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Prof.Dr.PeterGallmann Jena,Sommer2016

ZumKonjunktivII

AuszugausdemfolgendenAufsatz:

Lotze,Stefan/Gallmann,Peter(2009):«NormundVariationbeimKonjunktivII».In:Konopka, Marek / Strecker, Bruno (Hrsg.) (2009): Deutsche Grammatik ‐ Regeln,Normen,Sprachgebrauch.Berlin/NewYork:WalterdeGruyter.Seiten222–239.

ÄltereFassung:

Gallmann,Peter(2007):„MorphologischeProblemederdeutschenKonjunktive“.In:Gallmann,Peter/Lehmann,Christian/Lühr,Rosemarie:ZurInterdependenzvonIn‐haltundAusdruck.Tübingen:Narr(=TübingerBeiträgezurLinguistik,Band502).

→ http://www.personal.uni‐jena.de/~x1gape/Pub/Konjunktiv_2007.pdf

Symptome:WieäußernsichdieProblemedesKonjunktivII?

FürmanchenSprachpflegeristeindeutig,dassdermitunterzaghafteGebrauchderKon‐junktivformenaufSprachverfallschließenlässt.IdeendieserArthabenEinganginvölligunerwartete Bereiche gefunden, wie der folgende Beleg aus dem „German GothicBoard“illustrierenmag.(InternetfundewerdeninOriginalorthografiewiedergegeben.)

(1) DochheutigenSchülernistderKonjunktiventwedervollkommenegal,zuanstrengendodersiewissennichteinmalwasdasist.www.nachtwelten.de/vB/history/topic/7265‐1.html;Mai2008

Hierwird in rechtharscherWeiseüber eineEntwicklunggeurteilt, die sich leicht aufden Punkt bringen lässt: Die Verwendung des Konjunktivs – oder genauer: der altenKonjunktivformen–scheintrückläufigzusein.DieserSchwundwirddennauchschnellverallgemeinerndmitBildungsdefiziteninVerbindunggebracht.

(2) Ichkannmirvorstellen,dassmitobengenanntenMittelneineBildungseli‐te in Deutschland ihre Abgrenzung zu bildungsärmeren Schichten de‐monstrierenwill. Jedenfalls lässtsichdasmitKonjunktiv&Co.ganzguterreichen.http://www.radiolotte.de/phpmyforum/topic.php?print=1&id=361&page=2;Mai2008

DassdasThemaSprachverfallzudemgrundsätzlichgerninpolitischenHetzschriftenin‐strumentalisiert wird, ist bekannt. Speziell Beobachtungen am KonjunktivgebrauchflossenineinenArtikelein,demdasnächsteZitatentnommenwurde.ImKerngehteshierebenfallsummangelndeBildung,womitdieAussageganzklarindasgleicheHornstößt.DenweiterenZusammenhangdesTextesmöchtenwirIhnenersparen.

(3) Die Herrschaft des modernen Pöbels äußert sich in einer besonderenFormdesSprachverfalls,derkaumnochwahrgenommenwird.Amauffäl‐ligstenistderVerlustdesKonjunktivs:derPöbelhatkeinenMöglichkeits‐sinn,ihmfehltdaherselbstredendauchderrechteSinnfürdieWirklich‐keit. Die Konjunktivlosigkeit raubt dem Indikativ die Bestimmtheit unddiesprachlichenWeichmacherblühen.DerPöbeldenktabstraktundre‐detschablonenhaft;diegeistigeVulgarität istseinStil, fürdenerzuvör‐derstToleranzfordert;derPöbelistliberalmitseinesgleichen.www.wno.org/newpages/sci12.html;Mai2008

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BeobachterbeschreibendanebeneinegewisseAuffälligkeitderFormen,diedemVer‐fasserdesForenbeitrags in (4) schonnachdemGebrauchvonnurzweiKonjunktivenoffenbar selbstmissfiel.Das übernächsteBeispiel stammtdannnoch einmal aus dem„GermanGothicBoard“.Esistinhaltlichvielleichtetwasschauerlich,dochverdeutlichtesdasProblemdurchdieschiereZahlaufeinanderfolgenderKonjunktiveaufeindringli‐cheWeise.

(4) Meine "Kritik"war aucheherunbestimmtan "Ehapa" gerichtetundmitzwinkerndem Auge (zwinker zwinker, klimper klimper) formuliert undDugingestfehl,mißverstündest(eineschöneKonjunktiv‐II‐Orgie)DusiealsMeckerei[…]www.comicforum.de/showthread.php?t=50286;Mai2008

(5) Mal angenommen, du stündest vormeinerWohnungstüre und läutetest,dennichlüdedichein,dannsähestduwahrscheinlichziemlichblödeaus,wennichdirnichtdieTüröffnete.Angenommen,ichöffnetedieTürwirk‐lichnicht,danngingest duwahrscheinlichwieder,denndudächtest, ichverkohltedich,unddufrügestdich,warumichdasnurtäte,denndasfän‐destdubestimmtnichtgut.

