorbringen nichtzu, weil es zu Unrecht dieses für neu hält oder Nachläs-sigkeit bejaht (§ 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO), so kann es sichnicht auf die Bindung an die erstinstanzlich festgestell-ten Tatsachen berufen, wenn die Berücksichtigung zuZweifeln i.S. von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hätte führenmüssen.BGH, Urt. v. 8. 6. 2004 – VI ZR 199/03 (OLG Köln)

Problemstellung: In der nachstehend abgedrucktenEntscheidung nimmt der BGH zur Zulässigkeit des Be-rufungsvorbringens eines Patienten vor dem Hintergrundder §§ 531 Abs. 2 Nr. 3, 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Stellung.In konsequenter Fortführung seiner bisherigen Recht-sprechung stellt der BGH an den klagebegründendenSachvortrag des Patienten nur maßvolle Anforderungenund läßt es genügen, wenn der Kläger erst im Beru-fungsverfahren seinen bereits erstinstanzlich erhobenenBehandlungsfehlervorwurf auf das Vorliegen einer bes-ser geeigneten Behandlungsalternative stützt. Ein solchesVorbringen ist nach Meinung des BGH nicht präklu-diert i.S. des § 531 II ZPO. Der klagende Patient erhältdamit die Möglichkeit, einen bereits erstinstanzlich erho-benen und schlüssigen Behandlungsfehlervorwurf nochim Berufungsverfahren auf gänzlich andere Tatsachen zustützen. Gleichzeitig hat der Senat jedoch das Vorbrin-gen des Klägers zurückgewiesen, womit er erstmals imBerufungsverfahren geltend gemacht hatte, ein MorbusSudeck sei nicht nur nicht prophylaktisch, sondern tat-sächlich fehlerhaft nicht behandelt worden. Hierbei han-delt es sich nach Auffassung des BGH nicht um einemedizinische Frage, so daß zum entsprechenden Vortragkeine medizinischen Fachkenntnisse erforderlich seien. Esberuhe daher auf Nachlässigkeit des Klägers, wenn diebehauptete Unterlassung der Behandlung des aufgetrete-nen Morbus Sudeck nicht bereits erstinstanzlich geltendgemacht wurde. Wesentliches Unterscheidungsmerkmalist, ob der Kläger als medizinischer Laie ohne Aneignungvon Fachkenntnissen in der Lage war, bereits erstinstanz-lich umfassend vorzutragen. Die Frage nach einer vor-zugswürdigen Behandlungsalternative ist eine medizini-sche Frage, die in der Berufungsinstanz neu aufgeworfenwerden kann, die Frage, ob postoperativ der sich ent-wickelnde Morbus Sudeck überhaupt behandelt wordenist, ist eine rein tatsächliche Frage, die der Kläger erst-instanzlich hätte aufwerfen und einer Beweisaufnahmezugänglich machen müssen.

Durch diese Entscheidung stärkt der Senat die Rechteder Patienten, relativiert jedoch gleichzeitig das erklärteZiel der Zivilprozeßreform einer Verfahrensbeschleuni-gung und -konzentration.

Nicht ausdrücklich entschieden hat der Senat, ob dieGrundsätze der Entscheidung auch für die Beklagtenseitegelten. Da der Senat seine Auffassung jedoch auf diedurch mangelnde Sachkenntnis des Patienten begrenzteSubstantiierungspflicht im Arzthaftungsprozeß stützt, ist

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38 MedR 2005, Heft 1 Rechtsprechung

anzunehmen, daß die Entscheidung auf die regelmä-ßig sachkundige Beklagtenseite nicht übertragen werdenkann.

Zum Sachverhalt: Die Kl. macht gegen die Bekl. als Trägerin desKrankenhauses B. Schadensersatzansprüche geltend.

Im Dezember 1998 stürzte die Kl. und zog sich einen Speichen-bruch mit Abriß des Griffelfortsatzes der Elle zu. Der erlittene Trüm-merbruch mit einer hauptsächlich streckseitig gelegenen Trümmer-zone wurde im Krankenhaus der Bekl. operativ eingerichtet. Anschlie-ßend wurde die Reponierung mit zwei durch die Haut eingebrachtenKirschner–Drähten und einer Gipsschiene stabilisiert. Nach Entfernungder Drähte Anfang Februar 1999 klagte die Kl. über Beschwerden imBereich des rechten Handgelenks und über ein Taubheitsgefühl derStreckseite des rechten Daumens. Bei einer Untersuchung in der un-fallchirurgischen Klinik R. wurde eine in Fehlstellung verheilte Radi-usfraktur sowie eine Defektläsion des Daumenastes des Nervus radialissuperficialis diagnostiziert.

Die Kl. hat vor dem LG behauptet, die Ärzte des Krankenhauses B.hätten den Bruch fehlerhaft behandelt. Die unzureichende Stabilisie-rung habe zu einer Verheilung in Fehlstellung geführt. Auf ihre starkenpostoperativen Schmerzen sei nicht in angemessener Weise durch dieVerordnung von Schmerzmitteln reagiert worden. Dies sei zur Prophy-laxe eines Morbus Sudeck erforderlich gewesen. Bei Entfernung derKirschner–Drähte sei es behandlungsfehlerhaft zu einer Durchtrennungdes sensiblen Astes des Nervus radialis superficialis gekommen.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat dieBerufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit dieserverfolgte die Kl. ihre Ansprüche weiter.

Aus den Gründen: I. Nach Auffassung des Berufungs-gerichts, dessen Urteil in VersR 2004, 517 veröffentlichtist, ist der Klage auf der Grundlage der in erster Instanzfestgestellten Tatsachen der Erfolg zu versagen. KonkreteAnhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Voll-ständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen be-gründeten und deshalb eine neue Feststellung gebieten wür-den, lägen nicht vor (§ 529 Abs. 1 ZPO).

Soweit die Kl. weiterhin Behandlungsfehler bei derDurchführung der Spickdrahtosteosynthese rüge, bestehekeine Veranlassung zu einer weiteren Sachaufklärung. DerSachverständige habe ausdrücklich hervorgehoben, die Ein-bringung der Drähte sei fehlerfrei erfolgt in Anwendungeines Verfahrens, welches dem Lehrbuchstandard entsprecheund auch lehrbuchhaft durchgeführt worden sei. Die ab-weichende Auffassung der Kl., daß die Spickdrähte nichtkorrekt angebracht worden seien, so daß eine ausreichendeStabilität nicht habe erzielt werden können, begründe keinedurchgreifenden Zweifel an der Richtigkeit der Feststellun-gen des Sachverständigen.

Keine i.S. von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO erheblichenZweifel bestünden auch, soweit die Kl. es als behandlungs-fehlerhaft ansehe, daß die Enden der Drähte unter der Hautversenkt worden seien. Auch hierzu habe der Sachverstän-dige festgestellt, die Einbringung der beiden Bohrdrähtesei regelgerecht erfolgt. Es stehe auch nicht fest, daß dieNervverletzung vermeidbar fehlerhaft von den behandeln-den Ärzten verursacht worden sei. Der Sachverständige habedargelegt, trotz größtmöglicher Sorgfalt habe es zu einerDurchtrennung bzw. Quetschung von kleinen Hautnervenkommen können.

Mit ihrem erstmals in zweiter Instanz erfolgten Vorbrin-gen, die Spickdrahtosteosynthese sei nicht die Methode derWahl gewesen, könne die Kl. ebensowenig durchdringenwie mit der gleichfalls neuen Behauptung, der MorbusSudeck sei nicht adäquat bzw. überhaupt nicht behandeltworden. Auch bei der dargelegten Behandlungsalternativemit einem Fixateur externe handele es sich um eine Tatsa-chenbehauptung und nicht – wie die Kl. meine – um dieDarlegung eines von Amts wegen zu berücksichtigendenmedizinischen Erfahrungssatzes. Beide Tatsachenbehauptun-gen fielen unter die Bestimmungen der §§ 529 Abs. 1

Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO. Sie stellten neue Angriffsmitteli.S. von § 531 ZPO dar und seien nicht zuzulassen, weildie Voraussetzungen der hier nur in Betracht kommendenBestimmungen des § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und Nr. 3ZPO nicht dargetan seien. Dem LG sei kein Verfahrensfeh-ler i.S. von § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO unterlaufen. Essei auf der Grundlage des erstinstanzlichen Vorbringens zueiner weiteren Sachaufklärung nicht gehalten gewesen. Dieschriftliche Begutachtung sei eindeutig gewesen; die von derKl. erstinstanzlich für klärungsbedürftig gehaltenen Fragenhabe der Sachverständige bei seiner mündlichen Anhörungbeantwortet. Sei das Vorbringen somit als neuer Sachvor-trag nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen, scheide eineweitere Sachaufklärung nach § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO aus.Der neue Sachvortrag könne aus Rechtsgründen auch nichtgeeignet sein, Zweifel an der Richtigkeit der bisherigenFeststellungen des Sachverständigen i.S. von § 529 Abs. 1Nr. 1 ZPO zu begründen; anderenfalls würden die Präklu-sionsregeln und das Reformziel, den Rechtsstreit möglichstim ersten Rechtszug umfassend aufzuklären, unterlaufen.