Alsokönntenwireherannehmen,ichöffnetedirundbätedich,einzutre‐ten–dieseAufforderungverstündestdufalschundträtestmirdieTürausden Angeln.Wenn das geschähe,schriee ich dich sicherlich an, was dasganzedennsolle.duschildertestmirdanndenSachverhaltundnenntestmichalsIdioten,wasichwiederumalspersönlicheBeleidigungempfände.In dieser Situationwüchse ich übermichhinaus,griffe zumMesser undstächemitselbigemaufdichein.Dann lägestduamBoden,schrieestumHilfeundspieestdabeiBlutundLungeausdirheraus.IchtrügedichdannindieKüche[…]www.nachtwelten.de/vB/history/topic/7265‐1.html;Mai2008

InderTatwirkteinTextmitderartausuferndemKonjunktivgebrauchaufdiemeistenDeutschsprachigenseltsam.EntsprechendePassagenwerdeninTextenfürgewöhnlichkurzgehalten.DochistauchdaskeinGarantfürAkzeptanz,wiedasUnbehagendesvo‐rigenVerfassers zeigte.DassdessenEinschätzungnichtsNeues ist, belegtnebendem„Deutschbuchonline“ebensoeinUsenet‐Forum:

(6) AuchwennderKonjunktiv II alsungebräuchlichoderunschönempfun‐denwird,kannmandieErsatzformmit„würde“bilden.Deutschbuchonline=http://learnetix.de/learnetix/deutsch/deutschbuch_online/arbeit/Band_8_Grammatik/Verben_Modus.pdf,S.3;Mai2008

(7) DieKonjunktivformderVerbenklingtinvielenFällenungewöhnlichundwirdnurnochseltenverwendet.SAHARA=SammlunghäufigregistrierterAnfragen(engl:Frequentlyaskedquestions,FAQ)zurdeutschenSpracheausdemUsenet‐Forumde.etc.sprache.deutsch

DievorliegendenBeispielezurSymptomatikdesKonjunktivschwundsmachendeutlich,dasseszweiTendenzenzumUmgangmitdemSachverhaltgibt.DerMissmutgegenüberdemVerlust der schönen alten Formen steht neben Akzeptanz und Erklärungsbemü‐hungen, dieEmpfehlungen zuErsatzstrategien aussprechen.Wasdie Sprachpflege alsBildungsverlustundNiedergangbetrauert,wirdalsoanandererStelle imSinneeinerEntwicklungaufgefasstundzubegründenversucht.SokommendenKonjunktivformen

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weitere Attribute zu, die oftmals einen „altertümlichen Klang“ etc. unterstellen. Wirwerden vorerst also zu untersuchen haben, ob die Ästhetik wirklich als Begründungherhaltenkann.

EinersterDeutungsversuch:SindeswirklichphonologischeGründe?

VorallemdasästhetisierendeUrteil,dasdieKonjunktiv‐II‐Formenalsunschöncharak‐terisiert, legt phonologischeGründe für denKonjunktivverlust nahe. Tatsächlich han‐deltessichaberoffensichtlichumeinezuoberflächlicheEinschätzung,dievielleichtda‐rauf zurückzuführen ist, dass das zugrunde liegende Problem in seiner KomplexitätspontanschwerindenGriffzukriegenist.GegeneinereinlautlicheBegründungspre‐cheneinfachzu findendeBeispiele,diebelegen,wieüblichdiePhonemkombinationentypischerKonjunktiveimDeutscheneigentlichsind:

(8) erwürfe(vgl.:dieEntwürfe),ersäße(vgl.dieGefäße),erfände(vgl.:dieWände), ichempföhle (dieHöhle), er schlüge (dasGefüge), er söffe (dieGesöffe),ichfröre(ichhöre)

EtwasseltenermagmanwirklichaufFormenstoßen,diedenanfänglichenVerdachter‐härtenkönnten,weilkaumlautlicheEntsprechungenzufindensind:

(9) erschösse,erschlösse,esgösse,ergenösse

DanebenstehteineReihevonFällenmitirritierenderAssonanzanandereFormen,dieteils dieparadigmatischeZuordnung erschwert, teils sogar innerparadigmatische Stö‐rungen hervorrufen kann. Die Beispiele in (10) und (11) zeigen daher aber eher einmorphologisch‐lexikalisches als ein lautliches Problem. Im Gegenteil – lautlich kanndurchausUnbedenklichkeitbescheinigtwerden:

(10) ertränke(zutrinken,nichttränken),ertrüge(zutragen,nichttrügen),erversänke(zuversinken,nichtversenken),erführe(zufahren,nichtführen)

(11) a. WennplötzlichdasLichterlösche,… (zuerlöschen–erlosch–erloschen)b. WennplötzlichalleDämmebärsten,… (zubersten–barst–geborsten)

OffensichtlichlassensichdieProblemebeimKonjunktivIInichtaufdiePhonologiere‐duzieren.Wir können folglich festhalten, dass ästhetisierende Bewertungen den Um‐ständennichtgenügen,undmüssendasPhänomenimFolgendeninseinertatsächlichenKomplexitätbeleuchten.

Fehl‐undUntercharakterisierung

DazudientunsfolgendeAusgangshypothese:

(12) DerKonjunktivIIistteilsfehl‐,teilsuntercharakterisiert.

Die Fehlcharakterisierung liegt dabei in einer vermeintlichenTempusmarkierung.BeistarkenVerbenwirdderKonjunktivIIvonderPräteritumsformgebildet,undzwarmit‐telsSchwa,beiumlautfähigemPräteritumstammzusätzlichmitUmlaut.SiehedazudasfolgendeBeispiel,beidemdieTempussemantikaufdashierWesentlichevereinfachtist:

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(13) Beispiel Form Semantik Bezeichnung

finden [] [] []

↓ ↓ ↓ ↓(ich)fand [+Ablaut] [+vergangen] [+Präteritum]

↓ ↓ ↓ ↓(ich)fände [+Ablaut] [+vergangen] [+Präteritum] [+Umlaut, [+irreal] [+KonjunktivII] +Schwa]

Gehtmanerstensdavonaus,dassFlexionimmergleichzeitigeinemPlusanFormundeinemPlus an Funktion entspricht, und nimmtman zweitens an, dass bei rekursiverFlexioneinmalzugewieseneMerkmalebeibehaltenwerden,erscheintdieKonjunktiv‐II‐Bildung der starkenVerben desDeutschen als antiikonisch.Die durch das flexivischeMittel [Ablaut] ausgedrückte Funktion [Bezug auf Vergangenes] wird nämlich beimzweiten Schritt gestrichen.EinfacheKonjunktiv‐II‐Formenkönnen sich ebennicht aufVergangenesbeziehen(zudenVerbindungenmitwürdesieheweiterunten):

(14) a. Ich*schlössegesterngerndieTürb. Vorhin*fielemirfasteinGlasum.

Will man dennoch Vergangenheitsbezug ausdrücken, sind stattdessen Verbindungenaushaben/seinundPartizipIIzuverwenden.DieauszudrückendeFunktionistfolglicheindeutigaufanderemWegezuergänzen:

(15) a. IchhättegesterngerndieTürgeschlossen.b. VorhinwäremirfasteinGlasumgefallen.

DiestarkenKonjunktiv‐II‐Formensindalsofehlcharakterisiert.VordiesemHintergrundwirkt die traditionelle Terminologie, die den KonjunktivII als „Konjunktiv Präteri‐tum“oder„KonjunktivImperfekt“bezeichnet,ungeschickt.DennderTerminus„Präteri‐tum“ steht grundsätzlich für eine bilaterale Kategorie, also für eine Verbindung be‐stimmterFormenmitbestimmtenFunktionen:

(16) Form ← Präteritum → Gebrauch (Ablaut, (Bezug Endungen) aufVergangenes)

DasentsprichtdemGehalt,denmaneinermorphosyntaktischenKategoriefürgewöhn‐lichzuzuschreibenpflegt(vgl.etwaCarstairs‐McCarthy2000).

(17) Menge ← morphosyntaktische→ Mengevon formaler Kategorie Gebrauchs‐ Erscheinungen weisen

Bei konsistenterNutzung der Terminologiewäre zu erwarten, dass der Begriff „Kon‐junktivPräteritum“seinenGegenstandebenfallsformalwiefunktionalcharakterisiert,undzwarindoppelterHinsicht:[+irreal],[+vergangen].Imvorliegendenfall istaller‐dingsdasunüblicheGegenteilderFall:EswerdenunilateraleKategoriensuggeriert,beidenenderBestandteil„Präteritum“fürdenreinformalenAspektsteht,nämlich„Stamm,wieerimIndikativPräteritumauftritt“,während„Konjunktiv“nurdieSemantikerfasst.DarausergäbesichdieseDarstellung:

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(18) Form ← Präteritum (Ablaut, Endungen)

Konjunktiv → Gebrauch (Irrealität, Potenzialität)

EindeutigsinnvolleristdieVerwendungdeskonkurrierendenTerminus„KonjunktivII“,den einige Grammatiken schon länger bevorzugen. Der Begriff steht für eine eigenemorphosyntaktischeKategorieundwirddenAnforderungenaneinebilateraleEtiket‐tierungohneWeiteresgerecht;siehedazu(19).(ZumalternativenAnsatzeinesMerk‐male[+distant]siehenachstehend.)

(19) Form ← KonjunktivII → Gebrauch (Ablaut, (Irrealität, Umlaut, Potenzialität) Endung)

WasbishierherfürstarkeVerbengezeigtwurde, findet indeszusätzlicheBestätigung,sobald man eine ähnliche Analyse für den KonjunktivII der schwachen Verben vor‐nimmt.EinerseitskönntemandieBildungderFormenzwarebenfallsmittelsAnfügenvonSchwaandenPräteritumstammerklären:

(20) Beispiel Form Semantik Bezeichnung

suchen [] [] []

↓ ↓ ↓ ↓(ich)such‐te [+t‐Suffix] [+vergangen] [+Präteritum]

↓ ↓ ↓ ↓(ich)such‐t‐e [+t‐Suffix] [+vergangen] [+Präteritum] [+Schwa] [+irreal] [+KonjunktivII]

Jedoch ist es durchaus denkbar, stattdessen zwei separate Suffixe ‐te1 [+Präteritum]und‐te2[+KonjunktivII]anzusetzen.EinesolchesystematischeAbgrenzunguntermau‐ertdieAnnahmeeinereigenenmorphosyntaktischenKategorie„KonjunktivII“zusätz‐lich.