Die Kl. habe nicht dargetan, daß sie den neuen Vortragohne Nachlässigkeit nicht bereits im ersten Rechtszug hättein den Rechtsstreit einführen können (§ 531 Abs. 2 S. 1Nr. 3 ZPO). Sie sei gehalten gewesen, jede in Betrachtkommende Möglichkeit zu nutzen, Einwendungen gegendie in erster Instanz vorgelegte Begutachtung ausfindig zumachen. Sie habe auch nicht vorgetragen, daß sie bzw. ihrProzeßbevollmächtigter sich nicht in gleicher Weise hätteninformieren können wie der Prozeßbevollmächtigte in derzweiten Instanz.

Fehl gehe auch der Vorwurf, der entstandene MorbusSudeck sei nicht adäquat behandelt worden. Eine unzurei-chende Sudeck-Prophylaxe sei nicht erwiesen.

II. Das angefochtene Urteil hält einer revisionsrechtlichenÜberprüfung nicht stand.

1. a) Nicht zu beanstanden ist das Berufungsurteil aller-dings, soweit es keine Notwendigkeit für eine weitere Sach-verhaltsaufklärung hinsichtlich eines Behandlungsfehlers beider Durchführung der Spickdrahtosteosynthese und bei derProphylaxe für einen Morbus Sudeck sieht und diesbezüg-lich Behandlungsfehler auf der Grundlage der erstinstanz-lichen Feststellungen verneint. Die Revision macht hierzunur geltend, das Berufungsgericht sei dem Einwand der Kl.nicht nachgegangen, die Schädigung des Nervs bei Entfer-nung der Kirschner-Drähte wäre vermieden worden, wennderen Enden nicht zuvor unter die Haut versenkt wordenwären. Indessen hält die Auffassung des Berufungsgerichts,aus dem Vorbringen der Kl. ergäben sich keine Zweifel i.S.von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, die eine neue Tatsachenfest-stellung erforderten, in diesem Punkt revisionsrechtlicherNachprüfung stand.

aa) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungs-gericht an die vom Gericht des ersten Rechtszuges fest-gestellten Tatsachen gebunden, soweit nicht konkrete An-haltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeitder entscheidungserheblichen Feststellungen begründen unddeshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete An-haltspunkte, welche die Bindung des Berufungsgerichts andie vorinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, könnensich aus Fehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei derFeststellung des Sachverhalts unterlaufen sind (vgl. Senats-urt. v. 8. 6. 2004 – VI ZR 230/03 –; und BGH, Urt. v.12. 3. 2004 – V ZR 257/03 –, WM 2004, 845, 846, jeweilsvorgesehen zur Veröffentlichung in BGHZ; Begründungzum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Zi-vilprozesses, BT-Dr. 14/4722, S. 100; Rimmelspacher, NJW2002, 1897, 1901; Stackmann, NJW 2003, 169, 171). Zwei-fel i.S. dieser Vorschrift liegen schon dann vor, wenn ausder für das Berufungsgericht gebotenen Sicht eine gewisse –nicht notwendig überwiegende – Wahrscheinlichkeit dafür

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Rechtsprechung MedR 2005, Heft 1 39

besteht, daß im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzli-che Feststellung keinen Bestand haben wird, sich also derenUnrichtigkeit herausstellt (vgl. Senatsurt. v. 15. 7. 2003 –VI ZR 361/02 –, NJW 2003, 3480, 3481; Begründungdes Rechtsausschusses, BT-Dr. 14/6036, S. 124). Dies giltgrundsätzlich auch für Tatsachenfeststellungen, die auf derGrundlage eines Sachverständigengutachtens getroffen wor-den sind. In diesem Fall kann unter anderem die – hiervon der Revisionsklägerin gerügte – Unvollständigkeit desGutachtens Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeitder Feststellungen wecken (vgl. Senatsurt. v. 15. 7. 2003– VI ZR 361/02 –, a.a.O.; Musielak-Ball, ZPO, 3. Aufl.,§ 529, Rdnr. 18; Zöller-Gummer/Heßler, ZPO, 24. Aufl.,§ 529, Rdnr. 9).