AllerdingsoffenbartsichimParadigmaschwacherVerbenfernerdasProblemeinerfle‐xivischenHomonymie.UndgenauhiervervollständigtsichunsereArbeitshypothese–beidenschwachenKonjunktiv‐II‐FormenliegtnebenderFehlcharakterisierungaufje‐denFalleinepotenziellstörendeUntercharakterisierungvor.

Reparaturversuche

Nunistesnichtso,dassnurmancheLinguistendenKonjunktivIIalsformalfehl‐bzw.untercharakterisiertbestimmen.OffenbargehtesauchderbreitenMassederDeutsch‐sprachigenso.AllerdingskanngarkeineRededavonsein,dasseinfehlender„Möglich‐keitssinn“ der Ungebildeten dazu führt, stattdessen nur den Indikativ zu verwenden.VielmehrgibteseineganzeAnzahlvonReparaturversuchen,umdasDefizitauszuglei‐

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chen.Sieführenalledazu,dassderKonjunktivIIimSinneeinerKategoriebeibehaltenwird.Erist–imGegensatzzumKonjunktivI,derhiernichtweiterbehandeltwird–alssolchenichtgefährdet.

DielexikalischeStrategie:VerselbstständigungderKonjunktiv‐II‐Formen

Im hochfrequenten Teil des Verbwortschatzes ist, wie auch die Untersuchungen vonDamarisNübling(2000)gezeigthaben,KontrastunterdenKonjugationsformenwichti‐geralseinfacheBildbarkeit,undzwaroffenbardeswegen,weilsieimmentalenLexikonfertiggespeichertwerden.Tatsächlichlässtsichzweifelsfreibeobachten,dassdieeinfa‐chenKonjunktiv‐II‐FormenbeialldenjenigenVerben,dienichtzudenhöchstfrequen‐tenLexemengehören,nurnochinbewussthochsprachlichemStilverwendetwerden:

(21) ichbewiese (beweisen); ichmäße(messen); ichspräche(sprechen); ichwöbe(weben);ichwürfe(werfen);ichstürbe(sterben)

Hingegendurchausgebräuchlich:

(22) ichwäre(sein), ichhätte(haben), ichkäme(kommen), ichnähme(neh‐men)

Dafür,dasssichdieseFormenrelativverselbstständigthaben,könntedieBeobachtungvonFranziskaMünzberg (Duden‐Redaktion) sprechen,dassgeradehiereineTendenzzum Wegfall des konjunktivischen Schwa zu beobachten ist. Sie hat beispielsweisenachgewiesen,dassinder2.PersonSingulardieschwaloseFormbeimVerbseinschondeutlichüberwiegt.DiefolgendenrelativzufälligenBeispielestammenausdemInternet:

(23) a Spiele,alswärstdumorgentotwww.tagesspiegel.de/meinung/kommentare/;art141,1900123;Mai2008

b WaswärstduohneKinder?www.rp‐online.de/hps/client/opinio/public/pjsub/production_long.hbs?hxmain_object_id=PJSUB::ARTICline.de/hps/client/opinio/public/pjsub/production_long.hbs?hxmain_object_id=PJSUB::ARTICLE::335745;Mai2008

c Wowärstdujetztamliebsten?rostock.esn‐germany.org/?q=wo_warst_du_jetzt_am_liebsten;Mai2008

Schwalose Formen sind auch bei den niedrigfrequenten Verben nicht völlig ausge‐schlossen,allerdingsinderGegenwartssprachesogutwienichtnachweisbar:

(24) du ?wöbst (weben); du ?gewönnst (gewinnen), du ?schlügst (schlagen);du?stürbst(sterben)

EinhistorischesBeispiel:

(25) Glittstduauchleicht,wiedießLaub,achdorthin; Sänkestdudoch,Jüngling,undstürbst!

Klopstock

AnalogesgiltfürdasSchweizerdeutsche.HierentfälltdasKonjunktiv‐II‐Morphem‐ibeihochfrequenten Verben oft (ebenso bei ‐ti; siehe dazuweiter unten). Das Schweizer‐deutsche zeigt übrigens auch, dass Lexikalisierungen den Untergang des Präteritums(vondemsiehistorischgesehennatürlichgenaugleichabgeleitetsindwiediestandard‐sprachlichenFormen)um500 Jahreüberlebthaben.Dasheißtganzklar,dasszumin‐destimgegenwartssprachlichenSchweizerdeutschenderAnsatzeinerKategorie„Kon‐junktivPräteritum“sinnlosist.In(26)folgteinweitererInternetbeleg:

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(26) heydu,schönijungifrouwiesoliebschmined,lebschlieberidemtroumustirbschachli,wärschmetmrzämegsi,däwärschnitwordewad itzawordebisch, duwärsch glücklich, riifer undnet im strossegrabe,wo itzermordetliggsch.

‚Heydu,schönejungeFrau,wiesoliebstdumichnicht,lebstlieberindemTraumund stirbst einwenig,wärestmitmir zusammen gewesen, dannwärestdunichtgeworden,wasdu jetztgewordenbist,duwärestglück‐lich,reiferundnichtimStraßengraben,wo[du]jetztermordetliegst.’www.undergroundhiphop.ch/ohmacht.htm;Sommer2006

MorphologischeStrategieI:Kontrasterhöhung

DochmitderLexikalisierungsstrategiealleinscheintderReparaturmechanismusnochnicht beendet zu sein. Bei den verselbstständigten hochfrequenten Formen lässt sichneben der vorangehend besprochenenTendenz zur Vereinfachung durchWegfall deskonjunktivischenSchwaaucheinegegenteiligeTendenzzurKontrasterhöhungmittelsanderermorphologischerMittel beobachten (Nübling 2000). Als Verstärker kommenhier abhängig von derKonjugationsart desAusgangslexems zusätzlicherUmlaut odert‐Endungen in Frage. Ersteres wurde zaghaft bereits in die Standardsprache aufge‐nommen.DererwartbareKonjunktivIIdesVerbsbrauchenistbrauchte;diemorpholo‐gischkontrastreichereFormbräuchteistinderUmgangssprachederartverbreitet,dassmanexplizitdaraufhinweisenmuss(Duden9,RichtigesundgutesDeutsch2007;Du‐den1,DiedeutscheRechtschreibung;jeStichwortbrauchen).Vgl.Beispiel(27):

(27) EineS‐KlassebräuchtenurdreiLiterwww.tagesspiegel.de/politik/div/;art771,1946620;Mai2008

Bislangetwaswenigerverbreitet,aberdurchausanzutreffensindanalogeBildungenbeidenVerben sollen undwollen.Währendbräuchte zwarnicht als „standardsprachlich“,aberwenigstensals„umgangssprachlich“gilt,werdensöllteundwölltenochals„regio‐nal“ oder „dialektal“ angesehen.Eine simple Internetsuchanfrage fördertdennochun‐zähligeBelegediesesTypsauchinsonsteinigermaßenstandardsprachlichenTextenzu‐tage, sodasskeinesfallsvonTippfehlernoderdemUnvermögenEinzelnerauszugehenist:

(28) a. Welche Testversion von einem Videobearbeitungsprogramm söllte ichnehmen?de.answers.yahoo.com/question/index?qid=20080510091105AADS19l;Mai2008

b. wiehochsölltemandenvirtuellenSpeichervonc:\machen?forum.chip.de/cpu‐board‐speicher/hoch‐soellte‐virt‐speicher‐46593.html;Mai2008

(29) a. auchichkönnte,wennichwöllte,wiePumuckelaussehenwww.dooyoo.de/online‐shops/basler‐haarkosmetik‐de/1138735/;Mai2008

b. IchwölltezugernemalindieUkrainefahrenodernachRussland…www.faktuell.de/FSL/klartext4.shtml;Mai2008

UmdiegleicheLeistunginnerhalbdeshochfrequentenWortschatzesauchbeidenstar‐ken Verben zu erreichen, bedienen sich Sprecher regionaler Umgangssprachen dert‐Verstärkung. Im Sinne von Dammel/Nübling (2006) könnte das t‐Suffix als »Super‐marker«interpretiertwerden:KurzvordemVerschwindeneinerflexivischenKategorielebtsieüberdeutlichnocheinmalkurzauf.DieTrefferzahleinerInternetsucheistzwarnichtganzsohoch, liefertaberdocheineimposanteMengevonBeispielenderfolgen‐denForm:

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(30) a. ZumletzterenhätteichdirFolgendenFrage:nähmtemandiesprachlicheBedeutung von "Selektion".Wäre dies nicht auch auf die Sinnflut/Noahübertragbar?forum.jesus.ch/thread.php?threadid=13320&boardid=14&styleid=1&page=4;Mai2008

b. EtwasMehrSpritfüretwasmehrPfeffernähmteichgerneinKauf.euro.lexusownersclub.com/forums/index.php?showtopic=16663&st=0&p=190156;Mai2008

(31) a. Bei meiner Adresse gäbte es sicher einen feinen italienischen RistrettooderEspressoalsStärkungzwischendurch…www.zroadster.com/forum/willkommen/14373‐1_liechtensteiner_z4_registrierung_2_jahren.html;Mai2008

b. Wärefroh,wenn'ssowasgäbte.www.mrunix.de/forums/showthread.php?t=31270;Mai2008

(32) a. Vondir?Dachtenurdercss‐partkämtevomDreamwaver.www.cybton.com/view_thread,Cheapmessagede+vorstellen,25515,1.html;Mai2008

b. NiekämteichaufdieIdeevondieserFirmaProduktezukaufenwww.vol.at/news/tp:vol:special_mode_aktuell/artikel/dundg‐werbung‐empoert‐frauen/cn/news‐20070305‐10225928;Mai2008

(33) a. dieAufzählungließtesichweiterfortsetzen,dennesisteinzuvielfältigesGebiet,umesaufwenigeWortezubringen.www.medi‐learn.de/.../Allgemeinmedizin/Das_Fach_Allgemeinmedizin/;Mai2008

b. AlsoentwederdutraegstdeineIPimmerperHandein(sowasliesstesichauchuebereinScriptmachen)oderdugehstpersshtunnel/vpnaufdenRechner.debianforum.de/forum/viewtopic.php?t=48095–34k;Sommer2006