bb) Gegen die Ausführungen des Berufungsgerichts, mitdenen es die Notwendigkeit einer neuen Tatsachenfeststel-lung insoweit verneint, sind keine durchgreifenden Revi-sionsrügen vorgebracht. Das Berufungsgericht hat im Hin-blick darauf, daß der Sachverständige ausführlich dazu Stel-lung genommen hat, ob bei Durchführung der hier an-gewandten Spickdrahtosteosynthese Behandlungsfehler vor-lagen, und er dies verneint hat, ausgeführt, daß es keineZweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der erstin-stanzlichen Feststellungen hat, die hinsichtlich dieses Kom-plexes eine erneute Feststellung geböten. Hiergegen ist vonSeiten des Revisionsgerichts nichts zu erinnern.

b) Das Berufungsurteil hält auch dem Angriff der Revi-sion stand, soweit das Berufungsgericht das Vorbringen derKl. zu einer unterlassenen Behandlung des Morbus Sudeckals neues Vorbringen nicht zugelassen hat.

Der diesbezügliche Vortrag der Kl. wurde zutreffend alsneu i.S. des § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO angesehen.Entgegen der Auffassung der Revision schließt nämlich dererstinstanzliche Sachvortrag der Kl. nicht die Frage ein, obein Behandlungsfehler im Zusammenhang mit der Behand-lung des entstandenen Morbus Sudeck vorliegt. Der vonihr in Bezug genommene und aus den Feststellungen desBerufungsgerichts ersichtliche erstinstanzliche Vortrag derKl. befaßte sich nämlich allein mit dessen Prophylaxe undnicht mit einer angeblich unterlassenen Behandlung. DieBehauptungen, den Ausbruch einer Krankheit nicht ver-hindert und eine ausgebrochene Krankheit nicht behandeltzu haben, betreffen indes zwei unterschiedliche zeitlicheAbschnitte des Behandlungsverlaufs. Mit dem zweitinstanz-lich erhobenen Vorwurf wird die Behauptung fehlerhafterProphylaxe demgemäß nicht lediglich konkretisiert, sondernder Angriff der Kl. geändert.

Das Berufungsgericht hat dieses neue Vorbringen auchzu Recht nicht zugelassen, weil nicht dargetan ist, daßdie Kl. es nicht bereits im ersten Rechtzug hätte in denRechtsstreit einführen können. Anders als bei einer vor-zugswürdigen Behandlungsalternative (vgl. dazu sub 2.) gehtes hier nämlich zunächst nicht um eine medizinische Frage,sondern darum, auch diesen Abschnitt des gesamten Be-handlungsverlaufs zur Überprüfung durch das Gericht zustellen. Dazu waren keine medizinischen Fachkenntnisse er-forderlich. Die Kl. wußte vielmehr aus eigenem Erleben,ob eine Behandlung des Morbus Sudeck erfolgt war, undkonnte die von ihr jetzt behauptete Unterlassung der Be-handlung deshalb zum Gegenstand der gerichtlichen undsachverständigen Überprüfung machen, ohne auf vertieftemedizinische Kenntnisse angewiesen zu sein; indem sie diesim ersten Rechtszug nicht getan hat, hat sie gegen die ihrobliegenden Sorgfaltspflichten verstoßen.

2. Das Berufungsurteil hält jedoch den Angriffen derRevision nicht stand, soweit das Berufungsgericht das Vor-bringen der Kl. zu einer Behandlungsalternative als neuesVorbringen nicht zugelassen hat (§ 531 Abs. 2 ZPO) unddeshalb nicht zu Zweifeln i.S. des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPOgelangt ist.

a) Das Vorbringen der Kl. zu einer Behandlungsalter-native ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtsbereits nicht als neu i.S. des § 531 Abs. 2 ZPO zu werten.