InvielenschweizerdeutschenDialekten–dieallenichtnormiertwerden–hatsichdie‐serTypbeietwaeinemDutzendhochfrequenterVerbenzumDe‐facto‐Standardentwi‐ckelt;nebendenbesondersdeutlichenFormenmit ‐ti gibtesauchVariantenmitblo‐ßem‐t(vgl.obendieBemerkungenzumSchwa‐WegfallimStandarddeutschen):

(34) a. inähmtidennnogärnänCampariSoda ‚IchnähmedannnochgerneinenCampari‐Soda.’

www.fotocommunity.de/pc/account?myprofile=693218;Mai2008

b. IchnähmtgerneChalbsbratwurstmitBrot ‚IchnähmegerneineKalbsbratwurstmitBrot’

www.speak2us.ch/index.php?module=S2U_Gallery&func=display&pid=45559;Mai2008

(35) a. AberichbinenschlächteOrganisatoor,dasgäbtieKataschtroofe ‚AberichbineinschlechterOrganisator,dasgäbeeineKatastrophe’

www.natifans.ch/de/n/forum‐themedetail‐‐‐0‐‐0‐‐0‐‐20‐‐24‐‐20.html;Mai2008

b. iwösstgernedwasiohniDimachadät…iglobesgäbtgerkalebamehförmi

‚ichwüsstegarnichtwasichohnedichmachentäte…ichglaube,esgäbegarkeinLebenmehrfürmich’www.meinbild.ch/?n=4191618;Mai2008

MorphologischeStrategieII:AbleitungdirektvomStamm

IneinerVarietätdesDeutschenfindetsichunabhängigvonderKontrastverstärkungei‐neweiteremorphologischeStrategie,diesicheigenständigentwickelthatunddurchausdasPotenzialzurstandardsprachlichenLösungmitgebrachthätte.Leider lagaberdasBairische bei der Herausbildung der neuhochdeutschen Standardsprache nicht im

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Kommunikationszentrum. Dabei ist die Lösung, die diese Varietät gefunden hat, ganzeinfach:DerKonjunktivIIwirdbeidenmeistenVerbendirektvomInfinitivstammab‐gleitet,machtalsokeinenUmwegmehrüberdasPräteritum(beidenhochfrequentenVerbengibtesauchhierverselbstständigteFormen,diehistorischaufdasPräteritumzurückgehen). Angesichts des Präteritumschwunds analog zum SchweizerdeutschenverwundertdieseEntwicklungfreilichnicht.SomussauchhiernocheinmaldieSinnlo‐sigkeitderKategorie„KonjunktivPräteritum“betontwerden.

(36) a. Eing’lich is jabloszumLacha,undwenn’smanetumd’Not’nwar,dannnehmatideshoibsoschwar.www.duigatscho.de/DieEx.htm;Winter2005/2006

b. Iwiadawossogn:waundeAngelikadaumoismigheirathätt,ichschwöredir,itrogatdeFrauheitenuaufdeHändumanaund.

‚Ichwilldirwassagen:WenndieAngelikadamalsmichgeheiratethätte,ichschwöredir,ichtrügedieFrauheutenuraufdenHändenumher.’www.frankstar.net/bilder/texte/gklgrund.htm;Winter2005/2006

c. ApoanetteExemplarefindatnsejoaufeiaraSeitn. ‚EinpaarnetteExemplarefändensiejaaufeurenSeiten.’

gb.osmodia.net/gb.php?show=27&id=384&action=start;Mai2008

Hier sei eine besonders interessante Randbemerkung gestattet: Der quicklebendiget‐KonjunktivdesBairischenstelltdieTheorieninFrage,diedieTheseformulierthaben,dassderIndikativPräteritumwegenstörenderHomonymiemitder3.PersondesIndi‐kativPräsensgeschwundensei.DasBairischehatdieseHomonymiegefahroffensichlichmitderVerwendungderEndungsvariante‐aterfolgreichrepariert(Ursprung:Klasse2derschwachenKonjugationdesAlthochdeutschen).DashättenatürlichauchimIndika‐tivPräteritumgeschehenkönnen–derPräteritumschwundmussalsoandereUrsachenhaben.

DiesyntaktischeStrategie:DasUniversal‐Konjunktivauxiliar

ReparaturmechanismenaufmorphologischemWegsindbedingtdurchhoheFrequenzunddiedamiteinhergehendeTendenzzurparadigmatischenLoslösungundLexikalisie‐rung. Speziell imperipherenWortschatz ist dieVerselbstständigungbesondererKon‐junktiv‐II‐Formendagegennichtökonomisch.HiergreifterwartungsgemäßeineStrate‐gie,diesichderSyntaxbedient.GenaugenommenwirdhierdurchVerselbstständigungeines einzelnen Elements flexivischer Mehraufwand effizient vermieden, indem einVerbzumuniversellenKonjunktiv‐II‐Auxiliarumgedeutetwird.SchließlichkönnensichSprecher zumAusdruckdesModusdieses lexikalisiertenElements inVerbindungmitderGrundformdesjenigenVerbsbedienen,dasdieeigentlicheHauptsemantikbeisteu‐ert.