aa) Die Revision macht geltend, der Vortrag fehlerhaf-ter Behandlung, insbesondere auch durch Erzielung einerunzureichenden Stabilität und Drehstabilität, schließe denVorwurf mit ein, im Hinblick auf die ausgedehnte Trüm-merzone sei seitens der Ärzte mit der Spickdrahtosteosyn-these eine Behandlungsmethode gewählt worden, die we-sentlich weniger geeignet gewesen sei als eine Behandlungmittels eines Fixateur externe. Der gerichtliche Sachver-ständige hätte sich deshalb bereits in erster Instanz mit derFrage einer besser geeigneten Methode und damit einerBehandlungsalternative befassen müssen. Dem ist unter denUmständen des Streitfalls zuzustimmen.

bb) Der Begriff der neuen Angriffs- und Verteidigungs-mittel ist nach dem bisherigen Recht auszulegen (Meyer-Seitz, in: Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform, 2002, § 531,Rdnr. 8). Ob ein in zweiter Instanz konkretisiertes Vorbrin-gen neu ist, hängt also davon ab, wie allgemein es in ersterInstanz gehalten war. Wenn es einen sehr allgemein gehal-tenen Vortrag der ersten Instanz konkretisiert oder erstmalssubstantiiert, ist es neu, nicht aber dann, wenn ein bereitsschlüssiges Vorbringen aus der ersten Instanz durch wei-tere Tatsachenbehauptungen zusätzlich konkretisiert, ver-deutlicht oder erläutert wird (vgl. BGH, Urtt. v. 5. 6.1991 – VIII ZR 129/90 –, NJW-RR 1991, 1214, 1215;und v. 26. 6. 2003 – VII ZR 281/02 –, NJW-RR2003, 1321, 1322; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann,ZPO, 62. Aufl., § 531, Rdnr. 12; Drossart, Bauprozessrecht2004, 4, 6).

Zwar enthielt der erstinstanzliche Vortrag der Kl. nichtausdrücklich den Vortrag einer besseren Behandlungsalter-native durch einen Fixateur externe. Bei der Beurteilung, obein neuer Vortrag vorliegt, ist aber zu berücksichtigen, daßan die Substantiierungspflicht der Partei im Arzthaftungs-prozeß nur maßvolle Anforderungen gestellt werden dür-fen, weil vom Patienten regelmäßig keine genaue Kenntnisder medizinischen Vorgänge erwartet und gefordert wer-den kann. Die Partei darf sich auf Vortrag beschränken,der die Vermutung eines fehlerhaften Verhaltens des Arz-tes auf Grund der Folgen für den Patienten gestattet (vgl.Senatsurtt. v. 19. 5. 1981 – VI ZR 220/79 –, VersR 1981,752; v. 10. 11. 1981 – VI ZR 92/80 –, VersR 1982, 168,169; und v. 15. 7. 2003 – VI ZR 203/02 –, VersR 2003,1541, 1542; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 4. Aufl., E,Rdnr. 2). Der Vortrag, es habe eine bessere Behandlungsme-thode, also eine echte und indizierte Behandlungsalternativegegeben, stellt im Streitfall unter Berücksichtigung dieserDarlegungserleichterungen im Arzthaftungsprozeß lediglicheine weitere Verdeutlichung des schlüssigen Vorbringens ei-ner fehlerhaften Behandlung des Bruchs dar, der nicht aus-reichend stabilisiert worden sei.

b) Im übrigen hätte das Berufungsgericht das Vorbrin-gen zur Behandlungsalternative selbst dann berücksichtigenmüssen, wenn es – entgegen den obigen Darlegungen –neu gewesen wäre. Bei der Beurteilung, ob der Kl. Nach-lässigkeit i.S. des § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO vorzuwerfenist, hat das Berufungsgericht zu hohe Anforderungen andie Informations- und Substantiierungspflicht der Partei imArzthaftungsprozeß gestellt.

Das Berufungsgericht hat das von ihm als neu angese-hene Vorbringen nicht zugelassen, weil die Kl. nicht dar-getan habe, daß sie den neuen Vortrag ohne Nachlässigkeitnicht bereits im ersten Rechtszug hätte in den Rechtsstreiteinführen können. Das rügt die Revision mit Erfolg. Diein der Revisionsinstanz zulässige Prüfung, ob § 531 Abs. 2S. 1 Nr. 3 ZPO richtig angewendet worden ist (vgl. Meyer-Seitz, in: Hannich/Meyer-Seitz, a.a.O., § 531, Rdnr. 26;MüKo/ZPO/Aktualisierungsband-Rimmelspacher, § 531,

Page 4: Zulässiges Vorbringen im Berufungsverfahren

40 MedR 2005, Heft 1 Rechtsprechung

Rdnr. 35, und § 530, Rdnr. 34; Musielak-Ball, a.a.O.,§ 531, Rdnrn. 22 ff.; Zöller-Gummer/Heßler, a.a.O., § 531,Rdnr. 37), führt zu dem Ergebnis, daß die unterlassene Gel-tendmachung im ersten Rechtszug nicht auf einer Nachläs-sigkeit der Kl. beruhte.