DadiewichtigsteAnforderunganeinsolchesAuxiliarebenvorallemdarin liegt,dassmöglichstkeinenennenswertezusätzlicheModifikationderSemantikerfolgt,istderna‐türlichsteKandidatfürdiesesFunktionswortdasVerbtun.Undtatsächlichwurdedie‐serAuswegauchoftgewählt–undwirdesheutenoch.Dochhatesnureineeinzigederdenkbaren tun‐Konstruktionen – vermutlich mangels Alternativen – zur standard‐sprachlichenAnerkennunggebracht:DieBeispielein(37)zeigenSätzeimIndikativ,de‐reninfiniteVerbalphrasenimSyntagmalinksversetzt,alsoinsVorfeldangehobenwur‐den.

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(37) a. Vielredentuternicht,zuInterviewterminendrängtesihnnicht.www.neue‐oz.de/information/noz_print/sport_regional/19564900.html;Mai2008

b. UndlachentundieLeuteaußerhalbDeutschlandssoodersomehr.de.answers.yahoo.com/question/index?qid=20071219091755AAKUez2;Mai2008

DieseKonstruktion resultiert aus der syntaktischenNotwendigkeit, eine StrukturmitfinitemVerbanzweiterPositionzuerzeugen.WashierquasialsNotlösungerscheint,istdarüberhinauslogischerweiseauchinanderenKontextenmöglich.JedochhatdieAus‐lagerungderFlexionauftunaufgrundsprachpflegerischerBemühungenkeinenweite‐renEingangindieStandardsprachegefunden,wenngleichsietypologischgeseheneineweitverbreiteteStrategiedarstellt:

(38) a. esmachtmir ja sinnwenneinusernicht jedesmal sich einlkoggenwill,wennernuretwaslesentut…forum.rotetraenen.de/thread.php?postid=456797;Mai2008

b. DemBlutebinichnachgegangen,dochsietatmichverführen.Liebesschwur;www.siteboard.de/cgi‐siteboard/archiv.pl?fnr=36695&read=7;Mai2008

Nur konsequent wären entsprechende Bildungen mit tun im KonjunktivII, die einenAusweg aus dem beschriebenen Dilemma bieten würden. Doch sind diese ebenfallsnichtalsstandardsprachlichanerkannt:

(39) a. najaichtätnichtlangerumfackelwennichihnerwischentäte.www.overclockers.at/printthread.php?s=&threadid=107748&perpage=27

b. Ichwäreeuchsehrdankbar,wennihrmireinpaaradressengebenkönn‐tetdieeinePraktikantinfürdenSommersuchentäten.cgi00.puretec.de/cgi‐bin/gb?clsid=ace49281669b61a25f9f515c10674bbe

c. Wennichsoarbeitentäte,wäreichlängstgefeuertoderpleite.www.avantart.com/diesunddas/nucleus/archive‐1‐2003‐10.html

GrundsätzlichdämonisiertdieSprachpflegeschonseitlangemdieVerwendungdertun‐Periphrase.Siehatsichhier–mitBlickaufdievorangehendenErörterungen: leider–weitgehenddurchgesetzt;siehedazudieAngabenimLiteraturverzeichnis.

Nun ist die Notwendigkeit einer syntaktischen Reparaturstrategie aber keineswegswegzudiskutieren.AlsBehelfwurdedeshalbwürdegewählt,dasursprünglichdieglei‐chentemporalenFunktionenabdecktewiedasindikativischewerdenbeimsogenanntenFuturI.

(40) Eswäreabertollwennjemandsoetwaseinmalfindenwürdewww.matheraum.de/read?t=201477;Mai2008

Die futurische Semantik ist heuteweitgehend verblasst (siehe aberdieBemerkungenweiterunten).DiesführttendenziellzumSystemin(41),beidemnurnocheineOpposi‐tion±vergangen (oder±abgeschlossen)vorliegt.Die spezifischeUnterscheidungzwi‐schenGegenwarts‐undZukunftsbezugwirdalsoaufgegeben.

(41) Vergangenheitsbezug Gegenwarts‐oderZukunftsbezug

manhättegelacht(manwürdegelachthaben)

(manlachte)manwürdelachen

eswäreaufgefallen(eswürdeaufgefallensein)

(esfieleauf)eswürdeauffallen

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(ZudeneingeklammertenFormen:DieeinteiligenFormensindausbesagtenGründenimVerschwindenbegriffen,diedreiteiligenunnötigaufwendig–beidenKonstruktio‐nenmitdenhochfrequentenVerbenseinundhabenbestehtkeinBedarffürdiewürde‐Periphrase.)

BeziehtmanebenandieserStelledasPotenzialdertun‐Konstruktionein,wäredasfol‐gendeSystemdenkbargewesen,beidemdiewürde‐FormenganzwiediejenigendesIn‐dikativsunddesKonjunktivsIgebrauchtwordenwären:

(42) Vergangenheitsbezug Gegenwartsbezug Zukunftsbezug

manhättegelacht mantätelachen manwürdelachen

eswäreaufgefallen estäteauffallen eswürdeauffallen

Zugegeben–dasin(41)angesetzteSystemerweistsichbeinähererBetrachtungalset‐waszusimpel.TatsächlichsindinderGegenwartssprachezwardieeinfachenKonjunk‐tiv‐II‐Formenweitestgehenddurchwürde‐Formenersetzbar.AberdasGegenteilstimmtzumindestinzweiKontextennicht,wieauchFabricius‐Hansen(2000)gezeigthat.Dennwürde + Infinitiv kann einerseits bei höflichen Aufforderungen, andererseits bei der„Zukunft in der Vergangenheit“ innerhalb der „erlebten Rede“ kaum durch einfacheKonjunktiv‐II‐Formenersetztwerden;esbestehtalsonocheinRestvonKontrastzwi‐schendeneinfachenunddenwürde‐Formen.AufschlussreichisthierBeispiel(44)miteinemhochfrequentenModalverb; indenmeistenanderenKontextendürftenbeidie‐semVerbdieeinfachenFormenvorgezogenwerden:

(43) WürdenSiebittedieTürschließen.

(44) Erhatteesfastgeschafft.Schonbaldwürdeersichendlichausruhenkön‐nen.www.spa‐zone.de/news/index.php?/archives/2008/02.html;März2008

Doch sollten die Tatsachen nicht zu der Annahme verleiten, dass die würde‐KonstruktionenvonderSprachpflegewiderstandslosaufgenommenwurden.ImmerhinhandeltessichumeinReparaturphänomen,dasFehl‐bzw.Untercharakterisierungaus‐gleichensollunddamitnicht inallenKontextenzwingendnotwendigwird.BringteinErsatz abermehrÖkonomie alsdie (funktionierende)Ursprungskonstruktion, ist bei‐nahevorauszusehen,dasssiesichweiterausbreitet.

Ein typischer Versuch, diese Entwicklung abzubremsen, fand offenbar schnell seinenWegindieSchulen.DabeiwerdenSchülerangehalten,inwenn‐SätzenaufdieKonstruk‐tionzuverzichten. InwelchemZusammenhangwärendieKonjunktiv‐II‐Formenwohlhäufiger? DieWahlmuss zwangsläufig auf die Simplex‐Variante fallen. Ein indirekterBeleg,dergleichsamdieÜberflüssigkeitderaufgestelltenRegelbezeugt,folgtin(45).

(45) machnur! als jungpappeundstrangstarterwürd’s etwasunfeinwirken,wenn ich selber herumtrommeln würde. (und dabei hat uns unseredeutschlehrerinsoofteingebleut:"WENN‐SÄTZESINDWÜRDE‐LOS!")www.allesbonanza.net/forum/archive/index.php/t‐67.html;Mai2008

Die Sprachpflege konnte sich bei denwürde‐Formen offensichtlich nicht durchsetzen.SomitsindsiedieeinzigeReparaturstrategie,diestandardsprachlicheinigermaßenan‐erkannt ist. Dochwaswie eineAllround‐Lösung klingt,muss in einem speziellen Fall

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wohlwiederumeineEinschränkungerfahren,mitderwirdieAnalyseabschließenwol‐len.

Im epistemischen Gebrauch scheinen diewürde‐Formen auch bei Verben, bei denenmansolcheFormeneigentlicherwartenkönnte,ausgeschlossenzusein:

(46) a. WäredieserBerichtgegründet, soschiene er reicheKupfergrubenanzu‐deuten.books.google.de/books?id=sdQBAAAAYAAJ&pg=PA378;Mai2008

b. (Aber:)???…sowürdeerreicheKupfergrubenanzudeutenscheinen

(47) a. HieltedasschlechteWetteran,drohtedieMauereinzustürzen.b. (Aber:)???HieltedasschlechteWetteran,würdedieMauereinzustürzen

drohen.

(48) a. Solltest du den Zettel finden, wäre ich für einen kurzen Telefonanrufdankbar.

b. (Aber:)???WürdestdudenZettelfindensollen,wäreichfüreinenkurzenTelefonanrufdankbar.

Fazit

ImheutigenDeutschengibt esnicht „den“Konjunktiv (imSingular), sondern zweiei‐genständige Modi „KonjunktivI“ und „KonjunktivII“. Beide weisen morphologischeProblemeauf.BeimKonjunktivIIhängensiemitdiachronzuerklärenderFehlcharakte‐risierungzusammen. InderStandardspracheneigtderKonjunktivIIzurKonstruktionmitdemAuxiliarwürde.InregionalenVarietätendesDeutschenlassensichauchandereLösungen finden,dieunterentsprechendenBedingungen (politischeDominanz inderKommunikation,Beurteilungdurchdie Sprachpflege) ebenfalls hätten zurNormwer‐denkönnen.

WegendesBannsgegendasAuxiliartunverfügtdiedeutscheStandarsprachetendenzi‐ellübereinwenigerdifferenziertesInventar,alsmöglichgewesenwäre.DennochkannkeineRededavonsein,dassderKonjunktivalsKategorieausstirbt.EsliegteinePhasedersystematischenAnpassungvor,dienichtsmitmangelnderBildungoderfehlendem„Möglichkeitssinn“zutunhat.AufderanderenSeitesindästhetisierendeUrteile,diedieKonjunktiv‐II‐Formenalsunschönbeschreiben,soebenfallsnichthaltbar.

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