Jede Partei ist zwar grundsätzlich gehalten, schon im ers-ten Rechtszug die Angriffs- und Verteidigungsmittel vorzu-bringen, deren Relevanz für den Rechtsstreit ihr bekanntist oder bei Aufwendung der gebotenen Sorgfalt hätte be-kannt sein müssen und zu deren Geltendmachung sie dortimstande ist. Sorgfaltsmaßstab ist dabei die einfache Fahr-lässigkeit (vgl. OLG Saarbrücken, NJW-RR 2003, 139,140; und OLGR Saarbrücken 2003, 249, 250; KG, MDR2003, 471, 472; MüKo/ZPO/Aktualisierungsband-Rim-melspacher, § 531, Rdnr. 28; Musielak-Ball, a.a.O., § 531,Rdnr. 19; Rimmelspacher, NJW 2002, 1897, 1904; Gehr-lein, MDR 2003, 421, 428; BT-Dr. 14/4722, S. 101 f.).

Auch unter Berücksichtigung dieser Grundsätze über-spannt das Berufungsgericht indes die Anforderungen an dieInformations- und Substantiierungspflicht einer klagendenPartei im Arzthaftungsprozeß.

Der oben dargelegte Grundsatz, daß in einem Arzthaf-tungsprozeß an die Substantiierungspflicht des Klägers nurmaßvolle Anforderungen gestellt werden dürfen, gilt näm-lich auch für Einwendungen gegen ein gerichtliches Gut-achten. Die Partei ist nicht verpflichtet, bereits in erster In-stanz ihre Einwendungen gegen das Gerichtsgutachten aufdie Beifügung eines Privatgutachtens oder auf sachverständi-gen Rat zu stützen oder – wie das Berufungsgericht meint– selbst oder durch Dritte in medizinischen BibliothekenRecherchen anzustellen, um Einwendungen gegen ein ge-richtliches Sachverständigengutachten zu formulieren. Sieist durchaus berechtigt, ihre Einwendungen zunächst ohnesolche Hilfe vorzubringen (vgl. Senatsurtt. v. 19. 5. 1981 –VI ZR 220/79 –, VersR 1981, 752; und v. 10. 11. 1981 –VI ZR 92/80 –, VersR 1982, 168; BGH, Urt. v. 19. 2. 2003– IV ZR 321/02 –, VersR 2004, 83, 84). Das Gesetz zurReform der Zivilprozeßordnung hat an diesen Grundsätzennichts geändert, weil der dafür maßgebende Gesichtspunkt,die Waffengleichheit zwischen Arzt und Patienten zu ge-währleisten, weiter gilt.

Die Kl. hat in erster Instanz das gerichtliche Gutachtennicht hingenommen, sondern mit substantiierten Ausfüh-rungen in Frage gestellt. Bei dieser Sachlage kann es nichtals Nachlässigkeit angesehen werden, wenn sie in zweiterInstanz ihren Angriff konkretisiert hat, nachdem ihr zweit-instanzlicher Prozeßbevollmächtigter durch eigene medizi-nische Recherchen zusätzliche Informationen über die Be-handlung eines Trümmerbruchs erlangte. Daß sich die Kl.bereits erstinstanzlich durch zwei Fachärzte hat beraten las-sen und hierbei möglicherweise nicht vollständig informiertwurde, geht nicht zu ihren Lasten. Der Patient und seinProzeßbevollmächtigter sind nämlich nicht verpflichtet, sichzur ordnungsgemäßen Prozeßführung medizinisches Fach-wissen anzueignen. Im konkreten Fall hätte überdies auchfür das erstinstanzliche Gericht Veranlassung bestanden, denSachverständigen nach einer Behandlungsalternative zu be-fragen, nachdem dieser ausgeführt hatte, nach Angaben inder Fachliteratur komme es erfahrungsgemäß bei dem ange-wandten Spickdrahtosteosyntheseverfahren bei einem Bruchwie dem vorliegenden in etwa 20 % der Fälle zu einem Kor-rekturverlust. Unter diesen Umständen war mit dem Sach-verständigen zu erörtern, wie die Praxis dieses beträchtlicheRisiko zu vermeiden oder zu verringern suchte.

c) Bei der mithin gebotenen Berücksichtigung des Vor-bringens der Kl. zur Behandlungsalternative mußten sich fürdas Berufungsgericht konkrete Anhaltspunkte für Zweifel ander Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheb-lichen Feststellungen ergeben, die eine erneute Tatsachen-feststellung geboten. Hier hat die Kl. nämlich nach den von

ihrem zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten durchge-führten Recherchen in der Berufungsbegründung ausführ-lich und substantiiert vorgetragen und durch Nachweise ausder medizinischen Fachliteratur belegt, daß ihrer Ansichtnach eine vorzugswürdige Behandlungsmethode hätte an-gewendet werden müssen.

III. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß sich dieBerücksichtigung des übergangenen Vortrags zum Beste-hen einer Behandlungsalternative auf die Beurteilung desRechtsstreits ausgewirkt hätte. Deshalb war das angefoch-tene Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsge-richt zur Nachholung der gebotenen Feststellungen zurück-zuverweisen.

(Bearbeitet von Rechtsanwalt Dr. iur. Karl Otto Bergmann,Schützenstraße 10, D-59071 Hamm)

Verjährung von bereicherungsrechtlichenRückforderungsansprüchen wegenunangemessen hoher Entgeltefür die Wahlleistung UnterkunftBGB §§ 195 ff. a.F., 812, 818; BPflV § 22

1. Eine private Krankenversicherung ist im Prozessauf Rückzahlung überzahlter Entgelte für Wahlleistun-gen jedenfalls dann aktiv legitimiert, wenn zwischen ihrund dem Krankenhausträger eine so genannte ,,medi-card“-Vereinbarung geschlossen worden ist.

2. Ansprüche auf Rückforderung überzahlter Entgeltefür Wahlleistungen unterliegen nicht der regelmäßigenVerjährung des § 195 BGB a.F., sondern der für diePrimärleistung maßgeblichen kurzen Verjährungsfrist(hier: § 196 Abs. 1 Nr. 11 BGB a.F.).OLG Celle, Urt. v. 5. 3. 2003 – 9 U 201/02 (LG Hannover)

Problemstellung: Eine grundlegende Klärung derFrage der Angemessenheit von Wahlleistungen (§ 22Abs. 1 S. 3 BPflV) erfolgte durch das Urteil des BGHvom 4. 8. 2000 (MedR 2000, 592). Seither sind dieprivaten Krankenversicherer (PKV) dazu übergegangen,die von Krankenhäusern geltend gemachten Zuschlägefür die Wahlleistung Unterkunft akribisch zu prüfen. Invielen Fällen ergaben sich Rückforderungsansprüche derPKV. Problematisch ist unter anderem die zeitliche Be-schränkung von möglichen Rückforderungsansprüchenaufgrund einer Überzahlung bei unangemessen hohenUnterkunftsentgelten. Relevant ist insoweit insbesonderedie Frage nach der Verjährung möglicher Bereicherungs-ansprüche gem. §§ 812 ff. BGB. Entsprechend der vordem 1. 1. 2002 geltenden allgemeinen Verjährungsfristdes § 195 BGB a.F. wurden dreißigjährige Rückab-wicklungszeiträume diskutiert – rückwirkend bis 1986nach Maßgabe des damals in die BPflV neu aufgenom-menen § 10 Halbs. 1 BPflV 1986, für davorliegendeZeiträume nach den allgemeinen Vorschriften über Sit-tenwidrigkeit und Wucher. Nunmehr hat sich das OLGCelle mit einem rechtskräftigen Urteil zu dieser The-matik geäußert. Nachdem zunächst wegen einer be-stehenden ,,medicard-Vereinbarung“ die Aktivlegitima-tion des klagenden Versicherungsunternehmens bejahtwurde, setzte sich das OLG mit der Verjährungspro-blematik auseinander. Im Anschluss an andere Entschei-dungen des BGH zur Verkürzung der Verjährungsfristfür bereichungsrechtliche Rückforderungsansprüche hatdas OLG Celle auf eine dem Leistungsanspruch ent-sprechende kurze Verjährungsfrist (hier zwei Jahre nach§ 196 Abs. 1 Nr. 11 BGB a.F.) abgestellt. – Folgt man